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VICTORIAS BERLINER REISE
August 1928
»Ich behalte immer den Hut auf in der Bahn«, sagte Victoria, als der Schnellzug Frankfurt–Berlin nach einer Fahrt durch einen ungewöhnlich langen Tunnel wieder in die grelle Sommersonne zurückkehrte, die die Hügel der Rhön vergoldete. Das Wort »immer« war eine der Vokabeln, auf die Victoria selten länger als zehn Minuten zu verzichten pflegte, denn Verallgemeinerungen hielt sie für einen Beweis von Erfahrung. Ihre Mutter warf ihr das besonders bei Diskussionen vor, in denen es um ihre Lebensplanung ging. Bruder Erwin hatte allerdings als Zeuge bei einer solchen Auseinandersetzung zu Protokoll gegeben, gerade die Verallgemeinerungen wären die Würze von »Vickys wundersamen Geschichten«. Was den Hut in der Bahn betraf: Victoria hatte seit dem 29. Juni 1914 in keinem Eisenbahncoupé gesessen. Damals war sie fast sechs Jahre alt gewesen, trug Schürzen über dem Kleid und Schleifen im Haar und war mit der Welt zerfallen – wegen des drohenden Kriegs, der im Rückblick der Große genannt wurde, war die Familie Sternberg überstürzt aus dem sonnigen Baden-Baden abgereist, Victoria auf Tante Jettchens Schoß in Tränen aufgelöst, weil der Mord in Sarajevo den Kauf der ihr versprochenen Schokoladenpflaumen in Goldpapier vereitelt hatte. Vierzehn Jahre und zwei Monate danach glühte ihre Haut nicht weniger als bei ihrer ersten Reise. Allerdings waren Pflaumen in Goldpapier nicht mehr der Anlass der Erregung.
Victoria verachtete Frauen als infantil und spießig, die wie junge Mädchen kicherten und erröteten, sobald sie mit einem Kompliment oder gar mit einer Zärtlichkeit bedacht wurden. Als ihr jedoch bewusst wurde, dass ihre Wangen brannten und dass die Stirn bestimmt auch feuerrot war, lächelte sie verzückt. Die angehende Theaterdiva hatte gerade eine Premiere erlebt. Sie war zum ersten Mal in ihrem zwanzigjährigen Leben in einem Tunnel geküsst worden. Sie stand auf, um in den braun gefleckten Spiegel zu schauen, der über dem gegenüberliegenden Sitz angebracht war, wobei sie eine kleine Bewegung machte, von der sie selbst nicht hätte sagen können, ob sie beabsichtigt war. Mit geschicktem Griff zog sie den Rock nach unten und prüfte die Strumpfnähte.
»Bravo!«, rief der Küssende aus dem Tunnel. Seine Stimme war kräftig, der bewundernde Pfiff männlich. Das schrille Pfeifen der Lokomotive verschreckte die Spatzen auf den Telegrafenstangen. Sie flogen zu den Wolken, doch kehrten sie umgehend zur Erde zurück. Mademoiselle Sternberg dachte an den Wellensittich ihrer Kindertage, von dem sie geglaubt hatte, er wäre der einzige Lebensbegleiter, den sie je brauchen würde. Sie streichelte zärtlich ihre Hutkrempe und leckte ihre Lippen feucht.
»Mein Hut, der hat drei Ecken«, stimmte Don Juan aus dem Tunnel an.
»Ich glaub’, das verwechselt der Herr mit Napoleon.«
»Napoleon«, erinnerte sich der Herr der Küsse, »hieß der Hund von meinem ersten Lehrer. Er trug keine Hüte. Dafür stank er aus dem Maul. Von hinten auch.«
Victorias neuer Hut aus feinstem englischem Filz, leuchtend rot und zu ihrem neuen Lippenstift aus Paris und den Lackschuhen mit den schmalen goldenen Spangen passend, hatte einen breiten Streifen aus schwarzem Kalbsleder unmittelbar über der kleinen kecken Krempe; auch die eng anliegende Hutglocke war mit Leder verziert. Die flotte Kopfbedeckung hatte am Frankfurter Hauptbahnhof die neidvollen Blicke von mehreren barhäuptig reisenden Frauen erregt und war trotz des Umstands, dass die Behütete in imponierender männlicher Begleitung reiste, von einem Gleisbauarbeiter mit einem äußerst frivolen Laut der Zustimmung bedacht worden.
Das modische Hutgebilde entsprach exakt dem Titelbild der viel gelesenen und stilbildenden Zeitschrift »Jugend«. Victoria, die sich für Kunst nur insoweit interessierte, wie sie das Theater betraf, las das angesehene Magazin ausschließlich wegen seiner modischen Anregungen für die Damen der feinen Gesellschaft. Kaum war die Frühjahrsausgabe mit dem gezeichneten Porträt einer strahlenden jungen Frau erschienen, die cognacfarbene Lederhandschuhe trug und einen Golfschläger schwenkte, hatte Victoria in sämtlichen Hutsalons der Stadt nach einem entsprechend schicken Kopfschmuck gefahndet. Aber, wie sie sich nach einer zwei Tage währenden und vergeblichen Suche bei Clara beklagte, hatte sie »wieder einmal festgestellt, dass Frankfurt eine Provinz ist, die meilenweit hinter Berlin und München herhinkt«.
Obwohl die Berger Straße in Frankfurt weder bei den einheimischen Bornheimern noch bei den übrigen Bewohnern der Stadt als eine Stätte galt, die zu modischen Capricen verleitete, war Victorias Hartnäckigkeit ausgerechnet dort belohnt worden. Eine ältliche Putzmacherin am Merianplatz, die ihr graues Haar zu einem bäuerlichen Nackenknoten flocht und die so aussah, als wüsste sie nicht, weshalb Frauen überhaupt Hüte trügen, es sei denn, um sich vor Herbstwinden und Mittelohrentzündung zu schützen, hatte sich von ihrer schönen Kundin überreden lassen, die Kreation aus der »Jugend« nachzuarbeiten. Frau Brombach tat dies hauptsächlich deswegen, weil ihre Tochter Gretel und »die entzückende kleine Sternberg« ihre ersten vier Schuljahre in derselben Klasse an der Merianschule verbracht hatten. Allerdings erfuhr Mutter Brombach nie, dass Victoria mit dem Engelsblick mehr als einmal die blonden Zöpfe ihres duldsamen Gretelchens, die unmittelbar vor ihr saß, ins Tintenfass getunkt hatte.
Von dem Hut, den sie schon acht Tage nach der Bestellung abholen konnte, war Victoria begeistert. Sie verzichtete auf ihre übliche lässige Attitüde beim Einkaufen, mit der sie zu verstehen gab, dass sie Besseres gewohnt wäre, und ließ Gretchen, die gerade ihr zweites Kind erwartete und »es in den Beinen hatte«, von »ganzem Herzen« grüßen. Danach bestellte die glückliche Kundin noch einen marineblauen Seidenhut – gesteppt und mit passendem Halstuch. Den hatte sie in der gleichen Ausgabe der »Jugend« gesehen wie den roten. Das Halstuch war eine Eingebung des Moments, die sie selbst verblüffte.
»Für die Gelegenheiten, bei denen ich repräsentieren muss«, erklärte sie zu Hause, »schließlich mag man ja nicht immer großen Schmuck tragen.«
»Bei welcher Gelegenheit muss ein Mädchen repräsentieren, das kein Mensch kennt?«, hatte ihre Mutter gefragt und so wieder einmal Victorias Mutmaßung bestätigt, dass die Mütter aus dem bürgerlichen Milieu ab einem bestimmten Alter unleidlich wurden und eine sadistische Freude hatten, ihre Töchter an den Umstand zu erinnern, dass die ihre Füße noch unter den elterlichen Tisch stellten und sich demnach nicht den Luxus einer eigenen Meinung gestatten durften. Betsy hätte ein solches Verhalten nie zugegeben, doch selbst ihr Mann, der nur in Ausnahmefällen für seine Kinder Partei ergriff, warf ihr zuweilen vor, dass sie überkritisch und im Umgang mit der Jugend nicht tolerant genug war.
Der Kavalier an Victorias Seite hieß Wilhelm Ernst Hofmann. Weil er sämtliche drei Namen als zu gewöhnlich für einen Mann hielt, in dessen Zukunft er noch mehr Phantasie als Hoffnung investierte, nannte er sich Wladimir – bei Bekannten und Freunden Wladi. Wenn er es nicht mit Ämtern zu tun hatte, die ja ein solches Retuschieren der Wirklichkeit als Urkundenfälschung ausgelegt hätten, gab Wladimir seinen Familiennamen als Bellini an. Die befremdende Kombination pflegte er mit einer slawischen Mutter und einem Vater aus Pisa zu begründen – das Slawische sorgte in Künstlerkreisen für Aufmerksamkeit, für Pisa hatte er sich des Schiefen Turms wegen schon als Junge interessiert. Den Vater in Pisa hatte er mit einem hundertjährigen Olivenbaum, einer alten Wassermühle und einer Apotheke ausgestattet, in der Heilmittel und Salben nach altrömischem Rezepten gemischt wurden, die Papa Bellini in einem stillgelegten Brunnen gefunden hatte.
Victorias Eltern hätten die Vergangenheitskorrektur und die eigenmächtige Namensänderung über alle Maßen schockiert, doch sie ahnten nichts von der Existenz des Wladimir Bellini; es sah auch nicht danach aus, als würden sie ihn bald kennenlernen. Nach den Maßstäben des begüterten, klassenbewussten jüdischen Kaufmanns Johann Isidor Sternberg war der strahlende Recke, der seiner wohlbehüteten Tochter den Kopf verdreht hatte, ein Fehlgriff ersten Ranges. Er war genau der Mann, den ein verantwortungsvoller Vater nicht zum Schwiegersohn haben wollte. Er hatte die falsche Konfession, die falschen Eltern, keine Manieren und keine Hemmungen, er hatte weder Bildung noch Beruf. Der Zufall bestimmte die Höhe seines Einkommens.
Über jeden Verdacht erhaben war allein seine tadellose Garderobe. Die kam aus den Beständen eines der renommiertesten Frankfurter Herrenschneider, der seinerseits mit dem schönen Herrn Bellini eine äußerst ungewöhnliche Geschäftsbeziehung unterhielt. Schneidermeister Schafgut aus der Töngesgasse fiel es schwer, seine karge Freizeit mit seiner lebenshungrigen Frau zu teilen. Lieber baute er berühmte Gebäude aus Streichhölzern nach, doch sorgte er rührend dafür, dass sein dralles Trudchen gut unterhalten wurde und bei Laune blieb. Auf Geheiß ihres bastelnden Gatten hatte sie Herr Bellini zu Tanzveranstaltungen, in Cafés und Kinos und zu Faschingsbällen zu führen. Der fesche junge Mann lustwandelte mit ihr am Main und im Stadtwald, begleitete sie zur Bornheimer Kerb und in den Palmengarten und manchmal auch zur Kirche. Er erregte allerorten Aufsehen, denn er war nicht nur schön, er war zum Gigolo geschaffen. Das Verhältnis blieb eins in Ehren. Er und Trudchen hatten sich in Gegenwart des Ehemanns und bei einem Glas Arrak verpflichtet, es platonisch und frei von Nachbarhäme zu halten.
Alle drei waren zufrieden. In einem halben Jahr erbaute Schneidermeister Schafgut aus Zündhölzern der Marke Extraklasse sowohl den Frankfurter und den Kölner Dom als auch die Kirche von Notre Dame in Paris und Schloss Schönbrunn in Wien. Trudchen mit den flammend roten Haaren und den auffallenden Roben wurde von ihren Freundinnen und selbst von ihrer reichen Base Annegret, die einen Adeligen geheiratet und ein eigenes Ankleidezimmer hatte, um einen Begleiter beneidet, der nie mürrisch war, das Temperament eines jungen Hengstes hatte und gegen den der eigene Ehemann so langweilig war wie der Sonntagsbesuch bei einem schwerhörigen Erbonkel. Für seine Kavalierdienste wurde Wladi durch die bei seinem Auftraggeber bestellte und nicht abgeholte Garderobe entlohnt. Die Qualität der Anzüge, Sportjacken und Mäntel war superb – alle nötigen Änderungen waren kostenlos und wurden der Berufsehre wegen so sorgsam ausgeführt wie die der zahlenden Kunden.
Dass in der Familie Sternberg völlig andere Vorstellungen von Anstand, Moral und Tradition existierten, dämmerte Wladi dem Ahnungslosen nur schrittweise. Zunächst hielt er es für einen kapitalen Witz, danach für ein Relikt aus dem Mittelalter, dass Victorias Eltern ihrer zwanzigjährigen Tochter eine Reise nur deshalb verbieten würden, weil sie mit ihrem Reisegenossen nicht verheiratet war. »Werden denn bei euch die Frauen weggesperrt, bis sie einen Ehemann finden, der sie erlöst?«, wollte er wissen.
»So ähnlich«, sagte Victoria und zwinkerte keck mit dem rechten Auge. »Seit wann ist Heiraten eine Erlösung?«, fragte sie zurück.
Allein um das Reiseziel waren zwischen Eltern und Tochter Diskussionen entbrannt, die beide Parteien über die Maßen erschöpften. Weil Johann Isidor und Frau Betsy jedoch nicht mehr so ausdauernd im Kampf waren wie in ihren jungen Jahren, gaben sie nach, obwohl ihr Gewissen Alarm schlug. Zwar ahnten sie nicht, dass es eine Begleitperson geben würde, und doch formulierten sie ihre Verbote im drohenden Unterton und wiesen ihre minderjährige Tochter strengstens darauf hin, dass es die Eltern waren, die per Gesetz für sie die Verantwortung trugen. »Noch ein Jahr«, klagte der Vater.
»Die Vögel stößt man einfach aus dem Nest«, sagte Frau Betsy.
»Ich schreibe mindestens einmal die Woche«, versprach die überglückliche Tochter. Sie sah aus wie ein kleines Mädchen und setzte an, was sie selten tat, ihre Mutter zu umarmen.
»Papier ist geduldig«, wehrte Betsy ab. Sie dachte an Erwins Briefe aus Berlin und Claras bewegende Kinderaufsätze in der Quinta.
Ihr Mann wurde deutlicher. Er sagte so laut, dass Josepha es in der Küche hörte und mit Grimm auf die Hollandaise einschlug: »Ein uneheliches Kind in der Familie reicht für ein ganzes Leben. Jedenfalls deinem Vater.«
Die offizielle Version, um die Reise zu begründen, war zwar kurios, erschien Johann Isidor und Betsy aber logisch. Obgleich sie so hellhörig wie ihre Kinder phantasiebegabt waren, kamen sie überhaupt nicht auf den Gedanken, ihre Tochter hätte den Reisegrund komplett erfunden. Victoria wollte, so erzählte sie, auf Empfehlung ihres Schauspiellehrers an einem Kurs über die deutsche Theateravantgarde teilnehmen. Der kluge, weitsichtige Mentor, von dessen Existenz bis dahin keiner in der Familie erfahren hatte, hätte gesagt, die Gelegenheit sei einmalig und für das Fortkommen seiner begabten Schülerin absolut erforderlich. Einen solchen Höhepunkt hätte ausschließlich die Reichshauptstadt zu bieten, und dies nur jedes zweite Jahr. »Und außerdem«, schloss die talentierte Schwindlerin, »will ich endlich Erwin besuchen. Dem habe ich das ganz fest versprochen. Schon seit Jahren.«
»Ich erinnere mich genau«, sagte ihr Vater, »es war an deinem sechsten Geburtstag.«
Bei der Tochter zeigte sich keine Spur von Verlegenheit. Die Ironie ihres Vaters war ihr so vertraut wie das eigene Gesicht. Schon gar nicht verfing sie sich in ihrem eigenen Lügennetz. Sie hätte vor, berichtete sie, wegen der beengten Wohnverhältnisse, in denen ihr Bruder lebte, bei ihrer alten Freundin Armgard von Edelhagen zu wohnen. Vater und Mutter wurden starr und stumm. Sie mochten nicht eingestehen, dass ihnen die Wiederaufnahme der Beziehungen zwischen ihrer Tochter und dem Adelsfräulein entgangen war.
Tatsächlich hatte Victoria nichts mehr von Armgard gehört, seitdem die in der Untersekunda von der Merianschule abgegangen und mit ihren Eltern nach Berlin gezogen war. Befreundet waren die beiden Mädchen zu keinem Zeitpunkt ihres kurzen gemeinsamen Weges gewesen. Bei der Familie von Edelhagen hatte der Antisemitismus eine lange Tradition. Baron von Edelhagen konnte sich immer noch erregen, dass Bismarck den jüdischen Bankier Bleichröder mit der Wahrnehmung seiner Finanzgeschäfte betraut hatte. Seine liebreizende Tochter war von gleicher Sinnesart. Sie hatte schon als Zwölfjährige ihre jüdische Klassenkameradin gefragt, wie viel Christenblut in einem Stück Matze wäre.
Die Erinnerung an die Szene in der großen Pause und wie sie sich beschämt auf der Schultoilette verkrochen hatte, machte Victoria das Taktieren leicht. Sie konnte sicher sein, dass Fräulein von Edelhagen nicht ausgerechnet dann einen Grund fand, um mit ihr Kontakt aufzunehmen, wenn sie selbst in Berlin war. Trotzdem machte sich Victoria die Mühe, von einer ehemaligen Mitschülerin die Adresse derer von Edelhagen zu beschaffen. Die verwies auf eine der besten Wohngegenden Berlins. In der Rothschildallee zeigte man sich beeindruckt.
»Das kostet mich alles nur Geld«, bilanzierte Johann Isidor. »Wer mit den großen Hunden heulen will, darf nicht als kleiner Pinscher hinterherlaufen. Du musst dich auch mal revanchieren können.«
»Bei Freunden kommt es doch nicht aufs Geld an«, erklärte die weise Tochter. Noch war sie keine Schauspielerin, aber glaubhaft schauspielern konnte sie bereits.
Genau wie Victoria Sternberg, die sich in dem kühnsten ihrer Tagträume vorzustellen beliebte, der große Max Reinhardt würde sie nach Berlin holen und sie im Verlauf einer einzigen Saison Goethes Gretchen, Gerhart Hauptmanns Hannele und Schillers Jungfrau spielen lassen, träumte auch Wladimir Bellini von deutschen Theaterbrettern. Er war Victoria allerdings um ein beneidenswertes Stück praktischer Erfahrung voraus. Dank Frau Trudchens großem Bekanntenkreis hatte Wladi Beziehungen zu den Leitern der Statisterie an mehreren Frankfurter Theatern knüpfen können. Die Kontakte brachten beiden Seiten Gewinn. Wladi öffnete den Theaterleuten eine billige Bezugsquelle für Obst und Gemüse, sie dankten ihm mit einem winzigen Stück vom Zauberreich der Muse Thalia.
»Ich spiele gerade eine tragende Rolle«, erzählte er Victoria, als die Lindenbäume blühten und die Dahlien schwere Köpfe trugen; den alten Theaterwitz hatte er am Vortag zum ersten Mal gehört. Victoria kannte ihn nicht. Den, der das hübsche Wortspiel so flott vortrug, als hätte es ihm niemand erklären müssen, schaute sie bewundernd an. Sie merkte nicht, dass ihr Herz so schnell schmolz wie das Vanilleeis vor ihr und dass ihre Augen groß wie Unterteller und leuchtend wie der Abendstern waren. Wladi schenkte ihr eine Kastanie vom Vorjahr und sagte, Kastanien in der Tasche brächten Glück und schützten vor Rheuma. Er vergaß, was er im Allgemeinen von höheren Töchtern hielt, und verliebte sich spontan in das elegante junge Fräulein, das soeben für seine Nichte einen dümmlich blickenden Stoffhund mit langen schwarzen Ohren zu einem Preis gekauft hatte, den Wladi für Sünde hielt. Die Plüschsünde mit roter Zunge saß mit am Cafétisch, die Glückskastanie unter der dicken Pfote.
»Eine tragende Rolle?«, fragte Victoria. Sie runzelte die Stirn, als würde sie denken.
»Ja«, bestätigte Wladi und streichelte die zarte Haut über den Sternenaugen glatt.
Er hatte gerade in Schillers »Kabale und Liebe« ein silbernes Tablett mit einer Kristallkaraffe in den Salon des Präsidenten von Walter getragen – wenn sich Witz mit Spott vermählte, nannten Schauspieler das eine tragende Rolle. Zuvor hatte Wladi in einem modernen Stück, das es zu seinem Kummer nur auf fünf Aufführungen gebracht hatte, einen Sack Kohle von der rechten Bühnenseite zur linken geschleppt.
Tragende Rollen fand Wladi auch bei Tag. Damit bedacht wurde er in der Frankfurter Großmarkthalle. Dort schleppte er zweimal wöchentlich für einen Obsthändler, der sowohl Wladis Muskeln als auch seinen Humor schätzte, schwere Kisten mit den Früchten der Saison. Im Mai durfte er den Bruchspargel behalten, der noch nicht einmal gut genug für Suppen war, im September die Zwetschen, an denen die Maden noch in der Küche sparsamer Hausfrauen nagten. Beides verkaufte Wladi, obwohl ihm der Gewerbeschein fehlte und er dies nicht durfte, hinter der Mauer des alten Petersfriedhofs. Seine Kundinnen schwärmten für seine Preise und noch mehr für seine Komplimente.
Dass Wladi auch kleine Erfolge bejubelte, als hätte er zu gleicher Zeit das Rad entdeckt und das Ei des Kolumbus gefunden, imponierte Victoria. Sein Optimismus und ein Mutterwitz, der ihr umso mehr gefiel, weil sie ihm zum ersten Mal begegnete, ließen sie leichten Sinnes über den Graben springen, der ihre Welt von der seinen trennte. Sie begann, sich Gedanken über Menschen zu machen, die nicht auf der Sonnenseite des Lebens geboren waren. Kurz vor Kassel fragte sie ihn, ob sie nicht auch mal versuchen sollte, sich in der Welt der Arbeit zu bewähren. Wladi, der ein Menschenkenner war, obwohl er das noch nicht wusste, riet ihr ab. »So tief ist Deutschland noch nicht gesunken, als dass Frauen wie du ihren Buckel krumm machen müssen. Bleib du nur bei deinem Leisten, setz dich den richtigen Leuten auf den Schoß und fang bei mir an.«
»Soll das ein Kompliment sein?«, fragte Victoria.
»Was sonst?«
Sie hielt den Kopf ein wenig schief und erzählte ihm von ihren vergeblichen Bemühungen, Schauspielerin zu werden. »Noch nicht einmal die kleinste Statistenrolle«, bekannte sie.
Sie hatte sich für die Rolle einer Elfe in Oberons Gefolge in der Darmstädter Aufführung vom »Sommernachtstraum« beworben. Dort hatte sie von einem stark verschnupften Mann unbestimmbaren Alters und bestimmbaren Körpergeruchs, der sie noch nicht einmal nach ihrem Namen gefragt und ihren Beinen in schwarzen Seidenstrümpfen keinen Blick gegönnt hatte, zu hören bekommen, eine Elfe im »Sommernachtstraum« wäre »weiß Gott keine Rolle für ein Mädchen, das das Theater mit einem Spielplatz für Backfische verwechselt«.
Das Fahrgeld nach Darmstadt und zurück hatte sich der vom deutschen Theaterhimmel rüde abgewiesene Stern von seiner Schwester Clara leihen und auch noch den misstrauischen Eltern ihre ganztägige Abwesenheit von zu Hause erklären müssen. Da war sich Victoria in der Tat wie ein Backfisch mit wöchentlich zugeteiltem Taschengeld, Klavierstunden und Aufgabenheft vorgekommen. Seitdem ließ Mademoiselle Sternberg jeden wissen, der bereit war, ihr länger als fünf Minuten zuzuhören, dass sie »Shakespeare doch für reichlich antiquiert und seine sämtlichen Komödien für allzu durchsichtige Kunstgebilde« hielt.
War sie in Stimmung, rezitierte sie ein Gedicht von Kurt Tucholsky, das sie in der »Weltbühne« gefunden und »für alle Fälle« auswendig gelernt hatte. Im Eisenbahncoupé, in dem der geflügelte Liebesgott das große Wort führte, fiel Victoria auf, dass der Rhythmus des Gedichts zu dem des rüttelnden Zugs passte. Erst recht zu dem Vibrieren ihres aufgeregt schlagenden Herzens. Sie lehnte sich zaghaft an die ihr noch fremde Heldenbrust, war einen Moment irritiert, weil ihr der Anfang des Gedichts abhandengekommen war, und begann dann, deutlich artikulierend, mit dem Ende:
»Elfen nebbich schweben –
auf dem Pfad, wo Mondschein geht –
weil das so bei Richard Wagner steht …
Und während Poesie die Luft durchzieht,
singt die kleine Elfe leis ihr Lied.«
Die Vortragende seufzte leise, ehe sie die Augen schloss und die kühle Männerhand an ihre heiße Stirn führte.
»Du bringst ja einen Mann um das bisschen Verstand, das er hat«, beschwerte sich Wladi. Er knabberte zärtlich an dem wertvollen Perlenohrring, der einst Tante Jettchen gehört hatte, und kräftig am schönen Schwanenhals von ihrer Großnichte. Sein Atem war sommerwarm und verlockend.
Ein betäubender Duft von Patschuli entströmte seinem nachtschwarzen Haar. Der schicke rote Hut vom Frankfurter Merianplatz geriet ins Rutschen und landete, weil der Reisegenosse sein Tempo noch vor dem Zug beschleunigte, auf dem Boden. Victoria streckte ihren Arm aus, der beherzte Dompteur griff nach ihrer Hand. »Lass ihn, so ein Hut braucht auch seine Freiheit«, bestimmte er. Sie lächelte und war wieder das niedliche kleine Vickylein, dem Tante Jettchen keine Bitte abschlagen konnte. Ihr Herz trompetete Erregung, der Rock rutschte nach oben, als der Meister der Verführung die Initiative ergriff. Er tippte eine feine Melodie auf das wohlgeformte Knie.
»Ich kann noch mehr«, versprach er.
»Warte«, flüsterte Victoria, »warte noch ein Weilchen.«
»Dann steht die Welt in Veilchen«, summte er. Sie lachten beide, weil sie dachten, sie wären füreinander geschaffen.
Wladimir Bellini, der Eisenbahntunnel und Unschuldsengel gleichermaßen schätzte, war ein Freund der Frauen. Er tat mit Freude, wovon die, die im Schatten standen, noch nicht einmal träumten. Ob er am Sonntagnachmittag für ein Dienstmädchen Gänseblümchen vom Rasen der Besitzenden stibitzte oder einer Herzkönigin mit schwarzer Unterwäsche die Sterne vom Himmel holte, in Wladis Armen erblühte Frauenseligkeit. Wenn er ihnen mit heiserer Stimme Treue schwor, glaubten die jungen Mädchen an Wunder, und sie glaubten auch, dass keine je so geliebt worden war wie sie. Frauen, die der Blick in den Spiegel ängstigte, weil sie nicht vergessen konnten, wie sie in ihrer Jugend ausgesehen hatten, wussten nichts mehr vom Alter, sobald sie den Druck von Wladis Lippen auf den ihren spürten. Alles an diesem forschen Fabulierer, der Liebe für Männerpflicht hielt, schien perfekt. »Selbst sein falsches Getue«, hatte einmal ein Neider befunden.
Es gab deren nur wenige. Wladi war ein besonderer Mann. Er sah so gut aus und war so spontan, frisch, keck und natürlich, dass ihm die Herzen zuflogen. Er war ein Magier, der an grauen Tagen goldene Wolken ins Gemüt zauberte. Die hübschen Frankfurter Theatereleven, die er poussierte, nahmen jede Schmeichelei, die er ihnen ins Ohr flüsterte, für bare Münze. Die Bauersfrauen aus dem Odenwald, die ihr Obst zum Großmarkt brachten, dachten weder an Spargel noch an den jätenden Ehemann zu Hause, wenn er vor ihnen stand. Der Tochter vom Kolonialwarenhändler Schimke, bei der Wladi samstags eine Gewürzgurke aus dem Fass und einen eingelegten Hering holte, stellte er eine Verlobung in Aussicht. Und für Frau Trudchen Schafgut, die Schneidersgattin, war Wladimir Bellini mit der starken Brust und den flotten Tanzbeinen der wunderbarste Mann der Welt.
Wer ihn sah, zweifelte nicht, dass die Götter Großes mit ihm vorhatten und dass Fortuna ihr Glückshorn eigens für ihn gefüllt hielt. Victoria blickte aus einem Eisenbahnfenster in die Zukunft und war keinen Deut überrascht, als sie Fräulein Sternberg und Herrn Bellini das Aufgebot bestellen sah. Nach dem dritten Kuss im Tunnel stellte sie sich vor, in der Rothschildallee 9, im vierten Stock, gegenüber der Wohnung ihrer Schwester Clara, würde die hübsche Zweizimmerwohnung mit dem Ausblick auf die Martin-Luther-Straße frei werden und die würde Vickys gütiger Vati mit seinem herzerwärmenden Verständnis für junge Leute dem glücklichen Hochzeitspaar überlassen.
»Du bist so still«, sagte Wladi. Er nahm den träumenden Kopf in beide Hände. »Woran denkst du?«
»Ach, an nichts«, sagte Victoria. Noch wusste sie nicht, dass diese drei Worte seit Adams Zeiten vom Manne zu sprechen sind.
»Du bist so schön, wenn du an nichts denkst.«
Der Schmeichler, der zeit seines Lebens Übertreibung mit Witz verwechseln sollte, stammte aus Hopfgarten, einem winzigen Dorf in Thüringen. Bis zu seinem vierzehnten Lebensjahr hatte er Erfurt für die bedeutendste Stadt der Welt gehalten. Seine Mutter hatte er als eine Walküre mit Haar, schwarz wie das von Schneewittchen, in Erinnerung, den Vater als einen weißblonden Hünen mit Händen, groß wie Schaufeln. Die Haarfarbe und die Figur der fruchtbaren Mutter, die sechs Kinder geboren hatte, entsprachen der Wirklichkeit. Beim Vater handelte es sich um eine – verständliche – Verwechslung. Als Wladis Erzeuger kamen nämlich drei stramme Burschen infrage; bei seiner Geburt hatten alle drei vor dem Amtsmann glaubhaft geschworen, sie hätten mit der »Kindesmutter regelmäßig Verkehr« gehabt. Weißblond war der Scherenschleifer gewesen, der jedes halbe Jahr nach Hopfgarten kam. Wahrscheinlich war er der Vater von Wladis Schwester Erika. Ihre heranwachsenden Brüder jedenfalls versorgte er mit scharfen Messern, die der Neid der Dorfjugend waren.
Wladi hatte hochstehende Wangenknochen und tief liegende Augen, aus denen er als kleiner Junge so melancholisch geblickt hatte, als würde ihm die Welt noch keinen Teller warme Grütze gönnen. Später erwiesen sich die Augen und die markanten Wangenknochen als Volltreffer, um die Mär von den wilden slawischen Vorfahren zu erhärten. Sobald dem jungen Mann bewusst wurde, dass die Erschaffung des Weibes einer von Gottes reizvollsten Einfällen gewesen war, zeigte er lieber beim Lachen seine gesunden Zähne, als dass er in die Traurigkeit versank, die ungewollte Kinder ein Leben lang begleitet.
Sein Haar war ungewöhnlich dicht; es glänzte auch ohne Pomade und kringelte sich nach dem Waschen zu Locken. Wladi schrieb die schwarze Lockenpracht dem erfundenen Großvater aus Pisa zu. Sein Lächeln bezauberte selbst alte Männer, die mit ihrem Krückstock Jagd auf streunende Katzen und lebensfrohe Buben machten, ebenso junge Arbeitslose und die müden Kriegsversehrten auf den Parkbänken. Kinder liebten Wladi; wenn er mit ihnen spielte, war er ein gutmütig brummender Bär, der die Riesen, die Kinder ängstigten, das Fürchten lehrte. Hausfrauen, die ihm nachschauten, wenn sie die Betten zum Lüften in die offenen Fenster legten, tänzelten in ihren Filzschlappen und streichelten versonnen ihre Federkissen. Der Lebenskünstler wusste um seine Wirkung auf Menschen. Er flanierte in den gut sitzenden Anzügen vom Schneidermeister Schafgut an den Geschäften auf der Kaiserstraße vorbei und begrüßte in jeder Schaufensterscheibe sein Spiegelbild mit einem Lächeln. Sobald er sich sah, hatte er das Bedürfnis, sich selbst auf die Schulter zu klopfen, doch zuweilen dankte er auch seinem Schöpfer, dass der ein so wunderbares Mannsbild geschaffen hatte. Nachts in seiner Schlafkammer verwöhnten ihn die wunderbarsten Zukunftsträume. Wladi sah sein Bild von den Mauern der Kinopaläste strahlen, zu seiner Linken die reizvoll spröde Brigitte Helm, zur Rechten die rassige Lil Dagover, die ihm nach dem Film »Der müde Tod« nächtelang den Schlaf geraubt hatte.
Die Frau, deren zierliche Füße gerade auf Wladis Schoß gekost wurden, hatte mehr Schwierigkeiten, sich ihre Zukunft vorzustellen. Victoria erlebte seit einiger Zeit, dass ihre Schulfreundinnen genau wussten, was sie wollten, und dass sie auch taten, was sie sich vornahmen. Sie aber, die früher als alle gewusst hatte, wohin es sie zog, sah seit dem Darmstädter Erlebnis die Fackeln ihres Ruhmes nicht mehr hell genug leuchten. Sonnenklar war ihr hingegen, dass ihre Eltern Nacht für Nacht beteten, die schönste ihrer Töchter möge ihnen einen vermögenden, in die Familie passenden Schwiegersohn aus gutem jüdischem Haus und von guter Gesundheit präsentieren – möglichst mit Doktortitel, ersatzweise mit Immobilienbesitz und zumindest von durchschnittlich gutem Aussehen. Als jedoch diese »blendende Partie«, die einem solchen Gatten zugedacht war, Wladimir Bellini kennenlernte, der weder eine standesgemäße Familie noch ein regelmäßiges Einkommen, keinen Schulabschluss und schon gar nicht die Manieren hatte, die in Bürgerhäusern als selbstverständlich vorausgesetzt wurden, machten ein einziger Blick aus den bezwingenden Augen eines geborenen Verführers und ein kleiner Becher Vanilleeis zwanzig Jahre elterlicher Mühen zunichte.
Wladi war genau der Mann, den sich schon die zehnjährige Victoria gewünscht hatte. Er war schön, schlank und stark, hatte den Charme von Don Juan, war so männlich wie Götz von Berlichingen und als Geschichtenerzähler unschlagbar. In den Grünanlagen am Mainufer verwandelte er sich in Franz von Assisi. Er redete mit den Vögeln und den Schoßhunden alter Damen. Victoria machte er so originelle, animierende, den Verstand einlullende Komplimente, dass die Flügel, mit denen sie dabei war, in den siebten Himmel der Liebe zu fliegen, schon beim Abflug lichterloh brannten.
Das unschuldige kleine, trotz ihrer Kapricen und Flausen brave Bürgermädchen vergaß alles, was es je gewusst und gelernt hatte. In einem grauen Nebel entschwand das Bild des verhärmten, vor der Zeit gealterten Bruders Erwin, der so glücklos aus der bürgerlichen Welt ausgebrochen war. Sein Entschluss beruhte immerhin auf jahrelangen Überlegungen, sein Impetus waren Hoffnung und Selbstvertrauen. Als Victoria über den gleichen Graben sprang, trieb sie allein ihre Impulsivität – und die Illusion, dass sie reif genug war, das Nest zu verlassen. Mit geschlossenen Augen riss sie die Zäune nieder, die sie beschützt hatten, mit Kinderjubel öffnete die Arglose die Tür zu der Burg, von der sie irrtümlich glaubte, sie wäre ein goldener Käfig und würde ihr die Freuden des Lebens verwehren.
Victoria, die eine Schauspielerin wie Elisabeth Bergner, eine Tänzerin wie Isadora Duncan und noch sehr viel berühmter als Josephine Baker werden wollte, hatte keine Ahnung von den Fallen, in die törichte kleine Mädchen geraten. Rotkäppchen war immer ihr Lieblingsmärchen gewesen. Nun verließ auch sie den Pfad, auf den ihre kluge Mutter so lange bestanden hatte. Mit ausgebreiteten Armen hieß Victoria Sternberg den Wolf willkommen.
Ohne dass es die Himmelsstürmerin nur einen beunruhigten Herzschlag kostete, verdrängte sie, was ihre erfahrene, enttäuschte, für immer gezeichnete Schwester Clara ihr über Männer erzählt hatte. Betsys mutwilligste und mutigste Tochter, ohnehin nicht die richtige Adressatin für gut gemeinte Ratschläge und Warnungen, verliebte sich mit der Leidenschaft, die einer jungen Frau gegeben ist, in einen Mann, mit dem sie nur zwei Dinge gemein hatte: Sie saßen beide gern im Garten des Café Hauptwache, und beide glaubten sie, sie würden Theatergeschichte schreiben.
Amor, der Spitzbube mit den verantwortungslos abgeschossenen Liebespfeilen, brauchte nur vierzehn Tage und drei Stunden, um aus einem kleinen Feuer einen Brand zu machen. Dann wurden die Fahrkarten gekauft, die Koffer gepackt, die Eltern Sternberg beschwichtigt und angeschwindelt und Trudchen, die Schneidersgattin, so belogen, dass sich selbst Balken aus Eisen gebogen hätten. Schon zwischen Frankfurt und dem ersten Tunnel auf der Strecke nach Berlin verfiel Victoria Männerkünsten, über die sowohl die Schulbücher für höhere Töchter als auch ihre Mutter geschwiegen hatten. In ihren Augen glitzerten Funken; sie hörte die Himmelsgeigen den Hochzeitsmarsch spielen. Stolz warf sie ihren Brautstrauß der bedauernswerten, kreuzbraven Anna zu, die nie einen so kapitalen Mann wie Wladi finden würde. Casanova aus Hopfgarten öffnete die oberen zwei Knöpfe von Victorias Kleid und schmiegte eine Wange, die nach dem scharfen Rasierwasser Pitralon roch, das aus jedem deutschen Mann einen Welteroberer machte, an ihre Brust.
»Ich kann nicht mehr warten«, seufzte der Jäger.
»Ich auch nicht«, schluckte seine Beute. »Lieber Gott, lass es Abend werden.« Es gab keine Rettung. Victoria war bereit, ihre Familie zu verlassen, ihren Glauben zu wechseln, ihre Seele zu verkaufen, nie mehr ein Theater zu betreten, Wladi bis ans Ende der Welt zu folgen und für den Rest ihres Lebens in Armut zu leben – nur nicht in Keuschheit.
»Du weißt gar nicht, wie schön du bist«, schwärmte der Süßholzraspler. »Du bist ein Frühlingstag und eine Sommernacht, die Sonne und der Mond. Ich habe nie gedacht, dass mir so etwas passieren kann. Ich dachte immer, das Glück kommt nur zu den reichen Leuten.«
Die, die da wähnte, das Märchen, das sie just erlebte, wäre neu und wahr, zeigte sich schon als kleines Mädchen ungewöhnlich mitteilungsfreudig, wenn sie in Hochstimmung war. Nun war sie es wieder. Ihrem aufmerksam lauschenden Reisegenossen erzählte sie mit dem Spott derer, die sich in Gegenwart anderer nicht zu ihrer Familie bekennen mögen, und dem Jungmädchenkichern, das seit jeher neue Liebhaber mit mehr Informationen versorgt, als einer soliden Verbindung zwischen Mann und Frau guttut, von ihrem bürgerstolzen, naiven Vater.
»Das gute Papachen«, mokierte sich seine garstige Tochter. Sie schüttelte, als sie die distanzierende Verkleinerungsform gebrauchte, kokett den schon seit einiger Zeit nicht mehr behüteten Kopf. »Der arme, ahnungslose Mann hat doch tatsächlich das Portemonnaie seiner Tochter und ihre Brieftasche so vollgestopft, als würde sie nach Amerika auswandern. Sonst ist er sparsam bis zum Geiz. Doch bei der hochvornehmen Familie von Edelhagen, wo die kleine Vicky, wie sie ihren besorgten Eltern weismachte, in Berlin Quartier nehmen wird, soll sie bloß nicht den Eindruck erwecken, wir wären miese jüdische Emporkömmlinge und wüssten nicht, was sich in Adelskreisen gehört.«
Es machte Wladi erhebliche Mühe, den Satz mit dem irritierenden Konjunktiv und dem verwirrenden Übergang in die dritte Person in verständliche Einzelteile zu zerlegen. Er war, als er die Quintessenz begriff, ebenso frappiert wie beeindruckt, aber auch ein wenig unsicher. Verlegen suchte er nach dem blauweiß karierten Schnupftuch in seiner Hosentasche. Schwitzen erschien ihm noch kleinbürgerlicher als Schweigen. Jedoch fasste er sich rechtzeitig. Sein Liebchen mit der Zauberbörse fasste er fest um die Taille. Er blies eine vorwitzige Locke von seiner Stirn, hüstelte den Hals frei und schlug vor, als wäre ihm das Procedere so geläufig wie die morgendliche Rasur, das liebenswerte Plaudertäschchen in den Speisewagen zu führen.
»O ja«, sagte Victoria. Die Reise nach Baden-Baden fiel ihr ein und wie ihr Vater, als die Mutter von einem Mann mit einem weißen Karren am Frankfurter Hauptbahnhof Obst hatte kaufen sollen, gesagt hatte: »Obst isst man zu Hause.«
Die Tische waren weiß eingedeckt, auf jedem stand eine schmale silberfarbene Vase mit einer langen roten Rose. Für gewöhnliche Reisende verströmte die Liebesblume einen zarten Duft, die Liebenden betörte sie wie das Zauberkraut des Oberon im nächtlichen Traumwald. Mal schaukelte der Zug, als hätte er weder Fahrplan noch Ziel, mal rollten die Räder ins Paradies. Bäume im Sommergrün und graue Telegrafenstangen mit Raben, die im August mit dem Winter drohten, verschwanden, kaum dass sie aufgetaucht waren. Auf den Feldern banden Frauen mit geblümten Kittelkleidern das Heu zu Stapeln. Die Kornblumen waren königsblau, der Mohn feuerrot – genau wie der, der nun auf den Soldatengräbern in Frankreich und Flandern leuchtete, doch von blutgetränkter Erde und begrabenen Hoffnungen wussten die Jungen nichts mehr.
»Mohn ist meine Lieblingsblume«, sagte Victoria.
»Ach«, staunte Wladi. In Hopfgarten wäre niemand auf die Idee gekommen, eine Blume mehr als die anderen zu lieben. Trotzdem sagte er: »Meine auch.« Unter dem Tisch berührte sein Fuß einen weichen Spangenschuh, seine feste Männerhand eine wohlgeformte Wade. Sie tranken Kaffee, der in kleinen silbernen Kannen auf dem Tisch stand. Obwohl er solches Geschirr aus den Tanzcafés kannte, in die er Frau Trudchen führte, streichelte er ehrfurchtsvoll das zierliche Sahnekännchen. Sie versenkte den Zucker in ihre Tasse und wurde rot, denn sie nahm an, er würde das Kännchen streicheln und sie meinen. Jeder aß ein Stück Gebäck. Victoria dachte über den Preis nicht nach, Wladi rechnete ihn in Brötchen um. Er nannte die Verlockung auf seinem Teller ein »Schokoladendingsbums«. Seine Lippen rieb er mit dem Handrücken sauber. Sie sagte, Eclairs mit Mokkageschmack würden ihr besser schmecken, und tupfte mit einem Spitzentaschentuch die Creme vom Mund.
Der Kellner im weißen Jackett, ein alternder Mann mit Augen, die noch müder waren als seine Füße, schaute das ungewöhnliche Paar mit einer Miene an, für deren Deutung es Victoria an Erfahrung fehlte. Das gnädige Fräulein fragte der Ober, ob es zufrieden sei. Victoria legte die Kuchengabel auf den leeren Teller und nickte fein. Kein gewöhnliches Fräulein zu sein, sondern ein gnädiges war Mademoiselle Sternberg so gewohnt wie Buttermesser und silberne Messerbänkchen. Wladi hingegen staunte so über die Galanterie eines einfachen Kellners, dass er wie die jungen Muskelmänner vom Frankfurter Großmarkt pfiff.
Am Nachbartisch schüttelte eine alte Dame mit dreifachem Perlencollier ihre silbernen Locken. Victoria genierte sich, als sie es bemerkte. Wladi bestellte einen Kümmelschnaps für sich und einen Eierlikör für Victoria. Die Rechnung zahlte er, ohne zusammenzuzucken, obwohl er nicht gewohnt war, Geld für Essen auszugeben, wenn er satt war. Doch schon der weißblonde Scherenschleifer, den er für seinen Vater gehalten hatte, hatte immer gesagt, es wäre kurzsichtig, nicht ordentlich zu investieren, wenn das Ziel es erfordere, und es wäre kreuzdämlich, an der falschen Stelle zu sparen.
Später kamen sie eng umschlungen überein, am Quartier zu sparen und erst genau zu prüfen, was die Reichshauptstadt ihnen außer Bett und Stuhl zu bieten hätte. »Raum ist in der kleinsten Hütte«, sagte er beim letzten Kuss im Zug. Es war wieder in einem Tunnel.
»Für ein glücklich liebend Paar«, ergänzte Victoria.
»Du bist zu schlau für mich, Mädchen, hast immer das letzte Wort.«
Die Pension in einem Haus aus rotem Stuck lag unmittelbar am Schlesischen Bahnhof in einer schäbigen kleinen Straße, die ihn an die Straßen rund um den Frankfurter Ostbahnhof erinnerte und sie ungewohnt schweigsam machte. Die Unterkunft hatte auffallend kleine Fenster, kein Namensschild, weder einen Gästeeingang noch eine der in solchen Häusern üblichen Karten, die auf die Abgabe von Speisen und Getränken hinwiesen. Stattdessen klebten zwei mit Rotstift beschriebene Stück Pappe auf einem der Fenster. Auf einem Schild stand »Zimmer frei. Nicht für Frauen ohne männl. Begleitung«, auf dem anderen »Fließ. Wasser«. Die Adresse hatte Wladi von einem Nachbarn bekommen, mit dem er jeden Freitag zum Ebbelwein nach Sachsenhausen ging. Der Mann kannte sich in ganz Deutschland aus. Er war Zimmermann und auf der Walz bis Breslau und Königsberg gekommen. Er aß sogar Fleischklopse mit Kapern, Pferdefleisch und Kutteln. Von den billigen Preisen der Berliner Örtlichkeit hatte er ausführlich berichtet, aber nicht, dass sie intensiv nach ranzigem Bratfett und Fleischabfällen roch und im Sommer Treffpunkt der Berliner Fliegen war.
Die Wirtin des heruntergekommenen Hauses, einen knurrenden Spitz zwischen den Beinen, saß in einem verblichenen Ohrensessel. Sie trank ihr Bier aus der Flasche und benutzte das Glas, um ihre vielen Zigarettenstummel mit Bier zu löschen. Obwohl es ein erdrückender Hundstag war und schon der Gedanke an Wolle den Schweiß in Strömen fließen ließ, strickte sie einen dicken Kniestrumpf. Der war moosgrün und von einer ungewöhnlichen Länge. Die Frage nach Logis beantwortete sie äußerst knapp.
»Verheiratet?«, schnarrte sie.
Victoria drehte den Hut, den sie seit der Ankunft in Berlin nicht mehr aufgesetzt hatte, verlegen in den Händen. Wladi sah aus, als wollte er die Hand erheben. Die Wirtsfrau richtete die Nadel, die sie gerade leer gestrickt hatte, auf Victoria. »Zwei Zimmer«, bestimmte sie. »Habt Ihr noch nie nichts vom Kuppeleiparagraphen gehört? Um mich reinzulegen, müsst ihr schon früher aufstehen.« Sie schob den Hund beiseite, hievte ihren Körper schwer atmend aus dem Sessel, zog so heftig an einer klemmenden Schublade, dass sie taumelte, und sagte: »Du furzt wie eine Mastsau« zum Spitz. Dann knallte sie zwei Schlüssel, an denen jeweils eine große Holzkugel hing, auf den Tresen. »Erster Stock«, sagte sie, »Klo ist auf dem Flur im Zwischenstock. Papier könnt ihr bei mir kaufen, wenn ihr’s braucht. Die Zimmer müssen bis zehn Uhr morgens geräumt sein.«
»Wir wollen länger als eine Nacht bleiben.«
»Wenn du und deine Donna nicht gleich die Anmeldebogen ausfüllt, junger Mann, macht ihr sofort die Fliege.«
Damit sie nachts nicht stolperten und dann die anderen Gäste aufweckten oder gar den menschenfeindlichen Spitz, übten sie schon am Nachmittag, unbemerkt von einem Zimmer zum anderen zu schleichen. Wladi hatte den Vorteil, dass er bereits als Bub aus mannigfachen Gründen die lautlose Form der Bewegung eingeübt hatte. Victoria kam zugute, dass sie es abenteuerlich und romantisch fand, sich wie ein blinder Passagier zu verhalten, der erst in das Schiffslager einbrechen muss, um an einen Zwieback zu kommen. Ihr eigener Hunger trieb die Liebenden trotz der Eclairs im Zug und eines drohenden Sommergewitters aus dem Haus.
Wladi entdeckte einen Gasthof, den Victoria nie für einen solchen gehalten hätte. Die Gäste waren vorwiegend Männer mit rot glänzendem Gesicht und kraftvollen Stimmen. Die meisten musterten Victoria mit einer Gründlichkeit, die sie ängstigte. »Ich glaube, ich sollte mich morgen bei meinem Bruder melden«, sagte sie.
Wladi stellte sein Bierglas auf den Tisch – es war das zweite in einer halben Stunde – und sagte, sie solle zusehen, dass sie etwas bestellte, was satt mache. »Du hast schließlich noch was vor, mein kleines Mäuschen.«
Ihr war es, als hätte er gezwinkert, doch sie traute sich nicht, über ihre Beobachtung zu sprechen, und schon gar nicht wagte sie die Frage, weshalb die schöne leichte Stimmung vom Zug verflogen war. Er bestellte, weil sie zu lange brauchte, um sich zu entscheiden, für beide Eisbein mit Erbspüree. Er verhandelte mit dem Kellner auf eine so männliche, selbstsichere und auch dominante Art, dass Victoria nicht dazu kam, Wladi beizeiten aufzuklären. Erbsen verabscheute sie, einem Eisbein war sie nie in ihrem Leben begegnet. Sie starrte es erst unglücklich und dann verzweifelt an. Sie fragte sich, ob sie nicht vorher Clara um Rat hätte fragen sollen. Wie klärte eine verliebte Frau den Mann ihres Herzens über jüdische Speisegesetze auf, ohne dass er Schaden nahm? »Ich kann nicht«, würgte sie, »ich weiß nicht, warum. Ich habe einfach keinen Hunger.«
Wladi grinste, obwohl er keine Ahnung hatte, weshalb er das tat. Er aß das zweite Eisbein und bestellte das dritte Bier. Sie beobachtete, wie das Fett auf sein Hemd tropfte, und betete, obgleich sie noch keine begangen, Gott möge ihr alle Sünden verzeihen.
Victoria Sternberg, die gedacht hatte, sie wüsste alles, was eine junge Frau zu wissen hatte, und sie wüsste es besser als jede andere, erlebte die körperliche Liebe als Vergewaltigung. Der Schock war noch größer als der Schmerz, die Scham lähmend. Zerrissen war nicht nur das weiße Seidennachthemd, das sie für die Nacht der Nächte gekauft hatte. Dahin war, und das begriff Victoria unmittelbar nach dem Geschehen, die Jungfräulichkeit, auf die in bürgerlichen Kreisen die Männer ebenso viel Wert legten wie auf eine hohe Mitgift und auf eheliche Treue. Zerstört für immer war der Glaube, dass der Instinkt eine Frau davor bewahrt, sich in den falschen Mann zu verlieben. Victoria, das zerrissene Nachthemd auf dem Boden, die liebemordende Bemerkung des Eroberers noch im Ohr, schluchzte in ein bretthartes Kissen und war sicher, dass sie nie mehr in ihr Vaterhaus zurückkehren würde.
»Hast du gedacht, das Ding ist zum Kaffeekochen?«, hatte er gebrüllt und sich das genommen, was er für das Recht des Mannes hielt. Nach dem Kampf wurde er wieder freundlich. Seine Hände wurden weich, die Stimme leise. »Musst nicht weinen«, tröstete er, »das ist halt so bei euch Mädels. Bei jeder.«
In der Nacht wachte Wladi auf. Die zwei Portionen Eisbein drückten ihn im Magen. Später sah er Gespenster, hörte eine Kirchenglocke schlagen, dann eine zweite. Ihm fiel eine Geschichte ein, an die er seit Jahren nicht mehr gedacht hatte. Klaus-Jürgen Hammer aus Hopfgarten, zwei Jahre älter als Wladi und eine Respektsperson im Dorf, hatte in der Scheune vom Bauer Münstermann fünf staunenden Freunden von einem Juden aus Erfurt erzählt. Dessen Tochter war von einem Küster geschwängert worden, und der zürnende Vater hatte furchtbare Rache genommen. Er hatte den frommen Kirchenmann von einem einäugigen Häscher meucheln und ihn in einen Hochofen werfen lassen. Der Mörder selbst hatte Klaus-Jürgen Hammer die Tat gebeichtet. An einem Karfreitag.
Wladis Magen grollte. Ihm war so übel wie an Silvester, als er den Punsch aus einer Blumenvase getrunken und zu viel Sauerkraut zum Rippchen gegessen hatte. Leise stöhnend zog er seine Unterhose an. Er wollte aufs Klo in den Zwischenstock und suchte bereits nach dem Lichtschalter, als ihm einfiel, dass Trudchen Schafgut einmal gesagt hatte, Frauen wären noch lichtempfindlicher als Fledermäuse. So lief der Rücksichtsvolle den Weg hin und den zurück im Dunkeln, aber einen halben Meter vor dem Bett stolperte er doch. Er hätte den kleinen Fehltritt noch nicht einmal zur Kenntnis genommen, wäre nicht Victorias Handtasche vom Stuhl gefallen und hätte die nicht auch noch offen gestanden. Der gesamte Inhalt lag auf dem Boden.
Victoria gehörte nicht zu der Gattung der Fledermäuse. Sie rollte sich lediglich von der rechten auf die linke Seite, als der, der versprochen hatte, sie vor allen Gefahren und in jeder Not zu beschützen, die schummrige Deckenbeleuchtung anknipste. Der Mann der hehren Worte öffnete die Geldbörse. Er zählte auch das Geld in der Brieftasche.
Wladimir Bellini war rechtschaffen und ehrlich, doch er kannte auch das Wort »In einen offenen Kasten greift auch eine ehrliche Hand«. Zum Dieb geboren war er nicht, doch sagten nicht auch die Klugen und Frommen, Gott würde nichts ohne Absicht tun? Trotzdem brauchte er, der Gottes Wege so genau durchschaute, lange bis zur Stunde der Entscheidung.
Es war vier Uhr in der Früh, unmittelbar vor der Morgendämmerung als der schöne, phantasievolle, liebenswürdige Mann, der Victoria Sternbergs Herz gestohlen hatte, nun auch ihr Geld stahl. Bis zur letzten Minute ihres stürmischen Zusammenseins war er, der sich laut Definition der Juristen nun des Beischlafdiebstahls schuldig machte, um die besorgt, die er zur Frau gemacht hatte.
Auf einen kleinen Tisch mit einem winzigen Spitzendeckchen legte er die teure Brieftasche aus Kalbsleder, das elegante rote Portemonnaie, eine Rückfahrkarte nach Frankfurt und so viel Geld, wie Victoria brauchen würde, um die Elektrische zu ihrem Bruder zu nehmen. »Verzeih«, schrieb Wladi Bellini auf ein Stück braunes Papier. Es entstammte einer Tüte, in die Trudchen Schafgut ihm zwei Schinkenbrote als Reiseproviant gewickelt hatte.