Daniel Defoe

Die Pest zu London

Non-profit ebook by tigger September 2003 Kein Verkauf!

nymphenburger

Titel der Originalausgabe: A Journal of the Plague Year. Aus dem Englischen übertragen von Werner Barzel

Die Übernahme der Übersetzung von Werner Barzel wurde freundlicherweise von der Fischer Bücherei KG, Frankfurt, gestattet.

© 1987 Nymphenburger Verlagshandlung GmbH, München Alle Rechte, auch der photomechanischen Vervielfältigung und des auszugsweisen Abdruckes, vorbehalten
Schutzumschlag: Cooperation, München Satz: Filmsatz SchröterGmbH, München Druck und Binden: Wiener Verlag, Himberg bei Wien Printed in Austria 1987
ISBN 3-485-00540-1

Es war gegen Ende September 1664, als ich mit meinen Nachbarn zusammenstand und, recht beiläufig, erwähnen hörte, daß die Pest in Holland wieder ausgebrochen sei; sie hatte dort nämlich im Jahre 1663 sehr gewütet, besonders in Amsterdam und Rotterdam, wohin sie, heißt es, von Italien oder auch aus der Levante mit irgendwelchen Waren, die die Türkenflotte geladen hatte, eingeschleppt worden war; manche meinten auch, sie sei von Kreta, wieder andere, von Zypern hergebracht worden. Was verschlug es, wo sie herkam! Alle waren sich jedenfalls einig, daß sie in Holland wieder herrschte.

Nun gab es in jenen Tagen keine gedruckten Zeitungen, um Gerüchte und Neuigkeiten zu verbreiten und sie mit Selbsterfundenem auszuschmücken, wie ich es später noch habe erleben müssen. Sondern solche Nachrichten wie diese stammten aus den Briefen von Kaufleuten und anderen, die mit dem Ausland Beziehungen unterhielten, und von da sprach es sich lediglich von Mund zu Mund herum; auf diese Weise verbreitete sich eine Kunde nicht augenblicks im ganzen Lande, wie sie es heute tut. Es scheint jedoch, daß die Regierung einen zuverlässigen Bericht besaß, und man beriet in mehreren Ratssitzungen, wie einem Übergreifen der Seuche zu begegnen sei; aber all das geschah sehr verschwiegen. So kam es, daß das Gerücht wieder erstarb und die Leute es schon zu vergessen begannen, so wie etwas, das uns weiter nicht betraf und von dem wir hoffen konnten, es sei gar nicht wahr, bis dann im späten November oder Anfang Dezember 1664 zwei Männer, dem Vernehmen nach Franzosen, im Long Acre, oder richtiger am oberen Ende von Drury Lane, an der Pest starben.

Die Familie, in der sie gelebt hatten, bemühte sich, den Fall nach Kräften zu vertuschen, aber er war bereits im Gerede der Nachbarschaft erörtert worden, und so bekam das Ministerium Kenntnis davon. Man ließ es sich angelegen sein, Nachforschungen anzustellen, und um sicher zu gehen, beauftragte man zwei Ärzte und einen Feldscher, sich in das Haus zu begeben und eine Untersuchung vorzunehmen.

Das taten diese, und da sie an beiden Leichnamen unwiderlegliche Anzeichen der Krankheit feststellten, erklärten sie öffentlich als ihren Befund, daß die zwei an der Pest verschieden seien. Worauf es dem Sprengelschreiber übermittelt wurde, und der gab es wiederum an das Rathaus weiter, und es wurde im wöchentlichen Auszug aus dem Sterberegister bekanntgegeben, und zwar in der üblichen Form, nämlich:

Pest: 2. Sprengel betroffen: 1.

Die Leute zeigten sich gleich sehr besorgt, und man begann sich in der ganzen Stadt ernste Gedanken zu machen, um so mehr, als in der letzten Dezemberwoche 1664 in dem gleichen Hause wieder ein Mann starb, und wieder an der gleichen Erkrankung. Als dann allerdings in den nächsten sechs Wochen niemand mit irgendwelchen Anzeichen von Ansteckung starb, nahmen wir es wieder leichter, und es hieß schon, das Unheil sei vorbei. Aber dann, ich glaube, es war um den 12. Februar, starb wieder jemand, in einem anderen Hause, aber im gleichen Sprengel und auf die nämliche Art.

Dies lenkte die Aufmerksamkeit der Leute stärker auf jenen Stadtteil, und als die wöchentlichen Sterberegisterauszüge eine ungewöhnliche Zunahme der Beerdigungen im St. Giles Pfarrsprengel auswiesen, erhob sich der Verdacht, daß die Menschen in jenem Stadtteil von der Pest heimgesucht seien, daß bereits viele daran gestorben seien und daß man es nur verstanden habe, dies tunlichst der allgemeinen Kenntnis zu entziehen. Solche Gedanken gingen recht rege in den Köpfen der Leute um, und kaum einer wagte noch durch Drury Lane oder eine andere der beargwöhnten Straßen zu gehen, wenn nicht ein Geschäft von außerordentlicher Dringlichkeit ihn dazu nötigte.

Mit den wachsenden Zahlen auf den Sterberegisterauszügen verhielt es sich so: Die gewöhnliche Anzahl von Begräbnissen in der Woche betrug für die Pfarrsprengel St. Giles in den Feldern und St. Andrew in Holborn zwischen je zwölf und siebzehn oder neunzehn, mit geringen Schwankungen; aber seit dem ersten Auftreten von Pestfällen im St. Giles Pfarrsprengel ließ sich eine beträchtliche Zunahme der einfachen Beerdigungen beobachten. Zum Beispiel:

Vom 27. Dezember bis 3. Januar

 

Vom 3. Januar bis 10. Januar

 

Vom 10. Januar bis 17. Januar

 

Vom 17. Januar bis 24. Januar

 

Vom 24. Januar bis 31. Januar

 

Vom 31. Januar bis 7. Februar

Vom 7. Februar bis 14. Februar St. Giles 16
St. Andrews 17

St. Giles 12
St. Andrews 25
St. Giles 18
St. Andrews 18
St. Giles 23
St. Andrews 16
St. Giles 24
St. Andrews 15
St. Giles 21
St. Andrews 23
St. Giles 24
wovon einer an der Pest

Das gleiche Anwachsen der Sterbefälle wurde in der Pfarre St. Bride, die an den Holborn Sprengel auf der einen Seite angrenzt, und in St. James, Clerkenwell, der Nachbarpfarre zu Holborn auf der anderen Seite, festgestellt. In beiden Pfarren betrug die gewöhnliche Anzahl von Sterbefällen wöchentlich zwischen vier und sechs oder acht, während sie dann in folgender Weise zunahm:

Vom 20. Dezember bis 27. Dezember

 

Vom 27. Dezember bis 3. Januar

 

Vom 3. Januar bis 10. Januar

 

Vom 10. Januar bis 17. Januar

 

Vom 17. Januar bis 24. Januar

 

Vom 24. Januar bis 31. Januar

 

Vom 31. Januar bis 7. Februar

Vom 7. Februar bis 14. Februar St. Bride 0
St. James 8
St. Bride 6
St. James 9
St. Bride 11 St. James 7
St. Bride 12 St. James 9
St. Bride 9
St. James 15 St. Bride 8
St. James 12 St. Bride 13 St. James 5
St. Bride 12 St. James 6

Zudem wurde von der Bevölkerung mit großer Unruhe vermerkt, daß in diesen Wochen die Zahlen auf dem Gesamttotenregister stark anstiegen, obwohl doch sonst zu dieser Jahreszeit die Todesfälle gar nicht besonders zahlreich waren.

Die gewöhnliche Anzahl von Beerdigungen, wie sie auf dem Sterberegister erschien, war pro Woche etwa 240 oder etwas mehr, bis etwa 300, was schon als recht hoch galt. Aber dann sahen wir die Zahlen beständig ansteigen, nämlich folgendermaßen:

Beerdigt Zunahme
20. bis 27. Dezember 291 –
27. Dezember bis 3. Januar 349 58

3. bis 10. Januar 394 45
10. bis 17. Januar 415 21
17. bis 24. Januar 474 59

Diese letzte Eintragung war in der Tat erschreckend, denn das war eine höhere Zahl von Beerdigungen pro Woche, als seit der Heimsuchung von 1656 je verzeichnet worden war.

Jedoch ebbte dies wieder ab, und da das kalte Frostwetter, das im Dezember eingesetzt hatte, bis beinahe Ende Februar mit aller Strenge anhielt und dann scharfe, wenn auch nicht übermäßig heftige Stürme hinzukamen, sanken die Todesziffern wieder, die Stadt erholte sich und alle Welt begann schon, die Gefahr für so gut wie überstanden zu betrachten; nur daß die Beerdigungen im St. Giles Sprengel immer noch zu häufig blieben. Von Anfang April an insbesondere stieg ihre Zahl wieder auf fünfundzwanzig pro Woche, bis dann in der Woche vom 18. bis zum 25. in der St. Giles Pfarre dreißig Tote begraben wurden, von denen zwei an der Pest und acht am Fleckfieber, was als dasselbe angesehen wurde, gestorben waren; gleichfalls nahm die Zahl derer, die am Fleckfieber verschieden, insgesamt zu; waren es in der Woche zuvor acht gewesen, so wuchs die Zahl in der genannten Woche auf zwölf.

Dies versetzte uns wieder in Schrecken, und die schlimmsten Ängste herrschten unter dem Volk, besonders da das Wetter jetzt umschlug und es warm wurde und der Sommer vor der Tür stand. Die folgende Woche freilich schien uns wieder Hoffnung zu geben; das Register zeigte niedrige Zahlen: im ganzen nur 388 Todesfälle, und davon keiner an der Pest und lediglich vier an Fleckfieber.

Aber in der nächsten Woche brach es wieder aus, und das Unheil griff auf zwei oder drei weitere Pfarrsprengel über, nämlich: St. Andrew in Holborn und St. Clement Danes; und, was ein schwerer Schlag für die City war, einer starb innerhalb der Stadtmauern, in der Pfarre St. Mary Woolchurch, das heißt, an der Bearbinder Lane, nicht weit von Stocks Market; im ganzen waren neun an der Pest und sechs an Fleckfieber gestorben. Es stellte sich allerdings bei näherer Untersuchung heraus, daß der Franzose, der an der Bearbinder Lane verstorben war, vorher am Long Acre gewohnt hatte, also in der Nähe des infizierten Hauses, und aus Angst vor der Krankheit verzogen war, nicht ahnend, daß er bereits angesteckt war. Dies war Anfang Mai, doch das Wetter hielt sich mäßig, veränderlich und ziemlich kühl, so daß die Leute wieder Hoffnung schöpften.

Was ihnen Mut machte, war, daß die City gesund blieb; die siebenundneunzig Stadtpfarren begruben zusammen nur vierundfünfzig Tote, und wir setzten schon darauf, daß das Übel, da es sich doch hauptsächlich unter den Menschen jener Vorstadt gezeigt hatte, nicht weiter um sich greifen werde; und das um so eher, als in der folgenden Woche, das heißt, vom 9. bis 16. Mai, nur drei Personen starben, und davon nicht eine einzige innerhalb der City oder der Stadtfreiheit; und St. Andrew begrub nur fünfzehn, was sehr wenig war. Zwar begrub St. Giles dreiunddreißig, aber da nur einer davon ein Pestkranker war, begannen die Leute aufzuatmen. Das Gesamtregister hatte einen ebenfalls sehr niedrigen Stand; in der voraufgehenden Woche war er nur 347 gewesen, in der erwähnten Woche nur 343. Wir blieben einige Tage lang in der zuversichtlichen Stimmung, aber es waren nicht viele Tage, denn die Leute ließen sich jetzt nicht mehr so leicht täuschen. Sie drangen in die Häuser ein und mußten die Feststellung machen, daß die Seuche sich in Wirklichkeit überallhin ausgebreitet hatte und daß Tag für Tag viele an ihr starben. So war alle unsere Schönfärberei dahin, und es ließ sich nichts mehr verbergen; ja, es wurde sehr rasch offenbar, daß die Anstekkung so weit vorgedrungen war, daß die Hoffnung auf ein Zurückgehen nicht mehr bestand; in der St. Giles Pfarre herrschte sie schon in einer ganzen Reihe von Straßen, und manchmal lagen ganze Familien miteinander darnieder; und dementsprechend zeigte sich der Verlauf der Dinge nun auch im wöchentlichen Totenregisterauszug. Zwar gab man da nur vierzehn Pestfälle an, aber das war natürlich alles abgefeimte Irreführung, denn in der St. Giles Pfarre allein begruben sie vierzig im ganzen, von denen es feststand, daß die meisten an der Pest gestorben waren, obwohl für sie andere Todesursachen angegeben wurden; und mochte auch die Zahl aller Beerdigungen dort nicht mehr als zweiunddreißig betragen und die Gesamttotenziffer bei nur 385 stehen, so waren doch vierzehn Fleckfieberfälle darunter und an Pestfällen waren es ebenfalls vierzehn; und so nahmen wir es als ausgemacht hin, daß insgesamt mindestens fünfzig Personen in der Woche an der Pest verstorben waren.

Der nächste Registerauszug war für die Zeit vom 23. bis 30. Mai, und die Zahl der Pestkranken betrug siebzehn.
Aber Beerdigungen waren in St. Giles dreiundfünfzig, eine erschreckliche Zahl! – von denen man nur neun für die Pest angab; aber als auf Ersuchen des Lordbürgermeisters die Friedensrichter der Sache genauer auf den Grund gingen, stellte sich heraus, daß in Wahrheit zwanzig Personen mehr in der Pfarre an der Pest verschieden waren, jedoch als Fleckfieber- oder andere Krankheitsfälle angegeben worden waren, neben weiteren, die man überhaupt unterschlagen hatte.
Aber dies waren noch Kleinigkeiten im Vergleich zu dem, was gleich nachkam; denn jetzt setzte heißes Wetter ein, und von der ersten Juniwoche an griff die Ansteckung in schrekkenerregender Weise um sich, und die Zahlen im Totenregister stiegen. Die verschiedenartigsten Fieberkrankheiten, Fleckfieber und Mundfäule wurden sehr häufig; denn jeder, der seine Krankheit verbergen konnte, tat es, damit nicht seine Nachbarn sich von ihm abwandten und sich weigerten mit ihm zu verkehren, auch damit nicht die Behörden ihn in seinem Hause einschlössen, was, obwohl noch nicht durchgeführt, so doch bereits angedroht war.
Schon der Gedanke daran brachte die Leute in äußerstes Entsetzen.
In der zweiten Woche im Juni begrub St. Giles, der Sprengel, in dem immer noch das Hauptgewicht der Verseuchung lag, 120 Tote, von denen, obwohl das Register nur achtundsechzig zugab, wie jedermann wußte mindestens 100 Pesttote waren, wenn man es sich nach der sonst in der Pfarre üblichen Zahl von Beerdigungen wie oben ausrechnete.
Bis zu diesem Zeitpunkt war die City verschont geblieben; in allen siebenundzwanzig Pfarren war niemand gestorben, wenn man von dem einen Franzosen, den ich vorher erwähnte, absieht. Jetzt starben vier Personen innerhalb der City, einer in der Wood Street, einer in der Fenchurch Street und zwei in der Crooked Lane. Southwark war gänzlich unberührt, noch nicht einen Toten hatte man auf jener Seite des Flusses.
Ich wohnte außerhalb Aldgate, ungefähr halbwegs zwischen Aldgate Church und Whitechapel Bars, auf der linken oder nördlichen Seite der Straße; und da das Übel diese Hälfte der Stadt noch nicht erreicht hatte, nahmen wir es in unserer Gegend nicht sehr ernst. Um so größer war die Bestürzung am entgegengesetzten Ende der Stadt; und die wohlhabenderen Kreise, besonders der Adel und die vornehmen Leute aus den westlichen Stadtteilen, drängten sich, mit Kind und Kegel aus der Stadt zu kommen, was einen sehr ungewohnten Anblick bot; nirgends konnte man das so gut beobachten wie in Whitechapel, das heißt, auf der Broad Street, wo ich wohnte; da wimmelte es nur so von Wagen und Karren mit Gütern, Frauen, Kindern usw.; Kutschen, voll besetzt mit besseren Herrschaften, und Knechte für die Pferde, und alles auf dem Wege, nur rasch davonzukommen; dann erschienen leere Wagen und Karren und unbepackte Pferde mit Dienern, die, das war offenbar, vom Lande zurückkehrten oder zurückgeschickt worden waren, um andere nachzuholen; daneben unzählige Leute zu Pferde, manche allein, andere mit Dienerschaft, und alle ohne Ausnahme schwer mit Gepäck beladen und für die Reise ausgerüstet, wie jeder, der sie anschaute, deutlich sehen konnte.
Es war wirklich sehr erschreckend und traurig, das zu sehen, und da es ein Schauspiel war, dessen Anblick vom Morgen bis zum Abend ich kaum entgehen konnte, da es tatsächlich nichts anderes von Bedeutung zu sehen gab, machte ich mir die ernstesten Gedanken über die Not, die der Stadt bevorstand, und über die unselige Lage derer, die in ihr zurückbleiben würden.
Das Gedränge der Leute war für einige Wochen so arg, daß man nur unter den äußersten Schwierigkeiten bis zur Tür des Lordbürgermeisters gelangen konnte; der Andrang war dort so groß, weil man um Pässe und Gesundheitsbescheinigungen für Reisen nach auswärts anstand, denn ohne solche war an einen Durchlaß durch die Städte, die an der Straße lagen, oder an eine Übernachtung in einer Herberge nicht zu denken. Derweil die ganze Zeit über in der City niemand gestorben war, ließ unser Lordbürgermeister ohne weiteres allen, die in den siebenundneunzig Stadtsprengeln oder doch innerhalb der Stadtfreiheit wohnten, Gesundheitsbescheinigungen ausstellen.
Das Gedränge, sage ich, hielt einige Wochen an, das heißt, den ganzen Mai und den ganzen Juni, und um so mehr, als das Gerücht umging, daß die Regierung einen Erlaß herausgeben werde, daß Straßensperren errichtet und dadurch die Menschen an der Abreise gehindert werden sollten, und daß die Städte, die am Wege lagen, Leute aus London nicht mehr durchließen, aus Angst, sie würden die Seuche mit sich bringen. Allerdings hatten alle diese Gerüchte ihren Ursprung lediglich in der Phantasie, besonders am Anfang.
Ich begann nun ernsthafte Überlegungen bei mir selbst anzustellen, was meinen eigenen Fall betraf und wie ich mich einrichten sollte; das soll heißen, ob ich mich entscheiden sollte, in London zu bleiben, oder mein Haus abschließen und fliehen, so wie es viele meiner Nachbarn taten. Ich möchte diese Einzelheit in aller Ausführlichkeit behandeln, weil ich annehmen muß, daß es für die, die nach mir kommen, wenn sie in die gleiche schwierige Lage versetzt und vor die gleiche Wahl gestellt werden, vielleicht von Bedeutung sein kann; und deshalb ist es mein Wunsch, daß sie diesen Bericht eher als eine Weisung annehmen, wie sie selbst sich verhalten sollen, denn als eine Geschichte meines Verhaltens; bin ich mir doch bewußt, daß es für sie gewiß nicht die geringste Bedeutung hat zu erfahren, was aus mir geworden ist.
Ich hatte zwei gewichtige Dinge vor Augen: Das eine war die Fortführung meines Geschäfts und meiner Werkstatt, ein beachtlicher Gesichtspunkt, denn hier waren alle meine Besitzungen in dieser Welt investiert; auf der anderen Seite stand mein Leben in einer so düsteren Gefahr, wie ich sie allem Anschein nach über der ganzen Stadt heraufziehen sah, einer Gefahr, die dennoch vielleicht, so groß sie auch sein mochte, von meiner eigenen Furcht oder der Furcht anderer Leute größer dargestellt wurde, als sie in Wirklichkeit war.
Die erste Überlegung war für mich von großer Bedeutung; mein Gewerbe war das eines Sattlers, und da ich meine Geschäfte in der Hauptsache nicht im Einzelhandel führte, sondern sie mit Kaufleuten abschloß, die mit den englischen Kolonien in Amerika Handel trieben, so lag meine Sache ziemlich in der Hand dieser Männer. Zwar war ich unverheiratet, aber ich besaß eine Familie von Dienstboten, die ich für das Geschäft hielt; hatte ein Haus, eine Werkstatt und Lager, die mit Vorräten angefüllt waren; kurz und gut, all das zurückzulassen, wie man es in einem solchen Falle zurücklassen muß, das heißt, ohne einen Aufseher oder eine Person, der man es anvertrauen könnte, das hätte bedeutet, den Verlust nicht nur meines Gewerbes, sondern auch meines Besitztums, in der Tat alles dessen, was ich in der Welt mein eigen nannte, aufs Spiel zu setzen.
Ich hatte zu der Zeit einen Bruder in London leben, der nicht lange zuvor aus Portugal herübergezogen war, und wie ich mich mit ihm beriet, bestand seine Antwort in ganzen vier Worten, denselben, die in einem ganz anderen Falle waren gesprochen worden, nämlich: »Meister, rette dich selbst!«
Kurz gesagt, er war dafür, daß ich mich auf das Land zurückzöge, so wie er es für sich und seine Familie beschlossen hatte; er sagte mir, was er wohl im Ausland gehört hatte, daß die beste Vorbereitung auf die Pest sei, vor ihr davonzulaufen. Was mein Argument anging, ich werde Gewerbe, Besitz und ausstehendes Geld verlieren, so schlug er es mir völlig aus der Hand. Der gleiche Punkt, so sagte er, den ich für mein Verbleiben geltend machte, nämlich daß ich meine Sicherheit und Gesundheit Gott anvertrauen wolle, sei zugleich die stärkste Widerlegung meines Vorgebens, Gewerbe und Besitztum zu verlieren; »denn«, so sprach er, »ist es nicht ebenso vernünftig, Gott mit dem Risiko für dein Geschäft zu belasten, als in einer so drohenden Gefahr zu verbleiben und ihm dein Leben anzuvertrauen?«
Ich konnte nicht einwenden, daß ich in Verlegenheit sei, wo ich hingehen sollte, da ich mehrere Freunde und Verwandte in Northamptonshire hatte, wo unsere Familie ursprünglich herstammte; insbesondere hatte ich eine Schwester in Lincolnshire, die durchaus willens war, mich aufzunehmen und zu versorgen.
Mein Bruder, der seine Frau und seine zwei Kinder schon nach Bedfordshire vorausgeschickt hatte und entschlossen war, ihnen zu folgen, drängte mich in allem Ernst zu gehen; einmal war ich schon so weit, daß ich seinem Wunsch nachkommen wollte, aber da fehlte mir das Pferd; denn obwohl es stimmt, daß nicht alle Leute London verließen, so konnte man doch sagen, alle Pferde taten es; wochenlang war in der ganzen Stadt kein Pferd zu haben, weder zu kaufen, noch zu mieten. Einmal wollte ich mich schon zu Fuß auf den Weg machen, mit einem einzigen Diener; wir hatten vor, nicht in den Herbergen zu übernachten, sondern, wie das viele taten, ein Militärzelt mitzuführen und im Freien zu schlafen, das Wetter war ja so warm, wir hätten uns vor Erkältung nicht zu fürchten brauchen.
Wenn ich sage: wie es viele taten, so meine ich: einige kamen endlich darauf, besonders wer im letzten Kriege, der noch nicht sehr lange zurücklag, im Heer gedient hatte; und ich muß, um auch von Nebenumständen zu sprechen, hinzufügen: hätten mehr Leute, die unterwegs waren, dies getan, dann wäre die Pest nicht in so viele Häuser und Städte auf dem Lande gebracht worden, wie es, zum großen Schaden, ja zum Untergang einer großen Anzahl von Menschen, geschah.
Aber dann hatte mich der Diener, den ich mitnehmen wollte, hintergangen; entsetzt über das Anwachsen der Seuche und im Ungewissen, wann ich abreisen würde, hatte er sich eines anderen besonnen und mich im Stich gelassen, und so saß ich für diesmal fest; und auf diese oder jene Art mußte ich erleben, daß immer irgend etwas dazwischen kam, wenn ich mir einen Reisetermin gesetzt hatte, und ich mußte ihn immer wieder verschieben; und das bringt mich auf einen Gedanken, der mir sonst vielleicht wie eine nutzlose Abschweifung erschienen wäre, ich meine den Gedanken, diese Durchkreuzungen meines Vorhabens könnten vom Himmel stammen.
Ich erwähne dieses auch, weil ich niemandem eine bessere Art des Vorgehens in einem solchen Falle anraten kann – besonders wenn einer sich aus seiner Pflicht ein Gewissen macht und für einen guten Rat empfänglich ist –, als nämlich ein Augenmerk darauf zu haben, welche besonderen Vorsehungen ihm zu der Zeit zustoßen, und diese als ein Ganzes zu betrachten, da sie miteinander in Zusammenhang stehen und alle gemeinsam auf die Frage hinzielen, die zu lösen ist; so verstanden mag er sie dann mit Sicherheit als Eingebungen des Himmels nehmen, die ihm sagen, was zu tun in seinem Falle seine fraglose Pflicht sei; ich meine das für solche Fragen, wie und ob man fortgehen solle oder bleiben, wenn der Ort, an dem man wohnt, von einer ansteckenden Seuche heimgesucht wird.
Es ging mir eines Morgens, als ich darüber nachsann, mit großer Heftigkeit auf, daß, so wie uns nichts ohne die Fügung oder Zulassung der Göttlichen Macht widerfährt, auch diese Durchkreuzungen meiner Pläne etwas Außergewöhnliches an sich haben müßten; und daß ich erwägen sollte, ob sie nicht deutlich darauf hinwiesen oder mir eingäben, es sei der Wille des Himmels, daß ich nicht fortgehen solle. Dem folgte unmittelbar der Gedanke, daß, wenn es wirklich von Gott kam, daß ich bleiben solle, Er auch imstande sei, mich inmitten von allem Tod und aller Gefahr, die mich umgeben würden, sicher zu bewahren; und daß, wenn ich versuchte, durch Flucht von meinem Wohnort mein Leben zu retten, und das entgegen diesen Eingebungen, die ich für göttlichen Ursprungs hielt, es gewissermaßen eine Flucht vor Gott sein würde, und daß mich Sein Gericht ereilen könnte, wann immer oder wo immer Ihm gutdünkte.
Diese Überlegungen kehrten meinen Entschluß wieder völlig um, und als ich meinen Bruder aufs neue traf, sagte ich ihm, daß ich geneigt sei zu bleiben und mein Schicksal auf dem Platz, auf den Gott mich gestellt habe, zu erwarten, und daß ich dies aus den Gründen, die ich eben dargelegt habe, für meine ganz persönliche Pflicht erachte.
Mein Bruder, obschon selbst ein tief religiöser Mann, lachte mich aus, als ich vorbrachte, dies könne eine himmlische Eingebung sein, und er erzählte mir einige Geschichten über solche seiner Ansicht nach dummdreisten Leute, wie ich einer sei; dann nur, meinte er, müßte ich mich dem als einer himmlischen Fügung unterwerfen, wenn ich durch Krankheit oder Leiden verkrüppelt worden wäre; wenn ich dann außerstande wäre zu gehen, wäre es angebracht, mich im Hinblick auf Ihn, der als mein Schöpfer ein unbestreitbares Hoheitsrecht über mich ausübe, mit meinem Geschick abzufinden, und nur in einem solchen Falle hätte man ohne Bedenken sagen können, was der Ruf Seiner Vorsehung sei und was nicht; aber daß ich nur aus dem Grunde, weil ich kein Pferd für die Reise bekommen konnte oder weil mein Begleiter weggelaufen war, von einer Eingebung des Himmels, die Stadt nicht zu verlassen, spreche, das sei einfach lächerlich; ich hätte ja doch gesunde Glieder und andere Diener und es werde mir nichts ausmachen, einen oder zwei Tage zu Fuß zu reisen, und zumal ich eine gültige Gesundheitsbescheinigung besäße, könne ich gut unterwegs ein Pferd mieten oder die Post nehmen, wie immer es mir passe.
Dann ging er dazu über, mir von den unheilvollen Folgen zu erzählen, die die Vermessenheit der Türken und Mohammedaner in Asien und anderswo nach sich zieht; (mein Bruder, der Kaufmann war, hatte bis vor einigen Jahren, wie ich schon bemerkte, im Ausland gelebt und war zuletzt von Lissabon aus zurückgekehrt) wie diese, im sicheren Verlaß auf ihren Vorherbestimmungsglauben und überzeugt, daß jedes Menschen Lebenslauf unumstößlich im Vorhinein festgelegt sei, sorglos verseuchte Orte betreten und mit infizierten Personen Umgang pflegen, durch welches Verhalten sie zu Zehn- oder Fünfzehntausend in der Woche dahinsterben, während die christlichen Kaufleute aus Europa sich vorsichtig zurückhalten und so im allgemeinen der Ansteckung entgehen.
Diese guten Gründe meines Bruders änderten meinen Entschluß wieder, und ich begann nun doch, alles für die Abreise fertig zu machen; denn, um das nur kurz zu erwähnen, die Ansteckung nahm um mich herum zu, die Todesziffern stiegen auf beinahe siebenhundert die Woche, und mein Bruder sagte, er werde es nicht auf sich nehmen, noch länger zu warten. Ich sprach den Wunsch aus, er möge mir noch bis zum nächsten Tag Zeit zum Überlegen geben, dann würde ich mich entscheiden; und da ich alle Vorbereitungen, so gut es ging, schon getroffen hatte, auch was das Geschäft betraf und wem ich es anvertrauen sollte, so hatte ich eigentlich nichts anders zu tun, als diesen Entschluß zu fassen.
Ich kam an diesem Abend in sehr bedrückter Verfassung heim, unentschlossen und nicht wissend, was ich tun sollte.
Ich hatte mir den ganzen Abend ausschließlich dafür freigehalten, gründlich über die Sache nachzudenken, und war ganz allein; denn schon hatte man, als ob durch allgemeine Übereinkunft, die Sitte aufgenommen, nach Sonnenuntergang nicht mehr außer Haus zu gehen; auf die Gründe dafür werde ich bei Gelegenheit noch zu sprechen kommen.
In der Zurückgezogenheit dieses Abends bemühte ich mich, zu einem Entschluß zu kommen, hauptsächlich, mir klar zu werden, was meine Pflicht war zu tun. Ich hielt mir all die Gründe vor, mit denen mein Bruder mich gedrängt hatte, aufs Land zu gehen, und ich stellte ihnen die starken Beweggründe gegenüber, die in meinem Geist für ein Verbleiben sprachen; war nicht der besondere Umstand meines Berufes, daß die Erhaltung meiner Effekten gewissermaßen von meiner Standesehre eine sorgfältige Pflege erheischte, schon ein deutlicher Hinweis? Und dann die Eingebungen, von denen ich glaubte, daß sie von oben kämen: Wiesen sie mich nicht beinahe an, wagemutig zu sein? Und es schien mir so einleuchtend, daß, wenn ich eine, wie ich es nennen mochte, Anweisung zum Bleiben hatte, ich auch unterstellen dürfe, sie enthalte das Versprechen des Bewahrtwerdens, wenn ich ihr Folge leistete.
Das schien mir überzeugend, und ich fühlte mich mehr denn je in der Seele ermutigt zu bleiben, wobei mir die geheime Gewißheit, daß ich am Leben bleiben würde, Sicherheit gab.
Hinzu kam dann, daß, während ich in der vor mir liegenden Bibel blätterte und meine Gedanken mit mehr als gewöhnlichem Ernst bei der Frage verweilten, ich solche Rufe ausstieß wie: »Ach, ich weiß nicht, was ich tun soll! Herr, gib mir eine Weisung!« In einem solchen Augenblick hielt ich auf einmal im Blättern inne, und mein Blick fiel auf den zweiten Vers des 91. Psalms, und ich las weiter bis zum siebenten Vers, und dann noch den zehnten, und sie lauteten: »Der spricht zu dem Herrn: Meine Zuversicht und meine Burg, mein Gott, auf den ich hoffe. Denn Er errettet dich vom Strick des Jägers und von der schädlichen Pestilenz. Er wird dich mit Seinen Fittichen decken, und deine Zuversicht wird sein unter Seinen Flügeln. Seine Wahrheit ist Schirm und Schild, daß du nicht erschrekken müssest vor dem Grauen der Nacht, vor den Pfeilen, die des Tages fliegen, vor der Pestilenz, die im Finstern schleicht, vor der Seuche, die im Mittage verderbt. Ob tausend fallen zu deiner Seite und zehntausend zu deiner Rechten, so wird es dich nicht treffen. – Es wird dir kein Übel begegnen, und keine Plage wird zu deiner Hütte sich nahen.«
Ich brauche dem Leser wohl kaum zu sagen, daß von dem Augenblick an mein Entschluß feststand: Ich würde in der Stadt bleiben und, mich ganz der Güte und der Obhut des Allmächtigen überantwortend, keinen anderen Schutz außerdem mehr suchen; da mein Schicksal ja in Seiner Hand lag, konnte Er mich ebensogut in der Zeit der Seuche bewahren wie in der Zeit der Gesundheit; und wenn es nicht in Seinem Ratschluß lag, mich zu retten, dann war ich immer noch in Seiner Hand, und es war recht und billig, daß Er mit mir tue, wie Ihm beliebte.
Mit diesem Entschluß ging ich zu Bett; und am nächsten Tag wurde ich noch weiter dadurch bekräftigt, daß die Frau, der ich mein Haus und mein Geschäft anzuvertrauen vorgehabt hatte, krank wurde. Aber es wurde mir nach dieser Seite hin auch eine weitere Last auferlegt, denn am Tage darauf fühlte ich mich selbst ebenfalls sehr unpäßlich, so daß, auch wenn ich gewollt hätte, ich nicht hätte gehen können. Ich lag drei oder vier Tage lang krank, und das gab vollends den Ausschlag für mein Bleiben. So verabschiedete ich mich von meinem Bruder, der nach Dorking in Surrey ging und später noch weiter nach Buckinghamshire oder Bedfordshire hinein auswich, wo er für seine Familie ein abgelegenes Quartier gefunden hatte.
Es war damals sehr schlimm, krank zu werden, denn von jedem, der nur eine Beschwerde äußerte, hieß es sogleich, er habe die Pest; und obwohl sich tatsächlich keinerlei Anzeichen der Seuche bei mir fanden, so war mir doch in Kopf und Magen so übel, daß mich die Furcht erfüllte, ich hätte mich tatsächlich angesteckt. Aber nach drei Tagen erholte ich mich wieder; in der dritten Nacht schlief ich gut, schwitzte ein wenig und fühlte mich viel frischer. Alle Befürchtungen, es könne die Seuche gewesen sein, schwanden mit der Krankheit ebenfalls dahin, und ich ging meinen Geschäften nach wie immer.
Eine Folge war jedoch, daß ich alle Pläne, aufs Land zu gehen, aufgab; und da mein Bruder auch nicht mehr da war, gab es weder mit ihm noch mit mir selbst weiteren Streit in dieser Frage.
Es war jetzt Mitte Juli, und die Pest, die hauptsächlich am anderen Ende der Stadt, wie ich schon sagte, in den Pfarren St. Giles und St. Andrew in Holborn und gegen Westminster hin, gewütet hatte, begann sich nun nach Osten zu wenden, auf den Stadtteil zu, in dem ich wohnte. Man konnte allerdings sehen, daß sie sich nicht geradewegs auf uns zu bewegte; die City nämlich, das heißt, alles was innerhalb der Stadtmauern lag, war nach wie vor gesund; auch über den Fluß nach Southwark hinüber war die Seuche noch kaum gedrungen; obwohl in der Woche an allen Krankheiten zusammen 1268 Menschen starben, wovon man mehr als 900 für Pesttote rechnen konnte, so waren es in der ganzen City innerhalb der Ummauerung nur achtundzwanzig Todesfälle, und nur neunzehn in Southwark, den Lambeth Sprengel mitinbegriffen; in den Pfarren St. Giles und St. Martin-in-den-Feldern hingegen starben allein 421 Menschen.
Wie wir bemerkten, hielt sich die Infektion vorerst mehr in den Außenbezirken; da diese sehr bevölkert waren, besonders von Armen, fand das Übel dort eher seine Opfer als in der City, worauf ich später noch hinweisen werde. Ich sage, wir sahen, wie das Übel auf uns zu gekrochen kam, auf dem Wege nämlich über die Sprengel Clerkenwell, Cripplegate, Shoreditch und Bishopsgate; in den letzten beiden Sprengein, die an Aldgate, Whitechapel und Stepney angrenzen, sollte die Seuche schließlich ihre äußerste Wut und Heftigkeit entladen, auch als sie in den westlichen Teilen, wo sie angefangen hatte, schon nachließ.
Es war sehr auffallend, daß in dieser Woche – ich spreche noch von der Woche vom 4. bis 11. Juli, wo in den beiden Pfarren St. Giles und St. Martin über 400 Pesttote waren, wie ich schon sagte – in der Pfarre Aldgate nur vier, in der Pfarre Whitechapel nur drei und in der Pfarre Stepney nur einer gestorben waren.
Ähnlich war es in der folgenden Woche, vom 11. zum 18. Juli: Das Totenregister stand auf 1761, und doch starben an der Pest auf der gesamten Southwark-Seite des Flusses nicht mehr als sechzehn Personen.
Aber dieser Stand der Dinge änderte sich bald, und besonders im Cripplegate Sprengel mehrten sich die Fälle, und auch in Clerkenwell; in der zweiten Augustwoche war es bereits soweit, daß Cripplegate allein 886 Tote begrub, und Clerkenwell 155; von den ersten kann man 850 auf die Pest rechnen; von den letzten gab das Register selbst 145 für die Pest an.
Während des Monats Juli und solange unsere Gegend, wie ich schon bemerkte, im Vergleich zu den westlichen Stadtteilen verschont zu werden schien, ging ich gewöhnlich in den Straßen umher, wie es mein Geschäft gerade erforderte; insbesondere begab ich mich für gewöhnlich einmal am Tag, oder jeden zweiten Tag, in die City zu dem Haus meines Bruders, mit dessen Verwaltung er mich betraut hatte, um zu sehen, ob es in Sicherheit war; den Schlüssel trug ich bei mir, und so schaute ich immer hinein und durch alle Räume, ob alles auch beim Rechten war; denn so verwunderlich es klingen mag, daß irgend jemand inmitten eines solchen Unglücks die Rohheit des Herzens besessen haben soll, zu rauben und zu stehlen, so sicher ist es, daß damals alle Arten von Schurkereien in der Stadt begangen wurden, sogar Zügellosigkeiten und Unzucht, und ebenso unverschämt wie je, nur vielleicht nicht ganz so häufig, weil eben die Zahl der Leute in jedem Betracht sehr zurückgegangen war.
Nun jedoch begann auch für die City die Heimsuchung, ich meine für die Stadt innerhalb der Mauern; aber dort war die Zahl der Einwohner ganz besonders stark gesunken, da solche Mengen von ihnen aufs Land gegangen waren; und sogar noch den ganzen Juli hindurch hörten sie nicht auf hinauszuströmen, wenn auch nicht in solchen Mengen wie vordem. Im August indessen nahm die Flucht aus der Stadt solche Formen an, daß ich zu glauben begann, es werde bald wirklich außer Behörden und Dienern niemand mehr in der City übrigbleiben.
Wie sie aus der Innenstadt abrückten, so war auch, und das sollte ich nicht zu erwähnen vergessen, der Hof schon früher, nämlich im Juni, nach Oxford umgezogen, wo es Gott gefiel, sie alle am Leben zu erhalten; die Seuche hat keinen von ihnen auch nur berührt, wofür sie meines Wissens allerdings keinerlei Zeichen von Dankbarkeit an den Tag legten, und kaum irgendeinen Ansatz zur Besserung, obwohl man ihnen deutlich genug zu verstehen gegeben hat, daß ihre himmelschreienden Laster, das kann man ohne die Nächstenliebe zu verletzen sagen, ein gutes Teil dazu beigetragen haben, dieses schreckliche Strafgericht auf die ganze Nation herabzuziehen.
Das Antlitz Londons hatte sich nun in der Tat befremdlich verändert, ich will sagen, die Gesamtheit aller Gebäude, der City, der Stadtfreiheit, der Vororte, Westminsters, Southwarks, alles zusammen genommen zeigte es eine Veränderung; was den besonderen Teil angeht, der die City oder die Innenstadt heißt, so war dort nicht so viel geschehen; aber der Gesamteindruck war anders als vorher. Kummer und Sorge standen in jedem Gesicht geschrieben; auch dort, wo man noch weniger betroffen war, zeigte man sich tief bekümmert; und da wir alles ganz deutlich kommen sahen, mußte jeder sich und seine Familie als in äußerster Gefahr betrachten. Wäre es möglich, denen, die diese Zeit nicht miterlebt haben, alles genau zu schildern und dem Leser einen gehörigen Begriff von dem Entsetzen zu geben, das sich überall kundtat, es würde einen sehr tiefen Eindruck hinterlassen und alle Vorstellungen übertreffen. Man konnte wohl sagen, daß ganz London in Tränen war; die Trauer ließ sich freilich nicht auf der Straße sehen, denn niemand ging in Trauerkleidern oder legte Schwarz an, auch für den nächsten Freund nicht; aber die Stimme der Trauer konnte man fürwahr auf der Straße hören. Aus den Fenstern und Türen der Häuser, wo ihre liebsten Angehörigen wohl im Sterben lagen oder eben gestorben waren, hörten wir, wenn wir durch die Straßen gingen, so häufig die Schreie der Frauen und Kinder, daß es auch dem Allergefühllosesten das Herz durchdringen mußte, es mitanzuhören. Tränen und Wehklagen waren beinahe in jedem Hause daheim, besonders am Anfang der Heimsuchung; denn gegen Ende waren die Herzen der Menschen abgestumpft, und der Tod stand ihnen so allgegenwärtig vor Augen, daß der Verlust ihrer Freunde sie nicht mehr so bekümmerte, rechneten sie doch damit, daß sie selbst in der nächsten Stunde abgerufen würden.
Meine Geschäfte führten mich bisweilen in die andere Hälfte der Stadt hinüber, auch schon als die Krankheit vornehmlich dort herrschte; und da es für mich etwas Neues war, wie ja für alle anderen auch, konnte ich es gar nicht fassen, daß diese Straßen, die für gewöhnlich so belebt waren, nun so ausgestorben dalagen und so wenige Menschen auf ihnen zu sehen waren, daß, wenn ich ein Fremder gewesen wäre und den Weg nicht gewußt hätte, ich manchmal eine ganze Straße bis zum Ende hätte hinuntergehen können – eine Nebenstraße jedenfalls
–, ohne jemanden, den ich hätte fragen können, anzutreffen, die Wachmänner ausgenommen, die man vor die Häuser, welche abgeschlossen waren, postiert hatte, worauf ich gleich werde zu sprechen kommen.
Eines Tages – ich hatte in einer besonderen Angelegenheit wieder geschäftlich in jenem Teil der Stadt zu tun – verführte mich die Neugier, mir alles ein wenig genauer anzuschauen, und tatsächlich wanderte ich lange durch Gegenden, in denen ich eigentlich nichts zu tun hatte. Ich ging nach Holborn hinüber, und dort war die Straße voll von Leuten, aber sie gingen alle in der Mitte der breiten Straße, jedoch weder hüben noch drüben am Rande, weil sie, wie ich vermute, mit niemandem in Berührung kommen wollten, der aus einem der Häuser trat, noch sich den Gerüchen und Dünsten aus den Häusern aussetzen, die ja vielleicht infiziert sein mochten.
Die Anwaltskammern waren alle geschlossen; man hätte ohnehin sowohl in Temple als in Lincoln’s Inn als in Gray’s Inn kaum einen Anwalt finden können. Alle Welt war ja friedlich; für Rechtsanwälte gab es keine Arbeit; außerdem war auch Ferienzeit, und die meisten von ihnen waren aufs Land gefahren. Ganze Straßenzüge lang war Haus für Haus fest abgeschlossen, die Einwohner waren alle geflohen, und nur ein oder zwei Wachmänner waren dageblieben.
Wenn ich sage, ganze Straßenzüge waren abgeschlossen, so meine ich nicht: von Amts wegen geschlossen. Aber eine große Anzahl von Menschen war dem Hof gefolgt, weil ihr Broterwerb oder sonst eine Abhängigkeit es von ihnen verlangte; und als andere dann, aus reiner Angst vor der Seuche, sich davonmachten, kam das für manche Straßen einem Aussterben gleich. Aber in der eigentlichen City war die Angst eigentlich noch lange nicht so groß, und das besonders deswegen, weil trotz der unbeschreiblichen Bestürzung, der man im ersten Moment anheimfiel, die Seuche, wie ich erwähnt habe, zu Anfang ja immer wieder abflaute; so wurden sie sozusagen in Angst versetzt und sogleich wieder beruhigt, und dies mehrere Male, bis sie sich schließlich daran gewöhnten; auch als die Krankheit dann mit voller Heftigkeit ausbrach, sahen die Leute doch, daß sie sich nicht gleich bis in die City ausbreitete, auch nicht in den Osten und Süden der Stadt, und so faßten sie wieder Mut und fingen an, wenn ich so sagen darf, ein wenig abgebrüht zu werden. Zwar flüchteten viele, wie ich berichtet habe, aber sie waren hauptsächlich aus dem Westen der Stadt und aus dem, wie wir es nennen, Herzen der City, das heißt, sie stammten aus den wohlhabendsten Kreisen und hatten meist weder Geschäft noch Gewerbe, das sie festgehalten hätte. Aber von den übrigen blieb die Mehrzahl da und schien sich mit dem Schlimmsten abgefunden zu haben; so daß in dem Viertel, das wir die Stadtfreiheit nennen, und in den Vororten, in Southwark und in solchen östlichen Stadtteilen wie zum Beispiel Wapping, Ratcliff, Stepney, Rotherhithe und anderen die Leute im allgemeinen dablieben, ausgenommen ein paar begüterte Familien hie und da, die, wie oben, von der Ausübung eines Berufes nicht abhängig waren.
Es darf hier nicht vergessen werden, daß City und Vororte zur Zeit dieser Heimsuchung außerordentlich stark bevölkert waren, jedenfalls zu der Zeit, als sie begann; denn obwohl ich später ein noch größeres Anwachsen der Bevölkerung erlebt habe, als der Zuzug nach London mächtiger wurde als je zuvor, so hatten wir doch immer den Eindruck, daß die Zahl der Menschen, die, als der Krieg vorüber, die Armee entlassen, die Monarchie wieder hergestellt war, nach London geströmt kamen, um hier eine Existenz zu gründen oder sich am Hofe um Dienstvergütungen oder Vorzugsstellungen oder dergleichen zu bewerben, so groß war, daß man schätzen konnte, es befänden sich über hunderttausend Menschen mehr in der Stadt als sie vorher beherbergt hatte; ja, einige gingen so weit zu sagen, die Zahl habe sich verdoppelt, weil all die verarmten Familien der Königspartei sich hier eingefunden hätten. All die vielen alten Soldaten, die hier ein Gewerbe anfingen: Das gab eine Unmenge von Familien, die sich neu niederließen.
Der Hof wiederum brachte einen Schwärm des Übermuts und neuer Moden mit sich. Alle Leute waren jetzt lebenslustig und anspruchsvoll, und die Freude über die Restauration hatte weiteste Kreise nach London geführt.
Ich mußte oft an Jerusalem denken; wurde es doch von den Römern belagert, als die Juden alle versammelt waren, um das Passahfest zu begehen, wodurch es geschah, daß eine überaus große Menge von Menschen dort überrascht wurde, die sonst anderswo in der Welt gewesen wären; ebenso kam die Pest nach London, als sich beiläufig, aus den oben genannten Umständen, ein unerwartet großer Zuwachs der Bevölkerung ergeben hatte. Da der Zustrom zu einem ausgelassen und lustig lebenden Hof Handel und Gewerbe in der City einen großen Aufschwung verlieh, insbesondere in allem was zu Mode und Ausstattung gehörte, so mußte das ganze Scharen von Arbeitern und Handwerkern und so weiter herbeiziehen, die meist arm waren und von ihrer Hände Arbeit lebten. Und ich erinnere mich im einzelnen, daß in einer für den Lordbürgermeister bestimmten Darstellung der Lage der Armen geschätzt wurde, es gebe in der City und ihrer Umgebung nicht weniger als hunderttausend Bandweber, von denen das Gros in den Pfarren Shoreditch, Stepney, Whitechapel und Bishopsgate lebte, im letzteren namentlich um Spitalfields; das heißt freilich, Spitalfields, so wie es damals war, denn es war noch nicht der fünfte Teil von dem, was es heute ist.
Hieraus kann man sich ein Bild von der Bevölkerungszahl im ganzen machen; und in der Tat wunderte ich mich oft darüber, daß, nachdem zuerst so ungeheuer viele Leute abgezogen waren, immer noch eine so große Menge übrigblieb, wie es allem Anschein nach der Fall war.
Aber ich muß wieder zum Anfang dieser überraschungsreichen Zeit zurückkehren. Während die Angst der Leute noch jung war, wurde sie durch einige seltsame Ereignisse merklich verstärkt, so daß, nimmt man das alles zusammen, man sich wirklich fragen muß, warum nicht die gesamte Einwohnerschaft wie ein Mann aufstand und ihre Wohnungen verließ, um den Ort, der vom Himmel zu einem Schindanger ausersehen schien, dem Schicksal preiszugeben, das ihm bestimmt war: vom Angesicht der Erde mit allen, die auf ihm gefunden wurden, ausgelöscht und zerstört zu werden.
Ich werde von diesen Ereignissen nur einige aufführen; aber es waren ihrer tatsächlich so viele, und so viele Hellseher und Wahrsager trugen zu ihrer Verbreitung bei, daß ich oft wirklich nicht begriff, daß überhaupt noch jemand (besonders von den Frauen) zurückblieb.
Als erstes erschien mehrere Monate vor der Pest ein Schweifstern oder Komet, so wie es auch im Jahre darauf vor der Feuersbrunst geschah. Die alten Weiber und die schwachsinnigen Hypochonder aus dem anderen Geschlecht, die ich eigentlich auch alte Weiber nennen kann, bemerkten (besonders nachher, als beide Vorbedeutungen vorüber waren), daß jene zwei Kometen direkt über der City dahingezogen waren, und zwar so tief über den Häusern, daß es klar war, sie bedeuteten etwas ganz Bestimmtes nur für die City; sie wußten auch, daß der Komet vor der Pest eine schwächliche, stumpfe, vergilbte Farbe zeigte und daß seine Bewegung schwerfällig, feierlich und langsam war; daß hingegen der Komet vor dem Feuer hell und funkelnd oder, wie andere sogar sagten, flammend war und seine Bewegung rasch und wild; und daß dementsprechend der eine ein schweres Strafgericht, langsam, aber streng, fürchterlich und schreckenerregend, so wie eben die Pest, voraussage; der andere jedoch einen plötzlichen, raschen Schlag ankündige, und etwas Feuriges so wie einen Brand. Ja, so eigenartig waren einige Leute, daß sie, als sie auf einen Kometen, der dem Feuer vorausging, schauten, nicht nur glaubten, ihn rasch und stürmisch vorbeiziehen zu sehen und seine Bewegung mit den Augen verfolgen zu können, sondern sich sogar einbildeten, ihn auch zu hören; er habe ein sausendes, mächtiges Getöse gemacht, wild und schrecklich, wenn auch sehr von ferne und nur eben noch vernehmlich.
Ich habe diese Sterne beide gesehen und hatte, das muß ich gestehen, so viel von der allgemeinen Vorstellung über solche Dinge im Kopf, daß ich nicht umhin konnte, sie als Vorläufer und Warner vor Gottes Strafgerichten zu betrachten; und als ich gar, nachdem auf den einen die Pest tatsächlich gefolgt war, einen zweiten der gleichen Art sah, was sollte ich anders meinen, als daß Gottes Züchtigung für die Stadt noch nicht ausreichend war?
Aber auf der anderen Seite konnte ich in diesen Dingen nicht so weit gehen wie es andere taten; wußte ich doch, daß die Astronomen diesen Erscheinungen natürliche Ursachen zuschreiben und daß ihre Bewegung, ja ihre wiederkehrende Bahn berechnet werden kann, wenigstens bis zu einem gewissen Grade, so daß man sie nicht mit vollem Recht die Vorläufer oder die Ankünder, noch viel weniger aber die Anstifter von solchen Ereignissen wie Pestilenz, Krieg, Feuer und dergleichen nennen kann.
Aber mögen meine Ansichten und die Ansichten der Philosophen sein oder gewesen sein, was sie wollen, diese Dinge übten jedenfalls einen außerordentlichen Einfluß auf das gewöhnliche Volk aus, und die Niedergeschlagenheit und die Furcht vor einer schrecklichen Drangsal, die als Strafgericht über die Stadt heraufziehe, waren fast allgemein; und das rührte in der Hauptsache von dem Anblick dieses Kometen her und von dem kleinen Aufschrecken, das der Tod der beiden Menschen in St. Giles im Dezember, wie beschrieben, verursacht hatte.
Die Angst der Leute wurde weiterhin auffallend durch den Irrglauben der Zeit gefördert, der, aus Gründen, für die ich keine Erklärung habe, das Volk, ich glaube mehr als jemals zuvor und jemals danach, in den Bann von Prophezeiungen, astrologischen Horoskopen, Traumauslegungen und Altweibergeschichten zog. Ob dieser unselige Geisteszustand ursprünglich durch den Unfug gewisser Leute, die damit Geld verdienten, hervorgerufen wurde (das heißt, sie gaben Vorhersagen und Zukunftsprognosen in Druck), weiß ich nicht; aber sicher ist, daß Bücher einen gewaltigen Schrecken verbreiteten, so etwa Lillys Almanach, Gadburys Astrologische Voraussagungen, Poor Robins Almanach, und dergleichen; auch einige angeblich religiöse Bücher, eines mit dem Titel: »Komm fort von dem Ort, mein Volk, damit du nicht Teilhaber seiner Plagen wirst!«; ein anderes hieß: »Aufrechte Warnung«; noch ein anderes: »Britanniens Anmahner«; und davon gab es viele, und alle, oder doch die meisten von ihnen, sagten offen oder versteckt den Untergang der Stadt voraus. Ja, einige Schwarmgeister waren so toll, daß sie auf den Straßen umherrannten und mündlich ihre Vorhersagen verkündeten, vorgebend, sie seien gesandt, der Stadt zu predigen; an einen denke ich besonders, der, gleich einem Jona in Ninive, durch die Straßen schrie: »Vierzig Tage noch, und London wird zerstört werden.« Ich möchte mich nicht festlegen, ob er sagte: noch vierzig Tage, oder: noch einige Tage. Ein anderer rannte, nackt bis auf eine Unterhose, umher und schrie, ähnlich jenem Manne, von dem Josephus erwähnt, daß er »Weh über Jerusalem!« gerufen habe, kurz bevor es zerstört wurde. So schrie dieser arme nackte Kerl: »Oh, der große und schreckliche Gott!«, und sonst sagte er nichts, sondern wiederholte nur immerfort diese Worte, mit einer Stimme und einem Angesicht, die grauenvoll waren, und dabei hielt er immer einen raschen Schritt ein; niemand hat ihn je stehenbleiben oder ausruhen gesehen oder Nahrung zu sich nehmen, jedenfalls nicht daß ich davon gehört hätte.
Ich begegnete diesem armen Geschöpf mehrmals auf der Straße, und ich wollte mit ihm sprechen, aber er ließ sich mit niemand auf ein Gespräch ein, mit mir nicht und auch mit sonst niemand, sondern fuhr unaufhörlich mit seinem schaurigen Schreien fort.
Solche Dinge erschreckten die Leute bis zum äußersten, und das um so mehr, als sie dann zwei- oder dreimal auf dem Sterberegister, wie ich schon erwähnt habe, einen oder zwei Tote angezeigt sahen, die in St. Giles an der Pest gestorben waren.
Zu diesen öffentlichen Vorkommnissen gesellten sich die Träume der alten Weiber oder, so muß ich sagen, die Auslegungen, die alte Weiber den Träumen anderer gaben; und das machte nun mehr als genug Menschen vollends kopflos. Manche hörten Stimmen, die sie warnten, sie sollten fortgehen, denn es werde eine solche Pest über London kommen, daß die Lebenden nicht mehr imstande sein würden, die Toten zu begraben. Andere sahen Erscheinungen in der Luft; und man muß mir gestatten, von beidem zu sagen, und ich hoffe, damit nicht die Nächstenliebe zu verletzen, daß die Stimmen, die sie hörten, niemals sprachen, und die Erscheinungen, die sie sahen, niemals da waren; sondern die Phantasie der Leute war einfach losgelassen und wie besessen. Und es war auch kein Wunder, daß sie, wenn sie sich fortwährend in die Wolken verguckten, Gestalten und Figuren, Zeichen und Erscheinungen sahen, die aus nichts als Luft und Dunst bestanden. Hier sagte uns einer, er habe ein flammendes Schwert in einer Hand gesehen, die aus einer Wolke kam, und die Spitze habe direkt über der Stadt gehangen; dort behauptete einer, er habe Leichenwagen und Särge in der Luft gesehen, in denen man Tote zu Grabe trug; und wieder ein anderer sprach von ganzen Haufen unbestattet liegender Leichen und mehr dergleichen, wie gerade ihre Phantasie den armen erschreckten Leuten den Stoff lieferte, um ihn sich auszumalen.
»Der Hypochonder träumt und sieht am Himmel Armeen, Flotten, wildes Schlachtgetümmel; dann kommt ein Nüchterner und schaut und lacht: was so ein Narr aus Wolken alles macht!«

Ich könnte diesen Bericht mit den seltsamsten Erzählungen anfüllen, die solche Leute jeden Tag über das, was sie gesehen hätten, zum besten gaben; und jeder war so sicher, wirklich zu sehen, was er zu sehen behauptete, daß man nicht widersprechen konnte, ohne daß Freundschaften in die Brüche gingen oder man entweder roh und ungesittet gescholten wurde oder als verstockt und ohne Sinn für Höheres galt. Eines Tages – die Pest war noch nicht ausgebrochen (außer, wie beschrieben, in St. Giles) –, und es war, ich glaube, März, da sah ich eine Menschenansammlung auf der Straße, ich ging hinzu, um meine Neugier zu befriedigen, und fand sie, wie sie alle gen Himmel starrten, um zu erkennen, was, wie eine Frau erklärte, ganz klar zu sehen sei: ein Engel, in Weiß gekleidet, mit einem feurigen Schwert in seiner Hand, das er hin- und herschwang oder über dem Kopf kreisen ließ. Sie beschrieb jede Einzelheit der Gestalt bis ins kleinste, zeigte ihnen Bewegung und Form, und die armen Leute waren ganz bei der Sache und machten bereitwilligst mit. »Ja, ich sehe es ganz deutlich«, sagte einer, »da ist das Schwert, deutlicher kann man es nicht sehen«; ein anderer sah den Engel. Einer sah sogar seine Gesichtszüge und rief laut, was für ein herrliches Geschöpf er sei! Der eine sah dies, der andere das. Ich schaute so ernsthaft wie alle anderen, aber vielleicht nicht mit der gleichen Bereitschaft, mir etwas vormachen zu lassen; und ich sagte schließlich, daß ich nichts sehe als eine weiße Wolke, hell auf der einen Seite, weil das Sonnenlicht von hinten auf sie falle. Die Frau bemühte sich, es mir zu zeigen, aber sie konnte mich nicht dazu bringen zu gestehen, daß ich es sah, was auch eine Lüge gewesen wäre. Aber die Frau kam auf mich los, schaute mir ins Gesicht und meinte, ich lache, worin ihre Einbildung sie ebenfalls täuschte, denn ich lachte in Wirklichkeit nicht, sondern machte mir ernste Gedanken darüber, wie die armen Leute durch die Macht ihrer eigenen Einbildungskraft sich so in Schrecken versetzen ließen. Sie wandte sich jedoch von mir ab, nannte mich einen Lästerer und Spötter; sagte mir, dies sei eine Zeit für Gottes Zorn, und furchtbare Strafgerichte nahten heran, und Verächter so wie ich würden vom Wege abkommen und zugrunde gehen.

Die Leute um sie herum schienen ebenso aufgebracht wie sie; und ich fand, es habe keinen Sinn, sie überzeugen zu wollen, daß ich sie nicht auslachte, und sie würden mich eher verprügeln als sich von mir über ihren Irrtum aufklären lassen. So ließ ich sie stehen; und diese Himmelserscheinung galt für so wirklich wie der Komet selbst.

Noch etwas stieß mir wieder am hellichten Tage zu; und das war, als ich einen engen Durchgang passierte, der von Petty France, an einer Reihe von Armenhäusern vorbei, auf den Bishopsgate-Friedhof führt. Es gibt zwei Friedhöfe, die zur Pfarre und Kirche in Bishopsgate gehören; den einen überschreitet man, wenn man von dem Platz, der Petty France heißt, in die Bishopsgate Straße gelangen will, wobei man dann gerade an der Kirchentür herauskommt; der andere ist neben der schmalen Durchgangsstraße, wo links die Armenhäuser stehen; und auf der rechten Seite ist eine niedrige Mauer mit einem Staketenzaun darauf, und noch weiter rechts verläuft die Stadtmauer.

Auf dieser schmalen Durchgangsstraße steht ein Mann und schaut durch die Spalten des Staketenzauns auf den Friedhof, und so viele Menschen wie die Enge des Weges erlaubt, ohne daß andere am Vorbeigehen gehindert werden, sind stehengeblieben, und er spricht mit großem Eifer zu ihnen und deutet einmal hierhin, einmal dorthin, und behauptet, er habe einen Geist gesehen, der auf dem Grabstein dort gewandelt sei. Er konnte die Gestalt, die Haltung und Bewegung so genau beschreiben, daß es ihm unerfindlich war, wie irgend jemand in der Welt es nicht genau so gut sehen könne wie er selbst. Plötzlich fing er dann zu schreien an: »Da ist er; jetzt kommt er hierher.« Dann: »Er hat sich umgewandt«; bis er schließlich die Leute zu einem so festen Glauben daran gebracht hatte, daß einer schon glaubte, er sehe den Geist auch, und ein anderer meinte ebenfalls, er sehe ihn; und so kam der Mann jeden Tag und erregte ein rechtes Aufsehen – man denke, wie schmal die Straße war – bis die Bishopsgate Turmuhr elf schlug; dann pflegte der Geist aufzubrechen, und als sei er abgerufen worden, war er plötzlich verschwunden.

Ich schaute immer sofort angestrengt in jede Richtung, die der Mann angab, um ja den Moment nicht zu verpassen, aber konnte dennoch nicht den geringsten Anschein von irgend etwas erblicken; so sicher war der arme Kerl jedoch seiner Sache, daß die Leute sich scharenweise von ihm betören ließen und vor Schreck am ganzen Leibe zitternd davongingen; zuletzt hatte keiner, der davon wußte, mehr Lust, diesen Durchgangsweg zu benutzen, und bei Nacht schon gar nicht, was auch immer geschehen mochte.

Dieser Geist, so versicherte der arme Kerl, machte Zeichen zu den Häusern hin und zu dem Friedhofsgrund und dann zu den Leuten, und gab damit deutlich zu verstehen, jedenfalls faßte man es so auf, daß sehr viele von den Menschen ihr Grab auf dem Friedhof finden würden, wie es dann auch geschah; aber daß er solche Gesichte gehabt habe, muß ich gestehen, habe ich niemals geglaubt, noch konnte ich selbst irgend etwas davon sehen, so sehr ich mich auch anstrengte, es, wenn möglich, zu erschauen.

Aus diesen Dingen geht hervor, wie weit die Menschen in der Tat bereits Sinnestäuschungen erlagen; und da sie eine Ahnung hatten, daß eine Heimsuchung bevorstehe, richteten sich alle Vorhersagen auf eine entsetzliche Pestzeit, die die ganze Stadt, ja das ganze Land verheeren und fast das gesamte Volk, Mensch wie Tier, ausrotten werde.

Hinzukamen, wie ich vorher schon sagte, die Astrologen mit ihren Geschichten von bösartigen und unheilvollen Planetenkonstellationen; eine von ihnen sollte im Oktober eintreffen, und traf auch ein, und die andere im November; und man machte den Leuten den Kopf wirr mit Vorbedeutungen, die man diesen Himmelszeichen entnahm, nämlich daß die Konstellationen Trockenheit, Hunger und Pestilenz ankündigten.

In den beiden ersten Voraussagungen irrten sie sich freilich gründlich, denn wir hatten keine Trockenheit; dafür zu Beginn des Jahres einen strengen Frost, der vom Dezember beinahe bis zum März andauerte, und danach mäßiges Wetter, eher warm als heiß, mit erfrischenden Winden, kurz und gut, eigentlich recht angemessenes Wetter, und auch eine Reihe von schweren Regenfällen.

Einige Anstrengungen wurden gemacht, den Druck von Büchern zu untersagen, die geeignet waren, Panik in der Bevölkerung zu verbreiten; und um sie abzuschrecken, wurden einige der Buchhändler in Gewahrsam genommen; aber weiter geschah nichts in der Angelegenheit, da, wie ich erfuhr, die Regierung alles vermeiden wollte, was die Leute verbittert hätte, die doch, wenn ich so sagen darf, ohnehin schon völlig den Verstand verloren hatten.

Auch kann ich jene Geistlichen nicht ganz von Schuld freisprechen, die in ihren Predigten ihre Zuhörer, anstatt sie aufzurichten, eher noch zu Boden donnerten. Viele von ihnen taten das zweifellos in der Absicht, die guten Vorsätze der Leute zu kräftigen und vor allem ihre Bußfertigkeit zu beschleunigen, aber ihr Tun entsprach diesem Zweck nicht, jedenfalls nicht im Verhältnis zu dem Schaden, den es auf andere Weise anrichtete; und in der Tat, so wie Gott selbst die ganze Schrift hindurch eher durch Einladungen und Aufforderungen, sich Ihm zuzuwenden und zu leben, die Menschen anzieht, als daß Er uns mit Terror und Drohung überwältigt, so hätten auch, muß ich sagen, nach meiner Ansicht die Geistlichen verfahren sollen; hätten sie doch darin sich ein Beispiel an unserem seligen Herrn und Meister genommen, wie Sein ganzes Evangelium voll ist mit Erklärungen, daß Gott im Himmel gnädig ist und bereit, die Reumütigen aufzunehmen und ihnen zu verzeihen; ist doch Seine Klage: »Ihr wollt nicht zu Mir kommen, daß ihr das Leben habt«; darum heißt Sein Evangelium auch das Evangelium des Friedens und das Evangelium der Gnade.

Aber wir hatten gutmeinende Männer, und zwar in jeder Glaubensrichtung und Konfession, deren Kanzelreden von Schrecken erfüllt waren, die von nichts als schaurigen Dingen zu sprechen wußten; und wie sie die Menschen nur unter einer Art von Schauder versammelten, so entließen sie sie in Tränen; sie hatten nur Schlimmes zu prophezeien, trieben die Leute in die äußerste Angst, gänzlich vernichtet zu werden, aber leiteten sie nicht an, zumindest nicht genügend, zum Himmel um Gnade zu flehen.

Es war allerdings eine Zeit sehr unseliger Zerwürfnisse in unserem Land, was die Religion betrifft. Unzählige Sekten und Grüppchen und abweichende Anschauungen behaupteten sich unter dem Volk. Die Englische Staatskirche war zwar, mit der Restauration oder Monarchie, etwa vor vier Jahren wieder hergestellt worden, aber die Geistlichen und Prediger der Presbyterianer und der Unabhängigen und all der anderen Konfessionen hatten begonnen, eigene Gemeinschaften zu bilden und Altar gegen Altar zu errichten, und alle hielten sie ihre Gottesdienste getrennt ab, wie sie es auch jetzt noch tun; nur waren ihrer damals noch nicht so viele, da die Reformierten sich noch nicht so vollständig organisiert hatten, wie es seither geschah, und die Gemeinden, die sich auf diese Art bildeten, waren noch nicht so zahlreich. Und wenn sie zusammenkamen, taten sie es ohne die Erlaubnis der Regierung, die sie zu unterdrücken und ihre Versammlungen zu schließen bemüht war.

Aber die Heimsuchung versöhnte sie wieder alle, wenigstens eine Zeitlang, und viele der besten und tüchtigsten Geistlichen und Prediger der Reformierten durften in die Kirchen gehen, von denen die Pfründner geflohen waren, wie es viele von ihnen, da sie es nicht aushalten konnten, getan hatten; und das Volk strömte ohne Unterschied herbei, sie predigen zu hören, ohne sich weiter darum zu kümmern, wer sie waren oder welcher Glaubensrichtung sie angehörten. Als jedoch die Krankheit vorüber war, ließ dieser Geist der Brüderlichkeit nach; jede Kirche war wieder mit eigenen Geistlichen versorgt, oder es wurde, wo einer gestorben war, ein neuer eingestellt, und die Dinge kehrten in ihr altes Fahrwasser zurück.

Ein Unheil ruft immer das andere herbei. Die Angst und der Schrecken verleitete die Leute zu tausend törichten, unsinnigen und schlimmen Dingen, zu denen sie zu ermutigen es einer wirklich bösartigen Sorte von Individuen eigentlich nicht bedurft hätte, und das war, zu Wahrsagern, Hellsehern und Astrologen zu laufen, um die Zukunft zu erfahren oder, wie man es volkstümlich ausdrückt, sich wahrsagen oder sich das Horoskop stellen zu lassen oder ähnliches; und dieser Unfug führte sogleich dazu, daß die Stadt mit einem bösen Schwarm von angeblichen Zauberern, von Schwarzkünstlern, wie sie sich nannten, und ich weiß nicht, was noch, überflutet wurde; ja, tausend noch schlimmerer Teufelskünste rühmten sie sich, als sie in Wirklichkeit ausübten. Und dieses Gewerbe trat so offen an den Tag und wurde so allgemein betrieben, daß es bald eine ganz alltägliche Erscheinung war, an den Türen Schilder und Inschriften zu lesen wie: »Hier wohnt ein Wahrsager«, »hier wohnt ein Astrolog«, »hier kann man sein Horoskop stellen lassen« und dergleichen mehr; und Bruder Bacons Bronzebüste, die üblicherweise die Wohnung solcher Leute bezeichnete, konnte man in beinahe jeder Straße sehen, oder sonst das Mutter-Shipton-Zeichen oder Merlins Haupt oder was es Ähnliches mehr gibt.

Mit welchem sinnlosen, absurden und lächerlichen Zeug diese Teufelsorakel die Leute bedienten und zufriedenstellten, weiß ich freilich nicht, aber sicher ist, daß unzählige Kunden sich Tag für Tag an deren Türen drängten. Und wenn sich so ein Kerl nur in Samtrock, Beffchen und schwarzem Umhang, was die gewöhnliche Tracht dieser Scharlatane war, feierlichen Schrittes auf der Straße sehen ließ, sofort pflegten ihm die Leute in Scharen nachzulaufen und ihm Fragen zu stellen, während sie ihm folgten.

Ich brauche nicht zu sagen, was für ein schauderhafter Betrug das war oder wo das alles hinaus wollte; aber es gab kein Mittel dagegen, bis die Pest selbst schließlich dem ein Ende setzte und die Stadt, so will ich annehmen, auch von den meisten dieser Hochstapler reinigte. Ein Unheil war es, daß diese Schein-Astrologen, wenn die armen Leute sie fragten, ob es eine Pest geben werde, alle übereinstimmend die Antwort »JA« gaben, denn das hielt ihr Gewerbe in Gang. Und hätten die Leute nicht ständig darum so in Angst gelebt, die Hellseher hätten sich sogleich als nutzlos erwiesen, und ihre ganze Kunst wäre am Ende gewesen. Aber sie wußten immer von dem-unddem Einfluß der Sterne, der Konjunktion der Planeten so-undso zu faseln, was notwendigerweise Krankheit und Übelkeiten und am Ende die Pest hervorbringen müsse. Und einige besaßen die Stirn zu behaupten, die Pest sei schon da, was auch stimmte, nur daß die, die es sagten, nichts davon wußten.

Die Geistlichen und Prediger waren, das muß man ihnen gerechterweise lassen, in den meisten Fällen ernsthafte und verständige Männer und wetterten gegen diese und andere üble Machenschaften, und stellten ihrer aller Torheit und Sündhaftigkeit bloß, und die meisten nüchtern denkenden und urteilsfähigen Menschen verachteten und verabscheuten sie auch. Aber es war unmöglich, auf den Durchschnittsbürger und auf die schwer arbeitenden Armen einen Eindruck zu machen. Ihre Furcht beherrschte alle ihre Leidenschaften, und sie warfen auf geradezu hirnverbrannte Art für solche Unsinnigkeiten ihr Geld fort. Dienstmädchen und Hausdiener waren die Hauptabnehmer, und ihre Frage war gewöhnlich – ich meine, nachdem sie sich vergewissert hatten »Wird es eine Pest geben?« die Frage: »Oh, was wird, um Gottes willen, aus mir werden, mein Herr? Wird die gnädige Frau mich behalten oder wird sie mich entlassen? Werden die Herrschaften hierbleiben oder werden sie aufs Land ziehen? Und wenn sie aufs Land ziehen, werden sie mich mitnehmen oder werden sie mich hierlassen, so daß ich verhungere und umkomme?« Und entsprechend die Hausdiener.

Die Wahrheit ist, die armen Hausangestellten waren sehr arg dran, wie ich bei späteren Gelegenheiten noch näher darlegen werde, denn es lag auf der Hand, daß sie in überwiegender Zahl entlassen werden würden, und so kam es auch. Und von ihnen gingen viele zugrunde und unter ihnen besonders solche, denen diese falschen Propheten mit der Hoffnung geschmeichelt hatten, sie würden in ihren Diensten verbleiben und von ihren Herrschaften mit aufs Land genommen werden; und hätte nicht die öffentliche Wohltätigkeit für diese armen Geschöpfe gesorgt, deren Zahl ausnehmend groß war, wie es in Fällen dieser Art nicht anders sein kann, so wäre von allen Menschen in der Stadt ihr Los das schlimmste gewesen.

Diese Dinge bewegten die Gemüter des gemeinen Volkes monatelang, während die ersten Ängste über sie kamen und die Pest eigentlich noch gar nicht ausgebrochen war. Aber ich darf auch nicht zu berichten vergessen, daß der gesetztere Teil der Bevölkerung sich auf ganz andere Art verhielt. Die Regierung rief zu Andachtsübungen auf und setzte öffentliche Gebete und Fast- und Bußtage fest, an denen man öffentlich seine Sünden bekennen und die Gnade Gottes erflehen sollte, um das fürchterliche Strafgericht, das über den Häuptern schwebte, abzuwenden; und es läßt sich gar nicht mit Worten ausdrücken, mit welcher freudigen Bereitwilligkeit die Menschen aller Glaubensrichtungen die Gelegenheit ergriffen; wie sie zu den Kirchen und den Gottesdiensten strömten und sie so überfüllten, daß niemand mehr Einlaß fand, ja daß man bei den größten Kirchen nicht einmal bis zur Tür gelangen konnte. Es waren auch tägliche Morgen- und Abendgebete in mehreren Kirchen angesetzt und anderswo Tage der stillen Andacht; und an allem nahmen die Leute, ich muß sagen, mit ungewöhnlicher Inbrunst teil.

Verschiedene Familien, gleich welcher Konfessionen, hielten ihre privaten Familienfasten, an denen sie nur ihre nahen Verwandten teilnehmen ließen. So daß, in einem Wort, die Menschen, denen es mit ihrer Religion wirklich ernst war, sich auf wahrhaft christliche Art passenden Werken der Buße und der Demut widmeten, wie es einem christlichen Volk ansteht.

So zeigte doch wiederum jeder, daß er an allgemeinen Anliegen mittragen wollte; sogar der Hof, so vergnügt und üppig er zu der Zeit lebte, legte eine Miene echter Besorgnis für die öffentliche Gefahr an. All die Theaterspiele und Belustigungen, die, nach der Sitte des französischen Hofes, bei uns aufgekommen waren und sich immer mehr zu verbreiten begannen, wurden untersagt; die Spielbanken, öffentlichen Tanzhallen und Vergnügungsstätten, deren immer wachsende Zahl auf die Volkssitten schon sehr verderblich wirkte, wurden geschlossen und verboten; und die Hanswürste, Spaßmacher, Puppenspieler, Seiltänzer und was dergleichen Tingeltangel mehr ist, um das einfache Volk zu betören, mußten schließen, da sie tatsächlich kein Geschäft mehr machen konnten; denn die Gemüter der Leute wurden von anderen Dingen bewegt, und das brachte eine Art von Trauer und Grauen auch in die Gesichter des gemeinen Volkes. Der Tod stand ihnen vor Augen, und jeder dachte schon an sein Grab, nicht aber an Vergnügen und Zerstreuungen.

Aber selbst solche heilsamen Gedanken, die, richtig verstanden, die Leute ganz natürlicherweise dazu geführt hätten, auf die Knie zu fallen, ihre Sünden zu bekennen und zu ihrem gnädigen Erlöser aufzuschauen und Ihn um Vergebung und Erbarmen in einer solchen Zeit der Not anzuflehen, so daß wir wie ein zweites Ninive hätten sein können, zeitigten beim niederen Volk einen Ausschlag nach der entgegengesetzten Richtung; so wie sie vorher tierisch gedankenlos dahingelebt hatten, so ließen sie sich jetzt, in ihrer Unwissenheit und Dummheit, von der Furcht zu den Extremen der Torheit treiben; und so liefen sie nicht nur, wie ich vorher schilderte, zu Zauberern und Hexen und allen möglichen Betrügern, um zu erfahren, was aus ihnen werden würde (diese fütterten ihre Furcht und hielten sie mit Absicht stets in Angst, um sie irrezuführen und ihnen die Taschen zu leeren), sondern waren ebenso verrückt hinter Quacksalbern und Marktschreiern und jedem kurpfuschenden alten Weib her, um Medizinen und Heilmittel zu bekommen; sie versorgten sich mit so großen Vorräten an Pillen, Tränken und sogenannten Abwehrmitteln, daß sie nicht nur ihr ganzes Geld dafür ausgaben, sondern sich, aus lauter Angst vor dem Gift der Ansteckung, schon vorher selbst vergifteten, auf diese Weise der Pest Vorschub leistend, anstatt ihr vorzubeugen. Auf der anderen Seite ist es unglaublich, ja kaum vorstellbar, wie die Pfeiler der Häuser und die Straßenecken über und über mit Plakaten und medizinischen Anzeigen beklebt waren; ganz unwissende Burschen, Kurpfuscher und Quacksalber, luden die Leute ein, bei ihnen Arzneien zu kaufen, und sie priesen sie mit solch blühenden Redensarten an wie: »Unfehlbar wirkende Vorbeugepillen gegen die Pest.« »Niemals versagendes Abwehrmittel gegen Ansteckung.« »Unübertreffliches Kräftigungspulver gegen die Verpestung der Luft.« »Genaue Anweisung für die Körperbehandlung im Falle der Ansteckung.« »Anti-Pestilenzpillen.« »Unvergleichlicher Trank gegen die Pest, noch nie im Gebrauch gewesen.« »Ein Universal-Heilmittel für Pestkranke.« »Das einzig echte Pestwasser.« »Das königliche Gegenmittel gegen jede Art von Infektionen.« Und so noch viele mehr, daß ich sie nicht alle aufzählen kann; und wenn ich es könnte, so würde es ein ganzes Buch anfüllen, sie zu verzeichnen.

Andere forderten auf Anschlägen die Leute auf, zu ihnen in die Wohnung zu kommen, um sich im Falle der Ansteckung Weisung und Rat zu holen. Sie gaben sich hochtrabende Titel, wie zum Beispiel: »Hervorragender Hoch-Niederländischer Arzt, kürzlich von Holland angekommen, wo er während der ganzen Zeit der großen Pest vorigen Jahres in Amsterdam weilte und eine Unzahl von Menschen geheilt hat, die tatsächlich von der Pest befallen waren.«

»Italienische Adelsfrau, eben aus Neapel zugereist, im Besitz eines erlesenen Geheimmittels, um Ansteckungen zu verhindern, das sie durch ihre große Erfahrung erfunden hat und womit sie wunderbare Heilungen in der letzten Pest dortselbst bewirkte, in welcher an einem Tage 20 000 starben.«

»Dame aus altem Adel, die mit großem Erfolg bei der vorigen Pest in dieser Stadt, Anno 1636, praktiziert hat, erteilt ihren Rat nur dem weiblichen Geschlecht. Sprechstunden –« und so weiter.

»Erfahrener Arzt, der lange die Lehre von den Gegenmitteln gegen alle Arten von Vergiftungen und Infektionen studiert hat, ist nach 40 Jahren Praxis so weit fortgeschritten, daß er, mit dem Segen Gottes, Personen anleiten kann, die Berührung mit einer ansteckenden Seuche, welcher Art immer, zu verhindern. Behandelt Mittellose gratis.«

Ich führe diese nur als Beispiel an. Ich könnte zwei oder drei Dutzend ähnliche angeben und hätte immer noch mehr als genug übrig. Es mag ausreichen, um jedem einen Eindruck zu vermitteln, wes Geistes jene Zeit war und wie eine Handvoll Spitzbuben und Taschendiebe die armen Leute nicht nur ausraubten und um ihr Geld betrogen, sondern sie obendrein mit abscheulichen und gefährlichen Tinkturen vergifteten; einige benutzten Quecksilber, manche wieder etwas anderes ebenso Schlimmes, das mit dem Zweck, für den es vorgeblich bestimmt war, gar nichts gemein hatte, und für den Körper, im Falle eine Ansteckung erfolgte, nur eher schädlich als nutzbringend war.

Ich möchte einen schlauen Trick nicht übergehen, mit dem einer jener Kurpfuscher die gutgläubigen Leute betörte, seine Sprechstunde zu überlaufen, während er doch ohne Geld für sie nichts tat. Er hatte auf den Handzetteln, die er auf der Straße verteilen ließ, so scheint es, in großen Buchstaben seiner Annonce den Satz hinzugefügt: »Beratung für die Armen umsonst.«

Eine Unmenge von Leuten ging infolgedessen zu ihm, und er hielt ihnen viele schöne Reden, untersuchte sie auf ihren Gesundheitszustand und ihre Körperverfassung und gab ihnen viele gute Ratschläge, die aber alle nicht viel wert waren. Das Ende vom Liede war jedoch, daß er ein Präparat habe, das – wie er mit seinem Leben garantierte – sie nie die Pest bekommen lassen würde, wenn sie es in der-und-der Menge jeden Morgen einnähmen; und das nicht einmal, wenn sie mit Leuten, die angesteckt seien, in einem Haus zusammen wohnten. Das ließ natürlich die Leute den Vorsatz fassen, es zu kaufen; aber der Preis war eben so-und-so viel, ich glaube, er betrug eine halbe Krone. »Aber, Herr Doktor«, sagt da ein armes Weib, »ich bin eine Frau aus dem Armenhaus, ich werde von der Pfarrgemeinde unterhalten, und auf den Zetteln heißt es, Ihr gebt Euren Rat den Armen umsonst.« »Ja, ja gute Frau«, sagt der Doktor, »das tue ich auch, genau wie ich es dort kundmache. Ich gebe den Armen meinen Rat umsonst, aber nicht mein Medikament.« »Ach, Herr Doktor!« sagt sie, »das ist ja eine Falle, die Ihr den Armen legt; das heißt, Ihr ratet ihnen umsonst, für ihr Geld das Medikament von Euch zu kaufen; das macht jeder Kaufmann mit seinen Waren.« Hier fing sie an, ihm böse Worte zu geben, und dann blieb sie den ganzen Tag vor seiner Tür stehen und erzählte ihre Geschichte allen Leuten, die kamen, bis der Doktor merkte, daß sie seine Kunden abspenstig machte, und gezwungen war, sie wieder heraufzurufen und ihr seine Schachtel mit der Arznei umsonst zu geben, die sie wahrscheinlich dann auch umsonst eingenommen hat.

Aber um auf die Leichtgläubigen zurückzukommen, deren Geistesverwirrung sie für alle möglichen Scharlatane und für jeden Marktschreier zum leichten Opfer machte. Es kann kein Zweifel bestehen, daß diese quacksalbernden Gesellen an den armen Leuten große Gewinne erzielten, denn Tag um Tag mußten wir sehen, wie ihre Anhängerschaft ungleich größer war und vor ihren Türen sich mehr Wartende drängten als bei Dr. Brooks, Dr. Upton, Dr. Hodges, Dr. Berwick oder irgendeinem der noch so berühmten Ärzte Londons jener Zeit. Und ich habe mir sagen lassen, manche von ihnen hätten fünf Pfund am Tage mit ihren Arzneien verdient.

Aber es gab darüber hinaus noch eine andere Sucht, die dazu dienen mag, einen Begriff von der damals herrschenden Kopflosigkeit zu vermitteln, und das war, daß sie noch schlimmeren als den genannten Betrügern Glauben schenkten; denn diese kleinen Diebe täuschten sie nur, um ihnen das Geld aus der Tasche zu ziehen, wobei das Unrecht, welcher Art immer es war, vornehmlich auf der Seite der Betrüger lag, die betrogen, nicht aber auf der Seite der Betrogenen. Aber bei dem, wovon ich jetzt sprechen werde, lag es vornehmlich auf Seiten der Betrogenen, oder gleichermaßen auf beiden Seiten, und das war, daß sie Zauberketten, Liebestränke, Exorzismen, Amulette und ich weiß nicht was noch für Zeug auf dem Leibe trugen, um ihn gegen die Pest gefeit zu machen; als ob die Pest nicht die Geißel Gottes wäre, sondern so etwas wie von-einembösen-Geist-Besessensein, wogegen man sich mit Bekreuzigungen, Tierkreiszeichen oder Papierzetteln, mit so-und-so vielen Knoten zusammengeschnürt und mit bestimmten Worten oder Zeichen beschrieben, wehren konnte; so wurde besonders das Wort Abracadabra gebraucht, in Dreiecks- oder Pyramidenform, wie hier:

A B R A C A D A B R A A B R A C A D A B R A B R A C A D A B A B R A C A D A A B R A C A D A B R A C A
A B R A C
A B R A
A B R
A B
A

Andere nahmen das Jesuitenzeichen in Form eines Kreuzes:

 

I H S

 

Wieder andere nichts als dieses Zeichen:

Ich könnte viel Zeit damit verbringen, mich über die Torheit, ja die Boshaftigkeit dieser Dinge in einer Zeit solcher Gefahr und in einer so folgenschweren Angelegenheit wie einer nationalen Epidemie zu ereifern. Aber mein Hervorheben dieser Dinge hat eher den Zweck, einfach mit den Tatsachen bekanntzumachen und festzustellen: so war es.

Wie das arme Volk hinter die Sinnlosigkeit dieser Dinge kam und wie viele von ihnen später im Totenkarren hinausgefahren und in eines der Bezirksmassengräber geworfen wurden, mit all diesen höllischen Zauberketten und dem ganzen Hokuspokus um ihren Hals, das soll später noch berichtet werden.

All dies war die Folge von der Aufregung, in die die Leute versetzt wurden, nachdem die erste Kunde, daß die Pest da sei, sich herumgesprochen hatte; das mag etwa bei Michaelis 1664 gewesen sein, und dann ganz besonders, als die beiden Personen anfangs Dezember in St. Giles gestorben waren; und dann wieder, als im Februar ein neuer Alarm kam. Aber als die Pest sich offensichtlich ausbreitete, dauerte es nicht lange, bis sie begriffen, wie dumm es war, diesen nichtswürdigen Kreaturen Glauben zu schenken, die sie um ihr Geld geprellt hatten; und dann wirkte sich ihre Furcht in anderer Weise aus, nämlich in Benommenheit und Ratlosigkeit, daß sie nicht wußten, welchen Weg sie einschlagen oder was sie tun sollten, um sich zu helfen oder Erleichterung zu verschaffen. Statt dessen liefen sie herum, von eines Nachbarn Tür zur nächsten und sogar bis auf die Straße und wieder von Tür zu Tür, und schrien immer nur: »Herr, habe Erbarmen mit uns! Was sollen wir tun?«

Die Leutchen waren allerdings in einer Hinsicht besonders zu bedauern, und da gab es für sie wenig oder gar keinen Trost, und ich möchte das mit aller gebührenden Ehrfurcht und Nachdenklichkeit hier erwähnen, auch wenn vielleicht nicht jeder, der es liest, davon erbaut sein wird, nämlich daß der Tod jetzt sozusagen nicht nur über jedermanns Haupt schwebte, sondern nunmehr in ihre Häuser und Kammern hineinschaute und ihnen ins Gesicht starrte. Freilich gab es viel Trägheit und Abgestumpftheit des Herzens, und nicht zu wenig davon, jedoch dafür fühlten sich andere, wenn ich so sagen darf, bis ins Innerste ihrer Seele aufgeschreckt. So manches Gewissen erwachte; manches harte Herz zerschmolz zu Tränen; manch eine reumütige Beichte ward abgelegt von Verbrechen, die lange verborgen worden waren. Es würde jeden Christen in der Seele schmerzen, hätte er mitanhören müssen, wie da manch ein verzweifeltes Menschenkind im Sterben stöhnte, und keiner wagte, ihm nahezukommen und ihm Trost zu spenden. Manch ein Raub, manch ein Mord wurde damals laut bekannt, und niemand blieb am Leben, um das Geständnis aufzuzeichnen. Man konnte, sogar von der Straße aus im Vorbeigehen, hören, wie die Menschen zu Gott durch Jesus Christus um Gnade flehten und bekannten: »Ich bin ein Dieb gewesen«, »Ich war ein Ehebrecher«, »Ich habe einen Mord begangen« und dergleichen, und niemand traute sich, solchen Dingen im geringsten nachzugehen oder den armen Menschenkindern Trost zu spenden, die da in Todesängsten von Leib und Seele aufschrien. Einige der Geistlichen machten zu Anfang für eine Weile noch Krankenbesuche, aber es ging nicht an. Es wäre der sofortige Tod gewesen, manche der Häuser zu betreten. Sogar die Totenbestatter, die die kaltblütigsten Geschöpfe in der Stadt waren, schraken manchmal zurück und waren so entsetzt, daß sie in Häuser, wo ganze Familien zusammen dahingerafft und die Umstände ganz besonders schauerlich waren, wie es vorkam, nicht hineinzugehen wagten; aber das war freilich in der ersten Hitze der Seuche.

Die Zeit gewöhnte sie an alles, und späterhin trauten sie sich überall ohne Zögern hinein, wie ich noch des breiteren zu schildern Gelegenheit haben werde.

Ich setze jetzt voraus, daß die Pest, wie gesagt, begonnen hat und daß die Behörden ihre ersten ernsthaften Maßnahmen zum Schutz der Bevölkerung erwogen. Welche Vorschriften sie für die Einwohner und für die betroffenen Häuser erließen, werde ich an gegebener Stelle berichten; was hingegen die Gesundheitsfürsorge betrifft, so ist es angebracht, hier folgendes zu erwähnen: Nachdem er gesehen hatte, wie die Leute in ihrem Unverstand zu Quacksalbern und Marktschreiern, zu Hellsehern und Wahrsagern liefen, was sie ja, wie ich oben erzählt habe, bis zum Wahnwitz taten, ernannte unser Lordbürgermeister, der ein praktisch denkender und frommer Herr war, Ärzte und Wundärzte für die Behandlung der erkrankten Armen – und im besonderen ordnete er an, daß die Medizinische Hochschule Anleitungen für den Gebrauch billiger Heilmittel für alle Erscheinungsformen der Seuche veröffentlichte. Das war in der Tat eines der hilfreichsten und umsichtigsten Dinge, die im Augenblick geschehen konnten, denn das hielt die Leute davon ab, die Türen eines jeden Zettelverteilers zu belagern und blind und ohne Überlegung Gift als ein Heilmittel zu sich zu nehmen und den Tod anstelle des Lebens.

Diese Anleitung der Ärzte wurde unter Hinzuziehung des gesamten Kollegiums verfaßt, und da sie besonders für den Gebrauch der Armen und für billige Medizinen bestimmt war, wurde sie öffentlich zugänglich gemacht, so daß jeder sie lesen konnte, und alle, die es wünschten, erhielten umsonst einen Abdruck. Aber da dies ja allgemein bekannt ist und bei jeder Gelegenheit zu finden, brauche ich den Leser nicht mehr damit zu behelligen.

Man soll nicht meinen, ich wolle die Autorität oder die Fähigkeit der Ärzte herabsetzen, wenn ich sage, daß die Heftigkeit der Seuche, als ihr Wüten zum Höhepunkt kam, nur mit dem Feuer im darauffolgenden Jahr verglichen werden kann. Das Feuer, das verzehrte, was die Pest unberührt gelassen hatte, trotzte dem Einsatz aller Mittel, es zu löschen; da wurden die Feuerspritzen zerbrochen, die Eimer weggeworfen, Menschenmacht war zuschanden und am Ende. Ebenso trotzte die Pest allen Medizinen; die Ärzte selbst wurden von ihr ergriffen, noch ehe sie ihre Vorbeugungsmittel hinunterschlucken konnten; Männer gingen umher, anderen vorschreibend, was sie tun sollten, bis die Anzeichen auch an ihnen erschienen und sie tot umfielen, von dem nämlichen Feind vernichtet, dem zu widerstehen sie andere angewiesen hatten. So erging es mehreren Doktoren, darunter den hervorragendsten, und ebenso einigen der geschicktesten Wundärzte. Auch die Quacksalber starben die Menge; manche waren so töricht gewesen, sich auf ihre eigenen Medizinen zu verlassen, von denen sie doch unbedingt hätten wissen müssen, daß sie zu nichts taugten; sie hätten lieber, wie andere Spitzbuben, ihrer Schuld bewußt, weglaufen sollen, um der Gerechtigkeit zu entgehen, von der sie nichts als die, wie sie wohl wußten, verdiente Strafe zu erwarten hatten.

Es ist keine abschätzige Beurteilung der Mühen und des Einsatzes der Ärzte zu sagen, daß sie in der allgemeinen Katastrophe gleichgültig wurden; auch ist es von mir nicht so gemeint; es gereicht ihnen vielmehr zum Lobe, daß sie ihr Leben so weit der Gefahr aussetzten, daß sie es im Dienste der Menschheit verloren. Sie bemühten sich, Gutes zu tun und anderen das Leben zu retten. Doch hätten wir nicht erwarten sollen, daß Ärzte ein Strafgericht Gottes aufhalten würden oder eine Seuche, die vom Himmel mit allen Waffen versehen worden war, daran hindern könnten, den Auftrag, zu dem sie gesandt war, auch auszurichten.

Zweifellos trugen die Ärzte in vielen Fällen durch ihre Kunst, ihre Klugheit und Hingabe zur Rettung eines Lebens und zur Wiederherstellung der Gesundheit bei. Es bedeutet jedoch keine Schmälerung ihrer Charakterstärke und ihrer Geschicklichkeit zu sagen, daß sie nicht mehr heilen konnten, wenn einer die Anzeichen einmal hatte oder die tödliche Ansteckung schon in ihm steckte, bevor der Arzt geholt wurde, wie es oft der Fall war.

Es bleibt nun zu erwähnen, welche öffentlichen Maßnahmen zur allgemeinen Sicherheit und um ein Ausbreiten der Seuche zu verhindern, von den Behörden getroffen wurden, als sie ausbrach. Ich werde noch oft Gelegenheit haben, von der Klugheit der Behörden zu sprechen, von ihrer Hilfsbereitschaft, ihrer wachen Sorge für die Armen, für die Aufrechterhaltung der Ordnung, für die Zufuhr von Lebensmitteln und so fort, die sie bei dem späteren Anwachsen der Epidemie bewiesen. Aber ich bin jetzt bei den Richtlinien und Bestimmungen, die sie erließen, um festzulegen, wie mit den infizierten Häusern zu verfahren sei.

Ich erwähnte oben das Schließen von Häusern; und es wird erforderlich sein, gerade dies etwas näher zu erläutern, denn diese Seite der Geschichte der Pest ist sehr betrüblich, aber wie niederdrückend es auch sein mag, es muß erzählt werden.

Gegen Juni begannen der Oberbürgermeister und der Stadtrat, wie gesagt, sich mehr ins einzelne gehend um eine festgelegte Lebensordnung der City zu bekümmern.

Die Friedensrichter in Middlesex hatten auf Anweisung des Ministeriums angefangen, Häuser in den Pfarren St. Giles, St. Martin, St. Clemens Danes usw. zu schließen, und mit gutem Erfolg; denn in mehreren Straßen, in denen die Pest ausgebrochen war, riegelte man die infizierten Häuser strikt ab und sorgte dafür, daß die Toten sofort, nachdem ihr Verscheiden erkannt war, beerdigt wurden, und die Pest hörte in diesen Straßen auf. Es wurde auch beobachtet, daß die Pest in diesen Pfarrbezirken, nachdem die Heimsuchung einmal ihren Höhepunkt erreicht hatte, viel schneller nachließ als etwa in den Sprengeln Bishopsgate, Shoreditch, Aldgate, Whitechapel, Stepney und anderen, so sehr erwies sich die frühe Vorsorge dort als ein gutes Mittel, die Seuche in Schach zu halten.

Das Schließen von Häusern war eine Methode, die man, wie ich gehört habe, zum erstenmal während der Pest des Jahres 1603, zur Zeit der Thronbesteigung von König Jakob dem Ersten, angewandt hatte; und die Ermächtigung, Menschen in ihren eigenen Häusern einzuschließen, wurde durch ein Parlamentsgesetz gegeben, das den Titel trug: »Gesetz über eine fürsorgliche Hilfeleistung und das Verfahren mit Personen, die von der Pest befallen sind«; mit welchem Gesetz des Parlaments der Lordbürgermeister und der Stadtrat der City von London die Verordnung begründeten, die sie um diese Zeit erließen und die am 1. Juli 1665 in Kraft trat, als innerhalb der Stadt die Anzahl der Infizierten nur gering war und das Sterberegister für alle zweiundneunzig Pfarren nur vier Tote aufwies; und dadurch, daß man einige Häuser in der Innenstadt geschlossen hatte und ein paar Kranke in das Pesthaus jenseits Bunhill Fields, an der Straße nach Islington, fortgeschafft hatte
– auf diese Weise, sage ich, kam es, daß, während im ganzen beinahe tausend in der Woche starben, die Anzahl in der City nur achtundzwanzig betrug, und so hielt sich die City während des Verlaufs der Epidemie im Verhältnis gesünder als irgendein anderer Teil der Stadt.

Diese Verordnungen des Lordbürgermeisters wurden, wie gesagt, Ende Juni veröffentlicht, traten am 1. Juli in Kraft und hatten folgenden Wortlaut:

ANORDNUNGEN , BESCHLOSSEN UND ERLASSEN VOM LORDBÜRGERMEISTER UND DEM STADTRAT DER STADT LONDON, DIE VERSEUCHUNG DURCH DIE PEST, 1665, BETREFFEND

War zu der Regierungszeit unseres verblichenen erlauchten Königs Jakob, seligen Angedenkens, ein Gesetz gemacht worden über die fürsorgliche Hilfeleistung und das Verfahren mit Personen, so von der Pest befallen sind, wodurch Vollmacht erteilt wurde an Friedensrichter, Bürgermeister, Präfekten und andere Oberbeamte, daß sie in ihren verschiedenen Bezirken Gesundheitsinspektoren, Leichenbeschauer, Wachmänner, Wärter und Totenbestatter über die befallenen Personen und Orte bestellen und selbigen den Eid für die Verrichtung ihrer Ämter abnehmen. Und ermächtigte sie dasselbe Statut zum Erteilen weiterer Anweisungen, wie sie ihres Gutdünkens für die gegenwärtige Notwendigkeit nützlich scheinen sollten. So wird es nunmehr, aufgrund besonderer Erwägungen, um Ansteckung mit der Krankheit zu verhindern und zu vereiteln (so es dem allmächtigen Gott gefalle), für sehr erforderlich erachtet, daß diese folgenden Dienstleute bestallt werden und folgende Anordnungen hiernach ihre getreuliche Befolgung finden:

Gesundheitsinspektoren, die für jede Pfarre zu bestellen sind

Erstens wird es für erforderlich gehalten und so verfügt, daß in jeder Pfarre es eine, zwei oder mehrere Personen unbescholtenen und guten Leumunds gebe, erwählt und ernannt durch den Stadtrat, seinen Stellvertreter und den Gemeinderat jedes Sprengels, mit dem Titel von Gesundheitsinspektoren, welche in ihrem Amte mindestens für den Zeitraum von zwei Monaten zu verharren haben. Und wenn irgendeine fähige und so bestallte Person selbiges auf sich zu nehmen sich weigern sollte, dann soll sie für ihre Weigerung der Einkerkerung verfallen, solange bis sie sich in die Anforderungen schickt.

Des Gesundheitsinspektors Obliegenheiten

Diese Gesundheitsinspektoren sollen von den Stadträten unter Eid genommen werden, daß sie von Zeit zu Zeit nachforschen und herausfinden, welche Häuser in jeweils ihrer Pfarre heimgesucht sind und welche Personen darniederliegen und an welchen Krankheiten, und daß sie darüber Erkundungen anstellen, so gut sie können; und daß sie, wenn ein Zweifelsfall aufkommt, den Zutritt sperren, bis sich erweist, welcher Art die Erkrankung ist. Und wenn sie irgendeine Person an der Seuche erkrankt vorfinden, daß sie dem Konstabler auftragen, das Haus zu verschließen; und daß sie, sollten sie den Konstabler zaudernd oder nachlässig antreffen, sofort davon dem Bezirksstadtrat Mitteilung machen.

Wachmänner

Für jedes befallene Haus werden zwei Wachmänner bestellt, einer für den Tag und einer für die Nacht; diesen Wachmännern obliegt es, besonders darauf zu sehen, daß, unter Androhung schwerer Strafe, ein solches befallenes Haus, das ihnen zugewiesen wurde, niemand betritt und niemand verläßt. Und besagte Wachmänner haben sich solcher weiteren Verrichtungen zu unterziehen, wie das kranke Haus sie benötigt und erfordert; und wenn der Wachmann mit einem Auftrag unterwegs ist, muß er das Haus abschließen und den Schlüssel mit sich nehmen; und der Wachmann bei Tage hat bis zehn Uhr abends Dienst zu tun; und der Wachmann bei Nacht bis sechs Uhr morgens.

Leichenbeschauer

Es soll besondere Sorge getragen werden, daß in jeder Pfarre Leichenbeschauerinnen bestellt werden, und es sollen Frauen ehrlichen Rufes sein und von bester Gesittung, wie sie dieser Art nur zu finden sind; und diese sollen sich unter Eid verpflichten, gehörige Leibesuntersuchungen vorzunehmen und nach bestem Wissen wahrhaftigen Bericht zu erstatten, ob die Personen, deren Leichname sie zu untersuchen bestellt sind, an der Seuche verstarben oder an welcher Krankheit sonst, soweit sie dazu imstande sind. Und die Ärzte, welchen Kur und Verhinderung der Seuche obliegen, sollen besagte Leichenbeschauerinnen, die für die einzelnen Bezirke unter ihrer respektiven Obsorge bestellt sind oder bestellt werden sollen, vor sich laden, damit sie über deren schickliche Eignung zu dem Amte befinden können, und sie sollen sie mitunter, sowie sie Grand sehen, zur Verantwortung ziehen, wenn sie in ihren Pflichten nachlässig erscheinen.

Keiner Leichenbeschauerin ist es während dieser Zeit der Heimsuchung erlaubt, an einem öffentlichen Werk teilzunehmen oder einen öffentlichen Beruf auszuüben, oder ein Ladengeschäft oder einen Verkaufsstand zu führen, oder als Wäscherin oder sonst zu irgendeiner gemeinnützigen Beschäftigung angestellt zu werden.

Wundärzte

Zur besseren Unterstützung der Leichenbeschauerinnen, zumal da bislang ein großer Mißbrauch mit Falschberichten über die Krankheit getrieben worden ist, sehr zur weiteren Verbreitung der Seuche, wird deshalb angeordnet, daß fähige und besonnene Wundärzte erwählt und bestellt werden sollen, neben denen, die bereits im Pesthause tätig sind; unter ihnen sollen die City und die Stadtfreiheit aufgeteilt werden, so wie es örtlicherweise am passendsten und bequemsten ist, und jedem von ihnen soll ein Bezirk zugeteilt werden; und die besagten Wundärzte sollen jeweils innerhalb ihrer Bezirke bei der Arbeit der Leichenbeschauerinnen mitwirken, so daß ein wahrheitsgetreuer Bericht von der Krankheit erstattet werden kann.

Und weiter sollen besagte Wundärzte solche Personen visitieren und untersuchen, die nach ihnen schicken oder ihnen von den Inspektoren in der jeweiligen Pfarre benannt oder zugeschickt werden, und sie sollen sich über die Art der Erkrankung besagter Personen Kenntnis verschaffen.

Und aus dem Grunde, daß besagte Wundärzte von jeder anderen Heiltätigkeit ferngehalten werden und ausschließlich auf die Sorge für die Pestkranken beschränkt werden müssen, wird hiermit angeordnet, daß jeder der besagten Wundärzte pro Leibesuntersuchung zwölf Groschen erhalten soll, zahlbar aus dem Vermögen des Untersuchten, so er dazu imstande ist, ansonsten aus der Gemeindekasse.

Krankenwärterinnen

Wenn eine Krankenwärterin ein befallenes Haus vor Ablauf von achtundzwanzig Tagen nach dem Ableben einer Person, die an der Seuche verstarb, verläßt, so ist das Haus, zu welchem besagte Krankenwärterin sich begeben hat, zu verschließen, bis besagte achtundzwanzig Tage verstrichen sind.

VERORDNUNGEN, DIE BEFALLENEN HÄUSER UND DIE AN DER PEST ERKRANKTEN PERSONEN BETREFFEND

 

Meldung, die von der Krankheit zu erstatten ist

Der Eigentümer jeden Hauses, sobald irgendeiner in seinem Hause sich über Pusteln oder Hautröte oder Schwellungen an irgendeinem Körperteil zu beklagen hat oder sonstwie gefährlich erkrankt, ohne daß ein klarer Befund für eine andere Krankheit vorliegt, hat innerhalb zweier Stunden, nachdem besagte Anzeichen aufgetreten sind, dem Gesundheitsinspektor Meldung zu erstatten.

Absonderung der Kranken

Sobald jemand von dem Gesundheitsinspektor, dem Amtswundarzt oder der Leichenbeschauerin für pestkrank befunden wird, ist er noch am gleichen Abend im Hause abzusondern; und im Falle er dermaßen abgesondert wird, so muß, ob er gleich später nicht stirbt, dennoch das Haus, in dem er krank lag; für einen Monat verschlossen werden, nachdem von den übrigen die gehörigen Abwehrvorschriften befolgt worden sind.

Lüftung des Zeuges

Zur Desinfektion der Wohnungsgegenstände müssen Bettzeug, Kleidung und Wandbehänge gut ausgeräuchert werden, unter Verwendung von Feuer und Schwefeldämpfen, wie es in einem infizierten Hause notwendig ist, bevor sie wieder in Gebrauch genommen werden dürfen. Dies hat auf Anordnung des Gesundheitsinspektors zu geschehen.

Verschließen von Häusern

Wenn eine Person jemand besucht hat, der als pestkrank bekannt ist, oder willentlich in ein als pestkrank bekanntes Haus eingetreten ist, ohne dazu befugt zu sein, so soll das Haus, in dem er selbst wohnt, auf Anweisung des Gesundheitsinspektors für eine bestimmte Anzahl von Tagen verschlossen werden.

Niemand ist aus einem befallenen Hause fortzuschaffen, außer etc. –

Item, es soll niemand aus dem Hause, in welchem er an der Pest erkrankte, in irgendein anderes Haus in der Stadt geschafft werden (außer es sei in das Pesthaus oder in ein Zelt oder in solch ein Haus, welches der Besitzer des besagten befallenen Hauses in persönlichem Eigentum hat und mit seiner eigenen Dienerschaft besetzt hat); und um die Gemeinde, in welche eine solche Umbettung erfolgt, abzusichern, sind bei der Wartung und Obsorge für die besagten befallenen Personen alle vorher gegebenen Einzelvorschriften genauestens einzuhalten, ohne daß der Gemeinde, in welche die Umbettung erfolgen sollte, irgendwelche Kosten entstehen, und die Umbettung soll bei Nacht vorgenommen werden. Und es soll gesetzlich erlaubt sein, daß jemand, der zwei Häuser besitzt, entweder seine gesunden oder seine erkrankten Hausgenossen nach Gutdünken in das zweite Haus schaffen läßt, jedoch dergestalt, daß, wenn er einmal seine Gesunden dort hingeschickt hat, er ihnen nicht später die Kranken nachschicken darf oder umgekehrt den Kranken die Gesunden; und die, welche er fortschickt, müssen zumindest auf eine Woche abgeschlossen und von jeder Gesellschaft ferngehalten werden, wegen der Gefahr einer nicht sogleich offenkundigen Ansteckung.

Bestattung der Toten

Die Bestattung der an der Heimsuchung Verstorbenen soll zu der passendsten Zeit erfolgen, stets entweder vor Sonnenaufgang oder nach Sonnenuntergang, und nicht anders als im Einvernehmen mit dem Kirchenvorsteher oder dem Konstabler; und kein Freund oder Nachbar darf den Leichnam zur Kirche begleiten oder das befallene Haus betreten, unter Strafe der Schließung seines eigenen Hauses oder der Einkerkerung.

Und kein Toter, der an der Pest verstarb, darf zur Zeit eines Gottesdienstes, einer Predigt oder einer Lesung begraben werden oder in einer Kirche aufgebahrt werden. Und Kinder dürfen während einer Beerdigung in keiner Kirche, auf keinem Friedhof und auf keinem Bestattungsgrund der Leiche, dem Sarg oder dem Grab nahekommen. Und alle Gräber müssen zum wenigsten sechs Fuß tief sein.

Und weiterhin haben bei allen übrigen Begräbnissen öffentliche Ansammlungen für die Dauer der Heimsuchung zu unterbleiben.

Keine Veräußerung infizierten Zeuges

Kleider, Stoffe, Bettzeug, Vorhänge dürfen aus befallenen Häusern nicht fortgebracht oder weggegeben werden, und das laute Ausrufen von Lumpen und alten Kleidern, sowohl zum Verkauf wie zur Beleihung, ist den Trödlern vollständig zu verbieten und zu untersagen, und kein Lumpensammler oder Altwarenhändler darf sichtbar machen oder in Verkaufsständen, Ladenregalen oder Schaufenstern, die auf eine Straße, Gasse oder öffentlichen Verkehrsweg hinausgehen, irgendwelches altes Bettzeug oder gebrauchte Kleidung zum Verkauf ausstellen, unter Strafe der Einkerkerung. Und wenn ein Lumpensammler oder sonst jemand irgendwelches Bettzeug, Kleidung oder andere Gegenstände aus einem befallenen Hause innerhalb von zwei Monaten nach dessen Infizierung kauft, so soll sein eigenes Haus als befallen verschlossen werden und soll für wenigstens zwanzig Tage verschlossen bleiben.

Niemand darf ein befallenes Haus verlassen

Wenn ein Erkrankter sich einen Moment ungenügender Aufsicht zunutze macht oder auf sonst eine Art zuwege bringt, von einem befallenen Ort sich an einen anderen Ort zu begeben oder sich dorthin überführen zu lassen, dann hat die Pfarre, aus welcher die Person sich fortbegeben hat oder sich hat überführen lassen, sobald ihr darob Meldung zugeht, besagte befallene und flüchtige Person auf deren Kosten bei Nacht wieder zurückbringen zu lassen, und wer sich auf diese Weise vergeht, ist nach den Anweisungen des Bezirksstadtrates zu bestrafen, und das Haus dessen, der eine solche befallene Person bei sich aufgenommen hat, für zwanzig Tage zu verschließen.

Jedes befallene Haus ist zu kennzeichnen

Jedes befallene Haus ist mit einem roten Kreuz von einem Fuß Länge in der Mitte der Haustür zu kennzeichnen, so daß es deutlich sichtbar ist, und dicht über dem Kreuz sind die gebräuchlichen Worte, nämlich: »Herr, habe Erbarmen mit uns« in Druckschrift anzubringen, und sie haben dort zu verbleiben, bis zur amtlichen Öffnung selbigen Hauses.

Jedes befallene Haus ist unter Wache zu stellen

Die Konstabler haben dafür zu sorgen, daß jedes befallene Haus verschlossen und mit Wachmännern besetzt wird, welche die Einwohner eingeschlossen halten, und die sie auf eigene Kosten, wenn sie es bezahlen können, oder auf Gemeindekosten, wenn nicht, mit dem Lebensnotwendigen versehen sollen; die Schließung hat auf eine Dauer von vier Wochen nach der Gesundung aller Hausbewohner zu erfolgen.

Es ist genauestens darauf zu achten, daß die Leichenbeschauer, Amtswundärzte, Krankenwärter und Totenbestatter nicht die Straße passieren, ohne eine rote Rute oder einen Stab von drei Fuß Länge in der Hand zu halten, offen und deutlich sichtbar, und daß sie kein Haus betreten außer ihrem eigenen oder dem, zu dem sie geschickt oder geholt werden; daß sie vielmehr jeder Gesellschaft entsagen und aus dem Wege gehen, besonders wenn sie erst kürzlich eine dieser Amtsbestätigungen ausgeübt haben.

Hausgenossen

Wo in dem gleichen Hause mehrere Parteien wohnen, und eine Person in dem Hause verfällt der Ansteckung, so darf niemand anderer, weder ein einzelner noch eine Familie, aus diesem Hause den Kranken fortschaffen oder sich fortbegeben, ohne von dem Gesundheitsinspektor der Pfarre eine Bescheinigung vorzuweisen; oder in Ermangelung einer solchen ist das Haus, in das der oder die Betreffenden umgezogen sind, wie im Falle einer Infizierung zu verschließen.

Miets-Droschken

Es ist Sorge zu tragen, daß Droschken-Kutscher (wie man beobachtet hat, daß einige von ihnen es, sogleich nachdem sie erkrankte Personen zum Pesthaus oder anderswohin überführt hatten, taten) nicht am allgemeinen Verkehr teilnehmen dürfen, bevor nicht ihre Droschken gründlich ausgeräuchert wurden und für den Zeitraum von fünf oder sechs Tagen nach solcher Inanspruchnahme leergestanden haben.

ANORDNUNGEN ÜBER DIE REINIGUNG UND SAUBERHALTUNG DER STRASSEN

 

Straßen sind sauber zu halten

In erster Linie wird es für notwendig erachtet und so angeordnet, daß jeder Haushaltungsvorstand eine tägliche Reinigung der Straße vor seiner Haustür veranlaßt und sie so die ganze Woche über sauber gefegt hält.

Tägliche Müllabfuhr

Der Kehricht und Abfall der Häuser ist täglich von den Müllabfahrern fortzuschaffen, und der Müllabfahrer soll sein Kommen, wie es auch bisher geschah, durch Blasen eines Hornes ankündigen.

Hinausverlegung der Kotgruben

Die Kotgruben sind so weit wie möglich von der Stadt und allen Verkehrswegen fort zu verlegen, und kein Grubenreiniger oder sonst jemand darf eine Kottonne in einem Garten in der Nähe der Stadt leeren.

Vorsicht mit unfrischem Fleisch und Fisch und muffigem Mehl

Es sind besondere Vorkehrungen zu treffen, daß nicht fauler Fisch oder ungesundes Fleisch oder muffiges Mehl oder verdorbene Früchte irgendwelcher Art an irgendeiner Stelle der Stadt verkauft werden dürfen.

Die Brauereien und Trinkhäuser sind auf modrige und verdorbene Fässer zu überprüfen.
Schweine, Hunde, Katzen oder zahme Tauben oder Kaninchen dürfen nirgends in der Stadt gehalten werden; Schweine, die auf den Straßen und Gassen herumstreunen, sind vom Büttel oder sonst einem Beamten zu beschlagnahmen, und der Eigentümer ist entsprechend dem Gemeinderatsgesetz zu bestrafen, und Hunde müssen von den Hundefängern, die für diesen Zweck eingesetzt sind, getötet werden.

VERORDNUNG, LOSE PERSONEN UND MÜSSIGE ANSAMMLUNGEN BETREFFEND

 

Bettler

Insofern als über nichts so lebhaft Beschwerde geführt wird wie über die Unzahl von Tagedieben und vagabundierenden Bettlern, welche überall in der Stadt umherschwärmen und eine große Gefahr einer Verbreitung der Seuche darstellen, so wird hiermit, da sie trotz aller gegenlautenden Bestimmungen immer noch allenthalben anzutreffen sind, angeordnet, daß jeder Konstabler und wem sonst in dieser Sache eine Pflicht obliegt, dafür geeignete Sorge zu tragen hat, daß kein herumlungernder Bettler auf den Straßen dieser Stadt auf welche Art und Weise auch immer geduldet wird, unter der Androhung, daß die vom Gesetz vorgesehenen Strafen mit voller Strenge angewendet werden.

Spiele

Alle Vergnügungen, Bärhetzen, Glücksspiele, Bänkelgesänge, Schilder-Spiele und was sonst dergleichen Menschenansammlungen zu verursachen pflegt, sind vollständig zu verbieten und Zuwiderhandelnde von dem jeweiligen Bezirksstadtrat streng zu bestrafen.

Festlichkeiten verboten

Alle öffentlichen Festveranstaltungen, und besonders solche von Vereinen, und Festessen in Gasthäusern, Bierhallen und anderen Stätten allgemeiner Zerstreuung, haben bis auf Widerruf zu unterbleiben; und das hierdurch ersparte Geld soll aufgehoben und zum Wohle und zum Heile der von der Seuche befallenen Armen verwendet werden.

Trinkhäuser

Ungebührliches Zechen in Schänken, Bierhallen, Kaffeehäusern und Weinkellern muß durch strenge Aufsicht verhütet werden, da dies die allgemeinste Sünde dieser Zeit ist und die beste Gelegenheit, die Seuche weiterzugeben.

Und keine Gesellschaft oder Einzelperson darf nach neun Uhr abends in einer Schänke, einer Bierhalle oder einem Kaffeehaus bleiben oder einkehren, um zu trinken, entsprechend dem althergebrachten Gesetz und Gebrauch in dieser Stadt, unter Strafe wie sie dieserhalb festgesetzt ist.

Und zur genaueren Durchführung dieser Verordnungen und der Erlasse und Anweisungen, die nach weiterer Beratschlagung außerdem noch für notwendig befunden werden mögen, wird angeordnet und verfügt, daß die Bezirksstadträte, ihre Stellvertreter und die Gemeinderatsmitglieder jede Woche einmal, zweimal, dreimal oder noch öfter (je nachdem die Sachlage es erfordert) an einem in dem betreffenden Bezirk wohlbekannten Treffpunkt (er muß frei von Verseuchung sein) zusammenkommen, um zu beraten, wie besagte Verordnungen gehörig zur Durchführung gebracht werden können; das bedeutet freilich nicht, daß, wenn jemandes Wohnung oder deren Nachbarschaft befallen wurde, er besagten Zusammenkünften beiwohnen soll, solange sein Erscheinen dort Bedenken begegnet. Und besagte Stadträte, stellvertretende Stadträte und Gemeinderatsmitglieder können in ihren jeweiligen Bezirken weitere gute Verfügungen in Kraft setzen, die bei besagten Versammlungen zur Bewahrung von Seiner Majestät Untertanen vor der Pest beschlossen und ausgefertigt werden.

Sir John Lawrence, Erster Bürgermeister Sir George Waterman } Sheriffs Sir Charles Doe

Es versteht sich, daß diese Verordnungen nur für die Gebiete galten, die innerhalb der Jurisdiktion des Lordbürgermeisters lagen, und so ist die Bemerkung angebracht, daß die Friedensrichter innerhalb der Sprengel und Ortschaften, welche die Siedlungen und Vororte heißen, in der gleichen Art vorgingen.

Wie ich mich entsinne, wurde die Verordnung zum Schließen der Häuser in unserem Viertel nicht so bald in Anwendung gebracht, weil, wie ich schon sagte, die Pest in unsere östlichen Stadtteile bis zum August kaum vordrang und vorher keine große Heftigkeit annahm. Zum Beispiel war für die Woche vom 11. bis 18. Juli die Gesamtzahl auf dem Sterberegister 1761, doch davon starben an der Pest in all den Pfarren, die wir die Tower Viertel nennen, nur 71, und zwar in folgender Aufteilung:

die Woche darauf
die Woche bis zum 1. August

Aldgate 14 34
Stepney 33 58
Whitechapel 21 48
St. Catherine, Tower 2 4
Trinity, Minories 1 1 71 145
65 76 79 4 4 228

Sie kam jetzt wahrhaftig mit voller Wucht, denn in den nächsten Nachbarpfarren waren die Beerdigungen in den gleichen Wochen:

St. Leonard, Shoreditch St. Botolph, Bishopsgate St. Giles, Cripplegate

Die Woche darauf Bis zum ungemein 1. August angestiegen

64 84 110 65 105 116 213 421 554 342 610 780

Das Schließen von Häusern wurde zuerst als ein sehr grausames und unchristliches Verfahren angesehen, und die armen Menschen, die so festgesetzt wurden, erhoben bitteres Wehklagen. Täglich gingen beim Lordbürgermeister Beschwerden über die Härte des Vorgehens ein, wenn Häuser ohne Grund (und manche aus Bosheit) verschlossen wurden. Ich kann dazu nichts sagen; aber bei Prüfung fanden sich viele, die sich so laut beschwert hatten, in einem Zustand, der eine weitere Schließung rechtfertigte; andere wiederum, wenn die Untersuchung, der die kranke Person unterzogen wurde, ergab, daß die Krankheit offenbar nicht ansteckend war, oder wenn der Fall zwar ungewiß, der Kranke jedoch einverstanden war, ins Pesthaus überführt zu werden, wurden freigegeben.

Es ist wahr, den Leuten einfach die Haustür abzuschließen und Tag und Nacht einen Wächter davorzustellen, der ihnen verbot, sich herauszurühren oder einen Besuch zu empfangen, das sah sehr hart und grausam aus, wenn man bedenkt, daß die Gesunden der Familie vielleicht davonkommen können, wenn sie von den Kranken entfernt worden wären; und viele, das kann man mit gutem Grund annehmen, sind in dieser elenden Gefangenschaft zugrunde gegangen, die, hätten sie ihre Freiheit gehabt, gar nicht erkrankt wären, obschon die Pest im Haus war; hierüber waren die Leute anfangs sehr aufgebracht und bestürzt, und es kam des öfteren zu Tätlichkeiten gegen die Männer, die geschickt waren, die solchermaßen verschlossenen Häuser zu bewachen, und sie wurden mit Feindseligkeiten bedroht; auch brachen vielerorts immer wieder Leute gewaltsam aus, wie ich noch nach und nach berichten werde. Aber die Sache des Gemeinwohls rechtfertigte das private Mißgeschick, und zu der Zeit wurde niemandem auch nur die geringste Milderung zugestanden, ob er bei der Stadtverwaltung oder bei der Regierung darum ersuchte, jedenfalls nicht daß ich es gehört hätte. Dies verwies die Leute auf alle möglichen Listen, um wenn möglich doch noch frei zu kommen; und es würde einen kleinen Band anfüllen, alle die Kunstgriffe anzuführen, welche die Bewohner dieser Häuser anwandten, um den aufgestellten Wachmännern die Augen zu schließen, sie irrezuführen und ihnen in einem Ausbruch zu entkommen, wobei sich häufig ein Handgemenge und mancherlei Ungemach ergab; davon bei Gelegenheit mehr.
Als ich eines Morgens gegen acht Uhr in Houndsditch meines Weges ging, hörte ich einen großen Lärm. Zwar waren kaum Menschen zu sehen, weil es den Leuten nicht ohne weiteres erlaubt war, eine Ansammlung zu bilden oder lange beisammen zu stehen, wenn sie schon einmal da waren; auch ich blieb nicht lange. Aber der Aufschrei war laut genug, meine Neugier zu erwecken, und ich rief jemand an, der aus einem Fenster schaute, und fragte, was es gebe.

Ein Wachmann, so scheint es, war geschickt worden, vor der Tür eines befallenen, oder angeblich befallenen, und darob geschlossenen Hauses seinen Posten einzunehmen. Er war die ganze Nacht über dort gewesen, zwei Nächte hintereinander, wie er erzählte, und der Tages-Wachmann war einen Tag lang dort gewesen und war jetzt wiedergekommen, ihn abzulösen. Diese ganze Zeit hindurch hatte man in dem Hause keinen Laut gehört und kein Licht gesehen; die Leute baten um nichts, gaben ihm keine Bestellungen auf, was das Hauptgeschäft der Wachmänner zu sein pflegte; und sie hatten ihn nicht mehr gestört, wie er sagte, seit sie am Montagnachmittag ein so großes Geschrei und Heulen hatten hören lassen, wahrscheinlich dadurch veranlaßt, daß zu der Zeit gerade jemand in der Familie gestorben sei.

Die Nacht zuvor, so meinte er, war der Totenkarren vorgefahren, und eine Dienstmagd war tot zur Tür herausgebracht worden, und die Totenbestatter oder die »Träger«, wie sie hießen, hatten sie auf den Karren geladen, nur in ein grünes Bettuch gehüllt, und sie fortgefahren.

Der Wachmann habe, so hieß es weiter, als er den oben erwähnten Lärm und das Weinen hörte, an die Tür geklopft, und eine ganze Weile habe niemand geantwortet; aber schließlich habe jemand herausgeschaut und in ärgerlichem, barschem Ton, jedoch mit weinerlicher Stimme oder mit der Stimme jemandes, der weint, gesagt: »Was wollt Ihr, daß Ihr so laut klopft?« Er habe geantwortet: »Ich bin der Wachmann! Geht es Euch gut? Was gibt es?«

Der Mann habe geantwortet: »Was geht es Euch an? Ruft den Totenkarren her.« Dies müsse gegen ein Uhr gewesen sein. Bald darauf habe er, wie der Mann ihm aufgetragen, den Totenkarren angehalten und dann wieder geklopft, aber niemand habe geantwortet. Er habe weiter geklopft, und der Klingler habe mehrere Male gerufen: »Bringt heraus eure Toten!«; aber niemand habe geantwortet, bis der Mann, der den Wagen fuhr, da er auch zu anderen Häusern bestellt war, nicht mehr länger bleiben wollte und weggefahren sei.

Der Wachmann war aus all dem nicht mehr klug geworden und hatte daher die Leute in Frieden gelassen, bis der Tagwächter oder Morgenmann, wie er genannt wurde, ihn ablösen kam. Er berichtete ihm in allen Einzelheiten, was vorgefallen war, und sie klopften wieder lange an der Tür, erhielten aber keine Antwort; und dann fiel ihnen auf, daß das Fenster oder die Klappe, zu welcher die Person, als sie ihnen zuvor antwortete, herausgeschaut hatte, immer noch offenstand, und das war im zweiten Stock.

Darauf nahmen die beiden, um ihre Wißbegier zu befriedigen, eine lange Leiter, und einer von ihnen stieg zu dem Fenster hinauf und schaute in das Zimmer hinein; dort sah er eine Frau tot auf dem Boden liegen, in einer schrecklichen Art, da sie keine Kleider am Leibe hatte als ihr Hemd. Aber obwohl er laut rief und mit seiner langen Stange hart auf den Boden klopfte, so rührte sich dennoch keine Seele oder kam eine Antwort; und keinen Laut konnte er in dem Hause hören.

Er kam darauf wieder herab und setzte seinen Genossen ins Bild, der dann auch hinaufstieg; und als er das gleiche feststellte, beschlossen sie, entweder den Bürgermeister oder sonst einen bei der Behörde zu verständigen, aber durch das Fenster ins Haus zu steigen, getrauten sie sich nicht. Der Amtmann, heißt es, gab auf die Meldung der beiden hin Anweisung, das Haus aufzubrechen, und beorderte einen Konstabler und andere Personen, sich dazu einzufinden, damit nichts geplündert würde; und als es so geschah, fand man niemanden in dem Hause außer jener jungen Frau; sie war erkrankt, und als keine Hoffnung mehr für sie bestand, hatten die übrigen sie ihrem Schicksal überlassen und waren verschwunden, indem sie auf irgendein Mittel verfielen, den Wachmann irrezuführen und die Tür aufzubringen oder zu einer Hintertür oder über die Dächer hinauszugelangen, so daß er von nichts wußte; und was das Weinen und die Schreie betrifft, welche er gehört hatte, so nahm man an, es seien die schmerzlichen Wehrufe der Familie beim bitteren Abschied gewesen, denn schmerzlich muß es ihnen allen sicher gewesen sein, da dies doch die Schwester der Frau des Hauses war. Der Hausherr, seine Gattin, mehrere Kinder und Bedienstete, alle waren sie fort und geflohen – ob krank oder gesund, das habe ich nie erfahren können; noch habe ich auch etwa große Nachforschungen angestellt.

Auf diese Art flohen viele aus ihren verseuchten Häusern, besonders wenn der Wachmann mit einem Auftrag fortgeschickt worden war; denn es war seine Pflicht, jeden Gang zu machen, den die Familie ihm auftrug; das heißt, soweit es sich um Lebensnotwendiges wie Nahrung und Medikamente handelte und den Arzt zu holen (falls einer kommen wollte) oder einen Feldscher oder einen Pfleger, oder einen Totenkarren zu bestellen und dergleichen; aber auch dies nur unter der Bedingung, daß er, wenn er ging, die Außentür des Hauses abzuschließen und den Schlüssel mit sich fortzunehmen hatte. Um dies zu umgehen und um den Wachmann zu täuschen, ließen die Leute sich zwei oder drei Schlüssel für ihr Schloß anfertigen, oder sie fanden einen Weg, die Halteschrauben, mit denen das Schloß befestigt war, abzuschrauben und so, von drinnen, das Schloß abzunehmen und, derweil sie den Wachmannn auf den Markt oder zum Backhaus oder nach dieser oder jener Kleinigkeit wegschickten, die Tür zu öffnen und sooft es ihnen beliebte auszugehen. Aber dies wurde entdeckt, und dann hatten die Beamten Order, die Haustüren von außen mit Hängeschlössern zu sichern und Riegel an ihnen anzubringen, wenn sie es für gut hielten.

In einem anderen Haus, in der Straße gleich bei Aldgate, so erzählte man mir, war eine ganze Familie eingesperrt und abgeschlossen, da ihre Dienstmagd erkrankt war. Der Hausherr hatte durch Freunde beim zuständigen Bezirksstadtrat und beim Lordbürgermeister Beschwerde eingelegt und sich bereit erklärt, das Mädchen ins Pesthaus überführen zu lassen, war aber abgewiesen worden; die Haustür wurde also mit einem roten Kreuz markiert, an der Außenseite ein Vorhängeschloß, wie oben erwähnt, angebracht, und ein Wachmann vor der Tür postiert, den Vorschriften entsprechend.

Als der Hausherr sah, daß alles nichts half und er und seine Familie nun doch mit dieser armen kranken Magd zusammen eingeschlossen sein sollten, rief er dem Wachmann zu und trug ihm auf, ihnen eine Krankenschwester zu holen, denn es würde den sicheren Tod für sie alle bedeuten, wollte man sie selber nötigen, das arme Ding zu warten; und er machte ihm deutlich, daß, wenn er das nicht tue, das Mädchen entweder an der Seuche umkommen oder Hungers sterben müsse, denn er sei fest entschlossen, keinen aus seiner Familie ihr nahekommen zu lassen; und sie liege in der Dachkammer, vier Stockwerke hoch, wo sie nicht schreien oder um Hilfe rufen könne.

Der Wachmann war einverstanden und ging, wie ihm aufgetragen, eine Krankenschwester holen und brachte sie am gleichen Abend zu dem Haus. In der Zwischenzeit nahm der Hausherr die Gelegenheit wahr, von seinem Laden aus ein großes Loch in einen angebauten Werkstattschuppen zu brechen, wo früher ein Schuster gearbeitet hatte; dieser war jedoch, wie man in einer so trüben Zeit wohl glauben darf, entweder gestorben oder ausgezogen, und so hatte der Hausherr den Schlüssel in Verwahrung. Als er sich nun diesen Zugang zu der Werkstatt verschafft hatte, was er nicht hätte tun können, wenn der Mann vor der Tür gestanden hätte, da der Lärm, den er nicht umhinkonnte zu verursachen, so groß war, daß der Wächter aufmerksam geworden wäre – ich sage, als er sich diesen Zugang zu der Werkstatt verschafft hatte, verhielt er sich still, bis der Wachmann mit der Krankenschwester zurückkehrte, und den ganzen nächsten Tag auch noch. Aber in der folgenden Nacht, nachdem es ihm gelungen war, den Wachmann wieder einen kleinen Weg machen zu lassen, etwa, so möchte ich annehmen, zu einem Apotheker, um ein Pflaster für das Mädchen zu holen, worauf er eine Zeitlang hätte warten müssen, oder sonst einen ähnlichen Gang, bei dem man seines Fortbleibens für eine Weile sicher war – da beförderte inzwischen der Hausherr sich und die Seinen alle zum Hause hinaus und überließ es der Krankenschwester und dem Wachmann, das bedauernswerte Mädchen zu bestatten – das heißt, sie in den Totenkarren zu werfen – und sich des Hauses anzunehmen.

Solcher Geschichten, voller Ereignisse wie diese, könnte ich viele erzählen, die ich in dem langen Lauf dieses traurigen Jahres erlebte – das heißt, hörte – und die mit großer Sicherheit wahr sind oder der Wahrheit sehr nahe kommen; das heißt wahr im Wesentlichen, denn kein Mensch konnte zu einer solchen Zeit sich aller Einzelheiten vergewissern. Gleichermaßen wurden vielerorts Gewalttätigkeiten, wie ich sie anführte, gegen die Wachleute begangen; und ich glaube, daß vom Anfang der Heimsuchung bis zu ihrem Ende nicht weniger als achtzehn oder zwanzig von ihnen getötet wurden oder so schwer verwundet, daß man sie für tot aufhob, und das soll durch die Leute in den befallenen Häusern geschehen sein, wenn sie eingesperrt waren und versuchten hinauszukommen, aber auf Widerstand stießen.

Auch hätte man in der Tat kaum etwas anderes erwarten können, denn so viele Häuser als da gesperrt waren, so viele Gefängnisse gab es in der Stadt; und zumal die so eingeschlossenen und gefangengehaltenen Menschen keines Verbrechens schuldig, sondern nur eingeschlossen waren, weil sie sich im Elend befanden, war es wirklich um so unerträglicher für sie.

Das machte auch etwas aus, daß jedes Gefängnis, wie wir es nennen können, nur einen Gefangenenwärter besaß, und da er ein ganzes Haus zu bewachen hatte, viele Häuser aber so gelegen waren, daß sie verschiedene Ausgänge hatten, einige mehr, andere weniger, und manchmal auf verschiedenen Straßen, war es für einen Mann allein unmöglich, alle Zugänge so zu bewachen, daß er Menschen an der Flucht hätte hindern können, die durch das Schrecknis ihrer Lage, den Zorn über ihre Behandlung oder das Wüten der Pest selbst zur Verzweiflung getrieben wurden; so kam es vor, daß sie auf der einen Seite des Hauses mit dem Wachmann ein Gespräch führten, während auf der anderen Seite die Familie ihre Flucht bewerkstelligte.

Zum Beispiel gab es an der Coleman Straße ein Gewirr von Hinterhöfen und Seitengäßchen, wie man jetzt noch sehen kann. Ein Haus am sogenannten White’s Winkel war gesperrt worden, und dieses Haus hatte ein rückwärtiges Fenster, keine Tür, auf einen Hof, von dem ein Durchgang zur Bell Gasse führte. Ein Wachmann war vom Konstabler vor die Tür dieses Hauses postiert worden, und dort stand er nun, oder sein Wachkamerad, Tag und Nacht, während die Familie schon längst, alle Mann, bei Dunkelheit über den Hof entkommen war, die armen Kerle fast zwei Wochen lang warten und wachen lassend.

Nicht weit entfernt von der gleichen Stelle jagten sie einen Wachmann mit Schießpulver in die Luft und verbrannten den armen Kerl fürchterlich; und während er gräßlich schrie und sich niemand herauswagte, ihm zu Hilfe zu kommen, kletterten alle Hausbewohner, soweit sie noch gut auf den Beinen waren, zum Fenster im ersten Stock hinaus, nur zwei, die krank zurückbleiben mußten, riefen um Hilfe.

Man sorgte dafür, daß sie Pflegerinnen bekamen, die sie versorgten, aber die geflohenen Personen wurden niemals gefunden, bis sie nach dem Abklingen der Seuche wieder auftauchten; aber da ihnen nichts zu beweisen war, konnte man ihnen auch nichts anhaben.

Es muß auch berücksichtigt werden, daß dies ja Gefängnisse ohne Gitter und Riegel waren, womit sonst jedes gewöhnliche Gefängnis versehen ist, und so konnten die Leute sich aus den Fenstern hinunterlassen, und das selbst vor den Augen des Wachmanns, indem sie Säbel oder Pistolen in der Hand hielten und den armen Schlucker über den Haufen zu schießen drohten, wenn er sich rühre oder um Hilfe rufe.

In anderen Fällen hatte man Gärten oder Höfe oder Hinterhäuser, welche nur durch Mauern oder Zäune von den Nachbargrundstücken getrennt waren; und dann ließ es sich, durch Freundschaft oder durch Bitten, erreichen, daß man über die Mauern oder über den Zaun zum Nachbarn hinüberklettern durfte und durch dessen Tür dann hinausgelangte; oder man gab den Bediensteten der Nachbarsleute Geld und wurde dafür von ihnen des Nachts hindurchgelassen; so daß, in einem Wort, das Schließen der Häuser keineswegs eine verläßliche Methode war. Auch diente sie ihrem Zweck überhaupt nicht, da sie mehr dazu beitrug, die Leute kopflos zu machen und sie dermaßen zum Äußersten zu treiben, daß sie auch vor den gewagtesten Ausbruchsversuchen nicht zurückschreckten.

Und was noch schlimmer war, diejenigen, die auf diese Art wirklich entkamen, verbreiteten die Ansteckung, da sie, mit der Seuche im Leibe, unter so verzweifelten Umständen herumwanderten, weitaus mehr, als sie es sonst getan hätten; jeder nämlich, der alle Einzelheiten dieser Fälle ins Auge faßt, muß zugestehen, und niemand von uns kann daran zweifeln, daß nur die Strenge der Abschließung viele Leute so verantwortungslos machte, daß sie ohne Rücksicht auf die Gefahr aus ihren Häusern fortliefen, auch wenn sie schon sichtbar von der Pest gezeichnet waren, und oft ohne zu wissen, wohin sie gehen oder was sie tun sollten, oder sogar, was sie getan hatten; und viele von ihnen litten furchtbare Entbehrungen und gerieten in äußerste Not und verendeten, weil ihnen das Nötigste mangelte, auf der Straße oder auf dem Felde oder fielen um, von der Heftigkeit des Fiebers, das in ihnen raste, getroffen. Andere irrten auf das Land hinaus und wanderten ziellos umher, nur von der Verzweiflung geleitet, nicht wissend, wohin sie gingen oder gehen wollten, bis sie erschöpft und todmüde, ohne je eine Erquickung zu bekommen, da die Häuser und Dörfer an der Straße ihnen, ob krank oder nicht, jedes Quartier verweigerten, am Straßenrand liegenblieben oder sich in Scheunen verkrochen und dort starben; niemand wagte, ihnen beizustehen oder Linderung zu bringen, auch wenn sie vielleicht gar nicht von der Seuche befallen waren, denn keiner wollte ihnen glauben.

Andererseits, wenn eine Familie zum erstenmal betroffen wurde, das soll heißen, wenn ein Mitglied der Familie ausgegangen war und, durch Unvorsichtigkeit oder sonstwie, sich die Ansteckung zugezogen hatte und sie mit nach Hause brachte, dann wurde es mit Bestimmtheit der Familie eher bekannt als den Beamten, die, wie man aus den Verordnungen ersehen kann, eingesetzt waren, bei allen erkrankten Personen eingehende Untersuchungen vorzunehmen, sobald sie von deren Erkrankung erfuhren.

In dieser Zeit, zwischen der Ansteckung und dem Erscheinen des Gesundheitsinspektors, hatte der Hausherr alle Muße und Freiheit, allein oder mit seiner ganzen Familie fortzuziehen, wenn er einen Ort wußte, zu dem er gehen konnte, und das taten viele. Aber das große Unglück war, daß viele es taten, nachdem sie in Wirklichkeit selbst angesteckt waren, und auf diese Weise die Krankheit in die Häuser derer verschleppten, die so gastlich waren, sie aufzunehmen, und das war, das muß man sagen, recht grausam und undankbar.

Und das war zum Teil auch der Grund der allgemeinen Meinung oder vielmehr für das Ärgernis, das sich überall herumsprach, nämlich daß die infizierten Menschen in einer Gemütsverfassung seien, wo sie sich nicht im geringsten darum kümmerten und es ihnen überhaupt nichts ausmache, wenn sie andere ansteckten; und ich kann nicht anders sagen, als daß etwas Wahres daran war, wenn auch nicht so allgemein, wie es geredet wurde. Welchen Grund man für etwas so Böses anführen konnte, zu einer Zeit, wo man doch gefaßt sein mußte, jeden Augenblick vor die Schranke der Göttlichen Gerechtigkeit gerufen zu werden, das weiß ich nicht. Es ist mir völlig klar, daß es mit Religion und Moral ebensowenig in Einklang gebracht werden kann wie mit Großmut und Menschlichkeit, aber vielleicht komme ich darauf noch zu sprechen.

Ich spreche jetzt von den Leuten, die vor Angst, eingesperrt zu sein, den Kopf verloren, und darum, mit List oder Gewalt, ausbrachen, sei es bevor oder nachdem sie eingeschlossen worden waren, und deren Elend, als sie draußen waren, nicht verringert wurde, sondern sich beklagenswert vermehrte. Auf der anderen Seite besaßen viele, die so davonkamen, Sommervillen oder andere Häuser, in die sie ziehen konnten, und dort schlossen sie sich ein und hielten sich verborgen, bis die Pest vorüber war; und in vielen Häusern hatte man das Nahen der Seuche vorausgesehen und Vorräte von Lebensmitteln angelegt, die für die ganze Familie ausreichten, und dann sperrten sie sich ab, und manche so vollständig, daß von ihnen weder etwas zu sehen noch zu hören war, bis die Seuche ganz aufgehört hatte; dann kamen sie wieder hervor, gesund und wohlbehalten.

Ich könnte mehrere solcher Fälle anführen und bis in die Einzelheiten berichten, wie sie haushielten; war es doch zweifellos das Sicherste und Wirksamste, was man unternehmen konnte, wenn einem die Umstände nicht erlaubten, fortzuziehen oder wenn man keinen auswärtigen Zufluchtsort besaß, der zu solchem Zweck geeignet war; denn wenn man sich so von allem absperrte, war man, als wäre man hundert Meilen fort. Und ich kann mich nicht entsinnen, daß einer dieser Familien etwas zugestoßen wäre.

Unter ihnen waren einige holländische Kaufleute besonders bemerkenswert, die ihre Häuser wie kleine belagerte Festungen hielten, indem sie niemanden ein- oder ausgehen oder auch nur nahekommen ließen, einer insbesondere an der Throgmorton Straße, dessen Haus auf Draper’s Garden hinauslag.

Aber ich komme auf den Fall zurück, wo Familien befallen waren und von Amts wegen eingeschlossen wurden. Das Elend dieser Familien ist nicht zu schildern; und aus solchen Häusern hörten wir immer wieder die schaurigsten Aufschreie; vor Entsetzen brüllten diese armen Menschen, zu Tode erschrocken über den Anblick des Zustands ihrer teuersten Lieben und durch die Gefangenschaft, in der sie sich befanden, außer Fassung gebracht.

Ich erinnere mich – und während ich dies schreibe, dünkt es mich, ich höre alles wieder lebendig – an eine gewisse Dame, die ein recht beträchtliches Vermögen besaß, und an ihre einzige Tochter, ein junges Mädchen von etwa neunzehn Jahren. Sie waren Alleinbewohner des Hauses, in dem sie lebten. Das junge Mädchen, ihre Mutter und eine Magd waren aus irgendeinem Anlaß, ich weiß nicht mehr, aus welchem, außerhalb gewesen, ihr Haus war also nicht verschlossen; aber etwa zwei Stunden, nachdem sie heimgekommen waren, klagte die junge Dame, ihr sei nicht wohl; in einer weiteren Viertelstunde mußte sie sich erbrechen und hatte einen heftigen Kopfschmerz. »Geb’s Gott«, sagte die Mutter, furchtbar erschrocken, »das Kind wird doch nicht die Seuche haben!« Der Kopfschmerz steigerte sich, die Mutter ließ das Bett wärmen und beschloß, sie ins Bett zu tun, und bereitete alles für eine Schwitzkur vor, welches gewöhnlich die Maßnahme war, die man ergreifen mußte, wenn die ersten Zeichen einer Ansteckung sich einstellten.

Während das Bett auslüftete, entkleidete die Mutter das junge Mädchen, und eben als man es ins Bett legte, entdeckte sie, mit einer Kerze den Körper der Tochter ableuchtend, plötzlich auf der Innenseite der Schenkel die tödlichen Zeichen. Die Mutter, nicht fähig, an sich zu halten, warf die Kerze zu Boden und stieß einen so markerschütternden Schrei aus, daß es genügt hätte, das stumpfeste Herz der Welt mit Grauen zu erfüllen; und es blieb nicht bei einem Aufschreien, sondern da der Schrecken sich ihrer Geister bemächtigt hatte, fiel sie erst in Ohnmacht, faßte sich darauf wieder, rannte durch das ganze Haus, die Treppen hinauf und die Treppen hinunter, wie eine Wahnsinnige, und wahnsinnig war sie in der Tat auch wirklich und hörte einige Stunden nicht zu schreien und zu heulen auf, so vollständig war sie von Sinnen oder zumindest außer Gebrauch ihrer Vernunft; und wie man mir sagte, ist sie nie wieder ganz zur Besinnung gekommen. Was das junge Mädchen angeht, so war es von dem Augenblick an so gut wie eine Leiche, denn der Brand, welcher die Flecken hervorruft, hatte sich über den ganzen Körper ausgebreitet, und sie starb in weniger denn zwei Stunden. Aber die Mutter hörte immer noch nicht zu heulen auf, obwohl sie von ihrem Kind nichts mehr wußte, bis mehrere Stunden nach dessen Tod. Es ist schon so lange her, daß ich nicht mehr ganz sicher bin, aber ich glaube, die Mutter erholte sich nicht wieder, sondern starb zwei oder drei Wochen danach.

Dies war ein außergewöhnlicher Fall, und ich bin deshalb mehr auf seine Einzelheiten eingegangen, weil ich mit ihnen so nahe in Berührung gekommen bin; aber solch ähnlicher Fälle gab es unzählige, und es war selten, daß das wöchentliche Sterberegister erschien, ohne daß darauf zwei oder drei verzeichnet waren, die am Schreck gestorben waren. Da konnte man also wirklich von zu Tode Erschrockenen sprechen. Aber außer denen, die so erschraken, daß sie auf der Stelle starben, gab es viele, die der Schreck auf andere Art außer sich gebracht hatte; manche waren von Sinnen, manche verloren das Gedächtnis, manche den Verstand. Aber ich kehre zu dem Schließen der Häuser zurück.

Wie einige Leute also aus ihren Häusern, nachdem sie eingeschlossen waren, durch List entkamen, so taten andere es, indem sie die Wachleute bestachen und ihnen Geld gaben, daß sie sie heimlich in der Nacht hinausgehen ließen. Ich muß gestehen, ich hielt dies seiner Zeit für die unschuldigste Art von Bestechung, deren jemand sich schuldig machen konnte, und fühlte deshalb nur Mitleid mit den armen Kerlen, und sah es als sehr hart an, als drei solcher Wachmänner öffentlich durch die Straßen gepeitscht wurden, weil sie Leute hatten aus gesperrten Häusern entweichen lassen.

Aber trotz dieser Strenge verfehlte Geld bei den armen Männern seine Wirkung nicht, und viele Familien fanden einen Weg, sich auf solche Art davonzuschleichen, nachdem man sie eingeschlossen hatte; aber dies waren für gewöhnlich solche, die einen Ort hatten, zu dem sie ihre Zuflucht nehmen konnten; und obschon es nach dem 1. August nicht mehr leicht war, in irgendeiner Richtung die Straßen zu passieren, so gab es immer noch viele Wege des Durchkommens; und insbesondere hatten manche Leute, wie ich es schon andeutete, Zelte und stellten sie im Freien auf, brachten Betten mit oder Stroh, um darauf zu liegen, und Vorräte zum Essen, und so lebten sie wie die Einsiedler in der Klause, denn niemand hätte sich ihnen zu nähern getraut; und verschiedene Geschichten wurden über solche Leute erzählt, einige komisch, einige tragisch; manche lebten wie die wandernden Pilger in der Wüste und kamen nur davon, indem sie auf eine Weise das Leben von Verbannten führten, wie man es kaum für möglich halten möchte, und doch genossen sie mehr Freiheit, als unter den Umständen zu erwarten gewesen wäre.

Ich habe die Geschichte zweier Brüder und ihres Vetters vorliegen, die unverheiratet, aber zu lange in der Stadt zurückgeblieben waren, um hinauszukommen, und auch durchaus nicht gewußt hätten, wo sie eine Bleibe hätten finden können, noch die Mittel besaßen, um weit zu reisen; diese verfielen auf einen Ausweg zur Selbsterhaltung, der, obschon er an sich zuerst verzweifelt erschien, doch so natürlich war, daß man sich wundern mag, warum nicht mehr Menschen ihn zu der Zeit beschritten. Sie waren nicht besonders vermögend, aber auch nicht so ganz arm, daß sie sich nicht einige der kleinen Annehmlichkeiten hatten verschaffen können, die dazu dienen, Leib und Seele zusammenzuhalten; und als sie die Seuche so erschreckend um sich greifen sahen, beschlossen sie sich zu helfen, so gut es ging, und zu verschwinden.

Einer von ihnen war in den letzten Kriegen Soldat gewesen und zuvor schon in den Niederlanden, und da er außer dem Waffenhandwerk keinen eigentlichen Beruf erlernt hatte und zudem verwundet gewesen war und deshalb keine schwere Arbeit verrichten konnte, hatte er eine Zeitlang bei einem Schiffszwieback-Bäcker in Wapping eine Stelle gehabt.

Der Bruder dieses Mannes war wohl ein Seemann, aber auf diese oder jene Art war er am Bein verletzt worden, so daß er nicht auf See gehen konnte, und hatte bei einem Segelmacher in Wapping oder nahebei sein Brot verdient; und da er gut haushalten konnte, hatte er etwas Geld gespart und war von den dreien der reichste.

Der dritte, der Vetter, war Zimmermann oder Schreiner von Beruf, ein geschickter Bursche, und er besaß nichts als seinen Kasten oder Korb mit Werkzeugen, mit deren Hilfe er zu jeder Zeit überall seinen Lebensunterhalt verdienen konnte, ausgenommen eine Zeit wie damals, und er wohnte in der Nähe von Shadwell.

Sie gehörten alle zu der Pfarre Stepney, und da dies der letzte Sprengel war, der von der Seuche ergriffen wurde, jedenfalls mit Heftigkeit, blieben sie dort, bis sie deutlich sahen, daß die Pest im Westen der Stadt nachließ und auf den Osten zukam, wo sie wohnten.
Die Geschichte dieser drei Männer – wenn der Leser einverstanden ist, daß ich sie in deren eigenem Wortlaut wiedergebe, ohne für die Einzelheiten zu bürgen oder mich für Fehler verantwortlich zu wissen – will ich in aller Ausführlichkeit bringen, da ich glaube, sie ist ein sehr gutes Beispiel, dem jeder Unbemittelte folgen könnte, wenn die gleiche allgemeine Katastrophe wieder einmal hier bei uns hereinbrechen sollte; und wenn keine solche Notwendigkeit, vor der Gott in seiner unendlichen Güte uns bewahren wolle, vorliegt, so mag die Geschichte trotzdem auf so vielerlei Art von Nutzen sein, daß niemand, so hoffe ich, je sagen kann, ihre Erzählung sei ohne Gewinn gewesen.

Dies alles schicke ich der Geschichte voraus, doch bevor ich meinen eigenen Part aufgebe, habe ich fürs erste noch eine Menge mehr zu sagen.

Die ganze Anfangszeit über ging ich unbesorgt in den Straßen umher, obwohl nicht so unbedacht, daß ich mich in eine offenbare Gefahr gestürzt hätte, ausgenommen als sie die große Grube auf dem Friedhof in unserer Pfarre Aldgate aushoben. Eine mächtige Grube war das, und ich konnte meiner Neugier nicht widerstehen, sie mir anzusehen.

Soweit ich es abschätzen konnte, maß sie etwa vierzig Fuß in der Länge, etwa fünfzehn bis sechzehn Fuß in der Breite und, zu der Zeit, wo ich sie zum erstenmal anschaute, ungefähr neun Fuß in der Tiefe; aber es heißt, sie gruben sie auf der einen Seite später bis auf zwanzig Fuß tief, bis sie des Grundwassers wegen nicht mehr tiefer gehen konnten; sie hatten nämlich, so scheint es, schon mehrere Gruben vorher ausgehoben. Obwohl die Pest auf unseren Sprengel lange genug in Anmarsch war, so gab es doch, als sie dann da war, keine Pfarre in oder um London, wo sie mit solcher Heftigkeit wütete wie in den beiden Pfarren Aldgate und Whitechapel.

Ich sage, sie hatten auf anderem Grund bereits mehrere Gruben gegraben, als die Seuche sich in unserem Sprengel auszubreiten begann und besonders als dann der Totenkarren herumfahren mußte, was in unserer Pfarre nicht vor Anfang August war. In diese Grube hatten sie vielleicht je fünfzig oder sechzig Leichen getan; dann machten sie größere Gräber, in denen sie alle, die der Totenkarren in einer Woche brachte, beerdigen konnten, was sich von Mitte bis Ende August auf zwischen 200 und 400 belief; und sie konnten sie nicht gut größer ausheben, weil die Verordnung des Magistrates ihnen die Auflage machte, keinen Leichnam weniger als sechs Fuß unter der Oberfläche zu belassen; und da sie bei siebzehn oder achtzehn Fuß Tiefe auf Grundwasser stießen, konnten sie, sage ich, nicht gut mehr Tote in eine Grube tun. Aber als dann, anfangs September, die Pest aufs grausigste zu wüten begann und die Anzahl der Beerdigungen in unserer Pfarre alles überstieg, was in irgendeiner Pfarre von der gleichen Größe im Umkreis Londons je begraben worden war, ließen sie diesen garstigen Abgrund, denn das war es eher als nur eine Grube, ausheben.

Sie hatten gemeint, als sie das taten, dies würde ihnen für einen Monat oder noch länger ausreichen, und manche Leute machten den Kirchenpflegern schon Vorwürfe, daß sie etwas so Fürchterliches zuließen, so als treffe man Vorbereitungen, die ganze Pfarre zu begraben oder dergleichen; aber die Zeit erwies, daß die Kirchenpfleger über die Umstände der Gemeinde besser Bescheid wußten; denn nachdem die große Grube, ich glaube, am 4. September fertig geworden war, fingen sie am sechsten an, sie für Beerdigungen zu benutzen, und bis zum zwanzigsten, also in nur zwei Wochen, hatten sie 1114 Tote hineingeworfen, und dann mußten sie sie zuschütten, da die Leichen schon bis sechs Fuß unter die Oberfläche reichten. Ich möchte bestimmt annehmen, daß noch ein paar alte Personen am Leben sind, die dies als Tatsache bestätigen können und die vielleicht sogar sagen können, besser als ich, an welcher Stelle des Friedhofs diese Grube lag. Sie zeichnete sich auch noch viele Jahre lang auf dem Friedhofsgrund ab, und man konnte sehen, wie sie in ihrer Länge parallel zu dem Weg verlief, der an der Westmauer des Friedhofs entlang aus Houndsditch herausführt und sich dann nach Whitechapel wendet, wo er in der Nähe von der Dreinonnen-Schänke herauskommt.

Es war um den 10. September, als meine Neugier mich dazu trieb oder vielmehr mir das heftige Verlangen eingab, diese Grube nochmals sehen zu gehen; es waren bis dahin etwa 400 Tote darin begraben worden; und es genügte mir nicht, sie nur bei Tage anzuschauen, wie ich es schon vordem getan hatte, denn da hätte es nichts zu sehen gegeben als lose Erde; alle Leichen nämlich, die sie hineinwarfen, bedeckten die Totengräber, die man auch einfach die Träger nannte, sogleich mit Erde; aber ich nahm mir vor, in der Nacht hinzugehen und zuzuschauen, wenn einige hineingeworfen wurden.

Es war durch einen Erlaß streng verboten, daß jemand zu den Gruben ging, und das war nur, um Ansteckungen zu verhindern. Aber nach kurzer Zeit wurde dieses Verbot noch wichtiger, denn es kam vor, daß Menschen, die krank lagen und schon im Fieberwahn und dem Ende nahe waren, zu den Gruben liefen, in Decken oder Bettücher gehüllt, und sich hinunterstürzten, um, wie sie sagten, sich selbst zu begraben. Ich möchte nicht behaupten, daß die Beamten jemals einen dort mit Absicht haben liegen lassen; aber ich habe gehört, daß in einer großen Grube in Finsbury, in der Pfarre Cripplegate, da damals dort der Friedhof noch nicht ummauert war, sondern offen im Freien lag –, daß sie kamen und sich hineinstürzten und dort verschieden, bevor man noch Erde auf sie warf; als man dann kam, um andere zu bestatten, fand man sie bereits tot, wenn auch noch nicht erkaltet.

Dies mag ein wenig dazu dienen, die gräßlichen Zustände jener Zeit zu veranschaulichen, obwohl es unmöglich ist, mit Worten denen, die es nicht gesehen haben, einen wahrheitsgetreuen Begriff davon zu geben; alles was man sagen kann, ist, daß es sehr, sehr, sehr grauenvoll war und so, wie keine Zunge es auszudrücken vermag.

Ich erhielt Zutritt zu dem Friedhof durch meine Bekanntschaft mit dem Küster, der dort Dienst tat; obwohl er mich nicht rundweg abwies, versuchte er dennoch ernstlich, mich von meinem Vorhaben abzubringen, indem er mir – guter, frommer und verständiger Mann, der er war – sehr eindringlich erklärte, es sei ausschließlich ihr Geschäft und ihre Pflicht, dies zu wagen und alle Gefahren auf sich zu nehmen, und daß sie dabei hoffen dürften, bewahrt zu bleiben; daß ich jedoch keine sichtliche Berufung dafür hätte, außer meiner eigenen Neugier, was, so meinte er, ich wohl nicht als einen ausreichenden Grund anführen wolle, dieses Risiko auf mich zu nehmen. Ich sagte ihm, ich fühlte mich in meinem Innern gedrängt zu gehen und es könne vielleicht auch ein lehrreicher Anblick sein, der mir wahrscheinlich Nutzen bringe. »Freilich«, sagte der gute Mann, »wenn Ihr es auf die Rechnung unternehmen wollt, dann in Gottes Namen, geht hinein; denn, verlaßt Euch drauf, es wird eine Predigt für Euch sein, vielleicht die beste, die Ihr Euer Leben lang hörtet. Es ist ein sprechender Anblick«, sagte er, »und spricht mit einer Stimme, und einer lauten, die uns alle zur Buße ruft«; und damit öffnete er das Tor und sagte: »Geht, wenn Ihr wollt.«

Seine Rede hatte meinen Entschluß ein wenig erschüttert, und ich stand eine gute Weile schwankend, aber dann sah ich plötzlich zwei Fackeln von den Minoriten her herankommen und hörte den Klingler, und dann erschien ein Totenkarren, wie sie ihn nannten, auf der Straße; da konnte ich meinem Verlangen zuzuschauen nicht länger widerstehen und ging hinein. Es war niemand, soweit ich zuerst erkennen konnte, auf dem Friedhof, und es betrat ihn auch keiner als die Totengräber und der Bursche, der den Karren fuhr oder vielmehr Pferd und Wagen an der Hand führte; aber als sie bei der Grube anlangten, sahen sie einen Mann hin- und hergehen, in einen braunen Umhang vermummt und mit den Händen unter dem Mantel Bewegungen vollführend, als ringe er mit einem großen Schmerz, und die Totengräber umstellten ihn sogleich, in dem Glauben, er sei eins dieser bedauernswerten fieberwahnsinnigen oder außer sich geratenen Geschöpfe, die, wie ich schon sagte, sich selbst zu begraben vermeinten. Er sagte kein Wort, während er umherging, aber zwei oder drei Mal stöhnte er sehr tief und laut und seufzte, als ob ihm das Herz breche.

Als die Totengräber ihn einholten, fanden sie bald heraus, daß er weder einer der kranken und verzweifelten Personen war, von denen ich oben sprach, noch geistesgestört, sondern jemand, der mit einem fürwahr grauenhaft schweren Gram beladen war, hatte er doch seine Frau und mehrere seiner Kinder alle auf dem Karren liegen, der eben mit ihm hergekommen war und den er in einem Todeskampf übermäßigen Leids begleitete. Er trauerte tief, wie man sehen konnte, aber mit einer Art männlichen Grams, der sich nicht in Tränen Erleichterung verschaffen konnte; und mit ruhiger Bestimmtheit gebot er den Totengräbern, ihn in Frieden zu lassen, da er nur die Toten begraben sehen wolle und dann fortgehen werde; also behelligten sie ihn nicht weiter. Aber kaum hatten sie den Karren umgewendet und die Leichen alle miteinander in die Grube gekippt, worauf er nicht gefaßt war, denn er hatte zum mindesten erwartet, daß man sie mit Anstand einfahren werde, was, wie er freilich sich später überzeugen ließ, nicht durchführbar war – ich sage, kaum nahm er diesen Anblick wahr, als er laut aufschrie, nicht imstande sich zu beherrschen. Ich konnte nicht verstehen, was er sagte, aber er trat zwei oder drei Schritte zurück und fiel in einer Ohnmacht zu Boden. Die Totengräber liefen zu ihm und hoben ihn auf, und nach kurzer Zeit kam er zu sich, und sie brachten ihn fort, zu der Pie Taverne hinüber, am Ende von Houndsditch; wo, wie es schien, der Mann bekannt war und wo man sich seiner annahm. Er schaute, bevor er ging, noch einmal in die Grube, aber die Totengräber hatten die Toten so rasch mit Erdwürfen bedeckt, daß, obwohl es hell genug war (es waren nämlich auf Erdhaufen Laternen mit Kerzen darin, deren sieben oder acht oder vielleicht noch mehr, die ganze Nacht über rund um den Rand der Grube aufgestellt), nichts mehr zu sehen war.

Dies war in der Tat eine traurige Szene, und sie bedrückte mich beinahe so sehr wie das übrige; aber das andere war schaurig und voll der Schrecken. Der Karren hatte sechzehn oder siebzehn Leichen geladen; einige waren in Leinenlaken gehüllt, andere in Lumpen, manche waren kaum anders als nackt oder so lose bekleidet, daß alles, was sie am Leibe hatten, beim Auskippen aus dem Karren von ihnen gefallen war und sie völlig nackt unter die übrigen fielen; aber das machte ihnen nicht viel aus, und auch sonst konnte niemand daran Anstoß nehmen, da man doch sah, daß sie tot waren und alle zusammen im gemeinsamen Grab der Menschheit, wie wir es nennen können, vermengt wurden; denn hier gab es keinen Unterschied, sondern arm und reich gingen miteinander; eine andere Art der Beerdigung gab es nicht, wäre auch gar nicht möglich gewesen, denn Särge waren nicht zu haben für die Anzahl der Opfer, die ein Unheil wie dieses forderte.

Von den Totengräbern wurde, als ein großes Ärgernis, erzählt, daß, wenn ihnen ein Leichnam in geziemender Einhüllung abgeliefert wurde, und darunter verstanden wir damals, in ein Wickellaken eingewickelt, das an Kopf und Fuß verschnürt wurde, (manche taten das auch damals, und man nahm gutes Leinen dazu) – ich sage, es wurde erzählt, daß die Totengräber so schlimm waren, daß sie sie auf dem Totenkarren auszogen und sie ganz nackt ins Grab schafften. Aber da ich von Christenmenschen etwas so Niederträchtiges nicht leicht glauben kann, noch dazu in einer Zeit, die so von Grauen erfüllt war wie jene, kann ich es nur berichten und stelle es anheim.

Unzählige Geschichten gingen auch über das herzlose Betragen und die üblen Bräuche der Wärter und Wärterinnen um, die die Kranken pflegten, und daß sie das Schicksal derer, die in ihrer Krankheit ihrer Sorge anvertraut waren, beschleunigten. Aber davon werde ich bei Gelegenheit noch mehr zu sagen haben.

Mich hatte der Anblick in der Tat entsetzt; es war fast zuviel für mich, und ich ging fort, im Herzen gepeinigt und voll quälender Gedanken, so wie ich sie nicht beschreiben kann.

Gerade als ich aus der Kirche kam und mich die Straße aufwärts meinem Hause zuwandte, sah ich wieder einen Karren mit Fackeln und einem Klingler vornweg aus Harrow Alley in der Butcher Row kommen; er fuhr auf der anderen Straßenseite und war, wie ich sehen konnte, ganz voll mit Leichen beladen und hielt geradewegs über die Straße auf die Kirche zu. Ich blieb eine Weile stehen, brachte es aber nicht über mich, umzukehren und das gleiche grausige Schauspiel noch einmal zu sehen, und so ging ich gleich nach Hause, wo ich nur mit Dankbarkeit des Wagnisses gedenken konnte, das ich unternommen hatte, im festen Vertrauen, daß ich mir keinen Schaden zugezogen hatte, wie es auch tatsächlich nicht der Fall war.

Da kam mir der Gram des armen unglücklichen Herrn wieder in den Sinn, und ich konnte tatsächlich beim Gedanken daran nicht umhin, Tränen zu vergießen, vielleicht mehr als jener selbst vergoß; so schwer jedoch lag mir sein Fall auf der Seele, daß ich mir nicht helfen konnte, ich mußte mich wieder aufmachen und zur Pie Taverne gehen, in der festen Absicht, nachzuforschen, was aus ihm geworden war.

Es war mittlerweile ein Uhr morgens, und doch war der arme Herr noch dort. Es verhielt sich so, daß die Leute in dem Hause ihn kannten und ihn die ganze Nacht hindurch dort behalten hatten, um ihn aufzumuntern, ohne der Gefahr zu achten, daß sie von ihm angesteckt werden könnten; freilich hatte es den Anschein, daß er selbst vollkommen gesund war.

Ich kann dieser Schänke nur mit Bedauern Erwähnung tun. Die Wirtsleute waren höflich, gesittet und überhaupt liebenswürdige Menschen, und sie hielten bis zu dieser Stunde ihr Haus geöffnet und den Geschäftsbetrieb in Gang, wenn auch nach außen hin nicht so sichtbar wie früher; aber da war eine Handvoll übler Kerle, die in dem Hause verkehrten und die, inmitten all der Schrecken, jeden Abend dort zusammenkamen und sich mit all der lauten und lärmenden Lustbarkeit aufführten, welche man an solchen Leuten zu anderen Zeiten ja gewohnt ist, und ihr anstößiges Treiben nahm solche Formen an, daß auch der Wirt und die Wirtin sich zuerst ihrer schämten und dann vor ihnen Angst bekamen.

Sie saßen gewöhnlich in dem Raum nächst der Straße, und da sie immer bis spät in die Nacht blieben, pflegten sie, wenn der Totenkarren in Richtung Houndsditch die Straße kreuzte, was man vom Fenster der Schänke aus sehen konnte, häufig die Fenster zu öffnen, sobald sie die Glocke hörten, und hinauszuschauen; und da sie oft das Wehklagen der Trauernden auf der Straße oder, wenn der Karren bei ihnen vorbeikam, an den Fenstern hören können, ließen sie immer ihre Spott- und Hohnreden auf sie los, besonders wenn sie die armen Leutchen zu Gott um Erbarmen rufen hörten, wie viele es damals bei ihren tagtäglichen Gängen über die Straße taten.

Diese sauberen Gesellen fühlten sich durch die Unruhe, die das Hereinbringen des beklagenswerten Herrn verursachte, wie oben gesagt wurde, gestört, und sie führten beim Wirt ärgerliche und anmaßende Beschwerde, wie er es dulden könne, daß solch ein Kerl, wie sie ihn nannten, aus dem Grab in ihre Gesellschaft gebracht werde; aber als sie zur Antwort erhielten, der Herr sei ein Nachbar und er sei gesund und nur von dem Unglück seiner Familie übermannt und so weiter, verkehrten sie ihren Ärger in Spott und machten sich über den Mann und seinen Seelenschmerz um Weib und Kind lustig, stichelten ihn, warum er nicht den Mut habe, in die große Grube zu springen und mit ihnen zusammen, so drückten sie sich aus, in den Himmel zu kommen, wozu sie einige sehr häßliche und sogar gotteslästerliche Schimpfworte hinzufügten.

Mit diesem nichtswürdigen Werk waren sie beschäftigt, als ich ins Haus kam; und soweit ich es sehen konnte, war der Herr, obschon er still, stumm und verstört dasaß und sich trotz ihres Affronts nicht seines Kummers entschlagen konnte, durch ihre Reden tief verletzt und beleidigt. Darauf wies ich sie sacht zurecht, derweil ich mit ihrem Charakter bestens vertraut und mit zweien von ihnen persönlich bekannt war.

Sie fielen sofort mit Schimpfreden und Fluchworten über mich her, fragten mich, was ich zu dieser Stunde, wo so viele ehrlichere Männer zum Friedhof gebracht würden, außerhalb meines Grabes zu suchen habe und warum ich nicht daheim sei und auf den Knien liege, damit der Karren nicht auch mich holen komme, und dergleichen.

Obwohl sie mich mit dieser Behandlung keineswegs außer Fassung bringen konnten, war ich doch recht aufgebracht über ihre Unverschämtheit. Ich behielt jedoch die äußere Ruhe. Ich sagte ihnen, daß, obwohl ich den Menschen in der Welt hören wolle, der mich einer Unehrlichkeit zeihen könne, ich dennoch zugestehe, daß in diesem schrecklichen Strafgericht Gottes viele bessere Männer als ich dahingerafft und ins Grab gebracht worden seien. Aber um auf ihre Frage mit der Antwort nicht zurückzuhalten, so sei es freilich der Fall, daß ich von dem großen Gott, dessen Namen sie gelästert und durch widerwärtige Schimpf- und Fluchreden verunehrt hätten, gnädigst bewahrt worden sei und daß ich glaubte, ich sei, unter anderen Absichten Seiner Güte, zu dem Zweck bewahrt worden, daß ich sie ob ihres unverschämten Übermutes, sich in einer solchen furchtbaren Zeit auf eine solche Art aufzuführen, zurechtweisen könne, besonders was das Ausspotten und Auslachen eines aufrechten Gentleman und Nachbarn (denn einige von ihnen kannten ihn) betreffe, der, wie sie sähen, vom Schmerz über die Verluste überwältigt sei, die seiner Familie zuzufügen Gott gefallen habe.

Ich kann mir nicht genau das höllische, abscheuliche Gespött ins Gedächtnis zurückrufen, mit dem sie meine Worte erwiderten, anscheinend dadurch gereizt, daß ich mich keineswegs fürchtete, gegen sie so freimütig zu sein; und selbst wenn ich mich daran erinnern könnte, würde ich in meinen Bericht keins ihrer Worte aufnehmen, diese grausigen Flüche und Schwüre und niedrigen Ausdrücke, wie sie sie, zu dieser Stunde, nicht einmal die schlimmsten und gemeinsten Leute von der Straße gebraucht hätten; denn wenn man von solch hartgesottenen Brüdern wie diesen absieht, so war zu dieser Stunde der Nacht auch das allerübelste Gesindel, das man nur finden konnte, mit Furcht und Zittern vor dem Walten jener Macht erfüllt, die sie in einem Augenblick vernichten konnte.

Aber das Schlimmste an ihrer teuflischen Ausdrucksweise war, daß sie sich nicht scheuten, Gott zu lästern und gottlose Reden zu führen; so machten sie sich lustig darüber, daß ich die Pest die Geißel Gottes nannte; sie witzelten und konnten nicht genug lachen über das Wort »Strafgericht«, als habe die göttliche Vorsehung nicht ihre strafende Hand im Spiel, wenn solch ein verheerender Schicksalschlag herniederging; und daß die Leute zu Gott riefen, wenn sie die Karren die Toten wegfahren sahen, das galt den Lachern als überspannt, absurd und unsinniges Zeug.

Ich entgegnete ihnen, so wie ich es für angemessen hielt, aber das war, mußte ich feststellen, so weit entfernt davon, ihrer schaurigen Redeweise irgendeine Schranke zu setzen, daß es sie vielmehr nur um so frecher lästern machte; so muß ich gestehen, es erfüllte mich mit Grausen und einer rechten Wut, und es entfuhr mir eine Warnung: daß nur nicht die Macht des Strafgerichts, das die ganze Stadt heimgesucht habe, sich verherrliche, indem es an ihnen und allen, die ihnen nahestehen, Rache übe!

Sie nahmen jede Zurechtweisung mit der äußersten Verachtung entgegen und überschütteten mich mit allem Spott, der ihnen zu Gebote stand, und bedachten mich mit den schimpflichsten und schamlosesten Hohnworten, die ihnen nur einfielen, dafür daß ich ihnen gepredigt hätte, wie sie es nannten; dies betrübte mich mehr als daß es mich erzürnte, und ich ging fort, Gott im Herzen dankend, daß ich sie jedenfalls nicht verschont hatte, so sehr sie mich auch beleidigt hatten.

Sie setzten ihr Treiben noch drei oder vier Tage fort und verspotteten und verhöhnten unaufhörlich alle, die sich fromm oder gottesfürchtig zeigten oder sich durch das schreckliche Strafgericht Gottes, das über uns war, erschüttert fühlten; und ich hörte, sie machten auf die gleiche Art die guten Leute lächerlich, die trotz der Ansteckungsgefahr sich in der Kirche versammelten, fasteten und zu Gott beteten, er möge Seine strafende Hand zurückziehen.

Ich sage, sie setzten dieses Treiben noch drei oder vier Tage fort – ich glaube, länger war es nicht – bis einer von ihnen, der nämlich, der den bedauernswerten Herrn gefragt hatte, was er außerhalb seines Grabes zu suchen habe, vom Himmel mit der Pest geschlagen wurde und auf die kläglichste Weise starb; und, in einem Wort, sie wurden allesamt in die große Grube gefahren, die ich vorher erwähnte, noch bevor sie ganz gefüllt war, was nicht länger als zwei Wochen oder etwa so lange dauerte.

Die vielen Frivolitäten, deren diese Männer sich schuldig machten, waren derart, daß man meinen sollte, die menschliche Natur hätte davor zittern müssen, dies in einer solchen Zeit der allgemeinen Schrecken, wie sie über uns war, auch nur zu denken; und besonders dieser Spott und Hohn über alles, was ihnen an Frömmigkeit unter den Leuten vor die Augen kam, etwa wenn sie voll Eifer zum Ort öffentlicher Gottesdienste strömten, um in solcher Notzeit den Himmel um Erbarmen anzuflehen; und daß die Schänke, in welcher sie ihre Clubsitzungen abhielten, in Sichtweite der Kirchentür lag, das gab ihnen nur noch mehr Anlaß für ihre gottlosen, schimpflichen Belustigungen.

Aber dies ließ bei ihnen schon ein wenig nach, auch schon bevor jenes Unglück sich ereignete, von dem ich eben sprach, denn die Seuche nahm jetzt in diesem Teil der Stadt mit solcher Heftigkeit zu, daß die Leute sich zu fürchten begannen, zur Kirche zu kommen; wenigstens suchten sie sie nicht mehr in so großer Zahl auf, wie gewohnt. Auch waren viele der Geistlichen gestorben, andere aufs Land gegangen; es erforderte nämlich in der Tat einen festen Mut und einen starken Glauben, wenn ein Mann es nicht nur auf sich nahm, zu einer solchen Zeit in der Stadt zu bleiben, sondern wenn er auch noch wagte, in die Kirche zu gehen und das Amt eines Gottesdieners an einer Gemeinde auszuüben, von der er allen Grund hatte anzunehmen, daß viele in ihr tatsächlich von der Pest befallen waren und wenn er es jeden Tag tat, oder zweimal am Tage, wie es mancherorts geschah.

Allerdings zeigten die Leute einen außerordentlichen Eifer in diesen frommen Übungen, und da die Kirchentüren immer geöffnet waren, pflegten die Leute zu allen Zeiten einzeln hineinzugehen, ob ein Geistlicher Gottesdienst hielt oder nicht, und sich in einen Kirchstuhl einzusperren und mit großer Andacht und Inbrunst zu Gott zu beten.

Andere versammelten sich in Gebetshäusern, jeder wie ihn seine besondere Glaubensrichtung leitete, aber alle waren ohne Unterschied der Gegenstand für dieser Männer Witzeleien, besonders am Anfang der Heimsuchung.

Es scheint, sie waren für ihre derartig offenen Beleidigungen der Religion von verschiedenen guten Leuten jeder Konfession zur Rede gestellt worden, und dies sowohl wie das heftigere Wüten der Seuche waren anscheinend die Gründe, daß sie in ihrer Rohheit schon eine Zeitlang weitgehend nachgelassen hatten; sie wurden nur wieder vom Geist der Lästerung und der Gottlosigkeit erfaßt, als mit dem Hereinbringen jenes Herrn eine gewisse Unruhe entstand, und vielleicht wurden sie vom selben Teufel wieder gepackt, als ich es unternahm, sie zurechtzuweisen; freilich hatte ich es anfangs mit all der Ruhe, Gelassenheit und Höflichkeit getan, die ich aufbringen konnte, aber dafür beschimpften sie mich eine Weile nur um so mehr, weil sie meinten, es sei aus Furcht vor ihrem Groll geschehen; später fanden sie dann freilich heraus, daß das Gegenteil der Fall war.

Ich ging heim, in der Seele tief betrübt und bekümmert ob der scheußlichen Bosheit jener Männer, jedoch nicht im Zweifel, daß an ihnen Gottes Gerechtigkeit ein furchtbares Exempel statuieren werde; denn ich betrachtete diese grauenvolle Zeit als die ausgesuchte Stunde der Göttlichen Rache und war überzeugt, daß Gott bei dieser Gelegenheit die eigentlichen Gegenstände Seines Mißfallens auf deutlichere und merklichere Art aussondern werde als zu anderen Zeiten; und obwohl ich freilich glaubte, daß viele guten Menschen in der allgemeinen Katastrophe untergehen würden, und untergingen, und daß es keine verläßliche Richtschnur war, irgend jemandes ewige Bestimmung danach zu beurteilen, ob er in solch einer Zeit der allgemeinen Vernichtung auf die eine oder andere Weise hervorgehoben wurde, so konnte es mir dennoch, sage ich, nicht anders als vernünftig erscheinen anzunehmen, daß es Gott nicht Wohlgefallen werde, gnädig so offen erklärte Feinde zu verschonen, die sich herausnahmen, Seinen Namen und Sein Wesen zu beleidigen, Seiner Rache zu trotzen und zu einer solchen Zeit Seine Verehrung und Seine Verehrer zu verspotten; nein, gewiß nicht, obwohl es Ihm in Seinem Erbarmen Wohlgefallen hatte, sie zu anderen Zeiten zu ertragen und zu verschonen; denn dies war der Tag der Heimsuchung, der Tag von Gottes Zorn, und jene Worte kamen mir in den Sinn, Jeremias, Vers 9: »Und ich sollte sie um solches nicht heimsuchen? spricht der Herr, und meine Seele sollte sich nicht rächen an solchem Volk, wie dies ist?«

Diese Gedanken, sage ich, lasteten auf meiner Seele, und ich ging heim, sehr betrübt und bedrückt vor Entsetzen über jener Männer Bosheit; wie konnte man nur so niederträchtig, so verhärtet und so unumwunden böse sein, Gott, Seine Diener und Seine Verehrung auf solche Art zu beleidigen, und das zu einer Zeit wie diese war, wo Er sozusagen Sein gezogenes Schwert in der Hand hielt, mit der Absicht, nicht nur an ihnen, sondern an dem ganzen Volk Rache zu üben.

Ich hatte in der Tat zuerst einige Erregung über sie verspürt, obwohl ich mich wirklich nicht durch irgendeinen der Angriffe erzürnen ließ, die sie gegen mich persönlich richteten, sondern nur durch den Schauder, mit dem mich ihre gottlästernden Zungen erfüllten. Ich war mir indessen innerlich nicht ganz im klaren, ob nicht der Groll, den ich hegte, ganz auf meine eigene Rechnung gehe, denn sie hatten auch mich reichlich mit Schimpf bedacht – ich meine persönlich; aber nach einigem Nachdenken und mit der Last des Grams auf meiner Seele, zog ich mich, sobald ich heimkam, zurück; schlafen konnte ich in der Nacht freilich nicht; und indem ich Gott demütig dankte, daß Er mich in der schweren Gefahr, in der ich gewesen war, bewahrt hatte, richtete ich meine Gedanken willentlich und mit äußerstem Ernst darauf, für diese unseligen Bösewichter zu beten, daß Gott ihnen verzeihen möge, ihnen die Augen öffne und sie wirksam demütige.

Hiermit tat ich nicht nur meine Pflicht, nämlich für die zu beten, die mir Schimpf angetan hatten, sondern ich erforschte auch mein eigenes Herz und kam zu der vollen Überzeugung, daß ich innerlich frei von Groll war und ihnen die Kränkungen, die sie mir persönlich zugefügt hatten, nicht nachtrug; und ich möchte mit aller Bescheidenheit diese Methode jedem empfehlen, der mit sich ins reine kommen will, wie er bei seinen Seelenregungen zwischen dem wahren Eifer für Gottes Ehre und den Wirkungen der eigenen Empfindlichkeit unterscheiden soll.

Aber ich muß hier wieder zu den einzelnen Geschehnissen zurückkehren, die mir in den Sinn kommen, wenn ich an die Zeit der Heimsuchung denke, besonders zu den Anfangsereignissen, als sie die Häuser der Erkrankten verschlossen; denn zu der Zeit, bevor die Seuche ihren Höhepunkt erreicht hatte, waren die Leute freier, ihre Beobachtungen mitzuteilen, als nachher; als die Dinge dann zum Äußersten kamen, gab es keinen Meinungsaustausch mehr miteinander wie zuvor.

Bei Gelegenheit des Verschließens von Häusern kam es, wie ich schon berichtete, zu Ausschreitungen gegen die Wachleute. Was das Militär angeht, so war nichts davon zu sehen; die paar Männer der Garde, die der König damals hatte – nichts im Vergleich mit der Anzahl, die seither unterhalten wird –, lagen zerstreut, entweder am Hofe in Oxford oder in entfernteren Teilen des Landes stationiert, kleine Abteilungen ausgenommen, die im Tower und in Whitehall Dienst taten, und ihrer waren nur sehr wenige.

Ich bin nicht einmal sicher, daß sie im Tower außer den gewöhnlichen Kanonieren, vierundzwanzig an der Zahl, und den Beamten, die das Magazin zu verwalten haben, den sogenannten Waffenmeistern, überhaupt noch irgendeine andere Wache gab als die Türhüter, wie man sie nannte, die am Tor stehen, in langen Gewändern und Hüten, ähnlich wie die Leibgardisten. Ausgebildete Mannschaften waren nicht auf die Beine zu stellen; die Wehrkreisverwaltung von London oder Middlesex hätte lange auf die Trommeln schlagen lassen können, keine der Miliz-Kompanien, glaube ich, hätte sich zusammengefunden, was immer die Androhungen gewesen wären.

Dies verminderte das Ansehen der Wachleute und war vielleicht auch der Grund, daß man sich um so mehr Ausschreitungen gegen sie erlaubte. Ich erwähne das in diesem Zusammenhang, um darauf hinzuweisen, daß das Aufstellen dieser Wachmänner, um die Menschen eingeschlossen zu halten, erstens einmal unwirksam war; die Leute konnten nämlich, sei es mit List oder mit Gewalt, beinahe nach Belieben ausbrechen; und zweitens waren diejenigen, die so ausbrachen, gewöhnlich bereits infiziert, und, in ihrer Verzweiflung von Ort zu Ort herumlaufend, achteten sie nicht darauf, wem sie ein Leid antaten; und dies mag vielleicht, wie ich schon sagte, dem Gerücht den Boden bereitet haben, nach dem es für einen Angesteckten ein natürliches Bedürfnis sei, andere anzustekken; dieses Gerücht jedoch war falsch.

Und ich weiß es und fand es in so vielen einzelnen Fällen bestätigt, daß ich eine ganze Reihe von guten, frommen und gottesfürchtigen Menschen anführen könnte, die, als die Krankheit sie erfaßt hatte, soweit entfernt davon waren, sie mit Willen auf andere zu übertragen, daß sie ihren eigenen Kindern verboten, ihnen nahezukommen, in der Hoffnung, sie so zu bewahren, und die sogar hingeschieden sind, ohne ihre nächsten Angehörigen noch einmal zu sehen, damit sie ihnen nicht die Seuche übertrügen und sie infizierten oder sie auch nur in Gefahr brächten. Wenn es also Fälle gegeben hat, da die Befallenen sich nicht um das Leid bekümmerten, das sie auf andere brachten, so verhielt es sich sicherlich so und wahrscheinlich gar nicht anders, als daß nämlich Menschen, die befallen waren und aus ihren verschlossenen Häusern ausgebrochen waren, in der Sorge um ihren Lebensunterhalt so zum Äußersten getrieben wurden, daß sie ihren Zustand zu verbergen trachteten und auf diese Weise, ohne es zu wollen, die Ansteckung anderer verursachten, die nichts davon ahnten.

Dies ist einer der Gründe, warum ich damals glaubte und immer noch glaube, daß das gewaltsame Verschließen der Häuser und die Einengung oder vielmehr Gefangenhaltung von Menschen in ihren eigenen Häusern, wie ich oben schon sagte, im ganzen gesehen wenig oder gar keinen Wert hatte. Ja, ich bin der Meinung, daß es eher schädlich gewesen ist, indem es diese unglücklichen Menschen nötigte, mit der Pest am Leibe im Lande umherzuirren, während sie sonst friedlich in ihrem Bett gestorben wären.

Ich erinnere mich an einen Zeitgenossen, der aus seinem Haus in der Aldersgate Straße oder daherum ausgebrochen war und die Straße nach Islington entlangging; er hatte versucht, im Gasthof Zum Engel unterzukommen und darauf im Weißen Roß, zwei Gastwirtschaften, die immer noch unter den gleichen Namen bekannt sind, war aber abgewiesen worden; danach kam er zum Gescheckten Bullen, einem Gasthaus, das ebenfalls noch unter der gleichen Bezeichnung fortbesteht. Er bat um Unterkunft für nur eine Nacht, vorgebend, er sei auf dem Weg nach Lincolnshire hinein, und versicherte, er sei ganz gesund und frei von der Ansteckung, die zu der Zeit auch in diese Gegend noch nicht weit vorgedrungen war.

Sie sagten ihm, sie hätten keine Unterkunft übrig als ein Bett in der Dachkammer, und auch das könnten sie nur für eine Nacht entbehren, da sie am nächsten Tag ein paar Viehtreiber mit ihrer Herde erwarteten; wenn er also mit solcher Unterkunft zufrieden sei, könne er sie haben, und er nahm an. Es wurde also zu seiner Begleitung eine Hausmagd mit einer Kerze hinaufgeschickt, um ihm das Zimmer zu zeigen. Er war sehr gut gekleidet und sah aus wie jemand, der nicht gewohnt war, in einer Dachkammer zu schlafen; und als er in das Zimmer trat, holte er tief Atem und sagte zu der Hausmagd: »Ich habe selten in einem Quartier wie diesem geschlafen.« Jedoch, da die Hausmagd ihm wieder versicherte, etwas Besseres hätten sie nicht, sagte er: »Gut, ich werde mich eben behelfen müssen; dies ist eine fürchterliche Zeit; aber es ist ja nur für eine Nacht.«

Er setzte sich also auf den Bettrand und hieß das Mädchen, ihm einen Krug mit, ich glaube, warmem Bier bringen. Das Mädchen ging, wie geheißen, nach dem Bier, aber irgend etwas Eiliges im Hause, da ihr wohl anderes aufgetragen wurde, ließ sie es wieder vergessen, und sie ging nicht mehr zu ihm hinauf.

Am nächsten Morgen, als von dem Herrn nichts zu sehen war, fragte jemand im Hause die Magd, die ihn hinaufgebracht hatte, was aus ihm geworden sei. Sie sprang auf.

»Ach«, rief sie, »ich habe nicht mehr an ihn gedacht. Er hieß mich, ihm etwas warmes Bier bringen, aber ich habe es vergessen.« Daraufhin wurde nicht die Magd, sondern jemand anders hinaufgeschickt, nach ihm zu schauen, und als dieser den Raum betrat, fand er den Mann tot und schon fast kalt, quer über das Bett gestreckt. Die Kleider hatte er sich vom Leibe gerissen, seine Wangen waren eingefallen, seine Augen in schreckenerregendem Ausdruck geöffnet, eine Hand hatte sich fest ans Bettuch geklammert, und so konnte man deutlich sehen, daß er bald nachdem das Mädchen ihn verlassen hatte gestorben war; und man kann annehmen, daß, wäre sie mit dem Bier hinaufgegangen, sie ihn schon ein paar Minuten nachdem er sich auf dem Bettrand niedergelassen hatte, tot aufgefunden haben würde. Das Entsetzen war groß in dem Haus, wie jeder sich denken kann, zumal sie dort bislang von der Seuche frei waren; und nun brachte dieser Unglücksfall die Ansteckung ins Haus und verbreitete sie sofort auf die anderen Häuser in der Umgebung. Ich kann mich nicht entsinnen, wieviele im Hause selbst starben, aber ich glaube, die Hausmagd, die mit ihm hinaufgegangen war, war die erste, die sogleich vor Schreck krank wurde, und dann mehrere andere; und während in der Woche zuvor in Islington nur zwei Personen an der Pest gestorben waren, zählte man in der nächsten Woche siebzehn Tote, von denen vierzehn an der Pest gestorben waren.

Dies war in der Woche vom 11. zum 18. Juli.
Es gab eine Möglichkeit, sich zu helfen, die manche Familien, und es waren nicht wenige, sich zunütze machten, wenn ihr Haus der Infektion verfiel, und das war diese: Die Familien, die beim ersten Ausbrechen der Seuche aufs Land geflohen waren, um bei Freunden Zuflucht zu finden, hatten in der Regel diesem oder jenem ihrer Nachbarn oder Verwandten die Sorge für ihre Häuser, was die Sicherheit des Besitzes und dergleichen anging, übertragen. Zwar waren manche Häuser auch völlig verriegelt, die Türen mit Vorhängeschlössern versperrt, die Fenster und die Türen mit Dielenbrettern vernagelt und die Beaufsichtigung den gewöhnlichen Wächtern und Gemeindebeamten überlassen; aber das waren nur wenige.

Man glaubte, daß es nicht weniger als 10 000 von ihren Bewohnern verlassene Häuser in der City und den Vororten gab, die Außenbezirke und Southwark, wie man den auf der anderen Flußseite, in Surrey, gelegenen Stadtteil nennt, miteingerechnet. Die Zahl schloß aber nicht die Untermieter und die Einzelpersonen ein, die aus anderen Familien geflohen waren; man rechnete darum, daß im ganzen 200 000 Personen aus der Stadt verschwunden waren. Aber von all dem werde ich noch zu sprechen haben. Ich erwähne es hier nur mit Rücksicht darauf, daß nämlich diejenigen, die auf diese Weise zwei Häuser in ihrer Verwaltung oder Obhut hatten, es zur Regel machten, daß der Hausherr, wenn einer in seiner Familie krank wurde, bevor er dem Gesundheitsinspektor oder sonst einem Beamten Meldung erstattete, sofort alle übrigen Familienmitglieder, ob Kinder oder Bedienstete, wie es sich eben ergab, in dieses andere Haus, das er in Verwaltung hatte, hinüberschickte, und dann erst dem Gesundheitsinspektor Mitteilung machte, eine oder mehrere Pflegerinnen anstellte und noch eine Person anwarb, die sich mit ihnen in dem Haus einschließen ließ (was manche für Geld taten), um sich des Kranken, falls er stürbe, anzunehmen.

Dies war in vielen Fällen die Rettung einer ganzen Familie, die, wäre sie mit dem Kranken zusammen eingeschlossen gewesen, unweigerlich zugrunde gegangen wäre. Auf der anderen Seite zeigte sich hier wieder eine der unbefriedigenden Seiten der Methode des Häuserverschließens; denn die Angst und der Schrecken davor, eingeschlossen zu werden, ließ manchen zusammen mit den übrigen Hausgenossen übersiedeln, der, obwohl es noch nicht offensichtlich war, dennoch die Seuche bereits im Leibe hatte; und ein solcher, da er die völlige Freiheit besaß umherzugehen, aber doch gezwungen war, seinen Zustand zu verbergen – übertrug die Krankheit auf andere und verbreitete die Seuche in schreckenerregendem Umfang, wie ich später noch des näheren erklären werde.

Und hier mag mir erlaubt sein, eine oder zwei eigene Beobachtungen einzufügen, die für diejenigen, in deren Hände sie gelangen, zu späteren Zeiten, falls sie jemals eine ähnlich furchtbare Heimsuchung erleben sollten, von Nutzen sein mögen:

(1.) Die Ansteckung gelangte gewöhnlich in die Häuser der Bürger vermittels ihrer Dienerschaft, die sie genötigt waren, die Straßen auf und ab zu schicken, um das Lebensnotwendige, das heißt Nahrung oder Arzneien, in Backhäusern, Brauhäusern oder Ladengeschäften und so fort einzukaufen; und wenn einer, wie er nicht umhin konnte, zu diesem Zweck über die Straßen, in die Läden und auf die Märkte ging, so war es unvermeidlich, daß er, hier oder dort, auf befallene Menschen traf, die ihn mit dem tödlichen Atem anhauchten, und dann brachte er ihn heim in die Familie, zu der er gehörte.

(2.) Es war ein großer Fehler, daß eine große Stadt wie die unsere nur ein einziges Pesthaus besaß; denn hätte es anstatt nur eines Pesthauses – nämlich das jenseits von Bunhill Fields, wo sie zum höchsten etwa zwei- oder dreihundert Menschen aufnehmen konnten – ich sage, hätte es anstelle dieses einen mehrere Pesthäuser gegeben, jedes imstande, tausend Menschen zu fassen, ohne daß zwei in einem Bett liegen oder zwei Betten in einem Raum stehen mußten, und wäre jeder Familienvater verpflichtet gewesen, sobald jedenfalls einer seiner Hausbediensteten krank wurde, ihn sofort, so er einverstanden war (wie viele es waren), in das nächste Pesthaus zu schicken, und hätten die Gesundheitsinspektoren ein Gleiches mit den Armen getan, sobald einer von ihnen von der Seuche befallen wurde – ich sage, wäre das geschehen und zwar mit dem freien Willen (und nicht anders) der Betroffenen, und hätte man dafür die Häuser nicht geschlossen, so bin ich überzeugt und bin immer der Meinung gewesen, daß nicht so viele Menschen, sondern einige tausend weniger gestorben wären; denn man hat die Beobachtung gemacht, und ich könnte aus dem Bereich meiner eigenen Kenntnis mehrere Beispiele dafür anführen, daß, wo ein Hausbediensteter krank geworden war und die Familie entweder Gelegenheit gehabt hatte, ihn hinauszuschaffen oder selbst aus dem Haus zu gehen und den Kranken, wie oben gesagt, zurückzulassen, daß dort alle am Leben blieben; während dort, wo beim Erkranken eines oder mehrerer Familienmitglieder das ganze Haus verschlossen worden war, die gesamte Familie zugrunde ging; und dann mußten die Totengräber hineingehen, um die Toten herauszuholen, und waren bald selber nicht mehr imstande, sie bis zur Tür zu schaffen, und schließlich war niemand mehr übrig, die Arbeit zu tun.

(3.) Dies stellte es für mich außer Frage, daß das Unheil sich durch Ansteckung verbreitete; das heißt, durch bestimmte Dämpfe oder Dünste, die die Ärzte Effluvia nennen; sie gehen vom Atem aus oder vom Schweiß oder von dem Wundgeruch der Kranken, oder sie haben einen anderen Ursprung, der vielleicht sogar das Verstehen der Ärzte übersteigt; diese Effluvia ziehen einen Gesunden, der sich einem Kranken auf eine bestimmte Entfernung nähert, in Mitleidenschaft, sie dringen sofort in das Lebenszentrum des besagten Gesunden ein, versetzen sein Blut sogleich in Gärung und rühren seine Geister auf, bis zu dem Grad der Erregung, in dem wir die Kranken fanden; und so teilt ein neu Angesteckter die Krankheit auf die gleiche Art wieder anderen mit. Und hierfür werde ich einige Beispiele anführen, die auf jeden, der sie ernstlich erwägt, nicht anders als überzeugend wirken können; und ich kann mich über solche Leute nur wundern, die jetzt, wo die Seuche vorüber ist, davon sprechen, sie sei ein Schlag, der unmittelbar vom Himmel komme, und ohne das Dazwischentreten von Zweitursachen geschickt worden sei, diese oder jene einzelne Person zu treffen und keine andere; ich kann dies nur mit Verachtung als das Ergebnis offenbarer Unwissenheit und Überspanntheit ansehen; ebenso die Meinung anderer, die davon sprechen, daß die Ansteckung durch die Luft allein weitergetragen werde, indem sie ungeheure Mengen von Insekten und unsichtbaren Geschöpfen mit sich führe, die mit dem Atem in den Körper gelangten oder sogar mit der Luft durch die Poren eindrängen, wo sie durch Zeugung oder Ausscheidung sehr stark wirkende Gifte hervorbrächten oder giftige Keime oder Eier, welche sich mit dem Blut vermischten und so den Körper infizierten; eine Erklärung voll von gelehrter Einfalt, wie die allgemeine Erfahrung auf das deutlichste zeigt; aber ich werde an gegebener Stelle noch mehr darüber sagen.

Ich muß hier erneut festhalten, daß nichts so folgenschwer für die Bewohner der Stadt war wie ihre eigene träge Nachlässigkeit, daß sie während der langen Vorankündigungs- und Warnzeit, die ihnen vor der Heimsuchung gegeben war, keine Vorkehrungen trafen, indem sie Vorräte von Lebensmitteln oder anderen Bedarfsgütern anlegten, was ihnen ermöglicht hätte, zurückgezogen in ihrem eigenen Hause zu leben, wie ich es von einigen berichtete, daß sie es taten, und die durch diese Vorsorge in weitem Maße bewahrt wurden; die Leute scheuten sich nicht einmal, nachdem sie erst ein wenig Gewöhnung hinter sich hatten, miteinander Umgang zu pflegen, wie sie es zu Anfang taten; nein, sie taten es, selbst wenn sie angesteckt waren und es wußten.

Ich gebe zu, ich war einer dieser Gedankenlosen, der so wenig vorgesorgt hatte, daß meine Hausgehilfen genötigt waren, jede Kleinigkeit um Pfennig und Groschen draußen einkaufen zu gehen, so wie es früher immer gewesen war; und auch als mich die Erfahrung lehrte, wie töricht das war, begann ich mit dem Klügerwerden so spät, daß ich kaum Zeit hatte, mich mit einem Monatsvorrat für unseren gemeinsamen Verbrauch einzudecken.

Ich hatte in meiner Hausgemeinschaft nur eine alte Frau, die die Wirtschaft besorgte, ein Dienstmädchen, zwei Lehrlinge und mich selber; und als die Pest rundherum zuzunehmen anfing, machte ich mir oft trübe Gedanken darüber, welchen Weg ich wohl einschlagen und wie ich mich verhalten sollte. Die vielen grausigen Bilder, die ich überall, wenn ich durch die Straßen ging, zu sehen bekam, hatten mich mit einem großen Maß von Entsetzen erfüllt, und sei es aus Furcht vor der Seuche, die in der Tat schon entsetzensvoll an sich war, bei manchen mehr als bei anderen. Die Schwellungen, die gewöhnlich am Hals oder an den Lenden auftraten, waren, wenn sie hart wurden und nicht aufgehen wollten, so schmerzhaft, daß es der ausgesuchtesten Marter gleichkam; und manch einer, nicht mehr imstande, die Qual zu ertragen, stürzte sich aus dem Fenster oder erschoß sich oder machte sonstwie seinem Leben ein Ende, und ich erlebte verschiedene scheußliche Szenen dieser Art. Andere, unfähig sich noch zu beherrschen, erleichterten sich von dem Schmerz durch unaufhörliches Brüllen, und wenn wir über die Straße gingen, mußten wir so laute und jammervolle Schreie hören, daß es einem das Herz durchdringen konnte, wenn man nur daran dachte, zumal immer zu erwägen war, daß die gleiche gräßliche Pein jeden Augenblick uns selber ergreifen konnte.

Ich muß eingestehen, daß ich jetzt begann, in meinem Entschluß wankend zu werden; meine Zuversicht hatte mich verlassen, und ich bereute bitter meine Leichtfertigkeit. Wenn ich ausgewesen war und solch schreckliche Dinge erlebt hatte wie die, von denen ich eben sprach, dann, sage ich, bereute ich meine Leichtfertigkeit, so verwegen in der Stadt auszuharren. Ich wünschte oft, ich hätte es nicht auf mich genommen dazubleiben, sondern wäre mit meinem Bruder und seiner Familie fortgegangen.

Vom Entsetzen über diese fürchterlichen Eindrücke getrieben, ging ich dann heim, und es war mehr als einmal, daß ich mich entschloß, nie wieder auszugehen; und diesen Vorsatz pflegte ich auch drei oder vier Tage zu halten, welche Zeit ich in der aufrichtigsten Dankbarkeit für meine Bewahrung und die Bewahrung meines Hausstandes verbrachte und mit dem ständigen Bekenntnis meiner Sünden, indem ich mich jeden Tag Gott anheimgab und mich mit Fasten, Bußübungen und Meditationen Ihm zuwandte. Jede freie Zeit, die ich hatte, benutzte ich, um Bücher zu lesen und mir über alles, was mir jeden Tag auffiel, Notizen zu machen, denen ich später auch den größten Teil dieses Werkes entnommen habe, soweit es meine Beobachtungen außer dem Hause betrifft. Was ich von meinen persönlichen Überlegungen aufschrieb, behalte ich mir für meinen privaten Gebrauch vor, und ich möchte nicht, daß es, zu welchem Behuf auch immer, veröffentlicht werde.

Ich schrieb außerdem auch Betrachtungen über Gegenstände der Religion, so wie sie mir zu der Zeit einkamen und mir selbst Gewinn brachten, ohne in irgendeiner anderen Hinsicht brauchbar zu sein, und deshalb will ich darüber schweigen.

Ich hatte einen sehr guten Freund, einen Arzt, Heath mit Namen, den ich während dieser trübseligen Zeit oft besuchte und dem ich mich sehr verpflichtet fühlte; gab er mir doch gute Ratschläge, welche Mittel ich gebrauchen sollte, um der Ansteckung vorzubeugen, wenn ich ausging – (er wußte, daß ich das häufig tat) – und was ich im Munde halten sollte, solange ich auf der Straße war. Er kam auch oft, mich zu besuchen, und da er ein ebenso guter Christ wie Arzt war, fand ich an seiner angenehmen Unterhaltung einen starken Halt in den schlimmsten Tagen dieser schrecklichen Zeit.

Es war jetzt Anfang August, und die Pest wurde in dem Viertel, wo ich wohnte, immer heftiger und fürchterlicher, und Dr. Heath kam mich wieder einmal besuchen, und da er wußte, daß ich mich so oft auf die Straße hinauswagte, redete er mir ernsthaft zu, mich mit meiner Familie im Hause einzuschließen und keinem von uns mehr zu gestatten, auszugehen; alle Fenster fest verschlossen zu halten, Läden und Vorhänge dicht zu schließen und sie niemals zu öffnen; sondern zuerst in dem Raum, wo ein Fenster oder eine Tür geöffnet werden sollten, einen starken Rauch zu entfachen, mit Harz und Pech, Schwefelstein oder Schießpulver und dergleichen; und das taten wir auch eine Zeitlang; aber da ich für eine solche Zurückgezogenheit keine Vorräte an Lebensmitteln angelegt hatte, war es unmöglich, daß wir uns vollständig innerhalb des Hauses hielten; ich versuchte jedoch, wenngleich es dafür reichlich spät war, dieserhalb etwas nachzuholen; und zuerst, da ich die Möglichkeit zum Backen und Brauen hatte, ging ich und kaufte zwei Säcke Mehl, und mehrere Wochen lang buken wir unser Brot im eigenen Ofen; ebenso kaufte ich Malz und braute soviel Bier, wie all die Fässer, die ich hatte, fassen konnten, und das schien für unseren Gebrauch auf fünf oder sechs Wochen auszureichen; ich legte auch einen Vorrat an Salz, Butter und Cheshire Käse an; aber das Fleisch hatte ich nicht, und die Pest wütete so heftig unter den Metzgern und Schlächtern auf der anderen Seite unserer Straße, wo sie in großer Anzahl ansässig sind, daß es nicht ratsam erschien, auch nur über die Straße zu ihnen zu gehen.

Und hier muß ich wieder bemerken, daß diese Notwendigkeit, außer Haus zu gehen, um einzukaufen, in großem Maße der Ruin der ganzen Stadt war, denn die Leute holten sich bei dieser Gelegenheit die Seuche voneinander, und sogar die Lebensmittel waren oft behaftet; jedenfalls habe ich guten Grund, das zu glauben; und darum kann ich nicht die Überzeugung teilen, die, soviel ich weiß, immer wieder mit großer Bestimmtheit ausgesprochen wird, nämlich daß die Marktfrauen und alle, die Lebensmittel in die Stadt brachten, niemals infiziert worden seien. Ich weiß gewiß, daß die Fleischer von Whitechapel, wo der größte Teil des Schlachtviehs geschlachtet wurde, ganz furchtbar heimgesucht worden sind, und zwar so sehr, daß kaum einer ihrer Läden mehr offen war; und die, welche übrigblieben, schlachteten ihr Fleisch in Mile End oder in jener Gegend und brachten es auf Pferden zum Markt.

Indessen, die Armen konnten keine Vorräte anlegen, und so blieb die Notwendigkeit, daß sie auf den Markt zum Einkaufen gehen mußten; andere mußten ihre Dienstboten oder Kinder schicken; und da dies eine Unumgänglichkeit war, die sich jeden Tag erneuerte, brachte es mehr als genug Leute auf den Markt, die nicht mehr ganz wohl waren, und mancher, der gesund hinging, brachte den Tod mit zurück.

Freilich übten die Leute jede mögliche Vorsicht. Wenn einer ein Stück Fleisch auf dem Markt kaufte, pflegte er es nicht aus der Hand des Fleischers zu nehmen, sondern holte es sich selbst vom Haken. Andererseits pflegte auch der Fleischer kein Geld anzufassen, sondern ließ es in einen Topf mit Essig tun, den er zu dem Zweck bereitstellte. Die Käufer führten immer genügend Scheidemünzen mit sich, um auch jede ungerade Summe recht machen zu können und kein Wechselgeld annehmen zu müssen. Sie trugen Flaschen mit Parfümen und Räucherwerk in der Hand, und jedes Mittel, das man anwenden konnte, wurde auch angewendet; aber die Armen konnten sich auch das nicht leisten, und so waren sie allem preisgegeben.

In dieser Hinsicht gerade konnte man jeden Tag schaurige Geschichten hören. Manchmal fiel ein Mann oder eine Frau mitten auf dem Marktplatz tot um, denn viele Leute hatten die Pest am Leibe und wußten es nicht, bis das innerliche Gangrän ihr Lebenszentrum ergriff, und dann starben sie in wenigen Augenblicken. Daher rührte es, daß viele häufig ganz plötzlich auf diese Art auf der Straße verschieden, ohne daß vorher eine Warnung kam; andere hatten vielleicht noch Zeit, bis zur nächsten Bude oder bis zum nächsten Verschlag zu gehen, oder zu einem Toreingang, und dort niederzusitzen und zu sterben, wie ich vorher sagte.

Dies ereignete sich so häufig auf der Straße, daß wenn die Pest in einem Stadtteil so recht ins Wüten kam, man kaum über die Straße gehen konnte, ohne daß hier und dort mehrere Tote auf dem Boden lagen. Andererseits ließ sich beobachten, daß, während die Leute am Anfang bei einer solchen Gelegenheit noch stehenzubleiben pflegten und ihre Nachbarn herbeizurufen, später gar keine Notiz mehr davon genommen wurde; statt dessen ging man, wann immer man eine Leiche liegen sah, auf die andere Straßenseite, um ihr nicht nahezukommen; oder wenn es in einer engen Gasse war, kehrte man um und suchte sich einen anderen Weg, um das Geschäft, bei dem man gerade war, zuendezuführen; und immer wurde in diesen Fällen der Leichnam liegen gelassen, bis die Beamten benachrichtigt waren und ihn holen kamen, oder bis zur Nacht die Totengräber mit dem Totenkarren kamen, ihn aufluden und wegschafften. Und die unerschrockenen Kerle, die diesen Dienst verrichteten, unterließen nicht, den Toten die Taschen zu untersuchen und ihnen, wenn sie, wie es bisweilen vorkam, gut angezogen waren, die Kleider auszuziehen und mitzunehmen, was sie nur bekommen konnten.

Aber um wieder von den Märkten zu sprechen. Die Fleischer gebrauchten die Vorsicht, immer ein paar Beamte zur Hand zu haben, die, wenn einer auf dem Markt starb, den Toten auf einen Handkarren hoben und ihn zum nächsten Friedhof brachten; und das kam so häufig vor, daß solche auf dem wöchentlichen Sterberegister nicht unter »Auf der Straße oder im Freien tot aufgefunden« eingetragen wurden, wie es heute geschieht, sondern unter der allgemeinen Rubrik der großen Seuche mitgezählt wurden.

Aber dann steigerte sich das Wüten der Pest so sehr, daß auch die Märkte, verglichen mit früheren Zeiten, nur noch sehr spärlich mit Nahrungsmitteln beliefert oder von Käufern aufgesucht wurden; und der Lordbürgermeister veranlaßte, daß die Landleute, die Lebensmittel in die Stadt brachten, an den Einfahrtstraßen angehalten wurden und dort ihre Waren feilboten; da verkauften sie an Ort und Stelle, was sie gebracht hatten, und kehrten sofort wieder zurück; und die Leute vom Land waren dessen nur froh, denn sie konnten ihre Sachen gleich am Eingang der Stadt verkaufen oder sogar auf offenen Feld, wie besonders auf den Feldern hinter Whitechapel, auf den Spitalfields*; ebenso auf den St. Georgs Feldern in Southwark, auf den Bunhill Feldern und auf einem großen Feld, das Wood’s Close heißt, in der Nähe von Islington. Dorthin schickten der Lordbürgermeister, die Stadträte und hohen Magistratsbeamten ihre Unterstellten und Dienstboten, für ihre Familien einzukaufen, während sie selbst sich soweit wie möglich innerhalb ihrer Häuser hielten, und ähnlich taten es viele andere; und seit man diese Methode befolgte, kamen die Leute vom Land mit der freudigsten Bereitwilligkeit und brachten Lebensmittel aller Art herbei, und äußerst selten stieß einem von ihnen etwas zu, was, wie ich glaube, zu dem Gerücht beitrug, sie seien auf wunderbare Art verschont worden.

Was meinen kleinen Hausstand angeht, so hatte ich, wie gesagt, einen Vorrat an Brot, Butter, Käse und Bier angelegt und nahm den Rat meines Freundes und Arztes an und schloß mich mit meinen Hausgenossen ein und nahm mir vor, lieber für ein paar Monate die Entbehrung einer fleischlosen Kost zu ertragen, als Fleisch unter Gefahr für unser Leben zu kaufen.

Aber obwohl ich meine Hausgenossen festsetzte, konnte ich meiner nimmersatten Neugier doch nicht soweit gebieten, daß ich selbst stets im Hause blieb; zwar kam ich gewöhnlich von Furcht und Entsetzen gepackt zurück, aber es litt mich dennoch nicht lange daheim; nur daß ich nicht so häufig mehr ausging wie vordem.

In der Tat oblagen mir einige kleinere Pflichten, wie zum Haus meines Bruders zu gehen, das in der Pfarre Coleman Straße lag und das er meiner Sorge anvertraut hatte, und dort ging ich hin, zuerst jeden Tag, aber später nur ein- oder zweimal in der Woche.

* Die Straße, die jetzt Spitalfields heißt, war damals tatsächlich noch offenes Feld. (Anmerkung aus der Edition von 1754.)

Bei diesen Gängen stieß ich auf viele gräßliche Szenen, so zum Beispiel, daß Menschen auf der Straße tot hinfielen, und auf Frauen, die schreckliche Schreie ausstießen und laut kreischten; in ihrer Todesangst stießen sie die Fenster ihrer Schlafkammern auf und schrien auf das gräßlichste und bestürzendste hinaus. Es ist unmöglich zu beschreiben, auf wie verschiedene Art in Haltung und Gebärde die armen Menschen ihre Leiden ausdrückten.

Als ich einmal durch den Tokenhouse Yard in Lothbury ging, öffnete sich plötzlich just über meinem Kopf mit Heftigkeit ein Fenster, und eine Frau schrie dreimal fürchterlich auf und rief dann: »Oh, Tod, Tod, Tod!« in einem Ton, den man nicht nachahmen kann und der mir mit einem Frösteln tief ins Mark drang. Es war auf der ganzen Straße niemand zu sehen, auch keines der anderen Fenster öffnete sich, denn die Leute waren jetzt niemals mehr neugierig, und es konnte ja auch keiner dem andern helfen, und so ging ich weiter in die Glocken-Gasse hinein.

Eben war ich in der Glocken-Gasse, auf der rechten Gehseite, als ein noch schrecklicherer Schrei ertönte, obgleich er nicht aus einem offenen Fenster kam; aber das ganze Haus mußte in einem Aufruhr des Schreckens sein, und ich konnte Frauen und Kinder schreiend und wie von Sinnen durch die Zimmer rennen hören, dann öffnete sich ein Dachkammerfenster, und aus einem der Fenster auf der anderen Seite der Gasse rief jemand und fragte: »Was gibt es?« worauf aus dem ersten Fenster die Antwort kam: »O Gott, der alte Herr hat sich aufgehängt!« Der andere fragte wiederum: »Ist er schon tot?« und der erste antwortete: »Ja, ja, ganz tot; ganz tot und kalt!« Dieser Mensch war ein Kaufmann und stellvertretender Stadtrat und sehr reich.

Ich möchte seinen Namen nicht erwähnen, obwohl er mir bekannt ist, aber das wäre für die Familie peinlich, die jetzt wieder sehr erfolgreich ist.

Aber dies war nur einer; es ist kaum glaublich, was für grausige Fälle sich jeden Tag in einzelnen Familien ereigneten. Menschen, die in der Hitze des Fiebers oder in der Pein ihrer Geschwülste, die in der Tat unerträglich war, außer sich gerieten, rasend und wahnsinnig wurden und oft gewaltsam Hand an sich legten, sich zum Fenster hinausstürzten, sich erschossen etc.; Mütter, die im Irrsinn ihre eigenen Kinder mordeten; manche, die vom reinen Kummer überwältigt wurden, manche, die ohne jede Ansteckung, nur aus Schreck und Bestürzung starben; andere, die das Entsetzen in den Schwachsinn oder zu albernen Verrücktheiten trieb oder in Verzweiflung und Wahn oder wieder andere in melancholische Schwermut.

Der Schmerz der Geschwülste im besonderen war äußerst heftig und für manche unerträglich; und man kann sagen, daß die Ärzte manch ein armes Geschöpf gar zu Tode gemartert haben. Wenn bei manchen die Geschwülste hart wurden, legten sie Ziehpflaster oder Breiumschläge auf, um sie zum Aufbrechen zu bringen, und wenn das nicht half, schnitten sie die Geschwüre und stachen sie auf, was fürchterlich war. Bisweilen wurde die Härte nur zu einem Teil durch die Gewalt der Krankheit, zum andern aber dadurch hervorgerufen, daß zu gewaltsam an ihnen herumkuriert wurde, und sie wurden so hart, daß sie sich mit keinem Instrument schneiden ließen, und dann brannte man sie mit Ätzmitteln, so daß viele, rasend vor Schmerzen, dabei starben, und manche mitten in der Operation.

In dieser äußersten Not legten manche Hand an sich, wie oben, und es gab ja auch zu wenig Hilfskräfte, um sie im Bett festzuhalten oder sie zu beaufsichtigen. Manche brachen auf die Straße aus, nackt vielleicht, und liefen dann geradewegs zum Fluß hinunter, und wenn sie nicht durch Wachmänner oder Polizisten aufgehalten wurden, stürzten sie sich ins Wasser, sobald sie es erreichten.

Es schnitt mir oft die Seele entzwei, das Stöhnen und Schreien zu hören, wenn sie so gequält wurden, aber wenn die Krankheit so ausschlug, galt es noch als die hoffnungsvollste ihrer Erscheinungsformen; denn sobald diese Geschwülste zum Aufbrechen und Auslaufen oder, wie die Wundärzte sagen, zur Ausscheidung gebracht werden konnten, wurde der Patient gewöhnlich wieder gesund; wohingegen diejenigen, die sogleich vom Tod getroffen wurden und die Anzeichen der Pest erst hinterher offenbarten, oft bis kurz vor dem Tod, ohne eine Veränderung zu spüren, umhergingen, manche bis zu dem Augenblick, wo sie umfielen, so wie es bei Schlaganfällen oder bei Epileptikern oft geschieht. Solche fühlten sich dann plötzlich sehr krank und konnten nur noch zu einer Bank oder einem Mauervorsprung oder sonst einem bequemeren Ort, der sich gerade bot, hinlaufen, oder wenn möglich noch bis in ihr eigenes Haus, wie ich es vorher erwähnte, und dort niedersitzen, schwach werden und sterben. Diese Art des Sterbens war ziemlich die gleiche wie bei denen, die an dem gewöhnlichen kalten Brand sterben; man stirbt wie in einer Ohnmacht und geht sozusagen im Traum dahin. Die, die so starben, hatten wenig davon gemerkt, daß sie überhaupt angesteckt waren, bevor der Brand sich durch den ganzen Körper gefressen hatte; nicht einmal die Ärzte konnten mit Sicherheit wissen, wie es mit ihnen stand, bis sie ihnen die Brust oder andere Körperteile öffneten und dann die Zeichen sahen.