Aus Metzlers Lexikon Weltliteratur:

Heinrich Heine

Geb. 13. 12. 1797 in Düsseldorf;

gest. 17. 2. 1856 in Paris

»Denk ich an Deutschland in der Nacht,/Dann bin ich um den Schlaf gebracht« (Nachtgedanken, 1843) und: »Ein neues Lied, ein besseres Lied,/O Freunde, will ich Euch dichten!/Wir wollen hier auf Erden schon/Das Himmelreich errichten« (Deutschland. Ein Wintermärchen, 1844) – zwei extreme Haltungen Heinrich Heines, deren sehr unterschiedlicher literarisch-politischer Gestus kennzeichnend ist für seine Widersprüchlichkeit und Zerrissenheit: Durch das »Herz des Dichters« geht »der große Weltriß« (Die Bäder von Lucca, 1830). Doch weder kritische Trauer noch sinnlicher Lebensgenuss entsprachen den Erwartungen der Mehrzahl der Leser in den letzten einhundertfünfzig Jahren. Nicht erst die antisemitische, nationalistische Rechte Ende des 19. Jahrhunderts und die Nationalsozialisten, die unter H.s berühmtes Lorelei-Gedicht »Verfasser unbekannt« schrieben, auch ein Großteil der zeitgenössischen Kritiker denunzierte H. als ichbezogen und originalitätssüchtig, als unmoralisch und gotteslästerlich, als jüdisch und französelnd; der Ruf nach der Verbrennung seiner Bücher wird schon 1827 laut. Diese Ausgrenzung wurde auch von den Liberalen mitvollzogen, und der Radikaldemokrat Ludwig Börne, zeitweise H.s Weggefährte, kritisiert dessen Subjektivität und Ästhetizismus, dessen Immoralität und Areligiosität, eine Position, die sich tendenziell auch in der deutschen Arbeiterbewegung fortsetzte. »Die Wunde Heine« (Theodor W. Adorno) und deren öffentliche Behandlung, z.B. im Denkmalsstreit (1887–93, 1928–33) und in der Auseinandersetzung um die Benennung der Düsseldorfer Universität (1965–72) ist aus der deutschen Misere zu erklären und verweist zugleich auf sie. Denn H.s Schaffen wurde nicht im Kontext der literarischen und politischen Zustände gesehen, vielmehr wurde es ignoriert oder dämonisiert bzw. verklärt, d.h. auf das Buch der Lieder (1827) als bürgerlichen Lyrikschatz reduziert.

Harry H., der als Sohn eines jüdischen Kaufmanns zunächst den Beruf seines Vaters ergriff, studierte, unterstützt von seinem reichen Onkel, seit 1819 in Bonn, Berlin und Göttingen die Rechte. 1825 legte er das juristische Examen ab und promovierte; im selben Jahr trat er zum protestantischen Glauben über, als »Eintrittsbillett« in die Gesellschaft. Dennoch scheiterten aus politischen Gründen seine Bemühungen um eine Professur in München. In dieser Zeit, in der er auf der Suche nach einer bürgerlichen Existenz war und auch Vorlesungen bei August Wilhelm Schlegel und Ernst Moritz Arndt, bei Friedrich Carl von Savigny und Georg Wilhelm Friedrich Hegel hörte und in den Berliner Salons verkehrte, veröffentlichte er nach den ersten Gedichten (1817) nicht zufällig seinen ersten Prosatext über Die Romantik (1820). Auch in der Gedichtsammlung Buch der Lieder wird H.s Nähe zur Romantik, seine Bewunderung für ihre »Volkspoesie«, ihre Übersetzungs- und Sammeltätigkeit (Achim von Arnim, Clemens von Brentano: Des Knaben Wunderhorn, 1806/08) deutlich, zugleich aber auch sein ständig wachsender Abstand. Neben konventionell romantischen Liebesgedichten verwendet H. schon ironische Distanzierungen, häufig konzentriert in pointiert desillusionierenden Schlussversen. Trotz der einfachen Volksliedform entspringen Naturidylle, Liebesleiden und Todessehnsucht nicht einem unmittelbaren Gefühl, vielmehr verwendet er bewusst romantische Stilmittel, eingebettet in Reflexion und Sentimentalität. Die Welt ist auch für den jungen H. schon brüchig, aber mit seiner Form des »Weltschmerzes« kann er, im Unterschied etwa zu Franz Grillparzer oder Nikolaus Lenau, spielerisch umgehen.

Nicht das weltberühmte Buch der Lieder, das immerhin schon zu H.s Lebzeiten dreizehn Auflagen erreichte, sondern seine Reisebilder (1826– 1831) begründeten seinen frühen literarischen Ruhm. Im Kontext eines allgemeinen Reisefiebers und der damit zusammenhängenden Modeliteratur als Unterhaltung, Belehrung und Gesellschaftskritik schuf H. eine neue Form der Reiseliteratur, die nicht nur bei den Jungdeutschen begeisterte Nachahmer fand. H. verbindet die politische Information und Kritik der Aufklärung mit der Empfindsamkeit und subjektiven Erlebnisweise Laurence Sternes und Jean Pauls sowie mit den romantischen »Wanderungen« zu einem neuen Genre des sich emanzipierenden bürgerlichen Individuums. Dabei ersetzte die europäische Emanzipation mit ihrer Radikalisierung von der Philistersatire in der Harzreise bis zur Adels- und Kleruskritik und Revolutionsbegeisterung in Die Stadt Lucca (1831) die Selbstbildung als zentrale Thematik und Absicht. Trotz der Ungebundenheit als Reisender, als freier Schriftsteller, als Intellektueller, besteht bei H. jedoch eine unlösbare Verbindung zu Deutschland als seiner Heimat. Vor allem in der Harzreise kontrastiert H. die »Banalität« der deutschen Realität mit der Natur, dem Volk mit seinen Märchen und dem Traum. Das veränderte thematische Interesse korrespondiert mit der Auflösung des traditionellen Gattungsgefüges, es entsteht eine »Antireiseliteratur«, gerichtet gegen das klassische Literaturideal: Lyrik steht neben Essayistik und Erzählung, Reflexionen neben Stimmungsbildern und autobiographischen Beobachtungen, an die Stelle einer linearen Komposition treten Brüche und Assoziationen. Die widersprüchliche Subjektivität des Ich-Erzählers, die Mischung verschiedener Sprachebenen, Konversationston neben scharfer Satire, eine spezifische Bildhaftigkeit (Reise-Bilder) und die vorherrschende Stilfigur der Antithese führen zu einer Poetik der Dissonanz, des Fragmentarismus und ansatzweise der Montage in der Art der literarischen Moderne.

Nach der Julirevolution 1830 setzte H. diese neue Literaturkonzeption, die in die politischen Geschehnisse eingreifen und Stellungnahme beziehen soll, fort. In einer differenzierten und immer wieder modifizierten Auseinandersetzung mit Johann Wolfgang Goethe – H. betont den Indifferentismus, aber auch den Sensualismus des Weimarers – und in Abgrenzung zu Hegels Theorem vom »Ende der Kunst« spricht er vom »Ende der Kunstperiode« und dem Beginn einer neuen Kunst, »die sogar eine neue Technik hervorbringen muß«. »Bis dahin möge, mit Farben und Klängen, die selbsttrunkenste Subjektivität, die weltentzügelste Individualität, die gottfreie Persönlichkeit mit all ihrer Lebenslust sich geltend machen« (Französische Maler, 1834).

H.s Emigration nach Frankreich im Mai 1831 bildet einen tiefen Einschnitt in sein Leben, insbesondere die Erfahrungen mit der Metropole Paris, in Fortsetzung seiner neuen Wahrnehmungsweise in London (Englische Fragmente, 1831), der Kontakt in Praxis und Theorie mit den Frühsozialisten und Kommunisten sowie seine Erfahrungen mit dem Widerspruch von politischer und sozialer Revolution. H. wurde insofern zu einem der wichtigsten Vermittler zwischen Frankreich und Deutschland, als er für beide Literaturmärkte schrieb: die Deutschland-Schriften, Die romantische Schule (1836) und Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland (1835), zuerst in französischer Sprache, die Frankreich-Berichte, Französische Zustände (1833), Französische Maler (1834), Über die französische Bühne (1840) und Pariser Berichte (1840–44) für die Augsburger Allgemeine Zeitung in deutscher Sprache. Obwohl H. in das Pariser Leben weitgehend integriert war (er stand im Kontakt mit Giacomo Meyerbeer, Victor Hugo, Alexandre Dumas, Pierre Jean de Béranger, George Sand und Honoré de Balzac; er heiratete 1841 Augustine Crescence Mirat), orientierte er sich weiterhin an Deutschland und hielt sowohl über seine deutschen Besucher als auch durch seine Korrespondenzen für deutsche Zeitungen einen intensiven Kontakt aufrecht, der auch durch den Beschluss des Bundestages zum Verbot der Schriften des Jungen Deutschland (1835) nicht unterbrochen wurde.

Während H. in der Romantischen Schule, einem Gegenbuch zu Mme de Staëls De l’Allemagne, den französischen Lesern ein kritisches Bild der deutschen Literatur, speziell der Romantik vorlegt, damit zugleich aber auch ein »Programm zur deutschen Literatur« liefert, zeigt er in Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland Entwicklungslinien von der Reformation bis zu Immanuel Kant, Johann Gottlieb Fichte, Friedrich Wilhelm Joseph Schelling und Hegel auf. In der späteren »De Staël-Kritik« (Briefe über Deutschland, 1844), einer Art Kommentar zu seiner Geschichte der Philosophie, enthüllt H. das »Schulgeheimnis«: Hegel ist im Kern revolutionär, und sein berühmter Satz: »Alles was ist, ist vernünftig«, bedeute eigentlich: »Alles was vernünftig ist, muß sein.« Aus der Verbindung dieser linkshegelianischen Position mit Anschauungen des Saint-Simonismus, H.s »neuem Evangelium« (Französische Zustände), entwickelte er seine Auffassung von der Notwendigkeit einer universalen »sozialen Revolution« (Französische Zustände) – »le pain est le droit du peuple« (Verschiedenartige Geschichtsauffassung, 1833/1869). Dieser theoretische Ansatz sowie die sich daraus ergebende Konsequenz, die Kritik an der Unzulänglichkeit einer politischen Revolution, wie sie H. nach 1830 erlebte, führte zu heftigen Konflikten mit der deutschen Oppositionsbewegung. Ludwig Börne, einer ihrer Wortführer, sah in H.s Vernachlässigung der Politik, z.B. der Frage Republik oder Monarchie, einen Verrat an den revolutionären Ideen, was zu Vorwürfen und Verdächtigungen führte. H.s »Denkschrift« Ludwig Börne (1840) ist deshalb als Verteidigung und zugleich als Abrechnung mit den »neuen Puritanern«, Börnes »Zeitkreis«, zu verstehen, und zwar im Sinne des Aristophanes als Polemik in z.T. unflätigem Ton (vgl. die August-von-Platen-Polemik in Die Bäder von Lucca).

Obwohl H. die Tendenz der Saint-Simonisten zur Klassenversöhnung nicht akzeptierte, blieb die Antithese von Sensualismus und Spiritualismus, die Proklamation der Gleichheit der Genüsse, der zentrale theoretische Bezugspunkt, auch in der Auseinandersetzung mit dem Kommunismus. Nur so ist zum einen H.s Fehleinschätzung zu verstehen, er habe mit seiner sensualistischen Haltung – »wir stiften eine Demokratie gleichherrlicher, gleichheiliger, gleichbeseligter Götter« – »längst geträumt und ausgesprochen«, was die »Führer« des »Proletariats«, »die Philosophen der großen Schule«, die »von der Doktrin zur Tat« gehen, als »Programm« »formulieren« (»De Staël-Kritik«, Briefe über Deutschland). Nur so ist zum anderen, trotz enger Freundschaft und Zusammenarbeit mit Karl Marx, auch H.s zwiespältige Haltung noch 1854 gegenüber dem »schauderhaft nacktesten, ganz feigenblattlosen, kommunen Kommunismus« (Geständnisse, 1854) zu verstehen. Immerhin »sprechen zwei Stimmen zu seinen Gunsten«, nämlich »daß alle Menschen das Recht haben, zu essen«, und der Hass auf den »gemeinsamen Feind«, und relativieren das »Grauen« des Künstlers vor den »dunklen Iconoklasten« (Entwurf zur Französischen Vorrede zu Lutezia, 1854). Bezugspunkt für diese Haltung bildet ohne Zweifel der Gleichheitskommunismus, insbesondere der Neo-Babouvismus, den H. in den späten 1830er Jahren als herrschende Strömung des Frühsozialismus in Paris kennenlernte. Aufbau und Sprachstil der zentralen Textstellen lassen jedoch auch einen ironischen Gestus H.s vermuten; er macht sich scheinbar die Vorurteile des Bürgertums zu eigen und spielt verdeckt mit deren Angst, gerade auch mit Blick auf seine bürgerlichen Leser. Der Idealisierung des Volkes tritt H. ebenso entgegen wie dessen Erniedrigung und benennt statt dessen die gesellschaftlichen Ursachen für dessen Hässlichkeit, Bosheit und Dummheit.

In den 1830er Jahren schrieb H. vor allem Prosa, und zwar zumeist in einer neuen literarisch-kritisch-analytischen Form, besonders ausgeprägt in einer Vielzahl aktualisierender Vorreden (Über den Denunzianten, 1837; Der Schwabenspiegel, 1839) und Vorworten (Don Quichote, 1837). Demgegenüber steht H.s Erzählprosa, obwohl mit der Form des historischen Schelmenromans experimentierend (Der Rabbi von Bacherach, 1840; bzw. Aus den Memoiren des Herrn von Schnabelewopski, 1834) ebenso zurück wie seine frühen Theatertexte (Almansor, 1823; William Ratcliff, 1823) und seine späten heidnisch-mythischen und phantastischen Stücke und Ballettlibretti (Der Doktor Faustus. Ein Tanzpoem, 1851; Die Göttin Diana, 1854; Die Götter im Exil, 1854).

Stand die Prosa für H. in den 1830er Jahren auch im Vordergrund, so schrieb er doch gleichermaßen eine große Anzahl von Gedichten. Veröffentlicht hat er sie jedoch erst 1844 in seinem zweiten wichtigen Lyrikband, den Neuen Gedichten, in dessen drittem Teil, den Zeitgedichten (1841–44), H. einen neuen Ton anschlägt: Neben aggressiver Satire auf die Herrschenden (Der Kaiser von China, 1843/44) steht die ironische Auseinandersetzung mit der politisch-literarischen Modeströmung der Tendenzpoesie in Deutschland (Ferdinand Freiligrath, Georg Herwegh u.a.) – »Blase, schmettre, donnre täglich« (Die Tendenz, 1842). H.s Kritik an ihrem »vagen, unfruchtbaren Pathos« und ihrem »unklaren Enthusiasmus« setzt sich fort und spitzt sich zu in Atta Troll (1843/47), dem schlecht tanzenden Tanzbären, der zwar »Gesinnung« hat, aber keine sinnliche Ausdruckskraft – »kein Talent, doch Charakter«. Atta Troll ist »das letzte freye Waldlied der Romantik« und zugleich der Beginn der »moderne[n] deutsche[n] Lyrik« (Geständnisse, 1854). An den Anfang der Zeitgedichte stellte H. als Gegenposition seine Doktrin (1842) – er selbst als Tambour-Major, der die Hegelsche Philosophie, Reveille trommelnd und die Marketenderin küssend, in die Praxis umsetzt. Das beste Gegenbeispiel zu den »gereimten Zeitungsartikeln« bietet H. jedoch mit dem als Flugblatt verteilten und im Pariser Vorwärts abgedruckten Gedicht Die schlesischen Weber (1844), das den Weberaufstand in das Bild der ein »Leichentuch« für »Altdeutschland« produzierenden Weber fasst, als Ausdruck der historischen Notwendigkeit der Revolution.

Gegen Preußen und die »deutsche Ideologie« wendet sich auch H.s Versepos Deutschland. Ein Wintermärchen (1844). Mit Zorn und Liebe stellt H. seinen »Patriotismus« gegen dessen »Maske« und »die der Religion und Moral« (Vorwort) und verspottet gleichermaßen den Anachronismus des germanisch-christlichen Königtums (Kyffhäuser-Sage) wie die Welt der Bourgeoisie (Göttin Harmonia). In diesen »versifizierten Reisebildern« (Brief v. 20. 2. 1844) verbinden sich Volksliedstrophe und volkstümliche Motive aus Sage und Märchen, Mythologie, Religion und Traum, Trauer um Deutschland und diesseitiges Glücksstreben zu einem »neuen Genre« (20. 2. 1844), das H. selbst, in der Tradition von Aristophanes stehend, »radikal, revolutionär« nennt (14. 9. 1844). Politischer Bezugspunkt dieser schärfsten deutschsprachigen Satire des 19. Jahrhunderts bilden der Saint-Simonistische Sensualismus und die Emanzipation des Menschen beim jungen Karl Marx.

Mitte der 1840er Jahre gerät H. in eine Krise – Isolierung von den politischen Freunden, Erbstreitigkeiten, Beginn seiner Krankheit, die ihn ab 1848 ans Bett fesselte; dem Siechtum in der »Matratzengruft« stellte er die Intensität seiner Literaturproduktion entgegen. Die Prosatexte aus dieser Zeit leben vor allem von der Erinnerung: Er arbeitet sein Leben auf – die Geständnisse und die erst postum von der Familie zensiert veröffentlichten Memoiren (1884) –, und er arbeitet seine Berichte über Politik, Kunst und Volksleben für die Augsburger Allgemeine Zeitung (von 1840 bis 1844) zu den zwei Büchern der Lutezia um. Romanzero (1851), H.s dritter großer und sehr erfolgreicher Gedichtband, lebt dagegen ebenso wie die Gedichte 1853 und 1854 (1854) aus der bedrückenden Gegenwart. H.s Leiden führt zu Verzweiflung und Widerstand, zu Distanz vom politischen Tagesgeschehen, der deutschen Misere nach 1848 und zur Konzentration auf die Kunst, zur religiösen »Bekehrung« und zu blasphemischen Zweifeln und Fragen nach der Gerechtigkeit angesichts von siegreichem Bösen und hilfloser Armut, wie H. es im Lazarus-Zyklus betont. Das letzte Gedicht dieses Abschnitts, Enfant perdu, bekenntnishaft wie die meisten Gedichte dieser Zeit, kann als H.s Testament gelesen werden: »Ein Posten ist vakant! – Die Wunden klaffen/Der eine fällt, die andern rücken nach/Doch fall ich unbesiegt, und meine Waffen/sind nicht besiegt – Nur mein Herze brach.«

H. war trotz Besuchen von Freunden und der Hilfe der »Mouche« Elise Krinitz (um 1826–1896) nicht erst in der Einsamkeit der Krankheit isoliert. Als Jude war er trotz Assimilation ein Paria und schöpfte aus seiner Bindungslosigkeit die Kraft seiner Utopie; als Intellektueller seiner Klasse, dem Bürgertum, sich entgegenstellend, aber auch außerhalb des heraufkommenden Proletariats stehend, sah er die Gesellschaft mit analytisch-kritischem, mit fremdem Blick; als Schriftsteller wurde er trotz Einfluss und Erfolg Außenseiter, ausgegrenzt nicht zuletzt auch von den Liberalen und Radikaldemokraten. Sein Sensualismus – die Revolution als »Bacchantenzug« – und seine ästhetische Sensibilität machten ihn verdächtig; verdächtig auch wegen der Subversivität seiner Sprache, seiner Ironie, seiner Trauer, seines grellen Lachens, die entgegen Karl Kraus’ Verdikt von der Sprachzerstörung Widerstand gegen Alltagssprache und Alltagsordnung leistet, sich jedoch zunehmend gegen Vereinnahmungstendenzen in Ost und West zu wehren hat: »Die Wunde Heine beginnt zu vernarben, schief« (Heiner Müller).

Werkausgaben: Sämtliche Schriften. 6 Bde in 7 Bänden. Hg. von Klaus Briegleb. München 1975–1985 u. öfter. – Sämtliche Werke. Historisch-kritische Gesamtausgabe der Werke. Hg. von Manfred Windfuhr. Hamburg 1975–1997. – Säkularausgabe. Werke, Briefwechsel, Lebenszeugnisse. Hg. von den Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten der Klassischen Deutschen Literatur und dem Centre National de Recherche Scientifique. 30 Bde. Weimar/Paris 1970ff.

Florian Vaßen