MACADAMIA NUDGE MATSCH

Ein dürrer, kleiner Ikea-Verkäufer mit lichten, roten Haaren und großer Nase tippt mich an. Lieber Gott, danke dir, dass ich nicht so aussehe!

»Kann ich Ihnen helfen?«

Kann er nicht. Es sei denn, Ikea hätte das Rasierklingen-Set Suizöd im Programm oder den Strick Hängan. Ich weiß auch nicht wirklich, warum und wie lange ich vor dem Karlanda-3er-Sofa mit Anbauelementen gestanden habe. Ebenso ist es mir ein Rätsel, warum ich überhaupt hier bin: Schließlich gibt es für einen Single nichts Ungeeigneteres, als einen verregneten Oktobersamstag bei Ikea zu verbringen. Das ist garantiert auch der Grund, warum man dort keine Singles sieht. Keinen Einzigen! Glückliche Pärchen mit und ohne Kind ziehen feixend ihre Runden und diskutieren, ob der Gullholmen-Schaukelstuhl zum Sofa Ektorp passt oder nicht. Passt er nicht, möchte ich schreien, genauso wenig wie ihr mir in den Kram passt mit euren biederen Markenpullovern und eurer stinklangweiligen Standardfamilie Vörort.

Nirgendwo auf der ganzen Welt wird einem Single sein ganz persönliches Scheitern konzentrierter und kaltblütiger vor Augen geführt als bei Ikea. Und zwar auf ganzer Linie. Ikea, das ist kein Einrichtungshaus, das ist ein ausgeklügelter, skandinavischer Lehrpfad des Versagens, der durch das eigene Nichts direkt zu einer der dreißig gelb-blauen Kassen führt.

Wohnzimmer. Zusammen sein. Mit Ihren Freunden oder Ihrem Schatz. Rumms! Voll in die Fresse. Zusammen sein? Mit wem? Ich hab nur einen Freund, und der ist wehleidig und fett. Und einen Schatz hab ich schon gar nicht und deswegen auch keinen Bedarf an einem Dreisitzer. Danke schön!

Schlafzimmer. Liebesnest. Tummelplatz. Schmuseecke. Ein Ort zum Beisammensein. Zum Glücklichsein.

Ich sehe die Schlagzeile in der Bild-Zeitung schon vor mir: Massaker in Werbeagentur — frustrierter Single tötet zehn Ikea-Katalogtexter mit Bratpfannenset Bruzzlon. Textest du noch, oder stirbst du schon? Vielen verschissenen Dank. Meiner Meinung nach sollten Singles nur in Begleitung von Freunden oder professionellen Therapeuten zu Ikea. Ich jedenfalls war zum letzten Mal hier. Zwanzig verdammte Kilometer bin ich gefahren, nur um was zu finden, in das man sich setzen kann, wenn man mal keinen Bock auf Stehen oder Liegen hat. Dann endlich sehe ich den Sessel, den ich mitnehmen wollte.

Ein Musterpärchen, das ich von Seite zehn des aktuellen Katalogs zu kennen glaube, lässt sich lachend auf das Ledersofa Liegan fallen und schmust doof herum. In genau dieser Sekunde wird mir wieder bewusst, dass ich mich bereits in Singlephase vier befinde.

SINGLEPHASE EINS:

Frisch getrennt und voller Lebensmut meldest du dich wieder bei deinen fast vergessenen Saufkumpanen, nur um festzustellen, dass die inzwischen ganz andere Interessen entwickelt haben. Interessen fernab von Beck's und Frauen aufreißen. Logisch. So hast du's ja auch gemacht, als du noch eine Freundin hattest. Weil sie Mitleid haben, darfst du natürlich gerne vorbeikommen, zum gemütlichen Fernseh-Abhängabend. Aber natürlich hast du keine Lust, Erdnuss knabbernd zuzuschauen, wie Thomas Gottschalk seine achttausendste Saalwette vorliest, während das Wohnzimmer gerade in Schatzi-Schatzi-Harmonie absäuft. Deine Ex wird das neue Feindbild. Du gibst ihr die Gesamtschuld für das Scheitern der Beziehung, informierst Freunde, Bekannte und alle Boulevardmagazine. Und dann gibst du Gas. Du meldest dich im Fitnessclub an, gehst bis in die Puppen aus und könntest jede haben. Willst du aber nicht. Noch nicht!

SINGLEPHASE ZWEI:

Du findest das Leben sensationell und voller Möglichkeiten. Du warst schon zwei Mal in deinem neuen Fitnessclub und bist im Aerobic-Kurs kurz davor, den Basic Step zu erlernen. Natürlich siehst du immer noch aus wie ein Calvin-Klein-Model nach vier Wochen Bahnhofstrich, freust dich aber schon auf deine einzeln definierten Bauchmuskeln, die du im Supermarkt immer auf den Men's-Health-Covern sehen musst. Wie du hörst, hat deine Ex auch noch keinen neuen Partner. Du schaust dich inzwischen vorsichtshalber schon mal nach einer Neuen um — wäre doch zu blöd, wenn du NACH deiner Ex Erfolg hättest.

SINGLEPHASE DREI:

Du HAST nach deiner Ex Erfolg. Man hat sie zusammen gesehen, und angeblich ist er sehr muskulös. Du kämpfst immer noch mit dem Basic Step und wünschst dir, dass mal ein paar scharfe Frauen in den Kurs kämen. Tun sie aber nicht. In deinem Übereifer hast du nämlich übersehen, dass du einen Zweijahresvertrag im beliebtesten Gay-Fitnessclub der Stadt unterzeichnet hast. Du buchst einen wahnsinnig teuren Urlaub in einem Single-Ferienclub und glaubst doch tatsächlich, dass du dort auf alle Fälle mal zum Zuge kommst. Insgeheim schiebst du eine tierische Angst, dass du der Einzige sein wirst, den Air Berlin ungevögelt nach Köln zurückfliegt. Natürlich glaubst du noch an deinen Erfolg, wo du doch so ein klasse Typ bist. Die Frauen können ja nicht total bescheuert sein.

SINGLEPHASE VIER:

Die Frauen SIND total bescheuert. Fakt ist, sie interessieren sich einen Dreck für dich, was vor allem daran liegt, dass du bei jeder halbwegs attraktiven Frau zehn verschiedene Sex-Stellungen im Kopf durchgehst und man das natürlich sofort sieht. Das Wort Ficken steht auf deiner Stirn. In 1000 Punkt Times New Roman mit diversen Leuchteffekten. Du bekommst weltweites Hausverbot bei Ikea, weil du ein Pärchen von einem braunen Ledersofa gezogen und gezwungen hast, alle Plastikbälle aus dem Kinderparadies zu essen. Wie gesagt, das ist MEINE Phase. Ach ja, und ...

SINGLEPHASE FÜNF:

Du gehst wieder recht gerne in deinen Schwulenfitnessclub.

Doch dazu wird es nicht kommen!

Ich bemerke, dass der langnasige Verkäuferzwerg immer noch neben mir steht.

»Sie möchten sich setzen?«

»So sieht's aus. Und zwar bequem!«

»Dachten Sie eher an einen Zwei- oder Dreisitzer?«

Hallo? Steht eine glückliche Familie neben mir mit einer »Wir möchten uns mit Papa setzen!«-Banderole?

»Ich dachte eher an etwas, auf das ich mich alleine setzen kann, wenn ich weder stehen noch liegen möchte, wissen Sie?«

»Alles klar. So 'ne Art Single-Sessel, was? Die haben wir hier...«

Ich werde eine E-Mail an die Konzernleitung schreiben und sie auffordern, diesen zu kurz geratenen Aushilfs-Pinocchio fristlos zu feuern. Zuvor allerdings, so informiert mich Zwerg Zwergan, soll ich mir das Regal 30 C merken, denn dort sei mein Single-Sessel. 30 C. Warum schreibt er mir das nicht auf einen Zettel? Sind doch nur zwei Ziffern und ein Buchstabe!

30 C!

Ich sehe überhaupt nicht ein, warum ich mir das merken soll. Es gibt wichtigere Informationen als die, wo ein Sessel steht. Hat dieses besoffene Schwedenpack überhaupt eine Ahnung davon, wie viele Zahlen ich mir schon merken muss? Meine Hausnummer, meine Kontonummer, mindestens fünf Internet-Passwörter und dann noch die Telefonnummer von Flik. Entschieden zu viel. Was ist, wenn ich heute Abend meine Traumfrau treffe und wenn die mir ihre Telefonnummer gibt und ich sie mir nicht merken kann, weil diese völlig unnötige 30 C-Information wertvollen Speicherplatz blockiert? Eine Katastrophe! Und was mache ich mit dieser 30 C, wenn ich meinen Sessel gefunden habe? Schicke ich sie an das Archiv des nutzlosen Wissens? Gibt es so ein Archiv? Ganz bestimmt nicht! Deswegen sage ich:

»Ich weigere mich, mir die 30 C zu merken!«

Meine Forderung unterstütze ich, indem ich auf den Verkaufstresen Tresan poche und ergänze: »Schreiben Sie mir die Nummer bitte auf!«

»Aber Sie haben sie sich doch schon gemerkt«, poltert der dreiste Zwerg zurück und wagt es sogar, sich einfach so abzuwenden, ohne mir noch einen schönen Abend zu wünschen. Egal, ich hätte sowieso keinen schönen Abend. Deutschland geht den Bach runter, wenn man mich fragt. Und Schweden sowieso. Stinksauer mache ich mich auf den Weg ins Mitnahmelager. 30 C!

Es ist schon fast dunkel, als ich meinen neuen, flach verpackten Single-Sessel aus meinem gelben Peugeot 205 lade. Wirklich gelb ist er nicht, der Peugeot, eher landratsamtmetallic, also mit einem Spritzer Müllabfuhrorange. Der Single-Sessel hingegen ist eier-schalenfarben. Mühsam schiebe ich das Paket in den Eingangsbereich meines Apartmentblocks. Die Lifttüre steht offen, fast so, als erwarte mich jemand. Das ist natürlich Unsinn. Auf mich wartet nämlich keine Sau. Ich fahre hoch, schließe die Tür zu meiner überteuerten Zweizimmerwohnung auf, knipse das Licht an und schleppe mich mitsamt Sessel über das verkratzte Parkett in mein Wohnzimmer. Ich bin immer noch total angepisst, dass ich mir die 30 C gemerkt habe! Ich reiße mehrere Meter Plastik vom Sessel und kiloweise Pappe und werfe sie auf meinen Balkon. Dann zünde ich mir eine Kippe an und schalte meinen 3000-Euro-Flachbild-Plasmafernseher ein, in der Hoffnung, dass ich über die Nachrichten die beknackte Regalnummer vergesse. 30 C! So ein Scheiß! Während Peter Kloeppel verkündet, dass sich der Zoo in San Diego über Delphinnachwuchs freut, lasse ich mich in meinen Jennylund-Sessel fallen. Seltsamer Name für einen Sessel. Wahrscheinlich ist das mal wieder der Name der Designerin. Bei Jennylund könnte das gut sein. Obwohl: klingt eher nach einer billigen Pornodarstellerin. Sitze ich auf einem Pornosessel? Ich streiche über die Lehne.

Jenny Schlund, du geile Sau!

0 ja, Simon, besorg 's mir!

Vielleicht hatte ich ja doch zu lange keinen Sex mehr. Ich sollte ausgehen, ein nettes Mädel kennen lernen und eine Familie gründen. Am besten noch heute Abend! Ein plötzliches Gefühl von Leere und Einsamkeit wabert mir entgegen. Ich versuche auszuweichen, aber das Gefühl hat mich schon umhüllt. Aber wahrscheinlich ist das immer so am letzten Arbeitstag vor dem Urlaub. Ich arbeite im T-Punkt. Das ist so ein Laden, über den sich alle ständig aufregen. Ich übrigens auch. Und ich arbeite immerhin dort! Am schlimmsten sind natürlich die Kunden. Alle? Ja, alle!

»Sagen Sie, haben Sie dieses Internet, von dem man jetzt so viel spricht?«

»Das tut mir Leid, das letzte Internet hab ich gerade eben verkauft!«

»Wissen Sie vielleicht, wann Sie wieder eines reinbekommen?«

»Schwer zu sagen, morgen kriegen wir eine Ladung Te-lefonanschlüsse, vielleicht ist da was bei!«

»Dann komme ich morgen noch mal?«

»Das wäre toll. Und am besten, Sie fragen dann direkt meinen Kollegen, den Herrn Jarck, der ist fürs Internet zuständig!«

»Danke schön!«

»Immer gerne.«

Wie gesagt: Ich hasse meinen Job. Manchmal glaube ich, der T-Punkt wurde nur deswegen eröffnet, um mich arme Wurst endgültig kleinzukriegen. Aber egal. Morgen Abend geht's in die Sonne, und bis dahin brauche ich auch keinen einzelligen Schwachstrullern mehr den Unterschied zwischen Breitband und Trennwand zu erklären. Ich stelle Peter Kloeppel lauter und greife nach einer weiteren Prince Denmark, die ich mir mit einem roten Gasofenfeuerzeug anzünde. Es ist einer dieser trüben Herbstnachmittage, die absichtlich schon kurz vor fünf in die Knie gehen, damit Singles wie ich noch frühzeitiger in ihre Depression schlittern können. Mein Kumpel Flik behauptet zwar, dass das nun mal so wäre mit dem Dunkelwerden, wenn es auf den Winter zugeht, aber ich bin überzeugt, dass die da oben das absichtlich machen, einfach nur, damit ich mich noch beschissener fühle. Samstagabende, das sind die schlimmsten, wenn man alleine ist. Gleich danach kommt der Sonntag und danach der Freitagabend, der ist auch schlimm. Ganz besonders, wenn man seit Monaten alleine ist und auf einem eierschalenfarbenen Ikea-Stuhl RTL aktuell mit Peter Kloeppel sieht. Nicht mal der ist alleine, denn neben ihm sitzt eine gewisse Ulrike von der Groeben, die verstehen sich prima, die beiden. Ja, sie haben sogar gemeinsame Interessen! Ich habe nämlich schon ein paar Mal gesehen, wie dieser Kloeppel was zum Thema Sport gefragt hat und die Frau von der Groeben sich dann total über diese Frage beömmelt hat und dem Herrn Kloeppel dann alles erzählt hat. Und dann hat der sich gefreut und sich bedankt! Ein tolles Paar. Das passt!

Neben mir liegt das Buch Sorge dich nicht, lebe!, das mir Flik geschenkt hat. Eigentlich eine Frechheit, dass er glaubt, ich hätte so was nötig. Ich hab's fast durch. Inzwischen weiß ich schon so viel: Ich soll mir nicht so viele Sorgen machen und mehr leben. Und dann steht da noch, dass man halt grob wissen sollte, wo man hinwill im Leben, und damit meinen die nicht, dass man weiß, ob man jetzt bowlen geht oder ins Kino, sondern so die richtigen Dinge im Leben wie Liebe und Karriere und so. Das Problem ist nur, dass genau das mein Problem ist und ich nicht weiß, wo ich hinwill, und dann ist das halt auch mit den Zielen nicht so einfach. Während ein gelackter Österreicher irgendwas zum Thema Herbstwetter erzählt, blättere ich vor zu den Problemlösungsstrategien. Das ist die Stelle, wo man so Sachen mit Bleistift reinschreiben kann, was ich auch schon gemacht habe.

Frage eins: Was ist das Problem?

Antwort: Ich hab keinen Bock, meine Ziele aufzuschreiben.

Frage zwei: Was ist die Ursache des Problems?

Antwort: Ich weiß nicht, warum ich das tun sollte, weil ich keine Ziele habe.

Frage drei: Welche Lösungen sind möglich?

Antwort:

a) Ich mach das ein andermal.

b) Ich haue Flik das Buch um die Ohren.

c) Ich baller mir zehn Bier hinter die Binde.

Frage vier: Welche Lösung schlagen Sie vor?

Antwort: c!

Ich knipse den Österreicher weg und drücke meine Zigarette aus. Ganz schön still, so ohne Fernseher. Ich schalte den Fernseher wieder an, ziehe mein Handy aus meiner Hosentasche und klicke mich durchs Adressbuch. Das muss man machen, wenn man selbst nicht mehr angerufen wird.

ADAC, Air Berlin, Alexander, Bernd W...

Bernd Weile. Der ist nett, mit dem könnte ich mal wieder auf die Rolle gehen! Kurz vor dem Wählen fällt mir ein, dass Bernd in München wohnt und ich in Köln. Mal abgesehen von der Frage, wer da das größere Pech hat, ist das entschieden zu weit für ein Bierchen.

... Eva, Fabienne, Flik ...

Ich könnte Flik anrufen, den alten Langweiler. Eben, da haben wir's ja schon. Was sollte an einem Abend mit Flik passieren? Nach vier Bieren wird ihm wieder schlecht, und ich stehe alleine da. Oder er verdirbt sich den Magen an einem verdorbenen Zwiebelstück auf einer Pizza. Ich klicke weiter und lande bei meiner letzten Freundin. Oha!

... Julia ...

Was macht die denn noch in meinem Speicher? Und zack: gelöscht! Ein gutes Gefühl! Selbst wenn ich wollte, könnte ich sie jetzt nicht mehr anrufen. Es sei denn, ich fragte Iris nach ihrer Nummer. Hab ich die Nummer von Iris noch? Gott sei Dank! Man weiß ja nie. Vielleicht sieht sie ja endlich ein, dass sie einen Riesenfehler gemacht hat und kommt winselnd zurückgekrochen? Ich will mir mit der alten Kippe eine neue anzünden, bemerke aber, dass ich noch gar keine rauche, zünde mir eine an und stecke die zweite erst mal weg, weil zwei auf einmal rauchen, das geht nun wirklich nicht. Klick, klick.

Vorbei an der strohdoofen Miriam, die ich nicht lösche, weil ich bei ihr ab und zu noch einen Pikser machen darf, klicke ich mich schließlich zur technischen Hotline von Siemens. Mit Siemens kann man nicht weggehen. Siemens ist ein multinationaler Mischkonzern, und das ist auch der Grund, warum man Siemens nicht vögeln kann. Ich frage mich, was die Nummer in meinem Handy verloren hat. Ach ja ... wegen meiner Kaffeemaschine, die sich seit dem 1. 1. 2000 nicht mehr auf »Zeitversetztes Brühen« einstellen lässt. Ganz gespannt darauf, wer denn nun wegen dieses unglaublichen Jahrtausendfehlers in Aufzügen stecken bleibt oder in Flugzeugen abschmiert, war ich natürlich der einzige Mensch auf der ganzen Welt, den es tatsächlich getroffen hat. Mit seiner Kaffeemaschine! Klick, klick.

Kati, Katja, Lala ...

Lala ist meine kroatische Putzfrau und nicht unbedingt die erste Wahl für hemmungslose Saufabende. Klick, klick. ... Paula, Petra ...

Von Paula weiß ich, dass sie gerade nicht in Köln ist, und Petra geht ohne ihren komischen Hund sowieso nirgendwohin. Klick, klick.

... Taxi Köln ...

Wenn ich einem Taxifahrer einen Fünfzig-Euro-Schein in seine verspeckte Hemdtasche steckte, würde er bestimmt ein paar Kölsch mit mir zischen. Ich könnte mich natürlich auch an der Taxischlange vorbeischleichen und mir eine scharfe, nymphomane Taxifahrerin aussuchen! Und wenn wir's dann gemacht hätten, brauchte ich ihr nicht mal ein Taxi zu rufen, weil sie ihr eigenes ja schon mithätte. Wie praktisch! Klick, klick.

Ich klicke weiter, als etwas völlig Unerwartetes geschieht. Mein Handy klingelt. »Unbekannter Anrufer« steht auf dem Display. Was ist, wenn das Julia ist, deren Nummer ich gerade gelöscht habe? Solche Zufälle soll's ja geben! Ich reiße mich zusammen und gehe vorsichtig ran.

»Hallo?«

»Hi! Was machste? Du klingst gestresst!«

»Ich BIN gestresst! Das Telefon hat geklingelt!«

Es ist Phil Konrad. Der Super-Poser. Mister »Hey-ich-fühl-mich-sexy-ich-glaube-da-geht-heute-was«. Mr. Dauerpleite, der mir noch mindestens zehn Bier schuldet. Und der Wichser hat einen gut bezahlten Job bei 'ner Fernsehproduktion. Ich darf ja im T-Punkt für einsfünf netto irgendwelchen trüben Tulpengesichtern verklickern, warum die Leitung besetzt ist, wenn man schon telefoniert. Fakt ist aber, dass ich jetzt keinen Bock auf Phil Konrad habe. Er gehört zu der Sorte Mensch, die es zur wahren Meisterschaft darin gebracht haben, dass man sich in ihrer Umgebung stets unbedeutend und uncool vorkommt.

»Was machste heute Abend? Ich hab irgendwie das Gefühl, dass was geht!«

Dingdong! Da haben wir's! Will keiner mit ihm weg, weil er so ein Scheiß-Angeber ist. »Du, ich ... ich steck bis zum Hals in Arbeit ... Steuer und so ... weißt ja, die Sachen die man immer aufschiebt, und in genau dieser Sekunde hab ich angefangen! Außerdem flieg ich doch morgen in den Urlaub!«

»Wann?«

»Um 16 Uhr noch was!«

»Dann kannste doch heute noch mal weg. 16 Uhr ist doch cool. Also ... was meinste, um zehn im Pub?«

Auf der anderen Seite: Besser als die viertausendste Wiederholung von Beverly Hills Cop II.

»Sagen wir Viertel vor zehn?«

Ich kann es ums Verrecken nicht haben, wenn ich die Zeit nicht bestimmen darf.

»Von mir aus! Super. Bis dann!« Ich lege auf, ziehe die Beine auf Jenny Schlund und springe in meinem Sorgenbuch auf das wichtige Kapitel: Akzeptieren Sie das Unvermeidliche.

Der Kölner Ring ist schon wieder bevölkert mit Kaugummi kauenden Prolls, die irgendeine Scheiße in ihre geklauten Fotohandys labern. Es ist eine unbeschreibliche Mischung aus grenzdebilen Oliver-Geissen-Gästen und verfehlter Asylpolitik. Als ich ins Taxi springe, bin ich kurz verführt, auf der anderen Seite wieder auszusteigen und blöd grinsend ein Mentos in die Kamera zu halten. Mach ich natürlich nicht, weil es den beknackten Spot ja schon gibt.

»In die Harp, Venloer Straße, bitte!«

Direkt neben der Grundgebühr sehe ich zwei ratlose, persische Augen im Rückspiegel.

»Die Hard?«

»Nicht Die Hard, THE HARP, Venloer, Ecke Bismarck!«

»Kenn isch nisch!«

Bitte nicht! Schon wieder so ein orientierungsloser Falkplan-Analphabet, der seinen eigenen Arsch nicht mal dann findet, wenn ein Pumpnebelhorn dranhängt. Vielleicht kommt er ja von selbst auf die verrückte Idee, im Stadtplan nachzuschauen.

»Schau isch im Stadtplan nach!«

Bingo. Das nenn ich Menschenkenntnis.

Als ich im Pub ankomme, ist Phil natürlich noch nicht da. Auch sonst tote Hose. Lediglich die üblichen Verdächtigen pumpen sich schon rechtzeitig mit so viel Guinness zu, dass sie spätestens in einer Stunde vergessen haben, dass die Welt ihnen genau das Gleiche zu bieten hat wie sie der Welt: einen Scheiß nämlich. Ich setze mich neben Brian, einen rotköpfigen Schotten, und bestelle mir ein Pint Heineken. Irgendjemand hat sein Stadtmagazin auf dem Nachbarhocker vergessen. Ich bin ganz froh drum und blättere es lustlos durch. In der Südstadt macht ein neuer Spanier auf. Sehr schön. Hätten wir dann insgesamt 26. Die Fantastischen Vier spielen am Tanzbrunnen. Auch schön. Den Tag am Meer fand ich mal gut, danach hab ich eigentlich nichts mehr von denen gehört. Is ja auch egal. Mann, das ist ja in-teressant: Die Innere Kanalstraße wird für zwei Wochen einspurig. Wenn das mal keine wichtigen Informationen sind!

Phil kommt im Cord-Anzug und grünem Haribo-T-Shirt in den Pub. Und natürlich kommt er nicht irgendwie so durch die Tür, nein, er zelebriert sein Erscheinen, als hätte er einen Auftritt in Ankes Late Night Show. Meine Fresse, wie beknackt sieht das denn aus! Ohne zu fragen, schnappt sich Phil einen Hocker von einem benachbarten Stehtisch und stellt ihn neben mich an die Bar.

»Sensationeller Anzug!«, strahle ich nicht ohne Ironie.

»Super, oder? Hab ich mir eben noch gekauft. War runtergesetzt auf 549 Euro. Schon geil, oder? Was trinkste denn?«

»Heineken, wie seit zehn Jahren!«

»Nehm ich auch. Sag mal, haste Geld? Ich war noch nicht am Automaten!«

Klar. Leute, deren EC-Karte schon vor zwei Jahren am Bankschalter zerschreddert wurde, gehen auch nicht zum Automaten. Ich stecke Haribo-Phil einen Fünfzig-Euro-Schein zu.

»Danke. Und, schon gepackt?«

»Nö. Mach ich morgen!«

»Wirst sehen, der Ferienclub ist der Hammer. Am besten, du nimmst dir gleich 'ne Großpackung Gummis mit!«

»Ich lass mich überraschen!«

Dann prosten wir uns zu, stürzen unser Bier runter und erzählen uns, wen wir die letzten Wochen nicht alles flachgelegt haben. Bei Phil waren es angeblich zwei. Bei mir exakt keine. Phil schüttelt den Kopf.

»Was is mit der Starbucksmaus, von der du mal erzählt hast?«, will er wissen.

»Was soll mit der sein?«

»Na ja ... läuft was? Planste was? Findste die noch gut?«

»Ich weiß nich, im Augenblick brauch ich mal 'ne Pause, glaube ich!«

»Im Augenblick? Du hast seit Monaten Pause!«

Das sind genau die Themen, mit denen man den Samstagabend eines Singles einläutet. Vielen Dank. Mit der Starbucksmaus hat er natürlich schon Recht. Die find ich gut! Keiner schäumt die Milch lasziver auf als sie. Bisher hab ich sie allerdings nur durch die Scheibe gesehen, was in erster Linie daran liegt, dass ich mich weigere, den Laden zu betreten. Bevor nämlich die US-Röst-Truppen das Gebäude besetzten und gewaltsam verstarbuckten, befand sich unter dieser Adresse mein Lieblings-Schnellrestaurant, die Mexican Food Station. Und jetzt gibt es da keine leckeren Quesadillas mehr, sondern nur noch irgendwelchen Chocolate Fudge Macadamia Nudge Matsch. Phil kann natürlich nicht ansatzweise verstehen, dass ich das »Babe« noch nicht klargemacht habe.

»Mensch, Simon, da musste reingehen und sie fragen, was sie nach Feierabend macht, ist doch klar, oder? Oder?«

»Ich geh da nicht rein, und du weißt genau, warum!«, entgegne ich, um unsere Unterhaltung zu entsexualisieren. »Ahhh ... vergiss die Food Station doch mal. Das Leben geht weiter. Kauf dir 'nen Kaffee und einen Keks!«

»Ich kauf mir keinen Ami-Kaffee!«

»Echt nicht? Das ist ja interessant! Und warum nicht?«

»Auf der ganzen Welt machen die Amis Ketten auf mit Sachen, von denen sie keine Ahnung haben! Pizza Hut zum Beispiel. Hab ich da irgendwas verpasst, oder ist Pizza nicht zufällig italienisch? Ich gehe ja als Deutscher auch nicht in die USA und eröffne 'ne Crepes-Kette mit fünfhundert Filialen! «

Ich nehme einen Schluck Bier. Phil schaut mich an wie ein Auto.

»Könntest du aber!«

»Ja, genau!«

»Hey, Simon, ich hab ja nur gesagt, dass du da reingehen sollst, einen Kaffee trinken und die Gute fragen, was sie nach Feierabend macht. Kann mich nicht erinnern, dass das Wort Kulturrevolution gefallen ist!«

»Ich kann da nicht rein! Der Kaffee schmeckt wie Rattengift, und rauchen darf man auch nicht. Außerdem sitzen immer dreißig Mütter mit schreienden Kleinkindern drin! Und die Mexican Food Station ...«

Augen rollend stellt Phil sein Bier ab und beendet meinen Satz für mich.

»... war besser, ich weiß. Okay, das mit dem Rauchen nervt echt. Aber ansonsten redest du totalen Scheiß! Es ist wirklich bedauerlich, wie Starbucks dein Leben zerstört hat! «

Da haben wir's: Phil sitzt keine Viertelstunde neben mir, und ich fühl mich schon unwohl. Ich sollte die Klappe halten, doch ein innerer Rechtfertigungsdrang treibt mich weiter.

»Hast du mal Nachrichten geschaut in den letzten Jahren? Stichwort Irak, Afghanistan, die Sanktionen gegen Kuba? Das kann ich doch nicht unterstützen!«

»Sekunde mal, Simon. Lass mich das zusammenfassen: Du weigerst dich, Kaffee im Starbucks zu trinken wegen der Kubapolitik der USA?«

»So sieht's aus!«

»Und was denkst du, was passiert, wenn die Nachricht im Weißen Haus einläuft, dass Simon Peters das Starbucks in Köln boykottiert? Ohhh ... Mr. Präsident, wir müssen das Helms-Burton-Gesetz gegen Kuba revidieren, Simon Peters hat eine Kaffee- und Keksblockade gegen das Starbucks in der Kölner Altstadt angekündigt!«

Ich weiß nicht, ob ich es schon erwähnt habe, aber manchmal hasse ich Phil regelrecht.

»Du bist bekloppt!«

»Und du ein Arsch!«

Wir schweigen eine Weile, und ich lasse meinen Blick durch den Pub schweifen. Am Darts steht die übliche Bande versoffener Berufsjugendlicher und denkt, sie betreibe Sport. Eine dürre Studentin steckt sich vor dem Klo einen Fünfzigerpack Gratispostkarten ein, und die mollige Knubbelbedienung bringt gerade einen Korb Homebaked Irish Bread an den Nachbartisch. In Gedanken bin ich aber immer noch bei Starbucks.

»Und es ist doch eine Kulturrevolution!«, zische ich Phil an. »Du wirst sehen, am Ende verkaufen die uns unsere eigenen Lebkuchen für zwei Euro das Stück!«

»KEINER verkauft dir Lebkuchen für zwei Euro das Stück! «

»DIE schon!«

»Wie gesagt: Du bist bekloppt!«

»Und du gehst mir auf den Sack!«

»Noch ein Pint?«

»Klar! «

Kopfschüttelnd trinken wir unser Bier. Ich schau noch mal, ob im Pub nicht doch irgendwo Peter Kloeppel und Alexandra von der Groeben sitzen, mit denen ich über Sport oder Delphine sprechen könnte. Leider ist keiner von beiden da. Als uns gegen Mitternacht das dritte Mal »I can't get no satisfaction« aus den Lautsprechern ent-gegenquäkt, bestellen wir ein Taxi in den Wartesaal. Das ist so 'ne Disco, wo Phil angeblich zwei scharfe Schnecken am Start hat, die er von 'ner Party kennt. Weil ich ein Idiot bin, lade ich Phil auf die Biere ein, obwohl ich ihm gerade Kohle geliehen habe. Der irische Knubbel gibt uns noch einen Whiskey aus, dann rasen wir in Richtung Wartesaal.

DER SAFTSCHUBSER-GENTLEMAN

Phil kennt den Türsteher und kommt so rein. Denke ich zumindest zuerst. Als ich auf meinen Zwanziger nur ein müdes Lächeln zurückbekomme, wird mir klar, dass ich für ihn mitgezahlt habe. Gerissenes Arschloch! Wenigstens ist drinnen schon echt was los. Irgendein verpickelter »Resident DJ« mit Berlin-Mitte-Hornbrille nervt mich mit Vocal House, das stumpfe Fußvolk findet's natürlich galaktisch. Ich bahne mir den Weg zur Bar, denn schließlich will ich mir ja die Birne wegballern, und was ich in mein Sorgenbuch geschrieben habe, das ziehe ich auch durch. Haribo-Phil hat die versprochenen Partyschnecken schon gefunden. Die Größere von beiden sieht tatsächlich nach Party aus, die Kleinere wie 'ne Schnecke.

»Petra, das ist Simon! Simon – Petra!«, stellt uns Phil vor.

»Hi!«, sage ich zum Partymädchen, und zur Schnecke das Gleiche.

»Hi!«, sagt die Schnecke. Partymädchen Katja sagt nichts. Mit ihrem leicht chemischen Blick und ihrem schwarzen Pagenkopf erinnert sie mich schwer an die durchgeknallte Gangsterbraut Mia aus Pulp Fiction.

Als kleine Starthilfe fürs Gespräch ergänzt Phil: »Petra und Katja sind bei der Lufthansa. Simon ist Kundenberater im T-Punkt und verurteilt die Kuba-Politik der US-Regierung auf das Schärfste!«

Ich werfe Phil einen bitterbösen Blick zu. Vielen Dank. Was glaubt der Vollidiot, was so eine Partyschnecke darauf sagt?

Oh ... du bist also in Bezug auf die US-Außenpolitik tendenziell gegen die Sichtweise der Republikaner? Das ist ja sooo sexy! Darf ich mit dir schlafen?

Katja, also die, die nach Party aussieht und nicht nach Schnecke, belässt es bei einem kurzen Lächeln und wendet sich dann demonstrativ ab. Es ist wie immer. Der Schuss ist 'ne arrogante Kuh. Schade. Ihr enges T-Shirt und der unverschämte Stringtanga, den sie aus ihrer schwarzen Kunststoffhose fast bis zu den Schultern hochgezogen hat, deuten nicht gerade auf »keinen Sex vor der Ehe« hin. Ich überlege, mit welchem Killer-Satz ich meine Konversation starten könnte. Phil reicht uns mit gönnerhaftem Blick eine Runde Wodka Red Bull, die er mit meiner Kohle bezahlt hat. Dabei tut er in jeder Sekunde so, als hätte er gerade den gesamten Club gekauft. Ich weiß nicht, ob ich's schon erwähnt habe: Ich mag ihn nicht. Ich werfe meinen Strohhalm hinter mich, weil ich finde, dass Strohhalme was für Schwuchteln sind. Dann brülle ich der Pulp-Fiction-Gangsterbraut ins Ohr:

»Fliegst du Kurz- oder Langstrecke?«

»Langstrecke!«, gähnt sie mir entgegen und bringt es dabei fertig, mich nicht mal anzuschauen. Langstrecke! Die sollen total versaut sein, hat mir Phil erzählt, und der muss es wissen, so viel Pornos, wie der schaut. Also dranbleiben!

»Und wohin fliegst du so?«, will ich wissen.

»Staaten! «

Auweia!

»Würde es dein Sprachzentrum überfordern, mir einen ganzen Satz zu basteln?«

Mein kleiner Witz wird mit einem absichtlich schlecht gespielten Hollywood-Zahncremelächeln und sofortigem Abwenden belohnt. Im Augenwinkel sehe ich Phil, der mir mit erhobenem Daumen zuzwinkert. Mit der anderen Hand fummelt er einer dümmlich grinsenden Blondine am kleinen Schwarzen. Wie ich ihn hasse! Keine fünf Minuten hier und hat schon wieder die Nächste klargemacht. Ich leere meinen Drink und wende mich wieder meinen Luftfahrt-Hasen zu:

»Ich flieg ja morgen mit Air Berlin auf die Kanaren!«

»Und ... haste schon gepackt?«, fragt mich die Gangsterbraut.

»Nee!«, sage ich, und dann schauen wir wieder in unterschiedliche Richtungen. Man kann nicht gerade behaupten, dass wir auf der gleichen Wellenlänge unterwegs wären. Dazu manifestiert sich bei mir ein passabler Themen-Blackout.

»Haste gewusst«, frage ich, »die Innere Kanalstraße wird für zwei Wochen einspurig!«

»Echt?«

»Wenn ich's dir sage!«

»Na, dann wird's wohl 'ne Menge Stau geben!«

»Davon kannste ausgehen!«

»Zum Glück muss ich da nie lang!«

»Ich auch nicht ...«

Ich könnte mich mit dem Fuß an ein Taxi binden und mir bis Köln-Porz ein schönes Asphalt-Peeling verpassen lassen vor Wut. Was erzähl ich denn da für einen Müll, bitte schön? Ich muss zum Angriff übergehen, Risikobereitschaft zeigen und Witz! Und das Ganze am besten zur gleichen Zeit!

Ich stupse das Partymädchen an der Schulter.

»Was mich ja mal tierisch interessieren würde ...«

»Ja ...?«

»... wie viele Bonusmeilen kriegt man eigentlich, wenn man eine Stewardess vögelt?«

Ich wasche mir gerade den Langstrecken-Wodka-Red-Bull aus meinen Haaren, als ein breit grinsender Haribo-Phil die Tür zu den Toiletten aufstößt.

»Mensch, Simon. Du hast aber auch 'n Lauf heute, oder? Haste Kuba angesprochen, oder was?«

»Verpiss dich!«

»Hast du noch Geld dabei, ich hab irgendwie schon alles ...«

»Verpiss dich, hab ich gesagt!«

Phil tut mir den Gefallen. Ein paar Sekunden später folge ich ihm in den Club, gehe aber an eine andere Bar und bestelle mir einen doppelten irischen Treppenschmeißer namens Tullamore Dew. Die Eiswürfel lasse ich auf den Boden fallen, weil neben Strohhalmen auch Eiswürfel was für Schwuchteln sind. Dann bestelle ich mir noch einen Whiskey und noch einen. Je mehr ich von dem Zeug trinke, desto weniger brennt es. Das haben die schlau hingekriegt, die Iren. Ich quatsche jedes weibliche Wesen an, das sich mir auf zehn Meter nähert. Eine Frau mache ich zweimal mit dem gleichen Spruch an, was sogar besoffen peinlich ist.

Nach einer Weile bemerke ich, dass das von mir präferierte Geschlecht eine Art Bannmeile um meine Person gezogen hat. Irgendwas läuft hier falsch. Hab ich keinen Respekt vor Frauen oder die keinen vor mir? Oder beides? Ich kann machen, was ich will: Ich krieg zwischengeschlechtlich einfach kein Bein auf den Boden. Ich frage mich, was es ist, das mich bei den Frauen so abblitzen lässt.

Im Grunde genommen finde ich mich nämlich klasse. Gut, vielleicht bin ich ein bisschen zu dünn und blass, aber Muskeln baue ich ja gerade auf durch mein eisenhartes Training, und sonst – also sonst finde ich mich völlig in Ordnung, fast sogar einen Tacken über dem Durchschnitt. Da laufen ganz andere Quarkgesichter mit Superschüssen rum.

Als ich mir den vierten Tullamore Dew in den Rachen kippe, fällt mir wieder ein, was meinen Erfolg bei Frauen bremsen könnte: Es ist die Singlephase vier, bestehend aus purer Verzweiflung in Verbindung mit einem stetig bröckelnden Selbstbewusstsein. Das Schlimme daran ist, dass es sich um einen Teufelskreis handelt: Je größer das Bedau-ern, desto geringer die Möglichkeiten, und je geringer die Möglichkeiten, desto größer das Bedauern. Die Lösung laut Sorgenbuch: sich gut fühlen, entspannen, positiv denken! Und natürlich: sich zuschütten, denn das hilft dabei. Ich bestelle mir einen fünften Tullamore Dew und schiele in die Menge wie ein einäugiger Papagei durch Milchglas. Alarm! Bekannte Gesichter nähern sich!

»Daaaaaa bist du!«

Es ist Phil, die beiden Fluggastfahrhelferinnen im Gepäck.

»Brauchte mal 'ne Auszeit!«, red ich mich raus und meide jeden Augenkontakt. Und dann geschehen zwei unglaubliche Dinge: Phil bestellt auf SEINE Rechnung eine Runde Wodka Red Bull, und Gangsterkatja mit dem frechen String entschuldigt sich bei MIR wegen der Aktion mit dem Drink. Eigentlich wäre mein Bonusmeilen-Spruch ja wirklich lustig gewesen, aber dann dürfte man sich das als Dame ja auch nicht gefallen lassen und bla, bla, bla ...

Man kann sagen, dass ich auftaue und versuche, das verloren gegangene Langstreckenterrain wieder gutzumachen. Ich erzähle Gangsterkatja, dass ich sowieso nicht mehr lange beim T-Punkt arbeite, weil ich mich bald selbständig mache mit so einer Internetsache und dann eine Schweinekohle verdiene und sowieso nicht mehr in Köln wohne, sondern in der Karibik, und dass ich ihr mein Geschäftsmodell gerne mal erklären könnte. Ich stelle ein paar dämliche Fragen über die gefährliche Strahlung auf Langstre-ckenflügen und was das Spannendste sei, was ihr jemals passiert sei auf so einem Flug. Sie sagt, das Spannendste sei ein besoffener Passagier gewesen, der durchgedreht ist, als sie ihn beim Rauchen auf dem Klo erwischt hat, und ihr eine gescheuert hat. Ich bin ein bisschen enttäuscht.

»Aber es war doch bestimmt ein Terrorist, der da geraucht hat!«, vermute ich.

»Nein, ein ganz normaler Passagier!«

»Aus Saudi-Arabien!«

»Nein, aus Schweden!«

»Mhhh ...«

Phil schmeißt eine weitere Runde, und langsam wird es ansatzweise lustig in unserer Vierertruppe. Na also, warum nicht gleich. Wir rauchen und wir trinken und wir lachen, und irgendwie entspanne ich mich wieder und spüre, dass der Zeitpunkt für einen weiteren Angriff gekommen ist. Denn: Katja hält ihren Kopf schief, während sie mich anschaut. In irgendeinem Körpersprachebuch hab ich mal gelesen, dass sie mich dann echt klasse findet. Ich muss loslegen, bevor ich total blau bin! Ganz wichtig beim Angriff ist es, mit viel Gespür und Takt vorzugehen, immerhin hält sich meine baldige Sexpartnerin nach eigener Aussage für eine Dame. Also frage ich höflich und sanft:

»Hast du jemals auf so einem Flugzeugklo gevögelt?«

Diesmal bewegt sich ihr Drink nicht in meine Richtung. »Sag ich dir nicht!«

Dingdong, ich hab sie!

»Also ja!«, lege ich nach. Sie schaut auf den Boden. »>Sag ich dir nicht< heißt nicht ja!«

»Heißt aber auch nicht nein, offenbar!«

»Mann. Okay ... gevögelt nicht, aber ... ich hatte Oralverkehr.«

Es ist erschreckend, was man von Frauen erfährt, die ein paar Drinks hatten!

»DU hattest Oralverkehr oder ER?«

»Eigentlich ... eher SIE ...«

Verlegen drückt sie ihre längst erloschene Kippe in den Aschenbecher und blickt mich mit ihrem chemischen Blick erwartungsvoll an. Mit einem weltmännischen Lächeln überspiele ich die Tatsache, dass es mir gerade den Boden unter den neuesten Sportschuhen wegzieht.

»Ah, du bist bi!«, lache ich. »Sag das doch!«

Sie ist endlich fertig mit ihrer Kippe. Genickt hat sie trotzdem nicht.

»Du bist ... 'ne Lesbe?«

Jetzt nickt sie.

»Und deine Freundin, ich meine, ist das DEINE Freundin?«, stammle ich.

»Jetzt komm aber, das sieht man doch!«, lacht sie. Ich packe Haribo-Phil am Kragen, ziehe ihn zu mir ran und schüttel ihn ordentlich durch.

»Du Penner hast uns zwei Lesben angeschleppt!«

»Spinnst du?«

Ich brauche nicht zu antworten, denn Pulp-Katja kriegt inzwischen kaum noch Luft vor Lachen. Ich überlege kurz, ihr meinen Drink in den Ausschnitt zu schütten, lasse es dann aber. Ich kapiere blitzschnell. Was für 'ne beknackte, billige Nummer, und ich falle drauf rein! Ausgerechnet ich! Pulp-Katja streicht mir versöhnlich über den Rücken.

»Jetzt komm schon ... eins zu eins! Wer solche Sprüche bringt, den kann man auch mal verscheißern!«

Ich finde nicht, dass man jemanden, der so großartige Sprüche bringt wie ich, verscheißern kann. Ich finde vielmehr, dass man so jemandem einen Bambi, einen Oscar und den Nobelpreis verleihen und in jeder Scheiß-Großstadt Statuen mit seinem Namen aufstellen sollte und überhaupt! Ich bekomme einen Versöhnungsdrink und nippe dran wie Hanswurst auf Valium. Die können mich echt alle am Arsch lecken.

Gegen vier Uhr morgens macht Phil den sensationellen Vorschlag, dass wir jetzt alle noch zu mir fahren und schön einen kiffen. Das muss man sich mal reintun. ER lädt alle zu MIR ein!

»Ich hab nix zu kiffen«, wehre ich mich.

»Haste wohl!«, entgegnet Phil.

»Woher willst du das denn wissen?«

»Weil ich das letzte Mal was versteckt habe, als wir bei dir waren!«

»Du hast WAS?«

»Ich hab ein Piece versteckt, unter deiner Couch!«

»Warum versteckst du denn Drogen in meiner Wohnung?«

»Weil du sie sonst wegrauchst, du Pfeife!«

Die Stewardessen giggeln und verfolgen unser Gespräch wie ein Wimbledon-Endspiel von der Seitentribüne. Ich kann immer noch nicht fassen, dass Phil in meiner Wohnung Stoff bunkert.

»Versteck den Scheiß doch bei dir!«, bölke ich ihn an.

»Sorry, Simon, aber das ist mir zu gefährlich, da bin ich ganz spießig!«

»Ich hasse dich!«

»Sehr gerne!«

Wir bekommen Applaus. Spiel, Satz und Sieg Phil Arschloch Konrad. Trotz der beeindruckenden Schlange am Taxistand machen wir ratzfatz einen Wagen klar, indem ich eine Ohnmacht simuliere und die Luftfahrt-Schnecken laut »Krankenhaus« rufen. Ich frage mich kurz, warum eigentlich ICH immer den Ohnmächtigen spiele und Phil nie, lege den negativen Gedanken dann aber ins Handschuhfach des Funkmietwagens. Du bist, was du denkst, heißt es in meinem Sorgenbuch, also denke ich positiv. Man muss immer und jederzeit positiv denken! Immerhin fahren wir mit zwei Eins-a-Frauen in meine Wohnung. Und: Die Innere Kanalstraße ist noch immer zweispurig! Und: Ich bin am Leben! Ich hatte schlimmere Samstagabende. Zum Beispiel, als ich mit meinem Kumpel Flik im Dorint bis fünf Uhr gewartet habe, dass uns Nutten ansprechen. Oder der Spieleabend bei Karim und Beata. Nein, das hier geht wirklich, und es geht vor allem, weil noch was gehen kann! Zwei Stewardessen in der Wohnung. Und dann noch von einer namhaften Airline! Nicht so Billigflieger-Tussen, die irgendwann wegen illegaler Preisabsprachen vor den europäischen Gerichtshof gezerrt werden. Neiiiin: Qualitätsstewardessen von der deutschen Lufthansa! Wie mein scharfer Pulp-Hase wohl in so einer Uniform aussieht?

Mit Milch und Zucker?

Sehr gerne. Ach ja, eine Bitte hätte ich: Dürfte ich mal eben meine Zunge in Ihren Hals stecken?

Wir hätten hier auch noch 69 oder 'ne schnelle Nummer mit der Hand...

Dann lieber die 69, aber nur, wenn's kein Problem ist! Natürlich nicht, ich muss nur noch schnell den Bordshop machen.

Gut, dann warte ich eben ...

»Was plapperst du denn da für eine Scheiße?«, krakeelt Phil von der Rückbank. Mist — ich sollte echt aufhören, so laut zu denken, wenn ich besoffen bin.

»Nix! «

Oh! Wir sind bei mir!

Phil tastet die Unterseite meiner Couch ab und zieht stolz ein kleines Plastiktütchen raus, was offenbar mit einem Klebeband daran befestigt war.

»Haste Papier?«

»Am Altpapier-Container.«

»Arschloch! «

»Selber!«

Das Praktische an Phil ist, dass man sich um nix kümmern muss, wenn er zu Besuch ist. Er weiß, wo alles steht, nimmt sich, was er will, und nervt nicht lange mit irgendwelchem Höflichkeitsmist. Die beiden Mädels schlürfen inzwischen an einem Dreißig-Euro-Champagner, den ich nicht rechtzeitig vor Phil versteckt habe. Auch meine CD-Sammlung ist außen vor, weil Mr. Ich-glaub-heute-Abend-geht-was seine eigene, illegal gesaugte Trancekacke eingelegt hat und sich einen Dreck um die Nachbarn kümmert, was die Lautstärke angeht. Im Bayerischen Fernsehen kommt Spacenight, meine Lieblingssendung, weil sie die extra für Leute produziert haben, die um die Zeit dermaßen die Lampe an haben, dass sie nur noch Dinge wahrnehmen, die so groß sind wie ganze Kontinente. Kommt gut auf meinem riesigen Flachbildschirm.

»Sag mal, wie kannste dir das denn alles leisten, so als T-Punkt-Angestellter?« Katja steht mit ihrem Moet & Chandon in der Mitte des Raumes und scannt die Preise meiner Einrichtungsgegenstände inklusive Plasmafernseher.

»Sagt dir der Begriff Konsumschulden irgendetwas?«

»Konsumschulden? Das ist hier alles auf Pump, oder was ?«

»Klar! Alles, was du hier siehst! Mir gehört quasi nix! Den Plasmafernseher zum Beispiel, den zahl ich noch vier Jahre ab, wenn ich's überhaupt schaffe. Wahrscheinlicher ist, dass sie mir noch heute Nacht die Couch unterm Arsch wegpfänden! «

»So ein Quatsch!«, lacht Pulp-Katja und nimmt einen Schluck Champagner.

»Wenn ich's dir doch sage!«

Es hat doch tatsächlich schon wieder geklappt. Ich sollte ein Buch schreiben und reich werden: Full Frontal Truth — Lügen mit der Wahrheit. Sensationelle Rhetoriktipps von Dr. Simon Peters.

Die russische Raumstation schwebt gerade an Europa vorbei, als Phil mein Sorgenbuch auf meinem neuen Single-Sessel entdeckt und es hämisch grinsend präsentiert.

»Sorge dich nicht, lebe? Von Dale Carnegie?«

Verdammt! Ich dachte, ich hätte das Ding weggeräumt. Peinlich, vor allem wegen meiner persönlichen Einträge. Irgendwo beim Thema »Mittelfristige Ziele« steht, glaube ich, sogar »Phil mal so richtig die Fresse polieren«.

»Da schauen wir doch mal rein!«, freut sich ebendieser.

Ich springe auf und entreiße ihm das Buch, kurz bevor er's aufschlagen kann. »Da schauen wir NICHT rein! Das lässt du schön da liegen, du Penner!« So weit käme es noch.

»Über was machste dir denn Sorgen, Simon?«

»Dass du's nicht überlebst, wenn ich dich gleich verdresche!«

»Okay ... schon verstanden. Keine Fragen mehr! Der Sessel ist nicht schlecht, übrigens, haste neu?«

»30 C«, sage ich.

»Wie? 30 C?«, fragt Phil.

»Der stand im Regal 30 C. Im Ikea-Mitnahmelager. Von da muss man den selber abholen!« Phil nimmt einen Schluck Champagner aus der Flasche und reicht sie zu seiner Schnecke weiter. »Was merkst du dir denn so 'n Scheiß überhaupt? Die Regalnummer hätte ich längst wieder vergessen!«

»Leck mich!«

Phil winkt mit großer Geste ab, die man nur macht, wenn man entweder Stummfilmschauspieler ist oder besoffen und breit. Oder aber ein besoffener Stummfilmschauspieler. Ich bekomme den Joint gereicht und nehme trotzig einen viel zu tiefen ersten Zug. Dann renne ich hustend aufs Klo. Und wo ich schon mal da bin, lasse ich mir bei der Gelegenheit auch gleich noch den gesamten Abend durch den Kopf gehen.

Als ich wieder halbwegs klar bin, putze ich das Klo und meine Zähne und werfe einen schielenden Blick in den Spiegel. Hut ab, ich seh ganz schön scheiße aus. Ich knipse das Licht aus und schleiche zurück ins Wohnzimmer. Im Fernsehen zeigen sie, wie die Kosmonauten an Bord der MIR einen riesigen, schwerelosen Wodkatropfen mit dem Mund fangen und dazu blöd in die Kamera winken. Ich mag keine Russen, und wenn sie noch so schwerelos sind. Schweden find ich gut. Oder Spanier. Komisch. Eigentlich finde ich alle S-Länder klasse.

Phil hat sich inzwischen mit dem kraushaarigen Schneckenmädchen auf den Boden gesetzt und haucht ihr giggelnd irgendwelchen Mist ins Ohr. Mein Luftfahrthase starrt mit halb geöffneten Augen auf die Kosmonauten und nickt lediglich, als ich den Raum betrete. Ich muss mich selbst erst kurz sammeln, um mir klarzumachen, warum diese seltsamen Menschen in meiner Wohnung sind und nicht bei sich zu Hause. Ich lasse mich neben Pulp-Katja auf die Couch fallen, was sie wieder ein wenig aufweckt.

»Wieder dahahaaa!«

»Warste weg?«

Witzig! Ich sollte den Abend beenden. Gerade als ich mir so zurechtlege, wie ich den hier anwesenden Zeit- und Schlafdieben verklickere, dass die Party jetzt vorbei ist, spüre ich, wie mir eine Frauenhand sanft durchs Haar fährt. Das ist schön, denke ich mir. Das ist sogar sehr schön. Leider ist die Hand recht fix wieder weg.

»Biste müde?«, fragt die Frau, der die Hand gehört.

»Ach was«, antworte ich, wie aus der Pistole geschossen und setze mich ein wenig näher zu ihr. Ich muss jetzt auf jeden Fall den Faden aufnehmen und ein Gespräch starten. Ich konzentriere mich und sage:

»Du siehst aus wie Uma Thurman in Pulp Fiction!«

»Echt? Das hör ich zum ersten Mal!«

»Echt?«

»Nein! Eigentlich hör ich's dauernd! Hier! Neue Tüte!«

Wer hat die denn gebaut? Egal. Ich nehme noch einen Zug. Und noch einen. Dann, das kann ich spüren, ist die Zeit reif für das eine oder andere Kompliment.

»Weißt du ...«, setze ich an, »das hat dir vielleicht noch keiner gesagt, aber ... ich finde, trotz der Ähnlichkeit jetzt zu dieser Uma Thurman in Pulp Fiction, also trotzdem siehst du ... na ja ... du siehst aus wie du!«

Ich schaue in zwei fragende Augen.

»Ich sehe aus wie ich?«

»Exakt! «

»Das ist, glaube ich, das schönste Kompliment, das ich jemals bekommen habe!«

Das saß!

»Das freut mich!«, sage ich stolz, gebe die Tüte zurück und pirsche mich ein weiteres Stückchen näher an meine Stewardess. Jeder Zentimeter, davon bin ich überzeugt, wird mit wertvollen Bonusmeilen belohnt, die ich dann am Ende des Abends gegen tolle Prämien wie Oralverkehr oder außergewöhnliche Stellungen eintauschen kann. Inzwischen sitze ich schon fast auf ihr, na ja, jedenfalls berühren sich unsere Beine. Wenn das kein Upgrade bedeutet!

Doch leider zeigt sich Uma Thurman unbeeindruckt ob meines beeindruckenden territorialen Zugewinns und zieht einfach nur am Joint. Auch gut. Soll die sich mal schön einen wegziehen, ich werde ohnehin jeden Anflug von Kontrollverlust ausnutzen. Phil labert immer noch auf sein schneckiges Kraushaarpummelchen ein, während diese meine CD-Hüllen durchschaut. Herrlich! Alles fällt Mr. Superphil wohl auch nicht in den Schoß. Pulp-Katja reicht den Joint weiter an die Schnecke, die mit einer albernen »Nein danke, keine Drogen«-Geste á la Jürgen Fliege ablehnt. Ha! Sie bleibt clean. Das wird schwer für Phil. Der Abend dreht sich! Das Bayerische Fernsehen gönnt Deutschlands Partyheimkehrern inzwischen einen Blick über Neuseeland. Für die völlig Zugekifften blenden sie »Neuseeland« in stadtbusgroßen Lettern ein.

Kawumm!

Die Droge erwischt mich plötzlich und von hinten. Eine unsichtbare Kreatur hängt mir Blei an die Beine, eine andere stopft mir Zuckerwatte in die Ohren. Alles ist dumpf und stumpf, und ich kann mich kaum rühren. Eine Sekunde darauf habe ich panische Angst, dass die Lautsprecherboxen ihre Membranen auf mich schießen und mich in die Couch nageln. Dürfen die das? Wo ist denn Pfarrer Fliege, wenn man ihn mal braucht?

»Phil ... drehste mal die Boxen weg?«, würde ich gerne rufen, doch irgendwie kriege ich meinen Mund nicht auf. Mit großer Mühe zerre ich mich selbst hoch und drehe die Boxen zur Seite. Sie sind schwer wie Beton. Dann lasse ich mich wieder auf die Couch fallen. Pulp-Katja beobachtet mich, sagt aber selbst keinen Ton. Als sich meine Paranoia wieder ein wenig gelegt hat, fällt mir ein, dass die Boxen ihre Membranen bestimmt auch in einer Kurve auf mich schießen könnten, wenn sie das denn wollten. Vielleicht kann ich mich ja vorher in ein S-Land absetzen! Wie in Trance stehe ich wieder auf, öffne das Fenster und atme mehrmals tief ein. Die frische Luft lässt mich ein Stück weit runterkommen. Gerade als ich das Fenster wieder schließe, höre ich, wie meine Gangsterbraut mit mir spricht. Ich verstehe nicht alles, aber immerhin die Satzfetzen letzte Bahn weg und jetzt zu weit. Herzlichen Glückwunsch, Herr Peters. Ihre Geduld hat sich ausgezahlt! Das Publikum in der ausverkauften Kölnarena tobt, als ich mich mit meiner Trophäe für die geschickteste Anmache des Jahres verbeuge und zu meiner Dankesrede ansetze.

Danke. Danke. Vielen Dank! Das ist der schönste Augenblick in meinem Leben. Danke. Ich weiß, das sah jetzt alles sehr leicht aus, aber es steckt auch viel Arbeit dahinter. Und ohne mein Team wäre ich so weit gar nicht gekommen. Danke also auch an Phil!

»Ist das okay für dich, wenn ich hier bleibe?«, reißt mich Katja aus meiner Rede.

»Klar, kein Problem! Jetzt gleich? Ich hab Gummis!«

»ÜBERNACHTEN! Nicht vögeln!«

Ich lehne diesen lächerlichen Preis ab, meine Damen und Herren. Einen schönen Abend noch! Das Publikum buht. Ich muss offenbar noch ein paar Dinge klarstellen, bevor ich von der Bühne gehe: Was ist das für eine Welt, meine Damen und Herren, in der es Frauen noch immer wagen, einsamen Männern mit falschen Signalen das Leben schwer zu machen? Man kann nicht einfach in einem schönen Kleidchen durch die Welt laufen mit einem »Küss mich«-Blick hierhin und einem »Leg mich flach«-Augenaufschlag dorthin! Jedenfalls nicht, und ich denke, da werden mir auch die aufgetakelten Make-up-Schleudern hier in der ersten Reihe zustimmen – nicht, wenn man es nicht so meint. Welchen Grund, außer Sex, gibt es denn zum Beispiel, einen Typen, den man besoffen in einem Club kennen gelernt hat, in dessen Wohnung zu begleiten? Den Besteckkasten sortieren? Klarspüler in die Spülmaschine geben? Das Gefrierfach abtauen? Wohl kaum! Ich sehe, Sie haben verstanden.

Die Mehrheit des Publikums belohnt mich mit Applaus. Einige unverbesserliche Feministinnen pfeifen aber immer noch.

»Nur übernachten, klar. War nur 'n Spaß!«, sage ich zu Pulp-Katja.

»Na hoffentlich!«

Ich verwerfe meine Paarungspläne fürs Erste, denn wenn die Lady sowieso gleich in meiner Kiste liegt, hab ich noch eine reelle Chance auf mehr. Nur jetzt muss ich wohl oder übel so tun, als sei alles schrecklich logisch, locker und freundschaftlich. Ich schalte von der Spacenight auf einen Shoppingsender. Dort verkauft ein total überdrehter, bärtiger Typ mit amerikanischem Akzent gerade einen fernsteuerbaren Modellhubschrauber in Tarnfarben. Geil! So was wollte ich schon immer haben! Meine übernachtungsbereite Stewardess gibt mir einen überraschenden Kuss auf die Backe.

»Ich mach mich jetzt doch mal fertig. Wo is 'n dein Schlafzimmer?«

»Gang und rechts, direkt nach der Economy!«, sage ich.

»Hahaha!«, antwortet sie, findet es aber nicht wirklich komisch. Dafür ist der Hubschrauber der Hammer! Der bärtige Amerikaner sagt, der ginge ab wie Schmidts Katze und außerdem gäbe es jetzt nur noch 34 Stück. Ich hab keine Ahnung, wie schnell Schmidts Katze ist, aber vermutlich ziemlich schnell. Was man mit so einem Hubschrauber al-les machen könnte? Man könnte eine Funkkamera ranbauen und dann über die Freiluftbereiche von Saunen fliegen! Oder man kann Sachen abwerfen auf Leute, die man nicht mag. Sensationell! Muss ich haben. Ich will wissen, was Phil davon hält.

»Phil? Da is 'n ... da ...«

Der Penner liegt inzwischen knutschend über der Schnecke. Sehr zu bezweifeln, dass er noch irgendetwas mitbekommt. Dafür liegt sein Portemonnaie auf dem Tisch. Ich klappe es auf, und mir fällt die Kinnlade runter. Der Wichser hat 'ne goldene Mastercard! Und pumpt MICH an! Mich, der achttausend Miese auf seinem Giro hat! Ich schreib die Kreditkartennummer und das Verfallsdatum auf meine Kippenschachtel, greife nach meinem Handy und wähle die Shopping-Nummer.

»Morgen ... Phil Konrad hier ... Ich würde gern den Kampfhub-schrauber bestellen, der gerade bei euch rumfliegt. Kann man mit dem auch Sachen abwerfen? Echt? Geil. Jaja ... klar ... neee, Mastercard, ja...«

Ein Weltklasse-Sender! Binnen drei Minuten hab ich das Ding bestellt. Und weil ich gerade dabei bin, bestelle ich auch noch das Chuck-Norris-Total-Gym und ein siebenteiliges Messerset. Als ich auflege, hat der Schneckenschänder inzwischen seine Hand unter dem Slip, was mich dran erinnert, dass auch in meinem Bett eine scharfe Stewardess liegt und nach schmutzigem Sex mit mir lechzt. Ich putze anstandshalber meine Zähne und schleiche ins Schlafzimmer. Ich weiß gar nicht, warum ich alles so leise tue, denn schließlich beachtet mich sowieso keine Sau. Auch das Zähneputzen wäre nicht nötig gewesen. Denn: Der Pulphase liegt in meinem Al-Bundy-University-T-Shirt in der Mitte des Bettes und schläft wie ein Stein. Und jetzt? Ich stoße ein paar Mal absichtlich laut gegen den Tisch und sage Dinge wie: »Mensch, wo ist denn jetzt noch mal das Kopfkissen?«

Nix! Schläft sogar wie ein schwerer Stein.

Dann sage ich das mit dem Kopfkissen noch einmal lauter und schließlich sehr, sehr laut. Immer noch nichts. Schläft wie ein Granitblock! Dass ich inzwischen sehr eindeutige Geräusche aus dem Wohnzimmer höre, macht es mir nicht wirklich leichter. Hat meine Wohnung wenigstens auch mal wieder Sex. So eine Scheiße! Ich mache das Licht aus, lege eine Decke über Pulp-Katja und mich selbst auf die vierzig Zentimeter, die sie mir frei gelassen hat. Toll! Ich bekomme also nicht nur keinen Sex, ich muss auch noch Economy übernachten. Aber was soll's! Ich ruckel mich ein wenig an sie ran und flüstere ihr ein zärtliches »Gute Nacht« ins Ohr, gefolgt von einem »und träum irgend'ne Scheiße mit hässlichen Monstern, bei der du höllische Angst bekommst und schweißgebadet aufwachst«!

Dann drehe ich mich wieder auf meinen Übernachtungsstreifen und schiele auf den Wecker. Es ist kurz vor vier. Ich könnte meinen Kollegen Flik anrufen, mich wieder mit ihm ins Dorint setzen und warten, bis uns Nutten ansprechen. Dann aber denke ich an Dale Carnegies »Du bist, was du denkst!« und verwerfe die Idee. Denk positiv, Simon! Das Mädchen neben dir vertraut dir, denn sie schläft halb nackt im Bett eines fremden Typen. Also: Ist es nicht toll, ein echter Gentleman zu sein?

Irgendwas stöhnt aus dem Wohnzimmer.

Nein! Es ist nicht toll, ein Gentleman zu sein. Eine Mischung aus Neid und blankem Hass steigt mir bis in die Haarwurzeln. Als wäre dies alles nicht schlimm genug, taucht vor meinem inneren Auge ein baumhohes Regal mit der Aufschrift 30 C auf. Dieser dumme Zwerg! Er hätte die Regalnummer aufschreiben müssen! Ich drehe mich nach links und nach rechts, nach oben und nach unten. Irgendwann höre ich ein Kichern, und dann schlägt die Wohnungstür zu. Ich knipse das Licht wieder an und packe meinen Koffer für den Urlaub.

DAS KATZENMÄDCHEN

»Bist du total bekloppt? Du kannst doch nicht einfach so weit raussegeln!«, staucht mich das sensationellste Blond des Ferienclubs zusammen und wirft mir ein Seil zu.

»Hier! Fang! Ich zieh dich zum Boot!«

Wie lange ich schon hilflos im Atlantik herumpaddele, weiß ich nicht. Ebenso wenig, wie oft ich versucht habe, wieder auf mein Surfbrett zu kommen, um mein tonnenschweres Segel aufzurichten. Ich weiß nur, dass der Strand sich immer weiter entfernt hat. Trotzdem war ich irgendwie froh, als sich mit einem sonoren Yamaha-Außenborder-Brummen ausgerechnet die schärfste Animateurin des Clubs genähert hat. In ihrem schwarzen Wetsuit sieht sie aus wie ein Bond-Girl. Leider habe ich keine Lizenz zum Vögeln, sondern nur zum Schnauzehalten und Gerettetwerden. Ich kralle mich an mein Schulungs-Surfbrett und halte ausnahmsweise mal die Klappe.

»Das Seil nehmen, nicht rumgucken!«

Wer denkt, dass einen alle Ferienclub-Animateurinnen ständig nur anlächeln, der irrt. Einige schreien einen auch an. Besonders die in den hautengen Surfanzügen!

»Wir haben doch gesagt, dass ihr nicht so weit raussegeln sollt!«

Mann, ist die sauer!

»Ich bin nicht gesegelt, ich bin abgetrieben!«, rechtfertige ich mich und ziehe mich am Seil in Richtung Boot. Dabei schaue ich ein bisschen so wie ein japanischer Kugelfisch kurz vor dem Servieren. Nicht, dass ich schon mal so einen Fisch kurz vor dem Servieren gesehen hätte, aber ich bin mir relativ sicher, dass er so gucken würde wie ich.

»Komm ins Boot!«, faucht mein Bond-Girl. Als ich, überhaupt nicht agentenlike mit einer akrobatischen Balancenummer vom Surfbrett ins Schlauchboot taumle und dabei fast wieder ins Wasser falle, meine ich, Applaus vom Clubstrand vernehmen zu können. Widerwärtiges, ekelhaftes Pauschalpack!

»Danke! Du hast mir das Leben gerettet!«, stammle ich.

»Das ist vielleicht gar nicht sooo falsch. Siehst du die Klippen da drüben?«

»Die hätten schon aufgepasst!«

Statt zu lachen, schmeißt sie den Außenborder an und bringt mich, mein 3,7 Quadratmeter großes Segel und mein Schulungs-Surfbrett zurück an den Strand.

Vorbei an den grölenden Clubgästen ziehen wir das Motorboot über einen Holzsteg hoch zur Wassersport-Station. Die Kommentare der Clubgäste, die sich auf ihren schlecht gewaschenen Clubstrandtüchern ihre quarkfarbenen Großstadtrücken rösten, überhöre ich dabei einfach. Ich will nur noch duschen und mich ein bisschen ausruhen. Denn wenn es nicht mal am letzten Abend klappt, dann weiß ich auch nicht mehr. Ich hab doch keine 899 Euro für eine Woche Single-Club ausgegeben, ohne einen einzigen Pikser gemacht zu haben!

Drei Stunden später sitze ich mit einem hessischen Wertpapierberater an einem kleinen Tisch neben der Tanzfläche. Weil wir auf den Kanaren sind, befindet sich sowohl die Tanzfläche als auch der Tisch im Außenbereich neben dem Pool. Das Teelicht, das auf dem Tisch flackert, ist das Gleiche wie bei mir zu Hause. Irgendwo auf den Kanaren muss es einen Ikea geben. Vorsicht! Zu spät. Da ist es wieder, mein 30 C.

»Tanzt wie 'ne Nutte!«, zischt mein Hesse mit rotem Kopf und bohrt seinen albernen Cocktailschirm durch ein Stück Ananas. Weil auf der Tanzfläche keiner blutüberströmt zusammenklappt, handelt es sich hierbei offenbar nicht um Voodoo. Dennoch: Auch mit rudimentärsten Kenntnissen der menschlichen Psyche lässt sich leicht abschätzen, dass nicht mehr viel fehlt, um meinen bisher so sympathischen Banker in einen kaltblütigen Amokläufer zu verwandeln, der gleich mit einer Maschinenpistole den gesamten Außenbereich der Clubdisco in Schutt und Asche legt. Robinson – Zeit für Gefühle! Wegen der Musik würde ich's noch verstehen. Es läuft Joe Cocker. Joe Cocker ist aber nicht sein Problem. Sein Problem ist die Frau, mit der er seinen Urlaub verbringt.

Ich biete meinem eifersüchtigen Banker eine Zigarette an, um ihn abzulenken.

»Jetzt schau doch mal hin, Simon, wie 'ne Nutte!«

»Hier ... Feuer!«

Statt seine Kippe anzuzünden, schleudert er sie auf die Tanzfläche. Ich finde, dass Kippen auf die Tanzfläche schleudern nicht zu Leuten mit rahmenlosen Designerbrillen und BOSS-Sakkos passt. Außerdem habe ich Angst, dass sein Kopf gleich platzt.

»Jetzt gräbt sie auch noch dieser Ossi an!«

»Das ist mein Tennislehrer!«, informiere ich ihn. »Mir doch wurscht. Ossi is' Ossi!«

Armer Wessi, würde ich eher sagen. Fliegt fast dreitausend Kilometer, um allen zu zeigen, was er für ein toller Hecht ist mit seinem brasilianischen Superschuss, und dann steht er jeden Abend da wie Karl Arsch, nur weil Fräulein Zuckerhut mit jedem Mann flirtet, dessen Kreditkarte noch länger als vier Wochen gültig ist. Hoppla. Da kommt sie auch schon angeschlichen.

»Gregor. Gib mir die Karte!«

Das war, glaube ich, Portugiesisch und heißt so viel wie »Ich liebe dich!«.

Ich kann nicht glauben, dass ein erfolgreicher Investment-Banker seiner Freundin wortlos seine Clubkreditkarte gibt, statt mal eben mit ihr Schluss zu machen und so auf einen Schlag hunderttausend Euro zu sparen.

»Nicht, dass wieder nix drauf ist!«, droht sie ihm und trippelt zurück an die Bar wie Peg Bundy aus Eine schrecklich nette Familie.

Eines muss man sagen: Dieser brasilianische Akzent ist schon geil. Und Figurprobleme sehen auch anders aus. So ist Fräulein Zuckerhut beispielsweise stolze Besitzerin eines 100%igen Salsa-Hinterns. Salsa-Hintern sind die Hölle! Nicht ohne Grund foltert man uns mit derart unverschämten sexuellen Stimuli in jeder verdammten Fern-sehreportage über Südamerika. Bei so einem Salsa-Hintern kann man einfach unmöglich wegzappen! Egal, über was berichtet wird, irgendwelche untervögelten Cutter schneiden immer einen Salsa-Hintern in den Bericht. Südamerika in der Schuldenfalle? Und Schnitt auf Salsa-Hintern! Klebstoff schnüffelnde Straßenkinder in Salvador da Bahia? Schnitt auf Salsa-Hintern! Tankerunglück vor Buenos Aires? Dann muss man doch mal so einen Salsa-Hintern ...

Nur MTV hat die Chuzpe, die Salsa-Hintern grundlos zu zeigen. Diese makellosen, shakiresken Hintern von in Slomo zuckenden Schlafzimmerblick-Stringtanga-Schlampen, die sich Vollmongos wie Jay-Z und Snoop Doggy Dog auf ihre eingeölten BMW-Motorhauben setzen. Oder waren's die Hintern, die eingeölt wurden? Egal ... irgendwie komme ich jedenfalls in die richtige Stimmung. Aber statt eine Frau anzubaggern, sitze ich hier neben einem hyper-ventilierenden Fondsmanager. Ich nehme einen Schluck Beck's aus der Flasche. Vielen Dank noch mal, Phil, für den tollen Tipp mit dem Single-Club, der auch nur deswegen so heißt, weil man garantiert als Single wieder nach Hause fährt. Ich hab das ganze Angebergekläffe noch im Ohr: »Mensch, Simon, da machste jeden Abend 'ne andere klar, ich sag nur, vögeln, bis der Arzt kommt!« Ein Arzt ist tatsächlich mal gekommen – um den Kreislaufkollaps eines 70-Jährigen zu behandeln, der sich im Aquarellkurs mit seinem Pinsel überhoben hat. Das Beste war, dass ich vorgestern per SMS erfahren habe, dass Phil selbst noch gar nicht hier war. Er hat lediglich gehört, dass der Club was für Singles wäre. Was für ein Knallkopf! Scheiß drauf, es ist der letzte Abend, also hab ich nix mehr zu verlieren. Ich bin braun, mir wurde eben das Leben gerettet, und ich fühl mich ansatzweise sexy.

»Hey, Simon! Geile Aktion auf'm Meer heute! Hab gehört, Aneta musste dich reinschleppen, weil du sonst abgesoffen wärst!«

Das war Kommentar Nummer 16, präsentiert von einem badischen Spinninginstructor, der mit drei Bieren an mir vorbeizischt.

»Freut mich, dass es dir gefallen hat!«

Mein hessischer Banker hat sich noch nicht wirklich beruhigt, wie mir ein Seitenblick verrät. Nicht gerade ein toller Typ, muss man sagen. Aber so ist es ja immer: Neureiche, langweilige Milchbrötchenfresse vögelt brasilianischen Salsa-Hintern. Und warum? Drei Buchstaben. SLK! Das Auto, nicht die Lotterie. Von den Kisten hat er angeblich drei. Kann aber auch sein, dass er mir davon nur dreimal erzählt hat.

»Wie 'ne Nutte, Simon! Tanzt wie 'ne Nutte!«

»Brasilianerinnen tanzen halt besser als Hessinnen!«, tröste ich ihn, als er mal wieder kurz vorm Aufspringen und Schlussmachen ist.

»Dafür kosten sie das Zehnfache!«

»Warum tanzt sie eigentlich nicht mit dir?«, will ich wissen.

»Weil ich nicht tanzen kann. Ich bin zu steif.«

»Wer sagt das?«

»Sie.«

»Ach ...«

»Wo steckt eigentlich DEIN Traumbabe?«, grinst er mich an. Ich sage ihm, dass er seine Klappe halten soll, und deute auf den Tennisossi, der gerade sein Bein zwischen den Salsa-Hintern geschoben hat, obwohl das der Song »Lady in Red« von Chris de Burgh gar nicht unbedingt erfordert hätte.

»Och ... der Ossi tanzt aber ganz gut!«, sage ich. Das war's!

»Also jetzt reicht's!«

Noch ehe ich mein hessisches Milchbrötchen zurückhalten kann, springt es auf, wühlt sich durch bunt behemdete Rentner und schüttet seinem Widersacher seine Bacardi-Cola ins Gesicht. Wie entwürdigend! Männer schütten sich keine Longdrinks ins Gesicht. Sie tun das nicht aus dem gleichen Grund, aus dem sie sich nicht zwicken oder kratzen oder Joghurette kaufen. Sie tun es nicht, weil sie Männer sind! Weil Männer sich Mars-Riegel kaufen und sich in die Fresse hauen!

»Du blödes Arschloch!«, keift der Salsa-Hintern und scheuert dem Weichei eine. Und dann muss ich, zusammen mit etwa einhundert weiteren Clubgästen, mit ansehen, wie Fräulein Zuckerhut ihren zappelnden Banker mitsamt Designerbrille am Ohr von der Tanzfläche wegzieht wie einen Hund vom Essenstisch. Das muss man sich mal reintun! Am Ohr! Ich schäme mich für ihn. Und jetzt? Was ist denn jetzt mit mir? Jetzt sitze ich alleine an meinem kleinen kanarischen Kerzenlichttisch. Ein großohriger SAP-Programmierer, den ich gestern beim Tischtennis geschlagen habe, nähert sich mit einem breiten Lächeln. Lieber Gott, mach, dass er sich nicht zu mir setzt!

»Da haben sie dir aber deinen Arsch gerettet heute auf See, oder?«

»Ich tu, was ich kann!«

Er zieht weiter, und ich zünde mir mit meinem letzten Streichholz eine Prince Denmark an. Sekunden darauf geht mit einem bemerkenswerten Sinn für unangebrachte Symbolik die Kerze auf meinem Katzentisch aus. Tja ... das ist dann wohl der Preis meiner elitären Sozialplanung: Einsamkeit. Nur ich und mein kleiner, kerzenloser kanarischer Katzentisch.

Weil es noch relativ früh ist und sich die Clubdisco erst so gegen Mitternacht füllt, hol ich mir noch eine Flasche Beck's an der Bar. Ich beschließe, eine Weile dort abzuhängen und meinen Blick schweifen zu lassen. Und alle sind sie wieder da, wie jeden langweiligen Abend:

Tante »Käthe«, der so ein bisschen aussieht wie Rudi Völler und seit drei Jahrzehnten jeden Februar hier in »seinem Club« Urlaub macht. Eine einzige falsche Frage, »wie das hier früher so war«, und man kann sich den Abend an die Clubmütze stecken. Ein paar Meter weiter stehen die Idioten vom Singletisch. Eine ausgezeichnete Idee der Clubleitung, genau diesen Tisch im Restaurantbereich mit einem großen, von weitem sichtbaren Schild mit der Aufschrift SINGLE-TISCH zu kennzeichnen. Der Single-Tisch, das ist der Tisch, an dem schon dann ein Hauch von guter Laune aufkommt, wenn mal eine Stunde lang keiner geheult hat. Ich saß einen einzigen Abend dabei, und es ist nur der Tatsache zu verdanken, dass der Club keinen Schnupperkurs »Pulsadern aufschneiden« anbietet, dass ich mich nicht vor lauter Melancholie mit einer Großpackung Gilette in die Badewanne gesetzt habe. Die Single-Gespräche laufen da immer nach dem gleichen Muster ab.

>Na, wie lange bist du schon alleine?<

>Seit 'nem knappen Jahr. Und du?<

>Ach ... ich weiß gar nicht mehr ... langsam denke ich schon, ich find nie mehr eine! Ich hab aber auch viel falsch gemacht, glaube ich.<

>Du, ich schau mal zum Strand und ertränke mich!<

>Okay. War nett, dich kennen zu lernen! Ach warte ... ich glaub, ich komme mit!<

Aber wie's immer ist: Alle Verlierertisch-Singles haben sich gefunden. Sogar der erdbeerporige Peter ist seit drei Tagen mit dem Hardcore-Mauerblümchen Flo aus Essen zusammen, und heute Morgen am Wellfit-Buffet hatte ich fast den Eindruck, das Leid der Welt würde nicht mehr ganz so schwer auf den zerbrechlichen Schultern der beiden lasten. Aber was ist mit meinen Schultern? Da stehe ich nun mit Bierchen Nummer vier und warte drauf, vom Clubchef persönlich eine Medaille verliehen zu bekommen mit der Aufschrift »Einsamster Mensch des Clubs«.

Ich trinke noch ein Beck's und noch eines. Als der DJ die Weather Girls mit »It's raining men« auflegt, bestelle ich mir meinen ersten Whiskey. Die Tür des Club-Theaters geht auf, und jede Menge abscheulich gut gelaunte Menschen strömen heraus.

»Sehr gute Show heute!«, verrät mir eine mollige Dame aus Düsseldorf. Sie trägt eine tonnenschwere, diamantbesetzte Brille.

»Was haben sie denn gespielt?«, will ich gar nicht wissen, frage es aber trotzdem.

»Na Cats!«

»Aber das läuft doch schon die ganze Woche!«

»Heute war's besonders gut!«

Ich bestelle einen weiteren Whiskey, als mir das Bond-Girl auf die Schulter tippt. Aneta! Diesmal trägt sie keinen Wetsuit, sondern ein Katzenkostüm. Auch sexy!

»Na? Letzter Abend, was?«, blinzelt sie. Ich versuche, etwas weniger besoffen zu schauen, als ich bin, aber vermutlich seh ich wieder sehr kugelfischig aus.

»Du bist ... du bist ja 'ne Katze! Mein Lebensretter-Kätzchen!«, stammle ich.

Ihr eng anliegendes Katzenkostüm sticht den Wetsuit in Sachen Erotik fast noch aus. Eine Frechheit eigentlich. Eben hatte ich mich hormontechnisch wieder auf Standby gefahren. Jetzt kommt die hier einfach so an und macht mich wieder geil. Sexy Frauen sollten Zirkuszelte tragen und nicht dieses Zeug, das einen so verrückt macht.

»Warum hast du denn so ein Ding da an?«, will ich wissen.

»Na wegen Cats. Das spielen wir doch gerade! Hab eigentlich gedacht, ich seh dich im Publikum!«

»Hab noch an meiner Einkommensteuer gesessen!«

Sinnloses Clubgeblubber. Ich verschwende meine Zeit. Mit Animateuren läuft eh nichts, und wenn sie noch so freundlich sind. Viele vergessen das immer. Die Jungs und Mädels haben ihr Lächeln verkauft an die Zuhälter der Tourismusindustrie. Es ist nicht echt! Und bei Aneta eben auch nicht. Sogar jetzt, wo ich mit ihr spreche, nickt sie anderen Clubgästen zu. Willkommen zum Reality-Check. Prüfung läuft. Ergebnis: Sie haben ... keine Chance. Was mich dann allerdings ganz schön aus der Bahn wirft, ist die Frage:

»Haste Lust, einen Wein zu trinken?«

»Jetzt, hier?«

»Besser auf meinem Balkon. Hier sind mir zu viele Gäste!«

Auf ihrem Balkon? Sie fragt MICH, ob ich zu IHR komme, um einen Wein auf IHREM Balkon zu trinken? Das Bond-Girl? Eben dachte ich noch, ich hätte das System kapiert und dann so was. Dieser Club ist ein einziges, großes Missverständnis. Eine gigantische Pauschal-Truman-Show, angezettelt von der TUI und den Machern der Matrix. Aneta ist Animateurin. Sie hatte eine harte Woche. Sie hat sich versprochen, und jetzt tut es ihr Leid.

»Du lädst mich ein zu dir?«

»Warum denn nich ...?«

Wie kann mir dieses Miststück in zehn Sekunden meine ganze Clubtheorie wegbomben? Wie kann sie mir meine kleine, erbärmliche Abendplanung kaputtlächeln? Warum? Ich gehe auf Nummer Sicher und antworte mit:

»Klar!«

»So in 'ner Stunde? Ich muss noch aus meinen Katzenklamotten raus und duschen!«

Auch das noch. Ich mag gar nicht dran denken. »Wo is'n dein Balkon, äh ... Zimmer?«

»79 B, hinter den Tennisplätzen!«

»Ich bring Wein mit!«

»Super — bis gleich!«

Und weg ist sie. Ich schaue auf den spanischen Barkeeper, um mir bestätigen zu lassen, dass sie das, was sie gerade gesagt hat, wirklich gesagt hat, doch der mixt einfach nur einen Pauschalmojito nach dem anderen.

Aneta! In einer Stunde! Ich bin ansatzweise überfordert. Ich stelle den Whiskey weg und segle mit meiner grün hämmernden Beck's-Birne die geschwungene Stahltreppe runter in die noch halb leere Diskothek. Saiiiiiilllll awayyy ... An der Theke sitzt der Tennisossi, inzwischen ohne Fräulein Zuckerhut, dafür aber mit einem Longdrink. Ein glückliches Gesicht sieht anders aus. Hey hoh — Traumjob Animateur, bezahlen Sie einfach mit Ihren Leberwerten!

»Hey Maik!«

»Simon!«

Ein homöopathisches Lächeln huscht über sein blasses Gesicht.

»Gibst du mir 'n Drink aus?«, fragt er mich mit leicht sächsischem Akzent.

»Klar, was willste?«

»Tschin Dönnick!«

Weil ich den kanarischen Angestellten gerne das Gefühl gebe, dass ich ihre Kultur und Sprache schätze, bestelle ich auf Spanisch.

»Dos Gin Tonic, bitte!«

»Is'n Scheiß-Gefängnis hier, der Club, weißte, Simon?«

Oha! Mein Tennisossi hat die freie Zeit zwischen der Zuckerhut-Affäre und dem nächsten Mädchen genutzt und sich selbständig nach Philosophen-Laber-Country geschossen.

»Wieso? Is doch geil! Immer Sonne, Urlaub ...«, entgegne ich. Sein Blick verrät mir, dass er dem nur bedingt zustimmt.

»Is' wie bei uns früher! Wie in der DDR ... Zaun drum, alle machen einen auf happy, und richtiges Geld haben wir ooch nisch!«

So hab ich das noch gar nicht gesehen. Leuchtet aber ein.

»Letzter Abend, was?«

»Yap!«

»Findest die Aneta gut, oder?«

Der Club ist kein Gefängnis, der Club ist ein Dorf! »Die find ich sogar sehr gut. Ich ... treff sie gleich, auf'n Wein, bei ihr!«

Maik runzelt die Stirn, schiebt sein leeres Gin-Tonic-Glas zur Seite und wirft das Pauschalcocktailschirmchen in die Spüle. Hut ab. Den Drink hat er fix weggezogen. »Echt? Das hat die ja noch nie gemacht!«

»Wein getrunken?«

»'n Gast eingeladen zu sich. Da denkt man immer, man kennt sich ... Die hört bald auf bei uns, weißte? Zieht nach Köln. Darf aber keiner wissen ...«

»Die zieht nach Köln? Da wohn ICH doch!«

»Da wohnst DU doch? Und jetzt ist da kein Platz mehr oder was?«

»Haha ... nee, ich bin nur überrascht!«

»Hey ... die findet dich auch gut, Simon! «

»Jetzt echt?«

»Hat se gesagt!«

»Mhhh ...«

Aneta und ich! In Köln! Das wär schon was! Ganz ohne das Pauschalfußvolk aus dem Club könnten wir durch die Kneipen ziehen, am Rhein spazieren oder einfach mal nur zu Hause abhängen und stern TV schauen! Ich merke, wie es mich wegzieht von der Bar, um diesen Traum wahrscheinlicher zu machen. Ich muss zu ihr. Jetzt. Sofort.

Ich rutsche vom Hocker und umarme Maik für diese großartige Information.

»Hey, klar ... kein Problem. Danke für den Tschin Dönnick! «

Als ich schon fast weg bin, zieht er mich noch mal zu sich.

»Wenn ich dir noch einen Tipp geben darf, Simon?«

»Immer gerne!«

»Die Aneta, na ja ... sie hat gekündigt wegen der ganzen blöden Anmacherei von den Gästen und so ... Weißte? Na ja ... is ja schon 'ne ganz schöne Kirsche. Und dann die ganze Hey-willste-ficken-Nummer und so, das war nix für sie. Also, wenn du wirklich interessiert bist, also wirklich, wirklich ... dann würd ich schön den Ball flach halten heute. Weißte?«

Weiß ich. Ball fixieren, rechtzeitig ausholen, neben dem Körper treffen und auf alle Fälle flach halten. Wie in Trance packe ich meine Zigaretten ein und stapfe ins Freie. Sie zieht nach Köln! Raus aus der virtuellen Welt der guten Laune und hinein ins echte Leben! Sie zieht zu mir! In eine Stadt. In meine Stadt! Ich darf es nicht versauen. Wenn ich irgendwas nicht versauen darf, dann das! Ich werd's aber versauen. Und ich weiß auch, warum. Weil ich nach mittlerweile einem halben sexlosen Jahr, Salsa-Hintern und Katzen-Wetsuits so notgeil bin, dass ich sogar nach den Tagesthemen mit Anne Will kalt duschen muss. Und wenn ich die Tür zu Anetas Bungalow öffne, dann steht da ja wohl so was wie eine Anne Will: eine Frau!

Klopf. Klopf. Hallo, Aneta. Bussi. Ein falscher Griff, ein dummer Spruch und schon versaut. Es sei denn ... Genau!

Das isses!

Das ist DIE Idee! Eine Idee, die einen entspannten Abend garantieren und die Zukunft mit Aneta sichern würde. Ich schnippe meine Kippe in den Kinderpool und schreite entschlossenen Schrittes zu meinem Single-Bungalow. Ich schließe die Tür zu meinem Zimmer ab, ziehe die Jalousien herunter und schalte den Fernseher ein. Ich zappe mich an zwei beknackten Talkshows vorbei direkt in das Zentrum meines Interesses: die aufwendig produzierten, fünfsekündigen Billigwerbespots, in denen sich scharfe, brünette Studentinnen auf billiger Bettwäsche räkeln und einen anflehen, sie anzurufen.

Das erste Mal komme ich auf die immergeile Chantal mit der Rufnummer 0190 drei Mal die 67. Das zweite Mal auf eine notgeile Hausfrau, die angeblich in meiner Umgebung wohnt. Und das dritte Mal versau ich irgendwie vom Timing und komme auf ein Schnellkochtopfset für 179 Euro. Ich wusste gar nicht, dass ich so potent bin! Danke, WMF! Wenn ich mal irgendwann keinen hochkriegen sollte, dann denk ich auf jeden Fall an euch! Kurz blitzt der Gedanke an ein viertes Mal auf, doch die 60-Jährige, mollige Sekretärin mit der Rufnummer 0059 vier Mal die 88 überzeugt mich nur bedingt. Game over. »Operation Bungalow Storm« completed. Ich bin sehr zufrieden. Mit einem Zeitaufwand von einer schlappen Viertelstunde habe ich mich selbst in einen Zustand gerubbelt, bei dem ich mit einer nackten Shakira bei einer Honigmilch über die Entschuldung von Dritte-Welt-Staaten diskutieren könnte.

Trotzdem bin ich ein wenig nervös, als ich mich mit meiner vom Buffet geklauten Weinflasche und in einem frischen Hemd dem Bungalow 79 B nähere. Genau genommen bin ich sogar sehr nervös. So in etwa hab ich mich gefühlt, als ich mich mit 13 zum ersten Mal mit einem Mädchen auf ein Eis getroffen habe und ihr ein Bussi auf die Stirn geben durfte, nachdem ich das Eis bezahlt hatte. Glaube ich. Oder? Ach nee ... sie ist ja vorher abgehauen. Was man sich so alles zusammenreimt, wenn ein paar Jahre vergangen sind. Aah ... hier ist Bungalow 75 und da 76 ... Mittlerweile ist mir richtiggehend schlecht. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das wegen der Beck's und der Whis-keys ist oder weil ich so aufgeregt bin. Könnte auch sein, dass ich ganz einfach verliebt bin! Bungalow 78.

Bungalow 79 und ... 79 B.

Ich spüre, wie sich mein Puls langsam vom Fatburningin den Cardiobereich hocharbeitet. In einem Bungalowfenster flackert eine Kerze. Das muss es sein. Ich klopfe an die angelehnte Tür.

»Hallo? Wohnt hier 'ne Katze?«

»Is' offen ...«

Zwei Reihen Ikea-Teelichter entlang dem kleinen Gang weisen mir den Weg in ein kleines, süß eingerichtetes Wohn-Schlafzimmer. Ich muss an 30 C denken. Der blöde fiese Zwerg hätte mir die Nummer wirklich aufschreiben müssen! Das Zimmer ist gemütlich eingerichtet. Es duftet nach Vanille, heißer Dusche und warmer Frau. An einer Wand hängt das obligatorische Che-Guevara-Poster, auf schwarzer Satin-Bettwäsche liegt das Katzenkostüm. Nur Aneta kann ich nirgendwo sehen.

»Wo bist'n du?«

»Einfach weiter ... auf'm Balkon!«

Ich schiebe mich durch einen 70er-Jahre-Raumteiler und stehe auf einem winzigen Balkon mit zwei putzigen Bistrostühlen und einem Mosaik-Tischchen, auf dem bereits eine Flasche Wein steht. Leider geht der Balkon nicht auf den Atlantik, sondern auf eine vierspurige Umgehungsstraße, über die gerade ein britischer Reisebus donnert.

Aneta hat ihre braunen Beine auf die weiß verputzte Balkonmauer gelegt, streicht sich eine Locke aus der Stirn und reicht mir ein übervolles Weinglas. Mein Gott, diese Lippen sind phantastisch. Sie könnte mal eben eine Titelseite auf der Vogue haben und das ohne Make-up.

»Schön, dass du da bist!«

»Schön, dass ...«

Was sagt man, bitte schön, auf einen solchen Satz? Scheiße, bin ich nervös.

»Schön, dass ... na ja ... dass wir jetzt alle hier sind! Hier ... Wein! «

»Ah ... unser Tischwein. Lecker!«

»Na ja ...«, sage ich und setze mich direkt neben Aneta, die schon wieder kein Zirkuszelt anhat. Obenrum trägt sie so gut wie nichts, ich denke aber, man könnte es als bauchfreies Mini-Shirt bezeichnen. Aber das ist mir, dank meines heldenhaften Triple-Sex-Akts, ziemlich egal. Ich spüre einen gewissen Druck, über die kanarische Infrastruktur zu sprechen. »Herrlich«, sage ich und lasse dann meinen Blick zustimmend über die Umgehungsstraße schweifen.

»Das ist die FV 2!«, informiert mich das Bond-Girl.

»Für was stehen die Buchstaben?«, frage ich nach einer Weile.

»Ffffvvvvumgehungsstraße!«

Wir schauen uns kurz an, dann müssen wir beide lachen. Fvumgehungsstraßen sind wirklich sehr nützlich. Sie schaffen Arbeitsplätze, bringen die Urlauber problemlos in ihre Pauschalhotels und Aneta und mich schneller in eine entspanntere Stimmung.

»Mal anstoßen?«

»Klar!«

Sie schenkt mir wieder ein, hebt ihr Glas und schaut mir in die Augen. Glitzerfunkelbitzel! Mein Herz klinkt sich aus und rastet in der Magengegend wieder ein. Bitte nicht. Zu spät – passiert!

»Auf was?«, fragt sie, und man könnte den Ton durchaus als lasziv deuten.

»Auf ... den Club?«, taste ich mich vorsichtig vor.

»Ganz bestimmt nicht!«

»Dann ... sagen wir, auf uns?«

»Mejor. Also, auf uns!«

Mein Puls beschleunigt sich ohne meine Erlaubnis. Die Frau ist toll, ohne Wenn und Aber. Ich weiß nicht, warum, aber wir trinken das Weinglas beide auf Ex aus. Alles, was dann kommt, ist lustig, angenehm und einfach nur schön. Wir trinken und quatschen über dies und das. Wir loben den Mond für seinen romantischen Beitrag zu unserem Abend und singen die kanarische Version unseres Lieb-lingsliedes Biene Maja:

»En un pais unbekaaaant... «, stimme ich an, »hace ziemlich poco tiempooo ...«

»Fuera eine Biene bien bekaaaannt ...«, ergänzt sie mit ernster Miene, aber stimmlich perfekt. Das macht die Animateurerfahrung. »Sesa Biene que yo meine se llama Majaaaa ...«

Wir bekommen einen Lachanfall nach dem anderen, öffnen die zweite Flasche Wein, imitieren den paranoiden hessischen Banker, Tante Käthe und Maik, den alkoholkranken Tennisossi. Alles läuft 100%ig nach Plan. Sie verliebt sich in mich. Als Körpersprachexperte merke ich so was eben gleich. Das Lachen, die Blicke, alles steht auf »Go!«. Außerdem hat sie mich schon dreimal am Bein berührt. Ich bin eben kein »Hey, willste ficken«-Penner. So was merkt man bzw. frau. Noch ein Stündchen, dann werde ich ihr meine Adresse in Köln dalassen und mich mit einem Bussi auf die Stirn verabschieden.

Dachte ich mir so.

Ist aber nicht.

»Simon, ich will mit dir schlafen!«

Mit Weinglas, Kippe und einem schockgefrosteten Lächeln krache ich auf die Klippen vor der Wassersport-Station.

Man sagt ja, dass kurz vor dem Tod noch mal das ganze Leben an einem vorbeizieht. Bei mir ziehen zwar nur die sieben Urlaubstage vorbei, dennoch falle ich in ein mehrsekündiges Konversationskoma. Ein weiterer Reisebus donnert über die Fvumgehungsstraße. Da säße ich jetzt gerne drin. Egal, wohin er fährt. Und um alles noch viel schlimmer zu machen, greift Aneta nach meiner Hand und haucht mir ins Ohr:

»Jetzt!«

Da. Noch ein Bus. Aus Holland, glaub ich. Da brauchen die ja Tage hier runter auf die Kanaren! Und das bei diesem mickrigen Sitzabstand! Gerade, wenn man so groß ist wie ich! Ich räuspere mich und quietsche:

»Aber warum ... ich meine, warum denn jetzt?« Toll, Simon. Du hast einen ganzen Satz gesagt!

»Ich hab Lust auf dich! Und ... na ja ... zu deiner Beruhigung ... Weil du morgen fliegst.«

»Wie? Weil ich morgen fliege?«

Ich zünde mir zitternd eine Zigarette an.

Was ist das für ein Gott, der so was zulässt? Und wie zum Teufel kam ich Vollidiot eigentlich noch gleich auf die Idee, mir drei Mal einen runterzuholen? Da ich mir diese Fragen leise stelle, können sie Aneta auch nicht davon abhalten, sich auf meinen Schoß zu setzen und mir einen sehr feuchten Beruhigungskuss zu geben. Ich kann sehen, dass sie unter ihrem Rock nichts anhat. Ich nehme es als Tatsache zur Kenntnis, nicht als Mann. Danke, WMF!

»Hey! Ich will mit dir schlafen, nicht dich heiraten. Und ich hatte das Gefühl, dass du das auch gerne möchtest ...«

»Aber du kommst doch nach Köln!«, fiepe ich kleinlaut.

»Sobald mein Freund die Wohnung klargemacht hat!«

Vor meinem inneren Flachbildschirm sehe ich, wie mir der Clubchef die Einsamster-Mensch-des-Clubs-Medaille vom Hals reißt und mir eine Größter-Vollidiot-der-Clubgeschichte-Medaille umhängt. Was würde ich nicht jetzt für einen Scharfschützen auf dem Dach der Surfstation geben, der mich einfach so, kurz und schmerzlos, umnietet. Doch Scharfschützen kosten viel Geld, und das hab ich alles im Club versoffen.

Sie streicht mir durchs Haar.

»Komm, wir gehen rein!«

Das ist der Punkt, an dem ich die weiße Fahne aus dem Fenster hänge, der Punkt, an dem ich mich meinem Schicksal beuge. Aber: Man hat schon Menschen trotz weißer Fahne erschossen, das weiß ich. Wie ein Kleinkind am ersten Schultag lasse ich mich ins Schlafzimmer führen und mich aufs Bett fallen. Während ich mir in Gedanken gerade den Strick Hängan um meinen Hals hänge und den Stuhl zurechtrücke, streift die erotischste Frau des Clubs ihren Rock ab und schmiegt sich an mich. Man kann Aneta wirklich nicht vorwerfen, dass sie sich nicht bemüht, mir zu einer Erektion zu verhelfen. Genau genommen probiert sie sogar alles, was ich jemals bei Liebe Sünde und auf den Videos von Phil gesehen habe, und unter normalen Umständen hätte ich womöglich eine der schärfsten Liebesnächte meines Lebens. Doch so ...

Ich versuche, an WMF zu denken, doch es hilft alles nichts. Hier ist er, der peinlichste Ständersupergau von Simon Peters! Über mir empfiehlt sich die schärfste Frau des Clubs gerade für den Porno-Oscar, und ich liege da wie ein verdurstender Strafgefangener auf Guantanamo nach zwei Tagen CIA-Verhör.

»Tut mir Leid«, sage ich, als ich mir sicher bin, dass da nichts mehr größer wird, »liegt nicht an dir!«

»Macht nix«, sagt sie und umarmt mich.

Gehen muss ich trotzdem.

Mit einem Pauschalmojito und meiner letzten Kippe setze ich mich an den einsamen Clubstrand. Der Sand ist noch warm, fast könnte man hier draußen übernachten. Morgen geht's in den Flieger, zurück in meinen kleinen, grauen Alltag, zurück in die Welt der DSL-Anschlüsse und Single-Sessel-Abende vor dem Fernseher. Von irgendwo höre ich das Lachen einiger Single-Verlierertisch-Idioten. Womöglich haben sie ja Sex am Strand. Ich denke daran, wie Aneta mich am Nachmittag mit dem Motorboot an den Strand gezogen hat. Fast wäre ich gegen die gefährlichen Klippen gefahren, hat sie gesagt. Gefährliche Klippen. Als ich die Holztür zur Wassersport-Station aufbreche, sehe ich meinen Banker alleine und mit wirrem Haar und Weinflasche auf dem Bootssteg sitzen. Er ist besoffen.

»Hey ... Simon, ich hab dich gesehen mit Aneta an der Bar. Haste Erfolg gehabt?«

Ich ziehe ein Schulungs-Surfbrett aus dem Lager und lasse es auf den Sand fallen.

»Sagen wir so ... ich bin drei Mal gekommen!«

»Nicht schlecht!«

»Ja, und bei dir und deiner Süßen?«

»Sie hat Schluss gemacht!«

»sm? Nicht du?«

»Nein, sie!«

Ich ziehe ein weiteres Surfbrett aus dem Lager und lege es neben ihn. Wir sind zwar beide betrunken, aber mit ein bisschen Glück schaffen wir das schon zu den gefährlichen Klippen.

LALA

Als ich nach fünf Stunden Flug fix und fertig die Tür zu meiner Wohnung aufschließe, bügelt Lala gerade zu kroatischer Volksmusik meine Hemden. Richtig. Lala ist meine Putzfrau. Warum sie allerdings ausgerechnet heute sauber macht und nicht in der Woche, in der ich im Urlaub war, ist mir ein Rätsel.

»Siiiiimmmmon! Bist du wieder da. Und wie braun!«, freut sie sich aufrichtig.

Ich stelle meine Reisetasche neben die Eingangstür und gebe Lala die Hand.

»War Wohnung schmutzig letzte Woche, hattest du Party?«, will sie wissen.

>Wie war dein Urlaub?< wäre eine passendere Frage gewesen, denke ich mir so. Ich muss mich erst mal sammeln. Lala war das Letzte, mit dem ich gerechnet habe.

»Letzte Woche? Ach so ... ich hab ein paar Leute aus'm Club mitgenommen, wir haben noch einen getrunken und ... na ja ... ich hab nicht alles weggeräumt und so ... wieso willste das denn wissen?«

Lala zögert ein wenig, offenbar ist es ihr peinlich, mich das zu fragen. In einer Art kroatischer Übersprunghandlung füllt sie destilliertes Wasser in das Bügeleisen, welches sich zischend bedankt.

»Simon ... frag ich auch, weil zum ersten Mal die andere Hälfte von Bett war auch benutzt, weißt du?«

Weiß ich. Das war der Pulp-Fiction-Luftfahrthase, der am nächsten Morgen ohne Frühstück und mit Kater nach Los Angeles abgedampft ist.

»Sonst ... ich soll immer beziehen für zwei, aber nur eine Hälfte benutzt!«, brabbelt sich Lala weiter ins Unglück. Schon klar. Big Lala is watching you. Das hab ich nun davon, dass ich seit zwei Jahren beide Seiten meines Doppelbettes beziehe, in der schwachsinnigen Hoffnung, dass eines Nachts die bauchfreie Christina Aguilera vor meiner Tür steht und mich auf Knien anfleht, bei mir übernachten zu dürfen.

Bisher hat sich Lala nie in meine privaten Sachen eingemischt. Das war ihr immer sehr wichtig, nicht mal Schränke hat sie aufgemacht, weil sie Angst hatte, dass da irgendwas drin sein könnte, was sie nichts angeht. Umso überraschter bin ich nun von Lalas plötzlichem Putz-Orwellismus.

»Is deine Freundin, die Bett hat zerwühlt?«, fragt sie mich augenzwinkernd. Hoppla. Lala steht doch nicht etwa auf mich? Womöglich hab ich sie mit meiner Stewardessenaktion eifersüchtig gemacht, sie mitten ins Herz getroffen und ihre tiefsten Gefühle verletzt!

»Nee, is ... 'ne Freundin, weißt du, 'ne Bekannte gewesen. Warum interessiert dich das denn?«

Lala scheint erleichtert. »Also hast du keine Freundin in die Moment?«

»Nein?«, sage ich, gehe aber mit der Stimme nach oben, als wäre es eine Frage. Lala lacht und sprüht vor Erleichterung noch ein wenig mehr Bügelfein als normal auf mein braungelbes Lieblingshemd.

»Frag ich, weil ich hab nette Frau für dich, bei der ich auch putze in Wohnung.«

Gott sei Dank! Für eine Sekunde dachte ich, sie hätte sich verliebt. Nichts gegen rothaarige Kroatinnen in den Vierzigern, aber ich selbst bin ja erst neunundzwanzig! Dann frage ich:

»Wie ist die denn so?«

Lala stellt das Bügeleisen zur Seite und hängt mein Lieblingshemd auf den Bügel.

»Ganz hell, zwei Zimmer, wunderschön Parkett mit großem Balkon zu Sonne ...«

»Die Frau!«

»Ach so ... Frau auch gut!«

Das war es auch schon. Ende des Gesprächs, denn Lalas Handy fiept. Gutes Timing. Bleiben Sie dran, Simon. Mehr Infos zum Date gibt's nach diesem Anruf. Gibt es leider doch nicht, denn auch mein Handy klingelt, und als ich Phil erzählt habe, dass ich im Club Sex mit vier verschiedenen Frauen hatte, hat Lala ihre Sachen gepackt und ist verschwunden. Ich setze mich in meinen Single-Sessel, zünde mir eine Zigarette an und schalte den Fernseher ein.

Eine ereignisarme Woche später finde ich neben Lalas Kassenzettel für Küchenrollen ein auf irgendeiner langweiligen Party geschossenes Polaroid-Foto mit einer lachenden Gruppe Prosecco-Tippsen in Business-Kleidchen. Auf eine große Brünette zeigt ein kugelgeschreiberter Pfeil, und darüber steht, ebenfalls kugelgeschreibert: Dörte!

Dörte? Ist das ein Scheiß-Name, oder ist das ein Scheiß-Name? Döööörte! Klingt für mich wie ein widerlicher Bio-Brotaufstrich. So einer, den sich frustrierte Realschullehrer auf ihr Dinkel-Bananenbrot streichen, bevor sie in ihren asbestverseuchten Klassenzimmern verpickelte Teenager mit binomischen Formeln zu Tode langweilen. Dörte! Ich könnte ausflippen wegen so einem Scheiß-Namen!

Das Date ist für mich schon jetzt gestrichen. Dörte!

Is noch Dörte im Kühlschrank, Schatz?

Direkt hinter der laktosefreien Milch!

Ich seh nur 'ne Packung Wiebke ...

Jetzt hat mich der beknackte Name derart durcheinander gebracht, dass ich mir Dörte noch gar nicht richtig angeschaut habe: lange, brünette Haare, wie schon erwähnt, biedere schwarze Bluse und Jeans, und gar nicht mal so hässlich. Ihr Alter tippe ich so auf knapp unter 30. Süßes Gesicht, bisschen zerknittert allerdings, scheint sich viele Sorgen zu machen, vielleicht wegen ihres zerknitterten Gesichts. Ob sie den von Lala erwähnten großen Balkon hat, kann ich bei der Bluse leider nicht erkennen. Klar zu sehen ist allerdings, dass die Frau neben Dörte eindeutig schärfer aussieht als Dörte. Vielleicht putzt Lala da ja auch! Der Dörtepfeil zeigt allerdings zu 100 Prozent auf Dörte und auf sonst niemanden. Erst jetzt entdecke ich noch einen Zettel von Lala.

Simon, Dörte hat Foto von dir auch gut gefallen und möchte sich mit dir treffen. Rufst du an? 0168-980 94 76. Lala. PS: Ich habe Küchenrollen gekauft, Kassenzettel ist auf Tisch.

Lala ist der größte Küchenrollenfan der Welt. Ich tippe mal, dass gut 50 Prozent des Weltverbrauchs an Küchenrollen auf Lala fallen. Jahrhunderthochwasser in Köln? Schickt Lala mit einer Europalette Wisch & Weg, und die Altstadt ist in fünf Minuten trocken!

Moment mal ... WELCHES Foto von mir hat Dörte gut gefallen? Ich hab Lala keins gegeben. Ich springe auf und hechte zu meiner Magnetwand im Flur. Mein Mallorca-Foto fehlt! Das, auf dem ich nach zehn Bier in der Schinkenstraße so den Arsch voll habe, dass meine Busenfreundin Paula meint, ich würde fast ein wenig glücklich wirken. Nachdem ich mich an den Moment der Aufnahme nicht mehr erinnern kann, ist das sogar möglich. In den Momenten, an die ich mich erinnern kann, war ich nämlich nie glücklich. Ich fingere nach einer weiteren Kippe und setze mich wieder. Soll ich echt mit Dörte ausgehen? Ein Date, was mir meine Putzfrau organisiert hat? Wie arm ist das denn ...? Obwohl ... auch schon wieder cool irgendwie, also, wenn's klappt ...

Papa, wo hast du Mama kennen gelernt?

Meine Putzfrau hat sie mir vorgestellt!

Warst du zu doof um selber eine anzusprechen? Ja. Und jetzt geh Hausaufgaben machen!

Ich suche mein Handy und schreibe folgende SMS an Dörte:

Lala sagt, wir müssen sofort heiraten. Kann ich dich vorher mal kurz sprechen?

Und zack. Meldung gesendet. ICH find's witzig. Mal sehen, ob sie Humor hat. Dem Businesskostümchen nach zu urteilen, handelt es sich bei Dörte aber eher um eine humorfreie Zone. So eine, die denkt, sie wäre kreativ, weil sie ihren Excel-Tabellen eine bunte Spalte beigefügt hat. Total verrückte Idee! Ich spüre, dass mich diese ganze Dörte-Geschichte so durcheinander gebracht hat, dass ich mich nicht mal mehr in Ruhe langweilen kann. Dabei hatte ich mich so auf einen wirklich verdienten Rumhängenachmittag gefreut, wo ich doch im T-Punkt so sensationell authentisch Migräne simuliert habe, dass mich meine Chefin fast noch nach Hause gefahren hätte. Das blöde Foto hat mir allerdings schon jetzt einen Strich durch meine gesamte Faulen-zerplanung gemacht. Jetzt ist mir das passiert, was einem Mann niemals passieren darf, egal ob er 18 ist oder 104: Ich warte auf eine SMS von einer Frau! Dabei hätte sie mir eigentlich längst antworten müssen! Solche Prosecco-Excel-Mäuschen haben ihr Handy doch immer an! Oder? Ich laufe ein bisschen durch meine Wohnung, räume die Spülmaschine aus und stelle eine schmutzige Kaffeetasse hinein. Dann fülle ich Salz nach und Klarspüler. Müsste doch längst gefiept haben, mein Handy! Als ich mich, Minuten später, dabei erwische, wie ich mit meinem Microfasertuch meine Stereoanlage abstaube, weiß ich, dass ich etwas tun muss. Ich schmeiße den Staublappen in den Abfall und suche den Kursplan meines Fitnessstudios. Ich finde ihn in meinem Altpapierstapel zwischen zwei Pizzakartons mit Käseresten. In einem Anfall von Selbstüberschätzung entscheide ich mich für den Kurs »Step Aerobic für Anfänger«, der in einer halben Stunde beginnt. Würde mich ja eventuell auch einem meiner Ziele näher bringen, mal ein paar Muskeln zuzulegen.

Pieppiep macht mein Nokia.

Hoho, sage ich. Meine Business-Mäuschen-Theorie war richtig. SMS von Dörte.

Ruf mich an! D.

Ich stutze. Hallo? Geht's noch? Was bitte soll denn jetzt diese Dominas-aus-deiner-Umgebung-verabreden-sichhier-auf-der-Line-Nummer? Spinnt die? Wer glaubt die denn, wer sie ist? Ruf mich an! Befehl erteilt, und ich springe oder was? Ich antworte mit Ruf DU mich doch an, packe meine Sportsachen und rase in meinem gelben Peugeot in mein pinkes Schwulenfitnessstudio.

DIE HALSLOSE KILLERSCHWUCHTEL

Nein, ich bin nicht schwul. Und ich werde es auch nicht. Ich hab lediglich nicht gut aufgepasst bei der Vertragsunterzeichnung. Das Studio sah von außen nämlich echt klasse aus, mit viel Geschmack eingerichtet und so. Erst Wochen später dämmerte mir der Grund für die geschmackvolle Einrichtung. Erst waren es Kleinigkeiten wie ein Aushang für den Gratis-Kurs »Fahnenschwenken am Christopher Street Day«. Und der kleine Zettel, den jemand in die Schublade mit meinem Trainingsplan gelegt hat: »Na du geiler Knackfrosch ...« Weiter habe ich nicht gelesen. Beim Duschen haben dann natürlich trotzdem alle geguckt, ob ich aussehe wie ein geiler Knackfrosch. Sah ich nicht. Und natürlich wollte ich sofort raus aus dem Hinterlader-Schuppen. Aber Studioleiter Sascha versicherte mir, dass ich nun mal Mitglied sei, ob homo oder hetero, und dass das noch mindestens 23 Monate so bliebe, es sei denn, ich zöge nach München. Letzteres schien mir schlimmer, also blieb ich im Club.

Am Check In gibt es eine kleine Meinungsverschiedenheit, weil die Spindschlüssel keine Nummern aufgedruckt haben, sondern elektronisch funktionieren. Das heißt, ich kann mir irgendeinen Spind aussuchen und muss mir lediglich die Nummer merken, was ich natürlich nicht will. In der Regel halte ich nicht viel von Verschwörungstheorien, doch jetzt bin ich mir nicht mehr so sicher, ob mich da nicht irgendeiner fertig machen will.

»Nimm halt 'ne runde Zahl, die vergisst du nicht so schnell!«, rät mir Mitarbeiter Joachim, von dem ich glaube, dass er geschminkt ist.

»Mein Problem ist nicht, dass ich die Nummer vergesse, mein Problem ist, dass ich sie nicht vergesse!«, informiere ich ihn. »So wie die Regalnummer 30 C bei Ikea. Das ist zwei Wochen her, und ich weiß sie immer noch!«

»Also das würd nicht mal ich mir merken!«, giggelt Joachim und hält dabei ganz albern seine Hand vor den Mund, wie ein japanisches Schulmädchen, dem man gerade einen dummen Witz erzählt hat. Dann reicht er mir meinen elektronischen Schlüssel. Ich bin kurz davor, über den Tresen zu springen und Charleys Tante in die albernen Vitamin-Shakes zu tunken. Stattdessen atme ich mehrfach tief durch, nehme den Schlüssel an und mache mich auf den Weg in die Umkleide. Ich packe mein Handy in Spind 112, weil die 112 keine sinnlose Nummer ist, sondern der Notruf oder die Feuerwehr, jedenfalls eines von beidem. Ich stelle meine Straßenschuhe in den Spind und lege meine Schlüssel in den linken und mein Handy in den rechten Schuh. Bisher keine Antwort auf meine SMS an Dörte. Direkt neben mir quält sich ein Berg von einem Kerl mit rundem Kopf und super-kurzen Haaren in ein Pitbull-Germany-Muscleshirt. Weil er keinen Hals hat und aussieht wie Popeye, nenne ich ihn Popeye, die halslose Killerschwuchtel. Angeblich, so hat mir mal einer erzählt, könne Popeye nicht mal mehr telefonieren, weil sich durch das viele Gewichtepumpen seine Oberarmmuskeln so verkürzt haben, dass er mit dem Hörer nicht mehr ans Ohr kommt. Seitdem hätte ich gerne seine Handynummer, um das zu testen. Aber wahrscheinlich ruft ihn sowieso keiner an, weil er so fies aussieht.

»Schönes Handtuch haste!«, nickt er zu mir rüber.

»Danke!«, grinse ich zurück und ergänze, ohne hinzuschauen: »Tollen Spind haste!«

Da ich nix in die Fresse kriege, fand er's wohl witzig.

Während ich in meine steinalte grüne Trainingshose steige, piept mein Schuh. Ich ziehe mein Handy raus und lese Folgendes auf dem Display:

Donnerstagabend 19:45, Stüssgen-Supermarkt an der Luxemburger Straße am Tiefkühlregal. CU!

Mein Laladörtedate spinnt ja komplett. Warum sollte ich mich denn mit ihr im Supermarkt treffen? Ich hab die Tante noch kein einziges Mal gesehen, und dann bestimmt die schon, wie's läuft? Neeee!

»Schlechte Nachrichten?«

Ein durchtrainierter Jüngling mit Spindnummer fünf hat offenbar meinen konzentrierten Blick aufs Handydisplay bemerkt.

»Ich ... ich hab Stress mit'm Date!«, informier ich ihn. Seine tröstend gequietschte Antwort zeigt, dass er genau weiß, was in mir vorgeht. Aber auch nur fast:

»Määääänner! ! ! «

Mit meinem nagelneuen Snoopy-Handtuch schlurfe ich zum Kursraum. Das Snoopy-Handtuch ist Bestandteil meiner großen Seht-her-ich-bin-keine-Schwuchtel-also-lasst-mich-in-Ruhe-trainieren-Kampagne. Zuvor hatte ich ein Benjamin-Blümchen-Handtuch, das ich nun allerdings nur noch zum Joggen nehme, seit mir mal jemand »Geiler Rüssel!« hinterhergerufen hat. An Snoopy schätze ich besonders, dass er nun wirklich nichts Schwules an sich hat. Der Kursraum ist noch leer, und ich schaue sicherheitshalber nochmals auf den Plan. Donnerstag, achtzehn Uhr – Step I. Jetzt haben wir fünf nach sechs.

»Hi, ich bin Helena!«

Eine Mischung aus Che Guevara und Hella von Sinnen grinst mich an. Zumindest deutet ihr paramilitärisches Outfit auf jahrelangen Guerillakampf hin. Sie ist ungeschminkt und hat nasse Haare. Wahrscheinlich von der Landung in der Schweinebucht.

»Hi. Ich bin Simon!«

»Freut mich. Machste zum ersten Mal Step?«

»Ja, ich dachte, irgendwann muss ich ja mal anfangen ...«

»Superschade, dass so wenig da sind!«

»Na ja ... wahrscheinlich ist der Trainer 'ne Hete, und jetzt hat keiner Bock!«, vermute ich.

»Das wüsste ich aber!«

»Wieso?«

»Weil ich die Trainerin bin!«

Ich sehe zwei leuchtende Notausgang-Schilder. Mit ein bisschen Glück käme ich an Che vorbei und könnte mich mit einer Chuck-Norris-Rolle auf die Straße retten. Die Sachen im Spind wären natürlich erst mal verloren, aber das wär's mir wert ...

»Aber das ist doch Quatsch, du musst doch keinen Kurs für mich alleine geben!«, versuche ich, mich rauszuwinden, denn ich hab keine Lust auf 'ne Einzelstunde Step mit Che von Sinnen.

»Kein Problem. Ich bin doch sowieso hier. Ach ... und ... das Snoopy-Handtuch würde ich nicht so offen rumzeigen! «

Ich ahne Schlimmes.

»Was ist denn falsch an Snoopy?«

»Gar nix, wenn du's gern doggy-style magst!«

»Doggy Style?«

»Von hinten.«

»Oh ...«

Ein weiterer, prüfender Blick auf mein Handtuch lässt mir Snoopys Grinsen in einem ganz anderen Licht erscheinen. Aber bevor ich mir weiter gehende Gedanken machen kann, setzt auch schon meine ganz persönliche Step-Musik ein, und wie ein hirnverbrannter US-Marine marschiere ich in Richtung Spiegel.

»Und rechts, und rechts, und marsch, und marsch ...«, lauten meine Befehle. Es ist irgendwann zwischen einer schrecklich komplizierten Schrittkombination und einem besorgten Blick von Studioleiter Sascha, als mir klar wird, dass ich seit Wochen keinen Sport gemacht habe und mein Puls irgendwo bei 200 sein muss.

»Alles okay, Simon?«, höre ich meine Trainerin noch rufen, dann verschwimmt meine Wahrnehmung in Richtung Premiere – ohne Decoder.

»Die Beine hoch ... du musst ihm die Beine hochlegen!«, hallt es von irgendwoher, und dann nimmt auch irgendjemand meine Beine hoch, und alle sind ganz besorgt, und dann packen sie die Lautsprecher-boxen in Watte, damit ich mich nicht über die Musik aufrege, was ich sehr nett finde, und dann dreht jemand an den Farben, und dann weiß ich nichts mehr.

Jedenfalls komme ich einige Minuten später wieder zu mir, dank Popeye, der halslosen Killerschwuchtel, die alle Fenster geöffnet hat und meine Hand hält. Erschrocken ziehe ich sie zurück.

»Er ist wieder da!«, quäkt mein schwuler Retter und freut sich, als hätte er gerade ein pinkes Smart-Cabrio in der Lotterie gewonnen.

»Danke!«, keuche ich, richte mich mühsam auf und sehe mich einer stirnrunzelnden Hella von Guevara gegenüber. »Vielleicht solltest du dich erst mal mit ein paar längeren Spaziergängen trainieren, bevor wir mit Step weitermachen ...«

»Weltklasseidee«, nuschele ich, »finde Spaziergänge sensationell!« Ich nippe an einem Plastikbecher mit Wasser und schlurfe zurück in die Umkleide. Vielleicht sollte ich tatsächlich mehr Spaziergänge machen! Als ich die 112 aufschließe und mein Handy einschalte, trifft mich eine SMS mit der Wucht eines überladenen rumänischen Antikmöbellasters.

Dein Schweigen deute ich als Ja. Freu mich und sei pünktlich. Bis gleich. D.

Bis gleich? Verdammter Mist. Mein Putzfrauendate! Donnerstag ist ja — heute!

»Hat jemand 'ne Uhr?«, fiepe ich aufgeregt. Mist! Ich quietsche selber schon wie eine Ballettschwuchtel.

»Punkt sieben!«, quäkt mir ein gepiercter Griechenstöpsel zu, der gerade auf einem Bein balanciert, um sich seinen lächerlichen Lederstring überzustreifen. Punkt sieben! Das gibt mir noch genau eine Dreiviertelstunde Zeit, um in den Supermarkt zu kommen. Mist! Und Duschen muss ich auch noch. Das tu ich aber zu Hause. Hier ist das zu gefährlich. Trotz Seifenspenders in Brusthöhe.

JOSEF-STALIN-CHARME-SCHULE

Eine knappe Stunde später stehe ich im Supermarkt und lasse meine Augen über das Tiefkühlangebot wandern. Die Ofenfrische von Dr. Oetker gibt's jetzt mit Backpapier! Auf 220 Grad vorheizen soll man die, wenn man keinen Heißluftherd hat. Ich bin beeindruckt. 220 Grad. Dachte immer, solche Temperaturen gibt's nur auf der Sonne. Sonne hin, Sonne her, Fakt ist, dass ich jetzt schon geschlagene zehn Minuten am Tiefkühlregal stehe und auf das Laladörtedate warte. Ob sie einen Heißluftherd hat? Wenn nicht, würde es eventuell auch ein Loft auf der Sonne tun. Ich bin frisch geduscht, pünktlich und habe mein gelbbraunes Karohemd an. Mein Date ist noch nicht da. Oho! Was Neues von Käpt'n Iglu. Mozzarella-Karotten-Taler, die auf den Namen Mozzinis hören. Klingt irgendwie nach Ärger. Uhu! Wer stolpert da leicht abgehetzt durch die Supermarkt-Glasschiebetür und greift sich den letzten verdreckten Stüssgen-Plastikkorb? Obwohl diesmal kein kugelgeschreiberter Pfeil über ihr ist, erkenne ich sie sofort.

»Dörte! «

Ich lege die angetauten Mozzinis zurück ins Tiefkühlregal und winke zu ihr rüber. Nach ein paar hektischen Blicken in die falsche Richtung erkennt sie mich und eilt mit rudernden Armen und wirrem Blick in meine Richtung.

»Wir haben noch genau fünf Minuten!«, kiekst sie und fasst mir geschäftsmännisch an die Schulter, als hätte ich gerade einen ganz besonders tollen Gebrauchtwagen bei ihr gekauft. Dann rennt sie weiter. Eines ist schon jetzt klar: Die Frau hat gepflegt einen an der Waffel.

»Hi, ich bin Simon und freu mich auch, dich zu sehen!«, rufe ich ihr hinterher, worauf sie sich tatsächlich umdreht und kopfschüttelnd auf mich zukommt.

»Ach Gott, Entschuldigung ... ich komm gerade aus einem Meeting ... ich bin Dörte! «

Sie kommt aus einem Meeting! Sieh mal einer an. Wahrscheinlich musste sie gerade vierzig Leute entlassen und hat jetzt noch für 'ne Sekunde ein kleines Gewissensproblem. Aus mir nicht näher erklärbaren Gründen will ich wissen, was wir hier eigentlich machen.

»Wie ist jetzt eigentlich der Plan für heute Abend, Dörte?«

»Ach so ... ja, ich dachte, wir kaufen was ein und kochen.«

Kochen? Spinnt die? Ich hab seit zwei Jahren nicht gekocht! Als wäre der Vorschlag nicht ungeheuerlich genug, legt sie noch eine Frage nach.

»Haste 'ne Idee?«

Ja. Habe ich. Und zwar geht die Idee folgendermaßen: dass ich nämlich auf einen Punkt hinter ihr deute, laut »DA!« rufe und die Sekunde der Irritation zur Flucht nutze. Dann lösche ich ihre und Lalas Nummer aus meinem Handy, suche mir eine andere Putzfrau und tauche als Baseballtrainer auf Kuba unter, bis die Luft wieder rein ist.

»So 'n Schlemmerfilet mach ich mir immer ganz gerne, mit Blattspinat zum Beispiel«, sage ich stattdessen und werde zur Strafe vom Tiefkühlregal weggezogen.

»Schlemmerfilet? Diese Studentenpampe ist ja wohl kaum Kochen«, nölt sie mich an.

Glückwunsch! Sie springt auf das Abschlussklassenniveau der Josef-Stalin-Charme-Schule. »Kochen? Wo sollen wir denn überhaupt kochen?«, wage ich zu fragen.

»Ich wohne in Köln-Deutz!«, ist die Antwort.

»Zu mir können wir nicht!«, antworte ich schneller, als der 1. FC Köln zu Hause in Rückstand gerät.

»Ich dachte, du wohnst um die Ecke?«

»Woher weißt du das denn?«

»Hat mir Lala gesagt!«

Sensationell! Wahrscheinlich hat Lala ihr bei der Gelegenheit auch gleich meine Kontoauszüge durchgefaxt. »Warum können wir nicht zu dir?«

Ohne es so richtig mitzukriegen, werde ich zum Pastaregal geschoben. Jedenfalls stehe ich plötzlich davor. »Weil ...«

Wenn ich nicht vor einer Stunde schon mal in Ohnmacht gefallen wäre, würde ich jetzt direkt hier vor den Spaghetti umkippen. Steht die Antwort auf Dörtes Frage nicht auf der Rückseite einer Barilla-Packung? Vergiss es, Simon. Du kommst da nicht mehr raus. Die »Nicht-aufgeräumt-Nummer« ist lächerlich, und die »Isch abe gar kei-ne Küche«-Ausrede gab's auch nur in der Werbung.

»Ach, zu miiir?« Ich tue so, als hätte ich erst jetzt verstanden. »Na, das geht natürlich!«

»Supi. Dann haben wir's ja! Ahhh ... hier. Wir machen uns schön Pasta, oder?«

Wahrscheinlich findet sie das auch noch witzig, mich so in die Enge zu treiben. Warum sag ich nicht einfach, wie ich mich fühle?

»Hey ... sag mal, Dörte, warum sag ich dir nicht einfach, wie ich mich fühle?«

»Wieso? Wie fühlst du dich denn?«

»Ich ... na ja, warum gehen wir nicht einfach in ein Restaurant und bestellen uns was?«

Ihrem Gesichtsausdruck glaube ich ein Bröckchen Unverständnis entnehmen zu können.

»UNTER der Woche?«

Diese Frau läuft definitiv auf einem komplett anderen Betriebssystem. Gut, das tun alle Frauen, aber bei uns liegt der Unterschied in einer Bandbreite von Windows XP Professional Edition und dem ersten Commodore 64 Basic.

»Nee, nee, wir machen uns schön Pasta. Mit was für 'ner Sauce?«

»Ich ... Tomate vielleicht?«, stammle ich.

»Ich Tomate! Du Jane!«, blödelt sie und lässt ein schrilles Gackern folgen.

Ach du lieber Himmel! Das ist ganz eindeutig das hysterische Lachen, das Hollywood-Drehbuchautoren für die Frauen vorsehen, die der Hauptdarsteller nach exakt einem Abendessen wieder verlässt. Ich nenne es das Hollywood-Sumpfhuhn-Gackern, kurz HSG, eine, wie ich finde, ernst zu nehmende Krankheit, die von zu wenig Sex und zu viel Stress herrührt.

»Okay ... was hältst du von Lachs und Sahne?«, fragt sie mich.

»Auch gut!«, antworte ich wie in Trance.

»Dann holst du den Lachs und ich die Sahne. Wein haste ja wohl zu Hause, oder?« Mit diesen Worten hastet sie in Richtung Molkereiprodukte.

Wein HAB ich zu Hause. Jede Menge. Ich geb dir aber keinen Schluck ab, du hysterische, blöde Kuh! Weil ich meinen Wein nämlich alleine trinke und dabei Musikvideos auf VIVA gucke, und weißt du, warum? Weil in den Videos Frauen tanzen, die alle viiiiiiel schöner sind als du und nicht so schrill rumgackern, und wenn ich ein bisschen Glück habe, dann zeigen die sogar ein Salsa-Hintern-Video!

»Hier ist die Sahne!«

Mist. Ich hätte echt abhauen sollen. Jetzt steh ich hier wie ein Idiot und lass mich von einer hirnkranken Managerin behandeln wie Michel aus Lönneberga. Nur dass hier weit und breit keine Hütte ist, um nützliche Dinge zu schnitzen. Eine 45er Magnum zum Beispiel. Und das alles passiert mir nur, weil ich mein Bett normalerweise auf bei-den Seiten beziehe und Lufthansa-Stewardessen so viel saufen, dass sie es nicht mehr nach Hause schaffen. Eine gewagte, aber durchaus korrekte Kausalität, die mich nun dazu zwingt, Lachs und billigen Wein zu kaufen. Zehn Minuten später sind wir schon bei mir.

Während mir Dörte in meiner eigenen Küche fortwährend irgendwelche Befehle zuraunt, überlege ich mir, wie es wäre, Sex mit Dörte zu haben.

»Haste Öl und Salz ins Wasser?«

»Hab ich!«

»Gut, weil sonst kannste's echt vergessen, die Pasta braucht das Öl, weißte?«

Wenn sie im Bett genauso 'ne Panik macht wie in der Küche, dann wird's in jedem Fall ein Fiasko.

Haste 'ne Erektion?

Hab ich!

Gut, weil sonst kannste's echt vergessen, zum Sex braucht man 'ne Erektion, weißte?

Wenn sie überhaupt mit mir in die Kiste will. Vielleicht will sie nur mit jemandem über ihren Job sprechen.

»Die Pastateller müssen warm sein!«

»Wieso das denn?«, frage ich. »Ich dachte, wir essen die Nudeln, nicht die Teller ...«

Mein Witz wird mit einem schier endlosen, schrillen Sumpfhuhngackern abgestraft. Als sie sich beruhigt hat, informiert sie mich mit einem nervösen Augenzucken über die wahren Hintergründe der Telleraktion. Dabei stellt sie zwei Teller in den Backofen, den sie auf 100 Grad dreht.

»Kalte Teller sind der natürliche Feind der Pasta, weißt du?«

Ja. Und gackernde Sumpfhühner sind der natürliche Feind kopulierwilliger Männer! Moment mal, schießt es mir durch den Kopf, als ich im Wohnzimmer von den fünf Kerzen drei wieder ausblase, einfach nur so, weil Business-Stresstanten bei so viel Romantik bestimmt einen Nervenzusammenbruch erleiden, vielleicht, denke ich mir also, ist es ja doch noch nicht zu spät für einen Rückzug. Vielleicht krieg ich sie ja doch noch irgendwie aus meiner Wohnung.

»Du erinnerst mich sehr an meine Mutter!«, rufe ich ihr in die Küche und warte, bis sie ihre Sachen packt und geht. Sicherheitshalber ergänze ich: »Meine Mutter ist nämlich das Wichtigste für mich überhaupt!«

»Jaja ... das sagen Männer manchmal!«, gellt es zurück, gefolgt von einem kleineren HSG-Anfall. Zur Strafe blase ich noch eine Kerze aus und knipse die hellste Lampe an, die ich habe. Ich könnte eine Tüte rauchen. Doch offenbar hat Phil ein neues Versteck für sein Kiff gefunden, unter der Couch ist es jedenfalls nicht. Mir kommt kurz der Gedanke, aus meiner eigenen Wohnung zu fliehen. Aber was ist, wenn mein Businesshuhn dann durchdreht und meinen schönen neuen Sessel kaputtpickt? In der Schule hab ich mich einmal vor einer Abfrage gedrückt, indem ich Nasenbluten vorgetäuscht habe, das hat sehr gut geklappt. Aber jetzt? Dörte kommt mit dem Spaghettitopf und dem Wein und stellt alles auf den Tisch.

»Hey ... du hast 'ne Kerze angemacht, wie romantisch!«

Sie wirkt entspannter als eben, und als ich mir die Weinflasche genauer anschaue, weiß ich auch warum. Sie ist halb leer.

»Hab schon was für die Sauce genommen!«

»Natürlich!« Und ich gieße meine Blumen mit Havana Club.

Als wir endlich essen, erzählt sie mir in aller Ausführlichkeit, wen sie in ihrem Job in der vergangenen Arbeitswoche so alles zusammenscheißen musste. Wie ich erfahre, hat Dörte ein halbes Jahr für das Londoner Design Museum gearbeitet und ist darauf auch mächtig stolz.

»Philippe Starck, mit dem war ich im August noch essen!«, verrät sie mir, während sie sich selbst Wein nachschenkt und mich dabei vergisst. Demonstrativ nehme ich die Flasche, bevor sie sie auf dem Tisch abstellen kann, und mache mir mein Glas randvoll.

»Philippe Starck?«

»Der französische Star-Designer! Den musst du doch kennen!«

»Sorry, aber kenn ich nicht!«

Eines ist allerdings klar. Wenn sie letzte Woche mit Philippe essen war, steckt der gute Mann jetzt in einer tiefen Schaffenskrise.

»Was machst du denn eigentlich?«, fragt sie mich.

»Beruflich?«

»Ja ...«

Jetzt heißt es nachdenken. Wenn ich ihr sage, dass ich im T-Punkt 90-jährigen Witwen DSL-Flat aufschwatze, findet sie das womöglich noch cool. Also erzähle ich ihr was, das sie spätestens nach dem Dessert ein Taxi bestellen lassen sollte.

»Ich bin ... na ja ... ich bin arbeitslos und hab den Arsch voller Schulden! «

Gespannt warte ich auf Dörtes Reaktion. Nach einer kurzen Schrecksekunde bekommt sie einen Gackerlachanfall der Stärke 7,8 auf der nach oben offenen Sumpfhuhnskala.

»Du bist sooooo witzig! Ich mag das. Echt!«

Als ich ihr schließlich klarmache, dass ich wirklich arbeitslos bin, wird es ein wenig stiller um unsere vorgewärmten Pastateller.

»Sorry, ich hab echt gedacht ... du wirkst gar nicht wie ein Arbeitsloser, weißt du?«

Wie bitte wirkt denn ein Arbeitsloser? Hätte ich sie im Supermarkt mit stinkenden Klamotten laut jammernd und mit einem Strick um den Hals am Gebäck-vom-Vortag-Tresen empfangen sollen?

»Und was hast du jetzt vor? Was in Aussicht?«

»Ich ... will mich vielleicht selbständig machen mit ... einer ... Dings...«

Denk nach, Simon! Denk nach und nimm irgendwas Schwachsinniges!

»... mit einer Dachrinnenreinigung! Noch Wein?« Das war in der Tat schwachsinnig.

»Ähh ... danke ... erst mal nicht!«

Wir schweigen uns an. Ich zucke mit den Schultern und stochere ein wenig in meiner Pasta. Schließlich durchbricht sie die Stille:

»Weißt du was?«

Ja, weiß ich. Ich weiß, dass der liebe Gott den Abend sehr schnell enden lassen sollte, wenn er möchte, dass ich noch mal zu ihm in die Kirche komme. Trotzdem will ich von Dörte natürlich wissen, was ich nicht weiß.

»Wir machen dir einen Plan heute Abend!«

»Wir machen bitte was?«

»Einen persönlichen Businessplan! Wie du weiterkommst mit deiner Firma, deiner Dachrinnenreinigung!«

»Ich hab keine Firma!«

»Du bist die Firma!«

Ach du Scheiße! Sie meint es ernst. Ich kann mir keinen größeren Unterschied vorstellen zwischen dem eigentlichen Ziel des Abends, nämlich Sex zu haben, und einem Businessplan für eine garantiert nie existierende Dachrinnenreinigung. Ich spüre, wie ich langsam so richtig sauer werde. Auf mich, auf sie und auf die Tatsache, dass sie mich als Geisel in meiner eigenen Wohnung hält.

»Ich will aber keinen Businessplan machen heute Abend!«

»Wir machen ihn ja auch zusammen!«

»Wenn ich aber doch nicht will!«

»Wenn wir's gemacht haben, freust du dich!«

Das wäre eigentlich mein Argument für eine schnelle Nummer gleich nach dem Essen. Ich kann machen, was ich will. Die Frau hat mich in der Hand. Seit der ersten verschissenen SMS hat sie mich in der Hand, und ich bin machtlos. Eines weiß ich allerdings! Wir müssen hier raus. Und zwar sofort. Zu allem Unglück schlägt sie das Starbucks vor, ich kontere mit der Scheinbar. Sie ist damit sofort einverstanden, und wir beschließen, dort noch einen Drink zu nehmen. Die kann echt froh sein, dass ich so flexibel bin!

Da sitzen wir nun an einer runden Retro-Bar mit Glitzersäulen und Salsa-Mucke, sie in ihrem flussbettfarbenen Old-Economy-Business-kostümchen und ich mit meinem braungelben Lieblingshemd. Links von uns plappern aufgeregte Studenten über diesen und jenen Prof und anstehende Prüfungen. Meine Business-Begleitung hackt inzwischen emsig irgendwelchen Mist in einen grauen Laptop. Wie ein Specht auf Speed. Ich frage mich, wie viele Frauen einen Laptop mit zu einem Date nehmen, und tippe auf 0,1 Prozent. Ich hab inzwischen das vierte Pils. Nach dem dritten hab ich aufgegeben, mich dagegen zu wehren, den Businessplan gleich in der Kneipe zu machen. Keine drei Stunden kenne ich diese Frau, und doch hat sie es schon jetzt geschafft, mir das letzte Fünkchen Selbstachtung zu nehmen und es in ihr dummes, kleines MCM-Täschchen zu stopfen. Ich blicke durch den Barkeeper auf die schottischen Single Malts.

»Wo siehst du die Fixkosten für dein Büro?«, schallt es von rechts.

»Für die Dachrinnenreinigung brauch ich kein Büro!«

»Also null!«

»Genau!«

Es ist ein Wunder. Alles, was ich sage, macht diese Frau binnen Sekunden zu einer Zahl.

Wie viel Weißwein muss ich ihr wohl noch bestellen, bis sie mitsamt ihrer blöden Excel-Tabelle vom Hocker in die Lounge-Ecke kippt?

»Wie viele Dachrinnen schaffst du pro Woche, nur so Pi mal Daumen?«

»Eintausend!«

»Was brauchst du zum Leben im Monat, inklusive Miete und allen Versicherungen?«

»Einen halben Euro!«

Dörte tippt den halben Euro in Spalte F und nippt an ihrem Wein. Der Barkeeper, ein etwas zu gut gelaunter Twen in 70er-Jahre-Klamotten, schenkt mir Glas putzend ein tröstendes Lächeln.

»Businessplan!«, erkläre ich mit einer ausschweifenden Armbe-wegung.

»Muss schon sein!«, bestätigt er mir desinteressiert und stellt das blank polierte Glas ins Regal. Und dann kommt meine Rettung durch die Tür. Die Rettung ist sehr groß, und sie hat keinen Hals. Gestern noch hätte ich mich mit einem filmreifen Sprung hinter den Tresen gerettet, jetzt umarme ich ihn.

»Popeye! ! ! «

Auch Popeye freut sich, mich zu sehen. Er trägt wieder ein Pitbull-Germany-T-Shirt, diesmal allerdings ist es weiß mit schwarzer Schrift.

»Hey! Na, bist ja wieder auf den Beinen, Snoopy!«

Ich bin nicht nur wieder auf den Beinen, sondern auch hellwach, rücke wie ein perfekter Gastgeber den Hocker neben mir zurecht, dass Popeye sich setzen kann, und bestelle ihm ein Pils. Ich erkläre Dörte, dass mir Popeye heute das Leben gerettet hat und die Beine hochgelegt und dass ich ihn aus dem Schwulenfitnessclub kenne und dass er viel stärker ist als ich und mir das gefällt und dass es da so Codes gibt und dass Snoopy bedeutet, dass ich es von hinten mag.

Fast wirkt sie ein bisschen traurig, als sie Windows XP Professional runterfährt und ihren Laptop zuklappt. Ich schreibe ihr meine E-Mail-Adresse für den Businessplan auf: [email protected]. Das dürfte reichen, um nie wieder was von ihr zu hören. Wenn ich nicht allzu besoffen nach Hause komme, richte ich die Adresse vielleicht sogar noch ein. Mein Putzfrauendate nimmt den Bierdeckel mit der Mailadresse stumm entgegen, dann geht sie mit ihrem MCM-Sumpfhuhn-Täschchen und ihrem grauen Businessmäntelchen, ohne zu gackern, aus der Tür. Und wenn sie nicht zufällig Philippe Starck am Büdchen trifft, dann wird sie die letzte Bahn nehmen und noch von dort aus mit ihrer besten Freundin telefonieren. Was sie falsch mache, wird sie fragen, und wenn ihre beste Freundin nicht vollkommen matschig in der Birne ist, dann wird sie so was sagen wie: Alles!

DIE ROTE EULE FRAKTION

»Du hast einer Achtjährigen ein Fotohandy verkauft, inklusive Jahresvertrag?«

Ich mache meiner Chefin nicht die Freude, verschämt zu Boden zu schauen. Stattdessen beobachte ich durch die Lamellen der Bürojalousien, wie sich einige schlecht angezogene Passanten vor dem respektablen Platzregen in Sicherheit bringen, der eben eingesetzt hat. Im US-Café gegenüber schäumt das Starbucksmädchen gerade Milch für einen speckigen Glatzkopf auf. Vielleicht hat Phil ja Recht und ich sollte meine Starbuckshaltung revidieren. Wenn ich meinen weißen Telekomhintern nicht in ihren Laden bewege, dann kann ich meine Traumfrau auch nicht kennen lernen, so einfach ist das. Natürlich könnte ich auch mal eben »Heiratest du mich?« an die Scheibe schreiben, aber Spiegelschrift ist schwer.

Heiraten. Auch nicht das Schlechteste. Es soll ja Frauen geben, die dafür wie gemacht sind. Das Starbucksmädchen, das sehe ich sofort, ist so eine Frau. Eine echte Schönheit, eine Bellezza von Welt, das spürt man sogar aus der Ferne. Alles an ihr ist perfekt: ihre glänzenden, schulterlangen schwarzen Haare, das zarte, mandelbraune Gesicht mit den vollen Lippen und ihre atemberaubende Figur. Lara Croft bekäme neben ihr garantiert einen Heulkrampf vor Neid und würde sich vor ein Pizzataxi werfen. Das Sensationellste aber ist der vampartige Schlafzimmerblick des Starbucks-Mädchens. Ein Blick, der dir den Magen binnen Sekunden so fest einschnürt wie einen bayerischen Rollbraten. Ein Blick, der dich auf den kalten Platten der Fußgängerzone festtackert und dich eine Million Euro für einen einzigen Kuss auf die Wange zahlen lassen würde. So ein Blick ist das. Die Reichweite dieses Vampblickes ist enorm, denn einmal, so meine ich, haben sich unsere Blicke durch die Scheiben getroffen. Ich konnte den ganzen Tag nichts mehr essen vor lauter Magenflirren. Jetzt lächle ich runter zu ihr ins Café, doch offenbar ist meine Reichweite heute geringer, denn die Milchschaum-Bellezza bedient bereits den nächsten Kunden, ohne mich zu bemerken. 0 ja, sie wäre es tatsächlich wert, sie sofort aus diesem Mistladen rauszuholen und sie in meinem gelben Peugeot in die Karibik zu bringen. Ich würde ein Haus mieten und noch am Nachmittag Zwillinge zeugen, trotz Jetlags. Wegen unserer Kinder sollten in der Nähe des Hauses natürlich sowohl ein internationaler Kindergarten als auch eine renommierte Schule sein.

Ich muss sie ansprechen. Weil jeder Mann die Frau ansprechen muss, bei der es schon aus hundert Meter Entfernung im Magen kribbelt. Das hat die Natur nicht aus Spaß so eingerichtet. Die Natur hat nämlich keinen Humor, das sieht man an den ganzen Erdrutschen und Gewittern.

»Ich rede mit dir, Simon!«

Ach ja, und meine Chefin hat auch keinen Humor. Das ist nämlich eine keifende, paranoide Kuh, die es lediglich darauf abgesehen hat, mich fertig zu machen. Anfang dreißig, frigide und manisch depressiv, da ist es kein Wunder, dass es kein Mann länger als ein halbes Jahr mit ihr aushält. Und wahrscheinlich hat sie noch exakt drei Tage, vier Stunden und 45 Minuten bis zum finalen Eisprung. Paff! Das war's dann mit dem Nachwuchs. Pech gehabt. Ich lach mich tot. Meine Chefin ist nicht von Natur aus hässlich. Sie ist eventuell sogar ansatzweise attraktiv. Nur scheint sie jeden Morgen eine knappe Stunde damit zu verbringen, sich hässlich zu machen. Es würde ihr zum Beispiel schon mal besser stehen, wenn sie ein paar Hektoliter weniger Haarlack in ihre strohigen Haare pumpen würde. Dann sähe sie auch nicht so aus wie Sabine Christiansen nach einer einwöchigen Achterbahnfahrt. Das Beste ist die Brille. Groß und rund und aus schwarzem Kunststoff ist die. Sieht aus wie eine Eule damit.

>Huhuhu<, macht die Eule und >Klack, klack, klack< ihr Stift.

»Simon, bitte!«

Ich antworte auch nicht schneller, wenn sie mit ihrem billigen Telekomstift auf den Tisch klopft. Das Starbucks-Mädchen schäumt immer noch Milch. Unsere Kinder wären der Hammer, davon bin ich überzeugt. Ich meine, der liebe Gott ist ja nicht schwul, und schon deshalb würde ein großer Teil ihrer umwerfenden Schönheit in unseren gemeinsamen Genpool fließen.

»Simon, wir können das auch ganz anders regeln. Die Tatsache, dass ich mit dir rede, bevor dieser peinliche Vertrag in die Zentrale geht, ist schon ein enormes Entgegenkommen von mir! «

Ohhhhh ... danke schön! Die Tatsache, dass ich die Eule noch nicht neben ihre »Managerin des Jahres 99«-Urkunde gepinnt habe, ist ein enormes Entgegenkommen von MIR!

»Simon? Hörst du mir überhaupt zu?«

»Jaaaahaaa!«

»Was ist denn los mit dir in letzter Zeit?«

Was mit mir los ist? SIE fragt MICH, was mit MIR los ist? Die hat Nerven.

»Kann ich jetzt gehen?«

»Nein! «

Oha! Herzlichen Glückwunsch zu ihrem erstklassigen Machtspielchen. Simon Peters darf nicht gehen! Simon Peters befindet sich in der Gewalt der Rote Eule Fraktion! »Tag 387« steht auf seinem Pappschild.

»Ich möchte, dass du das mit diesem Vertrag regelst und das Fotohandy zurücknimmst, bevor wir die Eltern hier im Laden stehen haben. Und zwar heute! Was hast du dir überhaupt dabei gedacht? Mal abgesehen davon, dass der Vertrag sowieso nichtig ist, weil Achtjährige nicht geschäftsfähig sind. Man kann keinen Jahresvertrag mit einer Achtjährigen machen. In Timbuktu vielleicht, aber in Deutschland nicht!«

»Die wollte das halt haben, das Handy!«

»Klar wollte die das haben! Mein Gott!«

»Ach, leck mich doch ...«

»Was?«

»Nix! «

»Simon, jetzt mach's mir doch nicht schwerer, als es ohnehin schon ist. Ich bin nun mal deine Chefin. Was soll ich denn machen?«

Der Staat ist machtlos. Die Rote Eule Fraktion schlägt zu, wo immer es ihr passt. T-DSL hier, Zweikanal-ISDN da. Die Polizei ist immer die entscheidende Sekunde zu spät. Kawummmms! Bekennerbrief der REF. Und wieder ein Internet-Breitbandzugang mit Wireless LAN und Zwei-Megabit-Flatrate ausgerechnet bei einem sabbernden Rent-nerehepaar aus Bottrop.

»Simon?«

»Ja! «

»Simon, hast du eine Idee, wie du das regeln willst?«

»Ja, ich weide die Eltern aus und verticke die Fotos an perverse Nekrophile im Netz!«

»Also, in letzter Zeit machst du mir Angst!«

Prima. Ich nehme den Handyvertrag entgegen, nicke der kopfschüttelnden Eule zu und schlurfe die Treppe nach unten in den Aufenthaltsraum unseres Shops. Ein winziges Zimmer mit beigen Tapeten, die irgendwann einmal weiß waren, einer zehn Jahre alten Severin-Kaffeemaschine und einem Radio mit abgebrochener Antenne. Die Einrichtung besteht aus einem verdreckten Billyregal, einer ebenso verdreckten Kochnische und einem großen Plastiktisch mit fünf Rattanstühlen, von denen schon zwei kaputt sind, weil Kollege Flik immer fetter wird. Sieht also nicht gerade aus wie der Aufenthaltsraum eines Unternehmens, das mit seiner Technologie die Welt verändern will. Schon allein deswegen muss ich hier raus. Raus und mein eigenes Ding machen. Beweisen, dass ich's draufhabe. Oder hat irgendjemand schon mal etwas von einem T-Punkt-Verkäufer mit einer Villa in der Karibik gehört? Nein? Eben!

Simon Peters hat mal im T- Punkt gearbeitet? Was?? Der Millionär, der mit diesem nymphomanischen Supermodel auf den Virgin Islands wohnt?

Genau der! Mir war ja immer klar, dass der nicht lange Verkäufer bleibt.

Wäre doch gelacht, wenn ich das nicht hinbekäme! Noch stehe ich allerdings in einem beschissenen Telefonladen in einer Stadt ohne Meer. Und das mit fast dreißig. Generation Golf, keine Inspektion. Ist da wer liegen geblieben? Gibt es denn keinen Karriere-ADAC, der einen auf die nächste Stufe schleppt, wenn einem der Elan ausgeht? Ich muss hier raus, irgendwas machen, das steht fest. Und wach werden wäre auch nicht schlecht. Weil ich zu faul zum Abspülen bin, kippe ich mir den Kaffee in eine ungespülte Tasse von Freitag. Wie sich herausstellt, ist auch der Kaffee von Freitag. Angewidert spucke ich ihn in die Spüle.

Heute, das hab ich irgendwie im Gefühl, ist nicht wirklich mein Tag. Ich überlege, mit welchem Gegenstand ich meine Wut abreagieren könnte, und entscheide mich blitzschnell für einen Korbstuhl, den ich mit lautem Gedöhns gegen die Heizung trete. Haben wir jetzt also noch exakt zwei ganze Stühle. Dafür fühle ich mich sofort so gut, dass ich meine erste Kippe rauchen kann.

»Hey, Simon! Alles klar? Da war so 'n Krach!«

Es ist der dicke Flik, der da in seiner C&A-Buntfaltenhose und einer blöden blauen Kappe in der Tür steht. Der größte Teil seines gestreiften Hemdes steckt wie immer in der Hose, der vordere nicht, was an seiner beeindruckenden Wampe liegt. Während ich einen neuen Kaffeefilter in die Maschine fummle, füllt Flik den Wasser-kocher für seinen grünen Weichei-Tee mit Vanillearoma.

»Musste hier drinnen rauchen?«, fragt er mich vorsichtig.

»Ja. Muss ich. Weil ich Raucher bin und wir nicht in den USA sind!«

»Du immer mit deinen Ami-Sprüchen!«

Ich packe zehn Esslöffel Kaffee für fünf Tassen in den Filter, weil halb wach zu sein ist auch doof.

»Haste gewusst? In New York musste Strafe zahlen, wenn du einen Aschenbecher an einem öffentlich zugänglichen Ort aufbewahrst! Ashtray violation oder so heißt das.«

Ich schalte die Maschine ein, und ein roter Punkt erscheint auf dem Schalter. Zeit, mich wieder hinzusetzen. Flik schaut mich ungläubig an.

»Echt?«

»Echt! «

»Trotzdem ... kannste bitte deine Kippe ausmachen, mir wird echt schlecht, wenn ich früh so was rieche.«

»Dir wird auch schlecht, wenn das Fenster zwei Sekunden auf ist, das Bier kälter als 20 Grad oder die Nudeln zu scharf sind!«

»Ich muss halt aufpassen mit meinem Magen!«

»Du musst aufpassen mit deiner Wampe!«

Die greise Kaffeemaschine röchelt die ersten Wassertropfen durch die verkalkten Schläuche. Flik hat echt die Ruhe weg. An seiner Stelle hätte ich mir längst eine gescheuert für die Sprüche.

»Was biste denn so schlecht drauf? Kommste von der Eule?«

»Jap. Hab 'n Anschiss bekommen, wegen so 'nem Handyvertrag.«

Flik nimmt sich den Stuhl, den ich an die Heizung gedonnert habe, und setzt sich, Lehne nach vorne, ans Stirnende des Tisches. Es kracht und knackt, als er sich reinfallen lässt.

»Glückwunsch, Herr Calmund!«, lache ich.

»Scheiße. Ich bin echt zu dick!«

»Meine Rede!«

»Idiot!«

Mit rotem Kopf stellt Flik den Stuhl zu den anderen kaputten an die Wand und nimmt sich den letzten intakten Stuhl. Manchmal tut's mir ja Leid, dass ich so fies zu Flik bin, denn Flik ist immerhin mein Freund. Ich mag ihn echt gern, womöglich, weil er der Einzige ist, der mir auch die größte Scheiße durchgehen lässt. Manchmal hab ich sogar das Gefühl, er mag mich auch. Und ich weiß auch, warum: Weil er nämlich selbst gerne ein bisschen so wäre wie ich – weltmännisch und cool halt. Mit seiner viel zu netten Art, den Klamotten aus dem 78er-Winterschlussverkauf von C&A und seinem froschgesichtigen Grinsen wirkt er nicht gerade wie ein Frauenheld. Dabei müsste er sich nur mal was Ordentliches zum Anziehen kaufen, 'ne neue Frisur zimmern lassen und zehn Kilo abnehmen, und schon sähe er nicht mehr total scheiße, sondern nur noch scheiße aus. Gut, sagen wir fünfzehn Kilo. Am allermeisten geht mir allerdings Fliks notorischer Pessimismus auf den Wecker. Bitte begrüßen sie mit mir: Flik, den Vorstandsvorsitzenden vom Verein der Bedenkenträger. Wenn sich auf der Autobahn ein Stau auflöst und man wieder richtig Gas geben kann, dann sagt Flik nicht etwa >Geil, den Stau haben wir hinter uns!<, sondern >Oh ... hoffentlich kommt nicht noch ein Stau!<. Kein Wunder, dass er keine Frau abbekommt. Und natürlich, weil er ständig irgendwelche Flecken auf den Klamotten hat. Während ich ihn nach seinem »Spot of the Day« absuche, mustert er den Handyvertrag. Bei den persönlichen Angaben huscht ein Grinsen über sein Gesicht.

»15. 796? Du hast einer Siebenjährigen ein Fotohandy verkauft?«

»Achtjährigen! «

»Hut ab. Und jetzt?«

»Die Eule sagt, ich soll noch heute zu den Eltern und das regeln!«

»Uh ... peinlich!«

»Dein Wasser kocht!«

»Ahhh ...!«

Nicht ohne Mühe hievt sich Flik aus dem Korbstuhl und füllt übervorsichtig seine pinke Telekom-Teetasse.

»Das ist nur heißes Wasser, kein Plutonium!«, stöhne ich.

»Jaja!«, lautet seine lapidare Reaktion. Fliks Ausgeglichenheit geht mir gehörig auf den Senkel. Ich frag mich echt, was mit ihm los ist.

»Wie war denn dein Putzfrauenrendezvous?«

»Kein Mensch sagt mehr Rendezvous, Flik!«

»Na ja ... dann halt dein Treffen ...!«

»War 'ne echte Pornokatze!«, lüge ich. »Und ... na ja ...war halt geil! Weiß gar nicht, was du wissen willst.«

»Du hast ... am ersten Abend? Das ist pfiffig!«

»Pfiffig? Sagt auch keiner mehr.«

»Das ist cool, meine ich! Und? Is mal was für länger?«

»Also ich finde drei Mal in zwei Stunden schon ganz schön lang!«

Es ist eine verschissene kleine Lügenwelt, aber wenigstens ist es meine verschissene kleine Lügenwelt. Immerhin bin ich von meiner Lüge ebenso beeindruckt wie Flik.

»Und dein Wochenende?«, frage ich.

»Hey. Bei mir hat's auch geklappt! Toll, oder?«

»Wie? Geklappt?«

Ich hab's geahnt. Irgendwas ist verändert seit heute. Diese verdammte Ruhe, mit der er seine Umwelt nervt, zum Beispiel. Und die Tatsache, dass er keinen Fleck auf den Klamotten hat.

»Na ... diese Daniela ... wir haben ... also ... es hat endlich geklappt!«

Mit erwartungsvoller Miene und Teebeutel in der Hand blickt mich Flik an. Ich soll mich wohl freuen. Stattdessen bricht mein Weltbild kläglich zusammen wie ein Parkinson-Mikado.

»Daniela? Wer iss'n jetzt Daniela?«

»Wärst du zum Spanischkurs mitgekommen, würdest du sie kennen.«

»Ich wollte ja wirklich gerne mitkommen«, sage ich, »aber an dem Abend hatte ich einfach keinen Bock!«

Einmal lässt man die Trantüte alleine ausgehen! Ich kann es nicht begreifen, dass ausgerechnet der dicke Flik schneller zum Schuss kommt als ich. Wobei ich ja finde, dass der dicke Flik gar keinen Sex zu haben hat. Schon gar nicht, wenn ich keinen habe. Der dicke Flik hat neben mir in der Kneipe zu sitzen und dick zu sein. Der dicke Flik ist dafür da, dass ich mich besser fühle als ohne dicken Flik.

»Warum trinkst du denn nicht von deinem Tee?«

»Weil der noch zu heiß ist, und dann verbrüh ich mich!« Es ist zum An-die-Decke-Gehen.

»Natürlich. Und? Sieht gut aus, diese Daniela?«

»Na ja ... hässlich ist sie nicht!«

Auch das noch. Verdammt noch mal!

»Wird vielleicht was Ernstes«, ergänzt Flik ungefragt und macht dazu ein so bedeutungsvolles Gesicht, als unterzeichne er die Fusion der Deutschen Telekom mit General Motors.

»Wenn du mit deinen 100 Kilo 'ne Frau vögelst, isses immer was Ernstes! Du könntest sie ja zerquetschen!«

»Du bist richtig eklig, weißt du das? Ich weiß gar nicht, warum ich ausgerechnet dich mit zu Schalke nehme!«

Die zwei größten Kirchturmglocken Deutschlands machen Ding und Dong. Und ich schaue nur deswegen so sparsam, weil ich exakt drunter stehe. DAS war es! Das Fußballspiel! Ich wusste, dass ich irgendwas vergessen hatte. Ich versuche, weiterhin cool zu wirken.

»Mensch, Flik, genau. Das Fußballspiel. Wusste ich doch. Wann ist das denn noch mal?«

Flik zieht wortlos ein blaues Schalke-Trikot aus seiner Tasche und wirft es mir zu. Es ist seine subtile Art zu sagen: heute, du Arsch!

SCHICKLGRUBER

Flik kennt jemanden, der jemanden kennt, der in der Pressestelle von Schalke 04 arbeitet. Mir wär's lieber, er hätte keinen gekannt. Dann hätten wir nämlich normale Stehplatzkarten unten im Stadion. Stattdessen sitze ich in einem ungewaschenen Schalke-Trikot mit irgendwelchen Funktionären am Tisch der Sponsoren-Loge und versuche, doof lächelnd, einer Garnele den Schwanz abzuziehen. Vie-len Dank noch mal, Flik, für die gelungene Überraschung! Hätte ja mal ein Wort sagen können, dann hätte ich mich auch in einen Anzug geworfen, statt hier wie der letzte Braunkohle-Pottproll im Fan-Trikot rumzusitzen. Mal abgesehen davon, dass ich weder Schalke-Fan bin noch von Fußball Ahnung habe. Ha! Der Garnelenschwanz ist ab.

»Bingo!«, rufe ich und präsentiere der versteiften Tischrunde stolz meine Garnele. Eine Leistung, die von meinen schnöseligen Mitessern nur unzureichend gewürdigt, ja von Flik sogar getadelt wird.

»Simon! Bitte!«

»Is ja gut!«

Ich lass es gut sein, denn Flik ist der größte Schalke-Fan der Welt, und wahrscheinlich ist so ein Abend in der offiziellen Sponsorenloge echt was Besonderes für ihn. Während unter lautem Tamtam aus der Lautsprecheranlage die Spieler einlaufen, stelle ich mir Flik vor, wie er seine hundert Kilo auf Daniela wuchtet. Rummmssss! Das kann ihr unmöglich gefallen.

»Iiiiiiigitt!«

»Is schlecht, die Garnele?«, erkundigt sich Flik.

»Nee, hab nur gerade an was gedacht!«

Die Zuschauer pfeifen jeden einzelnen Spieler aus, der den Rasen betritt, und mir dämmert, dass es sich dann womöglich doch um die gegnerische Mannschaft handelt und nicht um Schalke.

Richtig sicher bin ich mir aber erst, als die Fans anfangen, irgendwelche Nachnamen zu skandieren, nachdem der Stadionsprecher die Vornamen durchgesagt hat.

Ebbe ... SAAAANNND!!!!

Gerald ... ASAMOOOOAHHH!!!

Simon PEEEEETTTERS! ! !

Eine sehr seltsame Tradition, das mit den Namen, aber egal, ich bin ja auch kein Schalke-Fan. Die älteren Herrschaften, die um mich herum sitzen, sind aber offenbar auch keine, denn sie machen beim Namenrufspiel gar nicht mit, womöglich, weil sie teure Anzüge tragen und Damen dabeihaben mit viel Schmuck und so. Ich schnappe mir meine zweite Garnele, bevor Flik sie mir wegfressen kann und noch fetter wird. An einem Stehtisch unterhalten sich zwei Herren mit Schalke-Krawatte über einen Spanier, den der Verein gerade jetzt kaufen sollte, der aber zu teuer ist. Spanien. Zack! Schon bin ich in meinen Gedanken wieder bei Fliks Daniela vom Spanisch-Konversationskurs. Irgendwie hab ich richtig Schiss, dass sie gut aussieht. So was soll es ja geben! Flik, der im Fantrikot rechts neben mir sitzt, grinst blöd und stumm in die Runde. Ihm scheint das hier richtig zu gefallen.

»Noch ein Pils, der Herr?«

Ein weiß beschürztes, sehr junges Mädchen mit Tablett lächelt uns an.

»Sehr gerne!«

Der einzige Lichtblick des Abends: frei saufen. Ich frage Flik, was das überhaupt für ein Spiel ist heute Abend, einfach so, um irgendwas zu fragen.

»Das hast du doch schon im Auto gefragt.«

»Hab ich?«

»Ja!«

»Sag's mir noch mal!«

»UEFA-Intertotocup-Finale. Das Rückspiel gegen Pasching!«, lautet die leicht genervte Antwort. Jetzt weiß ich, warum ich das wieder vergessen habe. Weil man sich so was unmöglich merken kann.

»Genau, das war's!«

Mir fällt auf, dass der dicke Flik irgendwie nervös wirkt. Womöglich hat sogar er jetzt bemerkt, dass wir hier in unseren ausgewaschenen Trikots aus der vorvorletzten Saison nicht wirklich an den Mahagonitisch passen.

»Alles klar, Flik?«

Das weiß beschürzte Mädchen stellt mein Bier auf den Tisch, und ich nehme dankbar einen großen Schluck. Flik bewegt seinen Kopf kurz bedeutungsvoll in Richtung eines grau melierten Herrn, der direkt links neben mir sitzt. Er unterhält sich mit einer jüngeren Frau, raucht Zigarillo dabei und pustet den Rauch in unsere Richtung, um die Dame nicht zu belästigen. Okay! Zeit für meine gute Tat des Tages und vielleicht ja auch Wiedergutmachung für meine Sprüche am Morgen. Mit einem Lächeln wende ich mich an das Grauschläfchen.

»Entschuldigen Sie bitte, dass ich Sie unterbreche ...«

Leider lässt sich der Herr nicht einfach so unterbrechen. Flik schüttelt panisch den Kopf und tritt mir gegen das Schienbein.

»Simon, lass!«

Doch ich lasse mich nicht beirren. Nur weil wir alberne, blaue Fußballleibchen tragen, heißt das nicht, dass man mit uns machen kann, was man will.

Mein diesmal lauter vorgetragenes »Hallo? Entschuldigung?« führt auch beim Rest am Tisch zu einem Verstummen der Gespräche. Schließlich habe ich nicht nur die Aufmerksamkeit des Zigarillorauchers, sondern die der ganzen Schnöselbande.

»Würde es Ihnen etwas ausmachen, woanders zu rauchen?«, frage ich mit fester Stimme. »Der Rauch zieht nämlich direkt zu uns rüber, und dann wird meinem Freund schlecht. Wäre nett!«

Stille am Tisch. Ich hätte genauso sagen können: »Entschuldigen Sie, aber Sie sehen aus wie der aidskranke Stricher, der mir gestern im Puff mein Nokia geklaut hat.« Es hätte die gleiche Reaktion hervorgerufen. Auch Fliks Froschaugen treten noch ein wenig mehr hervor als üblich. Schließlich bricht der graue Herr das Schweigen.

»Sie sind ...?«

»Simon Peters. Mein Kumpel hier und ich, wir haben nämlich VIP-Karten. Und Sie?«

»Rudi Assauer. Ich hoffe, es schmeckt Ihnen!«

Damit wendet er sich wieder seiner jüngeren Begleitung zu. Auch die anderen Leute am Tisch sprechen wieder, haben aber offenbar das Thema gewechselt, denn ich vermag Satzfetzen der Couleur »unglaublich dreist«, »was bildet der sich ein« und »sollte man rausschmeißen!« zu vernehmen. Der bleiche Flik steht auf und bedeutet mir, ihm zu folgen. Wir sind keine zwei Meter vom Tisch weg, da platzt es aus ihm heraus.

»Sag mal, weißt du überhaupt, wer das ist?«

Der arme Flik ist inzwischen knallrot angelaufen. Und natürlich weiß ich nicht, wer das ist.

»Hat er doch gesagt: Assammer oder so.«

»Assauer, du Volldepp! Rudi Assauer. Du kannst doch dem Manager von Schalke 04 nicht in seiner eigenen Loge das Rauchen verbieten!«

Hups! Komm ich da irgendwie wieder raus? Probieren kann ich's ja mal.

»Duuuu hast doch so blöd geguckt wegen dem Rauch und auf den Assamer gezeigt!«

»Assauer, du Arsch!«

Wir streiten noch gute zehn Minuten weiter und schaffen dabei jeder zwei Veltins. Der dicke Flik braucht noch ein drittes, um sich wieder in die Loge zu trauen. Weichei. Als wir uns schließlich auf die letzten beiden VIP-Plätze vor der Sponsoren-Lounge schleichen, hat das Spiel schon begonnen. Der grau melierte Herr ist auch verschwunden. Ich genehmige mir ein weiteres Veltins auf Vereinskosten. Man braucht kein Kenner der Szene zu sein, um zu bemerken, dass Schalke einen ordentlichen Mist zusammenkickt. Auch Flik schaut reichlich sparsam aus der Vereinswäsche, als unten auf dem Platz so rein gar nichts passiert. Einziger Höhepunkt der ersten Hälfte ist dann auch der Name des österreichischen Torhüters: Der heißt nämlich Schickl-gruber und hält kurz vor der Pause noch den Torschuss eines gewissen Altintop.

Die alberne Pausenshow überbrücke ich mit zwei weiteren Veltins. In der zweiten Halbzeit pfeifen sogar die Schalker Fans. Grund genug, mir nach jedem Fehlpass ein neues Bier zu holen und Flik mit irgendwelchen beknackten Fußballfragen zu löchern, damit er wieder locker wird.

»Wer ist denn jetzt eigentlich so der beliebteste Spieler bei Schalke?«

»Ebbe Sand. Hamit Altintop vielleicht auch.«

»Der, der kurz vor der Pause nicht getroffen hat?«

»Genau der!«

»Tja ... Schicklgruber is halt Chef!«

»Jaja ...«

»Und dieser Altintop ..., also so im Vergleich ... ist der jetzt beliebter als Ballack?«

»Ballack spielt bei den Bayern!«

»Ach ja, klar!«

Ich kann machen, was ich will. Flik bleibt zugeschnürt und äußerst einsilbig. Irgendwann hab ich genug von der Nullnummer auf dem Rasen und gehe wieder nach drinnen in die Loge, wo inzwischen eine Art Nachtischbuffet aufgebaut wurde. Weil ich kein Veltins mehr sehen kann, nehme ich mir eine Tasse Kaffee und ein Stück von einem blauweißen Kuchen in Form eines halben Fußballs. Der Kuchen schmeckt sensationell lecker. Ich beschließe, erst gar nicht mehr auf meinen Platz zurückzugehen, das Gekicke von drinnen weiterzuverfolgen und es mir ein wenig gut gehen zu lassen. Es erfüllt mein Ego mit großer Genugtuung, dass ich mir auf einem italienischen Designersofa gratis den Bauch mit Garnelen und Kuchen voll stopfen kann, während das gewöhnliche Fußvolk in der Fankurve mal eben 500 Euro für 'n Dauerkarte abdrücken muss. Ich nehme mir ein weiteres Kuchenstück mit einer lustigen Sechs aus Spritzguss und gieße mir Kaffee nach. Der Schiedsrichter pfeift ab, und ein enttäuschter Flik setzt sich zu mir auf die Couch.

»Und?«, frage ich schmatzend.

»Egal, Hauptsache, sie sind weiter!«

»Wenn's nach mir ginge, wären sie nich weiter!«

Ich bemerke einen bösen Blick von Flik und nehme einen weiteren Bissen von meinem königsblauen Kuchenstück. Inzwischen schwärmen die Anzugträger mit ihren aufgetakelten Damen wieder zu ihren Champagner-Stehtischchen. Irgendwas scheint noch geplant zu sein, denn die gut verdienenden Damen und Herren formen einen Halbkreis um meinen wieder aufgetauchten Zigarillofreund Assamer. Die jüngere Frau, mit der er sich am Tisch unterhalten hat, setzt zu einer kurzen Rede an, in der unter anderem die Worte Geburtstag und Sechzig vorkommen und überreicht dem grau melierten Rudi den Rest vom blauen Fußballkuchen mit der Zahl Null. Dann starren plötzlich alle auf mich und mein Kuchenstück mit einer halben sechs. Sekunden später verlassen Flik und ich vergleichsweise zügig die Loge. Vermutlich, weil wir VIP-Gäste waren, begleiten uns zwei große Herren mit Knopf im Ohr bis zu meinem gelben Peugeot. Sie winken nicht, als wir vom Parkplatz P3 Richtung Autobahn fahren.

Wir reden kein Wort auf der Fahrt nach Hause. Flik ist sauer. Um nicht zu sagen stinksauer. Als wir in Köln am Fernsehturm mit dem pinken Telekom-Logo vorbeifahren, fällt mir ein, dass ich noch was erledigen muss. Ich informiere Flik. Begeistert ist er nicht.

»Du bist doch total bekloppt. Um die Zeit und dann noch besoffen!«

»Ich hab der Eule versprochen, dass ich mich heute drum kümmere. Und jetzt ist gerade noch heute, weil nachher ist ja schon morgen, und dann gibt es Ärger!«

Offenbar hab ich mich nicht richtig verständlich gemacht, denn Flik zeigt mir einen Vogel, als ich an einer roten Ampel den Vertrag aus meiner Jeans fummle.

»Sag mal, Simon, du willst jetzt nicht wirklich da hinfahren, oder?«

»Willst DU fahren?«

Flik ist ganz aufgebracht. Ich hab keine Ahnung, wo jetzt wieder das Problem ist.

»Simon! Was macht das denn für 'n Eindruck, wenn du um die Zeit klingelst? Und was willste dann sagen? >Guten Abend, mein Name ist Peters und ich habe ihrer sieben-jährigen Tochter aus purer Bosheit ein Fotohandy mit einem Jahresvertrag verkauft<?«

»Die Tochter war acht! Und es ist ein Zweijahresvertrag.«

»Du drehst echt durch!«

»Und von Klingeln hab ich nix gesagt!«

Ich muss mich echt mal um coolere Freunde kümmern. Flik geht ja gar nicht mehr. Macht sich in die Hosen, weil wir uns von einem kleinen Mädchen einen Vertrag zurückholen, der sowieso nicht rechtsgültig ist.

»Ich mach da nicht mit, Simon!«

»Dann bleib im Auto, mach dir einen Tee und freu dich, dass Schalke weiter ist! Aber warte 'ne Weile, bevor du ihn trinkst, sonst verbrennst du dich und stirbst!«

»Blödmann!«

Vor einem großen weißen Einfamilienhaus im Stadtteil Lindenthal lasse ich den Wagen ausrollen. Ich dreh das Radio aus, zünde mir eine Prince Denmark an und wähle die Festnetznummer, die mir die kleine Ulrike in den Vertrag diktiert hat. Nach dem sechsten Klingeln geht ein Anrufbeantworter dran. Ich warte auf den Piep und rülpse »Te-lekom, wir machen das!« aufs Band. Witzig. Keine Reaktion von Flik.

»Die Chancen stehen gut, dass keiner da ist!«, beruhige ich ihn.

»Und ... das heißt?«

»Dass ich in zehn Minuten zurück bin!«

Flik blickt kopfschüttelnd aus dem Wagen und schnauft ganz komisch, als habe er gerade tierischen Stress. Dabei sitzt er ja nur rum und guckt blöd. Wahrscheinlich ist das für dicke Menschen aber schon höllisch anstrengend. Ich steige aus und gehe zum Hauseingang. Mommsenstraße 88, so wie's im Vertrag steht. Bingo. Auf der Klingel steht Günther. Ich springe über das gusseiserne Gartentor und schleiche an einem Kinderfahrrad vorbei um das Haus herum, bis ich zur Terrasse gelange. Über eine kleine Mauer komme ich relativ problemlos auf den Balkon. Ich freue mich, wie leicht man es mir macht, denn die Balkontür lässt sich einfach so aufschieben. Wenn ich so 'ne edle Hütte hätte, wäre an jedem Mauseloch ein Sicherheitsschloss. Ich ziehe den Vorhang ein wenig zur Seite und sehe exakt nichts. Ich gehe einen Schritt ins Zimmer und stehe immer noch komplett im Dunkeln. Simon Peters unterwegs in geheimer Mission der Rote Eule Fraktion. Es sind genau diese Details, die entscheiden, ob es ein Weltunternehmen wie die Telekom schafft oder nicht. Wenn alle Mitarbeiter so viel Engagement zeigen würden wie ich, dann wäre der Aktienkurs auch nicht im Arsch. Trotzdem: Die Überstunden reiche ich gleich morgen ein, das steht schon mal fest.

Ich mache die Augen auf, so weit es geht, und wage mich einen weiteren Schritt ins Zimmer. Jetzt kann ich die Konturen eines Kinderbettes erkennen. Es ist leer. Offenbar sind alle aus dem Haus. Ich streiche über die Bettwäsche. Sie ist kalt. Wahrscheinlich haben die Eltern ihre Tochter schon in ein Schweizer Internat gesteckt, weil sie so einen Mist mit dem Handy gebaut hat. Mir kommt's gelegen, dass die Hütte leer ist. Es gibt Angenehmeres als ein kleines Mädchen mit Teddy in der Hand, das laut »Mama« schreit, weil ein besoffener Typ mit Schalke-Trikot vor ihrem Bettchen steht. Am allerangenehmsten wäre es natürlich, wenn direkt neben dem Bettchen das Fotohandy und die Durchschrift des Vertrages liegen würden. Ich taste mich an der Wand entlang und finde den Lichtschalter. Klick. Da ich kein Einbrecher bin, sondern hier nur eine Kleinigkeit regeln muss, darf ich auch Licht machen, finde ich. Ich schaue mich um. Über einem roten Lackschreibtisch mit Alubeinen hängt eine Korkpinnwand mit zwei Ansichtskarten aus Florida und einem Ricky-Martin-Aufkleber aus der Bravo. Armes Mädchen! Wann sie wohl erfahren wird, dass der Gute schwul ist? Ich entscheide mich für meine zweite gute Tat am Tag und schreibe »Ricky Martin ist ein Hinterlader!« neben die Karte. Dann wähle ich die Handynummer, die ich ihrem Fotohandy zugeteilt habe. Und tatsächlich: Nach ein paar Sekunden klingelt es irgendwo im Haus. Das heißt, es klingelt nicht, sondern es quäkt ein polyphoner Ricky-Martin-Song. Während ich das Geräusch orte, singe ich lispelnd mit, erst leise, dann lauter.

Un dos tres ... noch eine Weile, dann hab ich die Handy. Ich knipse das Licht aus und trete in den Flur. Die Melodie wird ebenfalls lauter.

Un dos tres ... und gebe der Eule zurück.

Über mehrere Oberlichter strahlt der Mond auf einen edlen Dielenboden. Ich taste nach einem Schalter, finde ihn und drücke drauf. Ein Meer von Halogenlampen beleuchtet den Flur. An der Wand hängt moderne Kunst. Scheinen nicht gerade von der bösen Rezession geplagt, die Günthers. Ich kann noch zwei weitere Türen erkennen, wobei Ricky Martin eindeutig aus dem Zimmer neben mir quäkt. Aus Spaß reiße ich die Tür auf wie ein FBI-Agent und benutze mein Handy als 45er-Magnum.

»Freeze, you motherfuckers, this is the police!«, rufe ich. Ich knipse das Licht an und sehe, dass ich offenbar in Daddys Arbeitszimmer gelandet bin. Lederbürostuhl, teure Schränke, Ablagen aus feinstem Holz. Nicht schlecht! Auf einem wuchtigen Edelholzschreibtisch liegt das Objekt meiner Begierde: ein rotes Nokia 5140. Strrrike!

Und es wird mir noch ein unerwartetes Geschenk gemacht, denn der Durchschlag des Vertrags liegt direkt darunter. Hat der Papa wohl schon konfisziert. Diese Familie ist eben noch intakt. Höchst zufrieden stecke ich Handy und Vertrag in die Hosentasche und lege einen Euro auf den Tisch. So viel hat das Ding nämlich gekostet.

Als ich nach draußen komme, ist mein Auto leer. Dafür finde ich auf dem Sitz einen Zettel von Flik.

Du bist bekloppt. Bin bei Daniela. Flik.

TALL LATTE MACCHIATO ARMAGEDDON

Von allen Cafés dieser Stadt muss sich Phil für ein Treffen natürlich ausgerechnet das Starbucks aussuchen. Ich weiß nicht, ob ich die Nerven hierfür aufbringe, denn, und das habe ich schon von weitem gesehen, das Starbucksmädchen steht hinter dem Tresen. Steht einfach so da in ihrer ganzen Pracht und schäumt banale H-Milch, statt sich in unserer karibischen Zwölf-Zimmer-Villa um unsere süßen Kinder zu kümmern. Ich hole noch einmal Luft und verlasse den T-Punkt, um die zwanzig Meter Entfernung zum Starbucks und Phil zu überbrücken. Mr. Heute-Abend-geht-was hat sich heute zur Feier des Tages mal in einen kotzfarbenen Cordanzug gesteckt und, als würde er darin nicht schon beschissen genug aussehen, sich noch einen affigen Ahoi-Brause-Pulli druntergezogen. Mürrisch gebe ich ihm die Hand und ringe mir ein Lächeln ab.

»Tach! Tolle Idee mit dem Starbucks! «

»Ich dachte, ich arbeite mal an deiner kulturellen Blockade!«, stichelt Phil und zeigt grinsend auf eine US-Flagge neben dem Starbucks-Logo.

»Ich bin dir sehr dankbar!«

»Wusste ich! Gehen wir rein!«

Spricht's und schnippt weltmännisch seine Zigarette in die Mitte der Fußgängerzone. Dann hält er mir galant die Türe auf und lässt mich freundlicherweise wissen, dass er einen Grande Latte und ein Cajun Chicken Sandwich haben möchte, was auch immer das ist. Noch bevor ich Phil nach Geld fragen kann, verschwindet er in einem bor-deauxroten Ledersessel und telefoniert. Irgendwie kriegt er es halt immer hin, sich vor dem Bezahlen zu drücken.

Die Schlange am Bestell-Tresen besteht lediglich aus einer zotteligen 30-Jährigen mit weiten, bunten Ökoklamotten. Mit geweiteten Augen geht sie die Tafel mit den verschiedenen Kaffeesorten durch, statt einfach zu bestellen. Ein klarer Fall von Schnarchnasentum, das die Schnarchnasenpolizei sofort ahnden sollte. Ich schaue mich ein wenig um. Das Café selbst ist zum Bersten gefüllt mit schnatternden Jungmüttern, die eine ganze Batterie an bunten Kinderwagen schaukeln. Ha! Das hat Starbucks nun von seiner rigiden Nichtraucherpolitik! Es ist die Mutter aller Cafés geworden. Das kostet! Meines Wissens gehören Säuglinge nämlich nicht zu den größten Kaffeekonsumenten des Landes. Und welche Mutter lässt ihr Neugeborenes schon eine Viertelstunde alleine zwischen zwei italieni-schen Designersofas flennen, nur um sich einen zweiten Milchkaffee zu bestellen? Ich bin mir sicher, dass der Laden bald Pleite geht. Hinter dem Tresen steht noch immer das umwerfende Starbucksmädchen und tippt Dinge in ihre Kasse. Sie hat keinen Kinderwagen und: Sie sieht noch besser aus als von draußen! Fast wage ich es nicht, sie anzusehen. Mir wird allerdings nichts anderes übrig bleiben, wenn ich gleich was bestellen soll. Da! Sie schaut in meine Richtung! Oder? Nein! Ihr Blick geht geradewegs an mir vorbei auf die Straße. Ich schaue auch hinaus, doch dort ist nix. Sie schaut ins Leere. An was sie wohl denkt? Bestimmt nicht an Kaffee. Oder doch? Vielleicht denkt sie ja an ihren Traumprinzen! Darf man in so einem straff geführten Unternehmen während der Arbeitszeit überhaupt an private Dinge denken? Oder muss man da vorher fragen? Bei einer amerikanischen Firma kann man ja geradezu davon ausgehen, dass man einer gründlichen Gehirnwäsche im Drill Sergeant Style unterzogen wird, bevor man einen Latte Macchiato auch nur anrühren darf:

>Sir, was ist, wenn ein Kunde mal was länger braucht und ich durch die Frontscheibe nach draußen schaue?<

>Sie meinen, Sie blicken ins Leere?<

>Genau, Sir, ins Leere, Sir. An was denke ich da, Sir?<

>Lächeln Sie, verdammt noch mal, und stellen Sie sich einen leckeren Tall Latte Macchiato vor!<

>Danke, Sir, sehr gute Idee, Sir. Und danke noch mal, dass Sie mich so gut bezahlen, Sir.<

>Gute Mitarbeiter sind uns eben drei Euro die Stunde wert. Sie haben übrigens sehr feste Brüste, hat Ihnen das schon mal jemand gesagt?<

>Nein, Sir, aber vielen Dank, Sir!<

Über ebendiese perfekten Brüste spannt sich die engste Bluse der Welt. Natürlich starre ich nicht wirklich auf diesen Punkt, sondern auf das grüne Namensschildchen, das sie in diese enorm erotische Gegend gesteckt hat. Marcia P Garcia. Ein schöner Name! Ich frage mich, für was das P steht. Die Öko-Trulla vor mir hat inzwischen erfolgreich bestellt und schleicht zum Ausgabecounter, wobei sie auf ihren Kassenbon starrt, als handele es sich um ihre eigene Todesanzeige.

Marcia P. Garcia. Ich schaue vom Schild hoch und blicke direkt in ihre grünen Augen. Ich will wieder weggucken, doch ich kann nicht. Wie wahnsinnig gern würde ich in diesem göttlichen Blick baden, aber ich hab ja gar kein Handtuch dabei. Sie lächelt. Mein Gott, dieser Mund! Ein sieben Tonnen schwerer Granitblock mit der Aufschrift LIEBE donnert mir direkt in den Magen. Der Schmerz geht über in einen Strom wohliger Wärme, die mich sanft betäubt und zugleich nervös macht. Könnte diese Sekunde der wichtigste Augenblick in meinem Leben sein? Ein Augenblick, nach dem mich Eltern, Freunde und Kollegen auf unserer Hochzeitsfeier immer wieder fragen werden? Ein Augenblick, den Marcia und ich uns nach Jahren noch einmal giggelnd im Bett vergegenwärtigen, um uns dann zunächst ganz verliebt zu umarmen und anschließend wild übereinander herzu-fallen? Was frage ich denn? Ich weiß es doch. Es ist so ein Augen-blick!

»Sind Sie zum ersten Mal bei Starbucks? Kann ich was erklären?«

Ich mag den Klang ihrer Stimme. Ich stelle mir vor, wie diese Stimme immer wieder meinen Namen flüstert, ganz nah an meinem Ohr, sodass ich den warmen Atem spüren kann. Ich stelle mir vor, wie diese wunderbare Stimme andere Dinge sagt als >Sind Sie zum ersten Mal bei Starbucks?<. Dinge wie: »Meinst du, dieses Haus ist groß genug für uns und die Kinder?« oder: »Das Gewitter macht mir Angst, Simon, umarmst du mich ganz fest?«.

Wie gerne würde ich in dieser Sekunde einfach diese ganzen unnützen und anstrengenden Phasen des Ausgehens, Abtastens und Kennen-lernens umschiffen. Wie gerne würde ich diese unerhört herrliche Person einfach nur an ihrer zarten Hand mit zu mir in die Wohnung nehmen, sie auf meine Couch setzen und so lange angucken, bis wir beide Wange an Wange einschlafen. Quatschen könnten wir auch am nächsten Tag. Immerhin werde ich ein Leben lang mit ihr zusammen sein.

»Hallo?«

Meine zukünftige Ehefrau blickt mich noch immer lächelnd an, auch, wenn ich durch meine Sprachlosigkeit soeben einige zarte Flöckchen Sorge über ihr Püppchengesicht gestreut habe. Ich kann nur ahnen, wie ich in dieser Sekunde auf sie wirke, aber ich denke, ein Reh im Fernlicht eines Gurkenlasters kommt der Sache am nächsten.

»Hallo! Ich bin bei Starbucks!«, stammle ich und könnte mir sofort eine scheuern dafür. Natürlich bin ich bei Starbucks. Ich stehe am Bestelltresen und sollte nun einfach nur sagen, was ich bestellen möchte. Wenn der erste Eindruck der wichtigste ist und ebendieser erste Eindruck in den ersten zehn Sekunden entsteht, dann kann ich mich auch gleich in eintausend Starbucks-Servietten einrollen und in den Rhein werfen lassen. Sag was, Simon. Irgendwas mit Kaffee!

»Haben Sie Kaffee?«, höre ich mich dumpf fragen, als stünde ich irgendwo im Nebenzimmer. Natürlich haben die Kaffee. Ich bin in einem Café. Ich bin ein Vollidiot in einem Café.

»Auf der Tafel oben stehen alle Kaffeesorten, die wir haben. Soll ich vielleicht erst mal den Herrn hinter Ihnen bedienen, bis Sie sich entschieden haben?«

Sie? Bin ich vierzig, oder was? Ich drehe mich kurz um und blicke in zwei glasige Schweinchenaugen. Ein kleiner, pausbäckiger Geschäfts-mann mit Glatze und rahmenloser Stoiberbrille. Ich mag ihn nicht.

»Nein, erst mich bedienen!«, fordere ich barsch.

»Dann müssen Sie mir sagen, was Sie wollen!«, entgegnet meine Traumfrau immer noch lächelnd. Da hat sie Recht. Frage an die Regie: Könnt ihr bitte die ganze Szene noch einmal zwei Minuten zurückspulen und von vorne anfangen? Wäre das bitte jetzt möglich? Oder muss ich mich erst mit Mandellikör übergießen, anzünden und als riesiger Feuerball schreiend durch die Glasfront in die Fuß-gängerzone brechen? Ist es das, was ihr sehen wollt?

Offenbar ist es das, denn es spult mich keiner zurück. Simon, reiß dich zusammen, verdammt noch mal. Du bist keine sechzehn! Und dies hier ist nicht die erste schöne Frau, die du in deinem Leben ansprichst!

»Okay ... sorry ... äh ... ich nehme also ...«

Es klappt!

»Ich nehme also einen Kaffee ...«

»Was für einen Kaffee?

»Einen ganz normalen Kaffee!«

»Einen Coffee of the day?«

»Genau den!«

»Small, tall, grande?«, fragt sie mich, wobei sie grande wie grändi ausspricht. Wie soll ich mich denn auf Fremdsprachen konzentrieren, wenn mein Puls bei 240 herumrast? Ich fühle mich wie ein Ossi beim ersten McDonald's-Besuch, drei Minuten nachdem die Mauer gefallen ist.

»Klein, mittel oder groß?«, hilft mir Marcia.

»Klein, nein, groß!«

»Was jetzt?«

»Sagen wir mittel?«

»Okay!«

Zu meiner Verwunderung ist das Lächeln auf ihrem Gesicht geblieben, ja, sie scheint nicht mal genervt von mir. Eine Tatsache, die mir Mut macht, meine Bestellung zügig zu beenden.

»Und einen Tall Latte und so ein Cajun Chicken Sandwich, bitte.«

Bis auf »Cajun« hab ich wohl alles richtig gemacht, denn sie verbessert mein spanisch betontes Cachunn zu einem breiten, amerikanischen Keytschn. Kurz bevor ich zum Ausgabe-Counter gehen will, sehe ich eine Plastikbox mit einzeln verschweißten Starbucks-Lebkuchen.

»Was kosten denn die Lebkuchen?«, frage ich.

»Zwei Euro das Stück. Wollen Sie einen?«

»Nee ..., hat mich nur gerade interessiert«, sage ich, zahle und mache Platz für den angestoiberten Pausback-Geschäftsmann. Wusste ich's doch!

Als ich mit meinem Kassenzettel zum Ausgabe-Counter schlurfe, wird mir zudem klar, warum die Öko-Trulla so geschockt war. Es war der Preis! Acht Euro für zwei Kaffee und ein Sandwich! Da holen die sich die Kohle wieder rein, die sie durch die krakeelenden Säuglinge ver-lieren. Als ich meine beiden Kaffeetassen und Phils Chicken Sandwich in Empfang nehme, schenkt mir Marcia Ehefrau in spe Garcia noch ein zweites Lächeln. Ich würde es gerne erwidern, aber ich verpenne den richtigen Augenblick. Und erst mal fünf Sekunden lang gucken wie ein Eimer, um dann plötzlich zurückzulächeln, ist noch bekloppter. Also sage ich einfach »Hey!« und nicke. Mein Lohn ist ein finales Lächeln von ihr. Sie hat mir zugelächelt! Schon wieder! Mir persönlich! Immerhin hätte sie mich auch schon wieder vergessen können. Das Allerwichtigste an diesem Lächeln ist aber: Es war ein privates Lächeln. Kein amerikanisches keep smiling at your customer, sondern ein sauberer, brasilianisch-nordrhein-westfälischer Flirtblick, der da sagen will: Hey du, der du da eben am Tresen warst, ich hasse dich nicht! Genau! Das ist es. Sie hasst mich nicht! Ein sehr, sehr guter erster Schritt!

Als ich mich an sieben Kinderwagen vorbei mit meinem Tablett zu Phils Tisch vorkämpfe, telefoniert er immer noch. Klar. So ist das in der Fernsehbranche. Als Fernsehfuzzi muss man mindestens einmal stündlich in der Redaktion anrufen, damit die dort nicht vergessen, was für ein Arschloch man ist.

Marcia P Garcia. Was oder wer hält mich eigentlich davon ab, noch mal vorzugehen und ihr zu sagen, was ich fühle? Von ganzem Herzen? Phil hält mich davon ab, denn er hat zu Ende telefoniert und lässt sein silbernes Edelhandy in die Innentasche seines Hugo-Anzugs gleiten.

»Sorry, musste nur noch gerade was in der Redaktion checken.«

»Kein Problem«, sage ich und bestreue meinen ganz normalen Kaffee mit gar nicht normalem, pudrigem Süßstoff aus einem pinken Tütchen.

»Die haben hier Lebkuchen für zwei Euro!«, informiere ich Phil.

»Ja und ...?«

»Vergiss es!«

Ich kippe den gesamten Süßstoff in meine Tasse und rühre ihn mit einem dünnen Holzstäbchen um.

»Die Schnecke am Tresen, ist das die, von der du erzählt hast? Die du so gut findest?«, will Phil wissen.

»Nee«, lüge ich, weil ich keine Lust habe, mich gleich noch mal zum Affen zu machen.

»Frag ja nur!«, sagt Phil entschuldigend und lehnt sich zurück. Während ich einen ersten Schluck Kaffee nehme, zieht Phil einen Zettel aus der Innentasche seines Anzugs.

»Weswegen ich dich sprechen wollte ... also ... is mir ein bisschen unangenehm, aber wir waren ja alle ein bisschen besoffen und so ...«

Ich bin fast jeden Abend besoffen, also ist das schon mal nicht der beste Hinweis. Ich versuche zu entdecken, was er da in den Händen hält. Es ist eine Eurocard-Abrechnung. Was zum Teufel soll ich mit Phils Kreditkartenabrechnung? Man hilft mir recht fix auf die Sprünge.

»Stichwort Chuck Norris?«

Mist! Die Aktion mit dem Teleshop vor dem Urlaub!

»Der Schauspieler. Ja, und?«

»Simon, ich hab bei Eurocard angerufen und bei QVC. Da war wohl jemand so freundlich und hat für mich so gegen vier Uhr früh ein paar Sachen eingekauft.«

Ich hab echt keinen blassen Schimmer, wie ich mich da wieder rausgeredet kriege.

»Ist doch super, musstest du nicht selbst einkaufen!«

»Komm, verarsch mich nicht!«

Eins zu null für ihn. Es gibt überzeugendere Argumente. Das Schlimme ist: Trotz der beträchtlichen Alkoholmenge an jenem Abend erinnere ich mich ganz genau an die Aufgabe dieser Bestellung. Phil lag quer über dem Schneckenmädchen, als diese ganzen toll gemachten Fernsehspots kamen. Dennoch: Das soll er mir erst mal beweisen!

»Sorry, Phil, aber ich hab damit echt nix zu tun. Vielleicht hast du die Karte ja mal rumliegen lassen, oder du hast im Internet was bestellt, und dann hat sich jemand ...«

»Jetzt halt doch mal für 'ne Sekunde die Klappe, Simon! An dem Abend waren wir mit den Lufthansa-Mädels bei dir. Und alle hatten wir ordentlich die Lampe an. Egal, superlustiger Spaß, wir haben alle gelacht, und ich krieg 978 Euro von dir!« Mit diesen ungewohnt bestimmten Worten lässt sich Phil in die Lehne zurückfallen.

»Und was soll ich da noch mal bestellt haben?«, frage ich kleinlaut.

»Einen fernsteuerbaren Helikopter, ein Chuck Norris Total Gym und ein Messerset.«

»Und warum bist du dir so sicher, dass ich das bestellt habe?«

»Weil mir ein Herr Hupatz bei QVC die Lieferadresse genannt hat und ich diese Adresse kenne.«

»Was ist das für eine Adresse?«

»DU wohnst da!«

»Oh!«

Meine letzte Chance: Ich muss es auf die Pulp-Katja oder die Partyschnecke schieben.

»Die beiden Stewardessen, ich meine, die verdienen auch nicht die Welt!«

»Gib dir keine Mühe, Simon, die Sache ist klar. Eine Stewardess bestellt sich kein Chuck Norris Total Gym!«

»Eine ganz besonders schwache Stewardess schon! Die müssen ja auch viele, schwere Säfte schieben und so ... Hast du schon mal bemerkt, wie schwer so ein Tomatensaft ist?«

Ich entnehme Phils Gesichtsausdruck, dass er keinen Bock auf weitere Späßchen hat, sondern einfach nur die Kohle zurückwill. Damit hätte er es auch einmal wieder geschafft, dass ich mich fühle wie ein dummer, kleiner Schuljunge, der dabei erwischt wird, wie er seiner Mutter zwanzig Cent aus dem Portemonnaie klaut, um sich Bonbons zu kaufen.

»Ich überweis dir die Kohle!«

Phil kritzelt seine Kontonummer auf ein gelbes Post-it, und damit beenden wir dieses unangenehme Thema. Danach muss ich nur noch zwei Show-Ideen von Phil super finden, und ich darf zurück in den Laden gehen. Dort angekommen, versuche ich, den Kundenkontakt auf ein Minimum zu beschränken. Nach einer Stunde husche ich unbemerkt hoch in unseren Aufenthaltsraum, rauche fünf Zigaretten und trinke einen halben Liter Kaffee.

Es gibt ein paar Dinge, die ein Mann auf jeden Fall wissen muss. Dinge, die sehr, sehr wichtig sind. Dass man die Nagelschere nicht im gleichen Becher aufbewahrt wie die Zahnbürste, weil das Frauen supereklig finden und sich sofort ein Taxi rufen. Dass einen Frauen nie an die eigene Mutter erinnern sollten, dann rufen die sich nämlich gleich zwei Taxen, und dass man nie allzu viel über seine Ex-Freundinnen ausplaudern darf. Die wichtigste Information für jeden Mann zwischen 14 und 89 ist allerdings: Finger weg von Paula! Ich kenne Paula seit der fünften Klasse Gymnasium, und soweit ich mich erinnern kann, haben bei ihr bisher alle Männer den Kürzeren gezogen. So wurde sie über die Jahre zur Beziehungsexpertin schlechthin. Nicht, dass sie selbst eine funktionierende Beziehung hätte. Nein, aber sie hätte sie, wenn sie wollte! Denn Paula hat noch immer bekommen, was sie will. Ich gehöre übrigens nicht dazu, und das ist auch gut so. Ich kann sogar von Glück reden, dass ich nie was mit Paula angefangen habe. Zwar finde ich sie sexy und so, kenne aber einfach zu viele Geschichten. Meine gute Paula, und da gibt es leider kein Vertun, verarscht die Männer, wie sie's gerade braucht. Besonders schwer hat's ihr der liebe Gott nicht gemacht, denn auf den ersten Blick wirkt sie wie ein naives und beschützenswertes Engelchen. Meine Güte, wenn die Typen nur wüssten! Wenn Paula einen Kerl länger als vier Wochen kannte und er gut genug aussah, was natürlich bei den meisten der Fall war, dann hat sie ihn unserer damaligen Clique vorgestellt. Wir waren dann natürlich nett zu ihm, weil er ja der »Neue« von Paula war, aber eigentlich hatten wir es schon beim ersten Händeschütteln aufgegeben, ihn richtig kennen zu lernen, denn in ein paar Wochen wäre ja sowieso wieder ein anderer angesagt. Meistens waren diese armen Typen dann auch noch so richtig stolz, dass sie mit einer so tollen Frau wie Paula gingen. Unsere Emotionen tendierten eher in Richtung Mitleid: Warte mal ab, du arme Sau.

Paula kennt nicht nur jedes »Wie angle ich mir einen Mann« und »Männer essen Mars, Frauen Venus«-Buch, sie hat auch für jedes Männer-Frauen-Problem eine eiserne Regel. Regeln, die weit hinausgehen über die bekannten Klassiker wie »Ruf niemals am nächsten Tag an« oder »Liebe nicht zu sehr«. Das ist auch der Grund, warum ich jetzt rauchend und mit einer Tasse Kaffee im letzten heilen Korbstuhl des Aufenthaltsraumes sitze und zitternd Paulas Nummer wähle. Es tutet fünf Mal, dann geht die Mailbox dran. Ich hinterlasse eine Nachricht, drücke meine Kippe aus und starre an die Wand. Ich muss relativ verzweifelt geklungen haben, denn innerhalb von zwei Minuten kommt der Rückruf.

»Sorry, war gerade an der Kasse!«, trällert sie ins Telefon, gut gelaunt wie immer.

»Alles im Lack bei dir, Simon?«

»Nix ist im Lack! Ich hab mich verliebt, und alles ist durcheinander!«, seufze ich.

»Duuu? Verliebt? Glaub ich nicht!«

»Warum sollte ich mich nicht verlieben? Jetzt ohne Scheiß, Paula, ich muss dich ganz schnell sehen, diesmal ist es ernst! Du musst mir helfen!«

Pause am anderen Ende.

»Das ist ja jetzt blöd, ich hab mir nämlich gerade 'ne Zwei-Stunden-Karte fürs Neptunbad gekauft, und danach bin ich schon wieder verabredet.«

»Immer bist du verabredet!«, schimpfe ich. »Was ist denn mit morgen?«

»Morgen flieg ich nach München.«

»Ich muss dich aber sehen! Wenn ich dich nicht sehe, dann fang ich noch heute Abend mit diesem Crack an!«

»Du spinnst. Ein halbes Jahr rufst du mich nicht an, und dann soll ich meine Sauna absagen?«

Mist! Hab ich mich echt ein halbes Jahr nicht gemeldet? »Also, wenn du mich sehen willst, dann musste wohl in die Sauna kommen!«

Das muss ich wohl. Es gibt Momente im Leben, da muss man handeln. Und wenn ich es bei Marcia nicht versuchen würde, ich würde es mir nie und nimmer verzeihen. Ich stecke mein Handy ein und schaue auf die Uhr. Es ist kurz vor vier. Wenn ich den Hinterausgang nehme, könnte ich mich unbemerkt aus dem Laden schleichen. Ich stehe auf und ziehe meine Jacke an. Dann gehe ich die Treppe hoch, um durch das Flurfenster noch einen letzten Blick auf Marcia zu werfen. Sie ist nicht mehr da.

DIE POOLNUDELN VON YOKOHAMA

Ich hasse Sauna, und das hat im Wesentlichen zwei Gründe. Erstens kann ich es nicht verstehen, warum man sich mit wildfremden Leuten nackt in einen Raum setzt, um zu schwitzen, um sich danach, ebenfalls mit wildfremden Leuten, mit eiskaltem Wasser zu überschütten und zu sagen: Ahhh ... und Ohhh ... das tut aber gut! Ich fühle mich bei 20 Grad am wohlsten, und da befinde ich mich wahrscheinlich in bester Gesellschaft. Zweitens weiß ich, dass es eine Vielzahl von Männern gibt, die nackt besser aussehen als ich. Ich sag's mal so, wie es ist: Ich bin zu dünn. Dünne Arme, dünne Beine und, als wäre das noch nicht genug, eine Brust wie Kate Moss nach drei Monaten Hungerstreik. Ein solcher Körper strebt nicht unbedingt nach schonungsloser Zurschaustellung. Ein solcher Körper mag weite T-Shirts, dicke Jacken oder zumindest schummriges Licht. Ich wickle mich in ein riesiges, weißes Handtuch, schließe meinen Spind ab und bin sehr froh, dass ich mir keine Nummer merken muss. Die Freude währt allerdings nur so lange, bis ich in den Spiegel neben mich blicke. Es ist ein Bild des Jammers. Ich sollte entweder mehr essen oder mehr trainieren. Am besten beides. Für Marcia brauche ich nicht nur eine bombensichere Flirtstrategie von Paula, sondern vor allem eine Topfigur. Eine Frau wie Marcia kann Ansprüche stellen. Eine Frau wie Marcia wird nicht lange fackeln, wenn sie bemerkt, dass das, was da im Bett atemlos auf ihr herumpickt, ein storchengleiches, blassgesichtiges Etwas ist. Eine Frau wie Marcia braucht einen echten Mann. Mit Muskeln, Humor und Esprit. Um die Muskeln kümmere ich mich morgen, der Strategieplan wird heute gemacht. Ich komme mir nackt und unsicher vor, als ich mich mit meinem Handtuch auf die Suche nach Paula mache. Das hat zwei Gründe. Ich BIN nackt und unsicher. Der Saunaclub selbst ist der größte, den ich je gesehen habe, und ziemlich edel eingerichtet. Die Wände sind aus Naturstein, ab und an stehen so eiserne Kerzenständer im Weg, und dann riecht es noch nach irgendwelchem Blütenquatsch und Zitrone. Ich folge dem Schild »Saunabereich« und tapse vorsichtig eine große Treppe hinunter. Zu meiner Verwunderung muss ich feststellen, dass ich nicht der Einzige im Saunaclub bin, denn eine Vielzahl von entweder leicht beschürzten oder ganz nackten Männern und Frauen läuft umher. Schon die ersten Exemplare dieser Gattung machen mir Mut, denn fast ausnahmslos sind alle weit hässlicher als ich.

Paula hat mich per SMS informiert, dass ich sie im großen Ruheraum finden werde, ein Raum, der natürlich nirgendwo angeschrieben ist. Stattdessen folge ich einem Schild mit der Aufschrift Kaiserbad mit entspannender Unterwassermusik. In einem kleinen Becken liegen drei regungslose, nackte Wasserleichen auf roten Schaumstoff-schwimmschlangen. Scheint ja enorm zu entspannen, die Unterwas-sermusik. Neugierig geworden, lege ich mein Handtuch ab, schnappe mir ebenfalls zwei der Poolnudeln und schreite leise die Treppen hinab in das Becken. Das Wasser ist angenehm warm. Ich schiebe die Plastikschlangen unter meinen Hintern und Kopf und lasse mich ebenso treiben wie die drei Wasserleichen. Und tatsächlich: Als ich den Kopf sanft ins Wasser gleiten lasse, vernehme ich fernöstliche Meditationsmusik vermutlich von Ryuichi Sakomoto. Seltsam in-dustriell klingt die Musik und doch entspannend in ihrem Minimalismus. Ich stelle mir vor, wie ein verliebter Roboter in einer verlassenen Lagerhalle irgendwo südlich von Yokohama auf ein Xylophon schlägt. Dingdingding ... macht die Musik und Klaklaklaklakkka ... Bing!

Mir entfährt ein lautes »Leck mich am Arsch, ist das entspannend!«, was mit einem »Unmöglich!« und diversen bösen Blicken der anderen Wasserleichen quittiert wird. Ich nicke entschuldigend und lasse meinen Kopf wieder in das warme Thermalwasser gleiten. Der verliebte Roboter macht wieder bling und blong und ding und dong auf seinem kleinen Xylophon und hofft wohl, dass dies seine Angebetete in der Nachbarhalle vernimmt. Langsam und fast unmerk-lich entschwebe ich den Tönen des verliebten Roboters und nehme Kurs auf die Karibik. Ich stelle mir vor, wie ich mit Marcia zusammen Hand in Hand am Strand der Virgin Islands treibe. Es gibt fast keinen Wellengang. Marcia trägt ein Hochzeitskleid, und über meine muskulöse Brust hinweg sehe ich unsere Kinder am Strand winken. Die Musik macht jetzt Ding und Bling und Zing und Zong, der Roboter legt sich mächtig ins Zeug für meinen Unterwasser-Soundtrack, und ich höre Marcias zarte Stimme, die mir sagt, dass sie mich mehr liebt als alles auf der Welt und dass sie nie gedacht hätte, mal einen so tollen Mann zu finden. Ich hauche ihr ins Ohr, dass ich sie auch liebe, als ich gegen einen gewaltigen Tintenfisch stoße. Der Tintenfisch ist ebenso hässlich wie fett und zieht mir meine Poolnudel unter dem Hintern weg. Dann spritzt er mich mit sächsischem Akzent voll:

»Sie hammisch angedözt! « Ich hab niemanden angedözt. Weil ich mich nämlich zum ersten Mal seit einem Jahr entspannt habe. Da kann ich aber echt mal sauer werden.

»Sie haben MICH angedözt, weil Sie nicht aufpassen, wo Sie hintreiben mit Ihrem ganzen Fett! « Der Zonenfisch regt sich sehr auf, droht mit seiner Poolnudel und sagt, dass er sich so was von einem Handtuch wie mir nicht gefallen lassen müsse. Ich versteh das gar nicht, weil ich mein Handtuch ja gar nicht mehr umhabe, und zeige ihm den Mittelfinger, als er sich mit hochrotem Kopf und seinen Schwimmschlangen aus dem Becken schleppt. Weil ich immer noch stocksauer bin, rufe ich ihm ein »Petz es doch der Stasi!« hinterher. Seine Schlagfertigkeit erlaubt allerdings nicht mehr als ein erbostes »Siiiieeeee!«.

Was für ein Depp. Mit der Entspannung ist es jetzt jedenfalls schon mal vorbei. Ich verlasse das Sakomoto-Lagerhallen-Gedächtnisbad, wickle mein Handtuch um mich herum und mache mich auf die Suche nach Paula. Ich biege um eine Ecke und gelange in einen großen Bereich mit vielen Saunen und einem länglichen Pool in der Mitte. Ich lasse meinen Blick schweifen, doch von Paula ist nichts zu sehen. Woran sollte ich sie auch erkennen, ich hab sie noch nie nackt gesehen. Ein Latino-Stecher mit krausem Brusthaar und trainiertem Oberkörper steigt in den Saunapool. Zwischen den Beinen baumelt ein Witz von gerade mal fünf Zentimetern. Ich bin mir aber sicher, dass er selbst noch nicht darüber gelacht hat.

Ich schreite die verschiedenen Saunaräume ab und gucke mal hier, mal dort hinein, doch von Paula ist immer noch nichts zu sehen. Mir fällt ein, dass Paula mich ja im Ruheraum treffen wollte, und ich frage einen Angestellten in einem blauen Polohemd, wo der denn sei. Zusammen passieren wir ein Schild mit der Aufschrift »Bitte Ruhe. Es ist alles gesagt« und betreten einen warmen, nach Räucherstäbchen duftenden Raum, in dem es tatsächlich sehr ruhig ist. Auf edlen Holzliegen schlummern in Bademäntel eingepackte Saunagäste, andere lesen. Am Kopfende des Raumes entdecke ich Paula in einem rosafarbenen Bademantel. Freudig erregt gehe ich zu ihr und lasse mich auf die freie Liege neben ihr fallen.

»Paula, altes Haus!«, freue ich mich.

»Psssssssssstttt! «, zischen mich mindestens zehn andere Saunagäste an.

Eine sensationelle Idee, mich hier mit Paula zu treffen. Ich brauche dringend weiblichen Rat und treffe mich am einzigen Ort der Welt, an dem man nicht reden kann.

Was ist denn, wenn sich hier im Ruheraum zwei alte Kriegsveteranen zum ersten Mal seit mehr als fünfzig Jahren begegnen? Von denen beide geglaubt haben, dass der andere in russischer Kriegsgefangenschaft gestorben ist?

Heinz, ich hab gedacht, du bist tot!

Psssssstttt!

Neiiin, ich bin doch geflohen siebenundvierzig!

Psssstttt!!!

Man sollte diese bescheuerten Ruheräume wegbomben. Ganz leise natürlich.

»Hi Simon!«, flüstert Paula, zwinkert mir zu und legt die Allegra zur Seite.

»Liegst du schon lange hier?«, flüstere ich zurück.

»So 'ne halbe Stunde. Kommst du mit in die Sauna?«

Ich komme überallhin mit, wo wir reden können. Ich nicke ihr zu, und keine drei Minuten später sitzen wir in einer finnischen 90-Grad-Sauna und reiben uns mit grobem Salz ein, als wären wir handgeschwungene Laugenbrezeln. Zu meiner großen Freude sind wir allein in diesem Raum, durch dessen Fenster man auf den großen In-nenbereich mit dem Pool blicken kann. Ich komme nicht umhin zu gucken, wie Paula nackt so aussieht, und bin positiv überrascht. Vielleicht hätte ich ja doch mal was mit ihr anfangen sollen. Die Hitze ist fast unerträglich. Unglaublich, was die zwei Teelichter am Fenstersims für Temperaturen erzeugen. Ich rechne es Paula hoch an, dass sie gleich zur Sache kommt.

»Also, du bist verknallt, schieß los!«

»Ich bin nicht verknallt, ich hab die Frau gefunden, die ich heiraten werde!«

»Nicht schlecht!«

Während ich mir die ersten Schweißtropfen von meinem Laugenbrezel-Oberschenkel streiche, beginne ich zu erzählen. Paula will wissen, was das für ein Mädchen sei, diese Marcia, und wie gut ich sie schon kennen würde, wenn ich ja so verknallt sei. Ich sage, dass es sich um Liebe auf den ersten Blick handelt und dass ich sie noch gar nicht kenne. Und natürlich sage ich ihr, wie unsere erste Begegnung im Starbucks verlaufen ist und dass ich mich da wahr-scheinlich schon zum Horst gemacht habe.

»Wer weiß, vielleicht fand sie das ja sogar ganz süß!«, ermutigt mich Paula.

Könnte sein.

»Du musst sie auf jeden Fall erst mal kennen lernen!«, fährt sie fort.

»Auf keinen Fall! Ich bin noch nicht so weit!«, antworte ich, wie aus der Pistole geschossen.

»Wie? Noch nicht so weit?«

»Ich ... na ja ... ich hab Angst, es zu versauen! Und ... ich bin halt nicht bereit!«

»Das ist doch Quatsch. Triff dich halt erst mal mit ihr, bleib locker, du musst sie ja nicht gleich heiraten!«

Wenn Paula wüsste, dass das genau das Problem ist. Man sollte sich nicht aufregen bei 90 Grad. Aber ich muss. Man ist immer aufgeregt, wenn man nach einem Jahrzehnt im Vollsuff urplötzlich über die wichtigsten Dinge im Leben nachdenkt.

»Was hast du denn bisher gemacht mit deinen Dates?«, will Paula wissen.

»Nix hab ich gemacht. Hat sich alles so ergeben. Ich wollte ja sowieso nur vögeln und keine Beziehung.«

»Und? Haste gevögelt?«

»Natürlich! Und wie!«

»Simon! «

»Ab und zu schon ... nicht so oft eigentlich! Sagen wir, so einmal in diesem Jahr«, gebe ich kleinlaut zu. Es ist nicht viel Respekt in dem »Okay« von Paula.

»Paula! Alles, was ich will, ist so ein ultimativer Paula-Tipp. So einer wie früher, weißt du, als wir zusammen einen Plan gemacht haben, wie ich die Britta, die Zahnarzthelferin, eifersüchtig mache, was dann sogar geklappt hat, weißte noch?«

»Britta? Mein Gott, das war ja noch vor unserem Abi!«

»Ist doch egal! Sag mir was! Gib mir einen Tipp.«

»Okay, Simon. Ein Tipp wäre: Beruhig dich erst mal, du bist nämlich total durch den Wind, vergiss das mit dem Heiraten und lern sie erst mal kennen, deine Marcia! «

»Und der echte Paula-Tipp?«

»Das wäre der Gleiche, Herr Peters! Ich geh mich jetzt mal kalt abduschen. Kommste mit?«

»Gleich!«, sage ich und starre auf die abgelaufene Sanduhr. Paula schlägt sich ihr Handtuch um die Hüften, öffnet die Holztür und geht ins Freie. Das ist ja eine tolle Hilfe. Und was sollte das, dass ich durch den Wind wäre? Dass ich abwarten solle und mich beruhigen? Ich beruhige mich, wenn ich es für nötig halte!

Ich greife nach meinem Handtuch, um Paula zu suchen und anzupflaumen, ich bin auch schon fast an der Tür, da sitze ich schon wieder. Ich krabbele ganz nach oben und verstecke mich in einer Ecke hinter dem Ofen, wo es am heißesten ist. 92 Grad zeigt das Thermometer. Soll es doch! Ich geh da nicht raus! Ich zittere und ziehe die Knie ganz nah an meine Brust. Ich kann nicht fassen, was ich da eben durch das Fenster gesehen habe. Kann nicht glauben, wer da splitterfasernackt direkt vor meiner Saunatür steht und sich unterhält.

Es ist Marcia.

Marcia P Garcia.

Was macht sie hier? Wie kann sie mir das antun? Jetzt, wo ich noch gar nicht bereit bin? Hatte ich das nicht erwähnt? War es nicht klar, dass ich noch ein wenig Zeit brauche, um mich vorzubereiten? Nicht jetzt! Geh weg, schöne Frau. Geh Milch aufschäumen! Nur für eine Weile. Geh, damit ich zu dir kommen kann! Marcia. Nicht jetzt! Ich hab noch nicht ihr Format, noch nicht den Körper, noch nicht das Selbstbewusstsein. Morgen vielleicht oder in einer Woche, aber bitte, bitte, bitte nicht jetzt! Nicht in meiner schwächsten Stunde, nicht auf unvertrautem Terrain, und schon gar nicht nackt. Nicht, nachdem mir meine beste Freundin bescheinigt hat, ich sei durch den Wind. Nicht, nachdem ich zwei Mal in den Spiegel schauen musste, um mich überhaupt zu erkennen.

Mir ist schlecht. Schlecht und heiß. Geht das zusammen? Bestimmt. Ich suche nach irgendeiner Möglichkeit, den Raum zu verlassen, ohne dass ich ihr direkt in die Arme laufe. Es gibt keine. Wäre auch die erste Sauna mit zwei Türen. Ich schaue vorsichtig ein zweites Mal durchs Fenster. Sie steht noch da. Es ist schier unfassbar, wie schön sie ist. Absolut perfekt, eine wahre Sexgöttin, die ich so gerne mein Eigen nennen und fortan verehren möchte. Ich würde ihr sogar Dinge opfern! Viele Dinge, small, tall und grande. Jetzt ist mir wieder heiß, aber ich schwitze nicht mehr. Irgendwas pocht an meinen Schläfen. Wie lange bin ich denn hier drin? Eine halbe Stunde? Länger? Ich weiß es nicht. Vielleicht würde Marcia ja ein spektakulärer Märty-rertod davon überzeugen, mich zu heiraten. Man sieht ja oft in den Nachrichten, wie gut so was ankommt. Neben dem Ofen steht ein Eimer mit einer Kelle und Flüssigkeit. Ich muss an die Musik im Entspannungsbad denken, Klaklaklakl ... Bing ... und komischerweise an Popeye, die halslose Killerschwuchtel aus meinem Fitnessclub. Hand in Hand treiben wir im Karibischen Meer. Sein Hochzeitskleid ist sehr, sehr schön! Ich gieße den Eimer mit der Flüssigkeit auf den Ofen, dass es nur so spritzt und dampft. Soll Lala doch mal sehen, wie die das mit ihren Papierrollen wieder trocken bekommt! Ich sehe nichts mehr, und es ist mir egal. Was gibt es schon zu sehen? Dingeling macht die Musik in meinem Kopf, und ich springe in einen Starbucks-Becher mit eiskaltem Wasser. Ich mache Uhhhh und Ohhhh und sage, das ist aber schön gelöst worden, da hat sich jemand etwas bei gedacht, dass das erst heiß ist und dann kalt. Die Schalke-Fans skandieren »Das härtet ab, mein Freund, das härtet ab, mein Freund, das härtet ab, mein Freund, das härtet ab!«. Ich umarme den Roboter für das schöne Liebesblingbling und sage ihm, das sei eine tolle Idee, aber nun müsse er mich entschuldigen, denn ich müsse Yokohama jetzt verlassen, wegen anderweitiger privater Verpflichtungen, denn man will mich pünktlich verheiraten nach deutscher Sitte, und zwar mit der schönsten Frau der Welt, mit Marcia ...

Marcia.

Marcia P Garcia.

Marcia Peters Garcia.

Marcia Peters hat es nicht mehr geschafft Garcia. Marcia Peters hat es nicht mehr geschafft, wäre dir aber ein guter Ehemann gewesen Garcia.

Ein sächsischer Tintenfisch reißt die Saunatür auf und ruft »Siieeeee!«. Dann werde ich von besorgten, blauen Polohemden aus der Sauna getragen und in einen Raum ohne Holz gebracht.

Eine halbe Stunde später sitze ich mit Paula und meinem Snoopy-Handtuch im Restaurant der Sauna und leere meine vierte Apfelsaftschorle. Die Saunaleitung zeigt sich inzwischen weniger besorgt um meinen Gesundheitszustand als vielmehr um mein Erscheinungsbild. So werde ich zwei Mal von einer gepiercten Kellnerin gefragt, ob ich mir nicht doch einen Bademantel für fünf Euro leihen wolle. Als sie beim dritten Mal patzig wird, mache ich ihr das Angebot, einen Bademantel anzuziehen, wenn sie sich zuvor das ganze Blech aus der Fresse fräsen lässt. Schließlich sei das ja auch kein Anblick für die Saunagäste. Kurze Zeit später bringt mir ein Herr ohne Blech, dafür aber mit finsterer Miene meine fünfte Apfelsaftschorle. Paula und ich sitzen im hintersten Eck des Saunarestaurants, denn ich habe immer noch Angst, Marcia in die Arme zu laufen. Ich wüsste nur allzu gerne, ob sie mich gesehen hat, als mich die Blauhemden aus der Sauna getragen haben. Zitternd gelingt es mir, eine Zigarette aus Paulas Schachtel zu schütteln. Ich dachte immer, so ein Saunabesuch würde entspannen. Auch Paula schaut tendenziell unentspannt, als sie mir Feuer gibt.

»Was um alles in der Welt ist nur mit dir los, Simon?«, will sie wissen.

»Was hättest du denn gemacht, wenn Brad Pitt nackt vor der Sauna gestanden hätte?«

»Mich mit ihm verabredet!«

»Super! Ich bin verliebt, und das Einzige, was dir einfällt, ist, mich zu verscheißern!«

»Du bist nicht verliebt, du bist bekloppt!«

»Danke!«

»Ich glaube, du brauchst mal 'ne richtig lange Pause!«

Das glaube ich jetzt zum Beispiel nicht!

»Mein ganzes, bisheriges Leben ist eine beschissene Pause, Paula. Der T-Punkt-Laden, meine Frauengeschichten, einfach alles ist eine Pause! Ich brauche eine Frau, die auf Start drückt, damit mein Leben weitergeht, und keine Pause!«

Paula schaut immer noch besorgt und lehnt sich langsam zurück.

»Du musst echt auf dich aufpassen!«

Danke schön. Jetzt fallen mir auch noch die besten Freunde in den Rücken. Warum sollte ich auf mich aufpassen? Ich hab einen Job, ich hab eine Wohnung, und wenn ich über die Straße gehe, dann schaue ich erst nach links und dann nach rechts. Außer in England natürlich.

»Ich meine das ernst!«, sagt Paula, als könne sie Gedanken lesen.

»Ich bin einfach nur verknallt!«, halte ich dagegen, doch Paula versteht mich einfach nicht. Für eine Weile sagen wir beide nichts. Eine Frau in einem hellblauen Bademantel schaut kurz ins Restaurant. Für eine Sekunde fürchte ich, dass es Marcia ist, und zucke zusammen.

»Fahr doch mal in Urlaub!«, rät mir Paula.

»Ich komme gerade aus dem Urlaub!«

»Oh ...!«

»Wie lange bist du denn in München?«

»Nur morgen!«

»Gut, dann ruf ich dich mal an!«

»Tu das!«

Paula wirkt ein wenig erleichtert und zahlt meine fünf Apfelschorlen und sogar den Saunaeintritt. Ich würde mich gerne wehren, aber ich kann nicht, weil ich gar nicht so viel Geld dabeihabe. Schließlich kann ich Paula sogar überreden, mich nicht nach Hause, sondern in den Irish Pub zu fahren. Ich leihe mir fünfzig Euro und verspreche ihr noch mal, mich bald zu melden. Dann geb ich ihr ein Bussi und steige aus dem Wagen. Sie braust zu ihrer nächsten Verabredung, und ich stoße die Tür meines Irish Pubs auf.

Ich setze mich an einen freien Platz an der Bar, trinke fünf Pints Heineken und schaue besoffenen, irischen Maurern zu, wie sie sich beim Karaoke blamieren. Es ist garantiert das dreitausendste Mal im Leben, dass ich Country Road, take me home hören muss. So richtig wohl fühle ich mich allerdings auch nach dem sechsten Pint nicht als Lonesome Cowboy at the Bar. Ich könnte Flik anrufen, doch irgendwie hab ich keine Lust. Der ist sowieso noch sauer, weil ich den Kuchen vom Herrn Assamer gegessen habe. Stattdessen erzähle ich gut einem halben Dutzend Leuten von meiner zukünftigen Ehefrau Marcia. Leuten, die ich noch nie gesehen habe und nie wieder sehen werde. Wahrscheinlich erzähle ich es, weil mich keiner von denen fragt, was mit mir los ist. Als ich nach zwei weiteren Pints bei Sinatras My way von der Bühne gepfiffen werde, schnappe ich meine Jacke und meinen Saunabeutel, lege dem irischen Knubbel hinter dem Tresen meinen Fünfzig-Euro-Schein hin und gehe nach Hause. Ich finde, dass ich gut gesungen habe.

DER SHRIMPSDÖNER