Wir bekamen zu dieser Zeit eine Menge gräßlicher Geschichten zu hören, von Krankenwärtern und Wachmännern, die nach den Sterbenden sahen; nämlich, daß bezahlte Pfleger und Pflegerinnen die Seuchekranken, die sie warteten, barbarisch behandelten, sie verhungern, ersticken ließen oder mit anderen bösartigen Mitteln ihr Ende beschleunigten, das heißt, sie ermordeten; und daß Wachmänner, wenn sie ein verschlossenes Haus zu bewachen hatten, in welchem nur noch ein einziger Bewohner übrig war, und der vielleicht krank lag, in das Haus eindrangen und denjenigen umbrachten und ihn sogleich auf den Totenkarren warfen, so daß er, noch kaum erkaltet, ins Grab mußte!
Es läßt sich wohl nicht abstreiten, daß einige solcher Morde tatsächlich verübt wurden, und zwei Männer, glaube ich, wurden dafür in Gefängnishaft genommen, starben jedoch, bevor man ihnen den Prozeß machen konnte; und von drei anderen habe ich gehört, daß sie, zu verschiedenen Zeiten, von einer solchen Mordanklage freigesprochen wurden; ich muß indes sagen, daß ich nicht glaube, dies sei ein so allgemein verbreitetes Verbrechen gewesen, wie manche seither zu behaupten belieben; und es läßt sich auch kaum ein Grund dafür einsehen, denn wo die Menschen einmal so schwach waren, daß sie sich selbst nicht mehr helfen konnten – und solche wurden selten wieder gesund – da war gar keine Versuchung, einen Mord zu begehen, jedenfalls keine angesichts der Tatsache, daß dies sichere Todeskandidaten waren, die in kurzer Zeit sterben würden und keine Hoffnung mehr hatten.
Daß Raub und Diebstahl und üble Vergehen auch zu dieser schaudervollen Zeit im Schwange waren, will ich nicht leugnen. Die Macht der Habgier war in manchen so stark, daß sie jedes Risiko eingegangen wären, um zu stehlen und zu plündern; und besonders in Häusern, wo alle Parteien oder Einwohner tot waren, pflegten sie ohne Bedenken einzubrechen und, ohne der Gefahr der Ansteckung zu achten, den Toten sogar die Kleider wegzunehmen und das Bettleinen von den Bahren.
So muß es wohl bei der Familie in Houndsditch gewesen sein, wo ein Mann und seine Tochter – die übrige Familie war, wie ich annehme, schon vorher auf dem Totenkarren davongefahren worden – splitternackt aufgefunden wurden, jeder in seiner Kammer tot auf dem Boden liegend, und das Leinenzeug der Betten, aus denen sie anscheinend von den Dieben hinausgerollt worden waren, gestohlen und vollständig mitgenommen.
Man mußte in der Tat beobachten, daß in diesem ganzen Unglück die Frauen sich als die unbesonnensten, bedenkenlosesten und unvernünftigsten Geschöpfe zeigten, und da es eine große Anzahl gab, die als Krankenwärterinnen zur Pflege der Pestkranken herumgingen, wurden von ihnen in den Häusern, wo sie beschäftigt waren, viele kleine Diebereien begangen; und einige von ihnen wurden dafür öffentlich ausgepeitscht, während sie vielleicht besser als abschreckendes Beispiel hätten gehängt werden sollen, denn zu viele Häuser wurden bei diesen Gelegenheiten beraubt, bis schließlich Gemeindebeamte eingesetzt wurden, die die Vermittlung von Krankenwärterinnen an die Kranken übernahmen und darüber Buch führten, wen sie jedesmal empfohlen hatten, so daß sie die Betreffende zur Rechenschaft ziehen konnten, wenn in einem Haus etwas abhanden gekommen war.
Aber diese Diebstähle erstreckten sich hauptsächlich auf Kleidung, Leinzeug und was an Ringen oder Geld ihnen in die Hände fallen konnte, wenn der Patient, den sie zu versorgen hatten, starb; zu einer allgemeinen Plünderung jedoch kam es selten; und ich könnte von einer dieser Pflegerinnen berichten, die mehrere Jahre später, auf dem Totenbett, mit tiefstem Abscheu die Diebstähle eingestand, die sie während ihrer Zeit als Krankenwärterin begangen hatte und durch die sie sich in hohem Maße bereichert hatte. Aber was das Morden angeht, so kann ich nicht finden, daß in der Art, wie darüber berichtet wurde, jemals ein Beweis für ihre Tatsächlichkeit erbracht worden ist, ausgenommen wie oben.
Zwar erzählte man mir von einer Krankenschwester irgendwo, die einem im Sterben liegenden Patienten, den sie pflegte, ein nasses Tuch auf das Gesicht gelegt, nachdem er gerade ausgeatmet hatte, und so seinem Leben ein Ende gesetzt habe; und von einer anderen, die eine junge Frau, die in ihrer Pflege war, erstickt habe, als sie sich in einem Ohnmachtsanfall befand, aus dem sie wieder zu sich gekommen wäre; ob sie sie umbrachten, indem sie ihnen dies eingaben oder jenes, oder ob sie sie verhungern ließen, indem sie ihnen überhaupt nichts gaben – jede dieser Geschichten hatte immer zwei verdächtige Merkmale an sich, die mich veranlaßten, sie abzutun und sie alle als reine Erfindungen anzusehen, mit denen Leute einander beständig Angst machten. Das erste war, daß, wo immer wir davon hörten, der Schauplatz stets in das andere Ende der Stadt verlegt wurde, möglichst in entgegengesetzter Richtung und weit entfernt von da, wo es erzählt wurde. Wenn man es in Whitechapel hörte, dann hatte es sich in St. Giles zugetragen oder in Westminster oder Holborn oder jener Gegend der Stadt. Wenn man dort davon hörte, dann war es in Whitechapel oder in der Minoritenpfarre oder in Cripplegate geschehen. Wenn man es in der City hörte, war es in Southwark geschehen, und wenn man es in Southwark hörte, war es in der City geschehen und so fort.
Und das zweite Merkmal: Wo immer es sich abgespielt haben sollte, die Einzelheiten waren stets die gleichen, besonders daß ein feuchter Lappen einem Sterbenden auf das Gesicht gelegt worden sein soll und daß eine junge vornehme Dame erstickt worden sei; so war es offenbar, wenigstens nach meinem Dafürhalten, daß daran mehr Dichtung als Wahrheit war.
Ich muß jedoch zugeben, daß es seine Wirkung auf die Leute hatte, und insonderheit, daß sie, wie ich schon sagte, mehr darauf achteten, wen sie zu sich ins Haus nahmen und wem sie ihr Leben anvertrauten, und daß man sich nach Möglichkeit immer Empfehlungen geben ließ; und wenn solche mit Empfehlungen nicht zu finden waren, denn von denen gab es nicht allzuviele, wandte man sich an die Gemeindebeamten.
Aber auch hier lag wieder die größte Last auf den Schultern der Armen, die, wenn sie befallen wurden, weder Nahrung noch Arznei hatten, weder Arzt noch Apotheker, ihnen beizustehen, noch Krankenwärter, sie zu pflegen.
Viele von ihnen starben elendig und ganz jammervoll zum Fenster hinaus um Hilfe, ja um Stillung ihres Hungers schreiend; aber es muß hinzugesetzt werden, daß wann immer man solche Notfälle von Einzelpersonen oder Familien dem Lordbürgermeister vortrug, stets Abhilfe geschaffen wurde.
Es trifft freilich zu, daß in manchen Häusern, wo die Menschen gar nicht sehr arm waren, doch wo man vielleicht Frau und Kinder weggeschickt und die Dienerschaft, so sie vorhanden gewesen war, entlassen hatte – ich sage, es trifft zu, daß viele solcher Menschen, um Kosten zu sparen, sich selbst eingeschlossen hatten und dann, ohne Hilfe, allein starben.
Ein Nachbar und Bekannter von mir, dem ein Ladenbesitzer in der Whitecross Straße oder daherum eine Summe Geld schuldete, schickte seinen Lehrling, einen jungen Burschen von etwa 18 Jahren, er solle versuchen, das Geld zu kassieren. Er kam zur Tür, und da er sie verschlossen fand, klopfte er ziemlich laut, und als er glaubte, jedoch nicht sicher war, von drinnen eine Antwort zu hören, wartete er und klopfte nach einer Weile nochmals und dann ein drittes Mal, worauf er jemand die Treppe hinabkommen hörte.
Schließlich erschien der Mann aus dem Hause an der Tür; er trug enge Unterhosen und eine gelbe Flanellweste, keine Strümpfe, ein Paar Schlaufenschuhe, eine weiße Kappe auf dem Kopf und, wie der junge Mann sagte, »den Tod im Gesicht«.
Als er die Tür öffnete, fragte er: »Warum störst du mich so?« Der Junge, obwohl ein wenig überrascht, antwortete: »Ich komme von So-und-so, und mein Herr schickt mich nach dem Geld, und, sagt er, Ihr wißt Bescheid.« »Sehr gut, Kind«, entgegnete die gespenstische Erscheinung, »sag in der Cripplegate Kirche Bescheid, wenn du vorbeikommst, sie sollen die Sterbeglocke läuten«; und schloß mit diesen Worten die Tür wieder und ging hinauf und starb noch am gleichen Tag, ja vielleicht in der gleichen Stunde. Dies hat mir der junge Mann selbst erzählt, und ich habe Grund, es zu glauben. Dies war, als die Pest noch nicht ihren Höhepunkt erreicht hatte. Ich glaube, es war im Juni, gegen Ende dieses Monats; es muß gewesen sein, bevor noch die Totenkarren herumfuhren und als sie noch für die Sterbenden die Glocke läuteten, und mit diesem Brauch war es, in jener Pfarre jedenfalls, bestimmt vor dem Juli vorbei, denn um den 25. Juli starben dort 550 oder mehr in der Woche, und da konnte man niemanden mehr mit Förmlichkeit bestatten, ob reich oder arm.
Ich habe oben gesagt, daß es trotz dieser schauerlichen Schreckenszeit überall und bei jeder Gelegenheit, wo eine Beute zu riechen war, von Dieben wimmelte, und daß diese Diebe meist Frauen waren. Eines Morgens gegen elf war ich beim Haus meines Bruders in der Pfarre Coleman Straße angelangt, wohin ich öfter ging, um nach dem Rechten zu schauen.
Das Haus hatte einen kleinen Hof mit einer Ziegelmauer und einem Tor, und innerhalb der Mauer waren die Lagerhäuser, wo mein Bruder Waren der verschiedensten Art aufbewahrte. Es traf sich, daß in einem dieser Lager mehrere Stapel hochkrempiger Damenhüte waren, die vom Lande stammten und, wie ich glaube, zur Ausfuhr, ich weiß nicht wohin, bestimmt waren.
Als ich mich der Tür meines Bruders näherte, die an einem Platz namens Swan Alley lag, wunderte ich mich, drei oder vier Frauen mit hochkrempigen Hüten auf dem Kopf zu treffen; und, wie ich mich hinterher erinnerte, trugen sie außerdem noch ein paar solcher Hüte in der Hand; aber da ich sie nicht aus meines Bruders Tür hatte kommen sehen und auch nicht wußte, daß mein Bruder solche Dinge auf Lager hatte, fiel es mir nicht ein, irgend etwas zu ihnen zu sagen, sondern ich überquerte die Straße, um ihnen aus dem Weg zu gehen, wie es damals aus Furcht vor der Ansteckung üblich war. Aber als ich dem Tor näher kam, traf ich wieder eine Frau mit noch mehr Hüten, die aus dem Tor kam. »Was habt Ihr, meine Dame, dort zu tun gehabt?« sagte ich. »Da sind noch mehr Leute drinnen«, sagte sie, »ich hatte dort nichts anderes zu tun als die.« Ich beeilte mich, zu dem Tor zu kommen, und sagte nichts mehr zu ihr, und auf diese Weise kam sie davon. Aber als ich eben beim Tor war, sah ich zwei weitere Frauen, wieder mit Hüten auf dem Kopf und unter dem Arm, herauskommen und den Hof überqueren, worauf ich die Tür hinter mir zuwarf, so daß das Schnappschloß einsprang, und mich den Frauen zuwandte. »Fürwahr«, sagte ich, »was tut Ihr hier?« und griff nach den Hüten, um sie ihnen fortzunehmen. Die eine, die, wie ich gestehen muß, nicht nach einer Diebin aussah, sagte: »Wir mögen freilich im Unrecht sein, aber man hat uns gesagt, sie hätten keinen Besitzer. Bitte, nehmt sie zurück; und schaut dort hinüber, da sind mehr solche Kunden wie wir.« Sie weinte und sah mitleiderregend aus, also nahm ich ihr die Hüte ab, öffnete das Tor und hieß sie beide gehen, denn die Frauen taten mir wirklich leid; aber als ich nach dem Lagerhaus blickte, wie sie mir bedeutet hatte, da waren noch einmal sechs oder sieben, lauter Frauen, die Hüte für sich anprobierten, und so unbekümmert und ruhig, als seien sie in einem Hutladen und kauften für ihr Geld ein.
Ich war verdutzt, nicht nur durch den Anblick so vieler Einbrecher, sondern auch durch die Lage, in die ich mich versetzt sah; da sollte ich mir nun unter so vielen Leuten Geltung verschaffen, wo ich doch wochenlang so menschenscheu gewesen war, daß ich jedesmal auf die andere Straßenseite auswich, wenn ich unterwegs jemandem begegnete!
Sie waren gleichfalls überrascht, wenn auch aus anderem Grund. Sie sagten mir alle, sie seien aus der Nachbarschaft und daß sie gehört hätten, jeder könne sich davon holen, und daß diese Hüte herrenloses Gut seien und dergleichen.
Ich spielte zuerst den starken Mann, ging zum Tor zurück, zog den Schlüssel ab, so daß sie alle meine Gefangenen waren, drohte, sie allesamt im Magazin einzusperren und die Amtsgewalt herbeizurufen.
Sie baten und bettelten, versicherten, sie hätten das Tor offen vorgefunden und das Lagerhaus unverschlossen; und daß es bestimmt von jemand aufgebrochen worden sei, der Gegenstände von größerem Wert zu finden gehofft habe, und das war allerdings kein unvernünftiger Gedanke, denn das Schloß war erbrochen, und das Vorhängeschloß, das an der Außenseite angebracht war, hing lose, und von den Hüten waren nicht allzu viele verschwunden.
Schließlich sagte ich mir, daß dies nicht die Zeit war, grausam und hartherzig zu sein; und außerdem hätte es mir die Notwendigkeit auferlegt, viele Gänge zu machen, verschiedene Leute bei mir einzulassen und andere zu besuchen, über deren Gesundheitszustand ich völlig in Unkenntnis war; während gerade zu dieser Zeit die Pest so tobte, daß 4000 in einer Woche starben, hätte es mich, wollte ich Empfindlichkeit zeigen oder auch nur dem Hab und Gut meines Bruders Recht verschaffen, das Leben kosten können; so begnügte ich mich, ihre Namen aufzunehmen und von einigen, die zur nächsten Nachbarschaft gehörten, den Wohnort, und ihnen anzudrohen, mein Bruder werde sie, wenn er nach London zurückkehre, zur Rechenschaft ziehen.
Dann ging ich auf eine andere Tonart über und
fragte sie, wie sie so etwas hätten tun können, zu der Zeit einer
solchen allgemeinen Notlage und sozusagen Gottes furchtbarem
Strafgericht ins Angesicht widerstehend, da doch die Pest so dicht
vor ihrer Tür stehe und vielleicht – sie könnten es nicht
wissen
– schon bei ihnen im Hause sei und der Totenkarren möglicherweise
in ein paar Stunden bereits vor ihrer Tür halten werde, um sie in
ihr Grab zu fahren.
Ich hätte nicht sagen können, daß ich mit meiner Rede großen Eindruck auf sie machte, aber dann traf es sich, daß zwei Männer aus der Nachbarschaft herbeikamen; sie hatten den Streit gehört, und da sie meinen Bruder kannten – sie hatten beide einmal zu seinem Hauswesen gehört – kamen sie mir beizustehen. Nachbarn, die sie, wie gesagt, waren, kannten sie sogleich drei der Frauen und sagten mir, wer sie waren und wo sie wohnten; und sie hatten mir, scheint es, vorher wahre Angaben über sich gemacht.
Diese beiden Männer sind mit einer weiteren Erinnerung verknüpft. Der eine hieß John Hayward, und er war zu der Zeit Unterküster in der St. Stephen Pfarre in der Coleman Straße. Unterküster bedeutete damals soviel wie Totengräber und Leichenträger. Dieser Mann schaffte alle Toten, die in der großen Pfarre beerdigt wurden, in ihr Grab, oder half dabei, zuerst noch in der Form der feierlichen Bestattung, später, als man damit aufhörte, ging er mit Totenkarren und Glocke herum, um die Leichen aus den Häusern abzuholen, wo sie lagen, und schleppte viele von ihnen aus den Zimmern und durch die Häuser; denn dieser Sprengel war, und ist immer noch, besonders bemerkenswert ob der großen Zahl seiner schmalen Gäßchen und engen, langen Hinterhöfe, auf die kein Wagen einfahren konnte, so daß man dort die Leichen auf weiten Wegen zu Fuß herausholen mußte; von diesen Gäßchen stehen manche heute noch als Zeugen, so zum Beispiel White’s Alley, Cross Key Court, Swan Alley, Bell Alley, White Horse Alley und viele mehr.
Dorthinein gingen sie mit einer Art von Schubkarren und legten die Toten darauf und schafften sie damit zu dem Fahrzeug hinaus; dies war seine Arbeit, und er bekam die Pest nie, sondern lebte noch zwanzig Jahre danach und war bis zum Lebensende Küster in der Pfarre. Seine Frau war zur selben Zeit Krankenwärterin, von den Gemeindebeamten für ihre Ehrlichkeit überall empfohlen, und pflegte viele in der Gemeinde, bis sie starben, und auch sie wurde nicht angesteckt.
John gebrauchte nie ein anderes Mittel gegen die Infektion, als daß er Knoblauch und Raute im Mund hielt und Tabak rauchte. Das habe ich auch von ihm selber. Und seine Frau nahm Essig; sie wusch ihr Haar in Essig, besprengte ihre Kleider mit Essig, so daß sie immer feucht waren; und wenn der Gestank der Kranken, die sie wartete, einmal noch abstoßender war als gewöhnlich, so zog sie Essig in der Nase hoch und sprengte Essig auf ihr Kopftuch und hielt ein in Essig getränktes Taschentuch vor ihren Mund.
Es muß gesagt werden, daß die Armen, obwohl die Pest vornehmlich unter ihnen hauste, ihr dennoch am furchtlosesten begegneten und mit einer Art von störrischer Tapferkeit ihrer Arbeit nachgingen; ich muß es so nennen, denn es war weder auf Religion noch Überlegung gegründet; selten übten sie eine Vorsicht, sondern nahmen jede Beschäftigung an, die ihnen einen Lebensunterhalt bot, und wenn sie noch so gefährlich war. So zum Beispiel: die Pestkranken zu warten, die gesperrten Häuser zu bewachen, die seuchebefallenen Personen ins Pesthaus zu bringen, und was noch schlimmer war, die Toten ins Grab zu tragen.
Unter dieses John Haywards Augen und in seinem Dienstbereich war es auch, wo sich die Geschichte von dem Flötenspieler, der die Leute immer so belustigt hatte, zutrug, und John versicherte mir, daß sie wahr sei. Es hat geheißen, der Flötenspieler sei blind gewesen; aber wie ich von John hörte, war er nicht blind, sondern nur ein hilfloser, schwacher, alter Mann, der gewöhnlich gegen 10 Uhr abends seine Runde machte und flötend von Tür zu Tür ging; und die Leute luden ihn in die Schänken ein, wo er schon bekannt war, und gaben ihm zu essen und zu trinken und manchmal ein paar Pfennige; und als Gegengabe pflegte er zu flöten und zu singen und dummes Zeug zu reden, was die Leute unterhielt; und davon lebte er. Nur war es jetzt, wo die Dinge so standen, wie ich berichtet habe, eine sehr schlechte Zeit für solche Unterhaltung, doch der arme Mensch ging herum wie immer und war fast verhungert; und wenn jemand ihn fragte, wie es ihm gehe, so pflegte er zu antworten, der Totenkarren habe ihn diesmal noch nicht mitgenommen, aber sie hätten versprochen, ihn nächste Woche abzuholen.
Eines Abends geschah es, daß dieser arme Kerl, ob ihm jemand zuviel zu trinken gegeben hatte oder nicht – John Hayward sagte, er habe nicht getrunken, sondern sie hätten ihm nur in einer Schänke in der Coleman Straße ein wenig mehr als gewöhnlich zu essen gegeben, und der arme Kerl, an einen vollen Magen wohl schon eine ganze Weile nicht mehr gewohnt, lag ausgestreckt oben auf einer Bude oder einem Verschlag, in einem Toreingang in der Straße beim London Wall, auf Cripplegate zu, und schlief fest; und oben auf den gleichen Verschlag oder Marktstand hatten Leute aus der Gasse, an deren Ecke das Haus stand, als sie die Glocke hörten, die beim Kommen des Totenkarrens immer geläutet wurde, eine Leiche gelegt, einen Pesttoten, und sie hatten gemeint, daß der arme Mensch, der schon dort lag, genauso ein Toter sei, den Nachbarn dort hingebracht hätten.
Demgemäß, als John Hayward mit der Glocke und dem Totenkarren vorbeikam und zwei Tote auf dem Verschlag liegend fand, packten sie sie mit dem Instrument, das sie dafür gebrauchten, und warfen sie auf den Wagen, und alldieweil schlief der Flötenspieler seinen gesunden Schlaf.
Von dort fuhren sie weiter und luden andere Leichen auf, bis sie, wie mir der gute John erzählte, ihn fast lebendig in dem Wagen begraben hatten; aber er ließ sich keinen Augenblick im Schlaf stören. Schließlich kamen sie zu dem Platz, wo die Toten in die Erde geworfen werden sollten, und das war, soweit ich mich entsinne, am Mount Mill; nun stand der Wagen gewöhnlich eine Weile still, bevor sie soweit waren, die traurige Ladung, die er fuhr, auszukippen; und sobald er anhielt, wachte der Mann auf und strampelte ein wenig, um seinen Kopf unter den Leichen hervorzubringen und rief dann, sich im Wagen aufrichtend: »He, wo bin ich?« Das entsetzte den Mann, der beim Wagen mit zur Hand ging, aber nach einer Pause faßte sich John Hayward und sagte: »Gott steh uns bei! Da ist jemand auf dem Wagen noch nicht tot!« und der andere rief und fragte: »Wer seid Ihr?« Der Mensch antwortete: »Ich bin der arme Flötenspieler. Wo bin ich hier?« »Wo Ihr seid?« sagte Hayward. »Nun, Ihr seid auf dem Totenkarren, und wir sind dabei, Euch zu begraben.« »Aber ich bin doch nicht tot, oder?« sagte der Flötenspieler, was sie ein wenig zum Lachen brachte, obwohl ihnen, so sagte John, zuerst der Schreck tüchtig in die Glieder gefahren war; so halfen sie ihm herunter, und dar arme Kerl ging seines Weges.
Ich weiß, daß es in der Geschichte heißt, er habe in dem Karren seine Pfeifen hervorgeholt und zu flöten angefangen und die Totengräber seien vor Angst davongelaufen; aber so erzählte John Hayward die Geschichte nicht, und daß er geflötet habe, davon sagte er nichts; sondern nur, daß er ein armer Flötenspieler war und daß er auf obige Art weggefahren worden sei, und ich bin fest überzeugt, daß dies die Wahrheit ist.
Es sei hier angemerkt, daß die Totenkarren in der City sich nicht an bestimmte Pfarrsprengel zu halten hatten, sondern ein Wagen fuhr durch mehrere Bezirke, je nach der Zahl der gemeldeten Toten; auch waren sie nicht verpflichtet, jeden Toten auf seinen Gemeindefriedhof zu bringen, sondern viele der Toten, die man in der City auflud, wurden aus Mangel an Platz auf einen Bestattungsgrund am Rande der Stadt geschafft.
Ich habe schon davon gesprochen, wie überraschend die Heimsuchung zuerst für die Leute kam. Man muß mir gestatten, einige meiner Beobachtungen nach der sittlichen und religiösen Seite hin hier anzuführen. Sicherlich ist niemals eine Stadt, jedenfalls keine von dieser Größe und Ausdehnung, so völlig unvorbereitet auf eine so furchtbare Heimsuchung betroffen worden, ob ich von den behördlichen Vorbereitungen sprechen soll oder von den religiösen. Es war in der Tat, als hätten sie keine Warnzeichen, keine Vorahnungen, keine Zukunftsbesorgnis gehabt, und infolgedessen waren die Vorkehrungen, die von seilen der Öffentlichkeit getroffen worden waren, unvorstellbar mangelhaft. Zum Beispiel hatten der Lordbürgermeister und die Sheriffs, als die Hüter der Ordnung, keinen Plan gefaßt, welche Verhaltensregeln zur allgemeinen Befolgung zu erlassen seien. Man hatte sich keinerlei Gedanken über Maßnahmen zur Armenfürsorge gemacht. Es gab im Besitz der öffentlichen Hand keine Magazine oder Lagerhäuser für Korn oder Mehl zur Versorgung der Armen; hätte man solche, wie das anderswo in Fällen dieser Art geschieht, angelegt, hätte man vielen notleidenden Familien, die jetzt ins ärgste Elend gerieten, helfen können, und zwar auf viel bessere Art, als es jetzt möglich war.
Über den Geldvorrat der Stadt kann ich nur
wenig sagen. Die Londoner Stadtkammer galt als außerordentlich
reich, und daß das nicht falsch war, konnte man aus den ungeheuren
Summen schließen, die von ihr zum Wiederaufbau öffentlicher Gebäude
nach dem Brand Londons verausgabt wurden; so wurden
wiederaufgebaut: die Gildenhalle, Blackwell Hall, ein Teil von
Leaden Hall, die Börse zur Hälfte, Session House, das Compter, die
Gefängnisse in Ludgate, Newgate etc., mehrere der Kaianlagen und
Ufertreppen und Landeplätze am Fluß; sie alle waren bei dem großen
Feuer in London, im Jahre nach der Pest, entweder abgebrannt oder
beschädigt worden; und es wurden auch neue Bauten errichtet, wie
das Monument, Fleet Ditch mit seinen Brücken und das Hospital von
Bethlem oder Bedlam etc. Aber möglicherweise hatten die Verwalter
der Stadtfinanzen damals mehr Gewissensbedenken, das Geld der
Witwen und Waisen anzubrechen, um damit den in Not geratenen
Mitbürgern Mildtätigkeit zu erweisen, als in den darauffolgenden
Jahren, um die Stadt zu verschönern und Gebäude zu erneuern; und
doch wären im ersten Falle die verlorenen Gelder als viel besser
angelegt betrachtet worden, und das Vertrauen in die öffentlichen
Angelegenheiten hätte nicht so sehr unter Ärgernissen und
Beschuldigungen gelitten.
Es muß anerkannt werden, daß die abwesenden Bürger aus der sicheren
Entfernung, die sie für sich auf dem Lande gewonnen hatten, dennoch
regen Anteil an dem Wohlergehen derer nahmen, die von ihnen
zurückgelassen worden waren, und nicht vergaßen, mit großzügigen
Spenden zur Hilfe für die Armen beizusteuern, und es wurden
erhebliche Summen auch in den entlegensten Handelsplätzen Englands
gesammelt; und, wie ich ebenfalls hörte, der Adel und die
begüterten Schichten in ganz England hatten ein Herz für die
beklagenswerte Notlage der City und sandten hohe Beträge zu Händen
des Lordbürgermeisters und der Amtspfleger, um die Armen zu
unterstützen.
Auch der König, so hat man mir gesagt, gab Anweisung, daß tausend
Pfund in der Woche in vier Teilen vergeben würden: ein Viertel für
die City und die Westminster-Freiheit; ein Viertel für die Bewohner
der Southwark-Flußseite; ein Viertel für die Stadtfreiheit und die
Teile der City, die nicht innerhalb der Stadtmauern lagen; und ein
Viertel für die Vororte, die zur Grafschaft Middlesex gehörten, und
den Osten und Norden der Innenstadt. Aber dies letzte gebe ich nur
als einen Bericht vom Hörensagen wieder.
Sicher ist, daß der größte Teil der Armen oder der Schicht, die
früher von ihrer Hände Arbeit oder vom Kleinhandel gelebt hatte,
jetzt auf Wohltätigkeit angewiesen war; und wären nicht
ungewöhnlich hohe Summen Geldes von wohltätigen und christlich
gesinnten Menschen zu ihrem Unterhalt gestiftet worden, so hätte
die City nicht durchkommen können. Es wurde ohne Frage über die
Wohltätigkeitsausgaben und ihre gerechte Verteilung von den
Amtspflegern Buch geführt. Aber da so erschreckend viele von den
Beamten, durch deren Hände die Gaben verteilt wurden, starben und
die meisten der Abrechnungsbücher darüber in dem großen Brand, der
im nächsten Jahr ausbrach, verlorengingen – sogar der Amtssitz des
Kämmerers und viele Papiere dort verbrannten –, konnte ich nie an
den Rechnungsbericht kommen, obwohl ich keine Mühe gescheut habe,
ihn einsehen zu können.
Es mag indes ein Hinweis sein für den Fall, eine ähnliche
Heimsuchung kommt wieder über die Stadt, wovor Gott sie bewahren
wolle, ich sage, es mag von Nutzen sein zu bemerken, daß durch die
Obsorge des Lordbürgermeisters und der Stadträte, während der Zeit
große Summen Geldes zur Unterstützung der Armen verteilen zu
lassen, sehr viele Menschen, die sonst zugrunde gegangen wären,
Hilfe fanden und am Leben blieben. Und hier möchte ich in eine
kurze Erörterung eintreten, wie es um die Armen zu jener Zeit
bestellt war und was man ihrem damaligen Schicksal entnehmen kann,
um für die Zukunft zu lernen, womit man zu rechnen hat, sollte die
Stadt wieder in eine ähnliche Bedrängnis geraten.
Zu Anfang der Pest, in dem Moment, als es feststand, daß die ganze
Stadt der Heimsuchung verfallen würde – als, wie ich es geschildert
habe, alle, die Freunde oder Besitzungen auf dem Lande hatten, sich
mit ihren Familien absetzten, als man in der Tat glauben konnte,
die ganze City selbst laufe zum Tore hinaus und niemand werde
übrigbleiben – von dem Moment an war, das ist ganz sicher, der
gesamte Handel und Wandel, mit Ausnahme dessen, was dem
unmittelbaren Bedarf diente, zum Stillstand gekommen.
Dieser ganze Fall enthält so viel Lebenswahrheit und sagt so viel
über die tatsächlichen Verhältnisse der Leute, daß ich der Meinung
bin, ich kann gar nicht genug in seine Einzelheiten gehen, und will
deshalb von jeder der verschiedensten Klassen oder Schichten, die
unmittelbar von der Notlage in Mitleidenschaft gezogen wurden,
gesondert sprechen. Zum Beispiel:
1. Alle Meister der Handwerksbetriebe, besonders solcher, die sich
mit der Fertigung von Ornamenten und den weniger notwendigen Teilen
von Kleidern und Möbeln befaßten, so wie Bänderweber und andere
Weber, Gold- und Silberschmiede, Gold- und Silberfiligraneure,
Näherinnen, Putzmacherinnen, Schuhmacher, Hutmacher und
Handschuhmacher; ebenfalls Polsterer, Schreiner, Tischler,
Brillenmacher und unzählige Gewerbe, die von solchen abhängen – ich
sage, die Meister solcher Betriebe stellten die Arbeit ein,
entließen ihre Gesellen und Arbeiter und lösten ihr Geschäft
auf.
2. Da der Handel mit Waren zum Stillstand gekommen 2. war – denn
nur sehr wenige Schiffe wagten sich den Fluß herauf und gar keines
ging hinaus – wurden alle die überzähligen Zollbeamten, ebenso die
Schiffer, Fuhrleute, Träger und all die Armen, deren Beschäftigung
von den Kaufleuten abhing, sofort entlassen und ihres Broterwerbes
beraubt.
3. Alle, die im Baugewerbe beschäftigt waren, hatten keine Arbeit,
denn niemand hatte Lust, ein Haus zu bauen, wo so viele tausend
Häuser plötzlich leer standen; dies allein machte alle die
Arbeiter, die zu diesem Geschäft gehören, erwerbslos: Ziegler,
Maurer, Zimmerleute, Schreiner, Gipser, Maler, Glaser, Schlosser,
Klempner und alle die Gewerbezweige, die von diesen
abhängen.
4. Da die Schiffahrt zum Erliegen gekommen war – unsere Schiffe
liefen weder ein noch aus wie früher – waren alle Seeleute ohne
Arbeit, und viele von ihnen auf der letzten und untersten Stufe des
Elends angelangt; wie den Seeleuten erging es all den verschiedenen
Handwerksleuten und Arbeitern, die mit Schiffsbau und
Schiffsausrüstung zu tun hatten und davon lebten, so wie:
Schiffszimmerleute, Kalfaterer, Seiler, Trokkenküfer, Segelmacher,
Ankerschmiede und andere Schmiede; Formmacher, Drechsler,
Büchsenmacher, Schiffskrämer, Schiffsschnitzer und dergleichen. Die
Kapitäne und die Meister dieser Gewerbe konnten vielleicht von
ihrem Vermögen leben, aber die Schiffe lagen alle still, und so
wurden die Arbeiter entlassen. Dazu kam, daß auch auf dem Fluß
beinahe kein Boot mehr verkehrte, und alle oder der größte Teil der
Fährleute, Stauer, Boots- und Schiffbauer waren ebenfalls außer
Arbeit und Brot.
5. Alle Familien schränkten ihre Lebenshaltung soweit wie möglich
ein, sowohl, die geflohen, wie die, die geblieben waren; so daß
eine unübersehbare Menge von Lakaien, Dienstleuten, Gehilfen,
Verkäufern, Buchhaltern und ähnlichen Leuten, und besonders armen
Dienstmägden, auf die Straße gesetzt wurden, wo sie, ohne Freund
und ohne Hilfe, ohne Broterwerb und ohne Unterkunft, sich selbst
überlassen blieben, und das war wirklich ein sehr trübes
Kapitel.
Ich könnte hier noch näher auf die Einzelheiten eingehen, aber es
mag genügen, wenn ich ganz allgemein sage, daß, wo alle Gewerbe
stillagen, die Beschäftigung und die Arbeit und damit die
Verdienstmöglichkeit der Armen unterbunden wurde; und zuerst gellte
uns das Klagegeschrei der Armen recht jammervoll in den Ohren,
obwohl durch die Austeilung milder Gaben das Elend weitgehend
gemildert wurde. Viele flohen zwar in die Umgebung, aber Tausende
von ihnen, die so lange in London geblieben waren, bis nichts als
die Verzweiflung sie forttrieb, wurden unterwegs vom Tode ereilt,
und so galten sie überall nur als die Boten des Todes; andere, die
die Seuche mit sich schleppten, trugen sie unglückseligerweise bis
in die äußersten Teile des Reiches.
Viele von diesen waren die bejammernswerten Opfer der Verzweiflung,
die ich vorher erwähnte, und fielen der Vernichtung, die aus ihr
folgte, anheim. Man kann von ihnen sagen, daß sie nicht an der Pest
selbst, sondern an ihren Folgen umkamen, nämlich durch Hunger und
Entbehrung und, in der Tat, dem Mangel an allem; waren sie doch
ohne Wohnung, ohne Freunde, ohne Geld und ohne Erwerbsmöglichkeit,
und oft konnte ihnen auch niemand helfen; denn viele von ihnen
besaßen nicht, was wir einen legalen Anspruch nennen, und so
konnten sie bei ihren Gemeinden keine Unterstützung beziehen,
sondern die einzige Hilfe, die es für sie gab, konnten sie bei den
Fürsorgeämtern beantragen, die ihre Hilfeleistungen, das muß man
den Beamten zugutehalten, mit Sorgfalt und freundlicher
Bereitwilligkeit austeilten, so wie sie es für angemessen hielten;
und so haben die, die in der Stadt blieben, eigentlich niemals den
Mangel und die Not in dem Maße gespürt, wie die, die in der oben
erwähnten Art hinausgezogen waren.
Soll doch jeder, dem es bekannt ist, wie groß die Zahl derer ist,
die in unserer Stadt ihr tägliches Brot durch ihrer Hände Arbeit
verdienen, seien sie nun geschulte Handwerker oder nur Arbeiter –
ich sage, soll jeder einmal überlegen, in welch einen Zustand des
Elends unsere Stadt geraten müßte, wenn sie plötzlich alle aus
ihren Stellungen entlassen würden, die Arbeit aufhörte und Löhne
nicht mehr gezahlt würden.
So geschah es bei uns zu der Zeit; und wären die Beträge an Geld,
das von wohlmeinenden Menschen jeder Art, daheim wie auswärts, in
Wohltätigkeit gespendet wurde, nicht außergewöhnlich groß gewesen,
es hätte nicht mehr in der Macht des Lordbürgermeisters und der
Sheriffs gelegen, Ruhe und Ordnung aufrechtzuerhalten. Auch war
man, so wie die Dinge lagen, durchaus nicht ohne Besorgnis, daß die
Verzweiflung die Leute zu den Tumulten treiben und sie so weit
bringen könnte, daß sie die Häuser der Reichen plünderten und die
Lebensmittelmärkte stürmten; in diesem Fall wären auch die
Landleute, die ganz unbehindert und ohne Furcht Nahrungsmittel in
die Stadt brachten, abgeschreckt worden, noch weiter zu kommen, und
die Stadt wäre einer unvermeidlichen Hungersnot
verfallen.
Aber der Klugheit des Lordbürgermeisters und des Stadtrats
(innerhalb der Stadt; in den Vororten der Friedensrichter) war es
zu danken, und der so reichlichen Unterstützung mit Geld von
überall her, daß die Armen in Frieden gehalten wurden und ihre Nöte
überall Abhilfe fanden, soweit es nur möglich war.
Zwei Dinge trugen außerdem dazu bei, Pöbelausschreitungen zu
verhindern. Eines war, daß tatsächlich die Reichen selber keine
Lebensmittelvorräte in ihren Häusern angelegt hatten, wie sie
freilich hätten tun sollen (wären sie klug genug gewesen, dies zu
tun und hätten sie sich vollständig abgesperrt, wie es einige
wenige taten, sie wären der Krankheit besser entgangen). Aber da es
sich zeigte, daß es nicht der Fall war, hatte der Pöbel nicht den
Anreiz, dort Lebensmittelvorräte zu finden, wenn sie einbrächen,
was sie manchmal, das ist klar, sehr nahe daran waren zu tun; und
hätten sie es getan, sie hätten den Untergang der ganzen Stadt
besiegelt, denn es gab keine regulären Truppen, die ihnen
Widerstand hätten leisten können, noch konnte die Bürgerwehr
aufgebracht werden, die Stadt zu verteidigen, da niemand sich
bereit fand, Waffen aufzunehmen.
Aber die Wachsamkeit des Lordbürgermeisters und der Obrigkeit, die
noch vorhanden war (denn einige von ihnen, sogar Stadträte waren
gestorben oder abwesend), wußte dies zu verhindern; und sie taten
es auf die freundlichste und sanfteste Art, die man sich nur denken
kann, so indem sie den Bedürftigsten mit Geld halfen, anderen
Arbeit verschafften, und zwar besonders die Arbeit, die befallenen
und gesperrten Häuser zu bewachen. Und da deren Zahl sehr groß war
– es hieß, daß zu einer Zeit zehntausend Häuser gesperrt waren –
und da jedes Haus zwei Wachmänner zur Bewachung hatte, nämlich
einen für den Tag und einen für die Nacht, so ergab das sogleich
Beschäftigungsmöglichkeit für sehr viele der brotlosen
Männer.
Ähnlich stellte man die Frauen und Dienstmägde, die aus ihren
Stellungen entlassen worden waren, als Wärterinnen an, um überall
die Kranken zu pflegen, und dies verminderte ihre Zahl
beträchtlich.
Und was, obwohl an sich ein trauriges Kapitel, sich doch auf seine
Art als eine Erlösung darstellte, das war die Pest selbst, die von
Mitte August bis Mitte Oktober auf das erschreckendste wütete und
in dem Zeitraum dreißig- bis vierzigtausend gerade von den Menschen
dahinraffte, die, wenn sie am Leben geblieben wären, durch ihre
Armut eine unerträgliche Last gewesen wären; das heißt, die ganze
Stadt hätte die Kosten ihres Unterhalts nicht bestreiten oder sie
mit Nahrung versehen können; und sie wären im Laufe der Zeit, um
sich am Leben zu halten, unausweichlich dazu getrieben worden,
entweder die Stadt selbst oder die anliegenden Landgebiete zu
plündern, und das hätte nicht nur die Stadt, sondern zu guter Letzt
die ganze Nation in die äußerste Angst und Verwirrung
gestürzt.
Man merkte den Menschen damals an, wie das große Unheil sie sehr
bescheiden machte; denn es starben jetzt, neun Wochen lang
hintereinander, Tag für Tag beinahe tausend Menschen, und das nach
der Aufstellung der wöchentlichen Sterberegister, die ja doch,
dessen bin ich gewiß, niemals die vollen Zahlen, sondern um viele
Tausende zu wenig angaben, da die allgemeine Verwirrung zu groß war
und die Tatsache, daß die Totenkarren ihr Werk zur Nachtzeit
verrichteten, mancherorts eine Zählung überhaupt unmöglich
machte.
Aber ob auch Schreiber und Küster bisweilen für Wochen ausfielen
und so niemand genaue Zahlen wußte, so wurde dennoch die Arbeit an
dem Register fortgeführt, und ich entnehme ihm meine Angaben, die
ich hier wiedergebe:
Vom 8. bis 15. August
Vom 15. bis 22. August
Vom 22. bis 29. August
Vom 29. August bis 5. September Vom 5. bis 12. September
Vom 12. bis 19. September
Vom 19. bis 26. September
Vom 26. September bis 3. Oktober Vom 3. bis 10. Oktober
5319 3880
5568 4237
7496 6102
8252 6988
7690 6544
8297 7165
6460 5533
5720 4929
5068 4327 59870 49705
Der Großteil der Opfer wurde also in diesen zwei Monaten
dahingerafft; denn während die Gesamtzahl aller, die an der Pest
starben, sich auf 68590 belief, so haben wir hier innerhalb zweier
Monate schon 50000 oder um eine Kleinigkeit weniger; man kann sagen
50000, denn wenn auch 295 daran fehlen, so fehlen auch, wenn man
die Zeit zusammenrechnet, zwei Tage an vollen zwei Monaten. Wenn
ich sage, die Gemeindebeamten gaben nicht die vollen Zahlen weiter
oder machten keine verläßlichen Angaben, nun, so möge jeder sich
fragen, wie Menschen hätten genau sein können, wenn die Zeit so
furchtbare Bedrängnisse brachte und viele von ihnen selbst von der
Krankheit ergriffen wurden und vielleicht zu dem Zeitpunkt, zu dem
ihre Berichte abgegeben werden sollten, schon tot waren; ich
spreche von den Gemeindeschreibern, neben untergeordneten Beamten;
denn obwohl diese guten Leute jede Gefährdung auf sich nahmen, so
waren sie doch beileibe nicht von dem allgemeinen Unglück
ausgenommen –, wenn man zum Beispiel bedenkt, daß die Pfarre
Stepney in einem Jahr 116 Küster, Totengräber und deren Helfer
gehabt hat; das schließt auch die Leichenträger, Klingler und die
Fuhrleute der Leichenwagen mit ein.
Ihre Arbeit war in der Tat so beschaffen, daß sie ihnen nicht viel
Muße ließ, eine genaue Zählung der Toten vorzunehmen, die alle
zusammen im Dunkeln in eine Grube gehudelt wurden; und dieser Grube
oder dem Graben sich zu nähern, bedeutete für jeden die äußerste
Gefährdung. Ich konnte oft feststellen, daß in den Pfarren Aldgate
und Cripplegate, Whitechapel und Stepney fünf-, sechs-, sieben-
oder achthundert Tote in der Woche auf dem Register verzeichnet
waren, während, wenn wir der Meinung derer, die ebenso wie ich die
ganze Zeit über in der City gelebt haben, glauben dürfen, in
Wirklichkeit in diesen Pfarren manchmal 2000 in der Woche starben;
und ich habe es auch aus den Berechnungen eines Mannes, der dieser
Frage mit aller nur möglichen Genauigkeit nachgegangen ist, daß in
diesem einen Jahr in Wahrheit hunderttausend Menschen an der Pest
gestorben sind, während es auf dem Sterberegister, unter der Rubrik
Pesttote, nur 68 590 waren. Wenn ich meine Meinung ausdrücken darf,
so glaube ich, nach allem, was ich mit eigenen Augen gesehen und
von anderen, die Augenzeugen waren, gehört habe, tatsächlich das
gleiche, nämlich daß mindestens 100 000 Menschen an der Pest allein
gestorben sind, nicht die anderen Krankheiten eingerechnet und
nicht die, die im Freien und auf den Straßen und an versteckten
Plätzen starben; denn wer außer dem Bereich der Verständigung, wie
es genannt wurde, starb, wurde auf dem Totenregister nicht
mitgezählt, obwohl er doch in Wirklichkeit auch zur
Gesamtbevölkerung gehörte. Es war uns allen bekannt, daß mehr als
genug verzweifelter Geschöpfe mit der Pest am Leib und durch ihr
Unglück blödsinnig oder melancholisch geworden, wie es gar nicht
selten vorkam, durch die Felder und Wälder irrten und sich in
abgelegene, rauhe Orte verloren, um irgendwo unter einen Busch oder
eine Hecke zu kriechen und zu sterben.
Die Einwohner der in der Nähe liegenden Dörfer pflegten ihnen aus
Mitleid Essen zu bringen und es in einer Entfernung niederzusetzen,
so daß sie es sich holen konnten, wenn sie noch dazu imstande
waren; und manchmal waren sie das nicht mehr, und wenn man das
nächste Mal kam, fand man die armen Schlucker tot daliegen und das
Essen unberührt. Die Zahl dieser Elenden war groß, und ich weiß von
so vielen, die auf diese Weise umkamen, und oft auch so genau den
Platz, daß ich glaube, ich könnte genau dort hingehen und jetzt
noch ihre Knochen ausgraben; denn die Leute auf dem Land pflegten
hinzugehen und in einer bestimmten Entfernung von ihnen ein Loch zu
graben und dann mit langen Stangen, an deren Enden Haken waren, die
Leichen in diese Löcher zu zerren und dann über ihnen von so weit,
wie sie sie nur werfen konnten, die Erde aufzuschütten, wobei sie
auf die Richtung des Windes achteten und von der Seite herankamen,
die die Seeleute die Luvseite nennen, damit der Pesthauch der
Leichen von ihnen weggeweht würde; und so schieden zahlreiche
Menschen aus der Welt, ohne daß man ihren Namen wußte oder sie in
irgendein Verzeichnis aufnahm, sei es das Sterberegister oder sonst
eines.
Dies habe ich allerdings in der Hauptsache nur aus den Erzählungen
anderer, denn ich ging selten auf die Felder hinaus, außer nach
Bethnal Green und Hackney hin und wie ich es später noch schildern
werde. Doch wenn ich einen Spaziergang machte, sah ich immer von
weitem eine ganze Anzahl armer Wanderer; aber von ihrem Schicksal
konnte ich wenig erfahren, denn ob es auf der Straße war oder auf
freiem Feld – wenn man jemanden kommen sah, so war es die
allgemeine Regel, auszuweichen; dennoch glaube ich, daß diese
Berichte vollkommen wahr sind.
Nachdem dies mich dazu geführt hat, von meinen Gängen durch Straße
und Feld zu sprechen, kann ich nicht zu vermerken auslassen, was
für ein trostloser Ort die Stadt zu der Zeit war. An der großen
Straße, wo ich wohnte, die als eine der breitesten aller Straßen
Londons, jedenfalls in den äußeren Bezirken, bekannt ist, war die
ganze eine Seite, wo die Metzger wohnten, mehr gleich einer grünen
Wiese denn einer gepflasterten Straße, und die Leute gingen
gewöhnlich mit Pferd und Wagen in der Mitte. Zwar war das letzte
Ende der Straße, kurz vor der Whitechapel Kirche, nicht ganz
gepflastert, aber auch wo sie gepflastert war, wuchs auf ihr das
Gras; und das braucht noch nicht einmal wunderzunehmen, wo doch auf
den großen Straßen mitten in der City, wie auf der Leadenhall
Straße, der Bishopsgate Straße, Cornhill, ja sogar vor der Börse an
verschiedenen Stellen das Gras wuchs; vom Morgen bis zum Abend
waren weder Wagen noch Kutschen auf den Straßen zu sehen, außer ein
paar Bauernwagen, die Wurzeln und Bohnen oder Erbsen, Heu und Stroh
zum Markt fuhren, und von ihnen nur sehr wenige, verglichen mit
früher. Was Kutschen angeht, so wurden sie kaum benutzt, außer um
die Kranken ins Pesthaus und zu anderen Hospitälern zu fahren, oder
ab und zu einen Arzt irgendwohin zu bringen, wo er es für
angemessen hielt, sich auf einen Krankenbesuch zu wagen; denn eine
Kutsche war in der Tat ein gefährliches Ding, und die Leute hatten
keine Lust, sich in sie hineinzutrauen, weil sie nie wußten, wer in
ihr zuletzt gefahren worden war; wurden doch, wie ich eben sagte,
die Seuchekranken in Kutschen ins Pesthaus gebracht, und manchmal
starben in ihnen die Leute unterwegs.
Es ist wahr, daß es, als die Pest einen solchen Höhepunkt
erreichte, wie ich eben erwähnt habe, sehr wenige Ärzte gab, die
sich zu den Kranken hinausrühren mochten, und sehr viele der
hervorragendsten ihrer Fakultät waren gestorben, ebenso von den
Wundärzten; denn jetzt war wahrhaftig eine schaurige Zeit, und
ungefähr einen Monat lang starben, glaube ich, wenn man einmal die
Totenregister außer acht läßt, nicht weniger als 1500 oder 1700 am
Tag, einen Tag wie den andern. Einer der schlimmsten Tage, die wir
in der ganzen Zeit hatten, war, nach meinem Dafürhalten, ein Tag
Anfang September, als auch gute Menschen schon zu meinen begannen,
daß Gott beschlossen habe, dem Volk in dieser jammervollen Stadt
den Garaus zu machen. Es war zu der Zeit, als die Pest sich
vollends in den östlichen Bezirken ausgebreitet hatte. Die Pfarre
Aldgate beerdigte, wenn ich meine Schätzung nennen darf, zwei
Wochen lang mehr als tausend in der Woche, obwohl das Register
nicht so viele angab; es kreiste mich so erschreckend schnell ein,
daß es in Houndsditch, in der Minoritenpfarre und in den Vierteln
der Aldgate Pfarre, die um Butcher Row herum und mit ihren
Hintergassen in meiner Richtung liegen, unter zwanzig Häusern nicht
eines gab, das noch von der Seuche frei war. Hier, sage ich,
herrschte der Tod in jedem Winkel. Im Whitechapel Sprengel war es
ähnlich bestellt, und wenn auch lange nicht so schlimm wie in der
Pfarre, wo ich wohnte, so begruben sie doch nahezu 600 in der
Woche, gemäß dem Register, und nach meiner Schätzung doppelt so
viele. Ganze Familien, ja ganze Straßenzüge von Familien wurden
zusammen hinweggefegt; soweit, daß es für Nachbarn nichts Seltenes
mehr war, dem Klingler zuzurufen, er solle zu dem und dem Hause
gehen und die Leute herausholen, denn sie seien alle miteinander
tot.
Und in der Tat, das Werk der Leichenüberführung auf Wagen war
nunmehr so widerlich und gefährlich geworden, daß man Beschwerden
hören konnte, die Totenträger verabsäumten es, Häuser, in denen
alle Einwohner tot waren, von Leichen auszuräumen, statt dessen
seien manchmal die Leichen mehrere Tage unbeerdigt liegen
geblieben, bis benachbarte Familien vom Gestank belästigt und in
der Folge infiziert worden seien; und diese Nachlässigkeit der
Dienstmänner war so, daß die Kirchvorsteher und Konstabler
aufgefordert wurden, darauf zu achten, und sogar die
Friedensrichter in den kleinen Vororten waren verpflichtet, ihr
Leben aufs Spiel zu setzen, um sie zur schnelleren Erledigung
anzuhalten; zahllose Totenträger starben nämlich an der Seuche, von
den Leichen, denen sie so nahezukommen genötigt waren, infiziert.
Und wäre nicht die Zahl der Armen, die Beschäftigung und Brot
suchten (wie ich vorher schon sagte), so groß gewesen, daß die Not
sie trieb, alles und jedes zu unternehmen und zu wagen, so hätte
man niemals jemand für diese Arbeit gefunden. Und dann wären die
Körper der Toten unbeerdigt liegengeblieben und wären auf
schreckliche Weise vergangen und verwest.
Aber man kann es den Behörden nicht hoch genug anrechnen, daß sie
für einen so geordneten Ablauf der Totenbestattung sorgten, daß,
sobald einer von denen, die zum Wegschaffen und Begraben der Toten
bestellt waren, krank wurde oder starb, wie es häufig der Fall war,
sie sofort einen anderen an seine Stelle treten ließen, was
freilich aufgrund der großen Zahl von Arbeitslosen, wie oben
gesagt, nicht schwer war. Dies brachte es mit sich, daß ungeachtet
der ungeheuren Zahl derer, die beinahe zur gleichen Zeit starben
und krank lagen, dennoch die Toten jede Nacht weggeräumt und
fortgeschafft wurden, so daß man von London niemals sagen konnte,
die Lebenden seien nicht mehr imstande gewesen, die Toten zu
begraben. Je größer die Trübsal im Laufe der Schreckenszeit wurde,
um so mehr nahm auch die Verstörtheit der Menschen zu, und tausend
befremdende Dinge vollführten sie, die einen halbtoll vor Angst und
die anderen in der Schmerzenspein ihrer Krankheit, und dies nahm
das Mitgefühl sehr in Anspruch. Einige zogen brüllend und heulend
und händeringend durch die Straßen; einige pflegten betend und mit
zum Himmel erhobenen Händen umherzugehen, Gott um Erbarmen
anrufend. Ich kann freilich nicht sagen, ob das nicht schon im Wahn
geschah, aber mag es auch Wahn gewesen sein, es war jedenfalls das
Anzeichen einer ernsteren Gesinnung, die diese gehabt haben mußten,
als sie noch bei Sinnen waren, und es war, so wie es war, immer
noch besser als das gräßliche Gebrüll und Geheul, das jeden Tag,
und besonders am Abend, auf manchen Straßen zu hören war. Ich nehme
an, von Solomon Eagle, dem berühmten Schwarmgeist, hat alle Welt
gehört. Er, obwohl nirgends krank als im Kopf, zog umher und wies
drohend auf das Strafgericht hin, das über der Stadt sei, und das
tat er auf schauerliche Art, manchmal ganz nackt und mit einer
Pfanne voll glühender Kohlen auf dem Kopf. Was er sagte oder wofür
er sich ausgab, konnte ich allerdings nicht erfahren.
Ich möchte auch nicht darüber urteilen, ob jener Geistliche noch
ganz bei Sinnen war oder nicht, oder ob er es aus reinem Eifer für
das arme Volk tat, wenn er jeden Tag durch die Straßen Whitechapels
ging und mit erhobenen Händen unaufhörlich die Worte aus der
Liturgie der Kirche wiederholte: »Verschone uns, gütiger Gott;
verschone Dein Volk, das Du mit Deinem kostbarsten Blut erlöst
hast.« Ich sage, ich kann nichts Positives über diese Dinge sagen,
weil dies für mich nur Szenen eines garstigen Schauspiels waren,
das sich mir darbot, wenn ich durch mein Kammerfenster schaute
(denn die großen Fenster öffnete ich selten), während ich die Zeit
des heftigsten Wütens der Pest in freiwilligem Hausarrest
verbrachte; das war, wie ich schon sagte, als viele schon zu der
Meinung gelangt waren und sie auch aussprachen, daß keiner
davonkommen werde; und eigentlich war ich auch schon so weit und
verblieb deshalb zwei Wochen lang innerhalb des Hauses und rührte
mich nicht hinaus. Aber ich konnte es nicht durchhalten. Außerdem
gab es Leute, die, ungeachtet der Gefahr, nicht versäumten, dem
öffentlichen Gottesdienst beizuwohnen, nicht einmal zu der
gefährlichsten Zeit; und obwohl es zutrifft, daß sehr viele
Geistliche tatsächlich ihre Kirchen abschlossen und, um der
Sicherheit ihres Lebens willen, wie es andere auch taten, aufs Land
flohen, so gilt das doch nicht für alle. Einige ließen sich nicht
abschrecken, zu amtieren und weiterhin ihre Gemeinde bei
anhaltendem Gebet und gelegentlichen Predigten und kurzen
Ermahnungen zur Buße und Umkehr zu versammeln, und das solange wie
nur einer kam, der ihnen zuhörte. Und die Reformierten taten das
gleiche und benutzten sogar die regulären Kirchen, wo die
Pfarrgeistlichkeit entweder tot oder geflohen war; in einer Zeit
wie dieser konnte man es eben nicht so genau nehmen.
Es war in der Tat herzzerreißend anzuhören, wenn die armen
sterbenden Menschenkinder jammernd und wehklagend nach Geistlichen
riefen, die ihnen Trost spenden, mit ihnen beten und ihnen
geistlichen Rat erteilen sollten; oder wenn sie zu Gott um
Vergebung und Erbarmen flehten und laut ihre vergangenen Sünden
bekannten. Es würde das verstockteste Herz bluten machen, die
vielen Warnungen zu hören, die die Bußfertigen im Sterben an die
anderen richteten, die Reue nicht zu verzögern und sie nicht auf
den Tag der Bedrängnis zu verschieben; denn wenn die Not erst
hereingebrochen sei, so wie jetzt, sei es für die Buße zu spät,
dann sei nicht der rechte Augenblick, zu Gott zu rufen. Ich
wünschte, ich könnte den lebendigen Ton jener Seufzer und Ausrufe
wiederholen, die ich von solchen armen Menschenkindern hörte, wenn
sie in ihrem Todesringen und ihrer Drangsal zum Letzten kamen, und
ich könnte sie den, der dies liest, mithören lassen, so wie ich sie
jetzt noch zu hören vermeine, denn der Ton scheint immer noch in
meinen Ohren zu klingen.
Wenn ich hierüber doch nur in so bewegenden Worten zu sprechen
wüßte, daß es den Leser bis in die tiefste Seele erschüttert, dann
wäre es eine Freude für mich, diese Dinge aufgezeichnet zu haben,
wie kurz und unvollständig auch immer.
Es gefiel Gott, mich immer noch verschont zu lassen, und ich war
frisch und kerngesund, nur sehr ungeduldig, mich länger im Hause
luftdicht einzukapseln, wie ich es vierzehn Tage lang oder so nun
schon tat, und ich konnte mich nicht mehr zurückhalten, sondern ich
mußte gehen und einen Brief an meinen Bruder zum Posthaus bringen.
Und da bemerkte ich allerdings, was für ein tiefes Schweigen in den
Straßen herrschte. Als ich zum Posthaus kam und gerade hineingehen
wollte, um meinen Brief aufzugeben, sah ich in einer Ecke des Hofes
einen Mann stehen und mit einem anderen sprechen, der zu einem
Fenster herausschaute, und ein dritter hatte eben eine Tür der
Amtsräume geöffnet.
Mitten auf dem Hof lag eine kleine Lederbörse mit zwei Schlüsseln,
die daran befestigt waren; es war Geld darin, aber niemand wollte
sie anrühren. Ich fragte, wie lange sie dort schon liege; der Mann
in dem Fenster sagte, sie liege dort schon beinahe eine Stunde,
aber man habe sie nicht angerührt, denn man wisse ja nicht, ob
nicht die Person, die sie verloren habe, zurückkommen und nach ihr
suchen möchte. Ich war nicht so in Geldverlegenheit, und die Summe
konnte auch nicht so groß sein, daß ich Lust verspürt hätte, mich
daranzumachen und das Geld unter der Gefahr, in die ich dabei
vielleicht lief, zu nehmen; so war ich eigentlich schon auf dem Weg
nach Haus, als der Mann, der aus der Tür herausgetreten war, sagte,
er wolle sie aufheben, aber freilich, wenn der rechtmäßige
Eigentümer komme, so solle er sie gewiß zurückerhalten. Er ging
also hinein und holte einen Eimer Wasser und setzte ihn dicht neben
der Geldbörse nieder, dann ging er nochmals und holte etwas
Schießpulver und streute reichlich davon auf die Börse, und dann
machte er eine Zündlinie von diesem Pulver aus, das er lose auf die
Börse gehäufelt hatte. Die Zündlinie reichte etwa zwei Yards weit.
Danach ging er zum dritten Male hinein und kam mit einer
rotglühenden Zange wieder, die er wohl für diesen Zweck vorbereitet
hatte, und setzte zuerst die Zündlinie in Brand; das versengte die
Börse und räucherte die Luft genügend aus. Aber damit war er noch
nicht zufrieden, sondern er nahm dann die Börse mit der Zange hoch
und hielt sie so lange, bis das heiße Eisen das Leder durchgebrannt
hatte, und dann schüttelte er das Geld in den Wassereimer heraus
und trug ihn hinein. Der Betrag war, wenn ich mich recht erinnere,
ungefähr dreizehn Schillinge und einige blanke Heller und
Kupferpfennige.
Es hätte vielleicht mehr als einen Armen gegeben, wie ich vorher
bemerkte, der, wo es um Geld ging, sich nicht lange besonnen hätte
zuzugreifen; aber man kann leicht aus dem, was ich hier schilderte,
ersehen, daß die wenigen, die verschont blieben, zu der Zeit, als
das Unheil so über die Maßen groß war, sich sehr in acht
nahmen.
Ziemlich um die gleiche Zeit machte ich einen Weg über die Felder
nach Bow hinaus; denn ich war sehr begierig zu erfahren, wie man
sich auf dem Fluß unter den Schiffsleuten eingerichtet hatte; und
da ich mit der Schiffahrt zu tun hatte, war mir der Gedanke
gekommen, daß es auch eine sehr gute Art, sich vor der Ansteckung
zu sichern, sein mußte, wenn man sich auf ein Schiff zurückzog; und
während ich nachsann, wie ich meine Neugier in diesem Punkt
befriedigen könnte, wandte ich mich von Bow aus durch die Felder
nach Bromley, dann nach Blackwell hinunter, wo es die Ufertreppen
zum Anlegen und Wasserholen gibt.
Hier sah ich einen armen Mann auf der Böschung oder der Seemauer,
wie sie sie nennen, einhergehen, ganz allein. Ich ging auch eine
Weile umher und sah, daß alle Häuser gesperrt waren. Schließlich
kam ich mit dem armen Mann aus der Entfernung etwas ins Gespräch;
zuerst fragte ich ihn, wie es den Leuten hierherum gehe. »Ach, mein
Herr«, sagte er, »es ist zum Weinen; alle sind tot oder krank. Da
sind sehr wenige Familien hier unten oder in dem Dorf«, (er zeigte
auf Poplar), »wo nicht die Hälfte schon tot sind und die übrigen
krank.« Dann deutete er auf ein Haus. »Dort sind alle tot«, sagte
er, »und das Haus steht offen; keiner traut sich hinein. Ein armer
Dieb hat sich hineingewagt, um etwas zu stehlen, aber er hat für
seinen Diebstahl teuer bezahlen müssen, denn man hat auch ihn
gestern zum Kirchhof getragen.« Dann wies er auf verschiedene
andere Häuser. »Dort«, sagte er, »sind sie alle tot, Mann und Frau
und fünf Kinder. Dort drüben die sind eingeschlossen; man sieht den
Wachmann vor der Tür.« Und so sprach er noch von anderen Häusern.
»Nun«, sagte ich, »und was tut Ihr hier so allein?« »Nun«, sagte
er, »ich bin ein armer, geschlagener Mann; es hat Gott gefallen,
daß ich noch nicht heimgesucht bin, obschon es meine Familie ist
und eines meiner Kinder starb.« »Wie könnt Ihr dann sagen«, sprach
ich, »daß Ihr nicht heimgesucht seid?« »Nun«, sagte er, »das da ist
mein Haus« (und er zeigte auf ein sehr kleines, niedrig gebautes
Haus), »und dort leben mein armes Weib und zwei Kinder«, sagte er,
»wenn man das noch leben nennen kann, denn mein Weib und eines der
Kinder haben die Heimsuchung, aber ich gehe nicht zu ihnen.« Und
bei diesen Worten sah ich ihm in Fülle die Tränen die Wangen
hinablaufen; und mir liefen sie auch, das kann ich
versichern.
»Aber«, sprach ich, »warum geht Ihr nicht zu ihnen? Wie könnt Ihr
Euer eigen Fleisch und Blut im Stich lassen?« »Oh, mein Herr«,
sagte er, »da sei Gott vor! Ich lasse sie nicht im Stich; ich
arbeite für sie, soviel ich nur kann; und, Gott helfe mir, ich
halte sie frei von Not«; und damit erhob er seine Augen zum Himmel,
und wie ich seine Miene sah, wußte ich, daß ich auf einen Mann
getroffen war, der kein Heuchler war, sondern ein ernster, frommer,
guter Mensch; und seine Stoßgebete waren der Ausdruck der
Dankbarkeit dafür, daß er in der Lage, in der er sich befand, sagen
konnte, seine Familie leide keine Not. »Nun ja«, sagte ich, »das
ist ein großer Glücksfall, so wie die Dinge für die Armen stehen.
Aber wie lebt Ihr denn, und was hat Euch vor dem Unheil bewahrt,
das uns allen droht?« »Nun, mein Herr«, sagte er, »ich bin
Fährmann, und da ist mein Boot, und das Boot dient mir als Haus.
Ich arbeite darin am Tage und schlafe darin zur Nacht; und wenn ich
etwas bekomme, lege ich es auf den Stein«, sagte er und zeigte mir
einen flachen Stein auf der anderen Straßenseite, ein gutes Stück
von seinem Haus, »und dann rufe ich Hallo, bis sie mich hören; und
sie kommen und holen es.«
»Gut, Freund, aber wie«, sagte ich, »könnt Ihr als Fährmann Geld
verdienen? Nimmt denn in diesen Tagen noch jemand den Weg über das
Wasser?« »Doch, mein Herr«, sagte er, »wo ich beschäftigt bin, sehr
wohl. Seht Ihr dort die fünf Schiffe vor Anker liegen« (er zeigte
den Fluß hinab, ein gutes Stück unterhalb der Stadt), »und seht Ihr
die acht oder zehn Schiffe, die dort oben festgemacht haben?« (er
zeigte nach oberhalb der Stadt), »all diese Schiffe haben Menschen
an Bord, die Familien ihrer Reeder und Eigentümer und so fort, die
sich eingeschlossen haben und an Bord wohnen, streng abgesondert,
aus Furcht vor der Ansteckung; und ich versorge sie, indem ich
Sachen für sie einhole, Briefe befördere, und was unbedingt
notwendig ist, für sie tue, damit sie nicht an Land zu kommen
brauchen; und jede Nacht mache ich mein Boot an einem der Beiboote
dieser Schiffe fest, und da schlafe ich dann, und Gott helf mir,
ich bin bisher gut gefahren.«
»Ja, aber Freund«, sagte ich, »lassen sie Euch denn an Bord kommen,
nachdem Ihr hier an Land gewesen seid, wo alles doch in so
schrecklicher Verfassung und so verseucht ist?« »Ach, was das
betrifft«, sagte er, »so gehe ich sehr selten an Deck hinauf,
sondern ich liefere, was ich bringe, in dem Beiboot ab, oder ich
lege an und sie hissen es hoch. Aber auch wenn ich an Bord ginge,
ich glaube nicht, daß ich ihnen Gefahr brächte, denn ich gehe nie
in ein Haus an Land oder berühre jemand, nein, nicht einmal von
meiner eigenen Familie; ich hole nur Lebensmittel für
sie.«
»Ja, aber«, sagte ich, »das kann noch schlimmer sein, denn Ihr müßt
diese Lebensmittel ja von irgend jemandem herhaben; und da dieser
ganze Teil der Stadt so verseucht ist, ist es gefährlich, mit
irgendwem auch nur zu sprechen, denn dieses Dorf ist sozusagen der
Anfang von London, wenn es auch noch ein Stück davon weg
liegt.«
»Das ist wahr«, sagte er, »aber Ihr versteht mich nicht recht; ich
kaufe die Lebensmittel nicht hier ein. Ich rudere nach Greenwich
hinauf und kaufe dort frisches Fleisch, und manchmal rudere ich
auch nach Woolwich hinab und kaufe dort ein; dann gehe ich auf
einzelstehende Gehöfte im Kentischen, wo man mich kennt, und kaufe
Geflügel und Eier und Butter, und dann bringe ich zu den Schiffen
von dem einen oder anderen, je nachdem was sie jedesmal bestellt
haben. Ich komme selten hier an Land, und ich bin jetzt nur
gekommen, um mein Weib zu rufen und zu hören, wie es meiner kleinen
Familie ergeht, und ihnen etwas Geld zu geben, das ich gestern
abend bekommen habe.«
»Armer Mensch!« sagte ich; »und wieviel hast du für sie
zusammengebracht?«
»Ich habe vier Schillinge« sagte er, »und das ist viel Geld, so wie
die Dinge jetzt mit den armen Leuten stehen; aber sie haben mir
auch einen Sack Brot gegeben und einen gesalzenen Fisch und etwas
Fleisch; so kommt alles zueinander.« »Nun, und hast du es ihnen
schon gebracht?« sagte ich. »Nein«, sagte er; »aber ich habe
gerufen, und mein Weib hat geantwortet, daß sie nicht gleich
herauskommen könne, aber in einer halben Stunde, hofft sie, kann
sie es tun, und ich warte auf sie. Arme Frau! sie ist ganz elend
daran. Sie hat eine Geschwulst, und sie ist aufgegangen, und ich
hoffe, sie wird gesund werden; aber das Kind, fürchte ich, wird
sterben, jedoch es ist der Herr –«
Hier verstummte er und weinte sehr.
»Nun, wackerer Freund«, sagte ich, »du hast einen sicheren Tröster,
wenn du dahin gelangst, dich in den Willen Gottes zu ergeben; Er
verfährt mit uns allen nach Seiner Gerechtigkeit.« »Oh, mein Herr«,
sagte er, »es ist schon eine unendliche Gnade, wenn einer verschont
wird, und wer bin ich, daß ich murren dürfte!«
»Sprichst du so?« sagte ich, »wieviel geringer ist dann mein Glaube
als der deine?« Und hier überfiel mich meine Seele mit Vorwürfen:
Wieviel fester war doch dieses armen Mannes Entschluß, in der
Gefahr auszuhalten, gegründet als der meine; er hatte nicht, wohin
er hätte fliehen können; er hatte eine Familie, die ihn zum
Unterhalt verpflichtete, das hatte ich nicht; mein Ausharren war
reine Vermessenheit, seines eine echte Unabkömmlichkeit und ein
Vertrauen, das in Gott ruhte; und doch hatte er jede mögliche
Vorsicht für seine Sicherheit gebraucht.
Ich wandte mich ein wenig von ihm ab, während diese Gedanken mich
festhielten, denn ich konnte mich in der Tat der Tränen ebensowenig
erwehren wie er.
Schließlich, nachdem wir noch etwas geplaudert hatten, öffnete die
arme Frau die Tür und rief: »Robert, Robert.« Er antwortete und
hieß sie einige Augenblicke warten, er werde gleich kommen; er lief
die offene Treppe zu seinem Boot hinunter und holte einen Sack
herauf, in dem die Lebensmittel waren, die er von den Schiffen
hergebracht hatte; und als er wieder oben war, rief er wieder
Hallo.
Dann ging er zu dem großen Stein, den er mir gezeigt hatte, und
leerte den Sack und legte alles, schön geordnet, dort nieder, und
dann zog er sich zurück; und seine Frau kam mit einem kleinen
Jungen, um die Sachen zu holen, und er rief ihr zu, daß der-und-der
Kapitän das-und-das geschickt habe, und der-und-der Kapitän jenes,
und fügte zum Schluß hinzu: »Es kommt alles von Gott; sagt Ihm
dafür Dank.«
Als die arme Frau alles aufgenommen hatte, war sie zu schwach, um
es auf einmal hineinzutragen, obwohl es so schwer gar nicht wog; so
ließ sie den Zwieback, der in einem kleinen Beutel war, liegen, und
der kleine Junge blieb da, um es zu bewachen, bis sie
wiederkäme.
»Und habt Ihr ihr auch«, sagte ich zu dem Mann, »die vier
Schillinge gegeben, die Ihr sagtet, sie seien Euer
Wochenlohn?«
»Ja, ja«, sagte er; »Ihr sollt hören, daß sie es bestätigt.« Und er
rief wieder: »Rachel, Rachel«, was wohl ihr Name war, »hast du das
Geld gefunden?« »Ja«, sagte sie. »Wieviel war es?« fragte er. »Vier
Schillinge und ein Heller«, sagte sie. »Gut, gut«, sagte er, »der
Herr bewahre euch alle«; und damit wandte er sich zum
Gehen.
Wie ich mich nicht enthalten konnte, Tränen zu dieses Menschen
Geschichte beizusteuern, so konnte ich es auch nicht lassen, ihm
mit einer Gabe auszuhelfen. Ich rief ihn also: »Horch, mein
Freund«, sagte ich, »komm hierher, denn ich glaube, du bist so
gesund, daß ich es mit dir wagen kann«; und so zog ich meine Hand
heraus, die solange in der Tasche gewesen war; »hier«, sagte ich,
»geh und ruf deine Kachel noch einmal und gib ihr auch von mir noch
diese Stärkung. Gott wird niemals eine Familie verlassen, die so
auf Ihn vertraut, wie du es tust.« Und so gab ich ihm noch vier
Schillinge, und hieß sie ihn auf den Stein legen und seine Frau
rufen. Ich habe keine Worte, um dieses armen Mannes Dankbarkeit
auszudrücken, und er selbst wußte sie auch nicht anders als durch
Tränen zu bekunden, die sein Gesicht hinunterströmten. Er rief
seine Frau und sagte ihr, Gott habe das Herz eines Fremden gerührt,
ihnen, nach Anhörung ihrer Nöte, so viel Geld zu schenken, und in
dieser Art sprach er noch eine ganze Menge mehr. Die Frau machte
desgleichen Zeichen ihrer Dankbarkeit, zum Himmel sowohl als zu
mir, und hob das Geld voll Freude auf; und ich glaube nicht, daß
ich das ganze Jahr hindurch jemals Geld ausgegeben habe, das besser
angelegt war.
Ich fragte dann den armen Mann, ob die Seuche denn Greenwich noch
nicht erreicht habe. Er sagte, nein, bis vor vierzehn Tagen noch
nicht; aber er fürchte, daß sie inzwischen dort sei, aber nur in
einem Viertel der Stadt, das nach Süden gegen die Deptford Brücke
hin gelegen sei; er gehe lediglich zu einem Fleischer und zu einem
Krämer, wo er gewöhnlich die Dinge kaufe, um die er geschickt
werde, jedoch sei er sehr vorsichtig.
Ich fragte ihn dann, wie es komme, daß diese Leute, die sich da auf
den Schiffen abgeschlossen hätten, nicht genügend Vorräte von allem
Notwendigen besäßen. Er sagte, einige hätten das schon, aber manche
seien andererseits erst dann an Bord gegangen, als die Angst sie
trieb und es schon zu gefährlich war, zu den dafür in Frage
kommenden Kaufleuten zu gehen und sich im großen einzudecken; und
er versorge zwei Schiffe, und er zeigte sie mir, die wenig oder gar
nichts an Vorräten angelegt hätten, außer Zwiebackbrot und
Schiffsbier, und beinahe alles übrige habe er für sie eingekauft.
Ich fragte ihn, ob es noch mehr Schiffe gebe, die sich abgesondert
hätten so wie diese. Er sagte mir, ja, die ganze Strecke von dem
Punkt gegenüber Greenwich bis in die Hafenplätze von Limehouse und
Redriff hinein lägen alle Schiffe, die nur Platz finden könnten, zu
zwei und zwei auf der Mitte des Stroms, und einige von ihnen hätten
mehrere Familien an Bord. Ich fragte ihn, ob die Seuche noch nicht
zu ihnen gelangt sei. Er sagte, er glaube nicht, außer auf zwei
oder drei Schiffen, wo man nicht so wachsam gewesen war wie auf den
anderen, die Matrosen am Anlandgehen zu hindern; und er sagte, es
sei ein schöner Anblick, die Schiffe so den ganzen Pool hinauf
liegen zu sehen.
Als er sagte, er werde nach Greenwich hinüberfahren, sobald die
Flut einsetze, fragte ich, ob er mich mit ihm fahren lassen und
mich wieder zurückbringen wolle, denn es liege mir viel daran, die
Schiffe so aufgereiht zu sehen, wie er mir erzählt habe. Er sagte,
wenn ich ihm mein Wort als Christ und aufrechter Mann geben wolle,
daß ich nicht die Pest habe, dann sei er einverstanden. Ich
versicherte ihm, daß ich sie nicht hatte; daß es Gott gefallen
habe, mich zu verschonen; daß ich in Whitechapel wohnte, aber nicht
die Geduld besäße, so lange im Hause zu bleiben, und daß ich mich
so weit hinausgewagt hätte, um ein wenig frische Luft zu schöpfen,
aber daß niemand in meinem Hause auch nur einen Hauch von der Pest
habe. »Nun gut, Sir«, sagte er, »da Euer gutes Herz Euch für mich
und meine arme Familie zu Mitleid bewegt hat, könnt Ihr nicht so
gefühllos sein und in mein Boot einsteigen, ohne wirklich ganz
gesund zu sein, denn das würde nicht weniger bedeuten, als mich zu
töten und meine ganze Familie ins Unglück zu stürzen.« Der arme
Mann machte mir so zu schaffen, als ich ihn mit solch verständiger
Sorge und auf solch liebevolle Art von seiner Familie sprechen
hörte, daß ich es zuerst nicht über mich brachte, überhaupt
mitzufahren. Ich sagte ihm, ich wolle mir lieber meine Neugier
aufsparen, als ihn unruhig zu machen, obwohl ich sicher sei und
sehr dankbar dafür, daß ich nicht mehr von der Pest an mir trage
als der frischeste Mensch der Welt. Nun, er wollte auch nicht, daß
ich es aufschöbe, und um mir zu beweisen, mit welcher Gewißheit er
mir Vertrauen schenkte, drang er nunmehr in mich mitzufahren; und
so stieg ich denn, als die Flut bis zu seinem Boot gekommen war,
ein, und er fuhr mich nach Greenwich. Während er die Sachen
einkaufte, die er zu kaufen beauftragt war, ging ich auf die Höhe
des Hügels hinauf, zu dessen Füßen die Stadt liegt, und auf die
Ostseite der Stadt, um eine Aussicht auf den Fluß zu haben.
Wirklich, es war ein überraschender Anblick zu sehen, wieviele
Schiffe da in Reihen lagen, immer zwei und zwei, und an manchen
Stellen zwei oder drei solcher Reihen in der ganzen Breite des
Flusses; und das nicht nur ganz bis zur Stadt hin auf der
Flußstrecke, die der Pool heißt, zwischen Ratcliff und Redriff,
sondern auch den ganzen Fluß abwärts, ja bis nach Long Reach
hinunter, dessen Höhe das Entfernteste ist, was die Hügel uns zu
sehen erlauben.
Ich kann die Zahl der Schiffe nicht schätzen, aber ich glaube, es
müssen mehrere hundert Segel gewesen sein; und ich konnte diesem
Ausweg, den man da gefunden hatte, nur Beifall zollen, denn
zehntausend Menschen, vielleicht mehr, die mit dem Schiffsgewerbe
zu tun hatten, waren hier sicherlich vor dem Toben der Seuche
geschützt und lebten recht sicher und bequem.
Ich kehrte zufrieden mit meiner Tagereise und besonders mit meinem
armen Freund in meine Wohnung zurück; und es freute mich auch zu
sehen, daß für so viele Familien in der Zeit solcher Trübsal diese
kleinen Zufluchtsorte geschaffen worden waren. Ich beobachtete
dann, daß so, wie die Pest an Heftigkeit zunahm, die Schiffe mit
Familien an Bord sich entfernten und weiter fort fuhren, bis
zuletzt, so hat man mir erzählt, manche ganz auf See hinausgingen
und an der Nordküste die Häfen und ungefährdeten Plätze aufsuchten,
die sie am besten erreichen konnten.
Aber es war ebenfalls wahr, daß die Leute, die so das Land
verlassen hatten und auf den Schiffen lebten, nicht vollkommen
sicher vor der Ansteckung waren, denn viele starben und wurden über
Bord in den Fluß geworfen, manche in Särgen, manche, wie ich hörte,
auch ohne, und ihre Leichen konnte man öfters mit der Flut den Fluß
hinauf und hinunter treiben sehen.
Aber ich glaube, ich kann so weit gehen zu sagen, daß bei den
Schiffen, die dennoch infiziert wurden, es geschah, entweder weil
man sich da zu spät besonnen hatte und erst dann auf das Schiff
ausgewichen war, als man schon zu lange am Land verweilt hatte und
die Pest bereits im Leibe trug, vielleicht ohne es selbst zu
bemerken; und so ist die Pest nicht zu ihnen an Bord gekommen,
sondern sie haben sie in Wahrheit selbst mitgebracht; oder es
geschah auf jenen Schiffen, wo, wie es der arme Fährmann sagte, man
nicht mehr genügend Zeit gehabt hatte, sich mit
Lebensmittelvorräten einzudecken, sondern genötigt war, oft jemand
ans Land zu schicken, um einzukaufen, oder Boote bei sich anlegen
lassen mußte, die vom Ufer kamen. Und so wurde die Seuche zu ihnen
eingeschleppt, ohne daß sie es merkten.
Und hier muß ich einmal die Feststellung treffen, daß eine
merkwürdige Denkungsart der Londoner Bevölkerung zu der Zeit in
äußerstem Grade zu ihrer eigenen Vernichtung beitrug. Die Pest
begann, wie ich es geschildert habe, am anderen Ende der Stadt, in
Long Acre, Drury Lane etc. und bewegte sich nur sehr allmählich und
langsam auf die innere Stadt zu. Sie machte sich zuerst im Dezember
bemerkbar, dann wieder im Februar, dann wieder im April, und immer
nur recht wenig auf einmal; dann hörte sie bis Mai ganz auf, und
noch in der letzten Woche im Mai gab es nur siebzehn Fälle, und
alle in jenem Teil der Stadt; und diese ganze Zeit über, ja sogar
noch bis dann 3000 in der Woche starben, hatten in Redriff und in
Wapping und in Ratcliff, auf beiden Ufern, und beinahe auf der
ganzen Southwark-Seite die Leute die mächtige Einbildung, daß sie
nicht heimgesucht werden würden oder daß es zumindest bei ihnen
nicht so schlimm sein werde. Manche hatten die Vorstellung, daß der
Geruch von Pech und Teer und solcher anderen Stoffe wie Öl und Harz
und Schwefelstein, die von allen im Schiffsbau tätigen
Handwerksgewerben so viel gebraucht werden, sie bewahren werde.
Andere führten als Beweis an, daß die Seuche, als sie in
Westminster und St. Giles und St. Andrew aufs äußerste wütete, in
ihrer Richtung gesehen wieder abnahm, und das war zum Teil auch
wahr. Zum Beispiel:
St. Giles 242
Cripplegate 886
Stepney 197
St. Margaret,
Bermondsey 24
Rotherhithe 3 1352
Vom 15. bis 22. August:
St. Giles 175
Cripplegate 847
Stepney 273
St. Margaret,
Bermondsey 36
Rotherhithe 2 1333
N. B. – Es war zu beachten, daß die Fälle, die zu dieser Zeit für die Stepney Pfarre gezählt wurden, fast alle in jenem Teil der Pfarre waren, wo Stepney an Shoreditch angrenzt, und den wir heute Spitalfields nennen; die Stepney Pfarre kommt dort ganz dicht bis an die Kirchhofsmauer von Shoreditch heran; und die Pest, die zu der Zeit in St. Giles schon im Nachlassen war, wütete mit aller Heftigkeit in Cripplegate, Bishopsgate und Shoreditch; aber man hätte nicht zehn Todesfälle in der Woche in dem ganzen anderen Teil der Stepney Pfarre zählen können, die damals Limehouse, Ratcliff Highway und die heutigen Pfarren Shadwill und Wapping einschloß und sogar bis nach St. Catherine beim Tower reichte; und das blieb so, bis der ganze Monat August zu Ende ging. Aber später hatten sie dort dafür zu bezahlen, wie ich nach und nach noch berichten werde.
Dies, sage ich, gab den Leuten von Redriff und Wapping, Ratcliff und Limehouse ein solches Gefühl der Sicherheit, und so sehr gaukelten sie sich vor, die Pest werde vorübergehen, ohne sie zu berühren, daß sie weder daran dachten, aufs Land zu fliehen, noch sich einzuschließen. Ja, so wenig Sorgen machten sie sich, daß sie sogar Freunde und Verwandte aus der City in ihr Haus aufnahmen, und von anderswoher suchten verschiedene Leute tatsächlich Zuflucht in jenem Teil der Stadt, als sei dort ein Ort der Sicherheit, ein Ort, den Gott, so glaubten sie, übergehen und nicht heimsuchen werde, wie Er die übrigen heimsuchte.
Und dies war der Grund, daß sie dort, als die Pest dann über sie kam, bestürzter, weniger vorbereitet und viel ratloser waren als anderswo; denn als das Unheil bei ihnen ernstlich und mit Macht ausbrach, wie es im September und im Oktober wirklich geschah, gab es dann kein Entweichen aufs Land mehr, niemand ließ da noch einen Fremden nahekommen, nein, nicht einmal ihren Ortschaften durfte sich jemand nähern; und mehrere Leute, so habe ich mir erzählen lassen, die auf der Surrey-Seite ins Land hineinwanderten, sind in den Wäldern und Auen verhungert aufgefunden worden; die Gegend ist dort zugänglicher und waldiger als sonst so nahe bei London, und besonders um Norwood und die Gemeinden Camberwell, Dulwich und Lusum herum, und dort, scheint es, hatte niemand das Herz, den armen Notleidenden etwas zu reichen, aus Furcht vor der Ansteckung.
Diese Vorstellung, von der, wie ich sagte, die Leute in jenem Stadtteil so durchdrungen waren, führte teilweise dazu, wie ich auch schon sagte, daß sie darauf verfielen, sich in Schiffen abzusondern; und wo sie das frühzeitig getan hatten und klug genug gewesen waren, sich so mit Lebensmitteln zu versehen, daß sie nicht genötigt waren, zum Einkaufen an Land zu gehen oder jemand mit Lieferungen an Bord kommen zu lassen – ich sage, wo sie das getan hatten, da waren sie bestimmt am allersichersten von allen aufgehoben; aber der Schreck war so groß, daß die Leute in ihrer Angst an Bord rannten ohne Brot zum Essen, und manche auf Schiffe, auf denen keine Besatzung war, die das Schiff hätte fortbewegen oder in einem Ruderboot hätte den Fluß hinabfahren können, um einzukaufen, wo man das ungefährdet tun konnte, und diese hatten zu leiden und wurden an Bord ebenso angesteckt wie an Land.
Wie die Reicheren auf Schiffe gingen, so machten sich die weniger Bemittelten auf die Kähne, Schaluppen, Hafen- und Fischerboote; und viele, besonders Fährleute, schliefen in ihren Booten; aber für sie wirkte es sich nicht so glücklich aus, besonders für die letzteren nicht, denn da sie um Proviant herumzufahren hatten und vielleicht dadurch, daß sie ihren Lebensunterhalt verdienen mußten, drang die Seuche unter ihnen ein und hielt eine furchtbare Ernte; viele der Fährleute starben allein in ihren Fährbooten, während sie auf einer Fahrt unterwegs waren, manche auf Deck, manche in der Kajüte, und wurden erst gefunden, als sie bereits in einem Zustand waren, in dem niemand sie anfassen oder ihnen nahekommen konnte.
Wirklich, das Schicksal der Menschen in diesem Seefahrtsviertel war sehr beklagenswert und verdiente das größte Mitgefühl. Aber ach! dies war eine Zeit, wo jedermann so sehr um seine eigene Sicherheit besorgt war, daß keiner Mitleid für die Nöte der anderen übrig hatte; denn jeder hatte den Tod sozusagen vor der Tür stehen, und bei vielen war er schon im Haus, und sie wußten nicht, was sie tun oder wohin sie fliehen sollten.
Dies, sage ich, löschte alles Mitgefühl aus; Selbsterhaltung schien in der Tat das einzige Gesetz zu sein. Denn Kinder liefen von ihren Eltern fort, wenn die in äußersten Qualen dahinsiechten. Und manchmal, wenn auch nicht so häufig wie umgekehrt, taten Eltern das gleiche ihren Kindern an; ja, einige gräßliche Beispiele gab es, einmal waren es gar zwei in einer Woche, daß Mütter, rasend und außer sich vor Pein, ihre eigenen Kinder töteten; eine davon war nicht weit weg von meiner Wohnung, und das arme wahnverblendete Geschöpf lebte nicht einmal so lange, um sich bewußt zu werden, welche Sünde sie begangen hatte, geschweige denn, um dafür die Strafe zu empfangen.
Man darf sich allerdings nicht zu sehr wundern, denn die unmittelbar drohende Gefahr für unser Leben ertötete alle Innigkeit der Liebe, jedes Gefühl des Umeinanderbekümmertseins. Ich spreche im allgemeinen, denn es gab viele Beispiele von Zuneigung, Mitleiden und Pflichtbewußtsein, die unerschüttert blieben, und mit einigen davon wurde ich näher bekannt, das heißt, vom Hörensagen; denn für die Wahrheit der Einzelheiten kann ich die Bürgschaft nicht übernehmen.
Um eines dieser Beispiele anzuführen, möchte ich zunächst darauf hinweisen, daß in der ganzen Notzeit zu den bedauernswertesten Betroffenen die schwangeren Frauen gehörten, die, wenn die Stunde ihrer Wehen und der Niederkunft nahte, keinerlei Hilfe von irgend jemand finden konnten; weder Hebamme noch Nachbarsfrauen kamen zu ihrem Lager. Die meisten Hebammen waren tot, besonders die, die unter den Armen gewirkt hatten; und viele, von den angeseheneren Hebammen eigentlich alle, waren aufs Land geflohen; so war es beinahe unmöglich für eine Frau, die nicht einen unerhörten Preis bezahlen konnte, überhaupt eine Hebamme zu bekommen, die ihr beistand; und wenn sie eine bekommen konnte, dann war sie meist ein ungeschicktes und ganz unwissendes Geschöpf; und die Folge davon war, daß eine ungewöhnliche und übergroße Zahl von Frauen in die äußerste Bedrängnis geriet. Einige kamen nieder, und dann verdarb die Unerfahrenheit und Unwissenheit dieser Frauen, die nur vorgaben, Hebammen zu sein, alles. Zahllose Kinder, kann man sagen, wurden durch die gleiche, wenn auch unentschuldbarere Ignoranz gemordet, die vorgab, die Mutter retten zu wollen, was immer aus dem Kind wurde; und nur zu oft gingen auf diese Art sowohl Mutter wie Kind verloren; und wenn gar die Mutter die Seuche hatte, gab es niemanden, der zu ihr ging, und dann kamen sie manchmal beide um. Bisweilen war die Mutter an der Pest gestorben und das Kind vielleicht erst halb geboren, oder geboren, aber noch nicht von der Mutter getrennt. Manche Frauen starben schon in den Wehen und gebaren gar nicht; und so vielfältig waren die Fälle dieser Art, daß man sie kaum alle übersehen kann.
Etwas davon kann man in den ungewöhnlichen Zahlen aufscheinen sehen, die auf den wöchentlichen Sterberegistern eingetragen stehen (obwohl ich weit davon entfernt bin, ihnen zuzugestehen, daß sie einen auch nur annähernd vollständigen Bericht geben), und zwar unter den Rubriken:
Wochenbett
Früh- und Totgeburten Täuflinge und Kleinkinder
Nehmen wir die Wochen, in denen die Pest am heftigsten war, und vergleichen sie mit den Wochen des gleichen Jahres vor dem Ausbruch der Seuche. Zum Beispiel:
Wochenbett Frühgeburten TotgeburtenVom 3. Januar bis 10. Januar 7 1 13
˝ 10. ˝ ˝ 17. ˝ 8 6 11
˝ 17. ˝ ˝ 24. ˝ 9 5 15
˝ 24. ˝ ˝ 31. ˝ 3 2 9
˝ 31. ˝ ˝ 7. Februar 3 3 8
˝ 7. Februar ˝ 14. ˝ 6 2 11
˝ 14. ˝ ˝ 21. ˝ 5 2 13
˝ 21. ˝ ˝ 28. ˝ 2 2 10
˝ 28. ˝ ˝ 7. März 5 1 10
48 24 100 Wochenbett Frühgeburten Totgeburten
Vom 1. August bis 8. August 25 5 11 ˝ 8. ˝ ˝ 15. ˝ 23 6 8 ˝ 15. ˝ ˝ 22. ˝ 28 4 4 ˝ 22. ˝ ˝ 29. ˝ 40 6 10 ˝ 29. ˝ ˝ 5. Sept. 38 2 11 ˝ 5. Sept. ˝ 12. ˝ 39 23 – ˝ 12. ˝ ˝ 19. ˝ 42 5 17 ˝ 19. ˝ ˝ 26. ˝ 42 6 10 ˝ 26. ˝ ˝ 3. Oktober 14 4 9
291 61 80Zu der großen Verschiedenheit dieser Zahlen ist noch zu sagen und zu berücksichtigen, daß es – und darüber pflegten wir alle, die damals an Ort und Stelle weilten, einer Meinung zu sein – während der Monate August und September nicht ein Drittel soviel Menschen in der Stadt gab, wie es im Januar und im Februar gewesen waren. In einem Wort, eine durchschnittliche Zahl derer, die gewöhnlich an einem dieser drei Dinge starben, und die Zahl derer, die daran, wie ich höre, tatsächlich im Jahre zuvor starben, lautete so:
1664:
Wochenbett 189 Früh- und Totgeburten 458
Hingegen 1665:
Wochenbett 625
Früh- und Totgeburten 617
Diese Ungleichheit, sage ich, verschärft sich noch erheblich, wenn man die Bevölkerungszahl in Betracht zieht. Ich maße mir nicht an, eine genaue Berechnung der Zahl der Bevölkerung, die zu der Zeit in der Stadt war, zu unternehmen, aber ich werde in diesem Betreff schrittweise zu einem Wahrscheinlichkeitsüberschlag zu kommen suchen. Was ich jetzt eben sagte, soll nur das Elend jener armen Menschenkinder beleuchten, von denen man wohl sagen könnte, wie es die Schrift tut: »Wehe den Frauen in jenen Tagen, die schwanger sind, und wehe denen, die ein Kind säugen!« Denn fürwahr, ein Wehe war es für sie ganz besonders.
Ich hatte zu nicht vielen der einzelnen Familien, wo diese Dinge sich zutrugen, Beziehungen, aber die Aufschreie der Bejammernswerten waren weit in der Ferne zu hören. Was die Schwangeren angeht, haben wir eine Berechnung vorliegen; 291 Frauen waren in neun Wochen im Kindbett gestorben, während in einem gewöhnlichen Jahr während der gleichen Zeit bei einer dreifachen Einwohnerzahl nur 84 aus derselben Ursache starben. Der Leser mag sich selbst die Proportion ausrechnen.
Es kann kein Zweifel bestehen, daß der Jammer für die stillenden Mütter ebenso groß war. Unser Sterberegister konnte darüber nur wenig Licht verbreiten, aber einiges erhellte es doch. Es waren einige mehr als gewöhnlich, die während der Stillzeit verhungerten, aber das war noch nichts. Das Elend fing erst an, als sie aus Mangel an Pflege verhungerten: Die Mutter starb, und dann fand man die ganze Familie und die Kinder mitsammen tot, einfach dem Mangel erlegen; und wenn ich meine Meinung sagen darf, so glaube ich, daß viele Hunderte armer hilfloser Kinder auf diese Weise umgekommen sind. Das nächste war, daß sie nicht verhungerten, sondern sich beim Stillen vergifteten.
Ja, auch wenn die Mutter selbst stillte, vergiftete sie, hatte sie einmal die Ansteckung, vielleicht ohne es zu wissen, das Kind, das heißt, sie infizierte es mit ihrer Milch; und in solchen Fällen starb dann das Kind gar vor der Mutter. Ich darf nicht vergessen, der Nachwelt diese Mahnung zu hinterlassen: Sollte dieser Stadt wieder eine solche furchtbare Heimsuchung widerfahren, dann sollten alle schwangeren Frauen und stillenden Mütter, wenn sie es nur irgend ermöglichen können, den Ort verlassen, denn ihr Elend wird, wenn sie von der Krankheit befallen werden, das aller anderen Menschen übersteigen.
Ich könnte hier schaurige Geschichten erzählen, von lebenden Kindern, die man an der Brust ihrer Mutter oder ihrer Amme saugend fand, nachdem diese an der Pest gestorben war. Oder von einer Mutter in meiner Pfarre, die, da ihr Kind nicht wohl war, einen Apotheker rufen ließ, daß er das Kind anschaue; und als er kam, so wird erzählt, gab sie dem Kind gerade die Brust und war allem Anschein nach völlig wohlauf; aber als der Apotheker nähertrat, sah er die Anzeichen auf der Brust, mit der sie das Kind stillte. Er war zwar gewiß sehr erschrocken, aber da er die arme Frau nicht zu sehr beunruhigen wollte, bat er sie, sie möge ihm das Kind in den Arm geben; er nahm also das Kind, ging mit ihm zu einer Wiege, die dort stand, legte es hinein und fand, als er die Windeln öffnete, auch an dem Kind die Anzeichen, und beide starben, bevor er heimgelangen konnte, um dem Vater des Kindes, dem er von ihrem Zustand gesagt hatte, eine vorbeugende Medizin zu schicken. Ob das Kind die stillende Mutter angesteckt hatte oder die Mutter das Kind, war nicht sicher, aber das letzte sehr wahrscheinlich. Oder wiederum von einem Kind, das man von einer Amme, die an der Pest gestorben war, zu den Eltern nach Hause brachte, doch die zärtliche Mutter ließ sich nicht davon abbringen, das Kind an sich zu nehmen, und legte es an ihre Brust, wodurch sie angesteckt wurde, und sie starb, und das Kind in ihren Armen war auch tot.
Es müßte das härteste Herz rühren, von den Fällen zu hören, die häufig vorkamen, daß zärtliche Mütter ihre geliebten Kinder umsorgten und umhegten und dann gar vor ihnen starben, und manchmal holten sie sich die Krankheit von ihrem Kind und starben, während das Kind, für das das liebevolle Herz sich geopfert hatte, alles überwand und davonkam.
Oder wie es einem Händler in East Smithfield erging, dessen Frau ihr erstes Kind unter dem Herzen trug und in die Wehen kam, mit der Pest im Leibe. Er konnte weder eine Hebamme bekommen, ihr beizustehen, noch eine Kindsamme, sie zu warten, und die beiden Mägde, die er gehabt hatte, waren beide davongelaufen. Er rannte von Haus zu Haus wie ein Verrückter, konnte aber keine Hilfe finden; alles, was er erreichen konnte, war, daß ein Wachmann, der vor einem wegen Infektion gesperrten Haus auf Posten stand, am nächsten Morgen eine Krankenpflegerin zu schicken versprach. Der arme Mann kehrte mit gebrochenem Herzen zurück, stand seiner Frau bei, so gut er konnte, versah den Dienst einer Hebamme, brachte das Kind tot zur Welt, und eine Stunde später starb seine Frau in seinen Armen; und er hielt ihren toten Körper fest umschlungen bis zum Morgen, als der Wachmann kam und die Amme brachte, wie er versprochen hatte; und als sie die Treppe heraufkamen, denn er hatte die Haustür offen oder nur eingeklinkt gelassen, fanden sie den Mann mit seiner toten Frau in den Armen dasitzen und so vom Kummer überwältigt, daß er in einigen Stunden danach starb, ohne irgendein Zeichen von Ansteckung, sondern nur von der Last seines Kummers erdrückt.
Ich habe auch von solchen gehört, die beim Tode ihrer Lieben vor unerträglichem Trauerschmerz irrsinnig geworden sind, und von einem im besonderen, der so vollständig von der Gewalt, die seine Geister erlitten, übermannt wurde, daß sein Kopf nach und nach in seinen Körper hineinsank, so tief zwischen die Schultern, daß sein Schöpf nur noch sehr wenig über das Schulterbein hinausragte; nach und nach verlor er Stimme und klares Bewußtsein, und sein Gesicht lag, vornübergebeugt, auf seinem Schlüsselbein und konnte nicht anders hochgehalten werden, als daß ein anderer es mit den Händen hochrichtete; und der arme Mensch kam nie wieder ganz zu sich, sondern siechte beinahe ein Jahr lang in diesem Zustand dahin und starb.
Und nie konnte man ihn seinen Blick erheben
oder einen bestimmten Gegenstand ins Auge fassen sehen.
Ich kann es nicht unternehmen, von solchen Begebnissen wie diesen
mehr als einen allgemeinen Überblick zu geben, weil es unmöglich
war, sich über die Einzelheiten zu unterrichten, da doch öfter die
ganzen Familien, in denen solches sich zugetragen hatte, von der
Seuche dahingerafft wurden.
Aber es gab zahllose Fälle dieser Art, die sich dem Ohr und dem
Auge darboten, wenn man nur durch die Straßen ging, wie ich oben
schon andeutete. Auch ist es nicht leicht, eine Begebenheit dieser
oder jener Familie zuzuschreiben, ohne daß man eine ganze Reihe von
ähnlich lautenden Parallelerzählungen vorfindet.
Aber da ich jetzt von der Zeit spreche, als die Pest im östlichsten
Teil der Stadt wütete, wie die Leute dort sich so lange
vorgegaukelt hatten, sie würden ungeschoren davonkommen, und wie
überrascht sie dann waren, als es dennoch kam, wie es geschah (denn
in der Tat, es kam über sie wie mit Waffengewalt) – ich sage, dies
bringt mich wieder zu den drei armen Männern, die von Wapping aus
loszogen, nicht wissend, wohin gehen und was tun, und die ich
vorher schon erwähnte; einer ein Zwieback-Bäcker, einer ein
Segelmacher und der dritte ein Schreiner, alle von Wapping oder da
herum.
Die Verschlafenheit und das Sicherheitsgefühl waren dort, wie ich
bemerkte, so stark, daß sie nicht nur keinerlei Vorsorge trafen,
wie es andere taten, sondern sich brüsteten, sie seien sicher und
die Sicherheit auf ihrer Seite; und viele Leute flohen aus der City
und aus befallenen Vororten nach Wapping, Ratcliff, Limehouse,
Poplar und so weiter, als Stätten der Sicherheit; und es ist
keineswegs unwahrscheinlich, daß sie dadurch, daß sie dies taten,
halfen, die Pest nur rascher in dieser Richtung fortzupflanzen, als
sie sonst gekommen wäre. Denn obgleich ich durchaus dafür bin, daß
die Leute sich davonmachen und eine Stadt wie die unsere beim
ersten Anzeichen einer ähnlichen Heimsuchung räumen und daß alle
Leute, die nur irgendeinen Unterschlupf haben, davon beizeiten
Gebrauch machen und abreisen, so muß ich dennoch sagen, daß, wenn
alle, die fliehen wollen, weg sind, diejenigen, die dableiben und
es überstehen müssen, sich stocksteif auf der Stelle aufhalten
sollten, wo sie sind, und nicht von einem Ende der Stadt oder einem
Viertel ins andere hinüberwechseln; denn das ist der Fluch und das
Unheil von allem, und sie schleppen in den Kleidern, die sie
tragen, die Pest von Haus zu Haus.
Warum hatte man uns denn geheißen, alle Hunde und Katzen zu töten,
wenn nicht deswegen, weil sie als Haustiere gern von einem Haus in
das andere laufen und von einer Straße in die nächste und so die
Effluvien oder ansteckenden Körperdünste von Kranken leicht in
ihrem Pelz oder Haar mit herumtragen können? Und aus diesem Grunde
geschah es, daß bei Beginn der Seuche ein Erlaß des
Lordbürgermeisters und des Magistrats veröffentlicht wurde, gemäß
dem Rat der Ärzte, daß alle Hunde und Katzen sofort getötet werden
sollten, und ein Beamter wurde ernannt, dies
durchzuführen.
Es ist unglaublich, wenn man sich auf dessen Bericht verlassen
kann, welch eine Unzahl dieser Geschöpfe vernichtet wurde. Ich
glaube, man sprach von vierzigtausend Hunden und fünfmal soviel
Katzen; nun ja, wenige Häuser waren ohne Katze, manche hatten
mehrere, manchmal fünf oder sechs in einem Haus. Alle möglichen
Anstrengungen wurden auch unternommen, um die Mäuse und Ratten zu
vertilgen, besonders die letzteren, indem man Rattengift und
anderes für sie auslegte, und auch von ihnen wurde eine Unmenge
vernichtet.
Ich dachte oft über den unvorbereiteten Zustand nach, in dem die
gesamte Bevölkerung sich befand, als das Unheil zuerst über sie
kam, und wie es nur aus Mangel an dem rechtzeitigen Ergreifen von
Maßnahmen und Vorkehrungen, öffentlichen sowohl wie privaten,
geschah, daß uns all die nachfolgende Wirrsal überfiel und eine so
überaus große Zahl von Menschen in dem Unglück zugrunde ging, was,
wenn geeignete Schritte unternommen worden wären, mit der Hilfe der
Vorsehung hätte vermieden werden können und woraus die Nachwelt,
wenn sie geneigt ist, einen Aufruf und eine Warnung entnehmen mag.
Aber hierauf werde ich noch zurückkommen.
Ich komme wieder auf meine drei Männer zu sprechen. Ihre Geschichte
enthält in jedem Kapitel eine Moral, und ihre ganze Aufführung und
die von einigen, denen sie sich anschlossen, ist ein Muster, dem
alle armen Männer folgen können und auch Frauen, wenn jemals eine
solche Zeit wiederkehren sollte; und wenn es keinen anderen Zweck
gab, um es aufzuzeichnen, so glaube ich, dies ist ein sehr guter,
ob mein Bericht nun genau den Tatsachen entspricht oder
nicht.
Zwei von ihnen sollen Brüder gewesen sein, der eine ein ehemaliger
Soldat und jetzt ein Zwieback-Bäcker; der andere ein lahmer Seemann
und jetzt ein Segelmacher; der dritte ein Schreiner. Sagte John,
der Zwieback-Bäcker, eines Tages zu Thomas, seinem Bruder, dem
Segelmacher: »Bruder Tom, was soll aus uns werden? Die Pest wird
immer heißer in der Stadt, und sie breitet sich in dieser Richtung
aus. Was sollen wir tun?«
»Wahrhaftig«, sagte Thomas, »ich weiß wirklich nicht, was wir tun
sollen, denn ich meine, wenn sie hier nach Wapping kommt, dann wird
man mich aus der Wohnung weisen.«
Und so fingen sie an, sich schon vor der Zeit Gedanken zu
machen.
JOHN: »Dich aus der Wohnung weisen, Tom! Wenn das geschieht, dann
möchte ich wissen, wer dich aufnehmen wird; denn die Leute sind
jetzt so furchtsam voreinander, es gibt nirgends eine Unterkunft zu
mieten.«
THOMAS: »Nun, die Leute, bei denen ich wohne, sind gute, nette
Menschen und sind auch immer recht freundlich zu mir; aber sie
sagen, ich gehe jeden Tag aus dem Haus zum Arbeiten, und das sei
gefährlich; und sie reden davon, sich einzuschließen und niemand an
sich herankommen zu lassen.«
JOHN: »Nun, sie haben recht, bestimmt, wenn sie sich entschließen
wollen, trotz allem in der Stadt zu bleiben.«
THOMAS: »Ja, und vielleicht entschließe ich mich sogar auch und
bleibe im Haus, denn außer einem Satz Segel, den mein Meister in
Auftrag hat und den ich gerade fertigmache, bekomme ich
wahrscheinlich für eine ganze Weile keine Arbeit mehr. Es rührt
sich nichts im Geschäft, jetzt. Arbeiter- und Dienstleute werden
überall entlassen, und so könnte ich froh sein, wenn sie mich mit
einschließen; aber ich sehe noch nicht, daß sie darauf
bereitwilliger eingehen werden.«
JOHN: »Aber was willst du sonst tun, Bruder? Und was soll ich tun?
Denn mir geht es beinahe so schlecht wie dir. Die Leute, bei denen
ich wohne, sind alle aufs Land gegangen, mit Ausnahme einer Magd,
und sie soll nächste Woche auch gehen und das Haus ganz
abschließen, so daß ich sogar noch vor dir an die frische Luft
gesetzt sein werde, und ich möchte gern auch fortgehen, wenn ich
nur wüßte, wohin.«
THOMAS: »Wir waren beide verrückt, daß wir nicht gleich
fortgegangen sind; damals hätten wir noch überall hingehen können.
Jetzt kann man sich nicht mehr hinausrühren; wir werden verhungern,
wenn wir es wagen, die Stadt zu verlassen. Sie werden uns nichts zu
essen geben, nein, auch für unser Geld nicht, und uns nicht in die
Ortschaften einlassen, noch viel weniger in ihre Häuser.«
JOHN: »Und was beinahe noch schlimmer ist, ich habe auch sehr wenig
Geld, um weiterzukommen.«
THOMAS: »Was das betrifft, so könnten wir uns aushelfen. Ich habe
ein bißchen, wenn auch nicht viel; aber, was ich dir sage, auf der
Straße ist kein Vorwärtskommen. Ich kenne ein paar arme, ehrliche
Kerle in unserer Straße, die haben versucht, sich auf die Reise zu
machen, und in Barnet oder in Whetstone oder da herum haben die
Leute gedroht, auf sie zu schießen, wenn sie es wagen sollten,
weiterzugehen, und so sind sie ganz mutlos wieder
zurückgekommen.«
JOHN: »Ich hätte mich von ihrem Feuer nicht abschrecken lassen,
wenn ich dort gewesen wäre. Wenn sie mir für mein Geld Nahrung
verweigerten, dann hätten sie sehen sollen, wie ich es mir vor
ihren Augen einfach genommen hätte, und wenn ich Geld dafür bezahlt
hätte, hätten sie auch nicht gesetzlich gegen mich vorgehen
können.«
THOMAS: »Du sprichst wie ein alter Soldat, als ob du noch immer in
Holland wärst, aber dies ist eine ernste Angelegenheit. Die Leute
haben ein gutes Recht, jeden fernzuhalten, von dem sie nicht sicher
sind, daß er gesund ist – in einer solchen Zeit wie jetzt, und wir
dürfen sie nicht ausplündern.«
JOHN: »Nein, Bruder, du verstehst die Sache falsch und mich auch.
Ich würde niemanden ausplündern, aber wenn eine Stadt an der Straße
sich weigern darf, mich auf der offenen Hauptstraße durch den Ort
passieren zu lassen, und wenn sie mir für mein Geld Lebensmittel
verweigern darf, so heißt das, eine Stadt hat das Recht, mich zum
Hungertod zu verdammen, und das kann nicht wahr sein.«
THOMAS: »Aber sie nehmen dir nicht die Freiheit, wieder dorthin
zurückzugehen, woher du gekommen bist, und darum verdammen sie dich
nicht zum Hungertod.«
JOHN: »Aber die nächste Stadt hinter mir wird, nach der gleichen
Regel, mir den Rückweg verwehren, und so lassen sie mich zwischen
sich verhungern. Außerdem gibt es kein Gesetz, das mir verbietet,
auf der Straße hinzugehen, wohin immer ich will.«
THOMAS: »Aber es wird so schwierig sein, sich mit ihnen in jeder
Ortschaft an der Straße herumzustreiten, daß es nichts für arme
Leute ist, so etwas, besonders zu einer solchen Zeit wie dieser, zu
unternehmen.«
JOHN: »Nun, Bruder, unter diesen Umständen sind wir schlimmer daran
als irgend jemand sonst, denn wir können weder weggehen noch hier
bleiben. Ich komme mir wie einer der Aussätzigen von Samaria vor;
wenn wir hier bleiben, müssen wir sicherlich sterben; ich meine
besonders, so wie es um dich und mich bestellt ist, mit keinem
eigenen Wohnhaus und ohne eine Unterkunft in jemandes anderen Haus.
In einer solchen Zeit wie jetzt kann man nicht auf der Straße
liegen; ebensogut könnten wir sogleich in den Totenkarren steigen.
Darum sage ich, wenn wir hier bleiben, werden wir bestimmt sterben,
und wenn wir fortgehen, können wir höchstens sterben; ich bin
dafür, wir gehen.«
THOMAS: »Du willst gehen? Wohin willst du gehen, und was kannst du
machen? Ich würde ebenso gern fortgehen wie du, wenn ich wüßte
wohin. Aber wir haben keine Bekannten, keine Freunde. Hier sind wir
geboren, hier müssen wir sterben.«
JOHN: »Schau her, Tom, das ganze Reich ist mein Geburtsland, nicht
nur diese Stadt. Du könntest gerade so gut sagen, ich dürfe nicht
aus dem Haus gehen, wenn es brennt, wie du sagst, ich dürfe die
Stadt nicht verlassen, in der ich geboren wurde, wenn sie mit der
Pest verseucht ist. Ich bin in England geboren, und ich habe ein
Recht, in England zu leben, wenn ich kann.«
THOMAS: »Aber du weißt, jede vagabundierende Person kann, nach den
Gesetzen Englands, aufgegriffen und zu ihrem letzten Wohnort
zurückbefördert werden.«
JOHN: »Aber wie wollen sie aus mir einen Vagabunden machen? Ich
möchte nichts als weiterwandern, und meine Gründe sind
gesetzlich.«
THOMAS: »Aus welchen gesetzlichen Gründen können wir wohl vorgeben
zu reisen oder besser zu wandern? Sie werden sich mit Worten nicht
abspeisen lassen.«
JOHN: »Ist Flucht, um unser Leben zu retten, kein gesetzlicher
Grund ? Und wissen sie nicht alle, daß es nur allzu wahr ist?
Niemand kann sagen, wir lügen.«
THOMAS: »Aber angenommen, sie lassen uns passieren, wohin sollen
wir gehen?«
JOHN: »Irgendwohin, wo unser Leben sicher ist; das zu überlegen,
ist Zeit genug, wenn wir aus dieser Stadt draußen sind. Wenn ich
erst einmal von diesem schrecklichen Ort fort bin, dann ist es mir
gleich, wohin ich gehe.«
THOMAS: »Wir werden in die schwierigsten Umstände geraten. Ich weiß
nicht, was ich davon halten soll.«
JOHN: »Nun, Tom, überleg dir’s noch ein bißchen.«
Dies war gegen Anfang Juli; und obwohl die Pest im Westen und
Norden der Stadt Fortschritte machte, so waren doch ganz Wapping,
wie ich vorher schon sagte, und Redriff und Ratcliff und Limehouse
und Poplar, kurz, Deptfort und Greenwich waren auf beiden
Flußseiten von der Hermitage und dem entsprechenden Punkt gegenüber
ganz bis nach Blackwell hinunter vollkommen frei; es war nicht eine
einzige Person in der ganzen Stepney Pfarre an der Pest gestorben,
und keine einzige auf der Südseite der Whitechapel Straße, nein,
niemand in all diesen Pfarren; und doch war die Zahl auf dem
Totenregister in der gleichen Woche auf 1006 gestiegen.
Es war erst vierzehn Tage später, als die beiden Brüder sich wieder
trafen, und dann sah der Fall ein wenig anders aus, und die Pest
war außerordentlich weit vorangeschritten und die Zahl ihrer Opfer
noch größer geworden; das Totenregister zeigte jetzt 2785 und stieg
ungemein an, obwohl immer noch die beiden Flußufer, wie gesagt,
sich recht gut hielten.
Aber es fingen bereits in Redriff die ersten zu sterben an, und
fünf oder sechs auch in Ratcliff Highway, als der Segelmacher,
ziemlich außer Atem und verschreckt, zu seinem Bruder John kam; man
hatte ihm schlechtweg seine Wohnung gekündigt, und er hatte nur
eine Woche Zeit, sich umzusehen. Sein Bruder John war nicht besser
dran, denn er war schon ausquartiert und hatte lediglich von seinem
Meister, dem Zwieback-Bäcker, die Erlaubnis erbettelt, in einem
Schuppen, der zur Werkstatt gehörte, zu bleiben, wo er nur auf
Stroh schlief, über das ein paar Zwiebacksäcke oder Brotsäcke
gebreitet wurden, und sich mit einigen von den gleichen Säcken
zudeckte.
Jetzt beschlossen sie, da sie sahen, daß jede Beschäftigung für sie
zu Ende und keine Arbeit und kein Lohn zu bekommen war, sich so gut
es ging durchzuschlagen, um aus dem Bereich der gräßlichen Seuche
zu entkommen; und mit ein wenig gutem Haushalten würden sie
versuchen, von dem, was sie hatten, zu leben, solange es reichte,
und für das weitere arbeiten, wenn sie irgendwo Arbeit bekommen
konnten, welcher Art immer sie auch sein mochte.
Während sie noch überlegten, wie sie ihr Vorhaben auf die beste Art
in die Tat umsetzen könnten, erfuhr der dritte Mann, der mit dem
Segelmacher sehr gut bekannt war, von dem Plan, und sie erlaubten
ihm, mit von der Partie zu sein; und so bereiteten sie den Abmarsch
vor.
Es zeigte sich, daß der Geldbesitz unter ihnen ungleich verteilt
war, aber da der Segelmacher, der am besten versehen war, außer daß
er lahm war, die wenigsten Aussichten hatte, durch Arbeiten auf dem
Lande etwas zu verdienen, war er einverstanden, daß alles Geld, was
sie hatten, in eine gemeinsame Kasse kam, unter der Bedingung, daß,
wenn einer von ihnen mehr einnehmen sollte als ein anderer, er es
alles ohne Murren in die gemeinsame Kasse geben sollte.
Sie beschlossen, sich mit so wenig Gepäck wie möglich zu beladen,
denn sie wollten zunächst zu Fuß gehen und eine große Strecke
zurücklegen, um wenn möglich in eine sichere Zone zu gelangen; und
lange Beratungen hatten sie miteinander, bevor sie sich entscheiden
konnten, welchen Weg sie nehmen sollten, und sie waren so weit von
einer Einigung entfernt, daß sie bis zu dem Morgen des Abmarsches
selbst noch keinen Beschluß gefaßt hatten.
Schließlich brachte der Seemann einen Gedanken vor, der den
Ausschlag gab. »Erstens«, sagte er, »haben wir sehr heißes Wetter,
und deswegen bin ich dafür, nach Norden zu gehen, so daß die Sonne
uns nicht auf das Gesicht scheint und uns auf der Brust brennt und
wir vor Hitze ersticken; und man hat mir gesagt, es sei nicht gut,
sein Blut zu überhitzen zu einer Zeit, wo, man kann es nicht
wissen, die Ansteckung vielleicht in der Luft liegt. Zum zweiten
bin ich dafür, so zu gehen, daß wir nach Möglichkeit den Wind gegen
uns haben, wenn wir losmarschieren, damit wir uns auf unserem Weg
nicht vom Wind die Luft der Stadt nachblasen lassen müssen.« Diese
beiden Vorsichtsregeln fanden Zustimmung für den Fall, daß der
Wind, wenn sie sich nach Norden wandten, nicht gerade aus dem Süden
kam.
Dann brachte John, der Bäcker, der Soldat gewesen war, seine
Meinung vor. »Erstens«, sagte er, »erwarten wir alle nicht,
unterwegs eine Unterkunft zu finden, und es wäre ein bißchen zu
viel, einfach im Freien zu schlafen. Obwohl das Wetter warm ist, so
kann es doch feucht und regnerisch sein, und wir haben doppelten
Grund, in einer Zeit wie jetzt auf unsere Gesundheit achtzugeben;
und deshalb«, so sprach er, »könntest du, Bruder Tom, der du ein
Segelmacher bist, uns leicht ein kleines Zelt machen, und ich
erbiete mich, es jeden Tag aufzustellen und wieder abzubauen, und
was scheren uns alle Herbergen Englands noch; wenn wir ein gutes
Zelt über dem Kopf haben, geht es uns gut genug.«
Der Schreiner widersprach und sagte, sie sollten das nur ihm
überlassen; er erbiete sich, ihnen jede Nacht ein Haus zu bauen,
mit Axt und Hammer, und auch wenn er sonst keine Werkzeuge habe,
sollte es sie voll zufriedenstellen und ebenso gut wie ein Zelt
sein.
Der Soldat und der Schreiner stritten eine Zeitlang über diesen
Punkt, aber zuletzt erfocht der Soldat den Sieg für das Zelt. Der
einzige Einwand dagegen war, daß es getragen werden mußte und ihr
Gepäck zu sehr vermehren würde, wo doch das Wetter so heiß war;
aber dem Segelmacher kam ein guter Glücksfall zu Hilfe, der diese
Schwierigkeit beseitigte, nämlich sein Meister, für den er
arbeitete, betrieb außer der Zeltmacherei auch eine Seilerei und
hatte dafür ein kleines, dürres Pferdchen, das er jetzt nicht mehr
brauchte, und da er den drei aufrechten Männern helfen wollte,
schenkte er ihnen das Pferd zum Gepäcktragen; und für die Wenigkeit
von drei Arbeitstagen, die unser Mann vor seiner Abreise für ihn
noch leistete, überließ er ihm auch ein altes Toppsegel, das zwar
schon etwas abgenutzt, aber ausreichend und mehr als groß genug
war, um daraus ein sehr gutes Zelt zu machen. Der Soldat zeigte,
wie es zu formen war, und unter seiner Anleitung fertigten sie
rasch ihr Zelt und statteten es mit den zweckentsprechenden Stangen
oder Stäben aus; und so waren sie für die Reise gerüstet, das
heißt: drei Mann, ein Zelt, ein Pferd, ein Gewehr; der Soldat
wollte nämlich nicht ohne Waffen gehen, denn jetzt, sagte er, sei
er kein Zwieback-Bäcker mehr, sondern ein Freischärler.
Der Schreiner hatte einen kleinen Sack voll Handwerkszeug, so wie
es ihm gut zustatten kommen konnte, wenn er irgendeine Arbeit
erhalten sollte, um sich und sie alle zu ernähren. Das Geld, das
sie hatten, taten sie alles in eine gemeinsame Kasse, und so traten
sie ihre Reise an. Es scheint, daß an dem Morgen, an dem sie
abmarschierten, der Wind, wie der Seemann anhand seines
Taschenkompasses feststellte, aus Nordwest-bei-West wehte. So
richteten sie ihren Weg, oder nahmen es sich jedenfalls vor, nach
Nordwest.
Aber dann tauchte eine Schwierigkeit auf; da sie am diesseitigen
Ende von Wapping, in der Nähe der Hermitage, aufbrachen und die
Pest jetzt besonders in den nördlichen Bezirken der Stadt wie
Shoreditch und Cripplegate sehr wütete, hielten sie es nicht für
sicher, diesen Stadtteilen zu nahe zu kommen; darum wandten sie
sich zuerst nach Osten und gingen über Ratcliff Highway bis nach
Ratcliff Cross, und von dort ließen sie die Stepney Kirche immer
noch zur Linken, da sie sich fürchteten, von Ratcliff Cross gleich
nach Mile End hinüberzugehen; denn da wären sie dicht bei dem
Friedhof vorbeigekommen, und der Wind, der jetzt eine mehr
westliche Richtung zu haben schien, wehte direkt von den Vierteln
her, wo die Pest am ärgsten war.
Darum, sage ich, machten sie von Stepney aus einen großen Bogen und
gingen nach Poplar und Bromley und kamen genau in Bow auf die große
Straße.
Hier würde die Wache, die auf der Brücke von Bow postiert war, sie
angehalten haben, aber sie kreuzten die Straße und entgingen dort
jeder Nachprüfung und gelangten auf einem schmalen Weg, der, von
hier aus gesehen, noch vor dem Ort Bow abzweigt, nach Old Ford. Die
Konstabler waren überall sehr wachsam, nicht so sehr, scheint es,
um Leute am Durchgehen zu hindern, als vielmehr um ihr
Wohnenbleiben in den einzelnen Ortschaften zu vereiteln, und
außerdem eines Gerüchtes wegen, das vor kurzem aufgekommen war und
das, in der Tat, gar nicht so unwahrscheinlich war, nämlich daß die
Armen in London, die aus Mangel an Arbeit, und so auch aus Mangel
an Verdienst, Not litten und darbten, zu den Waffen gegriffen und
einen Aufruhr verursacht hätten, und daß sie in alle Ortschaften
rundherum kommen würden, um Nahrung zu rauben. Dies, sage ich, war
nur ein Gerücht, und es konnte gut sein, daß es nichts weiter war.
Aber es war auch nicht so weit entfernt davon, eine Tatsache zu
sein, wie man geglaubt hat, denn einige Wochen später wurden die
armen Leute durch die Not, die sie litten, so verzweifelt, daß sie
nur mit großer Schwierigkeit davon zurückzuhalten waren, hinaus auf
die freigelegenen Ortschaften zu laufen und dort alles, was ihnen
in die Hände fiel, kurz und klein zu schlagen; und, wie ich vorher
schon bemerkte, nichts hinderte sie daran, als daß die Pest so
heftig wütete und so rasend über sie herfiel, daß sie eher zu
Tausenden ins Grab gingen als in Rotten zu Tausenden aufs Land;
denn in der Gegend um die Pfarren St. Sepulchre, Clerkenwell,
Cripplegate, Bishopsgate und Shoreditch, welches die Plätze waren,
wo der Pöbel eine drohende Haltung annahm, griff die Seuche so wild
um sich, daß in diesen wenigen Pfarren damals schon, wo die Pest
noch gar nicht ihren Höhepunkt erreicht hatte, in den drei ersten
Wochen des August nicht weniger als 5361 Menschen starben, während
zur gleichen Zeit die Viertel um Wapping, Ratcliff, Rotherhithe,
wie vorher beschrieben, noch kaum berührt waren oder nur sehr
geringfügig; so daß, in einem Wort, obschon, wie ich vorher sagte,
die kluge Amtsführung des Lordbürgermeisters und der
Friedensrichter vieles tat, um zu verhindern, daß die Wut und
Verzweiflung des Volkes in Aufruhr und Empörung ausbrach und daß,
kurz gesagt, die Armen die Reichen ausraubten – ich sage, obschon
sie vieles taten, so taten die Totenkarren mehr, denn wenn ich
sagte, in fünf Pfarren allein starben in zwanzig Tagen über 5000,
so kann man dreimal soviel für die Zahl der Kranken während der
ganzen Zeit rechnen, denn einige wurden gesund, aber viele wurden
jeden Tag neu krank und starben später. Außerdem muß man mir immer
noch zu sagen erlauben, daß, wenn das Totenregister fünftausend
angab, ich stets angenommen habe, es seien in Wirklichkeit beinahe
doppelt soviele gewesen, denn es bestand kein Anlaß zu glauben, daß
die Angaben, die dort gemacht wurden, richtig waren oder daß man
dort, bei der Verwirrung, in der ich sie sah, auch nur in der Lage
war, mit einiger Genauigkeit Buch zu führen.
Aber um zu meinen Wanderern zurückzukehren. Hier erst (in Old Ford)
wurden sie überprüft, und da sie eher vom Lande als aus der Stadt
zu kommen schienen, begegneten ihnen die Leute um so freundlicher;
man sprach sie an, ließ sie in ein Wirtshaus eintreten, wo der
Konstabler und seine Straßenwächter waren, gab ihnen zu trinken und
etwas zu essen, was sie höchlichst erfrischte und stärkte; und hier
kam ihnen der Gedanke, zu sagen, wenn man sie später verhören
sollte, sie kämen nicht von London, sondern sie kämen von Essex
her.
Um diesen kleinen Betrug zu fördern, ließen sie sich von dem
Konstabler in Old Ford den Gefallen tun, ihnen eine Bescheinigung
auszustellen, daß sie von Essex her das Dorf passiert hätten und
daß sie nicht in London gewesen seien, was, obwohl falsch in der
allgemeinen Vorstellung, die in der Grafschaft von London
herrschte, so doch dem Buchstaben nach richtig war, da Wapping oder
Ratcliff weder zur Stadt noch zur Stadtfreiheit von London
gehören.
Dieses Attest, an den Nachbar-Konstabler in Hamerton, einem der
Weiler der Gemeinde Hackney, gerichtet, erwies sich ihnen so
nützlich, daß es ihnen dort nicht nur ungehinderten Durchgang
verschaffte, sondern eine vollgültige Gesundheitsbescheinigung von
einem Friedensrichter, der sie ihnen, auf Ersuchen des Konstablers,
ohne Schwierigkeiten ausstellte; und so passierten sie durch die
lang hingestreckte Stadt Hackney (sie bestand damals aus
verschiedenen einzelnen Weilern) und wanderten weiter, bis sie auf
der Höhe von Stamford Hill auf die große Straße nach Norden
gelangten.
Um diese Zeit fingen sie an müde zu werden, und so beschlossen sie
hinter Hackney, kurz bevor ihr Feldweg auf die besagte große Straße
mündete, ihr Zelt aufzuschlagen und ihre erste Nacht dort zu
verbringen; und so taten sie es auch, nur mit dem Umstand, daß sie
zudem eine Scheune oder ein scheunenähnliches Gebäude fanden, das
sie zuerst so gründlich wie möglich durchsuchten, um sicher zu
sein, daß niemand darin war, und gegen das gelehnt sie dann ihr
Zelt errichteten. Sie taten dies auch deswegen, weil der Wind in
der Nacht sehr stark wehte und sie in dieser Art des Unterkommens
sowohl wie in der Kunst des Zeltbaus noch sehr unerfahren
waren.
Dann gingen sie schlafen; aber der Schreiner, ein ernster und
nüchterner Mann und nicht einverstanden, daß man sich in der ersten
Nacht so mir-nichts-dir nichts niederlegte, konnte nicht schlafen,
und da auch seine Versuche einzuschlafen, nichts fruchteten,
beschloß er aufzustehen, das Gewehr aufzunehmen und für seine
Gefährten Wache zu halten. So ging er, mit dem Gewehr in der Hand,
vor der Scheune auf und ab, denn die stand auf dem Feld nahe bei
der Straße, aber innerhalb der Hecke. Er war noch nicht lange auf
seiner Runde, da hörte er ein Geräusch, als ob da eine große Anzahl
von Menschen näherkamen, und sie kamen, deuchte ihm, gerade auf die
Scheune zu. Er weckte seine Gefährten nicht gleich, aber einige
Minuten später, als der Lärm lauter und lauter wurde, rief ihm der
Zwieback-Bäcker zu und fragte, was es gebe, und sprang rasch auch
hoch. Der andere, der Segelmacher, der lahm und so am müdesten war,
blieb noch im Zelt liegen.
Wie sie es erwartet hatten, kamen die Leute, die sie da hörten,
gerade auf die Scheune zu, und einer unserer Wanderer rief sie an,
so wie Soldaten es auf Wache tun: »Halt, wer da?« Die Leute
antworteten nicht sofort, aber einer von ihnen sagte zu einem
anderen, der hinter ihm kam: »Ach weh! welch eine Enttäuschung für
uns«, sprach er, »da sind schon Leute vor uns; die Scheune ist
besetzt.«
Darauf blieben sie alle stehen, als seien sie etwas überrascht, und
es scheint, es waren ihrer ungefähr dreizehn im ganzen und einige
Frauen unter ihnen. Sie hielten Rat miteinander, was sie tun
sollten, und aus ihren Reden konnten unsere Wanderer bald
entnehmen, daß sie gleichfalls arme, notleidende Menschen wie sie
selbst waren, die Schutz und Sicherheit suchten; und außerdem
brauchten unsere Wanderer nicht zu befürchten, daß sie hergekommen
seien, um sie zu belästigen, denn auf die Worte »Halt, wer da?«
konnten sie die Frauen, wie vor Schrekken, sagen hören: »Geht nicht
näher zu ihnen. Woher wollt ihr wissen, daß sie nicht die Pest
haben?« Und als einer der Männer sagte: »Laßt uns mit ihnen
sprechen«, sagten die Frauen: »Nein, auf keinen Fall. Wir sind so
weit mit Gottes gnädiger Hilfe davongekommen; wir wollen uns nicht
jetzt noch in Gefahr begeben, wir flehen euch an.«
Hieraus erfuhren unsere Wanderer, daß sie Menschen von guter,
nüchterner Art waren und, wie sie selbst, auf der Flucht vor dem
Tod; und so wie sie sich dadurch ermutigt fühlten, so sagte John zu
seinem Kameraden, dem Schreiner: »Laßt uns auch sie ermutigen, so
gut wir können«; und darum rief er ihnen zu »Hört an, ihr guten
Leute«, sprach der Schreiner, »wir hören aus euren Reden, daß ihr
vor demselben fürchterlichen Feind flieht wie wir. Habt keine Angst
vor uns; wir sind unser nur drei arme Männer. Wenn ihr von der
Seuche frei seid, werden wir euch nichts tun. Wir sind nicht in der
Scheune, sondern hier in einem kleinen Zelt draußen, und wir werden
euch Platz machen; wir können unser Zelt gleich wieder anderswo
aufschlagen«; und hierauf begann eine Unterhaltung zwischen dem
Schreiner, dessen Name Richard war, und einem von deren Männern,
der sagte, er heiße Ford.
FORD: »Und könnt ihr uns versichern, daß ihr alles gesunde Männer
seid?«
RICHARD: »Ja, es liegt uns sogar daran, euch das mitzuteilen, damit
ihr euch nicht beunruhigt und glaubt, ihr seid in Gefahr; aber, wie
ihr seht, möchten wir nicht, daß ihr euch in Gefahr begeben sollt,
und deswegen sage ich euch, daß wir die Scheune nicht benutzt
haben, und so wollen wir von ihr wegziehen, damit ihr sicher seid
und wir auch.«
FORD: »Das ist sehr freundlich und liebenswürdig; aber wenn es für
uns Grund gibt zu glauben, daß ihr gesund und frei von der
Heimsuchung seid, warum sollten wir euch dann fortziehen machen,
jetzt, wo ihr euch schon für die Nacht eingerichtet habt und euch
vielleicht schon zur Ruhe niedergelegt habt? Wir werden in die
Scheune gehen, wenn ihr erlaubt, um auch ein wenig auszuruhen, und
wir brauchen euch nicht zu stören.«
RICHARD: »Gut, aber ihr seid mehr als wir. Ich hoffe, ihr könnt uns
die Versicherung geben, daß auch ihr alle gesund seid, denn für uns
seid ihr ebenso eine Gefahr wie wir für euch.«
FORD: »Gepriesen sei Gott, daß immerhin doch einige entkommen, wenn
es auch nur wenige sind; was uns noch beschieden sein wird, wissen
wir nicht, aber bis dato sind wir bewahrt.«
RICHARD: »Aus welchem Teil der Stadt kommt ihr? War da, wo ihr
wohntet, die Pest schon hingekommen?«
FORD: »Oh ja, und sie war ganz furchtbar und schrecklich, sonst
wären wir ja auch nicht geflohen; so sind wir jetzt weg, und von
denen dort, glauben wir, werden nur sehr wenige
übrigbleiben.«
RICHARD: »Aus welcher Gegend seid ihr?«
FORD: »Die meisten von uns sind aus der Cripplegate Pfarre, nur
zwei oder drei aus Clerkenwell, aber auf der herüberen
Seite.«
RICHARD: »Wie kommt es dann, daß ihr euch nicht früher aufgemacht
habt?«
FORD: »Wir sind schon einige Zeit unterwegs und haben uns, so gut
wir konnten, gemeinsam an diesem Ende von Islington aufgehalten, wo
man uns erlaubte, in einem alten unbewohnten Haus zu schlafen, und
wir hatten uns auch etwas eigenes Bettzeug und Hausrat mitgebracht;
aber dann kam die Pest auch nach Islington herauf, und in der
nächsten Nachbarschaft unserer armen Behausung wurde ein Haus
befallen und gesperrt, und wir sind auf und davon vor
Schreck.«
RICHARD: »Und in welche Richtung geht ihr?«
FORD: »Wo uns das Schicksal hinweht; wir wissen nicht wohin, aber
Gott wird die führen, die zu Ihm aufschauen.«
Sie verhandelten dann nicht weiter, sondern kamen zu der Scheune
herüber und gelangten mit einiger Schwierigkeit auch hinein. Es war
nichts als Heu in der Scheune, und sie war beinahe ganz voll davon,
aber sie machten es sich so gut sie konnten bequem und gingen zur
Ruhe; doch unsere Wanderer beobachteten, daß bevor sie schlafen
gingen, ein alter Mann, wie es scheint, der Vater von einer der
Frauen, mit der ganzen Gesellschaft ein Gebet verrichtete und sie
dem Segen und der Leitung der Vorsehung empfahl, bevor sie schlafen
gingen.
Es wurde zu der Jahreszeit bald Tag, und da Richard der Schreiner
den ersten Teil der Nacht Wache gehalten hatte, so löste ihn John
der Soldat ab und übernahm den Posten bis zum Morgen, und er
freundete sich mit den andern an. Es scheint, sie hatten, als sie
Islington verließen, vorgehabt, nach Norden in die Richtung von
Highgate zu gehen, aber sie waren in Holloway angehalten worden,
und man ließ sie dort nicht weiter; so gingen sie querfeldein über
die Hügel nach Osten und kamen beim Boarded River heraus; und sie
umgingen weiter alle Ortschaften, ließen Hornsey auf der Linken und
Newington auf der Rechten liegen und gelangten von jener Seite bei
Stamford Hill auf die große Straße, so wie unsere drei Wanderer es
von dieser Seite her getan hatten. Und jetzt gedachten sie, über
den Fluß und in die Marschen zu gehen und dann den Eppinger Forst
zu erreichen, wo sie hofften, man werde sie rasten lassen. Sie
schienen nicht arm zu sein, jedenfalls nicht so arm, daß sie Mangel
litten; zum mindesten hatten sie genug, um zwei oder drei Monate
lang davon bescheiden zu leben und dann, sagten sie, sei zu hoffen,
daß das kalte Wetter der Seuche Einhalt gebieten werde, oder sie
werde wenigstens sich ausgetobt haben und allmählich nachlassen,
und wenn auch nur aus Mangel an Menschen, die noch übrig wären, um
befallen zu werden.
Dies war weitgehend auch das Geschick unserer drei Wanderer, nur
daß sie besser für die Reise ausgerüstet schienen und weiter
fortzugehen beabsichtigten; denn was das anbelangt, so hatten jene
nicht im Sinn, weiter als eine Tagereise fortzugehen, damit sie so
alle zwei oder drei Tage Nachricht haben könnten, wie die Dinge in
London standen.
Aber hier fanden sich unsere drei Wanderer in einer unerwarteten
Behinderung, nämlich der durch ihr Pferd; denn dadurch, daß ihnen
das Pferd ihr Gepäck beförderte, waren sie gezwungen, auf der
Straße zu bleiben, während die Leute dieser anderen
Reisegesellschaft quer über Felder und Straßen gingen, ob Pfad oder
nicht, ob Weg oder kein Weg, ganz wie es ihnen gefiel, auch hatten
sie keine Veranlassung, durch eine Ortschaft zu passieren oder ihr
auch nur nahezukommen, außer sie wollten die notwendigen Dinge für
ihren Unterhalt einkaufen, und in der Beziehung trafen sie
allerdings auf große Schwierigkeiten; darüber an gegebener
Stelle.
Unsere drei Wanderer jedoch waren genötigt, sich an die Straßen zu
halten, oder sie hätten viel Flurschaden anrichten müssen, indem
sie überall Zäune und Grenztore niederbrachen, um über die
eingehegten Felder zu kommen, und das verabscheuten sie zu tun,
wenn es sich vermeiden ließ.
Jedoch hatten unsere drei Wanderer nicht übel Lust, sich der
anderen Gesellschaft anzuschließen und mit ihnen gemeinsame Sache
zu machen; und nach einigem Hin- und Herüberlegen gaben sie ihren
ersten Plan, der nach Norden gerichtet war, auf und beschlossen,
den anderen nach Essex hinein zu folgen; so brachen sie am Morgen
ihr Zelt ab, beluden ihr Pferd und liefen los, alle
miteinander.
Sie hatten einige Schwierigkeit, am Fluß auf die Fähre zu kommen,
denn der Fährmann fürchtete sich vor ihnen; aber nach einigem
Unterhandeln aus der Entfernung war der Fährmann einverstanden,
sein Boot an einen von der gewöhnlichen Überfahrtstelle abgelegenen
Platz zu bringen und es dort zu lassen, so daß sie es nehmen
konnten; und wenn sie übergesetzt hätten, wollte er, daß sie das
Boot liegen ließen, und er würde es dann mit einem anderen Boot
holen kommen, sagte er, was er aber, scheint es, erst nach über
acht Tagen getan hat.
Hier versorgten sie sich, indem sie dem Fährmann im voraus Geld
gaben, mit Nahrungsmitteln und Getränken, die er brachte und für
sie im Boot zurückließ, jedoch nicht, wie ich sagte, ohne das Geld
im voraus erhalten zu haben.
Aber nun waren unsere Wanderer in großer Verlegenheit und
Schwierigkeit, wie sie das Pferd hinüberbekommen sollten, da das
Boot klein und dafür nicht geeignet war, und schließlich konnten
sie sich nicht anders helfen, als das Gepäck abzuladen und das
Pferd hinüberschwimmen zu lassen.
Vom Fluß marschierten sie auf den Forst zu, aber als sie nach
Walthamstow kamen, weigerten sich die Leute dort, sie einzulassen,
wie es ja überall der Fall war. Die Konstabler und ihre Wächter
hielten sie fern und unterhandelten mit ihnen von weitem. Unsere
Leute gaben über sich dieselbe Auskunft wie zuvor, aber hier
glaubte man ihren Worten nicht, und man gab als Grund dafür an, es
seien schon zwei oder drei Reisegruppen hierher gekommen und hätten
das gleiche vorgegeben, aber hätten dann verschiedene Leute in den
Ortschaften, die sie passierten, mit der Seuche angesteckt und
seien danach von allen in der Gegend hart behandelt worden, obschon
mit Recht, da sie es verdient hätten, daß bei Brentwood oder da
herum mehrere von ihnen im offnen Feld umgekommen seien, ob an der
Pest oder rein an Mangel und Entbehrung, könnten sie nicht
sagen.
Dies war freilich für die Leute von Walthamstow Grund genug, sehr
vorsichtig zu sein; sie hatten ausgemacht, niemanden zu bewirten,
über den sie nicht genau Bescheid wußten. Aber, wie Richard der
Schreiner und einer der anderen Männern, die die Unterhandlung
führten, ihnen sagten, war es kein Grund, um die Straße abzusperren
und sich zu weigern, Leute durch die Stadt passieren zu lassen, die
nichts anderes von ihnen wollten, als die Straße zu begehen; wenn
ihre Leute sich vor ihnen fürchteten, dann könnten sie ja ins Haus
gehen und die Tür abschließen; sie würden ihnen weder Höflichkeit
noch Unhöflichkeit erweisen, sondern nur ihres Weges
ziehen.
Die Konstabler und Straßenwächter ließen sich von Vernunftgründen
nicht überzeugen und verharrten in ihrem Starrsinn und wollten von
nichts hören, darum gingen die beiden, die mit ihnen gesprochen
hatten, zu ihren Genossen zurück, um zu beratschlagen, was zu tun
sei. Das Ganze war sehr entmutigend, und eine gute Weile wußten sie
nicht, was sie tun sollten; aber zuletzt sprach John der Soldat und
Zwieback-Bäcker, nachdem er eine Zeitlang überlegt hatte: »Kommt,
überlaßt das weitere Unterhandeln mir.« Ihn hatten sie noch nicht
gesehen, darum ließ er Richard den Schreiner sich daran machen und
aus Baumästen einige Stangen schneiden und ihnen so gut er konnte,
die Gestalt von Gewehren geben, und in kurzer Zeit hatte er fünf
oder sechs ansehnliche Musketen, die man aus der Entfernung für
nichts anderes halten würde; und da herum, wo bei einem Gewehr das
Schloß ist, ließ er sie ein Tuch oder einen Lappen wickeln, was sie
gerade hatten, so wie es die Soldaten bei feuchtem Wetter tun, um
das Schloß ihrer Waffe vor Rost zu schützen; die übrigen Teile
wurden mit Lehm oder Schlamm, was sich eben fand, verfärbt; und die
ganze Zeit über hatten sich die anderen nach seiner Anweisung in
zwei oder drei Gruppen unter Bäumen niedergelassen und dort in
guter Entfernung voneinander Feuer gemacht.
Während dies geschah, rückte er selbst mit zweien oder dreien voran
und schlug am Straßenrain das Zelt auf, in Sichtweite von der
Schranke, die die Männer der Stadt errichtet hatten, und stellte
einen Wachposten daneben, mit dem echten Gewehr, dem einzigen, das
sie besaßen, und der schritt auf und ab, mit dem Gewehr auf der
Schulter, so daß die Leute der Stadt ihn sehen konnten. Dann band
er das Pferd an einen Pfahl in der Hecke dicht bei und sammelte ein
paar trockene Reiser und entfachte auf der anderen Seite des Zeltes
ein Feuer, so daß die Leute der Stadt das Feuer und den Rauch
sehen, aber nicht erkennen konnten, was sie dabei taten.
Nachdem die Landleute ihnen mit großem Ernst eine ganze Weile
zugeschaut hatten und nach allem, was sie sehen konnten, nicht
umhin konnten anzunehmen, daß da eine große Menge beisammen war,
fingen sie an unruhig zu werden, nicht so sehr darüber, wie sie sie
loswerden sollten, als darüber, daß sie dort, wo sie waren, bleiben
könnten; und zumal sie bemerkten, daß man Pferde und Waffen hatte,
denn sie hatten ja ein Pferd und ein Gewehr bei dem Zelt gesehen,
und sie hatten neben dem Straßenrand innerhalb der Umfriedung noch
andere über das Feld gehen sehen, mit Musketen, wie sie meinten,
auf der Schulter; ich meine, ein solcher Anblick versetzte sie
sicherlich ganz furchtbar in Angst und Schrecken, und es scheint,
sie gingen zu einem Friedensrichter, um zu fragen, was sie tun
sollten.
Was der Friedensrichter ihnen anriet, weiß ich nicht, aber gegen
Abend riefen sie von der Schranke aus, über die schon gesprochen
worden ist, den Wachposten, der bei dem Zelt stand, an.
»Was wollt ihr?« fragte John.
»Nun, wissen, was ihr vorhabt«, sagte der Konstabler.
»Vorhaben?« sagte John, »was wollt ihr denn, daß wir
tun?«
KONSTABLER: »Warum verschwindet ihr nicht? Wozu bleibt ihr
hier?«
JOHN: »Warum haltet ihr uns an, auf einer Reichsstraße, und nehmt
euch heraus, uns zu verbieten, unseres Weges zu gehen?«
KONSTABLER: »Wir sind nicht gehalten, euch unsere Gründe
mitzuteilen, obwohl wir euch wissen ließen, es sei wegen der
Pest.«
JOHN: »Wir haben euch gesagt, daß wir alle gesund und von der Pest
frei sind, worüber wir nicht gehalten waren, uns vor euch
auszuweisen, und dennoch erlaubt ihr euch, uns auf der Straße
anzuhalten.«
KONSTABLER: »Wir haben ein Recht, sie abzusperren, und unsere
eigene Sicherheit verpflichtet uns dazu. Außerdem ist dies keine
Reichsstraße; der Durchgang ist nur gestattet. Ihr seht, hier ist
ein Tor, und wenn wir Leute passieren lassen, erheben wir einen
Straßenzoll.«
JOHN: »Wir haben ein Recht wie ihr, für unsere Sicherheit zu
sorgen, und ihr könnt sehen, daß wir um unser Leben auf der Flucht
sind, und es ist sehr unchristlich und ungerecht, uns
aufzuhalten.«
KONSTABLER: »Ihr könnt dorthin zurückgehen, wo ihr hergekommen
seid; wir hindern euch nicht daran.«
JOHN: »Nein; es ist ein stärkerer Feind als ihr, der uns davon
zurückhält, sonst wären wir auch gar nicht hierher
gekommen.
KONSTABLER: »Nun, dann geht eben einen anderen Weg.«
JOHN: »Nein, nein; ich nehme an, ihr seht, daß wir euch und alle
Leute eurer Gemeinde davonjagen können und durch eure Stadt kommen
können, wenn wir nur wollen; aber da ihr uns hier angehalten habt,
sind wir es zufrieden. Ihr seht, wir haben ein Lager bezogen, und
hier werden wir wohnen bleiben. Wir hoffen, ihr werdet uns mit
Lebensmitteln beliefern.«
KONSTABLER: »Wir euch beliefern! Was meint Ihr damit?«
JOHN: »Nun, ihr wollt doch nicht, daß wir verhungern, oder? Wenn
ihr uns hier aufhaltet, müßt ihr uns verpflegen.«
KONSTABLER: »Unsere Verpflegung würde euch schlecht
bekommen.«
JOHN: »Wenn ihr uns fasten laßt, dann werden wir uns selbst um so
besser bedienen.«
KONSTABLER: »Wie, ihr wollt euch doch nicht etwa herausnehmen, euch
bei uns zwangsweise einzuquartieren?«
JOHN: »Wir haben euch noch nicht mit Gewalt gedroht. Warum wollt
ihr uns nur dazu nötigen? Ich bin ein alter Soldat, und hungern
kann ich nicht, und wenn ihr meint, wir würden uns durch den Mangel
an Lebensmitteln dazu bringen lassen zurückzugehen, dann irrt ihr
euch.«
KONSTABLER: »Da ihr uns bedroht, werden wir dafür sorgen, daß wir
euch standhalten können. Ich habe Order, die Grafschaft gegen euch
zu den Waffen zu rufen.«
JOHN: »Jetzt seid ihr es, die drohen, nicht wir. Und da ihr auf
Arglist sinnt, könnt ihr uns nicht verübeln, wenn wir euch keine
Zeit dafür lassen; wir werden in wenigen Minuten unseren Marsch
antreten.«
KONSTABLER: »Was verlangt ihr denn von uns?«
JOHN: »Zuerst wollten wir nichts von euch, als durch die Stadt
hindurchgelassen zu werden; wir hätten keinem etwas zuleide getan,
und es wäre euch nichts verlorengegangen oder abhanden gekommen.
Wir sind keine Diebe, sondern arme Menschen in Not und auf der
Flucht vor der schrecklichen Pest in London, die jede Woche
Tausende verschlingt. Wir verstehen nicht, wie ihr so unbarmherzig
sein könnt.«
KONSTABLER: »Die Selbsterhaltung zwingt uns dazu.«
JOHN: »Wie! All euer Mitgefühl in einem solchen Notfall wie diesem
zu ertöten?«
KONSTABLER: »Nun gut, wenn ihr den Weg über die Felder zu eurer
Linken nehmen wollt und auf jener Seite hinter der Stadt herumgehen
wollt, dann will ich mich bemühen, euch die Tore öffnen zu
lassen.«
JOHN: »Dort können unsere Pferdeknechte nicht mit dem Gepäck
durchkommen; und es führt nicht auf die Straße, die wir gehen
wollen, und warum sollten wir uns von euch von der Straße abbringen
lassen? Außerdem, jetzt habt ihr uns hier den ganzen Tag
aufgehalten, nur mit dem zu essen, was wir selbst mitgebracht
haben. Ich finde, ihr solltet uns etwas zum Essen schicken, zu
unserer Sättigung.«
KONSTABLER: »Wenn ihr anderswohin geht, schicken wir euch
etwas.«
JOHN: »Das würde dazu führen, daß alle Städte in der Grafschaft
ihre Wege vor uns versperren.«
KONSTABLER: »Wenn sie alle euch Lebensmittel liefern, was hättet
ihr zu leiden? Ich sehe, daß ihr Zelte habt; ihr braucht keine
Unterkünfte.«
JOHN: »Gut, wieviel Lebensmittel wollt ihr uns schicken?«
KONSTABLER: »Wieviele seid ihr?«
JOHN: »Wir wollen ja gar nicht soviel, daß es für uns alle reicht;
wir sind in drei Gruppen. Wenn ihr uns Brot für zwanzig Mann und
für ungefähr sechs oder sieben Frauen für drei Tage schickt und uns
den Weg über das Feld, von dem Ihr sprecht, zeigen wollt, dann
wünschen wir nicht, eure Leute unsertwegen in Furcht zu versetzen;
wir werden den Umweg auf uns nehmen, um uns gefällig zu erweisen,
obwohl wir so frei von der Seuche sind wie ihr.«
KONSTABLER: »Und wollt Ihr uns versichern, daß Eure übrigen Leute
uns nicht von neuem belästigen?«
JOHN: »Nein, nein, darauf könnt ihr euch verlassen.«
KONSTABLER: »Ihr müßt Euch auch verpflichten, daß keiner Eurer
Leute einen Schritt näher kommt als bis da, wo die Lebensmittel,
die wir euch schicken, niedergelegt werden.«
JOHN: »Nehmt mein Wort, daß wir es nicht tun werden.«
Und so schickten sie dann zwanzig Laibe Brot und zwei oder drei
große Stücke gutes Rindfleisch dorthin und öffneten ihnen einige
Tore, daß sie hindurchgehen konnten, aber keiner in der Stadt hatte
den Mut, auch nur hinauszuschauen und sie abziehen zu sehen, und da
es Abend war, hätte niemand, auch wenn er hingeschaut hätte,
erkennen können, wie wenige sie waren.
Dies hatte John der Soldat zuwege gebracht. Aber es flößte der
Grafschaft einen solchen Schrecken ein, daß, wären sie wirklich
zwei- oder dreihundert gewesen, die ganze Grafschaft gegen sie in
Waffen aufgestanden wäre und sie eingekerkert oder ihnen den
Schädel eingeschlagen hätte.
Dies wurde ihnen bald zum Bewußtsein gebracht, denn zwei Tage
später trafen sie verschiedene Trupps, zu Pferde und auch zu Fuß,
die unterwegs waren, drei Kompanien von, wie sie sagten, mit
Musketen bewaffneten Männern zu verfolgen, die aus London
ausgebrochen seien und die Pest am Leibe hätten und nicht nur die
Seuche unter dem Volk verbreiteten, sondern das Land
plünderten.
Als sie nun sahen, was die Folgen ihres Handelns waren, begriffen
sie sogleich die Gefahr, in der sie schwebten, und beschlossen
deshalb, auch auf den Rat von John dem Soldaten, sich wieder zu
teilen. John und seine zwei Kumpane, mit dem Pferd, gingen fort,
als ob nach Altham hin; die anderen gingen in zwei Gruppen, aber
alle ein wenig auseinander, nach Epping.
Die erste Nacht lagerten sie alle im Walde und nicht weit
voneinander entfernt, aber ohne das Zelt aufzuschlagen, damit das
sie nicht verrate. Dafür machte sich Richard mit Axt und Beil an
die Arbeit und baute aus Zweigen, die er von den Bäumen hieb, drei
Zelte oder Laubhütten, in denen sie alle mit soviel Bequemlichkeit,
wie sie dabei erwarten konnten, die Nacht verbrachten.
Die Lebensmittel, die sie aus Walthamstow hatten, gaben ihnen an
diesem Abend reichliche Sättigung; und was den nächsten Tag anging,
so überließen sie das der Vorsehung.
Sie waren unter des alten Soldaten Leitung so gut gefahren, daß
jetzt alle einverstanden waren, ihn zu ihrem Anführer zu machen,
und das erste, was er in dieser Eigenschaft tat, leuchtete ihnen
sehr ein. Er sagte ihnen, daß sie nunmehr weit genug von London
entfernt seien; und da sie nicht mehr unbedingt auf das Land und
seine Unterstützung angewiesen seien, sollten sie sich ebenso
vorsehen, daß das Land nicht sie anstecke, wie daß sie nicht das
Land ansteckten; mit dem wenigen Geld, das sie besäßen, müßten sie
so sparsam umgehen, wie sie nur könnten; und wie er nicht wolle,
daß sie an Gewalttätigkeit gegen die Landsleute dächten, so müßten
sie doch darauf bedacht sein, bei dem Landvolk soviel Verständnis
für ihre Lage zu finden, wie nur möglich. Sie alle fügten sich
seiner Anweisung, und so ließen sie ihre drei Häuser stehen und
gingen am nächsten Tag nach Epping. Der Hauptmann, denn so nannten
sie ihn jetzt, und seine beiden Reisegefährten gaben auch ihren
Plan, nach Waltham zu gehen, auf, und sie gingen alle
zusammen.
Als sie in die Nähe von Epping kamen, hielten sie an und wählten
sich einen geeigneten Lagerplatz aus, im offenen Wald, nicht sehr
nahe der Hauptstraße, aber auch nicht weit davon nach Norden ab,
inmitten eines kleinen Gebüsches von niedrigen Bäumen. Hier
schlugen sie ihr bescheidenes Lager auf, das aus drei größeren
Hütten bestand, aus Stangen gefertigt, die ihr Zimmermann und die,
die ihm zur Hand gingen, abschnitten und in einem Kreis in die Erde
stachen; dann banden sie oben die schmalen Enden alle zusammen und
verstärkten die Seiten mit Zweigen von Bäumen und Büschen, so daß
sie ganz dicht waren und warmhielten. Außerdem hatten sie noch eine
kleinere Hütte, wo die Frauen für sich schliefen, und einen
Unterstand für das Pferd.
Es traf sich, daß am nächsten oder übernächsten Tag in Epping Markt
war, und Hauptmann John und einer der Männer gingen zum Markt und
kauften einige Lebensmittel ein; das heißt, Brot und etwas
Hammelfleisch und Rindfleisch; und zwei von den Frauen gingen auch
hin, aber allein, so als ob sie nicht dazu gehörten, und kauften
noch mehr. John nahm das Pferd, um es heimzubringen, und den Sack,
in dem der Zimmermann sein Werkzeug trug, um alles darin zu
verstauen. Der Zimmermann machte sich ans Werk und baute ihnen
Bänke und Hocker zum Sitzen, so gut es sich aus dem Holz, das er
zur Verfügung hatte, machen ließ, und eine Art von Tisch zum
Essen.
Zwei oder drei Tage lang bemerkte sie niemand, aber dann kamen die
Leute aus der Stadt in Scharen angerannt, um sich sie anzuschauen,
und die ganze Gegend war über sie aufgebracht. Zuerst schienen die
Leute Angst zu haben, ihnen näher zu kommen; und sie ihrerseits
wünschten die Leute von sich fernzuhalten, denn es ging ein
Gerücht, daß die Pest in Waltham sei und daß sie schon zwei oder
drei Tage lang in Epping gewesen sei; so rief ihnen John zu, nicht
zu ihnen zu kommen, »denn«, sagte er, »wir sind hier alle heil und
gesund, und wir wollen uns nicht von euch die Pest herbringen
lassen, während ihr womöglich sagt, wir hätten sie euch
gebracht.«
Danach kamen die Gemeindebeamten und unterhandelten aus der Ferne
mit ihnen und wünschten zu wissen, wer sie waren und mit welcher
Befugnis sie sich erlaubten, an dieser Stelle sich festzusetzen.
John antwortete sehr offen, sie seien arme, in Not befindliche
Leute aus London, die vorausgesehen hätten, in welch elende
Umstände sie geraten würden, wenn die Pest sich in der Stadt
ausbreitete, und deshalb beizeiten, um ihr Leben zu retten,
davongegangen seien; da sie keine Bekannten oder Verwandten hätten,
zu denen sie hätten flüchten können, hätten sie sich zuerst in
Islington niedergelassen, aber da dann auch in diese Stadt die Pest
gekommen sei, hätten sie sich weiter davongemacht; und da sie
angenommen hätten, die Leute in Epping würden ihnen den Zutritt zur
Stadt verwehren, hätten sie also im Freien und im Walde ihr Lager
aufgeschlagen, und sie wollten lieber all die Entbehrungen einer so
unbequemen Behausung ertragen, als irgend jemand glauben oder
befürchten zu lassen, sie brächten ihm Ungemach.
Zuerst fuhren die Eppinger sie rauh an und erklärten, sie müßten
das Feld räumen; dies sei kein Platz für sie; und sie gäben nur
vor, gesund und wohl zu sein, aber sie könnten, ob sie es wüßten
oder nicht, mit der Pest behaftet sein und die ganze Gegend
verseuchen, und man könne sie dort nicht dulden.
John setzte sich sehr ruhig eine ganze Weile mit ihnen auseinander
und wies darauf hin, daß London der Ort war, von dem sie alle, das
heißt, die Stadtbewohner von Epping und das ganze Land rundherum,
lebten; der Ort, dem sie die Erzeugnisse ihrer Äcker verkauften und
an dem sie für ihre Landwirtschaft Gewinn erzielten; und so grausam
gegen die Einwohner Londons zu sein oder gegen einige von denen,
die ihnen so viel einbrächten, das sei sehr hart, und es werde
ihnen sehr zuwider sein, wenn man sich später daran erinnerte und
sie es dann erzählen hören würden, wie barbarisch, wie ungastlich
und wie unfreundlich sie zu den Menschen von London gewesen seien,
als sie angesichts des schrecklichsten Feindes der Menschheit die
Flucht ergriffen; und werde dazu führen, den Namen eines Eppingers
in der ganzen Stadt verhaßt zu machen und den Pöbel dazu
veranlassen, ihn auf offener Straße mit Steinen zu bewerfen, wenn
er auch nur zum Markt komme; und noch seien sie nicht sicher, daß
sie nicht selbst auch heimgesucht würden, denn Waltham, wie er
hörte, sei es bereits; und er halte es für eine große Härte, daß
ihnen, die doch nur aus Furcht und ohne befallen zu sein, geflohen
seien, die Freiheit verwehrt sein solle, auch nur unter freiem
Himmel zu schlafen.
Die Eppinger entgegneten ihnen, sie sagten zwar immer, sie seien
gesund und frei von Infektion, aber man habe dafür keinen Beweis;
und man habe gehört, es sei da ein großer Haufe von Leuten in
Walthamstow gewesen, die hätten genauso behauptet, gesund zu sein,
wie sie es täten, aber dann hätten sie gedroht, die Stadt zu
plündern und sich, mit Erlaubnis der Obrigkeit oder ohne, gewaltsam
Durchgang zu verschaffen; es seien ihrer gegen zweihundert gewesen,
und sie hätten Waffen und Zelte gehabt wie die holländischen
Soldaten; und sie hätten die Stadt um Lebensmittel erpreßt, indem
sie gedroht hätten, sich bei ihnen einzuquartieren, und sie hätten
auf ihre Waffen verwiesen und die Sprache von Soldaten gesprochen;
und einige von ihnen seien nach Romford und Brentwood
weitergezogen, das Land sei von ihnen verseucht und die Pest in
diese beiden großen Städte eingeschleppt worden, so daß die Leute
dort nicht mehr wie sonst auf den Markt zu gehen wagten; und es sei
nun sehr wahrscheinlich, daß sie zu diesem Haufen gehörten; und
wenn das stimme, verdienten sie, ins Gefängnis gesperrt und dort
verwahrt zu werden, bis sie den Schaden, den sie angerichtet,
wieder gutgemacht hätten, und zur Strafe für die Angst und den
Schrecken, den sie der ganzen Gegend eingejagt hätten.
John antwortete, was andere Leute getan hätten, das gehe sie nichts
an; und sie könnten ihnen versichern, daß sie alle zu einer Gruppe
gehörten und daß sie niemals mehr an Zahl gewesen seien, als man
jetzt sehe (was übrigens völlig wahr war); sie seien zwar in zwei
verschiedenen Gruppen hergekommen, aber hätten sich unterwegs
zusammengeschlossen, da ihre Sache die gleiche sei; sie seien
bereit, jede Auskunft über sich zu erteilen, die einer nur wünschen
mochte, und ihre Namen und Wohnorte anzugeben, so daß man sie für
jedes Vorgehen, dessen sie vielleicht schuldig wären, zur
Rechenschaft ziehen könne; die Stadtbewohner sähen ja selbst, daß
sie sich in ein hartes Leben schickten und lediglich ein wenig Luft
zum Atmen wollten, im Walde, wo es gesund sei; denn wenn die Luft
hier nicht rein wäre, dann könnten sie nicht bleiben und würden
abziehen, sollten sie etwas Ungesundes bemerken.
»Aber«, sagten die Stadtbewohner, »wir haben bereits Last genug mit
unseren eigenen Armen, und wir müssen zusehen, daß sie nicht noch
anwächst; wir nehmen nicht an, daß ihr uns die Sicherheit geben
könnt, niemals unserer Gemeinde oder den Einwohnern zur Last zu
fallen, genauso wenig wie die, daß ihr uns betreffs der Infektion
nicht gefährdet.«
»Nun, seht her«, sagte John, »was das Zur-Last-fallen angeht, so
hoffen wir, wir werden es nicht. Wenn ihr uns mit Lebensmitteln in
unserer gegenwärtigen Notlage aushelft, werden wir uns dankbar
zeigen; da keiner von uns von milden Gaben lebte, als wir noch
daheim waren, werden wir uns verpflichten, euch voll
zurückzuzahlen, wenn es Gott gefällt, uns unbeschadet zu unseren
Familien und unserem Eigentum zurückkehren zu lassen und dem Volk
von London die Gesundheit wiederzuschenken.
Und was das Sterben angeht, so versichern wir euch, daß, wenn einer
sterben sollte, wir, die überleben, ihn begraben werden und euch
keine Unkosten machen werden, es sei denn, wir sterben alle, und
dann allerdings, da der letzte sich nicht selbst beerdigen kann,
hättet ihr diese einmalige Auslage, die euch zu erstatten, so bin
ich überzeugt«, sagte John, »er genug zurücklassen würde.
Auf der anderen Seite«, fuhr er fort, »wenn ihr vor unserer Not das
Herz verschließt und uns keinerlei Unterstützung gewährt, werden
wir von niemandem etwas mit Gewalt erpressen oder stehlen; sondern
wenn wir nach Verbrauch von dem wenigen, das wir haben, Hungers
sterben, so soll Gottes Wille geschehen.«
Diese vernünftige und beruhigende Rede Johns wirkte so auf die
Stadtbewohner, daß sie fortgingen; und obwohl sie keine Zustimmung
für ihr Verbleiben dort gaben, belästigten sie sie auch nicht mehr;
und unsere armen Freunde konnten dort drei oder vier Tage ohne jede
Störung verbringen. In dieser Zeit hatten sie eine Art von
entfernter Bekanntschaft mit einem Viktualienhändler am Rande der
Stadt geschlossen, dem sie von weitem zuriefen, ihnen dies oder
jenes, was sie brauchten, zu bringen, und das sie dann in einiger
Entfernung absetzen ließen und immer sehr ehrlich
bezahlten.
Während dieser Zeit kamen die jüngeren Leute der Stadt häufig recht
nahe heran, und dann standen sie und schauten sie an und sprachen
manchmal mit ihnen, über einen bestimmten Zwischenraum hinweg; und
sie mußten vor allem die Beobachtung machen, daß gleich am ersten
Sabbattage die fremden Menschen ganz zurückgezogen blieben, einen
gemeinsamen Gottesdienst hielten und Psalmengesang hören
ließen.
Dies und ein ruhiges, unaufdringliches Verhalten trug ihnen
allmählich die gute Meinung des Landes ein, und die Leute fingen
an, mit ihnen Mitleid zu empfinden und mit Wohlwollen über sie zu
sprechen; die Folge davon war, daß an einem sehr nassen,
regnerischen Abend ein Gutsbesitzer, der nicht weit weg wohnte,
sich veranlaßt fühlte, ihnen einen kleinen Karren mit zwölf Garben
oder Bündeln Stroh zu schicken, sowohl für sie selbst, um darauf zu
schlafen, wie um ihre Hütten mit einem schützenden Dach zu
versehen, das sie trocken hielt. Der Geistliche einer Pfarrgemeinde
in der Nähe schickte ihnen, ohne von dem andern zu wissen, auch
ungefähr zwei Scheffel Weizen und einen halben Scheffel weißer
Bohnen.
Für diese Hilfe waren sie freilich nun sehr dankbar, und besonders
das Stroh kam ihnen äußerst gelegen; denn obwohl der
erfindungsreiche Zimmermann ihnen Rahmen gemacht hatte, in denen
sie wie in Trögen lagen, und sie mit Baumblättern und was sie sonst
bekommen konnten anfüllte und ihr ganzes Zelttuch verschnitten
hatte, um ihnen Bettdecken zu machen, so lagen sie doch feucht und
hart und ungesund, bis dieses Stroh kam, das für sie wie
Federbetten war und, wie John sagte, willkommener, als es
Federbetten zu einer anderen Zeit gewesen wären.
Nachdem dieser Herr und der Geistliche einmal angefangen und ein
Beispiel der Nächstenliebe gegenüber unseren Wanderern gegeben
hatten, folgten andere rasch nach, und sie empfingen jeden Tag
irgendeine freundliche Gabe dieser oder jener Art von den Leuten,
in der Hauptsache jedoch von den Herrschaften, die rundherum in der
Gegend wohnten. Manche schickten ihnen Stühle, Hocker, Tische und
an Haushaltsgütern, was sie sonst verlauten ließen, daß sie
benötigten; manche schickten ihnen Decken und Bettücher, manche
schickten Tontöpfe und manche Küchengefäße, um darin Nahrungsmittel
zu bestellen.
Durch diese Übung ermutigt, baute ihnen der Zimmermann in wenigen
Tagen ein großes schuppenartiges Haus mit einem richtigen Dachstuhl
und einem Obergeschoß, in dem sie warm wohnen konnten, denn das
Wetter begann Anfang September feucht und kühl zu werden. Aber
dieses Haus, mit seinem dichten Strohdach und seinen starken
Seitenwänden, hielt die Kälte ziemlich gut ab. An einer Seite
errichtete er zudem eine Lehmmauer mit einem Kamin darin, und ein
anderer von ihnen setzte unter unsäglichen Mühen einen Schornstein
auf den Kamin, damit der Rauch abzog.
Hier lebten sie ruhig und sicher, wenn auch nicht übermäßig bequem,
bis zum Anfang September, wo sie die traurige Nachricht hören
mußten, ob nun wahr oder nicht, daß die Pest, die in Waltham Abbey
auf der einen und in Romford und Brentwood auf der anderen Seite
schon sehr grassierte, auch nach Epping gekommen sei und nach
Woodford und zu den meisten der Städtchen im Walde, und sie sei, so
hieß es, hauptsächlich durch die Hausierer und die Leute, die mit
Lebensmitteln zwischen London und dem Lande hin- und hergingen,
eingeschleppt worden.
Wenn das zutraf, war es in offenem Widerspruch zu dem Gerede, das
sich später überall in ganz England verbreitete, das ich jedoch,
wie ich schon sagte, aus meiner Kenntnis nicht bestätigen kann,
nämlich, daß die Marktleute, die Lebensmittel nach London brachten,
niemals die Krankheit bekommen oder auf das Land weitergetragen
hätten; beides ist, so hat man mir versichert, unwahr.
Es kann sein, daß sie jedoch über Erwarten hinaus bewahrt blieben,
ohne daß man von einem Wunder zu sprechen braucht; aber daß so
viele gingen und kamen und nicht erfaßt wurden, das bedeutete für
die armen Leute von London eine große Ermutigung, und sie wären
vollends am Ende gewesen, wenn nicht die Händler, die die
Lebensmittel auf die Märkte brachten, sich immer wieder so
erstaunlich die Gesundheit bewahrt hätten oder sie zum mindesten
mehr bewahrten als vernünftigerweise zu erwarten war.
Für unsere neuen Hausbewohner war nun der Kummer wieder größer,
denn die Ortschaften ringsum waren tatsächlich befallen, und schon
bekam jeder Angst, den andern auch nur das Notwendigste einkaufen
zu lassen, und das machte es für sie sehr knapp, denn sie hatten
nun wenig oder nichts, außer was ihnen die hilfsbereiten
Herrschaften der Gegend zukommen ließen. Aber sie faßten wieder
Mut, als andere Herrschaften, die ihnen bisher nichts geschickt
hatten, von ihnen irgendwie zu hören bekamen und ihnen nun auch zu
essen schickten, der eine ein großes Schwein, also ein Mastschwein,
der andere zwei Schafe, und wieder einer schickte ihnen ein Kalb.
Kurz, Fleisch hatten sie genug, und manchmal hatten sie Käse und
Milch und all das. Knapp waren sie hauptsächlich mit Brot, denn
wenn die Herrschaften ihnen Korn schickten, hatten sie nicht die
Möglichkeit, es zu verbacken oder zu mahlen. Aus dem Grunde aßen
sie die ersten beiden Scheffel Weizen, die sie geschenkt erhielten,
als geröstete Körner, so wie es die alten Israeliten getan hatten,
anstatt ihn zu mahlen und Brot daraus zu backen.
Schließlich fanden sie einen Weg, ihr Getreide zu einer Windmühle
bei Woodford zu bringen und es dort mahlen zu lassen, und dann
baute der Zwieback-Bäcker einen Herd, so tief und trocken, daß er
Zwieback-Kuchen einigermaßen gut darin backen konnte; und so kamen
sie in die Lage, ohne Unterstützung oder Lieferungen von den
Städten leben zu können; und das war gut so, denn die ganze Gegend
war wenig später vollkommen verseucht, und gegen 120 Menschen
sollen in den naheliegenden Ortschaften gestorben sein, eine
erschreckend hohe Zahl für sie.
Hierüber berieten sie sich aufs neue; und jetzt brauchten ja die
Städte nicht mehr in Angst zu sein, sie könnten sich in ihrer Nähe
festsetzen; sondern im Gegenteil, jetzt hatten verschiedene
Familien der ärmeren Bevölkerungsschicht ihre Häuser verlassen und
sich Hütten im Walde gebaut, auf die gleiche Art, wie sie es getan
hatten. Aber man mußte feststellen, daß einige dieser armen Leute,
die so fortgezogen waren, auch in ihren Hütten oder Bretterbuden
die Krankheit hatten; der Grund dafür war klar, nämlich: Es lag
nicht daran, daß sie ins Freie gezogen waren, sondern daran (1.),
daß sie nicht zeitig genug fortgezogen waren; das heißt, sie waren
erst gegangen, als sie durch den uneingeschränkten Verkehr mit
anderen Menschen, ihren Nachbarn, die Pest schon am Leibe hatten,
jedenfalls (soviel wird man sagen können) der eine oder andere von
ihnen, und so nahmen sie sie dorthin mit, wo sie hingingen. Oder
(2.) es lag daran, daß sie, nachdem sie sich aus der Stadt in
Sicherheit gebracht hatten, so unvorsichtig gewesen waren, wieder
zurückzukehren und sich unter die Kranken zu mischen.
Aber aus welchem von diesen beiden Gründen es auch gewesen sein
mag, als unsere Wanderer erst sahen, daß die Pest nicht nur in den
Ortschaften war, sondern in den Hütten und Lauben bei ihnen im
Walde, da fingen sie freilich an, sich zu fürchten und an Aufbruch
und Abzug zu denken; denn wären sie geblieben, hätten sie ihr Leben
in offene Gefahr gebracht.
Man braucht sich nicht zu wundern, daß es sie höchlichst betrübte,
den Platz, wo sie so freundlich aufgenommen worden und wo sie mit
so viel Menschlichkeit und Nächstenliebe behandelt worden waren,
verlassen zu müssen; aber die Notwendigkeit und die Gefahr für ihr
Leben, das zu bewahren sie den weiten Weg hinausgekommen waren,
gaben den Ausschlag, und sie sahen keine andere Möglichkeit. John
jedoch dachte an etwas, das ihnen vielleicht zunächst weiterhelfen
würde, nämlich daß er zuerst dem Herrn, der ihr Hauptwohltäter war,
ihre Notlage anvertrauen und um seinen Beistand und Rat ersuchen
wolle.
Der gute, liebenswürdige Herr riet ihnen zu, den Ort zu verlassen,
sei doch zu befürchten, es könnte ihnen durch das heftige Wüten der
Seuche überhaupt jeder Rückzug abgeschnitten werden; aber wohin sie
gehen sollten, ihnen da eine Weisung zu geben, fand er sehr schwer.
Schließlich fragte ihn John, ob er, da er doch ein Friedensrichter
sei, ihnen anderen Friedensrichtern gegenüber, mit denen sie
vielleicht zu tun haben würden, ihre Gesundheit bescheinigen wolle,
so daß sie, was immer sonst ihnen beschieden sei, jedenfalls nicht
zurückgewiesen werden könnten, wo sie nun doch schon so lange von
London fort seien. Dies gewährte ihnen Seine Gnaden sofort, und er
stellte ihnen amtliche Gesundheitsbescheinigungen aus, aufgrund
derer sie frei waren, überall hinzureisen, wo sie
wollten.
So hatten sie also ein vollgültiges Gesundheitsattest, das angab,
sie seien in einem Ort in der Grafschaft Essex so lange ansässig
gewesene, daß nach eingehender Untersuchung und Prüfung und nach
einer Absonderung von jeglichem Umgang für mehr als vierzig Tage,
ohne daß irgendein Anzeichen der Krankheit zu erkennen sei, sie
also folglich als gesunde Menschen angesehen werden müßten und ohne
Gefahr überall aufgenommen werden könnten, nachdem sie nunmehr,
keineswegs weil irgend etwas bei ihnen oder einem der Ihren auf
Ansteckung deute, sondern lediglich aus Angst vor der Pest, die an
den Ort so-und-so gelangt sei, ihren Wohnsitz aufgegeben
hätten.
Mit diesem Attest machten sie sich auf den Weg, wenn auch mit
großem Widerstreben; und da John nicht geneigt war, zu weit fort
von daheim zu gehen, zogen sie nach den Marschen bei Waltham. Aber
hier trafen sie einen Mann, einen Schleusenwächter scheint es, bei
einem Wehr oder Staudamm, der das Wasser für die Lastkähne, die den
Fluß hinauf- und hinabfahren, steigen läßt, und der machte ihnen
Angst mit Schauergeschichten, daß die Krankheit sich über alle Orte
am Fluß und in der Nähe des Flusses ausgebreitet habe; jedenfalls
auf der Seite von Middlesex und Hertfordshire; so zum Beispiel sei
sie in Waltham, in Waltham Cross, in Enfield und Ware und allen
Ortschaften an der Straße; so fürchteten sie sich, dorthin zu
gehen, obschon es scheint, der Mann hatte ihnen nur einen Schrecken
eingejagt, und es war gar nicht wahr.
Jedoch machte es ihnen Angst, und sie beschlossen, quer durch den
Wald nach Romford und Brentwood zu gehen; aber sie hörten, dort
seien Leute in Menge, die von London in dieser Richtung geflohen
seien und nun den sogenannten Hainault Forst unsicher machten, der
sich bis in die Nähe von Romford erstreckte; und diese Leute, ohne
Unterhalt oder Bleibe, führten nicht nur ein kümmerliches Leben und
litten in Wald und Feld, wo ihnen niemand half, bitterste Not,
sondern seien, so hieß es, von dieser Not so zum Äußersten
getrieben, daß sie viele Gewalttaten in der Grafschaft verübten,
raubten und plünderten und Vieh töteten und dergleichen; und andere
hätten sich Hütten und Schlupfwinkel neben der Straße gebaut und
bettelten mit einer Aufdringlichkeit, die an freches Fordern
grenze; und darum sei die Grafschaft sehr in Unruhe, und man habe
einige von ihnen festnehmen müssen.
Dies gab ihnen, einerseits, zu verstehen, daß sie anstelle der
Hilfsbereitschaft und Freundlichkeit, die sie dort gefunden hatten,
wo sie bislang gewesen waren, nur harte Herzen und verschlossene
Türen finden würden; und daß sie, andererseits, überall wo sie
hinkämen, verhört werden würden, und daß ihnen von Seiten anderer,
die in der gleichen Lage wie sie waren, Gewalttätigkeit
drohe.
Nachdem sie das alles erwogen hatten, kehrte John, ihr Hauptmann,
im Namen aller zu ihrem guten Freund und Wohltäter zurück, der
ihnen immer geholfen hatte, und ihm ihren Fall wahrheitsgemäß
darlegend, bat er ehrerbietig um seinen Rat; der riet ihnen ebenso
freundlich, wieder ihr altes Quartier zu beziehen, oder wo nicht,
nur ein wenig weiter von der Straße wegzuziehen, und er wußte ihnen
auch einen geeigneten Platz zu sagen; und da sie bei dieser
Jahreszeit – es ging auf Michaeli zu – dringend lieber ein festes
Haus zum Obdach wollten als nur Laubhütten, suchten sie, bis sie
ein altes verfallenes Haus fanden, das früher einmal ein Jagdhaus
oder eine Sommervilla gewesen war, sich aber jetzt in einem Zustand
befand, in dem man es kaum bewohnen konnte, und der Gutsherr, zu
dessen Besitz es gehörte, gab seine Zustimmung, daß sie damit
anfangen dürften, was sie konnten.
Der erfindungsreiche Schreiner und unter seiner Anleitung alle
übrigen machten sich an die Arbeit, und in nur wenigen Tagen hatten
sie es soweit instandgesetzt, daß es ihnen allen für den Fall
schlechten Wetters Schutz bot; und den alten Kamin und den alten
Backofen, die sie darin vorfanden, aber in Trümmern, die stellten
sie beide wieder her, so daß sie sie in Gebrauch nehmen konnten,
und indem sie an allen Seiten Schuppen und An- und Ausbauten
errichteten, hatten sie bald Platz für alle in dem Haus
geschaffen.
Was ihnen vor allem fehlte, waren Bretter, um Fensterläden,
Fußböden, Türen und noch allerlei anderes zu machen; aber da sie
die Gunst des obigen Herrn besaßen und auf diese Weise die Gegend
ihnen wohlgesinnt war, und vor allem weil man wußte, daß sie alle
wohlauf und kerngesund waren, half ihnen jeder mit dem aus, was er
entbehren konnte.
Hier ließen sie sich nun endgültig nieder und beschlossen, nicht
mehr fortzuziehen. Sie sahen deutlich, mit welcher schreckhaften
Verängstigung man überall in der Grafschaft jedem begegnete, der
aus London kam, und daß sie nirgends Zutritt erhalten würden, es
sei denn unter den äußersten Schwierigkeiten, jedenfalls keine
freundliche Aufnahme und Unterstützung, wie sie sie hier gefunden
hatten.
Allerdings, obwohl sie große Hilfe und Unterstützung von den
Herrschaften und den Leuten ringsherum fanden, so mußten sie doch
vieles erdulden, denn das Wetter wurde im Oktober und im November
kalt und feucht, und sie waren an solches Ungemach nicht gewöhnt;
so erkälteten sie sich die Glieder und wurden krank, aber die Pest
bekam keiner; und so kehrten sie etwa im Dezember wieder nach Hause
in die Stadt zurück.
Ich bringe diese Geschichte so ausführlich, vor allem um
Rechenschaft zu geben, was aus der großen Zahl von Leuten wurde,
die, gleich nachdem die Krankheit nachgelassen hatte, wieder in der
Stadt erschienen; denn, wie ich berichtet habe, sehr viele von
denen, die vermögend waren und auf dem Lande ein Ausweichquartier
besaßen, waren dort hingeflohen. Ebenso waren, als das Wüten der
Pest sich so schrecklich steigerte, wie ich es schilderte, die
Bürger des Mittelstands, die keine Freunde hatten, überallhin auf
das Land geflohen und blieben, wo sie nur unterkommen konnten, ob
sie nun Geld hatten, um sich zu versorgen, oder nicht. Die, die
Geld hatten, flohen immer am weitesten fort, weil sie in der Lage
waren, ihren Unterhalt zu bestreiten; aber die, die mittellos
waren, litten, wie ich schon sagte, großen Mangel und gingen oft
notgedrungen dazu über, ihren Bedarf auf Kosten des Landes zu
decken. Auf diese Weise wurde das Land von ihnen in große Unruhe
versetzt, und manchmal wurden sie festgenommen, wenn man dann
freilich auch kaum wußte, was man mit ihnen machen sollte und immer
sehr zurückhaltend war, sie zu bestrafen, aber oft zwang man sie
auch von einem Ort zum andern, bis sie wieder nach London
zurückkehren mußten.
Ich habe, seit ich diese Geschichte von John und seinem Bruder
kannte, weiter herumgehört und erfahren, daß eine Menge von den
armen, bedrängten Menschen, wie oben, nach jeder Richtung aufs Land
geflohen waren; und manche von ihnen hatten kleine Schuppen und
Scheunen und Vorwerke, um darin zu leben; und sie haben sehr viel
Entgegenkommen von den Landbewohnern finden können und besonders,
wenn sie eine auch nur notdürftig zufriedenstellende Auskunft über
sich geben konnten und vor allem, wenn sie nicht zu spät von London
aufgebrochen waren.
Andere wiederum, und ihre Zahl war groß, bauten sich kleine Hütten
und Notwohnungen in den Feldern und Wäldern, oder lebten wie
Einsiedler in Höhlen und Erdlöchern oder sonst an einem Platz, den
sie finden konnten, und sie litten dort, das ist sicher, große Not,
so sehr, daß viele von ihnen wieder umkehren mußten, wie groß auch
immer die Gefahr war; und so fanden sich diese kleinen Hütten oft
leer, und die Landleute nahmen an, daß ihre Bewohner tot, an der
Pest gestorben, darin lägen, und wagten sich aus Furcht nicht in
die Nähe, nein, noch eine ganze Zeit nicht; und es ist auch gar
nicht unwahrscheinlich, daß mancher von den unglücklichen
Herumirrenden so ganz allein gestorben sein mag, manchmal
vielleicht einfach aus Mangel an Hilfe, so wie man zum Beispiel in
einer solchen Hütte einen Mann tot auffand, und auf einem Feldtor
ganz in der Nähe waren mit seinem Messer in ungleichmäßigen
Buchstaben die folgenden Worte eingekerbt, aus denen man entnehmen
mag, daß einer von ihnen davongekommen ist oder daß einer starb und
von dem andern beerdigt wurde, so gut es ging:
»s’St ein ELEnD, wir Sind AM eNd, AllE BeIdE.«
Ich habe schon davon gesprochen, was ich über die Verhältnisse, die unter den seefahrenden Leuten den Fluß hinab herrschten, erfahren konnte; wie die Schiffe vom Ufer ablagen, in Reihen hintereinander aufgereiht, die ganze Strecke vom Pool hinunter, so weit ich sehen konnte. Man hat mir erzählt, sie lagen auf gleiche Art gar bis nach Gravesend hinab und manche noch weit darüber hinaus, eigentlich überall oder jedenfalls überall dort, wo sie vor Wind und Wetter Sicherheit fanden; auch habe ich nicht gehört, daß die Pest jemals einen der Menschen an Bord dieser Schiffe erreicht hat, außer bei denen, die oben im Pool lagen, oder noch weiter oberhalb wie bei Deptford Reach, und diese Leute gingen freilich auch oft an Land, in die kleinen Städte und Dörfer und auf die Gutshöfe, um frische Lebensmittel, Geflügel, Schweine, Kälber und so fort für ihre Verpflegung zu kaufen.
Ebenso erfuhr ich, daß die Fährleute auf dem Fluß oberhalb der Brücke alles daransetzten, um sich, den Fluß hinauf, so weit sie konnten, fortzubegeben und daß viele von ihnen ihre ganzen Familien auf den Booten hatten, die sie mit Dächern aus Segeltuch verdeckten und zum Schlafen innen mit Stroh auslegten, und daß sie so das ganze Ufer bei den Marschen entlang lagen; einige bauten sich aus ihren Segeln kleine Zelte und blieben in ihnen den Tag über am Ufer, und abends gingen sie wieder in die Boote; und auf diese Weise waren die Flußufer, so habe ich gehört, mit Booten und Menschen gesäumt, solange sie nur etwas zum Leben hatten oder auf dem Lande bekommen konnten; und die Leute auf dem Lande waren in der Tat sehr bereitwillig, sowohl die Herrschaften wie die anderen, in diesen und anderen Fällen zu helfen, sie waren jedoch keineswegs willens, sie in ihre Städte und Häuser aufzunehmen, was man ihnen auch nicht verdenken kann.
Da war ein unglücklicher Zeitgenosse, von dem ich Kenntnis erhielt; er war auf grauenvolle Weise heimgesucht worden, dergestalt, daß seine Frau und seine Kinder tot waren, und nur er und zwei Hausmägde übrig, nebst einer ältlichen Frau, einer nahen Verwandten, die sie alle, die jetzt gestorben waren, nach Kräften gepflegt hatte. Dieser kummerbeladene Mann ging auf ein Dorf, das nahe der Stadt lag, aber nicht mehr zu ihrem Verwaltungsgebiet gehörte, und da er ein leeres Haus fand, erkundigte er sich nach dem Eigentümer und kaufte das Haus. Ein paar Tage später bestellte er einen Wagen, ließ ihn mit Sachen beladen und sie zu dem Haus hinfahren; die Dorfbewohner wehrten sich dagegen, daß er mit dem Wagen angefahren kam, aber nach einigem Streit und mit etwas Nachdruck brachten die Männer, die den Wagen fuhren, ihn durch die Straße und bis vor die Tür des Hauses. Dort gebot ihnen der Konstabler erneut Einhalt und wollte ihnen nichts hineinzutragen erlauben. Der Mann ließ die Sachen abladen und vor die Tür stellen und schickte den Wagen fort; darauf schleppten sie den Mann vor einen Friedensrichter; das heißt, sie forderten ihn auf zu gehen, und er tat es. Der Richter gebot ihm, die Sachen mit dem Wagen wieder abfahren zu lassen, was er ablehnte; daraufhin befahl der Richter dem Konstabler, die Männer mit dem Wagen zu verfolgen und zurückzubringen, und sie die Sachen wieder aufladen und wegfahren zu lassen oder sie in den Block zu spannen, bis sie gefügig würden; und wenn man sie nicht mehr finden könne und der Mann auch nicht zugebe, daß man seine Sachen fortschaffe, dann solle man sie an Haken von der Haustür fortschleifen und auf der Straße verbrennen lassen. Der arme Mann ließ hierauf in seiner Bedrängnis die Sachen wieder abholen, indem er sich laut und jammervoll über die Härte seines Fall beklagte. Es half ihm nichts; Selbsterhaltung nötigte die Leute zu solchen strengen Maßnahmen, an denen ihnen unter anderen Umständen nie gelegen gewesen wäre. Ob dieser arme Mann gestorben ist oder überlebte, kann ich nicht sagen, aber es hat geheißen, daß er zu der Zeit schon die Pest am Leibe hatte; und vielleicht hat man das nur gesagt, um die Art, wie man mit ihm verfuhr, zu rechtfertigen; es war nicht unwahrscheinlich, daß entweder er oder seine Sachen oder beides Gefahr bedeuteten, wo doch erst so kürzlich seine ganze Familie der Seuche erlegen war.
Ich weiß, man hat den Einwohnern der London benachbarten Städte viele Vorwürfe gemacht ob ihrer Grausamkeit gegen die armen Menschen, die in ihrer Bedrängnis vor der Ansteckung davonrannten, und viele sehr harte Dinge sind geschehen, wie schon aus dem zu ersehen ist, was bisher erzählt wurde; ich muß aber auch hinzufügen, daß, wo immer es anging, den Menschen ohne offensichtliche eigene Gefahr wohltätigen Beistand zu leisten, man gern und willig geholfen und gespendet hat. Da jede Ortschaft tatsächlich Richter in eigener Sache war, so wurden die armen Menschen, die in ihrer Hilflosigkeit hinausgelaufen waren, oft übel behandelt und wieder in die Stadt zurückgetrieben; und das führte zu einer endlosen Reihe von lauten Beschwerden und Ausfällen gegen die Landstädte und machte solches Geschimpfe sehr populär.
Und dennoch, trotz aller Vorsicht gab es, mehr oder weniger, keine einzige Ortschaft von einiger Bedeutung innerhalb von zehn (oder, wie ich glaube, zwanzig) Meilen im Umkreis der Stadt, die nicht, mehr oder weniger, infiziert wurde und ihre Toten hatte. Von einigen habe ich die Listen gesehen, wie sie aufgezeichnet wurden, zum Beispiel:
In Enfield
˝ Hornsey
˝ Newington
˝ Tottenham
˝ Edmonton
˝ Barnet und
˝ Hadleigh
˝ St. Alban
˝ Watford
˝ Uxbridge
˝ Hertford
˝ Ware
˝ Hoddesdon
˝ Waltham-Abbey ˝ Epping
32 In Deptford 623 58 ˝ Greenwich 231 17 ˝ Eltham und Lusum 85 42 ˝
Croydon 61 19 ˝ Brentwood 70
˝ Romford 109
43 ˝ Barking Abbot 200
121 ˝ Brentford 432
45 ˝ Kingston 122
117 ˝ Staines 82
90 ˝ Chertsey 18
160 ˝ Windsor 103
30 cum aliis
23
26
Noch etwas anderes kann es gewesen sein, was die Leute auf dem Land so streng mit den Stadtbürgern umgehen ließ, und besonders mit den ärmeren, und das war, was ich vorher schon angedeutet habe, nämlich daß da eine scheinbare Neigung oder gar ein böser Hang bei denen, die angesteckt waren, bestand, die andern anzustecken.
Es sind große Debatten unter unseren Ärzten gehalten worden, was den Grund dafür angeht. Einige meinen, daß es in der Natur der Krankheit liege und daß sie jeden, der von ihr ergriffen worden ist, mit einer Art von Raserei erfüllt und mit einem Haß auf die eigene Art, als ob da eine Bosheit aufbreche, nicht nur in der Seuche, sich weiter mitzuteilen, sondern in der Natur des Menschen selbst, die ihn, mit einem üblen Willen oder dem bösen Blick, dazu bringt, daß er – wie man es von einem tollwütigen Hund sagt, der, obwohl vorher die sanfteste Kreatur seiner Art – dann doch über den ersten, der vorbeikommt, herfällt und ihn beißt, und nicht nur solche, sondern auch jemand, dem er bislang ergeben gehorchte.
Andere machten die Verderbnis der menschlichen Natur verantwortlich, die es nicht ertragen könne, sich selbst elender als andere seiner eigenen Spezies zu wissen, und von so etwas wie dem unfreiwilligen Wunsch beseelt sei, alle Menschen möchten so unglücklich oder in einer so schlimmen Lage sein wie sie selbst.
Andere wieder meinen, es sei nur eine Art von Verwirrung gewesen, in der sie nicht wußten und nicht achteten, was sie taten, und infolgedessen unbekümmert um Gefahr oder Sicherheit waren, nicht nur für andere in ihrer Umgebung, sondern auch für sich selbst. Und freilich, wenn Menschen einmal so weit sind, sich gehenzulassen und sich nicht mehr um Gefahr oder Sicherheit für sich selbst zu kümmern, dann kann man sich nicht so sehr wundern, wenn sie sich auch um anderer Leute Sicherheit nicht sorgen.
Ich aber entschied mich bei dieser gewichtigen Frage für eine Antwort und Lösung, die das Ganze aus einem anderen Gesichtspunkt betrachtete, indem ich sagte: Ich leugne die Voraussetzung. Im Gegenteil, sagte ich, die Tatsachen verhalten sich in Wirklichkeit so, daß dies eine allgemeine Beschwerde war, die von den Bewohnern der anliegenden Dörfer gegen die Stadtbürger erhoben wurde, um jene Härten und Unnachgiebigkeiten, von denen so viel die Rede war, zu rechtfertigen oder wenigstens zu entschuldigen; und so kann man sagen, sie beklagten sich übereinander, weil beide Seiten gegeneinander im Unrecht waren; das heißt, die Städter drängten zuerst, obschon sie die Pest am Leibe hatten, in der Zeit der Not gastliche Aufnahme zu finden und beklagten sich dann über die Grausamkeit und Ungerechtigkeit der Landbevölkerung, die ihnen den Zutritt verwehrte und sie mit Hab und Gut und Familie wieder zurückzugehen zwang; und die Landbewohner fühlten sich überrumpelt von den Städtern, die gewissermaßen bei ihnen einbrachen, ohne viel zu fragen, und beschwerten sich nun, die Pestkranken seien nicht nur rücksichtslos gegen andere gewesen, sondern hätten es sogar darauf abgesehen, sie anzustecken; keines von beiden war wirklich war, das heißt, jedenfalls nicht so, wie man es ausmalte.
Es spricht zwar manches für den Alarm, der auf dem Land häufig gegeben wurde, daß die Leute Londons entschlossen seien, mit Gewalt herausgezogen zu kommen, nicht nur um sich zu sättigen, sondern um zu plündern und zu rauben; oder wenn es hieß, sie liefen ohne jede Kontrolle mit der Pest im Leibe auf den Straßen herum; und niemand sorge dafür, daß Häuser gesperrt würden, um die Kranken zu hindern, die Gesunden anzustecken; während man doch, um den Londonern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sagen muß, daß nichts von alledem vorgekommen ist, außer in solch besonderen Fällen wie ich oben erwähnte, oder in ähnlichen. Es wurde vielmehr alles mit solcher Sorgfalt geregelt, und unter der Obhut des Lordbürgermeisters und der Stadträte, in den Außenbezirken der Friedensrichter und Gemeindevorsteher usw., wurde in Stadt und Vororten so mustergültig Ordnung gehalten, daß London allen Städten der Welt ein Vorbild sein kann für die gute Regierung und die ausgezeichnete Ordnung, die überall aufrechterhalten wurde, auch zu der Zeit des heftigsten Wütens der Seuche und als die Leute in der äußersten Bedrängnis und Bestürzung waren. Aber hierüber werde ich an gegebener Stelle sprechen.
Eines, das muß bemerkt werden, war hauptsächlich der Klugheit der Behörden zu verdanken und sollte zu ihren Ehren erwähnt werden, nämlich die Mäßigung, die sie bei der großen und schwierigen Aufgabe des Absperrens der Häuser übten. Es ist wahr, das Absperren der Häuser war, wie ich schon sagte, ein Gegenstand großen Unmuts, und ich kann sagen, zu der Zeit der einzige Gegenstand des Unmuts unter den Leuten; denn das Einschließen der Gesunden im gleichen Haus mit den Kranken wurde als eine fürchterliche Maßnahme angesehen, und die Klagen der so Eingeschlossenen waren sehr belastend. Man konnte sie bis auf die Straße hören, und manchmal waren sie so, daß sie Empörung auslösten, wenn auch häufiger Mitgefühl. Es gab für sie keine andere Möglichkeit, mit einem ihrer Freunde zu sprechen, als vom Fenster aus, und dort erhoben sie dann ein so eindringliches Wehklagen, daß sie denen, mit denen sie sprachen, oft das Herz bewegten, und auch anderen, die im Vorbeigehen von ihrem Leid hörten; und da diese Klagen sich oft gegen die Starrköpfigkeit, und oft Unverschämtheit der Wachmänner richteten, die vor ihrer Tür postiert waren, so fiel die Antwort dieser Wachmänner anzüglich genug aus, und die Leute, die von der Straße zu den besagten Familien sprachen, konnten auf Beleidigungen gefaßt sein; dafür und für ihre Schikanen gegen die Familien sind sieben oder acht von ihnen, glaube ich, an verschiedenen Orten umgebracht worden; ich weiß nicht, ob ich sagen soll: ermordet worden oder nicht, denn ich kann auf die einzelnen Fälle nicht eingehen. Zwar waren diese Wachmänner im Dienst und versahen den Posten, auf den sie von einer gesetzlichen Autorität gestellt worden waren; und einen öffentlichen Ordnungsbeamten bei der Ausübung seines Dienstes zu töten, wird, in der Sprache des Rechtes, immer Mord genannt. Aber sie waren ja durch die obrigkeitliche Bestallung oder durch den Auftrag, unter dem sie handelten, nicht berechtigt, zu den Leuten, die unter ihrer Bewachung standen, oder zu irgend jemand, der sich um sie kümmerte, beleidigend und ausfällig zu sein; so konnte man, wenn sie das taten, sagen, das waren sie selbst und nicht ihr Amt, sie handelten als private Personen, nicht als öffentliche Bedienstete; und, folgerichtig, wenn sie sich durch so ungehöriges Benehmen etwas zuschulden kommen ließen, so fiel diese Schuld auf ihr eigenes Haupt; und sie hatten in der Tat so sehr die empörten Flüche des Volkes auf sich geladen, ob verdient oder nicht, daß, was immer ihnen zustieß, sie niemand bemitleidete und jedermann geneigt war zu sagen, es geschehe ihnen recht, was es auch war. Auch kann ich mich nicht entsinnen, daß je einer für das, was den Wachmännern bei den Häusern angetan wurde, bestraft worden wäre, jedenfalls nicht so, daß es der Rede wert war.
Welch eine Vielfalt von Listen man anwandte, um aus den gesperrten Häusern zu entweichen und hinauszugelangen, auf welche Weise man die Wachmänner täuschte oder überwältigte und dann davonkam, habe ich bereits aufgezeichnet und werde nichts mehr darüber sagen. Aber das muß ich sagen, die Behörden haben wirklich in vielen Fällen etwas für die Familien getan und sich ihrer angenommen, und besonders dadurch, daß sie aus solchen Häusern die Kranken, wenn sie einverstanden waren, entweder in das Pesthaus oder sonst an einen Ort wegschaffen ließen oder dafür die Erlaubnis gaben; manchmal willigten sie auch ein, daß die nichtkranken Personen einer Familie, wenn die Auskunft über sie lautete, sie seien gesund, wegzogen; sie mußten dann nur in dem Haus, zu dem sie sich begaben, so lange in Quarantäne bleiben, wie man es von ihnen verlangte.
Auch die Mühe, die man sich bei den Behörden gab, arme Familien, die befallen waren, zu versorgen – mit dem Notwendigen zu versorgen, sage ich, mit Arznei sowohl wie Nahrung – , war groß, und man begnügte sich dabei nicht damit, den dafür bestellten Beamten die erforderlichen Anordnungen zu geben, sondern die Stadträte kamen in Person und zu Pferde häufig zu solchen Häusern geritten und ließen die Leute an den Fenstern fragen, ob man ihnen gebührlich zu Diensten sei oder nicht; und auch, ob sie etwas Dringendes brauchten und ob die Dienstleute immer ihre Botschaften überbracht und eingeholt hätten, was sie wünschten, oder nicht. Und wenn sie mit ja antworteten, war alles in Ordnung; aber wenn sie sich beklagten, sie würden schlecht versorgt und die Dienstleute täten nicht ihre Pflicht oder behandelten sie unhöflich, dann wurden sie (die Dienstleute) meistens entfernt und andere an ihre Stelle gesetzt.
Zwar mochten solche Beschwerden ungerechtfertigt sein, und wenn der Dienstmann Beweise zur Hand hatte, um den Obrigkeitsvertreter zu überzeugen, daß er im Recht war und die Leute ihm Unrecht getan hatten, dann blieb er im Amt, und sie wurden zurückgewiesen. Aber eine genaue Untersuchung war hier nicht gut möglich, denn die Parteien konnten auf der Straße und vom Fenster aus nur sehr schlecht Rede und Antwort stehen, so wie die Dinge nun einmal lagen. Die Obrigkeitsvertreter entschieden sich deshalb dafür, im allgemeinen eher den Leuten recht zu geben und den Dienstmann abzusetzen, weil das immer noch das geringere Übel war und die weniger schlimmen Folgen hatte; wenn man sah, daß dem Dienstmann Unrecht geschehen war, konnte man ihn leicht dafür entschädigen, indem man ihm einen anderen Posten der gleichen Art gab; wenn hingegen die Familie zu leiden hatte, gab es nichts, um es wiedergutzumachen, und der Schaden war vielleicht nicht mehr zu beheben, da es ja um ihr Leben ging.
Die verschiedensten solcher Fälle ereigneten sich immer wieder zwischen den Wachmännern und den eingesperrten Leuten, abgesehen davon, was ich vorher über das Entweichen erwähnte. Da waren die Wachmänner manchmal abwesend, manchmal betrunken, manchmal eingeschlafen, wenn die Leute sie brauchten, und so etwas wurde immer unweigerlich schwer bestraft, wie es auch recht war.
Aber trotz allem, was in diesen Fällen geschah oder hätte geschehen können, brachte das Absperren der Häuser – so daß, wer gesund war, mit denen, die krank waren, zusammen festgesetzt wurde – große Unzuträglichkeiten mit sich, von denen man manche wahrhaft tragisch nennen muß und die der näheren Betrachtung wert gewesen wären, hätte der Raum dafür ausgereicht. Aber das Gesetz hatte es so bestimmt, es hatte als seinen hauptsächlichen Zweck das öffentliche Wohl im Auge, und all das Unrecht, das bei seiner Ausführung den einzelnen zugefügt wurde, muß auf Rechnung des öffentlichen Wohlergehens gesetzt werden.
Es ist bis auf den heutigen Tag zweifelhaft, ob dies, im ganzen gesehen, irgend etwas dazu beigetragen hat, die Infektion aufzuhalten, und ich kann allerdings nicht sagen, daß es das getan hätte, denn nichts glich der Wut und der Raserei, mit der die Infektion zu der Zeit um sich griff, wo sie am heftigsten war, und das obwohl die befallenen Häuser so zuverlässig und so wirksam abgesperrt waren, wie es nur möglich war. Sicher ist, daß, wenn alle befallenen Personen wirklich eingeschlossen worden wären, kein Gesunder hätte von ihnen angesteckt werden können, weil sie ihm gar nicht nahegekommen wären. Aber die Sache war so, und ich will das hier nur erwähnen, nämlich, daß die Infektion sich unmerklich fortpflanzte und zwar durch solche Personen, die nicht sichtbarlich befallen waren und die weder wußten, wen sie ansteckten, noch von wem sie angesteckt worden waren.
Ein Haus in Whitechapel war um einer erkrankten Magd willen geschlossen worden, die nur Flecken hatte, die Anzeichen waren bei ihr noch nicht hervorgetreten, und sie wurde gesund; doch diese Leute erhielten nicht die Erlaubnis, sich hinauszurühren, weder um Luft zu schöpfen, noch um sich Bewegung zu verschaffen, vierzig Tage lang. Mangel an frischer Luft, Furcht, Zorn, Streitereien und all die anderen kummervollen Begleiterscheinungen solch einer ärgerlichen Behandlung stürzten die Dame des Hauses in ein Fieber, und Visitatoren kamen ins Haus und sagten, es sei die Pest, obwohl die Ärzte erklärten, sie sei es nicht.
Jedoch die Familie wurde gezwungen, ihre Quarantäne von neuem zu beginnen, nur auf den Bericht des Visitators oder Gesundheitsinspektors hin, obwohl an ihrer vorigen Quarantäne nur noch wenige Tage bis zum Ende fehlten. Dies bedrückte sie so mit Zorn und Gram und schränkte sie räumlich so sehr, wie auch schon vorher, ein, und dazu dieser Mangel an frischer Luft zum Atmen, daß die meisten der Familie krank wurden, der eine an diesem Gebrechen, der andere an jenem, in der Hauptsache an Skorbut-Krankheiten; nur einer bekam eine heftige Kolik; bis, nach mehreren Verlängerungen ihrer Quarantäne, irgend jemand, der mit den Visitatoren, als sie die Kranken inspizieren kamen, mitging, in der Hoffnung, ihre Freigabe zu erwirken, die Pest ins Haus mitbrachte und sie alle ansteckte, und die meisten von ihnen starben, nicht als hätten sie schon vorher die Pest gehabt, sondern weil ihnen Menschen, die sie mit aller Vorsicht davor hätten schützen sollen, die Pest ins Haus brachten. Und so etwas geschah häufig, und es war in der Tat eine der schlimmsten Folgen des Absperrens von Häusern.
Mir wurde um diese Zeit ein kleines Ungemach auferlegt, das mich zuerst sehr besorgt und bekümmert machte, mich jedoch, wie sich herausstellte, keinem großen Unheil aussetzte; und das war, daß ich von dem Stadtrat von Portsoken Ward zu einem der Gesundheitsinspektoren für die Häuser meines Reviers ernannt worden war. Wir waren eine große Pfarre und hatten nicht weniger als achtzehn Gesundheitsinspektoren, wie unsere amtliche Bezeichnung lautete; die Leute nannten uns Visitatoren. Ich bemühte mich mit allen Kräften, von einer solchen Ernennung freizukommen, und brachte bei des Stadtrats Stellvertreter viele Gründe vor, um mich auszureden; insbesondere führte ich an, daß ich ganz gegen das Absperren der Häuser eingestellt sei und daß es eine große Härte sein würde, mich in den Dienst einer Sache zu zwingen, die meiner Anschauung zuwiderlaufe und von der ich ernstlich glaubte, daß sie dem Zweck, für den sie gedacht war, nicht entspreche; aber das einzige Zugeständnis, das ich erreichen konnte, war, daß, während man gewöhnlich vom Lordbürgermeister für die Dauer von zwei Monaten auf diesen Posten berufen wurde, ich nur auf drei Wochen verpflichtet sein sollte, ihn auszufüllen, unter der Bedingung jedoch, daß ich dann einen geeigneten Stellvertreter fände, der die übrige Zeit für mich ableistete, und das war, kurz gesagt, ein sehr geringes Entgegenkommen, da es sehr schwer war, irgend jemand dazu zu bringen, ein solches Amt anzunehmen, der auch fähig war, damit betraut zu werden.
Das Absperren der Häuser hatte allerdings eine Wirkung, die, dessen bin ich mir bewußt, von Bedeutung war, nämlich daß auf diese Weise die befallenen Leute festgehalten wurden, die sonst große Unruhe und Gefahr gebracht hätten, indem sie mit der Krankheit im Leibe in den Straßen umhergelaufen wären, und das hätte sich, wenn sie erst im Delirium waren, auf das furchtbarste ausgewirkt, wie sich zu Anfang schon sehr deutlich zeigte, bevor sie noch so festgehalten wurden; ja, so rückhaltlos waren sie damals, daß sie, wenn sie arm waren, herumgingen und an den Haustüren bettelten und erklärten, sie hätten die Pest, und um Lappen baten, um sich zu verbinden, oder was ihnen sonst im Zustand des Deliriums einfiel.
Eine unglückselige vornehme Dame, die Frau eines begüterten Bürgers, wurde (wenn die Geschichte wahr ist) von einem dieser Menschen auf der Aldersgate Straße ermordet, oder dort herum. Er ging, zweifellos völlig von Sinnen, die Straße entlang und sang; die Leute meinten, er sei nur betrunken, aber er selber sagte, er habe die Pest, was, so scheint es, zutraf; und als er dieser Dame begegnete, wollte er sie küssen. Sie war furchtbar erschrocken, da er ein sehr ungehobelter Geselle war, und sie lief vor ihm davon, aber die Straße war sehr menschenleer und niemand nahe genug, um ihr zu helfen. Als sie bemerkte, daß er sie einholen werde, wandte sie sich um und versetzte ihm mit solcher Gewalt einen Stoß, daß er, schwach wie er war, rücklings zu Boden stürzte. Aber unglücklicherweise war sie ihm so nahe, daß er sie ergreifen konnte und sie hinunterzog, und er kam vor ihr wieder hoch, überwältigte sie und küßte sie; und, was das Schlimmste war, nachdem er es getan hatte, sagte er ihr, er habe die Pest und warum solle nicht auch sie sie haben, so wie er sie habe? Sie war vorher schon erschrocken genug gewesen, zumal sie gerade schwanger war; aber als sie ihn sagen hörte, er habe die Pest, schrie sie laut auf und verfiel in eine Ohnmacht oder vielmehr in einen Herzanfall, an dem sie, obwohl sie sich ein wenig erholte, in nur wenigen Tagen starb, und ich habe nie gehört, ob sie die Pest hatte oder nicht.
Ein anderer befallener Mann kam und klopfte an der Haustür eines Mitbürgers, wo man ihn sehr gut kannte; der Diener ließ ihn ein, und er, als er hörte, der Hausherr sei oben, rannte hinauf und trat in den Raum, wo die ganze Familie gerade beim Abendessen war. Sie standen zuerst auf, ein wenig überrascht, da sie nicht wußten, was los war, aber er hieß sie ruhig sitzen bleiben, er sei nur gekommen um von ihnen Abschied zu nehmen. Sie fragten ihn: »Aber Mr. –, wo wollen Sie hin?« »Wollen?« sagte er, »ich habe die Krankheit und werde morgen abend sterben.« Man kann sich vorstellen, wenn auch nicht beschreiben, in welcher Bestürzung sie alle waren. Die Frauen und Töchter des Hauses, noch ganz junge Mädchen, waren beinahe zu Tode erschrocken und sprangen auf, die eine zu dieser Tür hinausrennend, die andere zu jener, die einen treppauf, die anderen treppab, und als sie sich wieder einigermaßen zusammengefunden hatten, schlossen sie sich in ihre Zimmer ein und schrien zum Fenster hinaus um Hilfe, als hätten sie vor Schreck den Verstand verloren. Der Hausherr, ein wenig gefaßter als sie, obgleich auch sowohl entsetzt wie gereizt, wollte schon Hand an ihn legen und ihn in seiner Wut die Treppe hinunterwerfen, aber dann überlegte er doch ein wenig, in welchem Zustand sich der Mann befand und wie gefährlich es wäre, ihn anzufassen, und ein Schauder packte ihn, und er stand still wie vom Schlag gerührt. Der arme Mensch, im Kopfe ebenso krank wie am Körper, stand die ganze Zeit ebenso still, als habe es ihm die Sprache verschlagen. Schließlich wandte er sich um und sagte: »Ach!« mit aller scheinbaren Ruhe, die man sich vorstellen kann, »steht es so mit euch allen? Störe ich euch alle etwa? Nun, ich kann auch nach Hause gehen und dort sterben.« Und so ging er sofort hinunter. Der Diener, der ihn eingelassen hatte, ging ihm mit einer Kerze nach, fürchtete sich jedoch, an ihm vorbeizugehen und ihm die Tür zu öffnen, und blieb darum auf der Treppe stehen, um zu sehen, was er tun würde. Der Mann ging und öffnete die Tür und ging hinaus und warf die Tür hinter sich zu. Es hat eine ganze Weile gedauert, bis die Familie sich von dem Schrecken erholte, aber da sich keine üblen Folgen einstellten, haben sie Gelegenheit gehabt, davon später, und das kann man glauben, mit großer Genugtuung zu sprechen.
Obschon der Mann gegangen gewesen sei, habe es einige Zeit gedauert, ja, so wurde es erzählt, einige Tage, bevor sie sich von der Aufregung, in der sie gewesen seien, erholt hätten; und sie hätten sich im Hause nicht wieder wohlgefühlt, bevor sie nicht alle möglichen Sorten von Räucherwerk in jedem Raum abgebrannt hätten und möglichst viel Rauch von Pech, von Schießpulver und von Schwefel entfacht hätten, alle sich einzeln umgekleidet und die Kleider gewaschen hätten und so fort. Was den armen Menschen angeht, so kann ich mich nicht erinnern, ob er leben blieb oder starb.
Es ist völlig sicher, daß, wären die Kranken nicht durch die Absperrungen in den Häusern festgehalten worden, Scharen von ihnen, die bei hohem Fieber im Delirium und wahnsinnig waren, ständig die Straßen auf und ab gelaufen wären; und auch so tat das eine ganze Anzahl von ihnen und bedrohte jeden, den sie trafen, mit aller Art von Gewalttätigkeit, genau so wie ein tollwütiger Hund drauflosrennt und jeden, den er trifft, beißt; auch kann ich nicht daran zweifeln, daß, hätte eines dieser von der Krankheit vergifteten Geschöpfe, während es von der Raserei der Seuche erfaßt war, irgendeinen Mann oder irgendeine Frau gebissen, diese, ich meine die so verwundete Person wäre ebenso sicher unheilbar infiziert gewesen, wie jemand, der schon vorher krank war und die Anzeichen am Leibe trug.
Ich hörte von einem befallenen Menschen, der außerhalb des Bettes im Hemd, so schmerzten und peinigten ihn die Geschwülste, von denen er drei am Körper hatte, herumlief und die Schuhe anzog und den Rock anlegen wollte, woran ihn aber die Krankenschwester hinderte, indem sie ihm den Rock entriß; da warf er sie zu Boden, überrannte sie, lief die Treppe hinab und im Hemd auf die Straße und geradewegs auf die Themse zu; die Krankenschwester lief hinter ihm her und rief der Wache zu, ihn aufzuhalten; aber der Wachmann fürchtete sich und hatte Angst, ihn anzufassen, und ließ ihn laufen; er rannte darauf die Stillyard Treppe hinab, riß sich das Hemd vom Leibe, sprang in die Themse, und, guter Schwimmer der er war, schwamm er bis ganz hinüber; und da die Flut gerade hereinkam, wie man es nennt, das heißt, der Strom nach Westen floß, erreichte er das andere Ufer erst bei den Falcon Treppen; er stieg an Land, und da er dort zu der nächtlichen Stunde niemand sah, rannte er, nackt wie er war, eine gute Weile durch die Straßen, bis er dann, das Wasser stand mittlerweile hoch, wieder in den Fluß stieg und zum Stillyard zurückschwamm, an Land ging, die Straße wieder hinauf bis zu seinem Hause lief, an die Tür klopfte, die Treppe hinauf und in sein Bett ging; und diese Schreckenskur soll ihn von der Pest geheilt haben, das heißt, die heftige Bewegung seiner Arme und Beine habe die Stellen, wo er die Geschwülste hatte, gedehnt, nämlich unter den Armen und an den Lenden, und habe sie zur Reife gebracht, so daß sie aufbrachen, und das kalte Wasser habe das Fieber in seinem Blut niedergeschlagen.
Ich habe nur noch hinzuzufügen, daß ich dies genau so wenig wie manches andere als Tatsache aus meiner eigenen Erfahrung berichte, für deren Wahrheit ich einstehen könnte, und besonders den Umstand nicht, daß der Mann durch sein sonderbares Abenteuer geheilt worden sei, was mir, muß ich gestehen, nicht recht glaubhaft vorkommt; aber es mag zur Bestätigung dienen, daß die Leidenden, wenn sie ins Delirium kamen oder, wie wir sagen, ihnen der Kopf zu leicht wurde, häufig auf die verrücktesten Dinge verfielen; und wie unendlich viel mehr davon hätte es gegeben, wenn diese Menschen nicht durch das Absperren der Häuser festgehalten worden wären; und das war meiner Meinung nach das Beste, wenn nicht das einzige Gute überhaupt, was bei dieser strengen Methode herauskam.
Andererseits waren die Klagen und das Murren gegen die Sache selbst sehr bitter. Es pflegte allen, die vorbeigingen, das Herz zu zerreißen, wenn sie die erbarmungswürdigen Schreie jener befallenen Menschen hörten, die vor Heftigkeit der Schmerzen oder Hitze des Blutes von Sinnen waren und entweder eingeschlossen oder vielleicht an Bett und Stühlen festgebunden, damit sie sich nicht wehtun könnten; und sie erhoben immer ein grauenhaftes Jammergeschrei, daß man sie einsperre und ihnen nicht erlaube, in Freiheit zu sterben, wie sie es nannten, und wie sie es sonst getan hätten.
Dies Umherlaufen der kranken Personen auf der Straße war sehr arg, und die Behörden taten ihr Äußerstes, um es zu unterbinden; aber da es gewöhnlich nachts und immer ganz plötzlich war, daß solche Versuche gemacht wurden, konnten die Beamten nicht immer zur Hand sein, um es zu verhindern; und auch wenn am Tage Kranke herausgelangten, waren die zuständigen Beamten nicht geneigt, sich mit ihnen einzulassen, denn da sie alle, wenn sie erst in dieses Stadium kamen, schwer verseucht waren, waren sie noch ansteckender als gewöhnlich und sie anzufassen gehörte zum Gefährlichsten, was man tun konnte. Sie hingegen rannten meist einfach drauflos, ohne zu wissen, was sie taten, bis sie tot umfielen oder bis sie sich so erschöpft hatten, daß sie hinsanken und dann vielleicht in einer halben Stunde oder einer Stunde starben; und, was am mitleiderregendsten zu hören war, sie kamen mit Bestimmtheit innerhalb dieser halben Stunde oder Stunde wieder völlig zu sich und erhoben dann ganz gramvolle und durchdringende Schreie und Klagerufe, wenn sie sich in tiefem Schmerz ihres Zustandes bewußt wurden. Dies kam besonders häufig vor, ehe die Verordnung über das Versperren der Häuser so strikt durchgeführt wurde, denn zu Anfang waren die Wachmänner nicht so unnachsichtig und streng darin, die Leute drinnen zu halten, wie sie es später waren; das heißt, bevor sie, ich meine einige von ihnen, schwer dafür bestraft wurden, daß sie ihre Pflicht vernachlässigten und die Leute, die unter ihrer Obhut standen, davonschlüpfen ließen oder ein Auge zudrückten, wenn sie außer Hauses gingen, ob gesund oder krank. Aber als sie merkten, daß die Beamten, die ihr Verhalten zu kontrollieren hatten, entschlossen waren, sie zur Erfüllung ihrer Pflicht anzuhalten oder sie für ihre Nachlässigkeit zu bestrafen, nahmen sie es genauer, und die Leute wurden streng abgeschlossen; das aber nahmen die so übel und ertrugen es mit solchem Widerstreben, daß man die Äußerungen ihres Unmuts kaum beschreiben kann. Aber es bestand eine absolute Notwendigkeit dafür, das muß man zugeben, es sei denn, man hätte beizeiten andere Maßnahmen ergriffen, und dafür war es jetzt zu spät.
Wäre gerade dieses, daß die Kranken, wie geschildert, abgesondert wurden, damals bei uns nicht durchgeführt worden, London wäre der schreckensreichste Ort gewesen, den es je auf der Welt gegeben hat; es wären, nach menschlichem Ermessen, ebensoviele Menschen auf der Straße gestorben wie jetzt in den Häusern starben; denn als die Seuche auf ihrem Höhepunkt war, machte sie gewöhnlich wahnsinnig und irre, und wenn einer das war, dann konnte man ihn nicht mehr anders dazu bringen, im Bett zu bleiben, als mit Gewalt; und viele, die nicht angebunden waren, stürzten sich zum Fenster hinaus, wenn sie bemerkten, daß man sie zur Tür nicht hinausgehen ließ.
Es ist dem Mangel an gegenseitigem Verkehr in dieser Notzeit zuzuschreiben, daß es für eine Einzelperson unmöglich war, zur Kenntnis all der außergewöhnlichen Fälle zu gelangen, die sich in den verschiedenen Häusern abspielten; insbesondere glaube ich, es ist bis auf den heutigen Tag niemals bekannt geworden, wieviele Menschen im Delirium sich in der Themse ertränkten und in dem Fluß, der von den Marschen her bei Hackney vorbeikommt und den wir gewöhnlich Ware Fluß oder den Hackney nannten. Was die Angaben auf dem wöchentlichen Sterberegister angeht, so waren es da zwar immer nur wenige; auch konnte man bei denen nie wissen, ob sie durch einen Unfall ertrunken waren oder nicht. Aber ich glaube, ich kann eine größere Anzahl von solchen zusammenrechnen, die in jenem Jahr innerhalb des Bereichs meiner Kenntnis und Beobachtung tatsächlich ertrunken sind, als auf dem Sterberegister insgesamt angegeben wurde, denn viele der Leichen wurden nie gefunden, obwohl die Personen als vermißt bekannt waren; und das gleiche gilt von anderen Arten der Selbstvernichtung. Es gab sogar einen Mann, in der Whitecross Straße oder in ihrer Nähe, der sich selbst in seinem Bett verbrannt hat; die einen sagten, er habe es selbst getan, die anderen meinten, es sei die Bosheit der Krankenwärterin gewesen, die ihn pflegte; aber daß er die Pest hatte, darin waren alle sich einig.
Es war auch eine gnädige Fügung der Vorsehung, und ich habe während der Zeit oft daran denken müssen, daß keine Feuersbrände, oder wenigstens keine größeren, während des Jahres in der Stadt ausbrachen; wenn das nämlich der Fall gewesen wäre, wäre es sehr schrecklich geworden; und die Leute hätten das Feuer entweder einfach brennen lassen müssen oder in großen Ansammlungen und Haufen zusammenkommen, ohne auf die Gefahr der Ansteckung zu achten, ohne sich vor den Häusern in acht zu nehmen, die sie betraten, oder vor den Sachen, die sie anpackten, oder vor den Personen, mit denen sie in Berührung kamen. Aber es war so, daß, ausgenommen das Feuer in der Cripplegate Pfarre und zwei oder drei kleinere Feuersbrünste, die gleich ausgelöscht wurden, kein Unheil dieser Art in dem ganzen Jahr eintraf. Man erzählte uns eine Geschichte von einem Haus an der sogenannten Swan Gasse, die von der Goswell Straße in der Nähe der Mündung der Old Straße auf die St. John Straße führt, dort sei eine Familie so schrecklich von der Krankheit mitgenommen worden, daß sie alle im Hause starben. Der letzte habe tot am Boden gelegen und habe sich, so nimmt man an, dort niedergestreckt, um gerade vor dem Feuer zu sterben; das Feuer sei dann anscheinend aus dem Herd, der voll Holz war, gefallen und habe die Dielen und die Bohlen ergriffen und gerade bis dicht an die Leiche heran weiter gebrannt, habe die Leiche aber nicht berührt, obwohl die Frau wenig mehr als ihr Hemd anhatte, und sei von selber ausgegangen, das übrige Haus unversehrt lassend, obwohl es ein leicht gebautes Holzhaus gewesen sei. Wieviel daran wahr gewesen sein mag, kann ich nicht ausmachen, aber die Stadt, die im nächsten Jahr heftig unter Feuer zu leiden haben sollte, hatte in diesem Jahr von diesem Unheil sehr wenig zu spüren.
In der Tat, wenn man die Wahnsinnszustände bedenkt, in welche die Schmerzensqual die Menschen versetzte, und die vielen verrückten Dinge, welche sie, wie ich erwähnte, verrichteten, sobald man sie in ihrer Tollheit allein ließ – dann kann es einen nur sehr wundernehmen, daß es nicht mehr Unglücksfälle dieser Art gab.
Es ist mir oft die Frage gestellt worden, und ich kann leider nicht sagen, daß ich je eine treffende Antwort darauf zu geben gewußt hätte, wie es kam, daß so viele befallene Leute sich auf offener Straße sehen ließen, während doch zur gleichen Zeit Häuser, welche befallen wurden, mit solcher Wachsamkeit erfaßt und allesamt gesperrt und unter Bewachung gestellt wurden, wie es geschah.
Ich gestehe, ich weiß nicht, welche Antwort ich darauf geben soll, es sei denn die, daß es in einer so großen und dicht bevölkerten Stadt wie der unseren unmöglich war, jedes Haus, das infiziert wurde, sofort als ein solches zu ermitteln, oder alle Häuser, die infiziert wurden, zu sperren; so daß die Leute die Freiheit besaßen, auf den Straßen umherzugehen, eigentlich ohne Einschränkung, wenn sie nicht als zu dem-und-dem befallenen Haus gehörig bekannt waren.
Es ist wahr, daß, wie die verschiedenen Ärzte unserem Lordbürgermeister berichteten, die Ansteckung zu bestimmten Zeiten so rasend um sich griff und die Leute so rasch erkrankten und so schnell starben, daß es unmöglich war und schlechterdings sinnlos, von Haus zu Haus zu gehen und nachzuforschen, wer krank war und wer gesund, oder sie mit aller Genauigkeit, die die Sache erforderte, abzusperren, wo doch beinahe jedes Haus in einer ganzen Straße befallen war und vielerorts manchmal sämtliche Bewohner eines Hauses; und was noch schlimmer war, in der Zeit, bis es bekannt wurde, daß ein Haus befallen war, waren gewöhnlich die meisten der infizierten Personen bereits mausetot und die übrigen, aus Angst eingesperrt zu werden, auf und davon, so daß es wirklich nicht viel Sinn hatte, ein Haus als infiziert zu bezeichnen und es abzusperren, wenn die Seuche bereits ihr gräßliches Werk getan und von dem Hause wieder Abschied genommen hatte, bevor es sich eigentlich herausgestellt hatte, daß die Familie überhaupt in Mitleidenschaft gezogen worden war.
Dies sollte genügen, um jeden vernünftigen Menschen zu überzeugen, daß es nicht in der Macht der Behörden lag oder durch eine noch so kluge menschliche Verfahrensweise zu erreichen war, die Ausbreitung der Seuche zu verhindern, und daß darum dieses Absperren der Häuser ein völlig unzureichendes Mittel zu diesem Zweck war. In der Tat schien es in gar keiner Weise zum Gemeinwohl etwas beizutragen, das gleichgekommen wäre oder in einem Verhältnis gestanden hätte zu der schmerzlichen Last, die es den einzelnen Familien, die so eingesperrt wurden, auferlegte; und soweit ich von der Öffentlichkeit angestellt wurde, diese harte Maßnahme zu leiten, fand ich häufig Gelegenheit zu sehen, daß sie außerstande war, ihrem Zweck zu dienen. Zum Beispiel, wenn ich, wie man es von mir wünschte, als Visitator oder Gesundheitsinspektor bei den einzelnen Familien, welche infiziert waren, nähere Nachforschungen anstellte, kamen wir selten zu einem Haus, wo die Pest sichtbarlich aufgetreten war, ohne daß einige aus der Familie sich bereits auf und davon gemacht hatten. Die Behörden pflegten dies zu verübeln und den Gesundheitsinspektoren vorzuwerfen, sie seien bei ihren Inspektionen und Prüfungen zu lax. Dabei waren die Häuser infiziert, lange bevor man es erfuhr. Nun hatte es mir, nachdem ich erst die Hälfte der mir bestimmten Zeit, welche zwei Monate war, in diesem gefährlichen Amt gewesen war, genügt, um zu der Einsicht zu gelangen, daß wir auf keine andere Art imstande waren, zur Kenntnis des wahren Zustands einer Familie zu kommen, als entweder an der Tür oder bei den Nachbarn nachzufragen. Was nun die Möglichkeit betrifft, in jedes Haus hineinzugehen und es zu durchsuchen, so hätte so etwas keine Obrigkeit den Einwohnern zu bieten gewagt, auch hätte sich kein Bürger dafür bereit gefunden, denn es hätte uns der sicheren Ansteckung und dem Tod ausgesetzt und den eigenen sowohl wie den Ruin unserer Familien bedeutet; auch würde kein rechtschaffener Bürger, und darauf hätte man sich verlassen können, in der Stadt geblieben sein, wenn er solch rücksichtsloser Behandlung unterworfen worden wäre.
Angesichts der Tatsache, daß wir auf keine Art den wahren Sachverhalt erfahren konnten als durch Erkundigungen bei den Nachbarn oder bei der Familie selbst, auf welche Auskünfte kein rechter Verlaß war, mußte unabänderlich die Angelegenheit in ihrer oben geschilderten Ungewißheit verbleiben.
Zwar war ein Familienoberhaupt verpflichtet, dem Gesundheitsinspektor seines Bezirks zwei Stunden, nachdem er es entdeckt hatte, von jeder Person, die in seinem Hause krank wurde, Meldung zu erstatten, das heißt, von jedem, der die Zeichen der Infektion hatte, aber sie fanden so viele Wege, dies zu umgehen und ihre Unterlassung zu entschuldigen, daß sie die Meldung selten erstatteten, bevor sie Maßnahmen ergriffen hatten, jeden, der im Sinne hatte zu entfliehen, aus dem Haus entfliehen zu lassen, ob er nun krank war oder gesund. Solange das so war, ist es leicht einzusehen, daß man sich auf das Sperren der Häuser als eine hinreichende Methode, die Seuche aufzuhalten, keineswegs verlassen konnte, denn, wie ich anderswo schon gesagt habe, viele von denen, die so aus jenen befallenen Häusern davongingen, hatten die Pest längst im Leibe, ob sie auch redlich meinen mochten, gesund zu sein. Und mancher von diesen war es dann, der auf der Straße ging, und plötzlich fiel er um und war tot, nicht weil er plötzlich von der Seuche getroffen war, so wie von einer Kugel, die auf einen Streich tötet, sondern weil er in Wahrheit schon lange vorher die Infektion im Blut gehabt hatte; nur daß sie, da sie im Verborgenen an den Lebenskräften zehrte, erst in Erscheinung trat, als sie mit tödlicher Macht nach dem Herzen griff, und dann starb der Patient in einem Augenblick, wie an einer plötzlichen Ohnmacht oder einem Schlaganfall.
Ich weiß, daß sogar einige unserer Ärzte eine Zeitlang glaubten, jene, die so auf der Straße starben, würden erst in dem Moment erfaßt, wo sie umfielen, als hätte sie ein Schlag vom Himmel getroffen, so wie Menschen vom Blitz getötet werden, aber sie ließen sich dann eines Besseren belehren; denn wenn man an solchen nach ihrem Tode eine Leibesuntersuchung vornahm, fand man immer entweder die Zeichen an ihnen oder andere schlüssige Beweise, daß die Krankheit länger in ihnen wirksam gewesen war, als man hätte vermuten mögen.
Dies war oft der Grund, daß wir Gesundheitsinspektoren, wie gesagt, nicht in Erfahrung bringen konnten, wann die Seuche in einem Hause eingekehrt war, bevor es zu spät war, um es zu sperren, und manchmal hörten wir es erst, nachdem alle, die darin zurückgeblieben waren, tot waren.
An der Petticoat Lane waren zwei Häuser zusammen infiziert worden und mehrere Personen krank; aber es wurde so gut verborgen gehalten, daß der Gesundheitsinspektor, der mein Nachbar war, davon keine Kenntnis erhielt, bis ihm die Meldung überbracht wurde, die Leute seien alle tot und der Totenkarren möge dort vorbeifahren, um sie abzuholen. Die beiden Familienoberhäupter hatten ihre Handlungsweise aufeinander abgestimmt und alles so eingerichtet, daß, wenn der Gesundheitsinspektor in der Nachbarschaft war, sie gewöhnlich dort beide zugleich auftauchten und füreinander Rede standen, das heißt logen; oder sie brachten irgendwen in der Nachbarschaft dazu auszusagen, daß bei ihnen alles wohlauf sei oder jedenfalls nichts anderes bekannt sei; aber dann machte der Tod es unmöglich, das Geheimnis länger zu wahren, und als die Totenkarren in der Nacht zu beiden Häusern gerufen wurden, wußte es jedermann. Aber als der Gesundheitsinspektor den Konstabler die Häuser sperren hieß, da war niemand mehr darin als drei im Sterben Liegende, zwei in einem Haus und einer in dem andern, und in jedem Haus eine Krankenwärterin, die zugeben mußte, daß fünf Personen schon vorher beerdigt worden waren, daß die Häuser seit neun oder zehn Tagen befallen waren und daß, was die übrigen der beiden Familien angeht, deren es viele waren, sie sich davongemacht hätten, manche krank, manche gesund oder ob gesund oder krank ungewiß.
Ähnlich war es in einem anderen Haus der gleichen Straße: Ein Mann, dessen Familie befallen worden war, der aber durchaus nicht willens war, sich einsperren zu lassen, sperrte, als er es nicht mehr länger verheimlichen konnte, sich selbst ein; das heißt, er setzte ein großes rotes Kreuz auf seine Haustür, mit den Worten: »Herr, habe Erbarmen mit uns«, und täuschte so den Gesundheitsinspektor, der glaubte, es sei durch den Konstabler geschehen, auf Anordnung des anderen Gesundheitsinspektors, denn es gab für jeden Bezirk oder Revierkreis deren zwei. Auf diese Weise hatte er freien Austritt und Eintritt aus seinem Haus und wieder hinein, ganz nach Belieben, ungeachtet der Tatsache, daß es befallen war, bis schließlich der Trick herauskam, und dann machte er sich mit dem gesunden Teil seiner Dienerschaft und Familie auf und davon, und so wurden sie tatsächlich nicht eingesperrt.
Diese Dinge machten es sehr schwer, wenn nicht unmöglich, wie ich schon sagte, die Ausbreitung einer Seuche durch Sperren von Häusern zu verhindern; es sei denn, die Leute empfänden das Sperren ihrer Häuser als keine Belastung und wären darum soweit damit einverstanden, daß sie den Behörden getreulich und pflichtgemäß von ihrer Infizierung Meldung erstatteten, sobald sie selbst sie erkannt hätten; aber da man dies von ihnen nicht erwarten kann und man den Gesundheitsinspektoren, wie oben, nicht zumuten kann, in die Häuser hineinzugehen, um Haussuchungen zu halten, so wird immer alles Gute, das das Absperren der Häuser für sich hat, zunichte gemacht werden, und wenige Häuser werden beizeiten gesperrt werden, außer denen der Armen, die nichts verheimlichen können, und wenn Leute sich durch den Schreck und die Bestürzung verraten, in die die Sache sie versetzt hat.
Ich konnte mich von dem gefährlichen Amt, in dem ich da war, freimachen, nachdem ich jemandes anderen Zulassung erwirkt hatte, den ich mit etwas Geld gewonnen hatte, es anzunehmen; und so war ich anstelle der zwei Monate, die vorgesehen waren, nicht länger als drei Wochen im Dienst; aber lange war auch das, wenn man bedenkt, daß es im Monat August war, während welcher Zeit die Seuche mit großer Heftigkeit in unserem Teil der Stadt zu wüten begann.
In der Ausübung dieses Amtes konnte ich unter meinen Nachbarn nicht mit meiner Meinung zurückhalten, was dieses Einsperren der Menschen in ihren Häusern betraf; wir sahen dabei ganz klar, daß die Härte, welche angewendet wurde, bitter genug in sich selbst, noch einen besonderen Einwand gegen sich hatte, nämlich daß sie nicht, wie ich schon sagte, ihrem Zweck diente, da ja die Krankheitsbefallenen Tag für Tag auf der Straße umhergingen; und es war unser aller gemeinsame Meinung, daß eine Methode, nach welcher man für den Fall, daß ein Haus heimgesucht wurde, die Gesunden von den Kranken hätte trennen können, in vieler Hinsicht weit vernünftiger gewesen wäre, indem dann niemand bei den Kranken geblieben wäre, als diejenigen, welche, in einem solchen Falle, bleiben zu dürfen ersucht hätten und einverstanden gewesen wären, daß man sie mit einsperrt.
Unser Plan, die Gesunden von den Kranken zu entfernen, richtete sich nur auf die Häuser, welche befallen waren, und die Kranken festzusetzen war keine Gefangensetzung; wer sich ohnehin nicht hinausrühren konnte, würde sich nicht beklagen, solange er bei Sinnen war und vernünftig denken konnte. Allerdings, wenn sie ins Delirium und in die Erregungszustände kamen, dann pflegten sie gegen die Grausamkeit des Eingeschlossenseins aufzubegehren; aber was die Entfernung derer, die gesund waren, angeht, hielten wir es für höchst vertretbar und richtig, daß sie, um ihrer selbst willen, von den Kranken entfernt würden und, um der anderen Leute Sicherheit willen, sich für eine Weile abgesondert halten sollten, so daß man sehen konnte, sie seien gesund und stellten für andere keine Ansteckungsgefahr dar; und wir meinten, zwanzig oder dreißig Tage seien dafür genug.
Wenn man nun eigens zu dem Zweck Häuser bereitgestellt hätte, daß die Gesunden darin diese Halb-Quarantäne hätten verbringen können, dann hätten sie gewiß in einer solchen Abgeschiedenheit viel weniger Grund gehabt, sich benachteiligt zu fühlen, als wenn sie mit den Kranken zusammen in den Häusern, in denen sie wohnten, eingeschlossen wurden.
Man muß hier jedoch bemerken: Nachdem die Begräbnisse so zahlreich wurden, daß man nicht mehr die Glocken läuten, trauern oder weinen konnte oder Schwarz füreinander tragen, wie man es früher immer getan hatte, ja nicht einmal mehr Särge für die Verstorbenen anfertigen konnte – auf die Dauer schien da die Macht der Seuche so groß geworden zu sein, daß man, kurz und gut, überhaupt kein Haus mehr absperrte. Man ließ es dabei bewenden, daß alle Mittel dieser Art gebraucht worden waren, bis sie sich als zwecklos erwiesen hatten und daß die Pest sich mit einer unwiderstehlichen Gewalt ausbreitete; so wie im darauffolgenden Jahr das Feuer um sich griff und mit solcher Macht brannte, daß die Bürger verzweifelt ihre Bemühungen, es zu löschen, aufgaben – ebenso kam es bei der Pest am Ende so weit, daß die Leute nur noch still dasaßen und einander anschauten, offenbar völliger Verzweiflung ergeben; ganze Straßen schienen ausgestorben und nicht nur gesperrt, sondern ihrer Bewohner entleert zu sein; Türen waren offen gelassen, Fenster standen klappernd im Wind, weil in leeren Häusern niemand da war, sie zu schließen. Mit einem Wort, die Menschen begannen sich ihrer Furcht anheimzugeben und zu glauben, alles, was zur Abhilfe unternommen wurde, sei vergeblich und nichts sei zu erwarten als vollständiger Untergang; und gerade in diesem Höhepunkt der allgemeinen Verzweiflung gefiel es Gott, innezuhalten und die Wut der Anstekkung in solcher Art abzuschwächen, daß es wieder, wie der Beginn, ganz unverhofft kam, und so allen sichtbar zu machen, daß es Seine eigene Hand war, die, wenn auch nicht ohne die Vermittlung durch Zweitursachen, wirkte, worauf ich an gegebener Stelle noch eingehen werde.
Aber ich muß immer noch von der Pest auf ihrem Höhepunkt sprechen. Sie wütete bis zur Austilgung, und die Leute gerieten in ihrer schrecklichen Fassungslosigkeit, wie ich sagte, bis in tiefe Verzweiflung. Es ist kaum glaublich, zu welchen Ausschreitungen die Menschen sich in dieser Siedehitze der Seuche von ihren Leidenschaften hinreißen ließen, und dies, glaube ich, war genauso bewegend wie alles übrige. Was könnte einen Menschen, der noch im vollen Besitz seiner Geisteskräfte ist, mehr ergreifen, was könnte einen tieferen Eindruck auf sein Gemüt machen, als zu sehen, wie ein Mann, beinahe nackt, aus seinem Hause oder vielleicht seinem Bette auf die Straße kommt, von Harrow Alley her, einem belebten Kreuzungs- und Sammelpunkt von Gäßchen, Hinterhöfen und Durchgängen an der Butcher Row in Whitechapel – ich sage, was könnte ergreifender sein, als zu sehen, wie dieser Mann auf die offene Straße kommt, singend und tanzend herumrennt und tausend ausgelassene Gesten macht, während fünf oder sechs Frauen und Kinder hinter ihm herlaufen, heulend und ihn um des Herrn willen anflehen zurückzukommen, und die Hilfe anderer erbitten, ihn zurückzubringen, aber alles vergebens, da niemand wagt, Hand an ihn zu legen oder ihm nahe zu kommen?
Dies war ganz ungemein schmerzlich und quälend für mich, der ich das ganze von meinem Fenster aus beobachtete; denn die ganze Zeit über befand sich der arme geplagte Mensch in akuter, äußerster Schmerzenspein, hatte er doch, wie es hieß, zwei Geschwülste am Körper, welche man nicht zum Aufbrechen oder Auseitern bringen konnte; aber durch starke Ätzmittel, die sie ihm auflegten, hofften die Ärzte, so scheint es, sie aufzubrechen, und diese Ätzmittel hatten sie jetzt gerade angewendet, und sie brannten in seinem Fleisch wie mit heißen Eisen. Ich kann nicht mehr sagen, was aus diesem armen Kerl wurde, aber ich glaube, er tobte noch weiter in dieser Weise umher, bis er umfiel und starb.
Kein Wunder, daß der Anblick der City selbst erschreckend war. Das übliche Gedränge der Menschen auf der Straße, das auch aus unserem Viertel Zustrom erhielt, hatte aufgehört. Die Börse war zwar nicht geschlossen, aber niemand ging mehr hin. Die Pestfeuer waren am Ausgehen; durch einen scharfen, heftigen Regen waren sie für einige Tage beinahe erloschen. Aber das war nicht alles; einige der Ärzte bestanden darauf, daß sie für die Gesundheit der Bevölkerung nicht nur ohne Nutzen, sondern schädlich seien. Hierüber machten sie viel Wesens und erhoben Klage beim Lordbürgermeister darob. Andere Mitglieder der gleichen Fakultät hingegen, und ebenso hervorragende, widersprachen ihnen und gaben ihre Gründe an, warum die Feuer nützlich waren und sein mußten, um die Heftigkeit der Seuche zu lindern. Ich kann von den Argumenten hüben und drüben keinen vollständigen Bericht geben; nur daran erinnere ich mich, daß die einen viel an den anderen auszusetzen hatten. Die einen waren für Feuer, aber sie müßten Holz brennen und nicht Kohle oder sogar besondere Sorten von Holz, so wie ganz besonders Föhrenholz oder Zedernholz, wegen der starken Ausdünstungen von Terpentin; andere waren für Kohle und nicht für Holz, wegen des Schwefels und Erdpechs; und wieder andere waren für keines von beiden. Zuletzt verfügte der Lordbürgermeister, es sollten keine Feuer mehr sein und hauptsächlich aus diesem Grund, daß nämlich die Pest so unbändig sei, daß sie, wie man deutlich sehe, allen Maßnahmen trotze und nach Anwendung aller Mittel, um ihr Einhalt zu gebieten, eher anzuwachsen als abzunehmen scheine; aber freilich stammte diese Resignation der Obrigkeiten eher aus der Unmöglichkeit, irgendein Mittel erfolgreich anwenden zu können, als aus dem Widerwillen, sich in Gefahr zu begeben oder die Last und Sorge des Amtes zu tragen; denn, um ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, sie setzten Leib und Leben ein. Aber nichts half; die Seuche wütete, und die Leute waren jetzt verschreckt und verängstigt bis zum Äußersten, so sehr, daß sie, wie ich sagen möchte, sich selbst aufgaben und, wie ich vorher schon erwähnte, sich ihrer Verzweiflung überließen.
Aber man möge mir die Bemerkung gestatten, daß, wenn ich sage, die Leute überließen sich ihrer Verzweiflung, ich damit nicht das meine, was man religiöse Verzweiflung nennt, oder ein Verzweifeln an ihrem Schicksal in der Ewigkeit, sondern ich meine ihre Hoffnungslosigkeit, daß sie der Seuche entkommen oder die Pest überleben könnten, die, wie sie sahen, mit solch unwiderstehlicher Gewalt wütete, daß wirklich nur ganz wenige, die von ihr während der Höhepunktszeit im August und September erfaßt wurden, davonkamen; und was sehr eigenartig war und im Gegensatz zu dem gewöhnlichen Verlauf, den sie im Juni, Juli und Anfang August nahm, wo, wie ich berichtete, viele befallen wurden und noch viele Tage weiterlebten, bis sie dann abgingen, nachdem sie das Gift eine lange Zeit in ihrem Blut gehabt hatten: Im Gegensatz dazu starben jetzt die meisten, die während der letzten beiden Wochen im August und der drei ersten Wochen im September ergriffen wurden, gewöhnlich in höchstens zwei oder drei Tagen, und viele noch am gleichen Tag, an dem sie befallen wurden; ob das an den Hundstagen lag oder ob, wie unsere Astrologen sich auszudrücken beliebten, der Einfluß des Hundssterns diese bösartige Wirkung ausübte, oder ob alle diejenigen, die den Keim der Ansteckung schon vorher in sich trugen, ihn gerade zu der Zeit alle miteinander zur Reife brachten, weiß ich nicht; aber dies war die Zeit, wo berichtet wurde, daß mehr als dreitausend Menschen in einer Nacht starben; und solche, die uns glauben machen wollen, sie hätten es ganz besonders genau beobachtet, behaupten, daß sie alle in dem Zeitraum von zwei Stunden starben, nämlich zwischen ein Uhr und drei Uhr morgens.
Was die Plötzlichkeit angeht, mit der die Menschen jetzt mehr als früher starben, so gab es dafür unzählige Beispiele, und ich könnte mehrere aus meiner Nachbarschaft anführen. Eine Familie, außerhalb der Bars und nicht weit von mir, war am Montag scheinbar noch wohlauf, alle zehn, die sie in dem Hause waren. An dem Abend wurde eine Magd und ein Lehrling krank, und kaum waren sie am nächsten Morgen gestorben, als der andere Lehrling und zwei der Kinder erfaßt wurden, von denen eines am gleichen Abend starb, die beiden anderen am Mittwoch. In einem Wort, bis zum Samstagmittag waren der Hausherr, die Hausherrin, vier Kinder und vier Dienstboten alle dahin, und das Haus stand völlig leer, außer daß eine alte Frau kam, um sich der Habseligkeiten für den Bruder des Hausherrn anzunehmen, der weit fort lebte und nicht erkrankt war.
Viele Häuser blieben da verwaist zurück, und alle Bewohner wurden tot davongetragen; so waren insbesondere in einem Hintergäßchen, das auf derselben Seite noch weiter hinter den Bars bei dem Zeichen von Moses und Aaron abzweigte, mehrere Häuser, die alle zusammen, so hieß es, nicht mehr einen einzigen Lebenden beherbergten; und manche, die in einigen dieser Häuser als die letzten gestorben waren, hatten schon ein bißchen zu lange gelegen, bevor sie herausgeholt wurden, um beerdigt zu werden; der Grund dafür war nicht, wie einige ganz unzutreffend geschrieben haben, daß die Lebenden nicht ausreichten, um die Toten zu begraben, sondern daß die Sterblichkeit in der Gasse oder an dem Hof so groß war, daß niemand mehr übrig war, um den Totengräbern oder Küstern zu melden, daß da Tote zu beerdigen waren. Man hat erzählt – was daran wahr ist, weiß ich nicht –, daß einige dieser Leichen schon so zerfallen und in Fäulnis übergegangen waren, daß man sie nur mit Schwierigkeiten fortschaffen konnte; und da die Leichenkarren nicht näher herankommen konnten als bis zum Tor der Gasse an der High Street, war es nur um so schwieriger, sie zum Verladen zu bringen, aber ich kann nicht mit Gewißheit sagen, wieviele Leichen dort liegengeblieben waren. Ich bin sicher, daß es gewöhnlich nicht so war.
Ich habe erwähnt, wie die Leute in einen Zustand geraten waren, der sie am Leben verzweifeln ließ und dem sie sich überließen, und eben dies hatte nun eine merkwürdige Wirkung, die drei oder vier Wochen anhielt; das war, es machte sie kühn und wagemutig, sie hielten sich nicht mehr im Haus zurückgezogen, sondern verloren die Scheu voreinander und gingen dahin und dorthin und überallhin und begannen wieder miteinander zu sprechen. So sagte etwa einer zum andern: »Ich frage dich nicht, wie es dir geht, und sage auch nicht, wie es mir geht; denn das ist bestimmt, daß wir alle hingehn; drum ist es gleich, ob einer krank ist oder gesund«; und so liefen sie ohne jede Vorsicht, wohin und zu wem es sich eben traf.