Am Ende des Monats ging Liraun zur Halle der Schneider wegen der Tests. Es handelte sich um weitaus mehr als einen einfachen Schwangerschaftstest, und Farber verstand nur wenig davon. Die Tests hingen mit einer Menge Rituale und Symbolen zusammen, die Liraun nur zögernd erklären wollte. Sie hatte in den vergangenen drei Tagen gefastet und totale Abstinenz praktiziert und allein auf einer schmalen Pritsche neben dem Feuer geschlafen. Wenn sie ihm auch weiterhin das Essen kochte und das Apartment saubermachte, so weigerte sie sich doch, sich von ihm berühren zu lassen, sich ihm zu nähern und redete fast gar nicht. Farber verfolgte sie, bis er sich davon überzeugt hatte, daß ihre dumpfe Verschlossenheit nicht aufgebrochen werden konnte, und dann nahm er die Situation mit soviel Haltung auf, wie er aufbringen konnte. Die Abende verbrachte er damit, seine Korrespondenz aufzuarbeiten, schrieb Brief um Brief, die er wahrscheinlich niemals abschicken würde. Hier ist alles anders, schrieb er, um dann innezuhalten, manchmal stundenlang, auf das Papier starrend, mesmerisiert durch die Homogenität des Banalen und des Unerklärlichen seiner fremden Umgebung.
Auf der anderen Seite des Zimmers fegte seine Frau warme Asche von der Feuerstelle, fügte pulverisierte Knochen, Holzkohlenstaub und ein paar Tropfen einer unbekannten dicklichen Flüssigkeit aus einer Phiole hinzu, mischte die Mixtur zu einer dunklen, fettigen Paste. Jede Nacht bemalte sie sich nun mit dieser Substanz – verwandelte ihr Gesicht in eine tragische Aschemaske, rieb die Paste auf ihren Kopf, bis das Haar staubgrau wurde, malte sich dunkle Hungerschatten unter die Augen. Dann sah sie aus wie ein schmutziger, verzweifelter Geist, und ehe sie sich schlafen legte, sang sie ein kleines geisterhaftes Lied mit zitternder, schriller Stimme, in dem Farber keine Note vertraut klang. Beim Erwachen wischte sie sich das Gesicht sauber und begann mit anderen Substanzen. Dieses Mal wurde ihr Gesicht zu einer schreckerregenden – fast insektenhaften – Maske mit Streifen in dumpfem Grün und Blau und Schwarz, mit kleinen Tupfern gedämpften Rots. Stolze Resignation, gerechte Wut, religiöse Ekstase, sexueller Wahnsinn – Farber wußte nie, was davon, wenn überhaupt, die Maske jeweils repräsentieren sollte. Sie malte sich auch konzentrische Kreise um die Brustwarzen, kabbalistische Windungen über den flachen Bauch, stilisierte Pfeile, die von den Lenden auf ihr Schamhaar zielten. Ihre Eckzähen schimmerten gegen die matte, glänzende Gesichtsfarbe, wirkten plötzlich länger, wurden plötzlich – Schock! – zu Fangzähnen. Sie blieb den ganzen Tag über nackt, war nicht sie selbst, schenkte Farbers periodischen Attacken von Geilheit keinerlei Aufmerksamkeit.
Sie hatte sich seit Tagen nicht gewaschen und begann, einen fauligen, süßlichen Geruch zu entwickeln, der aber nicht unangenehm war.
Auch war es nicht unangenehm, in der grimmigen Kälte aufzuwachen, wie es Farber am Morgen der Tests tat: Eine Kälte, die er mehr durch die Schlaffelle hindurch ahnte, als sie richtig zu spüren, und die ihm eine schaudernde, fast angenehme Vorahnung von der Unannehmlichkeit vermittelte, wenn er wirklich aufstehen würde. Er döste noch eine Weile und genoß die Wärme, die ihn einhüllte. Dann hob er den Kopf über die Felle. Die Kälte stieß gläserne Pfeile in seine Wangen und brachte ihn schockartig zum Wachwerden.
Liraun bewegte sich lautlos durch den Raum. Sie hatte das breite niedrige Fenster in der Ostwand geöffnet. Das erklärte die Kälte. Durch das Fenster sah er einen Hügel niedriger Dächer treppenartig ansteigen und den frischen Schnee fallen, der sich langsam auf die Dächer niedersenkte. Man sah keinen Himmel, nur Schnee, der Flocke für Flocke mit nachdenklicher, nicht aufhaltbarer Anmut niedertaumelte und die Luft erfüllte. Still, flusig, sanft, wie langsam fallende Raupen. Es löschte die Geräusche aus und dämpfte den harten Schein von Feuerfrau zu einem gleichmäßigen, richtungslosen Unterseelicht. Manchmal trieb Schnee durch das Fenster, wirbelte über den polierten Silberholzboden, kreiste wieder durch die Luft, verschwand. Einige der Flocken trafen Liraun, blieben kleben, schmolzen, hinterließen auf ihrer Haut glänzende nasse Flecken. Sie ignorierte sie. Nackt ging sie auf das Steinbecken zu, brach die Eisdecke darin auf und begann sich zu waschen. Ihre Bewegungen waren langsam und bewußt, und sie schien die Kälte nicht als unangenehm zu empfinden. Ihr Gesicht – zum ersten Mal sah Farber es seit Tagen ohne Farbe – war ernst und nachdenklich. Das Wasser begann schon wieder zu frieren, und auf ihrem Haar lag ein Eisschimmer.
Farber döste, eingehüllt in seinen warmen Kokon und öffnete die Augen, um Liraun das Haus verlassen zu sehen. Sie hatte ihr wildes Tagesgesicht aufgesetzt, wenn es auch diesmal Streifen von Orange und gelbe Flecken anstelle der grünen, blauen und schwarzen Streifen trug. Er fragte sich schläfrig, was die helleren Farben wohl symbolisierten. Hoffnung? Eine traurige Hoffnung. Eine heftige, grausame Hoffnung, in Verzweiflung gebettet. Lirauns gemalte Maske schien für einen solchen flaumigen Morgen zu grob und hart. Er rief sie zu sich, schläfrig, aber sie kam nicht. Sie schien nun ein vollständig isoliertes Wesen zu sein; mit sich selbst zufrieden, unerreichbar, glitt sie durch die Außenwelt, ohne sie zu berühren oder berührt zu werden. Öl auf Wasser, dachte Farber. Vermischt sich nicht. Er rief sie nicht noch einmal. In diesem Augenblick stand sie über ihm – oder hinter ihm, egal. Er fragte sich, ob er irgend etwas tun könnte, damit sie auf ihn reagierte, wenn sie sich seiner Gegenwart überhaupt bewußt war. Er glaubte es nicht. Das machte ihn sehr traurig, wenn auch die Schläfrigkeit den Schmerz zu einer scharfen, treibenden Sehnsucht machte. Sie wickelte sich in einen grauen Umhang und ging, ohne sich nach ihm umzusehen, in den Sturm hinaus. Fest schloß sich die Tür hinter ihr. Er blieb allein in einem Raum zurück, der mit gedämpftem weißen Licht angefüllt war wie ein Bergsee mit klarem, eisigen Wasser, und er sank langsam in das Licht und durch das flüsternde Zischen und Gemurmel des Schnees, bis er auf den Grund des Sees stieß und einschlief.
Er erwachte in einer Stille, die aus vielen natürlichen Geräuschen bestand, die zu weit entfernt waren, um vernommen zu werden. Gelegentlich wurde eines der Geräusche – das Schlagen einer Tür unten am Berg, Schritte, Stimmen – für einen Moment deutlich: ein Geräusch aus den vielen Stillen, die sie vernehmbar machten. Sonnenlicht glänzte auf Wand und Decke und blendete seine Augen. Farber stand auf und lief über den kalten Boden zum Fenster, wobei er eines der Schlaffelle umklammerte. Der Sturm war vorüber. Der Himmel strahlte in seinem normalen intensiven Blauschwarz, gegen das sich die Dächer und Türme der Altstadt scharf abhoben. Auf jeder ebenen Oberfläche lag eine dicke Pulverschneedecke, auf Zweigen, Fenstersimsen und Dächern. Rauhreif glitzerte auf allem und funkelte wie kristallene Feuerfliegen durch die Luft. Es war unglaublich kalt. Farber schloß das Fenster und zwängte sich fluchend und schnatternd in die Kleider. Verdammt, war das kalt! Als er ein Feuer im Kamin angezündet hatte, zitterte er, und seine Finger waren taub. Wie hielt Liraun das aus? Nicht zum ersten Mal kam ihm der unangenehme Verdacht, sie sei viel härter als er. Der nußartige, an Laub erinnernde Geruch des Rauches erfüllte den Raum, gefolgt von einer zögernden, sich langsam ausdehnenden Wärme. Farber begann aufzutauen. Er stand eine Weile beim Feuer und bog die Finger, kehrte dann zum Fenster zurück. Das Glas war mit Eisblumen überzogen. Er machte mit der warmen Hand ein Loch in die Eisschicht und spähte hinaus. Nichts regte sich in der Altstadt. Der Schnee in den Straßen war immer noch glatt und unbetreten. Die Fenster waren verschlossen oder durch den Frost undurchsichtig. Die schwarzen Steinwände der alten Häuser waren eisüberkrustet. Die Welt war eine scharfe Komposition von Schwarz und Weiß: Eis, schwarzer Felsen, weiße, schneebemützte Dächer, schwarzer Himmel – eine überentwickelte monochrome Fotografie, eine verzerrte Masse von Lichtern und Schatten. Es gab keine Farben, kein Chiaroskuro, keine Grauschatten. Die Kalten Wesen herrschten nun vollständig. Dies war ihre Welt und ihre Jahreszeit, regiert vom Haus von Dûn: harsch, eisig, still.
Farber schauderte ein wenig und wandte sich vom Fenster ab.
Er verbrachte den Morgen mit Nichtstun. Das war nicht ungewöhnlich – an den meisten Tagen tat er nichts. Er hatte sich fast daran gewöhnt. Aber die fast übernatürliche Stille und Spannung des Morgens ließen ihn wegen seiner Lethargie fast Scham empfinden.
Zum ersten Mal seit Wochen begann er seine Schlampigkeit abscheulich zu finden. Wie willst du so irgendwem nützen, fragte er sich bitter. Was für ein Leben ist das? Aber die gewohnheitsmäßige Faulheit war schwer zu durchbrechen. Er saß neben dem Fenster und brütete vor sich hin, wie ein Mann, der einen schlechten Traum nicht vollständig abschütteln kann, fühlte sich schal, dumpf und nutzlos und lauschte auf die Stille. Manchmal knarrte einer der Silberbäume draußen in der Kälte, ein scharfes Knack wie ein Pistolenschuß, oder es gab ein dumpfes, aufschlagendes Geräusch, wenn einer der Zweige nachgab und eine Ladung Schnee auf die Straße warf. Einmal huschte ein Schwarm glänzend geschuppter fliegender Eidechsen über die Traufe und tauschte trillernde Arpeggios aus, die durch die gefrorene Luft wie ein Schauer flüssigen, kalten Metalls schimmerten und schlugen. Doch meistens herrschte Stille, und sie schien tief genug, um darin zu versinken.
Farber versank bereits zum dritten Mal darin, wurde aber vom hartnäckigen Angelhaken eines Geräusches geschnappt. Er hatte es, ohne es richtig zu hören, schon ein paar Minuten lang wahrgenommen, aber nun hörte er es. Langsam zog ihn der Ton aus dem stehenden Tümpel seiner Gedanken. Das Hämmern von Stein auf Stein. Klack. Klack, klack, klack! Unsicher kam Farber auf die Beine.
Es war direkt draußen vor der Tür.
Farber fühlte sich merkwürdig angespannt und ging hinaus.
Zwei cianische Männer bemühten sich, eine Steinsäule vor dem Haus aufzustellen. Als Farber hinaustrat, trieb der eine Cian sie mit dem Hammer in die Erde. Klack! Klack! Klack! ging der Hammer. Erschreckend laut klang es durch die Straße. Die beiden Cian traten beiseite, wischten sich über die Stirn, rieben sich die Hände und blickten die Säule befriedigt an. Es war ein Andreaskreuz, etwa vier Fuß hoch, aus milchigem, feingekörntem Stein geschnitten. Man hatte ein kleines pelziges Tier gevierteilt und die Teile an die Arme des Kreuzes gebunden. Den Kopf des Tieres hatte man aufrecht über dem rechten Balken angebunden. Vorwurfsvoll blickte es mit blinden, weisen Augen in die Welt. Blut war in den hellen Stein gedrungen und befleckte den Schnee um den Fuß des Kreuzes.
Farber starrte das Kreuz entsetzt an.
Die cianischen Männer beobachteten ihn eingehend. Ihre Gesichter waren zu entsetzlichen Grimassen mit glitzernden Fangzähnen verzerrt. Die Hände waren blutverschmiert.
Farber ging auf sie zu, wobei er den Drang unterdrücken mußte, lieber fortzulaufen. Diese groteske rituelle Miene war bei den Cian ein Zeichen für Freude und Vergnügen – wenn es auch eine zu wenig expressive Rasse war, als daß man diesen Ausdruck oft in der Öffentlichkeit sehen konnte. Das terranische Äquivalent dazu wäre gewesen, in die Luft zu springen und in unbeherrschter Freude zu schreien. Ich habe keine Ahnung, um was es hier geht, dachte Farber dumpf. Trotz der Kälte waren seine Gedanken immer noch nicht klar geworden. Seine Füße mahlten den Schnee, sanken bei jedem Schritt bis zum Knöchel ein. Das gleißende Sonnenlicht blendete seine Augen und verursachte ihm Kopfschmerzen. Ihm wurde übel durch das glasige Starren des toten Tieres und von dem Blut, das bereits in zähen, glitzernden Streifen zu frieren begann. Er blieb stehen, zwinkerte, verdutzt, zitternd. Was soll ich denn jetzt sagen, fragte er sich.
»Alle guten Wünsche«, sagte der eine Cian und ersparte Farber die Mühe, die Unterhaltung zu beginnen. »Ihr seid eins mit den Wesen des Lebens, Denen-die-unsere-neue-Erde-regieren. Möge ihr Strahlen Euch erfüllen und Eure Träume wärmen.«
Er schwieg.
»Danke«, sagte Farber.
»Ihr seid ein Gefäß für Ihr Loch«, fiel der andere Cian ein. »Durch euch zersplittert es in tausend warme Farben. Ihr helft, die Strahlung am Ort der sich wendenden Stille zu harmonisieren, jenem reglosen, unbewegten Zentrum.«
Farber suchte nach der entsprechenden Antwort. »Euer Licht erhellt meine Finsternis«, entgegnete er.
»Në, das hat keine Bedeutung«, antwortete der Cian. Dann, weniger förmlich: »Keine Verpflichtung. Es macht Vergnügen, Euch von Eurem Glück zu informieren.«
»Sal« warf der andere begeistert ein. »Das ist ein großer Augenblick für Euch. Meine Seele klingt mit in Sympathie.«
Sie knurrten ihn fröhlich an.
»Ich verstehe nicht«, hatte Farber sagen wollen, aber er sagte es nicht.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Zeremonie einige von Farbers Nachbarn von oberhalb und unterhalb der Row angelockt. Sie sammelten sich um ihn, fünf oder sechs weitere cianische Männer, und fügten ihre höflichen Lobpreisungen und Glückwünsche denen der beiden Abgesandten zu. Man vernahm leises Murmeln und Fingerschnippen, welches Applaus bedeutete. Jemand holte eine Glasflasche mit dem einheimischen Schnaps hervor, und sie wanderte von Hand zu Hand. Wenn ihre soziale Struktur ein Auf-den-Rücken-schlagen beinhaltet hätte, hätten sie auch dies getan.
Farber sah das Licht, verspätet, ungefähr um diese Zeit.
Verwundert stand er auf der fremden Straße und trank mit seinen Gratulanten; auf beiden Seiten erhoben sich die eisbedeckten, lotrechten schwarzen Hauswände, über ihm ein schmaler Streifen Himmel, wie ein kalter blauschwarzer Fluß, der über die Welt dahinströmte.
Ein Wind kam auf und zerzauste das Fell des toten Tieres, ließ den Kopf vermeintlich deutlich grimmig nicken. Auf der Säule befand sich eine Inschrift, die Farber nicht übersetzen konnte. Er merkte sie sich für Ferris semantischen Computer.
Und nach einer Weile entfernten sie sich respektvoll und ließen ihn allein.
Liraun kam etwa eine Stunde später heim. Sie trug keine Farbe, und ihre Haut sah frisch und sauber aus. Sie trug ein langes hellgrünes Gewand, mit gelben und orangenen Mustern bestickt, aber mit ernstem Schwarz gesäumt. Darunter war sie offensichtlich! nackt. Man hatte ihr langes Haar aufgesteckt und mit silbernen und Obsidian-Nadeln befestigt. Der fanatische Gesichtsausdruck, den sie in den letzten Tagen an den Tag gelegt hatte, war verschwunden. Sie wirkte ruhig und glücklich. Auch schien sie, als sie im Türeingang stehenblieb und ihn anstarrte, ein vollständig erregtes und erotisches Wesen zu sein, fast wild, als sei sie ein läufiges weibliches Tier. Er spürte die Hitze, die von ihr ausströmte, und nahm den heißen Moschusduft ihres Körpers wahr. Er traf ihn wie eine Welle, trocknete ihm die Mundhöhle aus und ließ ihn die Schenkel verspannen.
Sie starrte ihn einen langen, intensiven Moment lang an, als habe sie ihn noch nie zuvor gesehen, als wolle sie sich jede Linie und jeden Zug an ihm merken.
Dann, langsam, lächelte sie.
»Mein Mann«, sagte sie ruhig.
Und schloß die Tür hinter sich.
Sexuell gesehen war Liraun immer eher passiv gewesen, aber in dieser Nacht war sie aggressiv, unerschöpflich und fordernd. Sie saugte Farber aus, verbrauchte ihn. Sie trieb ihn bis an die Grenzen seiner Belastbarkeit und drängte ihn dann irgendwie darüber. Sie war entspannt und fröhlich, aber das ließ an ihrer inneren Festigkeit keinen Zweifel. Sie schien glücklich zu sein. Ihre Spiele und die kleinen Gespräche waren voller Aufregung und Fröhlichkeit. Aber darunter lag eine Traurigkeit, so tief und intensiv, daß man sie nur Verzweiflung nennen konnte. Mit ihr zusammen in der Dunkelheit, als er ihre leisen, rhythmischen Schreie vernahm, als ihre Beine ihm den Atem nahmen, als die Nackenmuskeln sich bei ihr wie Stahlseile verspannten und ihr Kopf heftig von einer auf die andere Seite zu peitschen begann – als ertrüge sie so große Schmerzen, daß sie Erleichterung darin suchte, indem sie sich das Hirn herausschlug –, fühlte sich Farber sonderbar allein und abgelöst, wie ein Zuschauer bei der bittersüßen Apotheose eines anderen. Es war ein unerklärlicher Sturm aus Freude und Verzweiflung, der sie antrieb, sie anfeuerte, der in diesem Augenblick mehr ihr Liebhaber war als er selbst.
Kurz vor der Dämmerung erschien eine Abordnung der Zwielicht-Wesen, Derer-die-Träume-beeinflussen-können zu der Zeremonie der Namengebung. Die Gesellschaft bestand aus einem Älteren, einem Twizan – Farber wußte nicht, ob es der gleiche Sänger war, der sie getraut hatte; wenn nicht, dann war er aber vom gleichen Typus –, fünf jungen cianischen Frauen in den verschiedensten Stadien der Schwangerschaft, eine so dick, daß ihre Zeit unmittelbar bevorstand, und eine Soúbrae oder Alte Frau. Die Alte Frau war in der Tat sehr alt, dem Aussehen nach noch älter als der Twizan. Sie vermittelte Farber den Eindruck, sie sei allein aus Willenskraft noch am Leben – wenn ihre Gedanken nur einen Moment abgelenkt wurden, so glaubte er, würde sie zu Staub und Asche zerbröseln. Sie war auch, wie sich Farber erinnerte, die einzige richtig alte cianische Frau, die er jemals gesehen hatte. Sie trug eine schneeweiße Robe, hatte Augen wie Eis, ein Gesicht so hart wie die wintergeforene Erde und war definitiv die leitende Person bei der Namengebung. Unter ihren schweigenden Anweisungen wurde Liraun besonders angekleidet und bemalt; man öffnete das Ostfenster, um die ersten Strahlen Feuerfraus in den Raum fallen zu lassen, und zündete ein sonderbar stinkendes Feuer im Kamin an. Die Zwielicht-Wesen und Liraun versammelten sich dicht um die Feuerstelle, und die Zeremonie begann. Sie schien endlos zu sein. Zwischen Liraun und den schwangeren Frauen, besonders mit jener, deren Geburt kurz bevorstand, wurden rituelle Gesten ausgetauscht, während die Alte Frau Gesänge anstimmte und der Sänger ein unheimliches Moll-Ton-Lied von sich gab, das so verzweifelt klang, daß es ein Geistergeheul hätte sein können.
Farber saß währenddessen in der anderen Ecke und hatte sich in Felle gewickelt. Er war erschöpft und schmutzig, und die Laute und der Geruch machten ihn reizbar. Jeder ignorierte ihn. Er saß also düster allein da, beobachtete die singenden, gestikulierenden Gestalten, fühlte sich in einem Mechanismus befangen, den er nicht begriff und der ihn auf einen Schluß zuwarf, den er weder vorhersagen, vorhersehen noch begreifen konnte.
Die Alte Frau reichte eine Reihe unidentifizierbarer – so zumindest für Farber – Objekte weiter, die ehrfürchtig berührt und behandelt wurden. Die ersten Strahlen der Dämmerung blitzten aus einem Krönchen winziger silberner Spiegel, das man auf Lirauns Kopf gesetzt hatte, und die Zeremonie war vorüber. Sie war nicht mehr Farbers Besitz. Von diesem Augenblick an war sie nach Recht und altem Brauch niemandes Eigentum mehr außer ihr eigenes und das ihrer Ahnen. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie sie selbst.
Ihr Name lautete nun Liraun Je Morrigan.