Wildwechsel

An jenem Nachmittag waren etwa vierzig Leute auf der Cocktailparty von Jerry und Samantha. Es war die übliche Clique, die übliche Unbequemlichkeit, das übliche schreckliche Gelärm. Die Leute standen dicht beieinander, und man musste schreien, um sich verständlich zu machen. Viele lächelten breit und zeigten ihre weißen Jacketkronen. Die meisten hielten in der linken Hand eine Zigarette, in der rechten einen Drink.

 

Ich entfernte mich von Mary, meiner Frau, und der Gruppe, bei der sie stand. Ich steuerte auf die kleine Bar in der entfernten Ecke zu und setzte mich dort auf einen Barhocker und sah mich in dem Raum um. Ich tat dies, um mir all die Frauen zu betrachten. Ich lehnte mich mit den Schultern an das Bargeländer, nippte an meinem Scotch und begutachtete über den Rand meines Glases hinweg eine Frau nach der anderen.

 

Ich studierte nicht ihre Figuren, sondern ihre Gesichter, und was mich daran interessierte, war nicht so sehr das Gesicht selbst, sondern der große rote, bewegliche Fleck in der Mitte der Gesichter, der Mund. Genaugenommen war es nicht einmal der ganze Mund, sondern nur die Unterlippe. Die Unterlippe, so hatte ich kürzlich entschieden, war der große Verräter. Sie offenbarte mehr als die Augen. Die Augen verbargen ihre Geheimnisse. Die Unterlippe verbarg kaum etwas. Nehmen wir zum Beispiel die Unterlippe von Jacinth Winkleman, die mir gerade am nächsten stand. Man beachte die Linien auf dieser Lippe, von denen einige parallel und andere strahlenförmig nach außen liefen. Es gibt keine zwei Menschen mit dem gleichen Lippenlinienmuster. Und wenn man es recht bedenkt, könnte man sogar einen Verbrecher erwischen, wenn sein Lippenabdruck in den Akten wäre und wenn er am Schauplatz des Verbrechens noch einen Drink genommen hätte. An der Unterlippe saugt und nagt man, wenn man die Fassung verliert, und genau das tat Martha Sullivan in eben diesem Augenblick, während sie aus einer gewissen Entfernung ihren Schwachkopf von Mann beobachtete, wie er Judy Martinson besabberte. Man leckt sich die Lippen, wenn man scharf ist. Das sah ich bei Ginny Lomax, die ihre Lippen mit der Zungenspitze benetzte, während sie neben Ted Dorling stand und in sein Gesicht hochäugte. Es war ein bedächtiges, wollüstiges Lecken, bei dem die Zunge langsam herauskam und langsam und feucht die ganze Unterlippe entlang strich. Ich sah Ted Dorling auf Ginnys Zunge blicken, und genau das war es, was sie von ihm wollte.

 

Es scheint tatsächlich so zu sein, sagte ich mir, während meine Augen im Zimmer von Unterlippe zu Unterlippe wanderten, dass sich all die weniger attraktiven Züge des menschlichen Wesens, Arroganz, Habgier, Gefräßigkeit, Lüsternheit und all das andere - deutlich auf dem kleinen scharlachroten Hautpanzer abzeichnen. Man muss nur den Code kennen Die vorstehende oder stark gewölbte Unterlippe weist angeblich au t große Sinnlichkeit hin. Aber das stimmt bei Männern nur halb und bei Frauen überhaupt nicht. Bei Frauen sollte man auf die dünne Linie achten, die schmale Klinge mit dem scharf gezeichneten unteren Rand. Und bei der Nymphomanin wird die Unterlippe genau in der Mitte von einem winzigen, eben noch sichtbaren Hautkamm gekrönt. Bei Samantha, der Gastgeberin, war das der Fall.

 

Wo war sie eigentlich, Samantha?

 

Ah, da drüben stand sie ja. Sie nahm einem Gast gerade ein leeres Glas aus der Hand. Jetzt kam sie zu mir herüber, um es wieder zu füllen.

 

«Hallo, Vic», sagte sie. «Ganz allein? »

 

Sie ist doch eine Nymphomanin, dieses Vögelchen, sagte ich mir. Aber sie ist ein sehr seltenes Exemplar dieser Gattung, weil sie absolut monogam ist. Sie ist eine verheiratete monogame Nymphomanin, ein Vögelchen, das niemals das eigene Nest verlässt.

 

Sie ist auch die leckerste Frau, auf die ich je in meinem Leben ein Auge geworfen habe.

 

«Kann ich dir helfen? », fragte ich, während ich dastand und ihr das Glas aus der Hand nahm. «Was wird verlangt? »

 

«Wodka on the Rocks», sagte sie. «Danke, Vic. » Sie legte ihren lieblichen langen weißen Arm auf die Bartheke und beugte sich vor, so dass ihr Busen auf dem Bargeländer ruhte und dabei nach oben gedrückt wurde. «Hoppla», sagte ich, weil ich den Wodka neben das Glas gegossen hatte.

 

Samantha sah mich mit riesigen braunen Augen an, sagte aber nichts.

 

«Ich werde es wegwischen», sagte ich.

 

Sie nahm mir das wieder gefüllte Glas ab und ging fort. Ich beobachtete, wie sie ging.

 

Sie trug eine schwarze Hose, die am Po so eng saß, dass sich der kleinste Leberfleck oder Pickel durch den Stoff abgezeichnet hätte. Aber Samantha Rainbows Hinterteil war makellos. Ich ertappte mich dabei, wie ich mir die Unterlippe leckte. Stimmt, dachte ich. Die will ich. Meine Güte, wie scharf ich auf diese Frau bin! Aber ein Versuch wäre zu riskant. Es wäre Selbstmord, sich an ein solches Mädchen heranzumachen. Erstens wohnt sie schon mal nebenan, was zu nahe ist. Zweitens ist sie, wie ich schon sagte, monogam. Drittens sind sie und Mary, meine Frau, die dicksten Freundinnen. Sie tauschen dunkle Frauengeheimnisse aus. Viertens ist ihr Mann Jerry ein sehr alter und guter Freund von mir, und nicht einmal mir, Victor Hammond, würde es im Traum einfallen, die Frau eines Mannes zu verführen, der ein sehr alter und treuer Freund von mir ist. Und wenn ich auch vor Lust verbrannte.

 

Es sei denn...

 

In diesem Augenblick, als ich auf dem Barhocker saß und mir die Lippen leckte nach Samantha Rainbow, begann ganz langsam eine interessante Idee in das Zentrum meines Gehirns zu sickern. Ich verhielt mich ruhig und erlaubte der Idee, sich dort auszubreiten. Ich verfolgte Samantha mit den Augen quer durch das Zimmer und begann, sie in das Rahmenwerk meiner Idee einzufügen. Oh, Samantha, mein prächtiges, saftiges kleines Juwel, dich kriege ich noch.

 

Aber konnte man ernstlich hoffen, dass ein so irrer Coup gelang?

 

Nein, nicht in einer Million Nächten.

 

Man konnte es nicht einmal versuchen, wenn Jerry nicht einverstanden war. Warum also darüber nachdenken?

 

Samantha stand ungefähr sechs Meter von mir entfernt und sprach mit Gilbert Mackesy. Die Finger ihrer rechten Hand umschlossen ein hohes Glas. Ihre Finger waren lang und mit ziemlicher Sicherheit äußerst geschickt.

 

Angenommen, nur zum Spaß, Jerry war doch einverstanden - dann musste man immer noch riesige Hindernisse überwinden. Da war zum Beispiel die Kleinigkeit mit den körperlichen Merkmalen. Ich hatte Jerry oft im Klub nach dem Tennis unter der Dusche gesehen, aber im Moment konnte ich mich beim besten Willen nicht an die notwendigen Einzelheiten erinnern. Es war nichts, auf das man sehr achtete. Meist schaute man nicht einmal hin.

 

Auf jeden Fall war es Wahnsinn, Jerry geradeheraus den Vorschlag zu machen. So gut kannte ich ihn auch wieder nicht. Unter Umständen war er entsetzt. Er konnte sogar gemein werden. Es konnte eine hässliche Szene geben. Ich musste ihn deshalb auf irgendeine subtile Art testen.

 

«Weißt du was», sagte ich ungefähr eine Stunde später zu Jerry, als wir zusammen auf dem Sofa saßen und noch ein letztes Glas tranken. Die Gäste verzogen sich langsam, und Samantha stand an der Tür und sagte jedem, der ging, auf Wiedersehen. Mary stand auf der Terrasse und unterhielt sich mit Bob Swain, Ich konnte sie durch die geöffneten Flügeltüren sehen. «Soll ich dir was Komisches erzählen? », sagte ich zu Jerry, während wir zusammen auf dem Sofa saßen.

 

«Schieß los», sagte Jerry.

 

«Jemand, mit dem ich heute zu Mittag gegessen habe, hat mir eine phantastische Geschichte erzählt. Ganz unglaublich. »

 

«Ja? », sagte Jerry. Der Whisky hatte ihn müde werden lassen.

 

«Dieser Mann, der, mit dem ich gegessen habe, war ganz verrückt nach der Frau eines Freundes, der bei ihm in der Nähe wohnte. Und sein Freund war genauso scharf auf die Frau des Mannes, mit dem ich gegessen habe. Verstehst du, was ich meine? »

 

«Du meinst, zwei Kerle, die nahe zusammen wohnten, hatten beide ein Auge auf die Frau des anderen geworfen. »

 

«Genau», sagte ich.

 

«Dann gab es doch kein Problem», sagte Jerry.

 

«Es gab ein sehr großes Problem», sagte ich. «Die Ehefrauen waren beide sehr treu und anständig. »

 

«Wie Samantha», sagte Jerry. «Sie würde nie einen anderen Mann ansehen. »

 

«Mary auch nicht», sagte ich. «Sie ist ein gutes Mädchen. »

 

Jerry leerte sein Glas und stellte es vorsichtig auf den Couchtisch. «Wie geht deine Geschichte aus? », fragte er. «Klingt nach einer Schweinerei. »

 

«Was passierte», sagte ich, «war folgendes. Die geilen Böcke heckten einen Plan aus, der es ihnen möglich machte, mit der Frau des anderen zu bumsen, ohne dass die Frauen es je mitkriegten. Wenn man so etwas glauben soll. »

 

«Wie haben sie's gemacht? », fragte Jerry. «Mit Chloroform? »

 

«Keineswegs. Die beiden Frauen waren bei vollem Bewusstsein. »

 

«Ausgeschlossen», sagte Jerry. «Man hat dir einen Bären aufgebunden. »

 

«Ich glaube nicht», sagte ich. «So, wie dieser Mann es mir erzählt hat, mit allen Einzelheiten und so, glaube ich nicht, dass er sich das aus den Fingern gesogen hat. Im Gegenteil, ich bin sicher, das war nicht der Fall. Und hör zu, sie haben es nicht nur einmal gemacht. Sie treiben dieses Spielchen nun schon seit Monaten alle zwei oder drei Wochen. »

 

«Und die Frauen wissen es nicht? »

 

«Sie haben keine Ahnung. »

 

«Das musst du mir genau erzählest», sagte Jerry. «Aber zuerst wollen wir uns noch einen Drink holen. »

 

Wir gingen zur Bar, füllten unsere Gläser und kehrten zum Sofa zurück.

 

«Du musst bedenkest», sagte ich, «dass sie vorher eine Menge vorbereiten und proben mussten. Und sie mussten einander viele intime Informationen geben, damit der Plan eine Chance hatte. Aber im wesentlichen sah das Projekt so aus: Sie bestimmten eine Nacht, sagen wir mal Samstag. In dieser Nacht mussten die Männer und Frauen wie üblich zu Bett gehen, sagen wir mal, um elf oder halb zwölf. Von da an mussten sie alles genauso machen wie sonst. Vielleicht ein bisschen lesen, ein bisschen reden, und dann das Licht aus. Wenn das Licht aus war, sollten sich die Männer sofort auf die andere Seite drehen und so tun, als ob sie einschliefen. Das sollte die Frauen davon abhalten, scharf zu werden, was in diesem Stadium auf keinen Fall willkommen war. Die Frauen schliefen also ein. Aber die Männer blieben wach. So weit, so gut.

 

Dann, genau um ein Uhr, als die Frauen fest und tief schliefen, musste jeder Mann leise aus dem Bett kriechen, seine Hausschuhe anziehen und im Pyjama die Treppe hinunterschleichen. Er musste die Haustür öffnen und in die Dunkelheit hinausgehen, wobei er darauf zu achten hatte, dass er die Tür nicht hinter sich schloss. Sie wohnten sich fast gegenüber», fuhr ich fort. «Es war ein ruhiger Vorort, und um jene Zeit war selten jemand auf der Straße. So gingen diese beiden Pyjamagestalten verstohlen aneinander vorbei, als sie die Straße überquerten, jeder auf dem Weg zum Haus, zum Bett und zur Frau des anderen. »

 

Jerry hörte mir aufmerksam zu. Seine Augen waren vom Trinken ein bisschen verschleiert, aber er achtete auf jedes Wort.

 

«Die nächsten Schritte», sagte ich, «waren von beiden Männern sehr sorgfältig vorbereitet. Jeder kannte sich im Haus des anderen fast so gut aus wie im eigenen. Er wusste im Dunkeln den Weg nach oben wie nach unten zu finden, ohne ein Möbelstück umzuwerfen. Er wusste, wo die Treppe lag und wie viele Stufen es nach oben waren, er wusste, welche knarrten und welche nicht. Er wusste sogar, auf welcher Seite des Bettes die Frau oben schlief.

 

Sie zogen beide die Hausschuhe aus und ließen sie in der Diele stehen, dann schlichen sie barfuß im Pyjama die Treppe hinauf. Dieser Teil, sagt mein Bekannter, war ziemlich aufregend. Schließlich befand er sich in einem dunklen, stillen Haus, das nicht sein eigenes war, und auf dem Weg zum Elternschlafzimmer musste er an nicht weniger als drei Kinderzimmern vorbeigehen, deren Türen nur angelehnt waren. »

 

«Kinder! », rief Jerry. «Mein Gott, und wenn eines von ihnen nun aufgewacht wäre und gerufen hätte: <Bist du es, Daddy? >»

 

«Das war alles eingeplant», sagte ich. «Dann wäre sofort der Plan für den Notfall in Kraft getreten. Auch wenn der Mann gerade ins Zimmer geschlichen und die Frau aufgewacht wäre und gesagt hätte: <Liebling, was ist los? Warum läufst du noch herum? > Auch dann - der Plan für den Notfall... »

 

«Was war das für ein Plan? », sagte Jerry.

 

«Ganz einfach», antwortete ich. «Der Mann wäre sofort nach unten gesaust, zur Haustür hinaus, rüber zum Haus und hätte dort auf die Klingel gedrückt. Das war für den anderen Typ, einerlei was er gerade machte, das Signal, ebenfalls mit Höchstgeschwindigkeit nach unten zu sausen, die Tür zu öffnen und den anderen hereinzulassen, während er hinauseilte. So wäre jeder schnell in sein eigenes Haus zurückgekommen. »

 

«Schamrot im Gesicht», sagte Jerry.

 

«Keineswegs», sagte ich.

 

«Die Klingelei hätte doch das ganze Haus geweckt», sagte Jerry.

 

«Natürlich», sagte ich. «Und wenn der Mann wieder im Pyjama nach oben gekommen wäre, hätte er einfach gesagt: <Ich wollte nachsehen, wer um diese gottverdammte Zeit noch klingelt. Es war aber niemand da. Muss wohl ein Betrunkener gewesen sein. >»

 

«Und der andere Bursche? », fragte Jerry. «Wie hätte er erklären sollen, dass er gerade in dem Augenblick nach unten sauste, in dem seine Frau oder sein Kind mit ihm redeten? »

 

«Er hätte gesagt: <Ich hörte, wie draußen jemand herumschlich, also sauste ich runter, um ihn zu erwischen, aber er ist geflüchtet. > - <Hast du ihn wirklich gesehen? > hätte seine Frau ängstlich gefragt. <Natürlich hab ich ihn gesehen>, hätte der Mann geantwortet. <Er rannte wie verrückt die Straße runter. Ich hätte ihn nicht mehr eingeholt. > Worauf sie den Mann zu seiner Tapferkeit heiß beglückwünscht hätte. »

 

«Okay», sagte Jerry. «Das ist der leichte Teil. Bisher war es nur eine Sache des exakten Planens und der Zeiteinteilung. Aber was passiert, wenn diese geilen Typen tatsächlich zur Frau des anderen ins Bett kriechen? »

 

«Sie legen sofort los», sagte ich.

 

«Die Frauen schlafen», sagte Jerry.

 

«Ich weiß», sagte ich. «Also fangen sie sofort mit irgendeinem sanften, aber sehr geschickten Liebesspiel an, und wenn die Damen erst mal richtig wach geworden sind, sind sie auch im Handumdrehen so scharf wie Klapperschlangen. »

 

«Geredet wird nicht, nehme ich an», sagte Jerry.

 

«Kein Wort. »

 

«Okay, die Frauen sind also wach», sagte Jerry. «Die Männer fangen an zu fummeln. Da ist zunächst mal die simple Frage nach ihrer Größe zu stellen. Wenn der andere nun nicht genauso groß ist wie der Ehemann? Wenn er größer oder kleiner oder dicker oder dünner ist? Du willst mir doch nicht einreden, dass diese beiden Männer von Statur völlig gleich waren? »

 

«Nicht gleich, natürlich nicht», sagte ich. «Aber sie ähnelten sich mehr oder weniger in Größe und Körperbau. Das war wesentlich. Sie waren beide glattrasiert und hatten ungefähr gleich viel Haare auf dem Kopf. Diese Ähnlichkeit ist nicht selten. Sieh zum Beispiel mal dich und mich an. Wir sind doch ungefähr gleich groß und gleich gebaut, oder? »

 

«Sind wir? », fragte Jerry.

 

«Wie groß bist du? », fragte ich.

 

«Genau einsachtzig. »

 

«Ich bin einsachtundsiebzig», sagte ich. «Zwei Zentimeter Unterschied. Wie viel wiegst du? »

 

«Achtzig Kilo. »

 

«Und ich achtundsiebzigeinhalb», sagte ich. «Was sind schon drei Pfund unter Freunden? »

 

Es entstand eine Pause. Jerry blickte durch die Flügeltüren auf die Terrasse hinaus, wo meine Frau Mary stand. Mary sprach immer noch mit Bob Swain, und die Abendsonne glänzte in ihren Haaren. Sie war ein hübsches brünettes Mädchen und hatte einen schönen Busen. Ich beobachtete Jerry. Ich sah, wie seine Zunge hervorkam und auf seiner Unterlippe entlang glitt.

 

«Ich nehme an, du hast recht», sagte Jerry. «Vermutlich sind wir ungefähr gleich groß, du und ich. » Als er sich wieder umdrehte und mich ansah, war oben auf jeder Wange ein kleiner roter Fleck zu bemerken.

 

«Erzähl weiter von diesen beiden Männern», sagte er. «Was war mit den anderen Unterschieden? »

 

«Du meinst die Gesichter? », fragte ich. «Gesichter erkennt man im Dunkeln nicht. »

 

«Ich rede nicht von den Gesichtern», sagte Jerry.

 

«Wovon redest du dann? »

 

«Ich rede von ihren Schwänzen», sagte Jerry. «Das ist doch wohl das Wichtigste, oder? Und du willst mir doch nicht erzählen... »

 

«Doch, das will ich», sagte ich. «Beide Männer waren eben beschnitten oder nicht beschnitten, und so gab es wirklich kein Problem. »

 

«Willst du damit im Ernst sagen, dass alle Männer die gleiche Schwanzgröße haben? », meinte Jerry. «Das haben sie nämlich nicht. »

 

«Ich weiß, dass sie es nicht haben», sagte ich.

 

«Manche sind riesig», sagte Jerry. «Und manche sind winzig. »

 

«Natürlich gibt es immer Ausnahmen», sagte ich. «Aber du würdest dich wundern, wie viele Männer da praktisch die gleichen Maße haben - oder sich da nur unwesentlich unterscheiden. Mein Freund sagt, das trifft für neunzig Prozent aller Männer zu. Nur zehn Prozent hätten entweder größere oder kleinere. »

 

«Das kann ich nicht glauben», sagte Jerry.

 

«Prüf's gelegentlich nach», sagte ich. «Frag ein Mädchen, das etwas von der Welt gesehen hat. »

 

Jerry trank einen kräftigen Schluck Whisky, und dann starrte er über den Rand seines Glases hinweg wieder zur Terrasse hinaus, wo noch immer Mary stand. «Und alles andere? », fragte er.

 

«Kein Problem», sagte ich.

 

«Kein Problem? Von wegen! », sagte er. «Soll ich dir einmal sagen, warum diese Geschichte erstunken und erlogen ist? »

 

«Na los. »

 

«Jedermann weiß, dass ein Mann und eine Frau, die ein paar Jahre verheiratet sind, eine Art Routine entwickeln. Das ist ganz unvermeidlich. Mein Gott, ein neuer Partner würde sofort erkannt. Das weißt du selbst ganz genau. Man kann nicht plötzlich mit einem völlig neuen Stil loslegen und erwarten, dass die Frau es nicht merkt, und dabei ist es ganz egal, wie scharf sie ist. Sie würde den Braten schon in der ersten Minute riechen! »

 

«So eine Routine lässt sich doch nachvollziehen», sagte ich, «sofern einen der andere zuvor unterrichtet hat. »

 

«Ein bisschen reichlich persönlich», sagte Jerry.

 

«Das Ganze ist sehr persönlich», sagte ich. «Jeder erzählt dem anderen seine privaten Dinge, erzählt ihm genau, was er macht, erzählt ihm alles. Mit allem Drum und Dran. Die ganze Routine von Anfang bis Ende. »

 

«Heiland! », sagte Jerry.

 

«Jeder der Männer», sagte ich, «muss eine neue Rolle lernen. Er muss ein wirklicher Schauspieler werden. Er muss den anderen verkörpern. »

 

«Nicht so einfach», sagte Jerry.

 

«Kein Problem, wenn ich meinem Freund glauben soll. Das einzige, worauf man achten muss, ist, dass man sich nicht fortreißen lässt und zu improvisieren beginnt. Man muss den Regieanweisungen ganz genau folgen und sich streng an sie halten. »

 

Jerry trank wieder einen Schluck aus seinem Glas. Und er warf auch wieder einen Blick auf die Terrasse, auf Mary. Dann lehnte er sich, das Glas in der Hand, im Sofa zurück.

 

«Man braucht schon Mumm dazu», sagte ich.

 

«Die Party ist zu Ende», sagte Jerry. «Sie gehen mit ihren gottverdammten Weibern endlich nach Hause. »

 

Ich sagte danach nichts mehr. Wir saßen noch ein paar Minuten da und nippten an unseren Drinks, während die Gäste zu der Tür hindrängten, die zur Diele hinausführte. Jerry runzelte die Stirn und starrte in sein Glas.

 

«Hat er gesagt, dass es Spaß gemacht hat, dieser Freund da von dir? », fragte er plötzlich.

 

«Er sagte, es war Spitze», antwortete ich. «Er sagte, das normale Vergnügen wird um hundert Prozent gesteigert, wegen der Gefahr. Er schwor, es sei die aufregendste Art der Welt zu bumsen, wenn man den Ehemann spielt, und die Frau weiß es nicht. »

 

In diesem Augenblick kam Mary mit Bob Swain durch die Flügeltür herein. Sie hatte in der einen Hand ein leeres Glas und i n der anderen eine feuerrote Azaleenblüte, die sie auf der Terrasse gefunden hatte.

 

«Ich habe dich beobachtet», sagte sie und richtete die Azalee wie eine Pistole auf mich. «Du hast die letzten zehn Minuten fast ununterbrochen geredet. Was hat er dir denn da bloß erzählt, Jerry? »

 

« Eine unständige Geschichte», sagte Jerry grinsend.

 

« Das tut er, wenn er trinkt», sagte Mary.

 

« Eine gute Geschichte», sagte Jerry. «Aber völlig unmöglich. Bring ihn dazu, dass er sie dir auch mal erzählt. »

 

«Ich mag keine unanständigen Geschichten», sagte Mary. «Komm, Vic. Es ist Zeit, dass wir gehen. »

 

«Geht noch nicht», sagte Jerry, die Augen auf ihren großartigen Busen gerichtet. «Trinken wir doch noch ein Glas. »

 

«Nein, danke», sagte Mary. «Die Kinder müssen noch ihr Abendessen bekommen. Ich habe mich glänzend amüsiert. »

 

«Kriege ich denn keinen Gutenachtkuss von dir? », fragte Jerry und stand vom Sofa auf. Er suchte ihren Mund, aber sie drehte schnell den Kopf zur Seite, so dass er nur den Rand ihrer Wange erwischte. «Geh, Jerry», sagte sie. «Du bist betrunken. »

 

«Nicht betrunken», sagte Jerry. «Nur geil. »

 

«Untersteh dich, bei mir geil zu sein, mein Junge», sagte Mary scharf. «Ich hasse solche Reden. » Sie marschierte quer durchs Zimmer fort, ihren Busen wie einen Rammbock vor sich her tragend.

 

«Auf Wiedersehen, Jerry», sagte ich. «War nett, die Party. »

 

Mary wartete mit finsterer Miene in der Diele auf mich. Auch Samantha stand dort, um sich von den letzten Gästen zu verabschieden. Samantha mit ihren geschickten Fingern und ihrer glatten Haut und ihren glatten, gefährlichen Schenkeln. «Na, Vic, warum so ernst? », sagte sie lächelnd zu mir, und ihre Zähne blitzten. Sie sah aus wie die Schöpfung selbst, der Beginn der Welt, wie der erste Morgen. «Gute Nacht, mein Lieber», sagte sie und bohrte mir ihre Finger in den Bauch. Ich verließ mit Mary das Haus.

 

«Ist was mit dir? », fragte Mary.

 

«Nein», sagte ich. «Warum? »

 

«Wenn man sieht, wie viel du trinkst, kann einem ganz schlecht werden», sagte sie.

 

Zwischen unserem und Jerrys Grundstück gab es eine struppige alte Hecke mit einer Lücke darin, die wir immer als Durchlass benutzten. Mary und ich durchschritten sie schweigend. Wir betraten das Haus, sie machte einen Berg Rührei mit Schinkenspeck, und wir aßen mit den Kindern zu Abend.

 

Nach dem Essen schlenderte ich nach draußen. Es war ein klarer, kühler Sommerabend, und da ich nichts anderes zu tun hatte, beschloss ich, den Rasen vor dem Haus zu mähen. Ich holte den Rasenmäher aus dem Schuppen und brachte ihn in Gang. Dann begann ich, wie gewohnt hinter ihm vor und zurück zu marschieren. Ich mähe gern Gras. Es ist eine beruhigende Tätigkeit, und von unserem vorderen Rasen aus konnte ich immer Samanthas Haus sehen, wenn ich in die eine Richtung ging, und wenn ich in die andere ging, konnte ich über sie nachdenken.

 

Ich war ungefähr seit zehn Minuten beim Mähen, als Jerry durch die Lücke in der Hecke spaziert kam. Er rauchte Pfeife und hatte die Hände in den Taschen. Am Rand des Rasens blieb er stehen und sah mir zu. Ich hielt mit dem Mäher bei ihm an, ließ den Motor aber weitertuckern.

 

«Hallo, Kumpel», sagte er. «Wie steht's denn so? »

 

«Ich bin in Ungnade gefallen», sagte ich. «Und du auch. »

 

«Deine kleine Frau», sagte er, «ist eben verdammt zimperlich und spröde, um ehrlich zu sein. »

 

«Da erzählst du mir nichts Neues. »

 

«Sie hat mich in meinem eigenen Haus runtergeputzt», sagte Jerry.

 

«Das war doch nicht so schlimm», sagte ich.

 

«Schlimm genug», sagte er lächelnd.

 

«Wirklich? »

 

«Na, jedenfalls genug, dass ich es ihr heimzahlen möchte. Was würdest du davon halten», sagte er, «wenn ich vorschlüge, dass wir auch mal ausprobieren, was dir dein Freund da beim Mittagessen erzählt hat? »

 

Als er das sagte, fühlte ich eine solche Welle der Erregung, dass mir ganz anders im Magen wurde. Ich packte die Griffe des Rasenmähers und brachte den Motor wieder auf Touren.

 

«Habe ich etwa was Falsches gesagt? », fragte Jerry.

 

Ich antwortete nicht.

 

«Hör zu», sagte er. «Wenn du findest, dass es eine miese Idee ist, will ich nichts gesagt haben. Du bist doch nicht etwa wütend auf mich, oder? »

 

«Ich bin nicht wütend auf dich, Jerry», sagte ich. «Nur ist mir nie der Gedanke in den Kopf gekommen, dass wir es machen sollten. »

 

«Aber in meinen», sagte er. «Der Schauplatz hier ist wie geschaffen dazu. Wir brauchen nicht einmal die Straße zu überqueren. » Sein Gesicht leuchtete plötzlich, und seine Augen glänzten wie zwei Sterne. «Also, was sagst du dazu, Vic? »

 

«Ich denke nach», sagte ich.

 

«Vielleicht liegt dir Samantha nicht. »

 

«Ich habe darüber nie nachgedacht. »

 

«Es macht Spaß mit ihr», sagte Jerry. «Das garantiere ich dir. »

 

In diesem Moment kam Mary auf die Veranda vor unserem Haus. «Da kommt Mary», sagte ich. «Sie sucht die Kinder. Lass uns morgen darüber sprechen. »

 

«Es ist also abgemacht? »

 

«Schon möglich, Jerry. Aber nur unter der Bedingung, dass wir nichts übereilen. Bevor wir anfangen, möchte ich absolut sicher sein, dass alles stimmt. Immerhin wäre es, verdammt noch mal, eine ganz neue Masche. »

 

«Das stimmt nicht», widersprach er. «Dein Freund hielt es für einen tollen Spaß. Er hat doch gesagt, es sei einfach, denke ich. »

 

«Na ja», sagte ich. «Mein Freund. Natürlich. Aber schließlich liegt jeder Fall anders. » Ich gab dem Rasenmäher Vollgas und ließ ihn über das

 

Gras dahinrattern. Als ich zum anderen Ende kam und wendete, war Jerry bereits durch die Lücke in der Hecke geschlüpft und ging auf sein Haus zu.

 

Die nächsten zwei Wochen waren für Jerry und mich eine Zeit der geheimen Verschwörung. Wir trafen uns unauffällig in Bars und Restaurants, um über unsere Strategie zu beraten, und manchmal kam er nach Feierabend in mein Büro, und wir hielten Kriegsrat hinter verschlossenen Türen. Immer, wenn wir an einen kritischen Punkt kamen, pflegte Jerry zu sagen: «Wie hat's denn dein Freund gemacht? » Und ich stellte mich dumm und sagte: «Ich werde ihn anrufen und ihn danach fragen. » Nach vielen Beratungen und viel Gerede einigten wir uns auf folgende Hauptpunkte:

 

1. Der Tag X sollte ein Samstag sein.

 

2. Am Abend dieses Tages wollten wir unsere Frauen zu einem gemeinsamen Essen ausführen.

 

3. Jerry und ich wollten in der Nacht zum Sonntag Punkt ein Uhr unsere Häuser verlassen und durch die Lücke in der Hecke schlüpfen.

 

4. Statt bis ein Uhr im Dunkeln im Bett zu liegen, sollten wir beide - sobald unsere Frauen eingeschlafen waren - leise in die Küche hinuntergehen und Kaffee trinken.

 

5. Im Notfall wollten wir zu dem Trick mit der Türklingel greifen.

 

6. Der Wildwechsel durch die Hecke war genau auf zwei Uhr morgens festgelegt.

 

7. Während des Aufenthalts im fremden Bett sollten Fragen der Frauen (falls welche gestellt wurden) durch ein mit fest geschlossenen Lippen gebrummtes «Hm-hm» beantwortet werden.

 

8. Ich selbst musste sofort vom Zigarettenrauchen zur Pfeife überwechseln, um ebenso wie Jerry zu «riechen».

 

9. Wir wollten ab sofort das gleiche Haaröl und Rasierwasser benutzen.

 

10. Da wir beide normalerweise unsere Armbanduhren im Bett anbehielten und sie fast die gleiche Form hatten, beschlossen wir, sie nicht auszuwechseln. Keiner von uns trug Ringe.

 

11. Jeder von uns musste etwas Ungewöhnliches an sich haben, das die Frau als zweifelsfrei zu ihrem Mann gehörig erkennen würde. Wir erfanden dafür den sogenannten Heftpflaster-Trick. Das funktionierte so: Wenn am Abend des Tages X die beiden Paare nach dem gemeinsamen Abendessen wieder in ihre Häuser zurückgekehrt waren, mussten wir Ehemänner um jeden Preis in die Küche gehen und uns ein Stück Käse abschneiden. Bei dieser Gelegenheit würde jeder von uns beiden sich sorgfältig ein Stück Heftpflaster über die Kuppe des rechten Zeigefingers kleben. Danach sollte jeder den Finger hochhalten und zu seiner Frau sagen: «Ich habe mich in den Finger geschnitten. Nicht schlimm, aber es blutet ein bisschen. » Wenn wir Männer dann später die Betten getauscht hatten, würde jede Frau sehr deutlich die mit Heftpflaster beklebte Fingerkuppe spüren (der Mann würde dafür sorgen) und diese unwillkürlich mit ihrem Ehemann assoziieren. Dieser wichtige psychologische Trick sollte auch den winzigsten Verdacht ersticken, der bei einer der beiden Frauen aufkeimen konnte.

 

Das war also der Grundplan. Als nächstes kam das, was wir in unseren Notizen als «Sich-mit-der-Umgebung-vertraut-machen» bezeichneten. Jerry unterrichtete mich zuerst. Als an einem Sonntagnachmittag seine Frau und seine Kinder weg waren, gab er mir in seinem Haus drei Stunden Intensivtraining. Ich war noch nie zuvor in ihrem Schlafzimmer gewesen. Auf Samanthas Frisiertisch waren ihre Parfüms, ihre Haarbürsten und all ihre anderen Kleinigkeiten. Ein Paar Strümpfe von ihr hing über einer Stuhllehne. Ihr weiß-blaues Nachthemd hing hinter der ins Badezimmer führenden Tür.

 

«Also gut», sagte Jerry. «Wenn du hereinkommst, wird es stockfinster sein. Samantha schläft auf dieser Seite. Du musst also auf Zehenspitzen um das Fußende des Bettes herumschleichen und hier drüben an der anderen Seite hineinschlüpfen. Ich binde dir eben mal die Augen zu, und dann versuchst du's mal. » Bei diesem Blindekuhspiel torkelte ich zuerst wie ein Betrunkener durch das Zimmer. Aber nach ungefähr einer Stunde konnte ich ziemlich genau meinen Kurs halten. Bevor Jerry sich jedoch zufrieden gab, musste ich mit verbundenen Augen den ganzen Weg von der Haustür durch die Diele, die Treppe hinauf, am Kinderzimmer vorbei ins Schlafzimmer gehen und schließlich an der richtigen Stelle ankommen. Und das musste ich geräuschlos tun, wie ein Dieb in der Nacht. All das erforderte drei Stunden harte Arbeit, aber schließlich war ich perfekt.

 

Am nächsten Sonntagmorgen, als Mary mit unseren Kindern zur Kirche gegangen war, erhielt Jerry die gleiche Art Training in unserem Haus. Er war gelehriger als ich und bestand den Blindentest binnen einer Stunde ohne den geringsten Fehltritt.

 

Bei diesem Treffen beschlossen wir auch, als erstes die Stecker der Nachttischlampen der Frauen herauszuziehen, sobald wir im Schlafzimmer waren. Jerry übte mit verbundenen Augen das Suchen und Herausziehen des Steckers, und am nächsten Wochenende konnte ich die gleiche Übung in Jerrys Haus hinter mich bringen.

 

Jetzt kam der bei weitem wichtigste Teil unseres Trainings. Wir nannten es die «Stunde der Wahrheit», weil wir jetzt beide in allen Einzelheiten unser Verhalten beim Liebesakt mit unseren Frauen beschreiben mussten. Wir beschlossen, etwaige exotische Varianten, die wir möglicherweise gelegentlich praktizierten, zu übergehen. Wir unterrichteten uns nur gegenseitig über die gemeinhin geübte Routine, die am wenigsten Misstrauen erwecken konnte.

 

Diese Besprechung fand am Mittwochabend um sechs in meinem Büro statt, nachdem alle anderen nach Hause gegangen waren. Anfangs waren wir beide ein wenig verlegen, und keiner wollte damit anfangen. Deshalb holte ich die Whiskyflasche hervor, und nach zwei kräftigen Drinks waren wir enthemmt, und das Teach-in begann. Während Jerry sprach, machte ich mir Notizen, und dann umgekehrt. Am Ende stellte sich heraus, dass der einzige größere Unterschied zwischen Jerrys Praktiken und meinen im Tempo bestand. Aber was für ein Unterschied das war! Er ging in allem (falls seine Erklärungen stimmten) auf so lässige Art vor und verlängerte die Phasen in so ungewöhnlichem Ausmaß, dass ich mich insgeheim fragte, ob nicht seine Partnerin manchmal mittendrin einschlief. Es war jedoch nicht meine Aufgabe zu kritisieren, sondern zu imitieren, also sagte ich nichts.

 

Jerry war nicht so diskret. Nach meinem intimen Bericht hatte er die Frechheit zu fragen: «Machst du es wirklich so? »

 

«Was meinst du damit? », fragte ich zurück.

 

«Ich meine, ist das wirklich alles so schnell vorbei und erledigt? »

 

«Hör zu», sagte ich leicht gereizt. «Wir sitzen hier nicht zusammen, um einander Unterricht zu erteilen. Wir sind hier, um die Fakten zu erfahren. »

 

«Ich weiß schon», sagte er. «Aber ich komme mir ein bisschen blöd vor, wenn ich deinen Stil genau kopieren soll. Mein Gott, bei dir geht das ja wie bei einem Schnellzug, der durch einen Kleinstadtbahnhof saust! »

 

Ich starrte ihn mit offenem Munde an.

 

«Mach nicht ein so überraschtes Gesicht», sagte er. «So wie du es mir erklärt hast, würde jeder denken... »

 

«Was denken? », fragte ich.

 

«Ach, lassen wir das», sagte er.

 

«Sehr rücksichtsvoll! », sagte ich.

 

Ich war wütend. Denn es gibt zwei Dinge auf dieser Welt, von denen ich zufällig weiß, dass ich mich ausgezeichnet darauf verstehe. Das eine ist Autofahren, und das andere ist... na, Sie wissen schon, was. Also ansehen zu müssen, wie er da saß und mir erklärte, ich hätte meiner eigenen Frau gegenüber nicht die richtige Verhaltensweise, das war schon eine ungeheuerliche Beleidigung. Er war es, der nicht Bescheid wusste, nicht ich. Arme Samantha. Was hatte sie all die Jahre hindurch über sich ergehen lassen müssen.

 

«Es tut mir leid, dass ich das überhaupt angeschnitten habe», sagte Jerry.

 

Er füllte unsere Whiskygläser auf.

 

«Prost auf den großen Weibertausch», sagte er und hob sein Glas. «Wann soll's denn nun sein? »

 

«Heute ist Mittwoch», sagte ich. «Wie wäre es am kommenden Samstag? »

 

«Jesus», sagte Jerry nur.

 

«Wir sollten es tun, solange wir alles noch frisch im Gedächtnis haben», sagte ich. «Es sind so schrecklich viele Kleinigkeiten zu be-denken! »

 

Jerry trat ans Fenster und schaute auf den Straßenverkehr hinab. «Okay», sagte er und drehte sich um. «Samstag ist der Tag des Herrn! »

 

Dann fuhren wir jeder in seinem Wagen nach Hause.

 

«Jerry und ich wollen dich und Samantha am Samstagabend zum Essen ausführen», sagte ich zu Mary. Wir waren in der Küche, und sie briet Hacksteaks für die Kinder.

 

Mit der Bratpfanne in der einen und dem Löffel in der anderen Hand drehte sie sich zu mir um. Ihre Augen blickten fest in die meinen. «Mein Gott, Vic», sagte sie. «Wie nett. Aber was feiern wir eigentlich? »

 

Ich erwiderte ihren festen Blick und sagte beiläufig: «Ich dachte, wir sollten zur Abwechslung wieder einmal ein paar neue Gesichter sehen. Immer sind wir mit der gleichen Clique von Leuten in den gleichen Häusern beisammen. »

 

Sie kam zu mir und küsste mich auf die Wange. «Was für ein guter Mann du bistet», sagte sie. «Ich liebe dich. »

 

«Vergiss aber nicht, den Babysitter anzurufen. »

 

«Nein, ich mache es noch heute abend», sagte sie.

 

Donnerstag und Freitag vergingen sehr schnell, und plötzlich war es Samstag. Der Tag X war da! Schon beim Aufwachen war ich furchtbar aufgeregt. Nach dem Frühstück konnte ich nicht stillsitzen und beschloss daher, hinauszugehen und den Wagen zu waschen. Ich war mitten bei der Arbeit, als Jerry mit der Pfeife im Mundwinkel durch die Lücke in der Hecke herbeischlenderte.

 

«Hallo, Sportsfreund», sagte er, «heute ist der große Tag. »

 

«Ich weiß», sagte ich.

 

Ich hatte auch eine Pfeife im Mund und zwang mich, sie zu rauchen, aber ich hatte Mühe damit, sie in Brand zu halten, und der Rauch beizte mir die Zunge.

 

«Wie fühlst du dich? », fragte Jerry.

 

«Prächtig», sagte ich. «Und wie ist es mit dir? »

 

«Ich bin nervös», sagte er.

 

«Sei nicht nervös, Jerry. »

 

«Wir haben da ein ganz schönes Akrobatenstück vor», sagte er. «Ich hoffe, es gelingt uns. »

 

Ich polierte meine Windschutzscheibe. Noch nie hatte ich Jerry nervös erlebt. Sein Zustand beunruhigte mich etwas.

 

«Ich bin nur heilfroh, dass wir nicht die ersten sind, die diese Tour

 

probieren», sagte er. «Wenn ich nicht wüsste, dass es andere schon zustande gebracht haben, würde ich es, glaube ich, lieber nicht riskieren. »

 

«Da stimme ich dir zu», sagte ich.

 

«Das einzige, was mich beruhigt», sagte er, «ist, dass dein Freund es so phantastisch einfach fand. »

 

«Mein Freund erklärte mir, es sei Klasse gewesen», sagte ich. «Aber um Himmels willen, Jerry, sei bloß nicht nervös, wenn es soweit ist. Das wäre eine Katastrophe. »

 

«Nur keine Angst», sagte er. «Aber verflucht noch mal, es ist schon einigermaßen aufregend. »

 

«Natürlich. Aufregend ist es schon», sagte ich.

 

«Hör zu», sagte er. «Wir sollten heute abend lieber nicht zu viel trinken. »

 

«Eine gute Idee», sagte ich. «Also bis halb neun. »

 

Um halb neun fuhren Samantha, Jerry, Mary und ich in Jerrys Wagen zu Billy's Steak House. Trotz seines Namens war das Restaurant erstklassig und teuer, und unsere Frauen hatten aus diesem Anlass lange Kleider angezogen. Samantha trug etwas Grünes mit einem gewagt tiefen Ausschnitt, und ich fand ihr Aussehen verführerischer als je zuvor.

 

Kerzen standen auf den Tischen. Samantha saß mir gegenüber, und immer, wenn sie sich vorneigte und das Gesicht der Flamme näherte, bemerkte ich den winzigen Hautkamm, der ihre Unterlippe krönte. «Also», sagte sie, als der Kellner ihr die Karte reichte, «was soll ich heute abend genießen? »

 

Hohoho, dachte ich, was für eine überaus passende Frage.

 

Alles verlief harmonisch, und unseren Frauen machte es offenbar viel Spaß. Es war Viertel vor zwölf, als wir vor Jerrys Haus vorfuhren und Samantha sagte: «Kommt doch noch herein auf einen Schlaftrunk. »

 

«Vielen Dank», sagte ich, «aber es ist ein bisschen spät. Und der Babysitter muss noch heimgefahren werden. »

 

Mary und ich gingen also zu unserem Haus hinüber, und während ich hineinging, sagte ich mir: Von jetzt an beginnt der Countdown. Ich muss einen klaren Kopf behalten und darf nichts vergessen.

 

Während Mary den Babysitter bezahlte, ging ich zum Kühlschrank und fand ein Stück kanadischen Cheddarkäse. Ich nahm ein Messer aus dem Schubfach und einen Streifen Heftpflaster aus dem Schrank. Nachdem ich das Heftpflaster um die Kuppe meines rechten Zeigefingers geklebt hatte, wartete ich, bis Mary sich umdrehte.

 

«Ich habe mich geschnitten», sagte ich und hielt den Finger hoch. «Nicht schlimm, aber es hat ein wenig geblutet. »

 

«Ich würde meinen, du hättest für heute abend genug gegessen», war alles, was sie sagte. Aber das Heftpflaster hatte sich ihr eingeprägt, und meine erste kleine Aufgabe war gelungen.

 

Ich fuhr den Babysitter heim, und als ich wieder oben im Schlafzimmer war, ging es auf Mitternacht zu. Mary hatte das Licht ausgemacht und war gerade am Einschlafen.

 

Ich knipste die Lampe auf meinem Nachttisch aus und ging ins Bad, um mich auszuziehen. Ich machte mir dort etwa zehn Minuten zu schaffen, und als ich wieder ins Schlafzimmer kam, schlief Mary, wie ich gehofft hatte, tief und fest. Es schien mir überflüssig, noch zu ihr ins Bett zu steigen. So schlug ich nur auf meiner Seite die Bettdecke zurück, um es Jerry zu erleichtern, und ging dann in meinen Hausschuhen nach unten in die Küche und stellte den Schnellkocher an. Es war jetzt null Uhr siebzehn. Ich hatte also noch dreiundvierzig Minuten vor mir.

 

Um null Uhr fünfunddreißig ging ich hinauf, um noch einmal bei Mary und den Kindern hineinzuschauen. Alles befand sich in tiefem Schlaf.

 

Um null Uhr fünfundfünfzig, also fünf Minuten vor Nullzeit, ging ich noch einmal zu einer letzten Prüfung hinauf. Ich trat ganz nahe an Marys Bett und flüsterte ihren Namen. Sie antwortete nicht. Gut. Es ist soweit! Auf geht's!

 

Ich zog einen braunen Regenmantel über meinen Schlafanzug. Dann schaltete ich in der Küche das Licht aus, so dass es überall im Haus dunkel war. Ich entriegelte das Schnappschloss der Eingangstür. Und dann trat ich mit einem Gefühl äußerster Hochstimmung leise in die Nacht hinaus.

 

In unserer Straße gab es keine Laternen. Kein Mond und kein Stern leuchtete am Himmel. Es war tiefschwarze Nacht, aber die Luft war warm, und von irgendwoher wehte eine leichte Brise.

 

Ich ging auf die Lücke in der Hecke zu. Erst aus nächster Nähe konnte ich die Hecke erkennen und die Lücke finden. Wartend blieb ich dort stehen. Dann hörte ich Jerrys Schritte auf mich zukommen.

 

«Hallo, Sportsfreund», flüsterte er. «Alles in Ordnung. »

 

«Alles für dich bereit», flüsterte ich zurück.

 

Er ging weiter. Ich hörte ihn in seinen Hausschuhen leise über den Rasen tappen, als er auf mein Haus zuging. Ich ging auf sein Haus zu.

 

Behutsam öffnete ich Jerrys Haustür. Drinnen war es noch dunkler als draußen. Vorsichtig schloss ich die Tür. Dann schlüpfte ich aus meinem Regenmantel und hängte ihn an den Türknauf. Ich zog meine Hausschuhe aus und stellte sie neben der Tür an die Wand. Dabei konnte ich im wahrsten Sinne des Wortes die Hand nicht vor den Augen sehen. Alles musste tastend gemacht werden.

 

Du meine Güte, war ich froh, dass mich Jerry so lange mit verbundenen Augen hatte üben lassen. Ich tastete mich nicht mit dem Fuß vorwärts, sondern mit den Händen. Die Finger der einen oder der andren Hand waren nicht einen Augenblick ohne Kontakt mit einer Wand etwa, dem Treppengeländer, einem Möbelstück oder einem Fenstervorhang. Und ich wusste oder dachte doch, ich wüsste genau, wo ich mich jeweils befand. Aber es war ein schrecklich unheimliches Gefühl, mitten in der Nacht als Eindringling auf Zehenspitzen durch das Haus eines anderen zu schleichen. Während ich mich die Treppe empor tastete, musste ich an die Einbrecher denken, die im vergangenen Winter in unser Vorderzimmer eingedrungen waren und den Fernsehapparat gestohlen hatten. Als die Polizisten am nächsten Morgen kamen, zeigte ich ihnen einen großen Kothaufen im Schnee vor der Garage. «Das tun sie fast immer», erklärte mir einer der Polizisten. «Sie können nicht anders. Es ist die Angst. »

 

Ich erreichte die oberste Treppenstufe. Die Fingerspitzen an der Wand überquerte ich den Treppenabsatz. Dann ging ich den Gang entlang. Aber als meine Hand die Tür des ersten Kinderzimmers fand, hielt ich inne. Die Tür war angelehnt. Ich lauschte. Drinnen konnte ich den achtjährigen Robert Rainbow gleichmäßig atmen hören. Ich schlich weiter und fand die Tür des zweiten Kinderzimmers. Es gehörte dem sechsjährigen Billy und der dreijährigen Amanda. Ich blieb stehen und lauschte. Alles war in bester Ordnung.

 

Das Elternschlafzimmer lag zwei Meter weiter am Ende des Korridors. Ich erreichte die Tür. Wie verabredet, hatte Jerry sie angelehnt. Ich ging hinein. Dicht bei der Tür blieb ich regungslos stehen und horchte, ob irgend etwas darauf hindeutete, dass Samantha vielleicht wach war. Alles war still. Ich tastete mich an der Wand entlang, bis ich Samanthas Bettseite erreicht hatte. Ich kniete mich sofort auf den Boden und fand den Stecker ihrer Nachttischlampe. Ich zog ihn aus der Buchse und legte ihn auf den Teppich. Gut. Jetzt war es viel sicherer. Ich richtete mich auf. Sehen konnte ich Samantha nicht, und zuerst konnte ich auch nichts hören. Ich beugte mich tief über das Bett. Ah ja, ich hörte sie atmen. Plötzlich drang mir ein Hauch des betörend schweren Parfüms in die Nase, das sie an diesem Abend benutzt hatte, und ich fühlte, wie mir das Blut zwischen die Schenkel schoss. Auf Zehenspitzen schlich ich schnell um das große Bett, zwei Finger ständig vorsichtig am Bettrand.

 

Jetzt brauchte ich nur noch hineinzuschlüpfen. Das tat ich, aber als ich mich auf die Matratze legte, klang das Knarren der Sprungfeder unter mir so, als feuerte jemand ein Gewehr im Zimmer ab. Regungslos und mit angehaltenem Atem blieb ich liegen. Dabei hörte ich mein Herz wie eine Dampfmaschine in der Kehle stampfen. Samantha lag von mir abgewandt. Sie bewegte sich nicht. Ich zog die Bettdecke über meine Brust hoch und wandte mich Samantha zu. Eine erregende, weibliche Wärme strömte mir von ihr entgegen. Also, es geht los. Jetzt!

 

Ich ließ meine Hand hinübergleiten und berührte ihren Körper. Ihr Nachthemd war warm und seidig. Ich ließ die Hand sanft auf ihrer Hüfte ruhen. Noch immer regte sie sich nicht. Ich wartete ungefähr eine Minute und erlaubte dann meiner auf der Hüfte liegenden Hand, sich weiterzustehlen und auf Entdeckungsreise zu gehen. Langsam, vorsichtig und sehr zielbewusst machten meine Finger sich an die Arbeit, Samantha zu entflammen.

 

Endlich rührte sie sich. Sie drehte sich auf den Rücken. Dann murmelte sie schläfrig: «Oh, Liebling... Oh, meine Güte, ich... Ach Gott, Liebling! »

 

Ich sagte natürlich nichts, sondern verrichtete nur weiter meine Arbeit.

 

Einige Minuten vergingen.

 

Sie lag ganz still.

 

Eine weitere Minute verstrich. Dann noch eine. Sie rührte sich nicht.

 

Ich begann mich zu fragen, wie lange es noch dauern mochte, bis bei ihr der Funke zündete.

 

Ich gab nicht auf.

 

Aber warum dieses Schweigen? Warum diese völlige und absolute Reglosigkeit, warum diese erstarrte Haltung?

 

Plötzlich fiel es mir ein. Ich hatte Jerry völlig vergessen! Da ich selbst so aufgeregt war, hatte ich seine persönliche Taktik ganz und gar vergessen! Ich tat es auf meine Art, nicht auf seine! Seine Methode war viel komplizierter als meine. Sie war lächerlich umständlich. Das war ganz unnötig. Aber so war sie es nun einmal gewohnt. Und jetzt bemerkte sie den Unterschied und versuchte festzustellen, was denn um Himmels willen eigentlich los sei.

 

Aber es war zu spät, jetzt noch die Technik zu ändern. Ich musste so weitermachen.

 

Und ich machte weiter. Die Frau neben mir lag wie eine gespannte Sprungfeder da. Ich konnte die Spannung unter ihrer Haut förmlich spüren. Allmählich geriet ich ins Schwitzen.

 

Plötzlich gab sie ein seltsames, leises Stöhnen von sich.

 

Weitere grässliche Gedanken zuckten mir plötzlich durch den Sinn. War sie etwa krank? Hatte sie einen Herzanfall? Sollte ich hier vielleicht lieber ganz schnell verschwinden?

 

Sie stöhnte wieder - diesmal lauter. Dann rief sie ganz plötzlich laut: «Ja-ja-ja-ja-ja!», und wie eine Bombe, deren träger Zünder endlich das Dynamit erreicht hat, wurde sie explosionsartig lebendig. Sie riss mich in ihre Arme und machte sich mit solch unglaublicher Wildheit über mich her, dass ich mich wie von einem Tiger angefallen fühlte.

 

Oder sollte ich lieber Tigerin sagen?

 

Ich hätte mir nie träumen lassen, dass eine Frau solche Dinge tun könnte, wie Samantha sie mit mir tat. Sie war wie ein Hurrikan, ein betäubend wilder Wirbelsturm, der mich entwurzelte, umherschleuderte und in Himmelshöhen empor riss, von deren Existenz ich nie etwas geahnt hatte.

 

Ich selbst trug nichts dazu bei. Wie konnte ich auch? Ich war hilflos. Ich war der Palmbaum, der durch die Luft wirbelte - das Lamm in den Klauen des Tigers. Mit Mühe und Not konnte ich gerade noch weiteratmen.

 

Trotzdem war es ungeheuer erregend, sich einer so explosiv ungestümen Frau widerstandslos in die Hände zu geben, und in den nächsten zehn, zwanzig oder dreißig Minuten - wie sollte ich das genau wissen? - tobte der Sturm mit unverminderter Heftigkeit weiter. Aber ich habe nicht die Absicht, den Leser hier mit bizarren Details zu ergötzen. Ich halte nichts davon, in der Öffentlichkeit schmutzige Wäsche zu waschen. Es tut mir leid, aber so bin ich nun einmal. Ich hoffe, dass meine Zurückhaltung bei meinen Lesern keine zu starken Frustrationen hervorruft. Jedenfalls konnte von Frustration in meinem Fall nicht die Rede sein, und in einem letzten, rauschenden Paroxysmus schrie ich auf, dass die gesamte Nachbarschaft hätte wach werden müssen. Dann brach ich zusammen, fiel in mich zusammen wie ein leerer Weinschlauch.

 

Samantha hingegen wandte sich - als hätte sie lediglich ein Glas Wasser getrunken - einfach von mir ab und schlief sofort wieder ein.

 

Huiii!

 

Ich lag still da und erholte mich langsam wieder.

 

Sehen Sie, ich hatte wirklich recht gehabt mit jenem winzigen Krönchen auf der Unterlippe, nicht wahr? Wenn ich darüber nachdachte, hatte ich mehr oder minder in allem recht gehabt, was mit dieser unglaublichen Eskapade zusammenhing. Was für ein Triumph! Ich fühlte mich wunderbar gelöst und wohlig erschöpft.

 

Wie spät mochte es wohl sein ? Meine Uhr hatte kein Leuchtzifferblatt. Ich sollte lieber gehen, dachte ich. Also kroch ich aus dem Bett und tastete mich, diesmal etwas weniger vorsichtig, außen daran herum - aus dem Schlafzimmer den Gang entlang - die Treppe hinunter und in die Diele des Hauses. Ich fand meinen Regenmantel und meine Hausschuhe und zog beides an. In der Tasche meines Regenmantels hatte ich ein Feuerzeug. Ich machte es an und sah auf die Uhr. Es war acht Minuten vor zwei. Später als ich gedacht hatte. Ich öffnete die Haustür und trat in die schwarze Nacht hinaus.

 

Meine Gedanken begannen sich jetzt auf Jerry zu konzentrieren. War mit ihm alles in Ordnung? Hatte er es geschafft? Ich ging durch die Dunkelheit auf die Lücke in der Hecke zu.

 

«Hallo, Sportsfreund», flüsterte eine Stimme neben mir.

 

«Jerry! »

 

«Alles in Ordnung? », fragte Jerry.

 

«Phantastisch», sagte ich. «Umwerfend. Was ist mit dir? »

 

«Bei mir ist es ebenso», sagte er. Ich sah das weiße Aufblinken seiner Zähne, als er mir durch die Dunkelheit zugrinste. «Wir haben es geschafft, Vic! », flüsterte er und berührte meinen Arm. «Du hattest recht! Es hat geklappt! Es war sensationell! »

 

«Bis morgen», flüsterte ich.

 

Wir trennten uns. Ich schlüpfte durch die Hecke und ging in mein Haus. Drei Minuten später lag ich wohlbehalten wieder in meinem eigenen Bett, und meine Frau schlief tief und fest neben mir.

 

Am nächsten Morgen - es war Sonntag - stand ich um acht Uhr dreißig auf und ging in Schlafanzug und Morgenrock hinunter, um Frühstück für die Familie zu machen, wie ich es sonntags immer tue. Die beiden Jungen - der neunjährige Victor und der siebenjährige Wally - waren schon unten.

 

«Hallo, Daddy», sagte Wally.

 

«Ich habe ein großartiges neues Frühstücksrezept», verkündete ich.

 

«Was? », fragten die beiden wie aus einem Munde. Sie waren schon in der Stadt gewesen, hatten die Sonntagszeitung mitgebracht und waren jetzt in die Comics vertieft.

 

«Wir machen gebutterten Toast und streichen Orangenmarmelade drauf», erklärte ich. «Und dann legen wir knusprige Speckstreifen auf die Marmelade. »

 

«Speck?», rief Victor. «Mit Orangenmarmelade? »

 

«Ich weiß. Aber warte, bis du es gekostet hast. Es schmeckt wunderbar. »

 

Ich schenkte den Grapefruit-Saft ein und trank selbst zwei Glas. Ein weiteres Glas stellte ich für Mary auf den Tisch. Dann schaltete ich den Schnellkocher ein, schob Brot in den Toaster und begann den Speck zu braten. In diesem Moment kam Mary in die Küche. Sie trug ein hauchdünnes, pfirsichfarbenes Chiffonding über ihrem Nachthemd.

 

«Guten Morgen», sagte ich und sah sie über die Schulter hinweg an, während ich mit der Bratpfanne hantierte.

 

Schweigend ging sie zu ihrem Stuhl am Küchentisch und setzte sich. Sie trank ihren Saft und sah dabei weder mich noch die Jungen an. Ich briet den Speck weiter.

 

«Hallo, Mami», sagte Wally.

 

Sie antwortete auch darauf nicht.

 

Beim Geruch des Speckfetts begann sich mir der Magen umzudrehen.

 

«Ich möchte gern Kaffee», sagte Mary, ohne sich umzuschauen. Ihre Stimme klang sehr merkwürdig.

 

«Kommt sofort», sagte ich und schob die Bratpfanne von der Heizplatte weg. Dann machte ich schnell eine Tasse schwarzen Pulverkaffee und servierte ihn ihr.

 

«Jungs», sagte sie zu den Kindern, «würdet ihr bitte im anderen Zimmer lesen, bis das Frühstück fertig ist? »

 

«Wir? », fragte Victor. «Warum? »

 

«Weil ich es sage. »

 

«Wir haben doch nichts Schlimmes gemacht! », sagte Wally.

 

«Nein, Liebling, das nicht. Ich möchte nur einen Moment lang mit Daddy allein sein. »

 

Ich hatte das Gefühl, kleiner und kleiner zu werden. Am liebsten wäre ich davongelaufen. Ich wollte durch die Haustür hinausstürzen, die Straßen entlang rennen und mich irgendwo verstecken.

 

«Mach dir auch einen Kaffee, Vic», sagte sie, «und setz dich. » Ihre Stimme klang ausdruckslos. Es schwang kein Zorn darin mit - einfach nichts. Und sie sah mich immer noch nicht an.

 

Die Kinder gingen hinaus und nahmen die Comics mit.

 

«Macht die Tür zu», sagte Mary zu ihnen.

 

Ich schüttete einen Teelöffel Pulverkaffee in meine Tasse, goss kochendes Wasser darüber und tat Milch und Zucker hinein. Das Schweigen war entnervend. Ich trat an den Tisch und setzte mich auf meinen Stuhl ihr gegenüber. Was meine Gefühle betraf, so hätte es ebenso gut ein elektrischer Stuhl sein können.

 

«Hör zu, Vic», sagte sie und schaute in ihre Kaffeetasse. «Ich will mir das von der Seele reden, bevor ich den Mut verliere und dann nicht mehr darüber sprechen kann. »

 

«Um Himmels willen, was hat dieser dramatische Auftritt zu bedeuten? », fragte ich. «Ist irgend etwas passiert? »

 

«Ja, Vic, allerdings. »

 

«Was denn? »

 

Ihr Gesicht war bleich und starr und so entrückt, als wäre sie sich ihrer Umgebung nicht bewusst.

 

«Also, komm, heraus damit», sagte ich tapfer.

 

«Es wird dir nicht sehr angenehm sein», sagte sie. Der Blick ihrer großen blauen, verstört wirkenden Augen ruhte einen Moment auf mir und glitt dann weiter.

 

«Was wird mir nicht sehr angenehm sein? », fragte ich. Das schiere Entsetzen, das dies alles in mir auslöste, begann in meinen Eingeweiden zu wühlen. Ich fühlte das gleiche wie jene Einbrecher, von denen der Polizist mir damals erzählt hatte.

 

«Du weißt, wie ich es hasse, über Sex und all solche Dinge zu reden», sagte sie. «Solange wir verheiratet sind, habe ich kein einziges Mal mit dir darüber gesprochen. »

 

«Das stimmt», sagte ich.

 

Sie trank einen Schluck Kaffee, aber sie war in Gedanken offensichtlich weit weg. «Der Grund dafür ist», sagte sie, «dass ich es nie gemocht habe. Falls du es genau wissen willst: Ich habe es sogar gehasst. »

 

«Was gehasst? », fragte ich.

 

«Sex», sagte sie. «Was man da macht. »

 

«Allmächtiger Gott! », sagte ich.

 

«Es hat mir nie das geringste Vergnügen bereitet. »

 

Das allein war niederschmetternd genug, aber der wirklich zermalmende Schlag würde noch kommen - dessen war ich mir sicher.

 

«Es tut mir leid, wenn dich das überrascht», fügte sie hinzu.

 

Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, deshalb blieb ich still.

 

Ihr Blick hob sich wieder von der Kaffeetasse und musterte mich mit so lauernder Aufmerksamkeit, als hegte sie eine bestimmte Vermutung. Dann senkte sie die Augen wieder.

 

«Ich wollte es dir nie erzählen», sagte sie. «Und ich hätte es auch nie getan, wenn nicht das in der vergangenen Nacht gewesen wäre. »

 

Ich sagte sehr langsam: «Was war in der vergangenen Nacht? »

 

«In der vergangenen Nacht», sagte sie, «da habe ich plötzlich erkannt, was an dieser ganzen verrückten Sache eigentlich dran ist. »

 

«Wirklich? »

 

Sie sah mir jetzt tief in die Augen, und ihr Gesicht war so offen wie eine der Sonne zugewandte Blume. «Ja», sagte sie. «Ganz gewiss. »

 

Ich rührte mich nicht.

 

«Oh, Liebling! », rief sie und sprang auf, stürzte zu mir herüber und gab mir einen glühenden Kuss. «Ich danke dir so sehr für die vergangene Nacht! Du warst wunderbar! Und ich war wunderbar! Wir waren beide wunderbar! Mach doch kein so verlegenes Gesicht, mein Liebster! Du solltest stolz auf dich sein! Du warst phantastisch! Ich liebe dich! Wirklich! Ganz toll! »

 

Ich saß einfach nur da.

 

Sie lehnte sich dicht an mich und legte den Arm um meine Schultern. «Und jetzt», sagte sie sanft, «nachdem du... ich weiß nicht recht, wie ich es ausdrücken soll... nachdem du irgendwie entdeckt hast, was ich brauche, von jetzt an wird alles so wunderbar sein! »

 

Ich saß immer noch stumm da. Sie ging langsam zu ihrem Stuhl zurück. Eine große Träne rann ihr über die Wange. Ich konnte mir nicht erklären, warum.

 

«Es war doch richtig von mir, dass ich es dir gesagt habe, nicht wahr? » sagte sie und lächelte unter Tränen.

 

«Ja», sagte ich. «O ja. » Ich stand auf und trat an den Herd, um ihr nicht ins Gesicht blicken zu müssen. Durchs Küchenfenster sah ich Jerry mit der Sonntagszeitung unterm Arm seinen Garten durchqueren. Es war etwas Federndes in seinem Gang, ein tänzelnder Schwung des Triumphes in jedem seiner Schritte, und als er an die Treppe zur Veranda seines Hauses kam, stürmte er sie, zwei Stufen auf einmal nehmend, hinauf.