Unsere Begierden wachsen durch die Schwierigkeiten.

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Es gibt keinen Grund, der nicht einen ihm entgegenstehenden habe, sagt die weiseste Partei der Philosophen. Neulich sann ich diesem schönen Spruche nach, den einer der Alten für die Verachtung des Lebens anführt: kein Gut kann uns Vergnügen gewähren, es sei denn dasjenige, auf dessen Verlust wir vorbereitet sind: In aequo est dolor amissae rei, et timor amittendae1; wodurch er erweisen wollte, daß der Genuß des Lebens nicht wirklich angenehm sein könne, wenn wir in Furcht stehen, es zu verlieren. Man könnte indessen gerade im Gegenteil sagen, daß wir das Gute um desto fester umfassen und mit unserer Seele daran hängen, um so ungewisser uns sein Besitz ist, und je mehr wir finden, daß es uns geraubt werde. Denn man fühlt es ganz deutlich, daß, wie das Feuer durch den Beistand der Kälte heftiger wird, auch unser Wollen durch Widerstand sich schärft.

 

Si nunquam Danaen habuisset ahenea turris,

Non esset Danae de Jove facta parens.2

 

Und daß unserm Geschmacke natürlicherweise nichts so sehr entgegensteht als die Sattheit, welche aus der Leichtigkeit der Befriedigung entsteht; daß nichts ihn mehr reizt als die Seltenheit und Schwierigkeit. Omnium rerum voluptas ipso quo debet fugare, periculo crescit.3

 

Galla, nega; satiatur amor, nisi gaudia torquent.4

 

Um die eheliche Liebe in Atem zu erhalten, verordnete Lykurg, daß die verehelichten Lakedämonier sich nicht anders als verstohlnerweise begehen sollten und daß es gleich schimpflich sein solle, sie beide beieinander anzutreffen als mit einer fremden Person. Die Schwierigkeit, sich einander an einen sichern Ort zu bestellen, die Gefahr bei der Überraschung, die Gefahr des Schimpfs des folgenden Tages.

 

Et languor, et silentium,

... et latere petitus imo spiritus.5

 

Das ist es, was die Brühe so lecker macht. Wie viele sehr üppig angenehme Spiele entstehen nicht aus der bescheidenen und schamhaften Art, über die Werke der Liebe zu sprechen. Die Wollust selbst sucht sich durch den Stachel der Schmerzen zu reizen; sie ist viel verzuckerter, wenn sie kocht und wenn sie durch die Haut brennt. Die Kebse Flora sagte, sie habe den Pompejus niemals umarmt, ohne daß er Zeichen von ihren Bissen davongetragen habe.

 

Quod petiere, premunt arcte, faciuntque dolorem

Corporis, et dentes inlidunt saepe labellis ...

Et stimuli subsunt, qui instigant laedere id ipsum,

Quodcumque est, rabies unde illae germina surgunt.6

 

So geht es mit allem. Schwierigkeiten geben den Dingen einen größern Wert. Die Einwohner der Mark Ancona tun ihr Gelübde lieber dem St. Jakob, und die Einwohner von Galizien unser lieben Frauen von Loretto. Zu Lüttich macht man ein großes Werk aus den Bädern zu Lucca und in Toskana von den Spawassern. Auf den Fechtböden zu Rom sieht man wenig Römer, dagegen sind sie voll von Franzosen. Der große Cato fand sich ebensogut wie wir von seiner Frau bis zum Ekel gesättigt, solange sie die seinige war, und begehrte ihrer, nachdem sie einem andern angehörte. Ich habe einen alten Hengst aus der Stuterei geworfen, mit dem in seinem Harem nichts mehr anzufangen war. Die Leichtigkeit bei seinen gewöhnlichen Stuten ließ ihn alsbald die Ohren hängen; gegen fremde aber, wenn nur eine an seinem Weideplatz vorbeiging, ließ er sich immer mit seinem schändlichen Wiehern hören und geriet in die wütendste Hitze wie vorher. Unser Gelüsten verachtet, was ihm zur Hand liegt, und fährt darüber hin, um demjenigen nachzuhaschen, was ihm schwer zu erreichen ist.

 

Transvolant in medio posita, et fugienta capta.7

 

Uns etwas verbieten, heißt uns darnach lüstern machen.

 

Nisi tu servare puellam

Incipis, incipiet desinere esse mea.8

 

Es uns völlig überlassen, heißt es uns verächtlich machen. Mangel und Überfluß tun ebendieselbe Wirkung.

 

Tibi quod superest, mihi quod defit, dolet.9

 

Die Begierde und der Genuß sind uns beide drückend. Die strenge Sprödigkeit der Geliebten verursacht uns Verdruß; aber ihre Willigkeit und Nachgiebigkeit tut es, die Wahrheit zu sagen, noch mehr; weil die Unzufriedenheit und der Zorn aus der Hochachtung entspringen, in der bei uns die gewünschte Sache steht, und die Liebe schärfen und erhitzen; die Sättigung aber gebiert Ekel. Es ist eine stumpfe, abgenutzte, müde und schläfrige Leidenschaft.

 

Se qua volet reguare diu, contemnat amantem.

 

Contemnite, amantes:

Sic hodie veniet, si qua negavit heri.10

 

Warum brauchte Poppäa die Erfindung, eine Larve vor ihr schönes Gesicht zu nehmen, als solchem bei ihren Liebhabern einen höhern Wert zu geben? Warum hat man bis über die Absätze diese Schönheiten verhüllt und verschleiert, welche jede zu zeigen wünscht, welche jeden gelüstet zu sehen. Warum verdecken sie mit so vielen Gewändern eins über das andere die Teile, die hauptsächlich der Gegenstand unserer Begierden und der ihrigen sind? Und wozu dienen diese großen Reifen, womit neulich unsre Weiber ihre Hüften bewaffnet haben, als unsre Begierden anzukörnen und uns dadurch anzuziehen, daß sie uns in der Ferne halten.

 

Et fugit ad salices, et se cupit ante videri.11

 

Interdum tunica duxit operta moram.12

 

Wozu dient diese jungfräuliche Verschämtheit? Diese ruhige Kälte, diese strengen Mienen, diese ausgekramte Unwissenheit in Dingen, die sie besser wissen als wir, die wir sie darin unterrichten? Wozu anders, als unsern Wunsch nach ihnen zu verstärken; als unser Verlangen zu erhitzen und ihm endlich alle diese Zeremonien und Schwierigkeiten aufzuopfern? Denn es ist nicht nur Vergnügen, sondern auch Ehre dabei, dieses sanfte Widerstreben, diese kindliche Schamhaftigkeit zu überwinden und zu verführen, und eine kalte und gestrenge Ehrbarkeit der Gnade und Ungnade unserer Begierden zu unterwerfen. Es ist eine Ehre, sagt man, über die Bescheidenheit, die Keuschheit und die Mäßigkeit zu triumphieren: und wer den Weibern rät, diese Sitten abzulegen, der wird an ihnen und an sich selbst zum Verräter. Man muß sich stellen, als glaubte man, ihr Herz zittere vor Schrecken; der Schall unserer Worte beleidige die Reinigkeit ihrer Ohren; daß sie uns hassen und unserm Ungestüm aus notgedrungener Not nachgeben. Die Schönheit, so mächtig sie ist, kann sich doch ohne diese Nebenhilfen nicht recht genießbar machen. Man sehe nur in Italien, wo die meiste und die feinste Schönheit käuflich ist, wie sehr sie nach fremden Mitteln und andern Künsten suchen muß, um sie angenehm zu machen; und bei dem allen bleibt sie dennoch, was sie auch tun mag, da es eine käufliche Ware ist, schwach und wenig gesucht, gradeso wie es selbst mit der Tugend unter zwei ähnlichen Wirkungen geht. Wir halten diejenige für die schönste und die würdigste, welche die meisten Schwierigkeiten und Gefahren zu überwinden hat. Es ist eine Wirkung der göttlichen Vorsehung, zuzulassen, daß ihre heilige Kirche beunruhigt werde, wie wir sie von so vielen Stürmen und Ungewittern beunruhigt sehen, um durch diesen Kampf die frommen Seelen zu erwecken und aus der Lässigkeit und Schläfrigkeit zu reißen, in welche sie eine so lange Ruhe versenkt hatte. Wenn wir den Verlust, den wir durch die Anzahl derjenigen erlitten haben, welche den Weg des Irrtums betreten, gegen den Gewinn aufwägen, der uns dadurch wird, daß es uns wieder in Atem setzt, unsern Eifer und unsere Kraft von neuem belebt, daß wir Anlaß zum Kampf haben, so weiß ich nicht, ob der Schaden so groß sei als der Nutzen. Wir haben geglaubt, das Band unserer Ehen fester zu knüpfen, dadurch, daß wir es ganz und gar unauflösbar machten; aber in eben dem Maß, wie der Zwang fest zugeschürzt hat, in eben dem Maß hat die Verknüpfung des Willens und der Neigung nachgelassen und ist schlaffer geworden. Und im Gegenteil, was in Rom die Ehen so lange Zeit in Ehren und Sicherheit erhielt, war die Freiheit, daß jeder, wer nur wollte, sich scheiden konnte. Sie hielten ihre Weiber besser, weil sie solche verlieren konnten, und bei aller uneingeschränkten Freiheit der Scheidung vergingen fünfhundert und mehr Jahre, ohne daß sich jemand derselben bediente.

 

Quod licet, ingratum est; quod non licet, acrius urit.13

 

Zu dem Vorgesagten könnte man auch noch die Meinung eines Alten hinzufügen, daß die Todesstrafen die Verbrechen vielmehr häufen als verringern, daß sie nicht den Willen recht zu tun erzeugen (denn das ist das Werk der Vernunft und der Sittenlehre), sondern bloß die Behutsamkeit, sich nicht über den Übeltaten ertappen zu lassen.

 

Latius excisae pestis contagia serpunt.14

 

Ich weiß nicht, ob diese Meinung ganz wahr sei, aber dies weiß ich aus Erfahrung, daß niemals eine Polizei dadurch verbessert worden. Ordnung und Regelmäßigkeit der Sitten hängt von ganz andern Mitteln ab.

Die griechischen Geschichtschreiber erwähnen der Argippäer, eines in der Nachbarschaft von Skythien wohnenden Volks, welche ohne Ruten und Stöcke zum Schlagen lebten, die sich nicht nur niemand getraute anzugreifen, sondern jeder, der sich zu ihnen flüchtete, war in völliger Freiheit, wegen ihrer Tugend und der Heiligkeit ihres Lebens. Keiner war so kühn, dagegen zu verstoßen. Man wandte sich an sie, um Zwistigkeiten auszugleichen, die anderwärts unter Menschen entstanden. Es gibt Nationen, wo die Befriedigung der Gärten und Felder, die man einschließen will, in einem gesponnenen Faden bestehet, die sich sicherer befinden und eingeschlossener als durch unsere Gräben und Hecken. Furem signata sollicitant ... Aperta effractarius praeterit.15 Vielleicht dient auch unter andern die Leichtigkeit, in mein Haus zu kommen, dazu, es vor Gewalttätigkeiten in unsern bürgerlichen Kriegen zu sichern. Verteidigungsanstalten reizen das Unternehmen und Mißtrauen den Angriff. Ich habe das Vorhaben der Kriegsmächte dadurch geschwächt, daß ich ihnen die Schwierigkeiten aus den Augen rücke und zugleich die Gefahr und jeden andern Stoff zum militärischen Ruhm, der ihnen gewöhnlicherweise zur Entschuldigung und Rechtfertigung dient. Das, was mit Mut getan wird, führt in den Zeiten, wo die Gerechtigkeit so gut als tot ist, immer Ehre bei sich. Ich mache ihnen die Eroberung meines Hauses zur Niederträchtigkeit und Dieberei. Einem jeden, der anklopft, steht mein Haus offen. Zu meiner ganzen Beschützung habe ich nichts weiter als einen Türsteher nach altem Brauch und alter Sitte, welcher nicht sowohl dazu dient, meine Tür zu verteidigen, als sie freundlicher und anständiger zu eröffnen. Ich habe keine andere Haus-oder Schildwache, als welche die Sterne für mich stehen. Ein Landedelmann hat sehr unrecht zu tun, als ob er sich verteidigen wollte, wenn er sich nicht richtig verteidigen kann. Wer nur von einer Seite schutzlos ist, der ist es allenthalben. Unsere Vorväter hatten keinen Gedanken daran, Grenzfestungen zu bauen. Die Mittel anzugreifen, ich meine unsere Häuser ohne Batterien und Kanonen zu überraschen, werden von Tage zu Tage stärker als die Mittel, sich davor hüten. Die Menschen werden von jener Seite immer pfiffiger. Verheeren und verwüsten ist die Sache fast aller; Verteidigen und Beschirmen bloß die Sache der Wohlhabenden. Mein Landsitz war ziemlich befestigt für die Zeit, da er erbaut wurde; von dieser Seite habe ich nichts hinzugetan und würde fürchten, daß seine Haltbarkeit mir selbst zum Nachteil ausschlagen möchte. Dazu kommt noch, daß friedfertige Zeiten es notwendig machen könnten, die Verteidigungswerke zu vermindern. Es ist gefährlich, sie nicht wiederherstellen zu können, und unsicher, sich darauf zu verlassen. Denn in bürgerlichen Kriegen kann es unser Bedienter mit der Partei halten, die wir fürchten. Und wenn nun gar noch die Religion zum Vorwand dienet, da werden selbst Blutsverwandte unter dem Deckmantel der Gerechtigkeit Menschen, denen man nicht sicher trauen kann. Der öffentliche Schatz erhält unsere Hausbesatzung nicht. Dadurch würde er völlig erschöpft werden. Wir können solche nicht erhalten, ohne zu verarmen, oder wenigstens mit größerer Beschwerde und Lasten, wenn das Volk nicht dazu beitrüge. Der Staat wird durch meinen Untergang nicht sonderlich viel leiden. Übrigens, wenn man dabei zugrunde geht, so halten sich unsre Freunde selbst mehr über unsere Unvorsichtigkeit und Unklugheit auf, als daß sie uns unsere Unwissenheit und die Vernachlässigung unserer Geschäfte beklagen sollten. Daß so viele bewachte Landsitze zerstört sind, wenn andere sich erhalten haben, läßt mich den Verdacht fassen, daß sie sich dadurch geschadet haben, daß sie bewacht waren. Das gibt die Lust und den Vorwand, sie anzugreifen. Alles Bewachen gibt einen Anschein vom Kriege: der mag auch mich überfallen, wenn Gott es will; so viel ist aber gewiß, daß ich ihn nicht herbeirufen werde. Durch meine Ruhe hoffe ich, vor dem Kriege sicher zu sein. Ich tue, was ich kann, um diesen Winkel vom öffentlichen Sturme zu entfernen, wie ich es mit einem andern Winkel in meiner Seele mache. Mag doch unser Krieg die Gestalt verwandeln, sich vermehren und in verschiedene Parteien verändern, ich meinesteils wanke nicht aus der Stelle. Unter so vielen Landsitzen, die sich bewaffnet haben, bin ich, soviel ich weiß, der einzige meines Standes, der sich, in Ansehung des Meinigen, einzig und allein auf den Schutz des Himmels verlassen hat. Ich habe nicht einmal weder mein Silberzeug noch meine Familienpapiere oder Tapeten in Sicherheit bringen lassen. Ich will mich weder halb fürchten noch halb mich retten. Wenn ein völliges Vertrauen den Schutz des Himmels erwirbt, so wird er mir bis ans Ende angedeihen, wo nicht, so bin ich lange genug dagewesen, um mein Dasein merk-und denkwürdig zu machen. Wieso? Nun, seit dreißig Jahren her.

 

Fußnoten

 

1 Seneca, Epist. 98: Gleich unangenehm ist es, eine Sache verloren haben und sie zu verlieren fürchten.

 

2 Ovid, Amor. II, 19, 27: Hätte Danaen nicht die eherne Warte umschlossen, Danae wäre traun Mutter vom Jupiter nicht.

 

3 Seneca, De benef. VII, 9: Je gefährlicher eine Sache ist, je mehr sie uns fliehen heißt, desto größer ist das Vergnügen, ihr nachzujagen.

 

4 Martial IV, 37: Galla, verweigre; die Liebe wird satt bei leichtem Genusse.

 

5 Horaz, Epod. XI, 9: Hinsterben, schweigen, tiefatmend aus dem Busen seufzen.

 

6 Lucrez IV, 1076: Was sie umarmen, das pressen sie heftig, tun wehe den Gliedern, mit den Lippen klappen die Zähn aufeinander; ein sondres Gelüste spornt sie, das selbst zu verletzen, was ihrem Gewüte den Stoff gibt.

 

7 Horaz, Sat. I, 2, 108: Er läuft vorbei vor dem, was vor ihm liegt, und jagt dem nach, was vor ihm flieht.

 

8 Ovid, Amor. II, 19, 47: Wenn du nicht die Geliebte verschließest, ja, dann hört sie auf, meine Geliebte zu sein.

 

9 Terenz, Phorm. I, III, 9: Dich macht der Überfluß und mich der Mangel mürrisch.

 

10 Ovid, Amor. II, 19, 33 und Properz II, 14, 19: Die Schöne, die recht lang Thron und Gewalt behaupten will, sei öfters stolz und kalt! Du, der du liebst, sei oft gleichgültig! Glaube mir, die gestern spröde war, kommt morgen selbst zu dir!

 

11 Vergil, Eclog. III, 65: Flieht hinter die Weiden und wünscht gesehen zu werden.

 

12 Properz II, 15, 6: Manchmal hält sie das Halstuch fest und mehrt die Lust dadurch, daß sie sich bitten läßt.

 

13 Ovid, Amor. II, 19, 3: Was uns erlaubt ist, das verschmähen wir, nach dem Verbotnen steht Sinn, Trachten und Begier.

 

14 Rutilius, Itin. I, 397: Die vertriebene Pest verbreitet nur weiter umher sich.

 

15 Seneca, Epist. 68: Der Stehler geht dem versiegelten Koffer nach, der Leiterdieb dem offnen Fenster vorüber.

Über Lob, Preis und Ruhm.

Der Name ist nicht einerlei mit der Sache. Der Name ist artikulierter Schall, welcher die Sache bezeichnet und andeutet; der Name ist kein Teil der Sache oder ihres Wesens; es ist ein fremdes Teilchen, das der Sache beigefügt wird und außer ihr besteht. Gott, der einzig und allein in seiner eigenen Fülle besteht und die Fülle aller Vollkommenheit ist, kann in sich selbst weder wachsen noch sich vergrößern. Sein Name aber kann wachsen und zunehmen durch das Lob und den Preis, den wir ihm über seine geoffenbarten Werke beilegen: welche Lobpreisung wir ihm um so weniger einkörpern können, weil bei ihm kein Zuwachs am Guten möglich ist. Wir richten solche also an seinen Namen, welcher etwas außer ihm, aber ihm am nächsten ist. Dies ist die Art und Weise, wie Gott allein alles Lob und alle Ehre gebührt. Und nichts ist so fern von aller Vernunft, als das geringste davon für uns selbst zu begehren. Denn, da wir arm und inwendig nackt sind, da unser Wesen unvollkommen und unaufhörlich der Verbesserung bedürftig ist, so ist es dies, worauf unser Fleiß und unsere Beschäftigung gehen muß; wir sind alle leer und hohl, und also sollten wir uns nicht mit Wind und Schall anfüllen, wir bedürfen reeller Substanzen, um unsere Kräfte zu erneuern; ein hungriger Mensch wäre wohl sehr einfältig, wenn er eher nach einem hübschen Kleide langte als nach einer nahrhaften Mahlzeit. Nach dem Notwendigsten muß man trachten, wie unser gewöhnliches Gebet besagt: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden unter den Menschen. Wir leiden Mangel an Schönheit, Gesundheit, Weisheit, Tugend und mehr dergleichen wesentlichen Dingen; die äußerlichen Zierden lassen sich nachher suchen, wenn wir für die wesentlichen Bedürfnisse gesorgt haben. Die Theologie handelt weitläufiger und treffender über diesen Gegenstand, ich aber bin nicht sehr darinnen gewiegt. Chrysippus und Diogenes sind die ersten und standhaftesten Schriftsteller in Betracht der Verachtung des Ruhms gewesen, und unter allen Wollüsten, sagten sie, wäre keine gefährlicher und sorgfältiger zu vermeiden als diejenige, welche uns der Beifall anderer Menschen gewährt. Wirklich zeigt uns die Erfahrung dergleichen Verrätereien, welche höchst schädlich waren. Nichts in der Welt vergiftet die Fürsten mehr als die Schmeichelei; es ist nichts, wodurch gottlose Buben sich bei ihnen so leicht in Gunst setzen, und keine Kuppelei ist so geschickt oder gewöhnlicher, die Keuschheit der Weiber zu bestechen, als sie mit ihrem eigenen Lob zu beräuchern und zu nähren. Der vornehmste Zauber, welchen die Sirenen gebrauchen, um den Ulysses zu beschleichen, ist von dieser Natur.

 

Komm, preisvoller Odysseus, erhabner Ruhm der Achaier,

lenke das Schiff landwärts, um unsre Stimme zu hören.1

 

Jene Philosophen sagten: aller Ruhm von der ganzen Welt sei nicht so viel wert, daß ein verständiger Mensch nur einen Finger ausstrecke, um ihn aufzuheben.

 

Gloria quantalibet quid erit, si gloria tantum est?2

 

Ich spreche von Ruhm an und für sich selbst. Denn er hat oft sehr nützliche Folgen, weswegen er wünschenswürdig werden kann: Er erwirbt uns Wohlwollen und schützt uns einigermaßen vor Anfällen und Beleidigungen von andern Menschen und so mehr dergleichen. Von dieser Beschaffenheit waren auch die Lehrsätze des Epikur. Denn diese Vorschrift seiner Sekte: verbirg dein Leben, welche den Menschen verbietet, sich mit öffentlichen Ämtern und Verhandlungen zu beladen, setzt auch notwendig voraus, daß man den Ruhm verachten müsse, welcher in dem Beifall besteht, den die Welt uns über die Handlungen erteilt, die wir vor ihren Augen verrichten. Derjenige, der uns gebeut, uns zu verbergen und für nichts anders Sorge zu tragen als für uns selbst; der nicht will, daß wir andern bekannt seien, der will auch noch weniger, daß wir von ihm geehrt und gerühmt werden; auch widerrät er dem Idomeneus, sich in seinen Handlungen nach der allgemeinen Meinung und Würdigung einzurichten, es sei denn, andern zufälligen Unbequemlichkeiten auszuweichen, welche ihm die Verachtung der Menschen zuziehen könnten. Diese Lehren sind meines Bedünkens unendlich wahr und vernünftig; aber wir sind, ich weiß nicht wie, doppelsinnig, welches macht, daß wir nicht glauben, was wir glauben, und daß wir uns von dem, was wir an uns selbst verdammen, nicht losmachen können. Man sehe nur die letzten Worte des Epikur, die er kurz vor seinem Tode sagte; ihr Sinn ist groß und eines solchen Philosophen würdig, indessen haben sie doch einen kleinen Anstrich von Empfehlung seines Namens und von diesem Hang zum Ruhm, welchen er durch seine Lehren so sehr verschrien hatte. Hier ist ein Brief, welchen er kurz vor seinem letzten Hauch in die Feder sagte:

 

Epikur dem Hermachus.

 

"Alles Heil zuvor.

Derweil ich den glücklichsten und damit den letzten Tag meines Lebens erlebte, schrieb ich dieses unter solchen Schmerzen in der Blase und andern Eingeweiden, die durch nichts vergrößert werden können, indessen werden sie mir einigermaßen vergolten durch das Vergnügen meiner Seele, wenn ich mich an meine Schriften und Abhandlungen erinnere. Du aber nimm Dich, wie es der Liebe und Zuneigung gebührt, die Du von Kindesbeinen an gegen mich bezeigt hast, nimm Dich der Kinder des Metrodorus an und gewähre ihnen Deinen Schutz."

So weit sein Brief, und das, was mich sein Vergnügen, welches er in seiner Seele über seine Schriften und Abhandlungen zu empfinden sagt, so auslegen läßt, daß er dadurch einigermaßen auf den Ruhm zielt, den er dadurch noch nach seinem Tode zu erhalten hofft, das ist die Verordnung in seinem Testament, worin er verlangt, daß Aminomachus und Timokrates seinen Erben jährlich zur Feier seines Geburtstages im Monat Januar die Kosten auszahlen sollen, die Hermachus dazu bestimmen, und auch den Aufwand, der jeden zwanzigsten Tag im Monat zu einer Mahlzeit für Philosophen aufgehen würde, mit denen er in einem vertraulichen Umgange gelebt, die sich zum Gedächtnis seiner und des Metrodorus versammeln sollten. Carneades war das Haupt der entgegenstehenden Meinung, und hat behauptet, daß der Ruhm an und für sich selbst wünschenswert sei; geradeso, wie wir uns derer ihrer selbst wegen annehmen, die nach unserm Tode geboren werden, die wir nicht kennen und wovon wir gar keinen Genuß haben. Diese Meinung hat nicht ermangelt, einen allgemeinen Beifall zu finden, und am gewöhnlichsten befolgt zu werden, wie es mit denen zu geschehen pflegt, die sich am füglichsten nach unsern Neigungen bequemen. Aristoteles gibt ihm den ersten Rang unter den äußern Gütern und sagt: "Vermeide, als zwei gefährliche Extreme, sowohl Ruhm zu suchen als ihn zu fliehen." Hätten wir die Bücher, welche Cicero über diesen Gegenstand geschrieben hatte, so glaube ich, würden wir gar herrliche Sachen darüber lesen. Denn dieser Mann war dergestalt von dieser Leidenschaft beherrscht, daß er, wie mich deucht, wenn er sich es nur getrauet hätte, gern in das Übermaß gefallen wäre, in welches die andern verfielen, daß nämlich die Tugend selbst nur insofern wünschenswürdig sei, als sie uns die Ehre erwirbt, die eine beständige Folge derselben ist.

 

Paulum sepultae distat inertiae

Celata virtus.3

 

Welche Meinung aber so falsch ist, daß es mich ärgert, daß sie jemals hat in den Kopf eines Menschen kommen können, der die Ehre hatte, ein Philosoph zu heißen. Wenn sie wahr wäre, so dürfte man nur öffentlich tugendhaft sein, und hätten wir mit dem Bestreben der Seele, worin sich eigentlich der wahre Sitz der Tugend befindet, nichts zu schaffen, um sie in Regel und Ordnung zu erhalten, als nur insofern es zur Kenntnis anderer gelangen müßte. Es käme also nur darauf an, mit Feinheit und Behutsamkeit lasterhaft zu sein. Wenn du weißt, sagt Carneades, daß an der Stelle eine Schlange liegt, wo sich ein Mann, ohne es zu vermuten, niedersetzen will, von dessen Tode du Vorteil hast, so handelst du als ein Bösewicht, wenn du ihn nicht warnest, und zwar um so mehr, weil deine Handlung nur dir allein bekannt bliebe. Wenn wir das Gesetz wohlzutun nicht aus uns selbst hernehmen, wenn Impunität für uns Gerechtigkeit ist; in wie viele Arten von Bosheit werden wir dann nicht täglich Gelegenheit haben, uns zu stürzen. Was S. Peduceus tat, als er dasjenige treu herausgab, was C. Plotius ihm ohne jemandes Mitwissen von seinen Reichtümern anvertraut hatte, und desgleichen ich auch selbst getan habe, das finde ich nicht eben so vieles Rühmens wert, als ich es schändlich finden würde, wenn wir es nicht getan hätten. Und finde es gut und nützlich zu unsern Tagen, das Beispiel des P. Sextilius Rufus anzuführen, welchen Cicero darüber anklagte, daß er wider besser Wissen und Gewissen eine Erbschaft an sich gerissen, obgleich nicht nur ohne Widerspruch der Gesetze, sondern selbst durch die Gesetze. Und M. Crassus und Q. Hortensius, welche wegen ihrer Macht und ihres Ansehens von einem Fremden angegangen wurden, gewisse Anteile aus einem falschen Testamente sich gefallen zu lassen, damit er daraus des Seinigen desto gewisser sein möchte, begnügten sich damit, daß sie mit der Verfälschung des Testaments nichts zu schaffen haben wollten, schlugen aber den Nutzen nicht aus und hielten sich für genug gedeckt, wenn sie vor Anklagen und vor Zeugen und dem Gesetze sicher wären. Meminerint Deum se habere testem, id est (ut ego arbitror), mentem suam.4

Es wäre um die Tugend ein elend jämmerlich Ding, wenn sie ihren Wert nur aus dem Ruhme zöge. Vergebens bestrebten wir uns, ihr einen eigenen Rang einzuräumen und sie vom Glück unabhängig zu machen; denn was ist wohl zufälliger als ein berühmter Name. Profecto fortuna in omni re dominatur: ea res cunctas ex libidine magis, quam ex vero, celebrat obscuratque.5 Zu veranstalten, daß die Handlungen sichtbar und bekannt werden, ist bloß ein Werk des Glücks. Das blinde Glück ist es, welches uns aufs Geratewohl den Ruhm austeilt. Ich habe gesehen, wie es sehr oft vor dem Verdienst hergeht und oft in großer Länge über das Verdienst wegschreitet. Derjenige, welcher zuerst den Einfall hatte, den Ruhm mit einem Schatten zu vergleichen, sagte etwas Besseres, als er sagen wollte: beide sind höchst nichtige Dinge. Er geht zuweilen vor seinem Körper her, und zuweilen dehnt er sich weit über die Länge desselben hinaus. Diejenigen, welche den Adel lehren, in der Tapferkeit nichts anders als Ehre zu suchen, quasi non sit honestum quod nobilitatum non sit:6 Was tun sie damit anders, als ihn anweisen, sich niemals anders in Gefahr zu begeben, als wo er gesehen wird, und wohl darauf zu merken, ob auch Zeugen vorhanden, welche die Zeitung von seiner Tapferkeit ausbreiten können; da sich doch tausend Gelegenheiten zu braven Taten ereignen können, ohne daß man sich dadurch merkwürdig mache. Wie viele schöne Taten von Gemeinen werden nicht im Gewühl einer Schlacht begraben? Wer sich aber damit abgibt, andere in einem solchen Treffen zu bemerken, der ist darin eben nicht sehr geschäftig und führt gegen sich selbst das Zeugnis, was er für das Betragen seiner Waffenbrüder aufstellt. Vera et sapiens animi magnitudo, honestum illud, quod maxime natura sequitur, in factis positum, non in gloria, judicat.7 Aller Ruhm, auf den ich über mein Leben Anspruch mache, ist, daß ich solches ruhig durchlebt habe; ruhig, nicht nach der Meinung des Metrodorus oder des Arcesilaus oder des Aristipp, sondern nach meiner eigenen. Da die Philosophen keinen Pfad zu finden vermocht, der zur Ruhe führt und gut und allgemein wäre, so muß jeder einen besondern für sich suchen. Wem anders als dem Glücke haben Cäsar und Alexander die so unermeßliche Größe ihres Nachruhms zu verdanken? Wie viele Menschen hat es bei den ersten Schritten auf ihrer Laufbahn umgeworfen, von welchen wir nie etwas gehört haben, welche ebensoviel Tapferkeit mit dahin brachten als jene, wenn ihr unglückliches Geschick sie nicht im ersten Beginnen ihrer Unternehmung plötzlich aufgehalten hätte. Durch alle die außerordentlichen Gefahren hindurch erinnere ich mich, nicht gelesen zu haben, daß Cäsar nur ein einziges Mal verwundet worden. Tausend sind getötet worden in mindern Gefährlichkeiten als die mindeste, durch welche er gegangen ist. Eine unendliche Anzahl schöner Handlungen müssen aus Mangel an Zeugen verlorengehen, bevor eine ihrem Täter zunutze kommt. Man ist nicht immer auf der Höhe einer Bresche oder an der Spitze eines Heers vor den Augen des Heerführers wie auf einem Schafott. Man wird zwischen einer Hecke und einem Graben überfallen; man muß sein Heil gegen eine Scheure versuchen, man muß vier Lumpen von Schützen aus einer Hütte vertreiben, man muß sich allein von seinem Haufen absondern und allein einen Streich wagen, nachdem es die eintretende Notwendigkeit befiehlt. Und wenn man genau darauf achtet, so wird man finden, wie mich wenigstens dünkt, daß die Erfahrung ergibt, wie die am wenigsten glänzenden Begebenheiten gerade die gefährlichsten sind und daß in den Kriegen, die zu unsern Zeiten geführt worden, mehr ehrliche Leute bei leichten und unwichtigen Gelegenheiten umgekommen sind und mehr bei Belagerungen und Verteidigungen von elenden Nestern als bei berühmten und ehrenvollen Örtern.

Wer sein Leben für verschleudert hält, wenn er es nicht bei ausgezeichneten Gelegenheiten verliert, der verdunkelt viel mehr sein Leben als er seinen Tod rühmlich macht, indem er manchen gerechten Anlaß, sich zu wagen, vorüberstreifen läßt. Und jeder gerechte Anlaß ist rühmlich genug. Das Gewissen wird jedwedem Trompete genug sein. Unser Ruhm aber ist, daß wir ein gutes Gewissen haben, sagt St. Paulus. Wer nur deswegen ein Biedermann ist, daß die Welt es wissen soll und ihn desto höher schätzen möge, nachdem sie es erfahren; wer nur deswegen richtig handelt, daß seine Tugend zur Wissenschaft der Menschen gelange, der ist nicht der Mann, von dem man viele Dienste ziehen wird.

 

Credo che 'l resto di quel verno cose

Facesse degne di tenerne conto;

Ma fur sin da quel tempo si nascose,

Che non è colpa mia, s'or non le conto;

Perchè Orlando a far l' opre virtuose,

Più ch' a narrarle poi, sempre era pronto:

Nè mai fu alcun de' suoi fatti espresso,

Se non quando ebbe i testimoni appresso.8

 

In den Krieg muß man ziehen aus Pflicht und dafür diejenige Belohnung erwarten, welche keiner schönen Tat entstehen kann, so unbekannt sie auch bleiben mag, selbst auch nicht einmal tugendhaften Gedanken; das ist die Zufriedenheit, welche ein reines Gewissen uns gibt, wenn wir recht tun. Man muß seiner selbst wegen tapfer sein und wegen des Vorzugs, der dabei ist, wenn man bei allen Anfällen des Glücks fest und standhaft bleibt.

 

Virtus, repulsae nescia sordidae,

Intaminatis fulget honoribus;

Nec sumit aut ponit securis

Arbitrio popularis aurae.9

 

Es ist nicht zur äußern Schau, daß unsere Seele ihre Rolle spielen muß, sondern in uns und für uns selbst, wohin keine andern Augen blicken als unsere eigenen. Da deckt uns ihre Stärke vor der Furcht des Todes, vor dem Schmerz und selbst vor der Schande; da macht sie uns fest beim Verlust unserer Kinder und unserer Freunde und unserer Güter, und wenn die Gelegenheit sich dazu ergibt, führt sie uns auch in die Wagnisse des Kriegs. Non emolumento aliquo, sed ipsius honestatis decore.10

Dieser Nutzen ist weit größer und weit wünschens-und hoffenswürdiger als die Ehre und der Ruhm, welche am Ende nichts anders sind als ein günstiges Urteil, das man über uns fällt. Um über einen Acker Landes zu urteilen, muß man aus einer ganzen Nation ein Dutzend Männer aussuchen; und über unsere Neigungen und unsere Handlungen zu urteilen, welches das schwerste und wichtigste Geschäft unter allen ist, überlassen wir der Stimme des gemeinen Haufens, der Mutter der Unwissenheit, der Ungerechtigkeit und der Unbeständigkeit! Ist wohl einiger Sinn dabei, das Leben eines weisen Mannes vom Urteile der Narren abhängig zu machen? An quidquam stultius quam, quos singulos contemnas, eos aliquid putare esse universos?11 Wer es darauf angelegt, diesen zu gefallen, der ringet vergebens, und seinen Händen entwischt der Preis des Wettkampfs. Nil tam inaestimabile est quam animi multitudinis.12 Demetrius sagte scherzhafterweise von der Stimme des Volks, er mache sich ebensowenig aus der, welche ihm von oben abginge, als aus der von unten. Ego hoc judico, si quando turpe non sit, tamen non esse non turpe, quum id a multiudine laudetur.13

Keine Kunst, keine Geschmeidigkeit des Geistes könnte unsere Schritte nach einem so irrigen und unwissenden Wegweiser leiten. In dieser Verwirrung von Windgeräusch, von Volksmeinung und Gerüchten, durch welche wir uns treiben lassen, läßt sich kein Weg ausmachen, der etwas tauge. Laßt uns kein so wankelhaftes, unbeständiges Ziel vorstecken, folgen wir immer geradewegs der Vernunft. Auf diesem Wege möge uns der öffentliche Beifall folgen, wenn er will, und weil er ganz vom Glück abhängt, so haben wir keinen Grund, ihn auf einem andern Wege zu erwarten als auf diesem. Ich würde ihm deswegen nicht folgen, weil der geradeste Weg der kürzeste ist, sondern ich würde ihm folgen, weil ich aus der Erfahrung weiß, daß er am Ende immer als der glücklichste und der nützlichste befunden wird. Dedit hoc providentia divina munus, ut honesta magis juvarent.14

Ein alter Schiffer unter den Alten sagte folgendermaßen zu Neptun: "O Gott, du kannst mich retten, wenn du willst; wenn du willst, kannst du mich untergehen lassen, aber mein Ruder halte ich immer gerade." Ich habe zu meiner Zeit tausend geschmeidige, ängstliche, doppelsinnige Menschen gesehen, von denen niemand zweifelte, sie besäßen mehr Weltklugheit als ich, und sie sind da zugrunde gegangen, wo ich mich gerettet habe.

 

Risi successu posse carere dolos.15

 

Als Paulus Ämilius nach seinem glorreichen Mazedonischen Feldzuge aufbrach, ermahnte er vor allen Dingen das römische Volk, über seine Handlungen die Zunge im Zaum zu halten, solange er abwesend sei! O welch eine große Störerin ist nicht die Zügellosigkeit im Urteilen! Um so größer, weil nicht jeder die Standhaftigkeit des Fabius gegen die widrige beleidigende Volksstimme besitzt, welche lieber seine Macht von den eitlen Einfällen der Menschen vermindern ließ, als seinen Auftrag mit günstigerm Ruhme und Volksbeifall weniger gut ausrichten wollte. Es liegt ein gewisses unnennbares, süßes Gefühl darinnen, sich loben zu hören; allein wir legen dennoch viel zuviel hinein.

 

Laudari haut metuam, neque enim mihi cornea fibra est,

Sed recti finemque extremumque esse recuso,

Euge tuum et belle.16

 

Ich kümmere mich nicht so viel darum, wie ich mit andern stehe, als ich mich darum bekümmere, wie ich mit mir selbst stehe. Ich will reich sein für mich und nicht auf Borg. Fremde sehen nur den äußern Schein und äußere Begebenheiten; ein jeglicher kann eine äußerliche gute Miene annehmen und innerlich voller Fieber und Schrecken sein, man sieht mir nicht ins Herz, man sieht nur meine Miene. Man hat recht, die Heuchelei zu verschreien, welche im Krieg ihr Wesen hat; denn was ist für einen Menschen, der die Schliche kennt, leichter, als den Gefahren auszuweichen und bei einem feigen Herzen den Bramarbas zu spielen? Es gibt so viele Mittel, den Gelegenheiten auszuweichen, bei welchen man seine eigene Person wagen müßte, daß man die Welt tausendmal betrogen haben kann, bevor man sich nur in ein Wagestück eingelassen hat, und selbst dann, wenn man darin verflochten ist, weiß man für dieses Mal auch sein Spiel mit guter Miene und mit unerschrockenen Worten zu verdecken, obgleich die ganze Seele in uns zittert. Und viele würden, wenn sie den platonischen Ring besäßen, welcher denjenigen unsichtbar machte, der ihn am Finger trug und den Stein nach der Innenseite der Hand drehte, sich oft genug da verbergen, wo sie sich am meisten stellen sollten, und würden es sehr bereuen, sich an solche Ehrenposten gestellt zu sehen, wo die Not sie herzhaft machte.

 

Falsus honor juvat, et mendax infamia terret

Quem, nisi mendosum et mendacem?17

 

Hieraus sieht man, wie alle die Urteile, die sich auf einen äußern Schein gründen, im höchsten Grade ungewiß und zweifelhaft sind, und wie kein Zeugnis so sicher ist, als was sich ein jeder selbst geben muß. Und wie viele Troßbuben haben wir nicht zu Genossen unseres Ruhms? Derjenige, der sich in einer offenen Tranchee festhält, was tut er damit, das nicht vor ihm fünfzig arme Schanzgräber tun, die ihm den Weg öffnen und für fünf Dreier täglichen Sold mit ihrem Körper decken.

 

Non, quidquid turbida Roma

Elevet, accedas; examenque improbum in illa

Castiges trutina: nec te quaesiveris extra.18

 

Wir nennen es Vergrößerung unseres Namens, wenn wir ihn in vieler Mund bringen; wir wünschen, daß er mit Ehrerbietung ausgesprochen werde und daß diese seine Erhebung ihm nützlich werden möge. Nun, das mag denn das schlimmste bei der Sache noch nicht sein, aber das Übermaß dieser Krankheit geht so weit, daß manche suchen, von sich sprechen zu lassen, in welchem Sinne es auch sei. Trogus Pompejus sagt vom Herostratus und Titus Livius vom Manlius Capitolinus, daß sie begieriger nach einem großen als nach einem guten Namen gewesen. Dies Gebrechen ist gewöhnlich. Wir geben uns mehr Mühe darum, daß man, als wie man von uns spreche, und es genügt uns schon, daß unser Name durch der Leute Mäuler laufe, wie auch der Lauf beschaffen sein möge. Es scheint, man gebe schon gewissermaßen sein Leben und dessen Dauer in die Verwahrung der Menschen, denen man bekannt geworden. Ich meinesteils halte dafür, daß ich nur bei mir daheim bin, und von meinem andern Leben, das in der Bekanntschaft meiner Freunde besteht, wenn ich solches ohne Schleier und bloß an und für sich selbst betrachte, so fühle ich, daß ich davon keinen andern Nutzen oder Genuß ziehe als durch die Eitelkeit einer phantastischen Meinung. Und wenn ich tot bin, werde ich noch weit weniger davon empfinden und also den Gebrauch der wirklichen Nutzbarkeiten, die zuweilen zufälligerweise daraus entstehen, ganz rein verlieren. Ich werde keinen Berührungspunkt mehr finden, woran ich den Ruhm fassen, noch der Ruhm, woran er mich fassen, noch zu mir gelangen könne. Denn mir zu versprechen, daß mein Name ihn erlangen werde, so habe ich erstlich keinen Namen, der so ganz ausschließlich der meinige wäre; von den beiden, die ich habe, ist der erste meinem ganzen Geschlecht gemein, ja sogar noch einigen andern: es gibt eine Familie in Paris und eine in Montpellier, welche den Zunamen Montaigne führen, eine andere in Bretagne und Saintonge, die sich de la Montaigne nennt. Die Versetzung einer einzigen Silbe kann unsere Wappenschilder so vermischen, daß ich teil an ihrem Ruhm und sie vielleicht an meiner Schande nehmen, und wenn die Meinigen ehedem noch den Zunamen Eyquem geführt haben, so ist das ein Name, den noch eine bekannte Familie in England führt. Was meinen zweiten Namen betrifft, so gehört er jedem zu, der Lust hat, ihn zu nehmen. Also ehre ich vielleicht einen Karrenschieber an meiner Stelle. Und endlich, wenn ich auch ein besonderes Merkzeichen für mich allein hätte, was kann es dann bezeichnen, wenn ich nicht mehr bin; kann es die Nichtigkeit bezeichnen und begünstigen?

 

Nunc levior cippus non imprimit ossa

Laudat posteritas; nunc non e manibus illis,

Nunc non e tumulo fortunataque favilla,

Nascuntur violae?19

 

Doch hierüber habe ich schon anderwärts gesprochen. Im übrigen, wenn in einer Schlacht zehntausend Mann zu Krüppeln oder totgeschossen worden, so spricht man kaum von fünfzehn. Es gehört eine gewisse Größe des Standes und der Geburt oder irgendeine wichtige Folge dazu, welche das Glück miteinander verbindet, um eine Tat nicht nur eines Gemeinen, sondern eines Offiziers von Rang mit Ruhm zu erheben. Denn ein oder zwei oder zehn Menschen zu töten oder sich dem Tode tapfer entgegen zu stellen, ist zwar schon für jeden von uns etwas, denn wir setzen alles gegen alles; für die Welt aber sind das sehr gewöhnliche Sachen; sie sieht derselben täglich so viele, und es gehört so vieles dergleichen dazu, um eine auffallende Wirkung zu tun, daß wir keinen besondern Ruhm und Empfehlung erwarten dürfen.

 

Casus multis hic cognitus, ac iam

Tritus, et e medio fortunae ductus acervo.20

 

Von soviel tausendmal tausend tapfern Männern, welche in Frankreich seit fünfzehnhundert Jahren mit den Waffen in der Hand gestorben sind, sind keine hundert, deren Gedächtnis bis auf uns gekommen ist. Die Namen nicht nur der Kriegshäupter, sondern selbst der Schlachten und Siege sind in Vergessenheit begraben. Die Besitzungen des halben Teils der Welt rücken aus Mangel an Registern nicht aus ihrer Stelle und verschwinden ohne Dauer. Wenn ich die unbekannten Begebenheiten aufgezeichnet besäße, so glaube ich, wollte ich damit sehr leicht die bekannten in allen Arten von Beispielen verdrängen. Wie, daß selbst von den Römern und Griechen, von so vielen seltenen und edlen Taten, welche so viele Zeugen und Schriftsteller hatten, so wenige auf uns gekommen sind?

 

Ad nos vix tenuis famae perlabitur aura.21

 

So wird es schon sehr viel sein, wenn in hundert Jahren von hier man sich nur noch so obenhin erinnert, daß zu unsern Zeiten in Frankreich bürgerliche Kriege geführt worden sind. Die Lakedämonier opferten, wenn sie in ein Treffen gingen, den Musen, damit ihre Taten schön und würdig beschrieben werden möchten, und hielten dafür, es sei nicht gemeine Gunst der Götter, wenn schöne Heldentaten Zeugen fänden, welche solchen Leben und Unsterblichkeit geben könnten. Meinen wir, daß bei jeder Flintenkugel, die uns trifft, oder bei jeder Gefahr, die uns überkommt, gleich ein Notarius bei der Hand sei, der darüber ein Protokoll aufnehme? Und hundert solche Protokollisten möchten sich dennoch darunter finden, deren Tagebücher wohl nicht über acht Tage alt werden und keinem Menschen zu Gesicht kommen würden. Wir haben von den Schriften der Alten nicht den tausendsten Teil. Es ist das Glück, welches ihnen ein längeres oder kürzeres Leben schenkte, nachdem es ihm beliebte; und es ist uns erlaubt zu zweifeln, ob das, was wir davon besitzen, nicht gerade das schlechteste sei, da wir das übrige nicht gesehen haben. Von geringfügigen Dingen schreibt man keine Geschichte. Der Held muß ein Heer geführt haben, womit er ganze Königreiche und Provinzen erobern konnte; er muß zweiunddreißig große Schlachten gewonnen haben und immer in schwächerer Anzahl als die Feinde, wenn er es dem Cäsar gleichtun will, in dessen Gefolge zehntausend brave Waffenbrüder, unter denen sich große Feldherrn befanden, tapfer und herzhaft in den Tod gingen und deren Namen nicht länger gedauert haben, als solange ihre Weiber und Kinder lebten.

 

Quos fama obscura recondit.22

 

Selbst von denjenigen, die vor unsern Augen großtun, spricht man nach drei Monaten oder drei Jahren, nachdem sie geblieben, ebensowenig, als ob sie gar nicht dagewesen wären. Ein jeder, der nach richtigem Maß und Verhältnis beobachtet, von was für Leuten und von was für Taten sich Andenken und Ruhm in den Büchern erhält, wird befinden, daß in unserm Jahrhundert wenig Taten geschehen und wenig Personen vorhanden gewesen, die darauf mit Recht Anspruch machen könnten. Wieviel tapfere und tugendhafte Menschen haben wir ihren Ruhm überleben gesehen, welche es erduldeten, daß in ihrer Gegenwart der Ruhm und die Glorie erlosch, die sie mit allem Recht in jüngeren Jahren erworben hatten? Und um drei Jahre eines solchen phantastischen Lebens in der Einbildung sollten wir unser wahres, wesentliches Leben in die Schanze schlagen und uns zu einem immerwährenden Tode verbinden? Der Weise setzt sich bei einer so wichtigen Unternehmung einen schöneren und gerechteren Zweck vor. Recte facti, fecisse merces est: officii fructus, ipsum officium est.23 Es wäre vielleicht einem Maler oder andern Künstler oder auch an einem Rhetoriker oder Grammatiker zu entschuldigen, wenn er Schweiß und Mühe darauf verwendete, sich durch seine Werke einen großen Namen zu machen. Handlungen der Tapferkeit und Tugend aber sind schon an und für sich zu edel, um einen andern Lohn zu suchen als in ihrem eigenen Wert, am wenigsten solchen in der Nichtigkeit menschlicher Urteile zu suchen. Wenn gleichwohl diese falsche Meinung dem Publikum dazu dient, die Menschen in ihrer Pflicht zu erhalten; wenn das Volk dadurch zur Tugend erweckt wird; wenn es den Großen der Erde zu Herzen geht, zu sehen, wie die Welt das Andenken eines Trajanus segnet und das eines Nero verwünscht, wenn es sie erschüttert, daß der Name dieses großen Scheusals, welches einst so fürchterlich und schrecklich war, jetzt durch den ersten besten Schüler, der es unternehmen will, so dreist und frei verflucht und beschimpft wird, so mag sie immerhin zunehmen und mag man sie sosehr in Ansehen erhalten, als man nur immer kann.

Und Plato, der alles anwendet, seine Bürger tugendhaft zu machen, rät ihnen gleichfalls, die gute Meinung der Völker nicht zu verachten, und sagt, es geschehe durch eine göttliche Eingebung, daß selbst nichtswürdige Menschen zuweilen in Worten und Meinungen die guten und bösen Handlungen richtig zu unterscheiden wissen. Dieser große Mann und sein Pädagog sind darum vortreffliche und kühne Werkmeister, daß sie allenthalben die göttliche Vermittelung und Offenbarung hinzutun, wo menschliche Kräfte zu kurz kämen. (Aus dieser Ursache geschah es vielleicht, daß ihn Timon spottweise den großen Orakeldrechsler hieß.) Ut tragici poëtae confugiunt ad Deum, cum explicare argumenti exitum non possunt.24 Weil die Menschen wegen ihres Unvermögens sich nicht hinlänglich mit guter Münze bezahlen können, so mag man immerhin falsche dazu nehmen. Alle Gesetzgeber haben sich dieses Mittels bedient, und gibt es keine Staatsverfassung, worin man nicht einige Beimischung fände, entweder von feierlicher Eitelkeit oder trüglichen Meinungen, welche zum Zügel dienen, um das Volk in Pflicht und Ordnung zu erhalten. Und daher kommt es, daß die meisten ihren fabelhaften Ursprung und Anfang haben und reich sind an übernatürlichen Mysterien. Das ist es, was die unechten Religionen in Aufnahme gebracht und ihnen die Gunst auch der Verständigen verschafft hat; und daher, um ihre Menschen zu besseren Gläubigern zu machen, speisten Numa und Sertorius dieselben mit der dummen Erzählung, der eine, daß ihm die Nymphe Egeria, der andere, daß ihm sein weißes Reh alle die Ratschläge von den Göttern zubrächte, welche er ihnen bekanntmache; und daher auch das Ansehen, welches Numa seinen Gesetzen, unter Vorspiegelung des Schutzes dieser Göttin, erwarb. Zoroaster, Gesetzgeber der Baktrianer und Perser, gab seine Gesetze den Seinigen unter dem Namen des Gottes Oromazes; Trismegistus den Ägyptern unter dem Namen der Vesta; Charondas, der Gesetzgeber der Chalcidier, wollte seine Gesetze vom Saturnus haben; Minos, der Gesetzgeber der Candier, vom Jupiter; Lykurg, der Lakedämonier, vom Apoll. Draco und Solon, der Athenienser, von der Minerva. Und jede Staatseinrichtung hat ihren Gott an der Spitze; einen falschen die übrigen, einen wahren diejenige, welche Moses dem jüdischen Volke beim Ausgang aus Ägypten gab. Die Religion der Beduinen, wie der Reisebeschreiber de Joinville erzählt, lehrt unter andern Dingen, daß die Seele desjenigen unter ihnen, der für seinen Prinzen stürbe, in einen andern glücklicheren, schöneren und stärkeren Körper fahre, als sein voriger gewesen: vermittelst dieses Glaubens waren sie weit williger, ihr Leben zu wagen.

 

In ferrum mens prona viris, animaeque capaces

Mortis, et ignavum est rediturae parcere vitae.25

 

Das nenne ich mir doch einen heilsamen Glauben! Laß ihn so trüglich sein, als er will! Jede Nation findet bei sich von dergleichen Beispielen mehr als eins; aber dieser Gegenstand verdient eine eigene Abhandlung. Um nur noch ein Wort über meinen ersten Satz zu sagen: Ich würde dem weiblichen Geschlecht ebensowenig raten, ihre Pflichten mit dem Namen Ehre zu belegen: Ut enim consuetudo loquitur, id solum dicitur honestum, quod est populari fama gloriosum.26 Ihre Pflicht ist das Mark; ihre Ehre ist nur die Rinde. Auch rate ich ihnen nicht, uns diese Entschuldigung als Zahlung für ihre Weigerung zu geben; denn ich setze voraus, daß ihre Absichten, ihr Wunsch und Wille, Dinge, mit denen die Ehre nichts zu schaffen hat, weil solche nicht äußerlich auffallen, noch strenger geordnet sind als ihr Tun und Lassen.

 

Quae, quia non liceat, non facit, illa facit.27

 

Das Vergehen gegen Gott und gegen das Gewissen wäre ebenso groß im Vorsatz als in der Vollbringung; und dazu noch sind es Handlungen, die ohnehin insgeheim und im verborgenen geschehen, und wäre es also sehr leicht, daß sie einige derselben der Wissenschaft anderer entzögen, wovon die Ehre abhängt, wenn sie keine andere Achtung für ihre Pflicht hätten, und für die Neigung, die sie für die Keuschheit hegen. Jeder ehrliche Mensch würde eher den Verlust seiner Ehre wählen als den Verlust eines reinen Gewissens.

 

Fußnoten

 

1 Nach Voß. Homer, Odyssee XII, 224 f.

 

2 Juvenal, Sat. VII, 81: Was ist der größte Ruhm, wenn er nichts ist als Ruhm?

 

3 Horaz, Od. IV, 9, 29: Dem Leben voll Verdienst ist vor dem Drohnenleben, vergißt man beide sie, nicht viel vorausgegeben.

 

4 Cicero, De off. III, 10: Sie sollen bedenken, daß sie Gott zum Zeugen haben, oder, welches meines Bedünkens gleichviel ist, ihr Gewissen.

 

5 Sallust, Bell. Cat. VIII: Wahrlich! Überall tyrannisiert das Glück: dieses erhebt und verdunkelt Dinge, nicht nach Wert und Verdienst, immer nach Laune und Eigensinn.

 

6 Cicero, De off. I, 4: Als ob jeder ohne Adelbrief ein Schurke wäre.

 

7 Cicero, De off. I, 19: Eine wahrhaft große und weise Denkungsart setzt jene Würde, die in allem der Regel und dem Maße der Natur folgt, nicht in Ruhm, sondern in Taten.

 

8 Ariost, Orlando XI, 81: Unstreitig hat den Rest des Winters sich in Dingen sein Heldenarm gezeigt, die meines Sanges wert. Doch meine Schuld ist's nicht, wenn diese, mir zu singen, das tiefe Schweigen, das noch heute dauert, wehrt. Dem liegt nichts dran, sein Lob in Gang zu bringen, der wie Orlando schweigt und seine Taten mehrt. So ist auch keine Tat von ihm je ausgekommen, wenn nicht ein Zeuge sie mit sich hinweggenommen.

 

9 Horaz, Od. III, 2, 17: Verdienst sieht nicht auf Schmach und Erniedrigung. Hehr strahlt es fort im ewigen Ehrenglanz. Der Würden, die ein wetterlaunisch Volk bietet und wieder entreißt, nicht achtend.

 

10 Cicero, De fin. I, 10: Nicht um irgendeines glänzenden Lohns, sondern um der Schönheit und Würde der Tugend selbst willen.

 

11 Cicero, Tusc. disp. V, 36: Ist wohl etwas Verrückteres, als auf deren Urteil im Ganzen etwas zu bauen, die man einzeln genommen für dumm und unwissend hält.

 

12 Livius XXXI, 34: Nichts verdient mehr, verachtet zu werden, als die Gesinnungen und Meinungen des großen Haufens.

 

13 Cicero, De fin. II, 15: Nach meinem Urteil muß das, was auch an sich nicht tadelnswürdig wäre, es schon dadurch werden, daß der dumme Haufen es preist.

 

14 Quintilian, Inst. I, 12: Der größte Segen, den Gott der Menschheit gab, ist, daß Ehrlichsein am längsten währt.

 

15 Ovid, Heroid. I, 18: Ich lachte, daß List öfters den eignen Herrn schlägt.

 

16 Persius, Sat. I, 47: Ich bin nicht unempfindlich für den Ruhm, so hart ist meine Fiber nicht, nur das geb' ich nicht zu, daß dein "Vortrefflich, schön!" der letzte Zweck und unsere Bestimmung sei.

 

17 Horaz, Epist. I, 16, 39: Kann der, den unverdientes Loben kitzelt und wohlverdientes Tadeln wurmt, kann der wohl anders sein als lügenhaft und falsch?

 

18 Persius, Sat. I, 5: Nicht, was das lärmende Rom lobt, das ergreife. Erst prüfe den trüglichen Ausschlag der Waage, die es führet, und suche dich niemals außer dir selbst.

 

19 Persius, Sat. I, 37: Drückt ein leichter Grabstein vielleicht nicht mehr die Gebeine? Werden im Lobe der Nachwelt der gebenedeiten Asche, werden da den Manen des Hügels Veilchen entkeimen?

 

20 Juvenal, Sat. XIII, 9: Alltägliches Tun, wie es ein jedes Wochenblatt verkündigt.

 

21 Vergil, Aen. VII, 646: Kaum ein Lüftchen des Ruhms hat unser Ohr umfächelt.

 

22 Vergil, Aen. V, 302: Die der Ruf in Dunkel gehüllt hat.

 

23 Seneca, Epist. 81: Einer rechten Tat Lohn ist, sie getan zu haben, die Pflicht ist ihre eigene Frucht.

 

24 Cicero, De nat. deor. I, 20: Wie die Tragiker die Götter bemühen, wenn sie nicht wissen, den Knoten selbst zu lösen.

 

25 Lucan I, 461: Das sind tapfere Männer, und wissen zu sterben, stürzen mit Freuden ins Schwert, nicht achtend der Dauer des Lebens.

 

26 Cicero, De fin. II, 15: Nach dem gemeinen Redegebrauch ist dasjenige Tugend, was uns unter den Menschen einen großen Namen macht.

 

27 Ovid, Amor. III, 4, 4: Die nur aus Furcht vor Schande nichts begeht, die hat es schon begangen.

Von der Gewissensfreiheit.

Man sieht sehr gewöhnlich, daß gute Absichten, wenn sie ohne Mäßigung durchgesetzt werden, die Menschen zu sehr fehlerhaften Handlungen verleiten. In dem Streit, durch welchen Frankreich anjetzt durch den bürgerlichen Krieg beunruhigt wird, ist die beste und sicherste Partei ohne Zweifel diejenige, welche die alte Religion und alte Verfassung des Landes verficht. Gleichwohl sieht man unter den redlichen Leuten, welche daran hängen (denn ich spreche nicht von solchen, die sich derselben zum Vorwand bedienen, um teils ihre persönliche Rache zu befriedigen, teils ihrem Geiz oder dem günstigen Glück der Prinzen zu folgen, sondern von denen, die aus wahrem Eifer für ihre Religion handeln und aus inniger Liebe zum Frieden und Wohl ihres Vaterlandes), von diesen, sage ich, sieht man viele, welche durch Leidenschaft die Grenzen der Billigkeit überschreiten und zuweilen ungerechte, gewalttätige und dabei unüberlegte Entschlüsse fassen. Es ist dabei wahr, daß zu den ersten Zeiten, da unsere Religion anfing, mit den Gesetzen ein hohes Ansehen zu gewinnen, der Eifer vieler Leute gegen alle Arten von heidnischen Büchern bewaffnete, wodurch die Literatur einen ungeheuren Verlust erlitten hat. Meines Bedünkens hat diese Wut der Gelehrsamkeit mehr Schaden zugefügt als alles Feuer der Barbaren. Cornelius Tacitus ist davon ein glaubwürdiger Zeuge: denn obgleich der Kaiser Tacitus, sein Anverwandter, mit seinen Annalen, durch ausdrückliches Gebot, alle Bibliotheken der Welt geziert hatte: so hat doch nicht ein einziges vollständiges Exemplar den gierigen Klauen derjenigen entwischen können, welche solche unterdrücken wollten, weil sich fünf oder sechs wenig bedeutende Stellen darin befanden, die unsere Religion nachteilig schienen. Auch das hatten sie an sich, daß sie allen Kaisern, die uns günstig waren, gern und leicht falsche Lobsprüche beilegten und durchgängig alle Handlungen derer verdammten, welche es nicht mit uns hielten, wie leicht zu ersehen ist am Kaiser Julian, dem sie den Beinamen der Apostat oder der Abtrünnige beigelegt haben. Es war in der Tat ein sehr großer und seltener Mann, ein Mann, der seine Seele mit den Grundsätzen der Philosophie erfüllt hatte und öffentlich bekannte, daß er nach solchen alle seine Handlungen einrichte; und in der Tat wüßte ich keine Art von Tugend, von welcher er nicht ein sehr merkwürdiges Beispiel hinterlassen hätte. In Absicht auf die Keuschheit, wovon der Lauf seines Lebens ein sehr helles Zeugnis gibt, liest man von ihm einen ähnlichen Zug wie vom Alexander und vom Scipio. Er wollte von verschiedenen schönen weiblichen Gefangenen nicht einmal eine einzige sehen, da er noch in der Blüte seiner Jugend stand (denn er ward von den Parthern getötet, da er noch nicht volle einunddreißig Jahre war). In Absicht auf Gerechtigkeit gab er sich selbst die Mühe, die Parteien anzuhören, und ob er gleich aus Neugierde diejenigen, die vor ihm kamen, zu fragen pflegte, von welcher Religion sie wären, so gab doch die Feindschaft, die er gegen die unsrige hegte, der Waagschale nicht den geringsten Ausschlag. Er machte selbst verschiedene gute Gesetze und erließ einen großen Teil der Subsidien oder Auflagen, welche seine Vorweser erhoben hatten.

Wir haben zwei gute Geschichtschreiber, die Augenzeugen von seinen Handlungen waren. Einer derselben, Marcellinus, erklärt sich an verschiedenen Stellen seiner Geschichte sehr bitter über eine Verordnung, durch welche er allen christlichen Rhetorikern und Grammatikern die Hörsäle verbot und verschloß, und Marcellinus sagt dabei, er wünsche, daß diese Handlung Julians in Vergessenheit begraben werden möchte. Es ist wahrscheinlich, daß wenn Julian etwas Bitteres gegen uns unternommen hätte, Marcellinus es nicht verschwiegen haben würde, weil er unserer Partei sehr geneigt war. Der Kaiser war uns freilich nichts weniger als gewogen, gleichwohl war er kein grausamer Feind, denn selbst unsere Anhänger erzählen von ihm folgende Geschichte. Als er eines Tages um die Stadt Chalcedon spazierenging, unterstand sich Maris, der Bischof des Ortes, ihn einen Gottlosen, einen Verräter Christi zu nennen. Er tat hierauf weiter nichts, als daß er ihm antwortete: "Geh, Elender, und beweine den Verlust deiner Augen!" Worauf der Bischof abermals versetzte: "Ich danke meinem Herrn Jesus Christus, daß er mir das Gesicht benommen, um dein unverschämtes Gesicht nicht zu sehen"; wobei der Kaiser, wie sie sagen, eine philosophische Geduld affektiert haben soll. Was aber auch daran sei, so kann man doch dieses nicht wohl unter die Grausamkeiten aufzählen, die er, wie man sagt, gegen uns verübt haben soll. Er war, sagt Eutropius (mein zweiter Zeuge), ein Feind der Christenheit, aber ohne Blut zu vergießen. Und um hier auf seine Gerechtigkeit zu kommen, so kann man daran weiter nichts tadeln als die Strenge, womit er im Anfang seiner Regierung diejenigen behandelte, welche der Partei des Constantinus, seines Vorwesers, gefolgt waren. Was seine Mäßigkeit anbetrifft, so führte er beständig das Leben eines Kriegsmannes und nährte sich in vollem Frieden als ein Mann, welcher sich auf die Beschwerlichkeiten und den Mangel des Krieges vorbereiten und daran gewöhnen will.

Seine Enthaltsamkeit vom Schlaf ging so weit, daß er die Nacht in drei oder vier Teile einteilte, davon er den kürzesten dem Schlaf überließ, die übrigen wandte er an, selbst in Person sein Lager und seine Wachposten zu untersuchen und zum Studieren; denn unter andern seiner seltenen Eigenschaften befand sich auch die, daß er in allen Arten von Literatur etwas Vorzügliches leistete. Man erzählt von Alexander dem Großen, daß er ein Gefäß vor sein Bett setzen lassen und aus Besorgnis, daß ihn der Schlaf in seinen Gedanken und Studieren überschleichen möchte, wenn er in seinem Bett lag, in eine seiner Hände eine kupferne Kugel nahm, die er hinaushielt, damit, wenn ihn der Schlaf überfiel und die Finger erschlaffen, das Geräusch, welches diese Kugel durch ihren Fall in das Gefäß machte, ihn aufwecke. Julian spannte seine Seele so stark auf das, was er wollte, und war durch seine besondere Enthaltsamkeit so frei von aller Benebelung, daß er dieses Kunststückchens nicht bedurfte.

In Rücksicht seiner Kriegswissenschaft war er in allem, was ein großer Feldherr wissen muß, vortrefflich. Auch war er fast sein ganzes Leben hindurch unaufhörlich mit dessen Ausübung beschäftigt, und den größten Teil desselben bei uns in Frankreich, gegen die Alemannen und Franken. Wir finden schwerlich Nachricht von einem Mann, der mehr Gefahren überstanden oder seine Person öfters bloßgestellt hätte. Sein Tod hat etwas Ähnliches mit dem Tode des Epaminondas; denn er ward von einem Pfeil getroffen und versuchte ihn auszureißen; er hatte es auch getan, da aber der Pfeil scharf war, so verwundete ihm solcher die Hand und machte sie unbrauchbar. Er befahl alsobald, daß man ihn wieder ins Treffen tragen mußte, um seine Soldaten anzufeuern, welche diese Schlacht ohne ihn sehr herzhaft so lange unterhielten, bis die Nacht die kämpfenden Heere trennte. Der Philosophie verdankte er eine sonderbare Verachtung, die er für das Leben und die Dinge dieser Welt hatte. Er glaubte fest an die Unsterblichkeit der Seele.

In Absicht der Religion war er ganz und gar tadelnswürdig. Man hat ihn den Apostaten oder den Abtrünnigen genannt, weil er die unsrige verlassen: gleichwohl scheint mir die Meinung wahrscheinlicher, daß er solche niemals in seinem Herzen gehegt habe, sondern aus Gehorsam gegen die Gesetze nur äußerlich vorgegeben, bis er zur Regierung gekommen. In der seinigen war er so abergläubisch, daß selbst seine Mitgläubigen, die zu seiner Zeit lebten, darüber spotteten; und sagte man, wenn er den Sieg über die Parther erhalten hätte, würde er das Geschlecht der Rinder in der Welt ausgerottet haben, um seiner Opferlust ein Genüge zu tun. Ebenso betört war er von den übernatürlichen Wissenschaften und begünstigte alle Arten von Wahrsagerei. Unter anderm sagte er auf seinem Sterbelager: Er wisse es den Göttern herzlichen Dank, daß sie ihn nicht hätten plötzlich sterben lassen wollen und daß sie ihm Ort und Stunde lange vorher verkündigt hätten: auch keines weichlichen oder feigherzigen Todes, der sich mehr für müßige, verwöhnte Menschen schicke, noch eines schmachtenden, langen oder schmerzhaften, und daß sie ihn würdig befunden hätten, eines edlen Todes zu sterben, auf der Bahn seiner Siege und in der Blüte seines Ruhms. Er hatte eine ähnliche Erscheinung gehabt wie Marcus Brutus, die ihm zuerst in Gallien drohte und hernach wieder in Persien, kurz vor seinem Tode, erschien. Die Worte, welche man ihm in den Mund legt, als er verwundet war: "Du hast gesiegt, Nazaräer"; oder nach andern: "Sei zufrieden, Nazaräer!", würden schwerlich vergessen worden sein, wenn solche von meinen Zeugen für wahr gehalten worden, welche sich in der Armee befanden, und alles, bis auf die geringsten Bewegungen und Worte bei seinem Ende angemerkt haben. Sie würden solche ebensowenig vergessen haben als gewisse andere Wunderbegebenheiten, die man damit verknüpft.

Und, um wieder auf mein Thema zu kommen! Er brütete schon seit langer Zeit, sagt Marcellinus, über dem Heidentum; weil aber sein Heer aus Christen bestand, wagte er es nicht laut zu werden. Als er sich endlich stark genug sah, um seinen Vorsatz öffentlich kund werden zu lassen, ließ er die Götzentempel wieder eröffnen und tat sein möglichstes, der Abgötterei die Oberhand zu verschaffen. Und um zu seinem Zweck zu gelangen, ließ er die obersten Geistlichen der Christen, von denen, wie er bemerkt hatte, das Volk in Konstantinopel sich getrennt und die wie die Kirche unter sich selbst uneinig waren, zu sich an sein Hoflager kommen und ermahnte sie dringendst, diese inneren Zwistigkeiten beizulegen und jeden ohne Hindernis und Furcht bei seiner Religion verbleiben zu lassen. Diese große Mühe gab er sich in der Hoffnung, daß jene Freiheit die Anzahl der streitenden Kabalen vermehren und das Volk verhindern würde, sich zu vereinigen, und folglich durch Eintracht und allgemeines Einverständnis sich gegen ihn zu verstärken; indem er durch die Grausamkeit einiger Christen bereits erfahren hatte, daß kein Tier dem Menschen fürchterlicher sei als der Mensch.

Das sind ungefähr seine Worte; wobei besonders merkwürdig ist, daß der Kaiser Julian sich, um die Flammen der öffentlichen bürgerlichen Unruhen anzuzünden, eben des Rezeptes der Gewissensfreiheit bediente, welches unsre Könige seit kurzem angewendet haben, um solche zu dämpfen. Einerseits kann man sagen, verschiedenen Parteien den Zügel schießen zu lassen, um in ihren Meinungen fortzugehen, heiße, den Samen der Trennung allenthalben ausstreuen und ihrer Vermehrung die Hand bieten, weil alsdann keine Macht und Zwang der Gesetze mehr vorhanden, welche der Zwietracht Ziel und Grenze setzten. Andererseits könnte man aber auch sagen, daß, wenn man den Parteien die Freiheit lasse, bei ihren Meinungen zu bleiben, man sie durch die Leichtigkeit und Bequemlichkeit abspanne und erschlaffe, und den Sporn stumpfe, der sich durch Seltenheit, Neuheit und Schwierigkeit nur immer mehr schärft. Und so will ich lieber zur Ehre der Frömmigkeit unserer Könige glauben, daß, weil sie nicht konnten, was sie wollten, sie getan haben, was sie konnten.

Was nützlich ist und was ehrlich.

Kein Mensch ist davon frei, daß er nicht zuweilen Lappereien sagen sollte, das Unglück ist nur, daß die meisten solche gar zierlich geben wollen:

 

Nae iste magno conatu magnas nugas dixerit.1

 

Mich trifft das aber nicht, die meinigen entfallen mir und machen mir ebensowenig Mühe, als sie wert sind. Das ist ihnen auch zu raten, denn sobald sie mich nur im geringsten etwas kosteten, so sagte ich ihnen alsobald Heide und Weide auf! Ich mag für solche Spielereien nicht mehr geben und nehmen, als sie wägen. Ich spreche mit meinem Papier, wie ich mit dem ersten besten spreche, den ich bei dem Knopf fasse. Daß das wahr sei, was ich sage, das ist die Hauptsache.

Wem muß die schurkische Hinterlist nicht abscheulich sein, da selbst Tiber sich ihrer nicht bedienen wollte, obgleich ihm solche so vorteilhaft werden konnte? Man schrieb ihm aus Germanien, daß, wenn er wollte, man ihm den Hermann oder Arminius durch Gift vom Halse schaffen wollte. Dies war der mächtigste Feind der Römer, welcher sie unter dem Varus so häßlich zugerichtet hatte, und der einzige, der sie hinderte, sich in jenem Lande auszubreiten. Tiberius ließ antworten, das römische Volk sei gewohnt, sich an seinen Feinden öffentlich, mit den Waffen in der Hand und nicht durch hämische List insgeheim zu rächen; er entsagte dem Nützlichen und wählte das Ehrliche. Es war, wird man mir sagen, ein Großschwätzer. Ich glaube es, das ist von Leuten seiner Profession eben kein Wunder. Aber ein Zeugnis für die Tugend ist im Munde eines Menschen, der sie haßt, nicht weniger gültig, um so mehr, weil ihm die Wahrheit solches wider Willen entreißt und er, wenn er dieselbe auch nicht in seinem Herzen aufnehmen mag, sich doch damit als mit einer Zierde bekleidet.

Unser Bauwerk, es gehe ins Große oder Kleine, ist voller Unvollkommenheit, aber in der Natur ist nichts unnütz, selbst nicht das Unnütze; in dieses Weltall ist nichts hineingelegt, das nicht an seinem rechten Platze stehe. Unser Wesen ist aus kränklichen Eigenschaften zusammengesetzt; Ehrgeiz, Eifersucht, Neid, Rachbegier, Aberglaube, Verzweiflung wohnen uns bei und haben uns in einem so natürlichen Besitze, daß das Bild davon sich sogar an den Tieren wahrnehmen läßt; ja selbst die Grausamkeit, welche ein so unnatürliches Laster ist; denn bei allem unsern Mitleiden fühlen wir doch innerlich eine gewisse sauersüße Empfindung von boshafter Wollust, wenn wir andere neben uns leiden sehen; selbst Kinder fühlen sie:

 

Suave mari magno, turbantibus aequora ventis,

E terra magnum alterius spectare laborem.2

 

Und wer den Samen dieser Eigenschaften im Menschen ausrotten wollte, würde die Hauptbedingungen unseres Lebens stören. Ebenso gibt es in allen bürgerlichen Einrichtungen notwendige Ämter, die nicht nur niedrig, sondern sogar widrig sind. Diese Widrigkeiten spielen darin ihre Rolle, und man bedient sich ihrer als Räte in unserer Verbindung, wie man sich des Gifts zur Erhaltung unserer Gesundheit bedient. Wenn sie dadurch Entschuldigung verdienen, weil sie nötig werden, und das Bedürfnis des gemeinen Wesens ihre wahre Eigenschaft vertilgt, so muß man diese Rollen von stärkeren und weniger furchtsamen Bürgern ausführen lassen, welche ihre Ehre und ihr Gewissen aufopfern, wie jene Männer des Altertums ihr Leben fürs Heil ihres Vaterlandes aufopferten; wir andern, Schwächern übernehmen gern solche Rollen, die leichter und mit weniger Gefahr verbunden sind. Das öffentliche Wohl verlangt, daß man verrate, daß man lüge und daß man metzele. Solche Aufträge wollen wir gehorsameren und geschmeidigeren Leuten überlassen.

Wahrhaftig! Ich habe oft meinen eigenen Ärger darüber gehabt, wenn ich so gesehen, daß Richter durch List oder vorgespiegelte Hoffnung von Gnade und Verzeihung den Verbrecher verleiteten, seine Tat zu bekennen, und dabei allerlei unverschämte Tücke anwendeten. Es würde der Gerechtigkeitspflege zum Vorteil gereichen und selbst dem Plato, der diesen Gebrauch begünstigt, wenn sie mir andere Mittel, die mehr nach meinem Sinne wären, an die Hand geben wollten. Es ist eine hämische Gerechtigkeit, und nach meiner Meinung wird sie durch sich selbst ebensowohl beleidigt als durch andere. Ich antwortete noch vor kurzem, daß ich kaum einen Prinzen eines Privatmanns wegen verraten möchte, dem es sehr leid tun würde, irgendeinen Privatmann eines Prinzen wegen zu verraten, und ich hasse nicht nur alle Betrügereien überhaupt, sondern ich hasse es auch, daß man sich in mir betrüge, und mag dazu nicht einmal weder Stoff noch Anlaß geben.

Bei demjenigen, was ich bei den Parteien und Unterparteien, die uns jetzt zerreißen, unter unsern Prinzen zu verhandeln gehabt habe, nahm ich keine Larve vor und trachtete sorgfältig zu vermeiden, daß sie mich nicht mißverstanden. Die diplomatischen Männer halten sich immer sehr zugeknöpft und stellen sich jederzeit so nachgebend und der Vereinigung so nahe als möglich; ich äußere immer meine Meinung aufs lebhafteste und auf eine mir ganz eigene Art, als gewissenhafter Unterhändler und als ein Neuling, der lieber seinem Geschäft als sich selbst zu nahe treten mag. Unterdessen geschah es bis auf diese Stunde mit solchem Glück (denn das Glück hat dabei den größten Anteil), daß wenige Verhandlungen mit geringerem Verdacht, mit mehr Leichtigkeit und größerer Verschwiegenheit von einer Hand in die andere gegangen sind. Ich habe eine offenherzige Weise, der es leicht wird, Beifall zu finden und sich gleich bei der ersten Bekanntschaft Glauben zu erwerben. Treuherzigkeit und reine Wahrheit fanden zu jederzeit und finden noch ihren Ort und ihre Gelegenheit, wo sie wohl angebracht sind. Dabei ist auch die Freimütigkeit solcher Menschen, welche dergleichen Geschäfte ohne allen eigenen Vorteil besorgen, wenig verdächtig und gehässig, und können solche nach aller Wahrheit die Antwort anwenden, welche Hyperides den Atheniensern gab, als sich solche über den hohen Ton seiner Sprache beschwerten: "Meine Herren, achten sie nicht darauf, ob ich frei rede, sondern darauf, ob ich es tue, ohne etwas zu nehmen und ohne dadurch meine Umstände im geringsten zu verbessern." Meine Freimütigkeit hat mich auch leicht aus allem Verdacht der Verstellung gesetzt, weil sie nachdrücklich war (denn ich sagte alles frei heraus, es mochte noch so derbe, noch so treffend sein, ich hätte hinter dem Rücken nichts Härteres sagen können) und weil ihr Unbefangenheit und Einfalt deutlich anzusehen war. Von meinen Verhandlungen suche ich keine anderen Früchte als die Verhandlungen selbst, und begehre solche nicht durch allerlei Verfänglichkeiten in die Länge zu ziehen. Jede hat bei mir ihren besondern Zweck, den sie erreichen mag, wenn sie kann. Übrigens treibt mich keine Leidenschaft, weder des Hasses noch der Vorliebe gegen die Großen, habe auch keinen weder durch Beleidigungen noch Verbindlichkeiten gebundenen Willen. Ich verehre unsere Könige mit bloß gesetzlicher und bürgerlicher Anhänglichkeit, und treibt mich kein besonderer Eigennutz, weder für noch gegen sie zu sein, wofür ich mir selbst vielen Dank weiß. Auch die allgemeine und gerechte Sache zieht mich nur mäßig und ohne Fieberhitze an sich. Ich bin eben nicht zu tiefen und engen Verbindungen und Verpflichtungen geneigt; Wut und Haß liegen nicht in den Pflichten der Gerechtigkeit, und sind Leidenschaften, welche bloß denjenigen dienen, welche nicht aus bloßen Vernunftgründen an ihren Pflichten hangen: utatur motu animi, qui uti ratione non potest.3 Alle rechtmäßigen Vorsätze sind an und für sich gemäßigt; wo nicht, so werden sie unrechtmäßig und empörend. Dieserhalben gehe ich allenthalben mit emporgerichtetem Haupt und mit offenem Gesicht und Herzen. Freilich, und ich fürchte nicht, es zu gestehen, würde ich im Notfalle dem St. Michael eine Wachskerze bringen und eine andere seinem Drachen, wenn es den Abend vorher so ausgemacht wäre; der gerechten Partei würde ich bis an den Scheiterhaufen folgen, aber nur bis hinan, wenn es bei mir stände. Mag Montaigne mit dem gemeinen Wesen zugrunde gehen, wenn es die Not heischt; wenn es aber die Not nicht heischt, so will ich es dem Glück sehr wohl nehmen, wenn er gerettet wird. Und so viel Tau, wie mir meine Pflicht in der Hand läßt, werde ich anwenden, ihn über Wasser zu halten. Rettete sich nicht Atticus, der es mit der gerechten Partei, welche unterlag, hielt, durch seine Mäßigung aus dem allgemeinen Schiffbruche der Welt, unter so vielem Wandel und Wechsel der Dinge? Privatmännern, wie er war, ist das leicht, und in solcher Art von Geschäften finde ich, daß man mit Recht und Ehrgeiz entsagen kann, sich freiwillig und von selbst in die Händel zu mischen.

Bei öffentlichen Unruhen und in den Streitigkeiten der Parteien seines Landes hin und her schwankend zu bleiben, sich zu keiner zu halten und sich durch nichts aus seinem Gleichgewicht bringen zu lassen, das finde ich weder schön noch bieder: Ea non media, sed nulla via est, velut eventum exspectantium, quo fortunae consilia sua applicent.4 Das mag in Ansehung der Streitigkeiten unter Nachbarn erlaubt sein, und Gelon, Tyrann von Syrakus, ließ solchergestalt seine Gesinnung bei dem Kriege der Barbaren gegen die Griechen unentschieden, indem er zu Delphi eine Gesandtschaft bereithielt, mit Geschenken für diejenige Partei, welcher das Glück zufallen würde, und diesem Gesandtschaftsbefehle, den Zeitpunkt des Sieges wohl wahrzunehmen, um ihn mit den Siegern zu befreunden. In eignen einheimischen Unruhen, an welchen man notwendigerweise teilnehmen muß, wäre dies eine Art von Verräterei; an einem Mann aber, der dabei weder Amt noch Befehlshaberstelle hat, finde ich es eher zu entschuldigen, wenn er nicht allenthalben hinten und vorn ist; doch bedarf ich dieser Entschuldigung nicht für mich als wie in einem fremden Kriege, an dem nach unsern Gesetzen jedermann nach eigenem Belieben teilnehmen oder nicht teilnehmen darf. Gleichwohl können diejenigen, welche sich gänzlich darauf einlassen, es mit solcher Ordnung und mit solcher Mäßigung tun, daß das Gewitter über ihren Kopf wegziehen kann, ohne sie zu beschädigen. Hatten wir nicht recht, dasselbe vom verstorbenen Bischof von Orléans, Herrn von Morvilliers, zu hoffen? Und ich kenne einige tapfere Krieger unserer Tage von so billigem und sanftem Benehmen, daß sie deswegen immer aufrecht stehenbleiben werden, was für Unfall oder traurigen Glückwechsel der Himmel uns auch vorbereitet. Nach meinem Dafürhalten ist es eigentlich nur die Sache der Könige, es mit andern Königen aufzunehmen, und lache ich über die unruhigen Köpfe, welche sich so mutwilligerweise in so ungleichen Kampf einlassen; denn man fängt mit einem Prinzen keinen persönlichen Hader an, wenn man öffentlich und herzhaft, der Ehre und seiner Pflicht wegen, gegen ihn zu Felde zieht; wenn der Prinz einen solchen Mann nicht liebt, so tut er noch etwas Besseres, er achtet ihn. Und vorzüglicherweise hat die Sache der Gesetze und die Verteidigung der alten Verfassung dies immer für sich, daß selbst diejenigen, welche aus besondern Nebenabsichten dagegen streiten, deren Verteidiger wenigstens entschuldigen, wenn sie dieselben auch nicht ehren.

Man muß aber nicht, wie wir täglich zu tun pflegen, eine innere Bitterkeit, die aus persönlichem Vorteil und Leidenschaft entspringt, Pflicht nennen; noch ein verräterisches, heimtückisches Betragen Mut und Tapferkeit. Auch nennen die Menschen ihren Hang zur Bosheit und Grausamkeit gern Eifer. Es ist nicht die vermeinte gerechte Sache, welche sie erhitzt, es ist ihr Interesse; sie zetteln den Krieg an, nicht weil der Krieg gerecht ist, sondern weil es Krieg ist.

Nichts steht im Wege, daß man sich nicht ganz gemächlich und gesetzmäßig zwischen Menschen durchbringen könne, welche einander feind sind; man benehme sich nur unter ihnen, wo nicht mit völlig gleicher Freundschaft (denn diese verträgt ein verschiedenes Maß), zum wenigsten so gemäßigt, daß man einem Teil nicht so völlig anhange, daß er von uns alles fordern könne, und begnüge man sich gleichfalls mit einem gemäßigten Anteil an der Gunst beider, und in trübem Wasser hinzugleiten, ohne darin fischen zu wollen.

Die andere Art und Weise, sich dem einen oder dem andern mit aller seiner Stärke anzubieten, ist noch weniger klug als gewissenhaft. Derjenige, dem zu Gefallen man einen verrät, dem man ebenso willkommen ist, weiß er nicht, daß man bei Gelegenheit es mit ihm ebenso machen wird? Er hält euch für einen ruchlosen Menschen; indes hört er euch an, forscht euch aus, und zieht seinen Nutzen aus eurer Unredlichkeit. Denn die Menschen, welche auf beiden Achseln tragen, sind so lange nützlich, als sie zubringen; man muß sich aber wohl hüten, daß sie nicht mehr mitnehmen, als sie sollen.

Ich sage dem einen nichts, was ich dem andern zu seiner Zeit nicht auch sagen könnte, vielleicht mit etwas verändertem Ton, und erzähle keinem, mit dem ich Verhandlung habe, andere als bekannte und gleichgültige Sachen, oder solche, die allen Teilen nützlich sind. Aber ich wüßte keinen Nutzen, weswegen ich mir erlauben möchte, ihnen eine Unwahrheit zu sagen. Was man meinem Stillschweigen anvertraut hat, das verwahre ich aufs heiligste; aber ich weiche auch soviel als möglich aus, mir Geheimnisse anvertrauen zu lassen. Es ist eine beschwerliche Arbeit für jemanden, der dabei nichts zu schaffen hat, das Geheimnis eines Fürsten zu bewachen. Ich lasse mir gern die Bedingungen gefallen, daß sie mir wenig vertrauen, aber mir fest in alledem trauen, was ich ihnen vortrage. Ich habe immer noch mehr erfahren, als ich gewollt habe. Eine offenherzige, treuherzige Rede erweckt eine ebensolche Gegenrede und macht offen und vertraut wie der Wein und die Liebe. Philippides antwortete nach meiner Meinung dem König Lysimachus sehr weise, als ihn dieser fragte: "Was soll ich dir von meinen Schätzen mitteilen?" – "Was du willst, nur keins von deinen Geheimnissen!" Ich sehe, daß jedermann es übelnimmt, wenn man ihm den Grund der Geschäfte verbirgt, wobei man sich seiner bedient, oder wenn man sich dabei einen oder den andern Punkt vorbehält; ich meinesteils aber bin damit zufrieden, daß man mir weiter nichts sage, als soviel man will, daß ich ins Licht stellen soll, und verlange nicht, daß das, was ich weiß, meine Worte überschreiten oder ängstlich machen soll. Soll ich ja als ein Werkzeug des Betrugs dienen, so lasse man wenigstens mein Gewissen aus dem Spiele. Ich verbitte es, mich für einen so treuergebenst gehorsamsten Diener zu halten, daß ich dazu tüchtig und geschickt erfunden werde, irgendeinen Menschen zu betrügen. Wer sich selbst untreu ist, der wird es auch leicht seinem Herrn. Aber es sind Fürsten, welche die Menschen nicht halb brauchen wollen und die Dienste verachten, die man ihnen mit Einschränkungen und Bedingungen leisten will. Dagegen hilft nichts. Ich sage ihnen ganz aufrichtig heraus, wie weit ich gehen kann; denn Sklave soll ich nur von der Vernunft sein, und auch das will mir nicht einmal immer glücken; und sie haben unrecht, von einem freien Mann ebensolche Unterwürfigkeit zu ihren Diensten zu fordern und ebensolche Verbindlichkeit als von einem, den sie zum Sklaven gemacht oder gekauft haben oder den das Glück ganz besonders und ausdrücklich an ihren Willen gefesselt hat. Die Gesetze haben mich einer großen Mühe überhoben; sie haben mir einen Herrn gegeben und eine Partei für mich gewählt. Alle andere Oberherrschaft und andere Verbindlichkeit, die nicht damit in Verhältnis steht, ist mir ungültig. Doch will ich damit nicht sagen, daß ich, wenn mich meine Neigung anders leiten wollte, augenblicklich die Hände dazu bieten würde. Der Wille und das Verlangen sind sich selbst Gesetz; die Handlungen aber sind den öffentlichen Gesetzen unterworfen. Dieses mein ganzes Verfahren stimmt nicht so ganz völlig mit unsern Formen überein; es möchte damit nicht auf die Dauer gut gehen und keine große Wirkungen hervorbringen; die Unschuld in leiblicher Gestalt möchte zu unserer Zeit nicht wohl ohne Verstellung negoziieren noch mit wahrem Ja und Nein feilschen und handeln können. Auch sind öffentliche Geschäfte nichts weniger als Wild für meine Lieblingsjagd. Soviel mir meine Lage davon aufträgt, leiste ich in der prunklichsten Form, die mir möglich ist. Als Kind noch ward ich bis über die Ohren hinein versenkt, und es glückte mir; indessen machte ich mich beizeiten davon los. Ich bin nachher oft der Gelegenheit ausgewichen, mich damit zu befassen, habe selten welche angenommen, nie mich dazu gedrängt und habe immer dem Ehrgeiz den Rücken zugekehrt gehalten, freilich nicht wie die Ruderleute, welche rücklings vorwärts treiben, doch auf eine solche Weise, daß wenn ich mich nicht darauf eingelassen habe, ich solches weniger meinem Entschluß als meinem guten Glück zu verdanken habe; denn es gibt Wege, die meinem Geschmack nicht so sehr zuwider und meinen Kräften angemessener sind; und wenn es mich ehedem auf diesen zum öffentlichen Dienst der Welt und dadurch zu Ansehen und Würden hätte berufen wollen, so weiß ich, daß ich über die Gründe meiner Vernunft hinweggeschritten sein würde, um dem Rufe zu folgen. Diejenigen, welche gewöhnlich gegen mein Bekenntnis sagen, was ich in meinen Sitten Freimütigkeit, Unbefangenheit und Einfachheit nenne, sei Kunst und feine Verschlagenheit und vielmehr Klugheit als Güte, mehr studiertes als natürliches Betragen, mehr Verstand als Glück, die legen mir dadurch mehr Ehre bei, als sie mir entziehen; gewiß aber machen sie meine Feinheit gar zu fein, und wer mir auf der Spur gefolgt und in der Nähe mich beleuchtet hat, dem will ich gewonnen geben, wenn er nicht eingestehen muß, daß es in ihrer Schule keine Regel gibt, welche diese natürliche Bewegung hervorbringen und den Anschein von zwangloser Freiheit behaupten könne, die bei alle den krummen und verschiedenen Wegen sich immer so gleich und unverschroben wäre, und daß all ihr Sinnen, Bestreben und alle ihre Werkzeuge es nicht bis dahin bringen können. Der Pfad der Wahrheit ist einfach und gerade; der Weg des persönlichen Nutzens und des Heils der Geschäfte, welches man auf sich hat, ist doppelt, ungerade und ungewiß. Ich habe oft eine nachgemachte, erkünstelte Freimütigkeit anwenden gesehen, die meiste Zeit aber ohne allen Erfolg. Es geht damit gern wie dem Esel beim Aesop, welcher, um dem Hund es gleichzutun, sich gar liebreicherweise mit beiden Vorderklauen über die Schultern seines Herrn herwarf; aber indessen der Hund über eine ähnliche Freundlichkeit geliebkoset ward, erhielt der arme Esel dafür doppelt soviel Prügel. Id maxime quemque decet, quod est cuiusque suum maxime.5 Ich will der Betrügerei ihre Würde nicht nehmen, das hieße sich sehr schlecht auf die Welt verstehen; ich weiß, daß sie sehr oft sehr nützliche Dienste geleistet hat und daß sie die meisten Stände der Menschen ernährt und erhält. Es gibt Untaten, die als gesetzlich erlaubt im Schwange gehen, so wie viele Handlungen, die entweder gut oder zu entschuldigen sind, von den Gesetzen bestraft werden.

Die an sich natürliche und allgemeine Gerechtigkeit hat an und für sich bessere und edlere Regeln als die andere spezielle und Nationalgerechtigkeit, welche unter dem Zwange der Staatseinrichtung steht: Veri juris germanaeque justitiae solidam et expressam effigiem nullam tenemus; umbra et imaginibus utimur.6 So meinte der weise Dandamys, als er die Lebensbeschreibung des Sokrates, Pythagoras und Diogenes vorlesen hörte, es wären in allem übrigen sehr große Männer gewesen, nur hätten sie eine zu große Unterwürfigkeit gegen die Gesetze bezeigt; weil die wahre Tugend, um die Gesetze in Ansehen zu erhalten und solche zu unterstützen, so viel von ihrer ursprünglichen Kraft aufopfern müsse, und weil verschiedene Schlechtigkeiten nicht nur durch ihre Erlaubnis, sondern durch ihre Verfügung stattfänden. Ex senatusconsultis plebisquescitis scelera exercentur.7 Ich folge der gewöhnlichen Sprache, welche einen Unterschied unter nützlichen und ehrlichen Dingen macht, indem sie natürliche Handlungen, die nicht nur nützlich, sondern auch notwendig sind, unredlich und schmutzig nennt.

Aber laß uns bei unserm Beispiel von Verräterei bleiben; zwei Prätendenten zum Thrakischen Reiche gerieten in Händel über ihre Rechte. Der Kaiser verhinderte sie, zu den Waffen zu greifen; aber einer von beiden, unter dem Vorwand, einen friedlichen Vergleich zu treffen, wenn sie sich persönlich sprächen, hatte seinen Mitwerber zu einem Gastmahl in sein Haus gebeten, ließ ihn gefangennehmen und töten. Die Gerechtigkeit verlangte, daß die Römer diese Missetat bestraft hätten; die Schwierigkeit, die dabei war, verhinderte den gewöhnlichen Weg. Was die Römer nicht gesetzmäßig, ohne Krieg und ohne Wagstück vermochten, unternahmen sie, durch eine Verräterei auszurichten; was sie auf eine redliche Weise nicht konnten, taten sie auf eine nützliche Weise, wozu sich ein gewisser Pomponius Flaccus geschickt befand. Dieser, als er unter verstellten Worten und Versicherungen den Mann in sein Netz gelockt hatte, schickte ihn, anstatt der versprochenen Ehre und Gunst, an Händen und Füßen gebunden gen Rom. Ein Verräter verriet den andern gegen die tägliche Gewohnheit; denn sie sind gewöhnlich sehr mißtrauisch und es hält hart, sie in ihrer Kunst zu übertölpeln; wie die schwere Hand der Erfahrung uns belehrt.

Sei Pomponius Flaccus wer da will, und es mag wohl viele geben, die es sein wollen. Ich meinesteils behaupte, mein Wort und meine Treue müsse, wie alle übrigen Stücke, von einem Tuch sein. Ihr bester Endzweck ist zum Dienst des gemeinen Wesens, das halte ich einmal für allemal für vorausgesetzt; eben aber so, wie wenn man mir beföhle, ich sollte Oberrichter und Prokurator und Advokat zugleich sein, ich antworten würde: Ich versteh' das nicht; oder wenn man wollte, ich sollte die Schanzgräber bei einer Festung anführen, ich sagen würde: Ich bin zu einer würdigeren Rolle berufen; ebenso wenn mich jemand gebrauchen wollte, zu lügen, zu verraten, einen Meineid zu schwören, um irgendeines wichtigen Nutzen willen, wenn auch gleich kein Meuchelmord oder keine Vergiftung dabei von mir gefordert würde, so würde ich sagen: Hab' ich jemanden beraubt oder bestohlen, so schickt mich lieber hin auf die Galeeren; denn es ist einem ehrlichen Mann erlaubt, ebenso zu reden wie die Lakedämonier in ihren Unterhandlungen mit dem, welcher sie geschlagen hatte: Du kannst uns zu schweren und drückenden Verrichtungen verdammen, das steht in deinem Willen, aber zu schimpflichen und entehrenden, das steht keinesweges, auch wenn du es noch so sehr willst, in deiner Gewalt. Jedermann muß sich selbst zugeschworen haben, was die ägyptischen Könige die Richter ihres Landes aufs feierlichste beschwören ließen, daß sie niemals ihrem Gewissen entgegenhandeln wollten, die Könige möchten ihnen auch noch so sehr das Gegenteil befehlen. Bei solchen Aufträgen liegt immer offenbar Schimpf und Schande zugrunde, und wer euch solche gibt, ist euer Ankläger, und gibt sie euch, wenn ihr es recht begreift, als Bestrafung. Soviel die öffentlichen Angelegenheiten durch eine solche Verrichtung sich bessern, ebensosehr verschlimmern sich die eurigen. Je besser ihr einen solchen Auftrag ausrichtet, je größer ist der Schimpf, den er euch zuzieht, und es wird eben nichts Neues sein, auch vielleicht nicht ohne scheinbare Gerechtigkeit, daß euch derjenige selbst bestraft, der euch dazu angestellt hat.

Wenn in irgendeinem Fall Verräterei zu entschuldigen wäre, so möchte es in dem einzigen sein, wenn sie dazu angewandt wird, einen Verräter zu verraten und zu bestrafen. Es gibt der Fälle genug, wo Verräterei nicht nur von denjenigen selbst, denen zum Besten sie geschehen sollte, abgelehnt, sondern sogar bestraft wurde. Wer kennt nicht das Urteil des Fabricius über einen Arzt des Pyrrhus?

Aber auch das findet man noch, daß jemand den Verrat befahl, und solchen hernach an dem, welchen er dazu angestellt hatte, aufs strengste bestrafte, indem er es nicht an sich kommen lassen wollte, daß er eine so grenzenlose Macht besäße und einen so niederträchtigen, knechtischen, bübischen Gehorsam verlangt habe. Jaropolk, russischer Zar, beredete einen ungarischen Edelmann, den König Boleslaus von Polen zu verraten, und ihn entweder zu ermorden oder den Russen Gelegenheit zu verschaffen, ihm eine starke Schlappe anzuhängen. Dieser Ungar übernahm die Sache mit vieler Geschicklichkeit und diente dem König noch emsiger als zuvor, so daß er in seinen geheimen Rat und unter seine Treuesten aufgenommen wurde. Bei diesen Vorzügen und weil er die gelegene Zeit wahrnahm, da sein König abwesend war, verriet er den Russen Wisilicz, eine große und reiche Stadt, welche ganz verheert und zum Schutthaufen verkehrt wurde, wobei nicht nur alle ihre Einwohner ohne Unterschied des Geschlechts und Alters niedergemacht wurden, sondern auch noch ein Teil des umherwohnenden Adels, den er des Endes dahin versammelt hatte. Jaropolk, nachdem er seine Rache und seinen Zorn, welche gleichwohl nicht ohne Grund waren (denn Boleslaus hatte ihn stark und durch ein ähnliches Verfahren beleidigt), nun an der Furcht dieser Verräterei gesättigt und die Häßlichkeit derselben nackt und bloß vor sich sah und mit kaltem, nicht weiter von seiner Leidenschaft brausenden Blicke betrachtete, empfand darüber eine so starke Reue und einen so heftigen Unwillen, daß er ihrem Vollstrecker die Augen ausstechen und Zunge und Schamteile ausreißen ließ.

Antigonus überredete die Soldaten des Argyraspides, ihm den Eumenes, ihren obersten Befehlshaber, seinen Gegner, in die Hände zu liefern. Aber kaum hatte er solchen, nachdem sie ihn überliefert, töten lassen, als er selbst den Bevollmächtigten der göttlichen Gerechtigkeit vorstellen wollte, um ein so abscheuliches Verbrechen zu bestrafen, und die Verräter den Händen des Statthalters der Provinz mit dem ausdrücklichen Befehl übergab, sie zu töten und hinzurichten, auf welche Weise es auch geschehen möge. Dergestalt, daß von der ganzen großen Anzahl dieser Soldaten nicht ein einziger den Boden von Mazedonien wieder betrat. Je besser sie ihn bedient hatten, desto boshafter und strafbarer hielt er sie.

Der Sklave des P. Sulpicius, der den heimlichen Aufenthalt seines Herrn verraten hatte, wurde, freilich nach dem Versprechen des Sylla, freigelassen, aber um zugleich dem Versprechen der Staatsgerechtigkeit genugzutun, vom tarpejischen Felsen gestürzt.

Und unser König Chlodowig ließ die drei Bedienten des Cannacres aufhängen, anstatt ihnen die goldnen Waffen zu geben, die er ihnen versprochen hatte, als er sie überredete, ihren Herrn zu verraten. Man läßt die Verräter an den Galgen hängen und bindet ihnen die Beutel an den Hals, worin sich die Bezahlung ihres Bubenstücks befindet. Wenn man seinem zweiten und besondern Versprechen ein Genüge getan, so leistet man auch dem ersten und der allgemeinen Gerechtigkeit ein Genüge.

Als Mohammed der Zweite sich wegen Sicherstellung der Thronfolge, nach dieses Stammes Gewohnheit, seines Bruders entledigen wollte, bediente er sich dazu eines Offiziers, welcher denselben dadurch aus der Welt brachte, daß er ihn eine Menge Wasser auf einmal hinunterschlucken ließ, woran er erstickte. Als das geschehen war, übergab Mohammed den Mörder zum Versöhnungsopfer des Totschlagens der Mutter des Erwürgten (denn sie waren Brüder von einem Vater und zwei Müttern). Diese schnitt in seiner Gegenwart dem Mörder den Leib auf, griff hinein und riß ihm das Herz aus, welches sie den Hunden vorwarf. Selbst solchen Menschen, die im Grunde nichts taugen, kommt es süß vor, nachdem sie einmal Vorteil aus einer schlechten Handlung gezogen haben, einen Zug von Güte und Gerechtigkeit daran heften zu können, der sie nicht viel kostet und das Ansehen gibt, als ob ihr Gewissen zarter geworden sei und sie sich bessern wollten. Dazu kommt noch, daß sie die Werkzeuge solcher scheußlichen Untaten als Leute betrachten, die ihnen solche vorwerfen und daher durch ihren Tod die Zeugen und Mithelfer dieser schändlichen Ränke aus der Welt schaffen.

Oder wenn man vielleicht einem Verräter den Lohn seiner Mühe erteilt, um im Notfall für das Wohl des Staates ein solches außerordentliches und verzweifeltes Mittel wieder anwenden zu können, so hält derjenige, der diesen Lohn erteilt, den Verräter, wenn er es nicht selbst ist, für ein verruchtes Scheusal und verabscheut ihn noch weit mehr als selbst derjenige, an welchem er den Verrat verübte. Denn er greift ja die Bosheit des Verräters mit Händen, der sich gegen ihn keinesweges verstellen kann; gleichwohl bedient er sich seiner, gerade wie man sich eines verlornen Menschen bedient als eines Vollstreckers der Urteile des Kriminalrichters, welches zwar ein nützliches Gewerbe ist, aber dennoch für unehrlich gehalten wird. Außer der Schimpflichkeit solcher Aufträge läuft auch etwas mit unter, was das Gewissen befleckt. Als die Tochter des Sejanus, nach gewissen rechtlichen Formen, die in Rom üblich waren, nicht mit dem Tode bestraft werden konnte, weil sie Jungfrau war, ward sie, um den Rechten freien Weg zu lassen, vom Nachrichter geschwächt, bevor er sie erdrosselte; nicht nur die Hand, sondern auch die Seele eines solchen Büttels sind blinde Werkzeuge, deren sich der Staat zu seiner Bequemlichkeit bedient.

Als Amurath der Erste, um die Strafe derjenigen noch peinlicher zu machen, welche zu dem vatermörderischen Aufruhr seines Sohnes die Hände gereicht hatten, befahl, daß die nächsten Anverwandten diese ihre Hinrichtung mit eigenen Händen vollziehen sollten, fanden sich einige dieser Verwandten, welche sich lieber ungerechterweise für Mitschuldige des Vatermordes halten lassen als der Gerechtigkeit durch eignen Verwandtenmord dienen wollten, und das war nach meiner Meinung ehrlich gehandelt. Und wenn ich in einigen elenden Festungen, die man zu meiner Zeit einnahm, Schurken gesehen habe, welche, um ihr Leben zu schonen, sich es gefallen ließen, ihre Freunde und Mitgenossen aufzuhängen, so habe ich sie für elendere Geschöpfe gehalten als die gehängten. Man sagt, daß Witthold, ein litauischer Fürst, bei seiner Nation die Gewohnheit einführte, daß ein zum Tode verurteilter Verbrecher sich mit seiner eignen Hand abtun müsse, weil er es für unbillig hielt, daß ein Dritter, an dem Vergehen Unschuldiger, sein Gewissen mit einem Menschenmord belästigen sollte.

Ein Fürst, der durch dringende Umstände oder durch irgendeinen unerwartet hereinbrechenden Zufall, der seinen Staat in Gefahr setzt, sich genötigt sieht, sein Wort und seine Zusage zu brechen oder sonst auf eine andere Weise gegen seine gewöhnlichen Pflichten zu handeln, muß diese Notwendigkeit für eine göttliche Strafrute halten. Laster ist es nicht, denn er hat seinen eigenen Willen und seine eigene Meinung dem allgemeinen und stärkern Willen unterworfen; aber ein Unglück ist es gewiß. Und einem, der mich fragte, was ist dagegen für ein Mittel, antwortete ich: "Gar keins, wenn er wirklich zwischen beiden Extremen keine Wahl hatte." Sed videat, ne quaeratur latebra periurio.8 Er mußte so handeln; handelte er aber so ohne Widerwillen, war ihm wohl dabei zumute, da er so handelte, so ist das ein Zeichen, daß es mit seinem Gewissen mißlich steht. Fände sich einer, dessen Gewissen so zart wäre, daß ihm keine Heilung eines so verzweifelten Mittels wert schiene, den würde ich deswegen nicht weniger verehren. Er könnte sich auf keine ruhmwürdigere und redlichere Weise zugrunde richten. Wir können nicht alles, so oder so müssen wir oft unser Schiff der bloßen Führung des Himmels, als dem letzten Notanker, anvertrauen. Welcher gerechteren Not spart ein solcher Fürst sich auf? Was ist ihm weniger möglich zu tun als das, was er nicht anders als auf Kosten seiner öffentlichen Treue und seiner Ehre tun kann? Dinge, welche ihm vielleicht lieber sein müssen als seine eigene zeitliche Wohlfahrt und die Wohlfahrt seines Volks. Wenn er mit in den Schoß gelegten Händen weiter nichts tut, als Gott um seine Hilfe anrufen, muß er da nicht hoffen, daß die göttliche Güte ihre außerordentliche Hilfe einer reinen und gerechten Hand am wenigsten versagen werde? Es sind gefährliche Beispiele; seltene und ungebührliche Ausnahmen von unsern natürlichen Regeln; man muß ihnen nachgeben, aber mit großer Mäßigung und Behutsamkeit. Kein persönlicher Vorteil verdient, daß wir ihm zu Gefallen diesen Zwang unserm Gewissen antun; der Vorteil des Staats mache es, wenn er sehr offenbar und sehr wichtig ist.

Timoleon stellte sich glücklich in Sicherheit, aber das Auffallende bei seiner Tat, dadurch, daß er helle Tränen weinte und sich erinnerte, daß eine brüderliche Hand den Tyrannen getötet habe, das war es, was billigerweise sein Gewissen folterte, daß er in der Notwendigkeit gewesen, die öffentliche Wohlfahrt um den Preis der Ehrlichkeit seiner Sitten zu erkaufen. Der Senat selbst, der durch ihn von der Dienstbarkeit befreit worden, wagte es nicht, über eine so ungewöhnliche Tat geradehin zu entscheiden, und war über diesen doppelten Gesichtspunkt derselben in großer Uneinigkeit und Verlegenheit. Als aber die Syrakuser gerade um diese Zeit Gesandte geschickt hatten, um die Korinther um ihren Schutz und um einen Feldherrn zu bitten, der es würdig sei, ihre Stadt wieder in ihrem vorigen Glanz herzustellen, und Sizilien von verschiedenen Tyrannen zu säubern, die es drückten, so deputierte der Rat den Timoleon mit dieser etwas neugewendeten Erklärung: je nachdem er sich wohl oder übel in seiner neuen Stelle betrüge, würde ihr künftiger Ausspruch entweder zugunsten des Befreiers seines Vaterlandes oder zum Nachteil des Brudermörders ausfallen. Diese grillenhafte Entscheidung läßt sich wohl ein wenig entschuldigen; wegen der Gefahr des Beispiels und wegen der Wichtigkeit einer Tat, die auf so widersprechenden Gründen beruht, tat der Senat recht, darüber sein Urteil von sich abzuwenden und auf etwas anderes zu stützen und von andern Erwägungen abhängig zu machen. Nun aber brachte das Betragen des Timoleon auf dieser Reise ein helleres Licht in seine Sache; denn er betrug sich in allen seinen Unternehmungen und in allen Rücksichten höchst edel und würdig. Und das Glück, welches ihn bei den schwierigsten Unternehmungen begleitete und womit er alle überwand, schien ihm von den Göttern zugesandt zu sein, seine völlige Rechtfertigung zu begünstigen. Der Endzweck der Tat des Timoleon entschuldigt sie, wenn irgendeine entschuldigt werden kann.

Der Vorteil aber, die öffentliche Einnahme zu vermehren, welche der römische Senat bei jener schmutzigen Entscheidung zum Vorwand nahm, die ich im Begriff bin zu erzählen, war nicht wichtig genug, einer solchen Ungerechtigkeit ein Mäntelchen umzuhängen. Gewisse Städte hatten sich auf Verordnung und mit Bewilligung des Senates aus den Händen des L. Sulla losgekauft und für einen bestimmten Preis wieder frei gemacht. Als die Sache von neuem zur Umsprache kam, unterwarf sie der Senat durch seinen Ausspruch von neuem allen Abgaben und erklärte sie des für ihre Freiheit gezahlten Lösegeldes verlustig. Die bürgerlichen Kriege erzeugen oft solche schändliche Beispiele, daß wir die Menschen bestrafen, weil sie uns für ehrlich gehalten haben, wenn wir es nicht waren, und daß ein und derselbe Richter uns die Folgen seiner Sinnesänderungen fühlen läßt, wofür wir nichts konnten. Der Schulmeister stäupt seinen Schüler wegen seiner Gelehrigkeit und der Leiter seinen Blinden; entsetzliches Bild der Gerechtigkeit.

In der Philosophie gibt es falsche und unhaltbare Regeln. Das Beispiel, welches man uns vorlegt, um den persönlichen Vorteil wichtiger zu machen als die gegebene Zusage, erhält von den Umständen, unter welchen man den Fall voraussetzt, nicht Gewicht genug. Räuber haben uns gefangen, in Freiheit gesetzt und einen Eid abgenommen, ihnen eine gewisse Summe zu bezahlen. Man hat unrecht, zu sagen, daß ein ehrlicher Mann seinen Eid nicht zu halten und das Geld nicht zu bezahlen brauche, wenn er ihren Händen entgangen ist. Das ist falsch. Das, was die Furcht mich einmal hat wollen lassen, bin ich gehalten, auch ohne Furcht zu wollen, und hätte die Furcht auch nur meine Zunge gezwungen, ohne den Willen, so bin ich dennoch gehalten, meinen Worten treu zu sein. Was mich betrifft, wenn zuweilen meine Zunge unüberlegterweise früher gesprochen, als ich gedacht hatte, habe ich mir dennoch immer ein Gewissen daraus gemacht, sie Lügen zu strafen. Sonst würden wir nach und nach dahin geraten, alle Rechte zu vernichten, die ein Dritter aus unsern Versprechungen erhält. Quasi vero forti viro vis possit adhiberi.9

In einem einzigen Punkt hat das persönliche Interesse das Gesetz für sich, und wir können uns mit gutem Gewissen berechtigt halten, unsere Zusage zu brechen, wenn wir nämlich etwas, das an sich unrecht und schädlich ist, versprochen haben. Denn das Recht der Tugend geht dem Rechte unserer Verbindlichkeit vor.

Oben habe ich den Epaminondas auf die höchste Stufe vortrefflicher Menschen gesetzt, und nehme mein Wort nicht zurück. Bis wie weit kam bei ihm die Erwägung seiner eigenen Pflichten in Anschlag? Niemals tötete er einen Menschen, den er überwunden hatte. Nicht einmal des unschätzbaren Gutes wegen, seinem Vaterland die Freiheit wieder zu schaffen, konnte er es über sein Gewissen bringen, einen Tyrannen oder seine Helfershelfer ohne vorgängige gerichtliche Untersuchung zu töten, und hielt denjenigen für einen schlechten Menschen, so ein guter Bürger derselbe übrigens auch sein mochte, der unter seinen Feinden und selbst in der Feldschlacht seinen Freund oder nur Gastfreund nicht verschonte. Er hatte wirklich eine höchst vortreffliche Seele. Er vereinigte mit den härtesten, gewaltsamsten Handlungen der Menschheit Güte und Menschenfreundlichkeit, ja die allersanfteste, die man nur in der Schule der Philosophen lernen kann. War es Natur oder Kunst, welche diesen so großen Mut, der sich gegen Schmerz, Tod und Armut so mächtig steifte, bis zu dem Grade einer außerordentlichen Sanftheit und Gutherzigkeit abschliff? Fürchterlich durch Stahl und Blut beugte und demütigte er eine Nation, welche jedem unüberwindlich war, nur ihm nicht, und ließ mitten in dem Getümmel solcher Schlacht seine Freunde und Gastfreunde unversehrt davonkommen. Traun, der schickt sich wohl am besten zum Führer des Krieges, der solchem das Gebiß der Sanftmut im Augenblick seiner größten Hitze ins Maul legen kann, so erhitzt er auch sei und so sehr er vor Wut und Blutdurst schäumen mag. Es ist höchst selten, mit dergleichen Handlungen nur einigen Schein von Gerechtigkeit verbinden zu können; aber allein der Unbiegsamkeit des Epaminondas war es möglich, Sanftheit und Leichtigkeit der weichsten Sitten und der reinsten Unschuld damit zu verbinden. Pompejus sagte zu den Mamertinern, daß Statuten gegen bewaffnete Menschen keine Gültigkeit hätten, Cäsar zu einem Tribun des Volks, daß die Zeiten der Gerechtigkeit und die Zeiten des Krieges ganz verschieden wären, Marius, das Geräusch der Waffen hindre ihn, die Stimme des Gesetzes zu vernehmen; Epaminondas aber ward nicht einmal verhindert, die Stimme der Höflichkeit und Gesittetheit zu vernehmen. Borgte er nicht von seinen Feinden den Gebrauch, den Musen zu opfern, wenn er in den Krieg zog, um durch ihre holde Sanftmut die Heftigkeit und Wut des Krieges zu mildern? Laßt uns nach einem so großen Lehrer nicht fürchten, die Meinung zu gestehen, daß man sich gewisse Dinge selbst gegen den Feind nicht erlauben dürfe; daß das gemeinsame Interesse nicht alles von allen gegen das persönliche Interesse verlangen dürfe; manente memoria, etiam in dissidio publicorum foederum, privati juris10;

 

Et nulla potentia vires

Praestandi, ne quid peccet amicus, habet11,

 

und daß einem Biedermann weder für den Dienst seines Königs noch für das allgemeine Beste und die Gesetze gleich alles erlaubt sei. Non enim patria praestat omnibus officiis, ... et ipsi conducit pios habere cives in parentes.12 Es ist eine Lehrvorschrift zu rechter Zeit. Wir brauchen unsere Herzen nicht durch eiserne Klingen zu verhärten; genug, wenn unsere Schultern nur eisern sind, genug, daß wir unsere Federn in Tinte tunken, wozu soll das Schreiben mit Blut? Wenn es Größe des Mutes ist und Wirkung einer sonderbar ausgezeichneten, seltenen Tapferkeit, die Freundschaft zu verachten, seiner geselligen Verhältnisse, Verwandten und Zusagen wegen des allgemeinen Bestens und des Gehorsams gegen die Obrigkeit zu vergessen, so kann es uns wahrhaftig schon hinlänglich entschuldigen, wenn wir nach dieser Größe nicht sehr lüstern sind, daß sie sich mit dem Mut des Epaminondas nicht vertragen konnte. Ich verabscheue das wütende Aufhetzen jener andern schändlichen Seele:

 

...Dum tela micant, non vos pietatis imago

Ulla, nec adversa conspecti fronte parentes

Commoveant; vultus gladio turbate verendos.13

 

Laß uns den ruchlosen, blutgierigen und falschen Gemütern diesen Vorwand des Rechts benehmen! Fort mit dem ungeheuren Rechte, das an sich selbst nagt, und halten wir uns an menschlichere Nachbildungen. Wieviel vermögen nicht Zeit und Beispiele! In einem Scharmützel während des bürgerlichen Krieges gegen den Cinna hatte ein Soldat des Pompejus, ohne es zu wollen, seinen Bruder getötet, der sich in der Gegenpartei befand, und erstach sich selbst auf der Stelle vor Scham und Reue. Einige Jahre nachher, während eines andern bürgerlichen Krieges unter demselben Volk, begehrte ein anderer Soldat von seinen Anführern eine Belohnung dafür, daß er seinen Bruder getötet habe.

Man urteilt nicht richtig von der Schönheit und Rühmlichkeit einer Tat, wenn man bloß auf ihren Nutzen Rücksicht nimmt, und es ist ein Fehlschluß, wenn man meint, wenn eine Tat nur nützlich sei, so sei gleich jedermann dazu verpflichtet, und sei sie für jedermann ehrlich:

 

Omnia non pariter rerum sunt omnibus apta.14

 

Wir wollen die notwendigste und nützlichste Verbindung des geselligen Lebens zum Beispiel nehmen, das ist der Ehestand. Gleichwohl hat man im Rat der Heiligen das Gegenteil ausgemacht! Hält den ehelosen Stand für ehrlicher und untersagt den Ehestand der ehrwürdigsten Klasse von Männern, gerade als ob wir in unsern Stutereien nur die schlechtesten Hengste zu Beschälern aufstellen wollten.

 

Fußnoten

 

1 Terenz, Heaut. III, 5, 8: Mit aller Macht will dieser Mensch Salbadereien sagen.

 

2 Lucrez II, 1: Wenn hoch die brausenden Winde des Meeres Wogen erheben, sieht der am Strande mit Lust dem Kampf der Schiffenden zu.

 

3 Cicero, Tusc. disp. IV, 25: Wen die Vernunft nicht treibt, der lasse sich durch Leidenschaft treiben.

 

4 Nach Livius XXXII, 21: Das ist kein Mittelweg, sondern gar ein Umweg; als wollte jemand erst den Erfolg abwarten, um darnach seine Maßregeln zu nehmen.

 

5 Cicero, De off. I, 31: Einem jeden steht das am besten an, was ihm am eigentümlichsten ist.

 

6 Cicero, De off. III, 17: Ein recht volles, treffendes Bild des wahren Rechts und der echten Gerechtigkeit haben wir nicht; wir müssen uns mit einem Schattenrisse behelfen.

 

7 Seneca, Epist. 95: Durch Beschlüsse des Rats und des Volks werden Verbrechen geheiligt.

 

8 Cicero, De off. III. 29: Aber er sehe zu, daß er seiner Eidbrüchigkeit nicht ein Schlupfloch grabe.

 

9 Cicero, De off. III, 30: Als wenn man einem tapferen Mann Gewalt antun könnte.

 

10 Livius XXV, 18: Auch unter Trennungen öffentlicher Bündnisse kann das Andenken an Privatgerechtsame noch fortdauern.

 

11 Ovid, De Ponto, I, 7, 37: Keine Macht ist so mächtig zu machen, daß, was ein Freund verbricht, Freundschaftsverbrechen nicht sei.

 

12 Cicero, De off., III, 23: Denn nicht allen Pflichten geht das Vaterland vor. Und dem Vaterland selbst liegt daran, gute und ihren Eltern gehorsame Kinder zu Bürgern zu haben.

 

13 Cäsar bei Lucan, VII, 320: Solange ein Schwert noch blinkt, laßt keine zärtliche Szene, nicht den Blick der Eltern, auf euch gerichtet, euch rühren, schwingt dreist das Schwert um Häupter durch Ehrfurcht geheiligt.

 

14 Properz III, 9, 7: Nicht alles hat Schick und Ordnung für alle.

Über die Nachteile, welche mit Hoheit und Größe verknüpft sind.