In meiner Jugend hab' ich mich oft darüber ereifert, wann ich in der italienischen Komödie beständig einen Pedanten als lustige Person auftreten sah und dabei bemerkte, daß die Benennung Magister bei uns eben keine ehrenvolle Bedeutung enthielt. Denn, da ich ihnen zur Aufsicht übergeben war, was konnte ich weniger tun, als für ihre Ehre zu eifern? Ich gab mir alle Mühe, sie wegen der natürlichen Mißhelligkeit im Betragen zwischen dem rohen Haufen und den seltenen Personen von vorzüglichem Verstand und Wissenschaften zu entschuldigen; um so mehr, da zwischen beiden eine ganz entgegengesetzte Lebensweise obwaltet. Darin aber steckte für mich ein unauflösliches Rätsel, daß die wackersten Männer gerade diejenigen waren, bei denen sie in ärgster Verachtung standen. Ich will nur unsern guten Du Bellay anführen.

 

Mais je hay par sur tout un sçavoir pedantesque.1

 

Beidem ist die Gewohnheit schon alt, denn Plutarch sagt, Grieche und Gelehrter wären bei den Römern Spottnamen. Nachmals bei zunehmendem Alter habe ich gefunden, daß man eine sehr große Ursach hatte und daß magis magnos clericos non sunt magis magnos sapientes.2 Wie es aber zugehe, daß eine mit den Kenntnissen von so vielen Dingen bereicherte Seele nicht lebendiger, nicht tätiger werde und daß ein plumper Geist die Gedanken und Urteile der vortrefflichsten Köpfe, welche die Welt hervorgebracht hat, auswendig lernen könne, ohne sich zu bilden, das begreife ich noch jetzt nicht. Wer so viele fremde große und starke Gedanken aufnehmen und beherbergen soll, sagte mir ein junges Fräulein, erste Hofdame unserer Prinzessinnen, als sie auf jemand zu reden kam, muß notwendig seine eigenen zusammendrängen und in die Enge ziehn, um den anderen Platz zu machen. Ich möchte gern sagen: gleichwie die Pflanzen von zu vieler Geilung ersticken und die Lampen von zu viel Öl verlöschen, so geht's dem Verstand bei zu vielem Studieren und zu vielen Materien, indem er bei zu großer Verschiedenheit von Gegenständen sich abstumpft und verwirrt und darüber versäumt, sich zu entwickeln; und diese Last verkrümmt und verkrüppelt ihn. Aber, es befindet sich ganz anders, denn unsere Seele erweitert sich in dem Maße, als sie sich anfüllt; und aus den Beispielen des Altertums sieht man ganz im Gegenteil, daß die fähigsten Männer zur Besorgung der öffentlichen Geschäfte, die größten Feldherrn und große weise Ratgeber in Staatssachen dabei zugleich für ihre Zeiten sehr gelehrt waren.

Was diejenigen Philosophen anbetrifft, die sich aller öffentlichen Geschäfte entschlagen, so sind solche freilich zuweilen durch die Freiheit der Bühne zu ihrer Zeit dem Gelächter preisgegeben, weil ihre Meinungen und ihre Sitten sie lächerlich machten. Wollt ihr sie zu Richtern in einem Prozeß machen, wer recht hat? Über die Handlungen eines Menschen? Da werdet ihr übel ankommen! Sie untersuchen noch, ob Leben, ob Bewegung in der Natur vorhanden, ob der Mensch etwas anderes sei als ein Ochs; was es sei: Handeln und Leiden; was Gesetze und Gerechtigkeit für Tiere sind. Reden sie von einer obrigkeitlichen Person oder sprechen sie mit ihr, so geschieht es mit unehrerbietiger, unhöflicher Freiheit. Hören sie einen Prinzen oder einen König preisen, so ist's für sie ein Hirt, untätig wie ein anderer Hirt, mit nichts beschäftigt, als seine Herde zu melken und zu scheren, nur plumper noch. Und schätzt man etwa einen Mann etwas höher, weil er zweitausend Acker Feldes bebaut, so werden sie höhnisch; denn sie haben sich gewöhnt, die ganze Welt als ihr Eigentum zu betrachten.

Rühmt sich jemand seines Adels, weil er sieben reiche Ahnherrn zählt, so achten sie ihn wenig, weil er keine richtigen Begriffe vom allgemeinen Bild der Natur hat, nicht bedenkt, wieviel jeder von uns Vorfahren gehabt hat, worunter Reiche, Arme, Könige, Knechte, Gebildete und Ungebildete sich befinden. Und wäre einer der fünfzigste Enkel von Herkules, sie schelten ihn eitel, wenn er auf dieses Geschenk des Glücks irgend einigen Wert setzt. Also verachtete sie der Ungelehrte als Leute, welche die ersten und gemeinsten Dinge nicht verständen und dabei eingebildet und hochmütig wären. Allein dies platonische Gemälde ist weit von dem verschieden, welches auf unsere Männer paßt. Jene beneidete man als solche, die über die gemeinen Dinge erhoben wären und öffentliche Geschäfte verachteten und als Menschen, welche sich eine sonderbare unnachahmliche Lebensart vorgeschrieben, die sich auf Regeln gewisser übermütiger Einbildungen steife und der Gewohnheit zuwider sei: diese verachtet man, weil sie sich unter der gewöhnlichen Lebensart halten, weil sie zu öffentlichen Geschäften untauglich sind, weil sie von noch niedrigeren Sitten sind als der ungelehrte Haufen: Odi homines ignava opera, philosopha sententia.3 Was jene Philosophen anbetrifft, sag' ich: so wie sie groß waren in Wissenschaften, so waren sie es auch, und noch größer, in allen Handlungen des Lebens.

Und ebenso, wie man von dem syrakusanischen Geometer sagt (welchen man in seinen Rechnungen störte, damit er etwas zur Verteidigung seines Vaterlandes erfinden und ins Werk setzen möchte), daß er unverweilt solche fürchterliche Werkzeuge zustande brachte, die solche Wirkung taten, daß sie allen menschlichen Glauben überstiegen – und er gleichwohl selbst auf diese seine Erfindung mit Gleichgültigkeit herabsah und meinte, er habe damit die Würde seiner Kunst erniedrigt, für welche seine Werke nichts weiter wären als Lehrlingsarbeit und leichte Spielerei –: also auch jene, wenn man sie zuweilen auf die Probe des Handelns gestellt hat, so hat man sie einen so hohen Flug nehmen sehn, daß man wohl wahrnehmen konnte, ihr Herz und ihre Seele hätten sich durch ihre großen Kenntnisse bis zum Bewundern erweitert und bereichert. Dabei aber, weil sie sahen, daß die Stellen der politischen Regierung von unfähigen Menschen eingenommen waren, haben sie sich davon entfernt. Und derjenige, welcher den Crates fragte, wie lange das Philosophieren getrieben werden müsse, erhielt folgende Antwort: Solange bis es keine Eseltreiber mehr sind, die unsere Kriegsheere anführen. – Heraklit trat seinem Bruder die königliche Regierung ab. Und den Ephesern, welche ihm darüber Vorwürfe machten, daß er vor den Tempeln mit den Kindern spiele, antwortete er: Ist es nicht besser, dies zu tun, als in euerer Gesellschaft den Staat regieren? Andere, deren Ideen höher hinaufstiegen, als die Güter dieser Welt reichen, achteten die Richtstühle der Gerechtigkeit und selbst die Throne der königlichen Würden für niedrig und gering. Und Empedokles schlug die königliche Krone aus, welche die Agrigentiner ihm anboten.

Thales sprach zuweilen verächtlich von den Sorgen der Nahrung und der Begierde, reich zu werden. Man rückte ihm vor, es ginge ihm wie dem Fuchs, der nicht die Beeren erreichen konnte und sie also für sauer verschrie. Nun kam ihn die Lust an, ihnen, bloß zum Zeitvertreib, das Gegenteil zu weisen, und nachdem er, für das Mal, seine Wissenschaft bis zum Dienst des Gewinnes herabgewürdigt hatte, leitete er einen Handel ein, der ihm in Zeit von einem Jahr solche Reichtümer einbrachte, daß die Erfahrensten in diesem Gewerbe kaum in ihrem ganzen Leben dabei so viel hatten gewinnen können. Aristoteles erzählt von einigen, die jenem und dem Anaxagoras und ihresgleichen gesagt hätten, sie wären wohl weise gewesen, aber nicht klug, weil sie für nützlichere Dinge nicht Sorge genug getragen; abgesehen davon, daß ich diesen Unterschied unter den Worten nicht wohl verdauen kann, so dient es auch meinen Männern zu keiner Entschuldigung; und in Erwägung des dürftigen und kleinlichen Gehalts, womit sie sich abspeisen lassen, hätten wir vielmehr Anlaß zu sagen, sie wären keins von beiden, weder weise noch klug.

Ich lasse diese erste Ursache fallen und glaube, es sei besser zu sagen, dies Übel entstehe aus ihrer schlechten Art, sich mit den Wissenschaften zu benehmen, und daß nach der gewöhnlichen Weise, wie wir unterrichtet werden, es kein Wunder ist, wenn weder Schüler noch Lehrer dadurch nicht weiser, obgleich gelehrter werden.

Wirklich zielt die Sorge und der Aufwand unserer Väter für uns auf weiter nichts ab, als uns den Kopf mit Wissenschaften anzufüllen. Den Verstand und das Herz zu bilden, daran wird nicht gedacht. Ruft dem Volk von einem Vorübergehenden zu: O der gelehrte Mann!, und bei einem zweiten: O der gute Mann! Es wird sich nicht abhalten lassen, seine Blicke und seine Verehrung auf den ersten zu richten. Ein dritter hatte recht zu rufen: O der Schafsköpfe! – Wir pflegen gemeiniglich zu fragen: Weiß er Griechisch? Weiß er Latein? Macht er Verse oder schreibt er in Prosa? Ob er aber besser oder verständiger geworden sei, welches doch wohl die Hauptsache wäre, das bleibt linker Hand liegen! Wir sollten uns erkundigen, welches der nützlichste Gelehrte, nicht wer der größte Gelehrte sei. Wir arbeiten nur darauf, das Gedächtnis vollzupfropfen, und lassen Verstand und Gewissen leer. Gerade wie die Vögel zuweilen ausfliegen, Körner aufzupicken und sie im Schnabel halten, ohne sie zu kosten, um damit ihre Jungen zu ätzen, so plündern unsere Pedanten die Wissenschaft aus Büchern, fassen sie aber nur auf den Rand der Lippen, um sie wieder auszuspein und dem Wind zu übergeben. Es ist sehr lustig, wie sich die Torheit so ganz natürlich an mein eigenes Beispiel heftet. Ist es nicht ebendasselbe, was ich an den meisten Stellen dieses Buches tue? Da schlendere ich herum und picke bald aus diesem, bald aus jenem Buch einen Spruch, der mir gefällt, nicht um ihn aufzubewahren, denn ich habe keine Vorratskammer, sondern ihn in dieses überzutragen; wo er gleichwohl, die Wahrheit zu sagen, ebensowenig mir gehört als an seiner ersten Stelle.

Wir sind, so glaub' ich, nur gelehrt in der Wissenschaft des Gegenwärtigen, nicht des Vergangenen, ebensowenig als des Zukünftigen. Was aber das ärgste ist, auch von ihr ziehen weder Meister noch Jünger die mögliche Nahrung, sondern sie geht bloß von Hand zu Hand, zum einzigen Zweck, damit zu prunken, davon zu sprechen und Erzählungen daraus zu ziehn, wie geprägte Zahlpfennige, unnütz zu allem übrigen Gebrauch als zum Rechnen und Zählen. Apud alios loqui didicerunt, non ipsi secum.4 Non est loquendum, sed gubernandum.5

Die Natur, um zu zeigen, daß bei ihrem Verfahren allemal die weisesten Regeln zugrunde liegen, läßt oft bei solchen Nationen, welche die wenigste Kunstbildung haben, Geistesprodukte erscheinen, welche mit Produkten der größten Kunst um den Vorzug streiten. Wie auf meine Materie das gaskognische von einer Schalmei her entnommene Sprichwort sehr fein sagt: Das Blasen kann ich auch, aber beim Fingern hapert's. "So sagt Cicero"; "das sind die Sitten des Plato"; "das sind die eigenen Worte des Aristoteles": das können wir freilich! Was sagen wir aber selbst, wir? Was tun wir? Was ist unser Urteil? Wissen wir denn nichts mehr zu sprechen als ein Starmatz?

Dieses Benehmen erinnert mich an den reichen Römer, der sich's angelegen sein ließ, mit großen Kosten Männer, die in aller Art Wissenschaft beschlagen waren, zusammenzubringen, die beständig um ihn sein mußten, damit, wenn er unter seinen Freunden Anlaß hätte, von der einen oder der anderen zu reden, sie statt seiner auftreten und allezeit fertig sein sollten, bald einen bündigen Spruch, bald einen Vers aus dem Homer zu liefern, je nachdem was ein jeder in seinem Kopfe vorrätig hätte; und dabei glaubte, diese Gelehrsamkeit sei seine eigene, weil solche in den Köpfen seiner Leuten stecke. So, wie es auch diejenigen machen, deren ganzes Wissen in ihrem kostbaren Büchervorrat liegt. Ich kenne einen solchen, welcher, wenn ich frage, ob er dies oder jenes weiß, mir ein Buch abfordert, um es darin aufzusuchen, und sich nicht getraut, mir zu sagen, er habe die Krätze am After, ohne auf der Stelle im Wörterbuch unter A und K nachzuschlagen, was After und was Krätze heißt. Wir stellen uns zur Hut und Wache über Fremder Wissen und Meinungen und lassen es damit gut sein; zum Eigentum sollten wir uns solche machen!

Wir gleichen eigentlich jenem Mann, der des Feuers bedürftig, zu seinem Nachbar ginge, um welches zu holen, und wann er bei demselben ein hübsches, hellbrennendes Feuer fände, sich dabei niedersetzte, sich wärmte und nun weiter nicht daran dächte, welches mit nach Hause zu nehmen. Was hilft's uns, den Magen mit Speisen zu füllen, wenn sie nicht verdaut werden, sich nicht in Nahrungssaft wandeln? Wenn sie uns nicht Wachstum und Kräfte geben? Können wir glauben, daß Lukullus, den das Studieren ohne weitere Erfahrung zu einem großen Feldherrn bildete, ebenso wie unsere jetzige Mode ist, studiert habe? Wir lehnen uns so stark auf fremde Schultern, daß wir darüber unsere eigenen Kräfte vernichten. Will ich mich gegen die Furcht vor dem Tode waffnen? So geschieht es auf Kosten des Seneca. Suche ich Trost für mich selbst oder für einen anderen? Ich borg' ihn von Cicero. Ich hätte es aus mir selbst geschöpft, hatte man mich darauf geübt. Ich liebe diese mittelbare oder erbettelte Gelehrsamkeit nicht sonderlich. Durchs Wissen anderer mag es sein, daß wir gelehrter werden, weiser aber werden wir gewiß nicht anders als durch unsere eigene Weisheit. Miso sopisthn, ostis oyxA ayto sopos6 Ex quo Ennius: Nequidquam sapete sapientem, qui ipse sibi prodesse non quiret.7

 

– – Si cupidus, si

Vanus, et Euganea quantumvis mollior agna.8

 

Non enim paranda nobis solum, sed fruenda

sapientia est.9

 

Diogenes lachte über die Schulfüchse, welche sich so emsig über die Leiden des Ulyß bekümmern und von ihren eigenen nichts wissen; über die Musiker, welche ihre Pfeifen rein stimmen und ihre Sitten ungestimmt lassen; über die Zungendrescher, welche darauf studieren, von Gerechtigkeit zu schwatzen, nicht sie zu üben. Wenn unsere Seele nicht eine bessere Richtung dadurch bekommt, wenn wir dadurch nicht ein gesunderes Urteil erhalten, so möchte mein Zögling meinethalben seine Zeit damit hingebracht haben, Ball zu schlagen, so hätte sein Körper doch wenigstens an Stärke zugenommen. Man sehe ihn nach so viel verbrachten Jahren von Universitäten kommen: Wer ist ungeschickter als er, zu Geschäften angestellt zu werden? Was sich am meisten an ihm erkennen läßt, ist, daß sein Latein und sein Griechisch ihn dümmer und einbilderischer gemacht haben, als er war, da er von Hause hinreiste. Er sollte mit genährter, voller Seele zurückkommen, aber er hat sie nur aufgeblasen. Sie ist nicht größer geworden, sondern nur aufgeschwollen.

Diese Meister und Lehrer sind, was Plato von den Sophisten sagt, unter allen Menschen diejenigen, welche dem Menschen am nützlichsten zu sein versprechen und dennoch nicht nur dasjenige nicht ausbessern, was man ihnen anvertraut, wie doch Zimmerleute und Maurer tun, sondern es sogar verhunzen und sich noch obendrein bezahlen lassen, daß sie es verhunzt haben. Wenn das Gesetz des Protagoras, das er seinen Schülern vorschlug, befolgt würde, daß sie ihm entweder bezahlen sollten, was er forderte, oder daß sie im Tempel beschwören sollten, wie hoch sie den Nutzen schätzen, den sie aus seinem Unterricht gezogen und demzufolge ihn für seine Mühe belohnen sollten, so würden sich meine Herren Pädagogen mächtig hinter den Ohren krauen, wenn sie sich auf den Eid meiner Erfahrung berufen hätten. Meine ungelehrten Landsleute nennen diese hochgelehrten Herren sehr spaßhafterweise Übergelehrte, Überstudierte; gleichsam zu sagen, als wäre es bei ihnen durch Studieren übergeschnappt, wie man auch wohl zu sagen pflegt. Und wahr ist's, die meiste Zeit scheint es, als hätten sie den gesunden Menschenverstand aus dem Kopf hinweg studiert. Denn man sehe dagegen nur einen Bauer oder Schuster und Schneider! Sie gehen einfältig und unbefangen ihren Gang fort; sprechen von dem, was sie wissen; jene, um sich zu erheben und zu brüsten mit ihrem Wissen, das auf der Oberfläche ihres Gehirns herumschwimmt, straucheln ohne Unterlaß in ihren Spannfesseln. Hübsche Worte hört man freilich dann und wann von ihnen; aber es gehört jemand dazu, der sie in Ordnung brächte. Den Galen kennen sie wohl, aber den Kranken gar nicht. Sie haben euch schon mit Gesetzen den Kopf ganz angefüllt, worauf es aber bei euerem Rechtsstreit eigentlich ankommt, davon wissen sie noch kein Wort. Von allen und jeden Dingen verstehen sie die Theorie; sucht nur jemand, der sie in Anwendung bringe!

Ich hatte einen Freund bei mir im Hause, der, indem er mit einem dieser Herrn zu tun hatte, zum Zeitvertreib ein gewisses Rotwelsch ohne Sinn und Bedeutung nachahmte, nur, daß er zuweilen ein Wort einflocht, das dem Klange nach Beziehung auf ihren Streit hatte, und dadurch seinen Dummkopf von Gegner ganze Tage lang foppte, der beständig meinte, er antworte auf die Einwendungen, die er vorgebracht hatte. Und doch hatte der Mann ein Fakultätsdiplom über seine Gelehrsamkeit aufzuweisen.

 

Vos, o patricius sanguis, quos vivere par est

Occipiti caeco, posticae occurrite sannae.10

 

Wer dies Geschlecht, das sehr zahlreich ist, in der Nähe beleuchtet, der wird wie ich finden, daß sie die meiste Zeit sowenig sich selbst als andere verstehen und daß sie zwar ein gutes, volles Gedächtnis, aber einen sehr hohlen Verstand haben. Wofern nicht die Natur sich ein eigenes Geschäft daraus machte, sie anders zu organisieren, wie ich beim Adrian Turnebus gefunden habe. Dieser, ohne jemals etwas anderes getrieben zu haben als Literatur – in welcher er nach meiner Überzeugung der größte Mann seit den letzten tausend Jahren her war –, hatte dabei gleichwohl nichts anderes an sich, das einen Pedanten verriet, als den Schnitt seines Kleides und einige äußere Manieren, die vielleicht nicht zum hohlen Tone des Hofschranzen paßten. (Und ich hasse unsere Leute, die sich vielmehr über einen altmodischen Schoß oder Ärmel ärgern als über eine schiefe Seele und aus dem Kratzfuß eines Menschen, aus seinen Stiefeln, aus seiner Haarkrause vorher verkünden, was an ihm sei.) Denn im übrigen war er in seinem Wesen der höflichste, artigste Mann von der Welt. Ich hab' ihn oft mit allem Fleiß in Materien verwickelt, die ihm gar nicht geläufig waren: er sah darin so klar, umfaßte alles so schnell und mit so richtigem Urteil, daß man hätte denken sollen, er hätte in seinem Leben nichts anderes getrieben als Kriegskunst und Staatswissenschaft. Das sind schöne und starke Seelen,

 

Queis arte benigna

Et meliore luto finxit praecordia Titan.11

 

die sich durch eine schlechte Erziehung durcharbeiten.

Es ist aber nicht genug, daß unsere Erziehung uns nicht verderbe, sie soll und muß uns eigentlich besser machen. Es gibt bei uns in Frankreich einige Parlamente, welche die Räte und Advokaten, die sie aufnehmen sollen, nur bloß aus ihrer Wissenschaft examinieren; andere hingegen prüfen auch ihren Verstand, indem sie ihnen diesen oder jenen Rechtsspruch zur Beurteilung vorlegen. Diese letzteren scheinen mir weit richtiger zu verfahren. Und obgleich zu einer solchen Bedienung beides nötig ist, so ist doch das Wissen von geringerem Wert als ein richtiger Verstand. Dieser kann zur Not ohne jenes auslangen; aber nicht dieses ohne jenen. Denn wie der griechische Vers es ausdrückt:

 

Os oyden h mathsis, hn mh noys parh.12

 

Was hilft die Wissenschaft ohne Verstand, sie anzuwenden? Wollte der Himmel, wir wären in Ansehung unserer Rechtspflege so glücklich, daß jene ansehnlichen Gerichtsverwalter mit ebensoviel Verstand und Gewissen begabt wären, als es ihnen am Wissen nicht mangelt!

 

Non vitae sed scholae discimus.13

 

Nun aber muß man das Wissen der Seele nicht umtun als ein Gewand, sondern ihr als einen lebendigen Geist einhauchen. Man muß sie damit nicht anfeuchten, sondern durch und durch färben; und wenn es die Seele nicht ändert und ihren unvollkommenen Zustand nicht bessert, so wäre es wahrlich besser, sich nicht weiter damit zu befassen. Es wäre ein zweischneidiges Schwert, das seinem Führer beschwerlich wird und ihn selbst verwundet, wenn es in schwachen Händen ist, die es nicht zu brauchen wissen; ut fuerit melius non didicisse.14

Vielleicht auch ist dies die Ursache, warum wir wie die Theologie nicht viel Kenntnis vom weiblichen Geschlecht verlangen und daß Franz, Herzog von Bretagne, Sohn Johanns des Fünften, als man mit ihm von seiner Vermählung mit Isabella, einer schottländischen Prinzessin, sprach und ihn merken ließ, sie sei sehr einfach erzogen und ohne allen Unterricht in wissenschaftlichen Dingen, antwortete: Die Prinzessin sei ihm deswegen um so lieber, und eine Ehefrau sei gelehrt genug, wenn sie das Wams ihres Ehemanns von seinem Hemde zu unterscheiden verstände.

Es ist auch kein so großes Wunder, als man's anschreit, daß unsere Vorfahren sich nicht sonderlich viel aus Gelehrsamkeit gemacht haben und daß wir solche noch heutzutage nur zufälligerweise bei den vornehmsten Räten unserer Könige finden; und wenn nicht der einzige Endzweck, den man uns zu unseren Zeiten vorhält, uns durch die Rechtswissenschaft, die Arzneikunde, die Theologie und durch die Pädagogik zu bereichern, sie nicht noch in Ansehen erhielte, so würden wir sie ohne Zweifel noch in ebenso zerlappten Mänteln auftreten sehn als vordem. Schade darum, wenn sie uns weder richtig denken noch handeln lehrt. Postquam docti prodierunt, boni desunt.15 Alle andere Wissenschaft ist demjenigen nachteilig, der nicht die Kenntnis der Güte hat.

Sollte aber die Ursache, die ich vorhin suchte, nicht darin zu finden sein, daß weil bei uns in Frankreich unser Studieren fast keinen anderen Zweck hat als Broterwerb, und weniger solche Menschen, die von der Natur zu besseren als bloß einträglichen Geschäften bestimmt sind, sich den Studien widmen als andere oder, wenn sie es tun, nicht lange Zeit darauf verwenden (indem sie, bevor sie an den Wissenschaften Geschmack gewinnen können, einen Stand ergreifen, der nichts mit den Büchern zu tun hat) und also gewöhnlicherweise, um sich ganz den Wissenschaften zu widmen, keine anderen übrigbleiben als Jünglinge von unbemittelten Eltern, die dadurch ihren Unterhalt zu gewinnen suchen? Menschen aber aus dieser Klasse, deren Seelen durch Geburt, durch häusliche Erziehung und Beispiele von der niedrigsten Art herabgewürdigt worden, machen selten einen echten Gebrauch von den Früchten der Wissenschaften. Denn die Wissenschaften zünden kein Licht in einer Seele an, die keinen Brennstoff hat, machen auch keinen Blinden sehend. Ihr Geschäft ist, nicht das Gesicht zu geben, sondern es den Menschen richtig brauchen zu lehren; seinen Gang ordentlich einzurichten, wenn der Mensch nur von Haus aus gerade ist und zum Gehn tüchtige Beine hat.

Gelehrsamkeit ist ein gutes Apothekerpulver; in der ganzen Apotheke aber gibt es kein einziges, das kräftig genug wäre, sich ohne alles Verderben brauchbar zu erhalten, wenn das Gefäß nichts taugt, worin es aufbewahrt wird. Es gibt Menschen, die zwar ganz hell sehen, dabei aber schielen; und also zwar das Gute sehen, an ihm aber vorbeigehen; die Wissenschaft zwar erblicken, aber nicht zum Anwenden ergreifen. Die wichtigste Verordnung, die Plato für seine Republik machte, war, seine Bürger sollten nach ihren natürlichen Fähigkeiten zu Ämtern angestellt werden. Die Natur kann alles und tut alles. Lahme taugen nicht zu Übungen des Körpers, und zu Übungen des Geistes keine verkrüppelten Seelen. Gemeine Bastardseelen sind der Philosophie unwürdig. Wenn wir einen Menschen in zerrissenen Schuhen sehen, pflegen wir nach dem Sprichwort zu sagen: Es ist in der Ordnung, wenn's am Schuster ist! Ebenso, scheint es, liegt's in der Erfahrung, daß wir oft einen Augenarzt mit entzündeten Augen antreffen, einen Theologen, dessen Sitten nicht sehr geistlich sind, und daß die Gelehrten gewöhnlich unanstelliger sind als andere Menschen.

Aristo Chius hatte vor alters recht zu sagen: die Philosophen schadeten ihren Zuhörern; um so mehr, da die wenigsten Seelen fähig sind, den Unterricht gehörig zunutze zu machen, welcher, wenn er nicht zum Guten angewandt wird, zum Verderben ausschlägt. AAsotoys ex Aristippi, acerbos ex Zenonis schola exire.16 In der schönen Erziehungsweise, die Xenophon von den Persern rühmt, finden wir, daß sie ihre Kinder die Tugend lehrten, wie andere Nationen die Wissenschaften zu lehren pflegten. Plato sagt: Das älteste, zum Throne bestimmte Kind eines Königs sei folgendermaßen erzogen: Nach seiner Geburt übergab man es nicht etwa Weibern, sondern den vornehmsten Verschnittenen, die um die Könige zu sein pflegen. Diese sorgten für die Gesundheit und Schönheit seines Körpers; und wenn der Knabe sieben Jahre alt war, so lehrten sie ihn Reiten und Jagen. War er bis ins vierzehnte gelangt, so übergaben sie ihn den Händen von vier Männern; des Weisesten, des Gerechtesten, des Mäßigsten und des Tapfersten von der Nation. Der erste lehrte ihn die Religion; der zweite beständig wahr sein; der dritte seine Begierden im Zaum halten; der vierte sich vor nichts fürchten.

Es ist äußerst merkwürdig, daß in der vortrefflichen Gesetzgebung des Lykurg, die man ihrer Vollkommenheit halber einzig in ihrer Art hält, gleichwohl bei der höchsten Sorgfalt für die Nahrung der Kinder, als eine der wichtigsten Pflichten des Staates und im Sitze der Musen selbst, so wenig Rücksicht auf Wissenschaft genommen ist; gleichsam, als ob man dieser hochherzigen Jugend, die kein anderes Joch dulden wollte als die Herrschaft, der Tugend, anstatt unserer heutigen Lehrer in den Wissenschaften nur Lehrer der Tapferkeit, der Klugheit und der Gerechtigkeit zu geben für nötig erachtet habe. Ein Beispiel, dem Plato in seiner Gesetzgebung gefolgt ist. Der Lakedämonier Verfahren beim Unterricht der Jünglinge bestand darin, daß sie ihnen Fragen über Beurteilung der Menschen und ihrer Handlungen aufgaben, und wenn sie eine Person oder eine Tat verdammten oder lobten, mußten sie Gründe für ihr Urteil beibringen; auf diese Weise schärften sie zugleich ihren Verstand und lernten das Recht. Astyages befragt beim Xenophon den Cyrus über seine letzte Lektion; sie bestand darin, antwortete er: Ein aufgeschossener Bub' in unserer Schule hatte einen kurzen Rock an, den gab er einem seiner Kameraden, der kleiner von Wuchs war, und zog dem seinen Rock aus, der länger war. Unser Präzeptor machte mich zum Richter über diesen Fall. Mein Urteil ging dahin: Man müsse es bei dem Tausche bewenden lassen, und beide schienen dabei gewonnen zu haben, indem des einen Rock dem anderen besser paßte: hierüber gab er mir erst einen Wischer, daß ich unrecht hätte; denn ich hätte mir beigehn lassen, aufs Schickliche zu achten, da man doch vor allen Dingen aufs Recht sehn müsse, nach welchem niemand mit Gewalt das seinige genommen werden dürfe; und darüber wäre er noch gebakelt worden; gerade so, wie es in unseren Schulen hergeht, wenn ein Schüler den ersten Aorist von typto17 vergessen hat. Mein Rektor würde mir eine hübsche Rede in genere demonstrativo halten müssen, bevor er mich überzeugte, daß seine Schule ebensogut wäre als jene. Die Alten haben den Weg kürzen wollen; und weil doch einmal die Wissenschaften, selbst dann wenn man sie zu sich nähme wie die gebratenen Lerchen vom Bratspieß, uns doch nichts weiter lehren können als Klugheit, Tapferkeit und Entschlossenheit, so haben sie gleich, ohne alle Umschweife, ihren Kindern geradezu die eigentlichen Wirkungen zeigen und sie unterrichten wollen, nicht durch Hörensagen, sondern durch Handlungen selbst, und bildeten sie sonach nicht bloß durch Gabe des Worts, sondern vorzüglich durch Beispiele und Handlungen; damit es in ihren Seelen nicht wohne wie eine Wissenschaft, sondern wie eine von ihr unzertrennliche Natur und Gewohnheit; nicht wie etwas Erlerntes, sondern wie ein angeborener Besitz. Bei einer Unterredung über diesen Punkt fragte man den Agesilas, was man nach seiner Meinung die Kinder lehren müsse; das, was sie zu tun haben, wenn sie Männer geworden sind, antwortete er. Es ist kein Wunder, daß eine solche Schulmethode so herrliche Wirkungen hervorbrachte. Man reiste, sagt man, nach den anderen Städten in Griechenland, um Redner, Maler und Tonkünstler zu suchen; nach Lakedämon aber reiste man, um Gesetzgeber, Staatsmänner und Feldherrn zu finden. Zu Athen lernte man schön sprechen und hier schön handeln. Dort ein sophistisches Argument zergliedern und die Täuschung listig verschraubter Worte enthüllen. Hier sich vor dem Reiz der Wollust hüten und mit großer Tapferkeit die Drohungen des Unglücks und des Todes zernichten. Die Athenienser haschten nach Worten, die Lakedämonier nach Taten. Dort war eine ununterbrochene Übung der Zunge; hier eine immerwährende Übung der Seele. Daher es auch nicht befremdlich erscheinen muß, wenn sie, als Antipater von ihnen fünfzig Kinder zu Geiseln forderte, ganz das Widerspiel von dem taten, was wir getan hätten, und zur Antwort gaben, sie wollten ihm lieber zweimal soviel erwachsene Männer geben. So hoch schätzten sie den Verlust der Erziehung ihres Landes. Wenn Agesilas den Xenophon überreden will, seine Kinder nach Sparta zu schicken, um sie dort erziehn zu lassen, so meint er damit nicht, daß sie die Rede-oder Disputierkünste erlernen sollen, sondern, wie er sagt, die höchste Wissenschaft unter allen zu lernen, nämlich die Wissenschaft zu gehorchen und zu befehlen.

Es macht einem großen Spaß zu sehn, wie Sokrates auf seine Weise den Hippias zum besten hat, als ihm dieser erzählt, wie er in gewissen kleinen Städten von Sizilien ansehnliche Summen mit Informieren gewonnen, in Sparta hingegen nicht einen Heller verdient habe. Wie die Spartaner unwissende Leute wären, welche weder Geometrie noch Arithmetik verstünden, nichts weder auf die Wohlredenheit noch auf die Dichtkunst hielten, sondern sich bloß dabei aufhielten, die Reihe der Könige zu wissen, den Anfang und den Verfall der Staaten und dergleichen losen Plunder – und wie nun am Ende Sokrates ihn nach und nach dahin lenkt zu gestehn, daß doch die öffentliche Regierungsform vortrefflich sei sowie ihr häusliches Leben glücklich und tugendhaft, und ihm dann am Schluß die Entbehrlichkeit seiner Künste zu erraten überläßt.

Die Beispiele aus dieser militärischen und aus allen ihr ähnlichen Erziehungsanstalten lehren uns, daß das Studium der Wissenschaften die Gemüter eher weichlich und weibisch macht als fest und kriegerisch. Der stärkste Staat, der gegenwärtig auf der Welt zu sein scheint, ist das türkische Reich. Ein Volk, das dazu erzogen wird, die Waffen zu schätzen und die Wissenschaften zu verachten. Ich finde Rom weit tapferer, bevor es gelehrt war. Die kriegerischsten Nationen unserer Zeit sind die rohsten und unwissendsten. Die Skythen, die Parther, Tamerlan u.a.m. dienen uns hier zum Beweise. Als die Goten Griechenland verheerten, standen die Büchervorräte sämtlich in Gefahr, dem Feuer geopfert zu werden. Ein Mann rettete sie dadurch, daß er die Meinung ausbreitete, man müsse diesen ganzen Hausrat den Feinden lassen, weil er vermögend sei, sie von kriegerischen Übungen abzuhalten und an eine stillsitzende, müßige Lebensart zu verwöhnen. Als unser König Karl VIII. fast ohne einmal den Degen zu ziehn Meister von Neapel und einem großen Teil von Toskana ward, so schrieben die Herrn in seinem Gefolge diese unverhoffte Leichtigkeit im Erobern dem Umstand zu, daß die Prinzen und der Adel von Italien mehr darnach strebten, reich und gelehrt zu werden als stark und kriegerisch.

 

Fußnoten

 

1 Mehr hass' ich als alles pedantisches Wissen.

 

2 Rabelais, Gargantua I, 39: Die größten Kleriker sind nicht eben die größten Weisen.

 

3 Pacuvius bei Gellius, XIII, 8: Ich hasse die Menschen, welche weise sprechen und dumm handeln.

 

4 Cicero, Tusc. disp. V, 36: Sie haben gelernt mit anderen reden, aber nicht mit sich selbst.

 

5 Seneca, Epist. 108: Nicht geschwatzt; Hand ans Ruder!

 

6 Nach Cicero, Epist. famil. XIII, 15, ein Vers des Euripides: Fort mit der Schulgelehrsamkeit, die den Mutterwitz erstickt.

 

7 Cicero, De off. III, 15: Daher sagt Ennius: Was weiß der Weise, wenn er nicht weiß, seine Weisheit auch für sich zu nützen.

 

8 Juvenal VIII, 14: Wenn er eitel ist und geizig und verweichlicht wie das Euganäische Lamm.

 

9 Cicero, De fin. I, c. 1: Auch ist's damit nicht getan, Schätze der Weisheit bloß sammeln, wuchern müssen wir damit.

 

10 Aulus Persius I, 61: O ihr Römer alten Geschlechts, denen Augen im Nacken verboten sind, hütet euch, daß man euch keine Esel bohre!

 

11 Juvenal XIV, 34: Denen Titan holder war und deren Sehnen und Adern er aus feinem Ton und künstlicher bildete. (Der Titan ist Prometheus.)

 

12 Bei Stobaeus. Die Übersetzung schließt sich an.

 

13 Seneca, Epist. 106: Wir lernen nicht fürs Leben, sondern für die Schule.

 

14 Cicero, Tusc. disp. II, 4: Daher wäre es besser, nichts gelernt zu haben.

 

15 Seneca, Epist. 95: Nachdem die Gelehrsamkeit einzog, zogen die Guten aus.

 

16 Cicero, De nat. deor. III, 31: Weichlich aus der Schule Aristipps; aus Zenons hart und störrig.

 

17 ich schlage.

Über die Kinderzucht: an Madame Diane de Foix, Gräfin de Gurson.

Niemals hab' ich einen Vater gesehn, der seinen Sohn, wenn er auch gleich bucklig oder grindig war, nicht für sein Kind erkannt hätte; obwohl er, wenn er nicht ganz von Zärtlichkeit berauscht ist, schon merkt, wo's ihm fehlt; aber bei alledem ist es sein Kind. So geht's mir! Ich sehe besser als jeder andere, daß dies hier Träumereien eines Menschen sind, der von den Wissenschaften nur die äußere Rinde in seiner Kindheit gekostet hat und sich ihrer nicht weiter erinnert als nach ihren Hauptzügen und das dazu nur undeutlich. Ein wenig von allem, auf gut französisch, und im ganzen nichts. Und läuft alles darauf hinaus, daß ich weiß, es gibt eine Arzneigelahrtheit, eine Jurisprudenz, vier Teile in der Mathematik und so im Bausch und Bogen die Anwendung, die man davon macht. Und so ungefähr weiß ich auch, was die Wissenschaften überhaupt für Nutzen fürs menschliche Leben verheißen; tiefer aber hineinzudringen, mir über den Aristoteles, den Monarchen der neuen Philosophie die Nägel zerkäuen oder auf irgendeine Scienz zu erpichen, das war nie meine Sache. Auch könnte ich von keiner einzigen der freien Künste die ersten Grundzüge zu Papier bringen. Und das müßte ein elender Tertianer sein, der sich nicht für gelehrter zu halten berechtigt wäre als ich! Denn ich würde schön dastehn, wenn ich ihn über seine Lektion examinieren sollte. Und wenn man mich mit Gewalt dazu zwänge, so wäre ich genötigt, ihm, schülerhaft genug, einige allgemeine Fragen vorzulegen, um bloß zu erfahren, ob er Menschenverstand und Mutterwitz hätte; das wäre aber eine Lektion, die unseren Tertianern ebenso fremd sein würde als mir die ihrigen.

Ich habe keinen ordentlichen Umgang mit irgendeinem unserer soliden Bücher bestätigt; die Werke des Plutarch und des Seneca ausgenommen, aus denen ich schöpfe wie die Danaiden, ich füll' immer an, und es leert sich immer aus. Ich bringe zwar wohl etwas davon auf dies Blatt, auf mich selbst aber sowenig als nichts. Fürs Bücherlesen ist so mein Kasus die Geschichte oder die Poesie, welche ich aus besonderer Neigung liebe; denn, wie Cleanthes sagte, geradeso wie der Klang, der in die enge Röhre einer Trompete eingezwängt war, viel heller und stärker herausdringt, ebenso, deucht's mich, schwingt sich ein durch die Klangfüße der Dichtkunst beflügelter Gedanke schneller in meine Seele und reißt sie mit sich fort. Was die natürlichen Fähigkeiten betrifft, in deren Besitz ich bin (wovon ich hier ein Pröbchen vorlege), so fühle ich wohl, daß sie unter der Last erliegen. Mein Fassungsvermögen und meine Urteilskraft tappen im Blinden, schwanken, straucheln und stolpern; und selbst dann, wenn ich so weit gegangen bin, als ich gekonnt habe, so hab' ich mir doch niemals selbst ein Genügen getan. Ich sehe wohl immer vor mir sich das Feld öffnen; aber es liegt noch beständig in einem Nebel, den ich nicht durchdringen kann. Und wenn ich mich darauf einlasse, so ohne viel Federlesens von allem zu sprechen, was mir in den Sinn kommt, und dabei keine anderen Hilfsmittel anwende als meine eigenen und natürlichen Kräfte; wenn mir's begegnet, wie es oft geschieht, daß ich zufälligerweise in guten Schriftstellern eben gerade solche Stellen finde, als ich zu behandeln mir vorgenommen habe – wie es mir eben mit Plutarch und seiner Abhandlung über die Stärke der Einbildungskraft widerfährt –, und ich mich dann in Vergleichung mit diesen Leuten so schwach und so winzig, so schwerfällig und so schläfrig erkenne, so komme ich mir selbst als mitleids-und verachtenswert vor. Aber das macht mir gleichwohl ein Vergnügen, daß meine Meinungen die Ehre haben, oft mit den Meinungen jener Männer zusammenzutreffen, und daß ich ihnen wenigstens von ferne folge und das sage, was mich wahr dünkt. Auch freut mich's, das zu haben, was nicht jedermann hat, den himmelweiten Unterschied zu erkennen, der zwischen ihnen ist und mir; damit lasse ich gleichwohl meine Erfindungen hinlaufen, so schwach und geringfügig ich sie zur Welt bringe, ohne die Mängel, die mich diese Vergleichung daran entdecken lassen, zu bekleistern oder zu belappen. Man muß gar kräftige Schenkel haben, wenn man es unternehmen will, mit diesen Leuten Schulter an Schulter geschlossen gleichen Schritt zu halten. Die unbesonnenen Schriftsteller unserer Zeit, welche in ihre leeren Werke ganze Stellen aus alten Autoren einschalten, um sich Ehre zu erwerben, tun gerade das Gegenteil. Denn dieser unendliche Abstich des Glanzes macht ihr eigenes Gesicht so bleich, so hager und so häßlich, daß sie weit mehr dadurch verlieren als gewinnen. Folgende waren zwei entgegengesetzte Phantasien. Der Philosoph Chrysippus mischte in seine Bücher nicht nur bloß einzelne Stellen, sondern ganze Werke anderer Autoren und in eines die ganze Medea vom Euripides, und Apollodor sagt darüber: wenn jemand herausnähme, was Fremden gehörte, so würden nur leere Blätter übrigbleiben. Epikur hingegen hat in den dreihundert Rollen, die er geschrieben, nicht einen einzigen Autor allegiert.

Vor einigen Tagen stieß ich eben auf eine solche Passage: ich war ermüdet und ermattet, hinter so blut-und saftlosen französischen Worten herzujagen, die so leer an Sinn und Inhalt waren, daß man nichts Treffenderes von ihnen sagen konnte als französische Worte; nach einer langen und verdrießlichen Jagd traf ich auf eine entzückende Stelle, die sich majestätisch bis in die Wolken erhob. Hätte ich den Abhang ein wenig sanft gefunden und den Steig ein wenig linde, so wäre darüber nichts zu sagen gewesen. Aber es war eine so schroffe, abgeschnittene Anhöhe, daß ich bei den sechs ersten Worten gewahr ward, wie ich in die andere Welt aufflöge; von da an entdeckte ich die Schlucht, aus der ich kam, so tief, so tief, daß ich mich niemals habe überwinden können, wieder hinunterzusinken. Hätte ich eine meiner Abhandlungen mit dem, was ich auf jener Höhe fand, ausgeschmückt, so würde solches die Dummheit der übrigen Stellen zu sehr ins Licht gestellt haben.

In anderen meine eigenen Fehler züchtigen, scheint mir ebenso erlaubt zu sein als an mir selbst, wie ich oft tue, die Fehler anderer zu rügen. Man muß sie allenthalben vor Gericht ziehn und ihnen gar keine Freistatt zugestehn. Ich weiß auch, wie kühnerweise ich selbst es unternehme, jedesmal meine eigenen Fabrikwaren der eingeschwärzten gleichzumachen, so daß man keinen Unterschied merke, nicht ohne eine verwegene Hoffnung, das Auge des Kenners zu täuschen. Aber ich suche es ebensosehr durch die Anwendung, die ich davon mache, als durch meine Erfindung und durch meine Kräfte zu bewerkstelligen. Übrigens ringe ich auch nicht in Bausch und Bogen mit jenen alten Kämpfern oder Faust gegen Faust, sondern in leichten Versuchen und kleinen, wiederholten Gängen. Ich lasse mich nicht ein auf Faustkampf, ich betaste sie bloß und gehe nicht sowohl als ich mich bereden lasse zu gehn. Ja, könnte ich ihnen Fuß halten; ehrlicher Mann genug wär' ich; denn ich packe sie nur da an, wo sie die stärksten Sehnen haben. Es zu machen, wie ich von einigen wahrgenommen habe, die sich mit fremden Waffen dergestalt bedecken, daß sie nicht einmal eine Fingerspitze bloß geben und die ihr Vorhaben durchsetzen, wie das bei einer gemeinen Materie hinter den Meinungen der Alten für diejenigen leicht genug ist, die solche zusammenflicken, unkennbar machen und für ihr Eigentum ausgeben wollen: Aber erstlich ist es ungerecht und niederträchtig, indem sie nichts im Vermögen haben, womit sie sich zeigen könnten und sich also bloß mit fremden Schätzen breitmachen; und ferner ist's eine plumpe Dummheit, indem sie sich durch solche Mausereien ein Lob des unwissenden Haufens erschleichen und sich bei Leuten von Verstand, die dieses erborgte Mosaik mit Hohnlachen schauen, in üblen Ruf setzen, deren Lob doch nur allein von Bedeutung ist. Meinerseits möchte ich nichts so ungern tun als dies. Ich sage nie einem anderen etwas, als um es mir um so nachdrücklicher zu sagen. Dies ist keine Anspielung auf die Centos, die als solche in die Welt geschickt werden; und ich bekenne, daß ich zu meiner Zeit sehr sinnreiche Centos gesehen habe, unter anderen eines unter dem Namen eines gewissen Capilupus, ungerechnet der älteren. Das sind Geister, welche sich bald hier, bald dort sehen lassen wie Lipsius in der gelehrten und künstlichen Webefabrik seiner Politik. Dem sei wie ihm wolle, was ich sagen will ist, laß diese Possen noch so possierlich sein, ich bin nichts weniger als entschlossen, sie zu verheimlichen, sowenig als ein Konterfei meines glatzigen, grauenden Kopfes, das der Maler nicht nach einem vollkommenen Modell, sondern nach meinem Kopf und meinem Gesicht gemacht hätte. Denn ebenso sind auch hier meine Launen und Meinungen: ich gebe solche für das, was ich glaube, nicht für das, was man glauben müsse. Ich will damit weiter nichts als mich hergeben, wie ich bin; vielleicht bin ich morgen ganz anders, wenn sich meine Denkungsart ändert und bessert. Ich habe nicht das Ansehen, Glauben zu fordern, und verlang' es auch nicht. Denn ich fühle, daß ich zu wenig weiß, um andere zu unterrichten. Jemand, der vor einiger Zeit das vorige Kapitel gesehen hatte, sagte mir, ich hätte mich ein wenig ausführlicher über die Kinderzucht herauslassen sollen. Aber, Madame, wenn ich über diesen Gegenstand etwas Auszeichnendes zu sagen wüßte, wem könnte ich es besser zum Geschenk bestimmen als dem kleinen Mann, der Sie bedroht, nächstens durch einen wackeren Ausfall sich von Ihnen zu trennen. (Sie sind selbst zu wacker, um nicht Ihrer Nachkommenschaft einen tapferen Mann an die Spitze zu stellen!) Denn, da ich an der Schließung Ihrer Vermählung so viel Anteil hatte, so hab' ich auch einiges Recht und einigen Anteil an dem Glück und dem Wohlergehen, die daraus entstehn werden. Außerdem daß die verjährten Ansprüche, die Sie auf meine dienstwilligste Ergebenheit haben, mich hinlänglich verbinden, zu allem, was Sie betrifft, Ehre, Vorteil und Wohlfahrt zu wünschen. Die Wahrheit aber ist, daß ich über den Gegenstand nichts weiter weiß, als daß die größte Schwierigkeit und das Wichtigste des menschlichen Wissens da zusammentreffen, wo es auf die physische und moralische Erziehung der Kinder ankommt. Geradeso wie beim Ackerbau die Arbeiten, welche vor dem Pflanzen hergehn, bestimmt und leicht sind und sogar das Pflanzen selbst – wenn aber nachher das Gepflanzte anfängt zu bekleiben und aufzuwachsen, eine mächtige Verschiedenheit und Schwierigkeit der Behandlung eintritt, ebenso ist es beschaffen mit dem Menschen. Ihn zu pflanzen bedarf's keines so großen Fleißes, ist er aber geboren, so übernimmt man eine ganz andere Aufsicht voller Sorge und Furcht, ihn zu nähren und zu erziehn. Die Anzeichen seiner Neigungen sind im kindischen Alter so schwach und undeutlich; was er verspricht, so ungewiß und unzuverlässig, daß es fast unmöglich ist, mit einigem Grunde darauf zu bauen. Man betrachte nur den Cimon, den Themistokles und tausend andere, wie ungleich ihre Kindheit ihren männlichen Jahren war. Die Jungen der Bären und der Hunde zeigen ihren natürlichen Hang. Die Menschen aber, welche sehr früh zu Angewohnheiten, in Meinungen und für Gesetze gebildet werden, ändern oder verstellen sich sehr leicht. Aber ebenso schwer ist es, den Hang der Natur zu zwingen; daher es denn kommt, daß man sich lange auf einem einmal unrichtig gewählten Wege vergebens zermartert und viele Zeit darauf verwendet hat, Kinder zu Dingen zu erziehn, wozu sie von der Natur nicht bestimmt sind. Indessen ist bei dieser Schwierigkeit meine Meinung, daß man ihnen immerhin zu den besten und nützlichsten Sachen Anleitung gebe und nicht zuviel auf die Zeichen und Vorbedeutungen gebe, die wir aus den Bewegungen der Kinder zu ziehn pflegen. Plato scheint mir in seiner Republik zu viel Gewicht darauf zu legen. Die Wissenschaften, Madame, sind eine schöne Zierde und ein sehr nützliches Werkzeug, vorzüglich für Personen auf einer solchen Stufe des Glücks wie Sie. Die Wahrheit zu sagen, sind solche in niedrigen, armen Händen nicht so anwendbar. Die Wissenschaften und Künste zeigen ihren hohen Wert, als Hilfsmittel einen Krieg zu führen, ein Volk zu regieren, die Freundschaft eines Fürsten oder einer Nation zu erhalten, lieber als einen logischen Schluß zu formieren, einen Appellationsprozeß zu führen oder eine Schachtel Pillen zu verschreiben. Also, ich bin überzeugt, Madame, daß Sie dies Feld bei der Erziehung der Ihrigen nicht vernachlässigen werden, da Sie selbst die Süßigkeit davon genossen haben und dabei selbst aus einem gelehrten Geschlechte sind, denn wir besitzen noch die Schriften der alten Grafen de Foix, von denen Sie und der Herr Graf, Ihr Gemahl, abstammen; und Franz, Herr de Candale, Ihr Oheim, gibt noch täglich andere heraus, welche den Ruhm von dieser Eigenschaft Ihres Geschlechtes auf viele Jahrhunderte verbreiten werden. Also will ich Ihnen hierüber nur eine meiner Grillen sagen, die ich gegen die allgemeine Meinung hege: das ist alles, was ich in dieser Sache zu Ihrem Befehl darlegen kann.

Das Amt des Privatlehrers, den Sie ihm geben werden, von dessen Wahl die ganze Wirkung der Erziehung abhängt, hat verschiedene andere wichtige Zweige, die ich aber nicht berühre, weil ich nichts Triftigeres darüber vorzubringen weiß; und von dem Artikel, worüber ich ihm meinen Rat zu erteilen mir beigehn lasse, mag er mir so viel glauben, als ihm davon glaubwürdig erscheint. Einem Kind von vornehmem Haus, das man den Wissenschaften zuführen will (nicht aus Absicht auf Gewinn – denn ein so niedriger Zweck wäre der Huld und Milde der Musen unwürdig, und hängt dabei ab von Zufälligkeiten –, auch eben nicht sowohl auf äußere Bequemlichkeiten als auf sein eigenes Wohl, um sein Inneres damit zu zieren und zu bereichern und um ihn vielmehr zu einem brauchbaren als gelehrten Mann zu bilden), wollte ich, daß man sorgfältig wäre, einen Führer zu wählen, dessen Kopf viel mehr hell und klar wäre, als voll geschüttelt und gerüttelt; daß man zwar auf beides, aber mehr auf Sitten und Verstand als auf Gelehrsamkeit bei ihm achtet, und daß er sich in seinem Amt auf eine neue Art benehme. Man schreit uns immer in die Ohren, als ob man's in einen Trichter schüttete, und unser Tun dabei ist nichts anderes als wiedersagen, was man uns gesagt hat. Nun wünscht ich aber, daß er hierin eine Verbesserung machte und gleich anfangs, nach dem Maße der Fähigkeiten der Seele, die er zu bearbeiten hat, damit begönne, ihr die Dinge in ihrem eigenen Licht vorzulegen, damit sie ihnen Geschmack abgewinnen und für sich selbst in die Sachen finden und für sich wählen möge. Zuweilen müßte er dem Zögling auf den Weg helfen und zuweilen ihn allein gehn lassen. Er muß nicht immer den Ton geben und allein reden; er muß ihn auch hören und ihn seinerseits sprechen lassen. Sokrates und nach ihm Arcesilaus ließen erst ihre Schüler reden und sprachen erst hernach mit ihnen. Obest plerumque iis, qui discere volunt, auctoritas eorum, qui docent.1 Es ist gut, daß er ihn vor sich trottieren lasse, damit er seinen Gang kennen und beurteilen lerne, wie tief er sich zu ihm herablassen müsse, um sich seinen Kräften gleichzuhalten. Versäumt man dieses Verhältnis, so verdirbt man alles. Um es zu treffen und sich aufs gemessenste danach zu richten, ist unter allen Pflichten, die ich von einem Hofmeister erfordere, die dringendste. Und es ist die Wirkung einer hohen und starken Seele, sich zu diesem kindischen Gang herablassen und ihn leiten zu können. Ich trete fester und sicherer auf, wenn ich bergan, als wenn ich bergab gehe. Es ist kein Wunder, wenn nach heutiger Gewohnheit gewisse Erzieher, welche es unternehmen, eine ganze Herde Kinder von so verschiedenen Geistesfähigkeiten und Gemütsarten in eine und dieselbe Lektion zu nehmen und nach einem Plane zu unterrichten, unter dem ganzen Haufen kaum zwei oder drei finden, die noch einigermaßen gute Früchte ihrer Zucht bringen! Der Hofmeister muß von seinem Zögling nicht bloß Rechnung von den Worten seiner Lektion fordern, sondern von ihrem Sinn und ihrem Inhalt. Er muß von dem Nutzen, den er daraus gezogen hat, nicht nach dem Zeugnis des Gedächtnisses seines Zöglings, sondern nach seinem Leben urteilen! Er muß ihn das, was er gelernt hat, unter tausenderlei Gestalten betrachten lassen, um es auf so mancherlei Art Gegenstände anzuwenden und zu sehn, ob er es richtig gefaßt und sich zu eigen gemacht hat, nach den Vorschriften des Plato. Es ist ein Zeichen der Unverdaulichkeit, wenn man die Speisen wieder aus dem Magen gibt, wie man sie verschlungen hat. Der Magen hat dann sein Werk nicht beschafft und hat das, was man ihm zum Verdauen gab, weder nach Materie noch Form verändert. Unsere Seele beugt und schmiegt sich gar zu gern auf guten Glauben, nach dem Willen und den Meinungen anderer; folgt gar gern den Steigen und Pfaden anderer und folgt gleichsam wie eine Gefangene dem Ansehen derer, die sich ihr als Lehrer und Führer aufdringen. Man hat uns so sehr an Leitseile gewöhnt, daß wir des freien Ganges fast nicht mehr gewohnt sind. Unsere Freiheit und eigene Kraft ist dahin. Numquam tutelae suae fiunt.2 Ich habe in Pisa einen hübschen Mann sehr genau gekannt, der ein so arger Aristotelianer war, daß sein vornehmster Lehrsatz hieß: Der Probierstein aller gegründeten Meinungen, aller Wahrheiten sei die Übereinstimmung mit den Lehren des Aristoteles. Außerdem gäbe es weiter nichts als Chimären und Possen; denn Aristoteles habe alles ergründet und alles gesagt. Diese seine Meinung, die man ein wenig zu allgemein und zu ausgedehnt verstanden hatte, veruneinigte ihn ein wenig stark und lange mit der Inquisition zu Rom. Laß den Hofmeister also jede Meinung durchs Sieb schlagen und nichts in den Kopf seines Zöglings setzen, was sich bloß auf Ansehen und Kredit fußt. Er muß ihn ebensowenig auf ein Prinzip des Aristoteles als auf ein Prinzip des Epikur oder der Stoiker schwören lassen. Man lege ihm die Verschiedenheit der Meinungen vor; kann er darunter wählen, um so besser; wo nicht, so laß ihn zweifeln.

 

Che non men che saper, dubbiar m'aggrata.3

 

Denn nimmt er die Meinung des Xenophon oder des Aristoteles an, nach seiner eigenen Erwägung, so sind es nicht mehr die ihrigen, sondern seine eigenen. Wer einem anderen folgt, folgt niemand; er findet nichts, weil er eigentlich nichts sucht. Non sumus sub rege; sibi quisque se vindicet.4 Laß ihn vor allen Dingen wissen, was er weiß. Er muß wenigstens ihren Ideengang kennenlernen, ihre Lehrsätze braucht er nicht zu beschwören. Laß ihn geradezu vergessen, wenn's ihm gut deucht, woher er seine Meinungen hat; laß ihn sich solche aber zu eigen machen. Wahrheit und Vernunft sind ein allgemeines Gut und sind kein ausschließenderes Eigentum dessen, der sie zuerst, als dessen, der sie nachher gesagt hat. Sie sind kein Eigentum Platos oder das meinige, weil er und ich solche gleich richtig einsehen. Die Bienen sammeln hier und allerorten von Blumen, aber sie machen daraus Honig, der ihnen ganz eigen gehört. Es ist weder Thymian mehr noch Majoran. Ebenso wird der Zögling das, was er von anderen borgt, verändern und verwandeln, um ein ihm eigenes Werk daraus zu bilden; das heißt, sein Urteil, seine Erziehung, seine Arbeit und sein Studium wird dahin gehn, sich selbst zu bilden. Mag er immer verbergen, womit er sich ausgeholfen, und mir zeigen, was er selbst gemacht hat. Diejenigen, welche borgen und stehlen, prunken mit ihren Gebäuden und Ankaufungen, ohne zu sagen, was sie von fremdem Gut dazu haben. Wir sehen nicht, was die Richter und Advokaten für Geschenke einnehmen, sondern nur, wie sich ihre Familie aufnimmt und ihr Staat sich vermehrt. Niemand hält öffentliche Rechnung über seine Einnahme. Seine Ausgaben verheimlicht niemand; die gibt jedermann zur Schau. Der Gewinn unseres Studierens ist, wenn wir dadurch besser und weiser geworden sind. Epicharmus pflegte zu sagen: der Verstand ist's, welcher hört und sieht; der Verstand zieht Nutzen von allem, er ordnet alles, er wirkt, herrscht, regiert, alles übrige ist blind, taub und ohne Seele.

Es ist ausgemachte Wahrheit, wir machen unseren Zögling dadurch träg und schüchtern, daß wir ihm nicht die Freiheit lassen, etwas für sich selbst und nach seinem eigenen Kopfe zu tun. Wer fragt jemals seinen Untergebenen, was er von der Rhetorik, von der Grammatik, von dieser oder jener Sentenz des Cicero halte? Man bleut uns diese Dinge ins Gedächtnis, nach der Länge aufgeschrieben, wie die Orakelsprüche, von welchen Buchstaben und Silben das Wesentliche ausmachen. Aber Auswendigwissen ist kein Wissen: das heißt nur behalten, was man seinem Gedächtnis zum Aufbewahren gegeben hat. Das, was man gehörig weiß, darüber schaltet man, ohne den Lehnsherrn zu fragen, ohn erst in sein Buch zu gucken. Büchergelehrsamkeit ist eine leidige Gelehrsamkeit. Ich verlange, daß sie zur Zierde diene, nicht zur Grundlage; nach der Meinung des Plato, welcher sagt: in Standhaftigkeit, Treue und Aufrichtigkeit bestehe die wahre Philosophie; die übrigen Wissenschaften, welche auf etwas anderes lenken, wären bloße Schminke. Ich möchte wohl sehn, daß die Herren Paluel oder Pompee, diese schönen Tänzer unserer Zeit, ihre Kapriolen bloß durchs Zusehn lehrten, ohne ihre Schüler von der Stelle zu bewegen, wie jene unseren Verstand unterrichten wollen, ohn ihn in Tätigkeit zu setzen. Oder, daß man uns lehrte, ein Pferd zu regieren, eine Lanze führen, die Laute spielen, nach Noten singen, ohne uns darin zu üben, wie unsere Lehrer hier uns richtig urteilen und regelmäßig sprechen lehren wollen, ohne uns im Sprechen oder im Urteilen zu üben. Nun aber dient bei diesem Lernen alles, was sich unseren Augen darstellt, so gut als ein gelehrtes Buch. Schalksstreiche eines Pagen, Tölpeleien eines Knechtes, Tischgespräche sind ebenso viele neue Materien. Dieserwegen ist der Umgang mit Menschen von so außerordentlichem Nutzen! So wie das Besuchen fremder Länder; nicht nur nach der Sitte unserer Noblesse sich zu belehren (wie viele Schritte die Santa Rotonda im Umfang enthält oder wie fein die Leibwäsche der Signora Livia sei oder, wie andere, um aufs genaueste zu wissen, wieviel ein Neronskopf, der in einer Ruine gefunden, breiter oder länger ist als eben derselbe auf einer ähnlichen Medaille), sondern um vorzüglich den Charakter dieser Nationen, ihre Sitten und Gesetze kennenzulernen, um unser Gehirn an dem ihrigen zu reiben und zu glätten! Ich wollte, daß man damit anfinge, den Zögling von Kindsbeinen an herumzuführen, und zwar zuerst, um zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen, zu unseren benachbarten Nationen, bei denen die Sprache weit von der unsrigen abweicht und für welche, wenn man nicht beizeiten dazu tut, die Zunge die Biegsamkeit verliert. Auch findet der Satz allgemeinen Beifall: Es sei nicht gut, ein Kind im Schoße seiner Eltern zu erziehn. Die natürliche Liebe macht selbst die verständigsten Eltern zu weichherzig und nachgiebig. Sie sind unfähig, das Kind zu strafen noch es mit einfacher Kost genährt zu sehn, welches doch ebenso nötig ist, als daß ein Kind nicht ewig gegängelt werde, sondern auch mit etwas Gefahr frei gehn und handeln lerne. Sie können nicht dulden, daß das Kind von seinen Übungen in Staub und Schweiß zurückkomme, daß es kalt trinke, heiß trinke; können nicht ansehn, daß es ein mutiges Pferd besteige oder im Kontrafechten tüchtige Florettstöße bekomme oder daß eis eine geladene Flinte abschieße, welche stoßen möchte. Denn es ist keine andere Hilfe: wer es zum braven Mann erziehn will, muß es wahrhaftig in seiner Jugend nicht verweichlichen und muß oft die Regeln der Ärzte hintansetzen.

 

Vitamque sub divo et trepidis agat

In rebus.5

 

Es ist nicht genug, seine Seele festzumachen, es muß ihm auch die Muskeln stählen. Die Seele ist viel zu geschäftig, wenn sie keine Hilfe hat, und hat zu viel zu tun, wenn sie zwei Ämtern vorstehen soll. Ich weiß, wie sich die meinige in der Gesellschaft eines so weichen, fühlbaren Körpers plackt, der sich so sehr auf sie steift und stützt. Und werde ich bei meinem Bücherlesen oft gewahr, daß meine Meister, in ihren Schriften, in manchen Beispielen dasjenige für Größe der Seele und Stärke des Geistes ausgeben, was eigentlich mehr von der Dicke der Haut und der Härte der Knochen abhängt. Ich habe Männer, Weiber und Kinder gesehen, die so geboren waren, daß ihnen eine Tracht Prügel nicht so viel machte, als mir ein Nasenstüber machen würde; die bei den Schlägen, die man ihnen gab, weder die Zunge bewegten noch die Augenbrauen zuckten. Wenn die Athleten in Ansehung der Geduld die Philosophen nachäfften, so ist es mehr ein Beweis der Stärke ihrer Sehnen als ihres Geistes und Herzens. Denn sicherlich, die Gewohnheit, ohne Ermüdung zu arbeiten, ist einerlei mit der Gewohnheit, ohne Ungeduld Schmerz zu ertragen. Labor callum obducit dolori.6 Man muß den Zögling zu den Mühseligkeiten der Arbeit und den Unbequemlichkeiten der Leibesübungen gewöhnen, um ihn gegen allerlei Schmerz unempfindlicher zu machen; dahin gehören Verrenkungen der Glieder, Schmerzen in den Eingeweiden, Brennmittel auf der Haut, sogar Gefängnis und Marter der Folter. Denn selbst den letzteren kann er zu gewissen Zeiten ausgesetzt sein so gut wie die Bösewichter. Wir haben die Exempel! Wer die Gesetze bestreitet, droht dem Rechtschaffenen mit Geißel und Strick. Überdem noch wird das Ansehen des Hofmeisters, das über den Zögling uneingeschränkt sein soll, durch die Gegenwart der Eltern unterbrochen und geschmälert. Dazugenommen den Respekt, den das Hausgesinde dem jungen Herrn zeigt, und die Idee, die er sich von der Größe und Hoheit seiner Familie macht, so sind das nach meiner Meinung keine kleinen Hindernisse bei seinem Alter. In dieser Schule des Umgangs mit Menschen habe ich auch die Unbequemlichkeit bemerkt, daß, anstatt uns die Kenntnis von anderen zu erwerben, wir nur darauf arbeiten, uns anderen bemerklich zu machen, und mehr Mühe geben, unsere Ware an Mann zu bringen, als neue einzusammeln. Stillschweigen und Bescheidenheit sind sehr schickliche Eigenschaften für den menschlichen Umgang. Man muß das Kind mit seinem Wissen, sparsam und haushälterisch sein, lehren, wenn es bereits welches erworben hat, und sich über die Dummheiten und Fabeln nicht zu entrüsten, die etwa in seiner Gegenwart zu Markte gebracht werden.

Denn es ist eine unhöfliche Anmaßung, alles herabzuwürdigen, was nicht nach unserem Geschmack ist. Laß es ihm genügen, sich selbst zu bessern; und nicht anderen darüber Vorwürfe zu machen, was es sich selbst zu tun versagt; noch die öffentlichen Sitten reformieren wollen. Licet sapere sine pompa, sine invidia.7 Es vermeide das Bild eines angemaßten und ungesitteten Reformators der Welt und den kindischen Ehrgeiz, feiner zu scheinen, weil es anders denkt und als ob es eine so schwere Sache wäre zu tadeln, neue Sachen vorzubringen und sich dadurch einen großen Namen zu erwerben. So wie es nur großen Dichtern anständig ist, sich poetischer Freiheiten zu bedienen, so ist es auch nur bei großen und vorzüglichen Seelen erträglich, wenn sie sich die Freiheit nehmen, sich über die Gewohnheit hinwegzusetzen. Si quid Socrates et Aristippus contra morem et consuetudinem fecerunt, idem sibi ne arbitretur licere: magnis enim illi et divinis bonis hanc licentiam assequebantur.8 Man muß es lehren, sich in kein Gespräch oder in Wortstreit einzulassen, als wenn es einen Gegner findet, der es mit ihm aufnehmen kann, und selbst alsdann sich nicht aller Wendungen bedienen, die ihm zustatten kommen könnten, sondern bloß der dienlichsten. Man flöße ihm Delikatesse ein in der Wahl und Darlegung seiner Gründe und Liebe zum Zweckdienlichen, folglich zur Kürze. Vorzüglich bringe man es dahin, daß es vor der Wahrheit die Waffen strecke und sich ihr ergebe, sobald es sie erblickt, sei es, daß es sie auf seiten seines Gegners gewahr werde oder in seinem eigenen Geist vermittelst eines lichtvollen Augenblicks. Denn man wird es ja auf keinen Lehrstuhl stellen, um eine vorgeschriebene Rolle herzusagen. Es hänge keiner Sekte an, als weil es sie billigt. Auch wird es keiner Profession angehören, in der man mit baren Pfennigen die Freiheit bezahlt, seine Fehler zu erkennen und zu bereuen. Neque, ut omnia, quae praescripta et imperata sint, defendat, necessitate ulla cogitur.9 Ist der Hofmeister meines Sinnes, so wird er den Willen des Zöglings dahin lenken, ein treuer, anhänglicher und tapferer Dienstmann seines Fürsten zu werden, wird ihm aber die Begierde abkühlen, ihm aus anderer Rücksicht zu dienen als aus öffentlicher Staatsbürgerpflicht. Außer verschiedenen anderen Unbequemlichkeiten, welche durch diese besonderen Verbindlichkeiten unsere Freiheit kränken, ist das Urteil eines gemieteten oder gekauften Menschen entweder weniger unbefangen und weniger frei, oder es hat den Schein der Unbesonnenheit und Undankbarkeit gegen sich. Ein wahrer Hofmann kann kein ander Gesetz, keinen anderen Willen haben, als vorteilhaft von seinem Herrn zu sprechen und zu denken, der ihn unter so viel tausend Untertanen gewählt hat, um ihn zu nähren und mit seiner Hand zu erhöhn. Diese Gunst, dieser Nutzen bestechen nicht ohne alle Ursache seine Offenherzigkeit und blenden sein Urteil. Gleichwohl sieht man gewöhnlicherweise, daß die Sprache dieser Leute von der Sprache anderer in einem Staat sehr verschieden und in dergleichen Materien nicht sehr zuverlässig ist. Aus den Reden des Zöglings müssen sein Gewissen und seine Tugend hervorleuchten; und sie müssen bloß die Vernunft zur Führerin haben. Man mache es ihm einleuchtend, daß die Fehler gestehn, die er in seinen eigenen Schlüssen entdeckt – würden sie auch von niemand als von ihm selbst bemerkt –, eine Wirkung der verbesserten Einsicht und Aufrichtigkeit sei, welches die vornehmsten Dinge sind, wonach er strebt; daß Eigensinn und Widersprechungsgeist niedrige Eigenschaften sind und sich meistens nur bei kleinen Seelen zeigen. Hingegen, sich besinnen, seine Meinung bessern, in der Hitze des Streits selbst eine schlechte Sache aufgeben, seltene, starke und philosophische Eigenschaften bezeichnen. Man muß ihn darauf aufmerksam machen, daß er die Augen überall habe, wenn er in Gesellschaft ist. Denn ich finde, daß die ersten Stühle gewöhnlich von Personen eingenommen werden, welche die wenigsten Fähigkeiten haben, und daß die größten Glücksgüter nicht gar oft mit den aufgeklärtesten Köpfen vereinigt sind. Ich habe indessen gesehen, daß man sich am oberen Ende einer Tafel über die Schönheit einer Tapete oder über den Geschmack des Malvasiers unterhielt und daß viele schöne Züge des Gesprächs vom anderen Ende der Tafel verlorengingen. Er muß die Tiefe eines jeden erforschen; Hirten, Handwerker, Reisende, alles muß er hervorziehn und von jedes Waren etwas nehmen; denn in der Haushaltung ist alles zu gebrauchen. Selbst Dummheit und Schwachheit anderer werden ihm zur Lehre gereichen. Wenn er auf die Manieren und das Betragen eines jeden fleißig achtet, so wird er Lust bekommen, sich die guten zu eigen zu machen, und wird die schlechten verachten. Man flöße ihm eine bescheidene Neugier ein, nach allem zu fragen: alles, was um ihn her sonderbar ist und sich auszeichnet, muß er besehn. Ein Gebäude, einen Springbrunnen, einen Menschen; die Walstätte einer ehemaligen Schlacht, den Zug Cäsars oder Karls des Großen.

 

Quae tellus sit lenta gelu, quae putris ab aestu,

Ventus in Italiam quis bene vela ferat.10

 

Er muß sich erkundigen nach den Sitten, den Einkünften und den Verbindungen dieses und jenes Fürsten. Das sind Dinge, die es sehr angenehm zu erfahren und sehr nützlich ist zu wissen. In diesem Umgang mit Menschen will ich auch, und zwar hauptsächlich, jene mit eingeschlossen wissen, die nur noch in den Büchern leben. Vermittelst der Geschichte wird er sich mit den großen Seelen der besten Zeitalter bekannt machen. Es ist ein eitles Studium, wird vielleicht einer oder der andere sagen; es ist aber, richtig genommen, ein Studium von sehr schätzbarem Nutzen und das einzige, welches wie Plato sagt, die Lakedämonier sich vorbehalten hatten. Welchen Vorteil wird er nicht in diesem Fache vom Lesen der Lebensbeschreibungen unseres Plutarchs ziehen! Aber laß unseren Hofmeister auch nicht vergessen, was eigentlich der Zweck seines Amtes ist, und laß ihn so seinem Untergebenen nicht sowohl Jahr und Tag der Zerstörung von Karthago als die Charaktere Hannibals und Scipios bekannt machen. Nicht sowohl, wo Marcellus starb, sondern warum es nicht mit seiner Pflicht bestand, dort zu sterben. Er lehre ihn nicht sowohl die Begebenheiten selbst als richtig darüber urteilen. Dies ist nach meiner Meinung unter allen gerade die Materie, womit sich unser Geist in einem höchst verschiedenen Maße beschäftigt. Ich habe im Livius hundert Dinge gelesen, die dieser oder jener nicht darin gefunden hat. Plutarch hat noch hundert andere darin gelesen, die wieder mir entwischt sind und welche vielleicht Livius nicht hineingelegt hatte. Einige lesen ihn bloß, um aus ihm Grammatik zu lernen; andere die philosophische Zergliederungskunst, vermöge welcher man in die verborgenen Teile unserer Natur eindringt. Man findet beim Plutarch viele gründlich ausgearbeiteten Abhandlungen, die es sehr verdienen, daß man sich damit bekannt mache; denn nach meiner Meinung ist er darin Altmeister. Er hat aber tausend Dinge nur ganz leicht berührt. Er winkt bloß mit dem Finger, welchen Weg wir zu nehmen haben, wenn wir ihm folgen wollen; und zuweilen begnügt er sich, mitten im wärmsten Vortrag abzubrechen und es bei einem leichten Hinwurf bewenden zu lassen. Diese Winke muß man sammeln und in einem Magazin aufbewahren. Wie seinen Ausspruch: die Bewohner Asiens wären nur einem Despoten untertan, weil sie eine Silbe nicht aussprechen könnten! Das Wort Nein nämlich, welches vielleicht dem Böethius Stoff und Anlaß zu seiner Schrift "Die freiwillige Knechtschaft" gab. Zuweilen stellt er in dem Leben eines Mannes eine Handlung oder ein Wort, welche unbedeutend schienen, in ein solches Licht, daß solche einen wichtigen Sinn bekommen. Es ist schade, daß die Menschen von so großem Verstand so sehr die Kürze lieben! Unstreitig gewinnt dadurch ihr Ruhm; aber wir verlieren dabei. Plutarch will lieber, daß wir ihn seines richtigen Verstandes wegen rühmen als seiner Gelehrsamkeit. Er will uns lieber sein Begehren lassen als uns sättigen. Er wußte, daß man selbst von guten Dingen zuviel sagen könne und daß Alexandrides demjenigen, welcher den Ephoren einen guten aber zu langen Vortrag tat, mit Recht den Verweis gab: "O Fremdling, gute Sachen sagst du, du sagst sie nur nicht gut." Wer einen magern Leib hat, trägt gern einen ausgestopften Wams, und denen, welchen die Materie schwindet, schwellen die Worte.

Man zieht eine unvergleichliche Klarheit für den menschlichen Verstand aus dem fleißigen Umgang mit Menschen. Wir sind alle in Haufen zusammengedrängt und sehn nicht weiter, als unsere Nasen reichen. Als Sokrates befragt war, woher er gebürtig sei, antwortete er nicht: "aus Athen", sondern: "aus der Welt." Dieser Weise, dessen Geist besser genährt und weniger umgrenzt war, umfaßte die ganze Welt wie seine Vaterstadt; weihte seine Kenntnis, seinen Umgang und sein Wohlwollen dem ganzen Menschengeschlecht; nicht wie wir, wir sehen nur unter uns herab. Wenn in meinem Dorf der Weinstock verfriert, so zieht mein Pfarrer daraus den Schluß, daß Gott über das ganze Menschentum zürne, und urteilt, daß den Kannibalen davon schon das Zäpflein geschossen sei. Wer schreit beim Anblick unserer bürgerlichen Kriege nicht, daß die Maschine zu Trümmern gehe und daß uns der Jüngste Tag schon bei der Kehle fasse! Ohne sich zu besinnen, daß man schon weit ärgere Dinge erlebt hat und daß zehntausend Teile der Welt sich's indessen weidlich wohl sein lassen. Wenn ich hingegen die Ausgelassenheit und Ungestraftheit dieser Kriege betrachte, so bewundere ich vielmehr, daß sie so menschlich sind und so mild. Wem es um den Kopf herum hagelt, den dünkt das Gewitter über die ganze Himmelssphäre zu wüten, und jener Savoyard sagte: Wenn der einfältige König von Frankreich sein Glück recht zu brauchen gewußt hätte, so wäre er der Mann danach, der bei meinem Herzog hätte Haushofmeister werden können. – Seine Imagination konnte sich bis zu keiner größeren Höhe erheben als der seines Fürsten und Herrn.

Wir sind alle, weniger oder mehr, in diesem Irrtum. Ein Irrtum von großem und nachteiligem Einfluß. Wer sich aber das große Bild unserer Mutter Natur gleichsam wie in einem Gemälde in ihrer ganzen Majestät vorstellt; wer in ihrem Gesichte eine so allgemeine, so beständige Abänderung sieht; wer sich darin betrachtet, und nicht bloß sich selbst, sondern ein ganzes Reich, wie den Strich von einer sehr zarten Spitze – nur der schätzt die Dinge nach ihrer wahren Größe. Diese große Welt, welche einige noch wie Spezies unter ein Genus multiplizieren, ist der Spiegel, in den wir schauen müssen, um unseren wackeren Balken wahrzunehmen. Kurz, ich verlange, daß sie das Buch meines Schülers sein soll. So vielerlei Charaktere, Sekten, Urteile, Meinungen, Gesetze und Gewohnheiten lehren uns, richtig von unseren eigenen zu urteilen, und überzeugen unseren Verstand von seiner Unvollkommenheit und von seiner natürlichen Schwäche; und das ist keine leichte Lektion. So manche Staatsrevolutionen und Umkehrungen der öffentlichen Glückseligkeit so mancher Reiche lehren uns, aus unserem eigenen kein so großes Wunderwerk machen. So viele Heldennamen, so viele Siege und Eroberungen, die in der Vergessenheit begraben liegen, machen die Hoffnung lächerlich, durch Gefangennehmung von zehn Landmilizen und die Eroberung eines mit Zaum und Schlagbaum befestigten Ortes, den vor der Einnahme kein Mensch dem Namen nach kannte, unseren Namen zu verewigen. Der Hochmut und Dünkel mancher fremden Prunkgepränge, die so aufgeblasene Majestät mancher Höfe und Großen befestigt und stärkt unsere Sehkraft, daß sie den schimmernden Glanz der unsrigen ausstehn kann, ohne zu blinzeln. So viele Millionen, die vor uns begraben sind, machen uns beherzt, uns nicht davor zu fürchten, so guter Gesellschaft in die andere Welt zu folgen; und so im übrigen. Unser Leben, sagt Pythagoras, ist gleich einem Zuge nach der großen und volkreichen Versammlung bei den olympischen Spielen. Einige üben den Körper, um dadurch den Preis zu erringen, einige sind darunter (und das sind nicht die verächtlichsten), die dort keinen anderen Vorteil suchen, als zu sehn, wie und warum jede Sache so und nicht anders gemacht wird, die sich bloß als Zuschauer bei dem Leben anderer Menschen verhalten, um danach ihr eigenes zu beurteilen und einzurichten. Mit den Beispielen kann man sehr füglich die anwendbarsten Vorschriften der Philosophie verbinden, an welchen man die Handlungen der Menschen, als das Gold am Probierstein, reiben muß. Man muß ihm sagen:

 

– – quid fas optare, quid asper

Utile nummus habet; patriae carisque propinquis

Quantum elargiri deceat: quem te deus esse

Jussit, et humana qua parte locatus es in re;

Quid sumus, aut quidnam victuri gignimur.11

 

Was Wissen ist und was Unwissenheit; was der Endzweck alles Lernens ist; was Tapferkeit ist, was Mäßigkeit und Gerechtigkeit; was sich zwischen Ehrgeiz und Geldreiz bemerken läßt; was zwischen Knechtschaft und Folgsamkeit; zwischen Zügellosigkeit und Freiheit. An was für Kennzeichen man die wahre und dauernde Zufriedenheit erkennt. Inwieweit man Tod, Schmerz und Schande zu fürchten hat.

 

Et quo quemque modo fugiatque feratque laborem.12

 

Was für Triebfedern uns in Bewegung setzen und was uns auf so mancherlei Art wünschen und handeln läßt. Denn nach meiner Meinung müssen die ersten Weisheitslehren, womit man seinen Verstand erquickt, darin bestehn, daß sie seine Sitten lenken und seine Empfindungen; daß sie ihn lehren, sich selbst erkennen, gut leben und gut sterben. Unter den freien Künsten laß uns mit der Kunst anfangen, die uns frei macht. Sie dienen freilich alle, ohne Widerrede, auf gewisse Weise zum Unterricht für unser Leben und dessen Anwendung; wie alle anderen Dinge gewissermaßen dazu ebenfalls dienen. Aber laß uns diejenigen wählen, welche uns geradewegs und vermöge ihrer Natur dienen. Wenn wir die Bedürfnisse unseres Leben in ihre richtigen und natürlichen Grenzen einzuschränken wüßten, so würden wir finden, daß der größte Teil der Wissenschaften, welche im Gebrauch sind, für uns von keinem Gebrauch sind. Und daß selbst bei denen, welche es sind, es solche unnütze Ausdehnungen und Vertiefungen gibt, über die wir besser täten, hinwegzusehn; und daß wir nach dem Rat des Sokrates uns mit unserem Studieren bloß an die halten sollen, welche nützen:

 

– – Sapere aude,

Incipe: Vivendi qui recte prorogat horam,

Rusticus expectat dum defluat amnis, at ille

Labitur, et labetur, in omne volubilis aevum.13

 

Es ist eine Herzenseinfalt, unsere Kinder lehren:

 

Quid moveant Pisces, animosaque signa Leonis,

Lotus et Hesperia quid Capricornus aqua14,

 

die Wissenschaft der Gestirne und Kenntnis des Ganges der achten Sphäre, eh' sie noch ihre eigenen kennen.

 

Ti dAastrasin Booteo,

Ti Pleiadessi kamoi;15

 

Anaximenes schrieb an Pythagoras: Aus welcher Absicht könnte ich mich mit dem Geheimnis der Gestirne befassen, da ich Tod und Knechtschaft beständig vor meinen Augen schweben sehe? Denn damals rüsteten sich die persischen Könige zum Kriege gegen sein Vaterland. Ein jeder muß so sagen, der von Ehrsucht, Geldgeiz, Übermut, Aberglauben bekämpft wird und in seinem Inneren noch dergleichen andere Feinde des Lebens hegt: Soll ich mich um den Lauf der Dinge dieser Welt bekümmern?

Nachdem man den Zögling gelehrt hat, was nötig ist, um ihn weiser und besser zu machen, so mag man ihn mit der Logik, Physik, Geometrie und Rhetorik bekannt machen; und welche Wissenschaft er dann auch wählt, da einmal sein Verstand gebildet worden, so wird er davon bald Meister werden. Sein Unterricht werde ihm bald durch trauliche Gespräche, bald durch Bücher beigebracht. Zuweilen gebe ihm der Lehrer die Schriftsteller selbst in die Hände, die zu diesem Zwecke tauglich sind; zuweilen gebe er ihm daraus Saft und Mark ganz zubereitet. Sollte der Lehrer selbst nicht hinlängliche Bekanntschaft mit den Büchern haben, um die zu seiner Absicht dienlichen Stellen auffinden zu können, so muß man ihm einen Literator zugeben, der, so oft es nötig tut, die erforderliche Munition herbeischaffe, um solche seinem Zögling zuzuteilen. Und wer kann wohl daran zweifeln, ob diese Lehrart leichter sei als die Lehrart des Gaza? Diese gibt trockene, nahrlose Vorschriften und hohle Worte und leere Schalen ohne Kern, nichts, das dem Geist Nahrung gäbe; in unserer findet die Seele eine frische, gesunde Weide. Unsere Frucht ist bei weitem größer und gedeiht weit eher zur Reife.

Es ist seltsam, daß es in unserem Jahrhundert mit uns dahin gekommen, daß selbst bei Leuten von Verstand die Philosophie bis zu einem bedeutungsleeren Worte, ohne allen Nutzen, ohne allen Wert, weder in Meinung noch in Wirkung, herabgesunken ist. Ich glaube, die Ergos, die sich ihrer Zugänge bemächtigt haben, sind schuld daran. Man hat groß unrecht, sie den Kindern als unzugänglich vorzumalen und ihnen solche mit mürrischem, grämlichem und schreckendem Gesicht abzubilden. Wer hat sie in diese bleiche, runzlige Larve vermummt? Nichts ist heiterer, munterer, fröhlicher; fast möcht' ich sagen, scherzhafter! Sie predigt nichts als Frohsinn und Wohlleben. Trübe und finstere Mienen sind ein Zeichen, daß sie da nicht herbergt. Als Demetrius der Grammatiker im Tempel zu Delphos einen Haufen Philosophen beisammensitzen sah, sagte er: Entweder ich betrüge mich, oder euere so heiteren, friedlichen Gesichter sagen mir, daß ihr eben in keiner wichtigen Unterredung begriffen seid. – Worauf einer unter ihnen, Heracleon der Megarier, antwortete: Mögen diejenigen, welche untersuchen, ob das Futurum von ballo ein doppeltes ll hat, oder welche die Abstammung der Komparative xeiron und beltion oder der Superlative xeiriston und beltiston ausfindig machen wollen, die Stirnen runzeln, wenn sie sich von ihrer Wissenschaft unterhalten; was aber die philosophischen Untersuchungen anlangt, so machen solche gewöhnlich diejenigen froh und munter, die sich damit abgeben, und nichts weniger als finster und mürrisch.

 

Deprendas animi tormenta latentis in aegro

Corpore; deprendas et gaudia: sumit utrumque

Inde habitum facies.16

 

Eine Seele, in welcher die Philosophie ihre Wohnung genommen hat, muß durch ihre Gesundheit auch ihren Körper gesund machen. Sie muß ihre Ruhe und ihr Wohlbehagen selbst von außen scheinen und leuchten lassen; muß das Betragen des Körpers nach dem ihrigen abmessen und es folglich mit einem angenehmen, festen Mute bewaffnen, mit lebhaften, frohen Bewegungen und mit einem zufriedenen und gefälligen Anstand. Der sicherste Stempel der Weisheit ist ein ununterbrochener Frohsinn: ihr Anblick ist wie der Luftraum über dem Monde, beständig heiter. Baroco und Baralipton aber machen ihre Leute so schmutzig und räucherig, nicht die Weisheit, denn die kennen sie nur aus Hörensagen. Wie? Ihr Geschäft ist, die Stürme in der Seele zu legen und Hunger und Fieber lachen zu lehren: nicht durch Täuschung und Vorspiegelung, sondern durch vernünftige, faßliche Gründe. Sie leitet gerade hin zur Tugend, die nicht, wie die Schule lehrt, auf der Spitze eines steilen, schroffen, unzugänglichen Berges gepflanzt ist. Diejenigen, welche bis zu ihr gelangt sind, sagen im Gegenteil, sie wohne in einer fruchtbaren, lieblichen Ebene, von daraus sie zwar alle Dinge in der Tiefe unter sich sieht, zu welcher man aber gleichwohl, wenn man richtige Anweisung hat, durch schattige, von Blumenduft umwehte, leicht sich hebende, eben gebahnte Wege (wie die Wege am Gewölbe des Himmels) gelangen kann. Weil sie keine Bekanntschaft mit dieser erhabenen Tugend gemacht haben, die so schön, so mächtig, so lieblich, so reizend und zugleich so mutvoll, eine offenbare und unversöhnliche Feindin alles Haders, alles Mißvergnügens, aller Furcht und alles Zwanges ist, deren Führer Natur, deren Begleiter Glück und Wonne sind, so haben sie in ihrer Schwachheit sich beigehen lassen, jenes dumme Bild, das so trübselig, zänkisch, hämisch, drohend und grinsend aussieht, zu formen und es auf einem abwärts gelegenen Felsen, zwischen Dornen und Hecken, als ein Scheusal aufzustellen, um die Menschen zu schrecken. Mein Edukator, welcher weiß, daß er den Willen seines Zöglings mit ebensoviel oder noch mehr Zuneigung zur Tugend als Ehrerbietung für sie anfüllen muß, wird ihm sagen, daß die Dichter dem Hange des großen Haufens folgen, und wird es ihm einleuchtend machen, daß die Götter den Steig zu den Lauben der Göttin Venus viel beschwerlicher gemacht haben als zum Tempel der Pallas, und wenn der Jüngling beginnt, sich zu fühlen, so wird er ihm Bradamante oder Angelika zu Gegenständen seiner verliebten Sehnsucht vorschlagen: die eine von ungekünstelter Schönheit, Munterkeit und erhabenem Geiste, zwar nicht von männlichem Wuchs, aber doch von männlicher Seele; auf Kosten einer zärtlichen Schönheit, die geziert ist und von erkünsteltem Reiz; die eine verkleidet als Jüngling im blanken Helm, die andere verkleidet als Buhlerin, den Haarschmuck mit Perlen durchflochten. Er wird des Zöglings Liebe selbst für männlich erkennen, wenn solcher gerade umgekehrt wählt als jener weibische, phrygische Schäfer. Er wird ihm diese neue Lehre beibringen, daß Preis und Würde der wahren Tugend in der Leichtigkeit, Nützlichkeit und Beharrlichkeit bei ihrer Ausübung besteht; so entfernt von aller Schwierigkeit, daß Kinder sowohl als Männer, die Einfältigen sowohl als die Klugen dazu die Fähigkeit haben. Sie wirkt mehr durch richtige Anwendung der Werkzeuge als durch Stärke. Sokrates, ihr vornehmster Liebling, entsagt wissentlich seiner Stärke, um desto behender und zwangloser in ihr weiterzukommen. Sie ist die Pflegerin menschlicher Freuden. Sie bestimmt ihr Maß und macht sie dadurch sicher und rein. Sie hält solche in ihren Grenzen und erhält sie dadurch frisch und von lieblichem Geschmack. Sie versagt uns solche, die sie uns verweigern muß, und schärft dadurch unser Verlangen nach jenen, die sie uns vergönnt; und vergönnt uns alle diese in reichem Maße, die die Natur uns nicht verbeut; wo nicht zum Überdruß, doch wie eine gütige Mutter bis zur Sättigung. Da wir doch auch wohl nicht sagen wollen, daß die Mäßigkeit, die dem Säufer vor dem Rausch, dem Fresser vor der Überladung des Magens, dem Wollüstling vor der Glatze noch Einhalt tut, eine Feindin unseres Vergnügens sei. Wenn das gemeine Glück ihr sauer sieht, entflieht sie seinem Dienst oder weiß sein zu entbehren und schmiedet eines, das ganz nach seinem Sinn und nicht wankend ist und unbeständig. Sie hat den Verstand dazu, reich zu sein und mächtig und auf weichen Polstern zu schlafen. Sie liebt das Leben, sie liebt die Schönheit, den Ruhm und die Gesundheit. Ihr eigentlicher und besonderer Dienst aber besteht darin, daß sie lehrt, diese Dinge zu gebrauchen und ohne Schmerz verlieren. Ein Dienst, der viel edler ist als beschwerlich, ohne welchen der ganze Lauf des Lebens Unnatur, Unheil und Unfügigkeit ist, dem man mit Recht Klippen, Dornen und Ungeheuer zuschreiben kann.

Sollte der Zögling von so sonderbarem Gemüt sein, daß er lieber ein Märchen als die Erzählung einer schönen Reise hören möchte oder sonst ein vergnügtes Gespräch, das nicht über seine Begriffe ginge; oder sollte er beim Schall der Trommel, die seine jungen Spießgesellen mit Mut anfüllt, auf den Ton einer anderen horchen, die zur Gaukelbude lockt; sollte er etwa nicht mehr Lust und Freude daran finden, bestaubt und als Sieger aus einem Gefecht als vom Tanz-oder Fechtboden mit den bei diesen Übungen gewöhnlichen Preisen zurückzukommen, nun, so weiß ich keinen besseren Rat, als man tu' ihn in irgendeiner Stadt zu einem Pastetenbäcker, und wär's auch der Sohn eines Grafen und Herrn, nach der Lehre des Plato, welcher will, man solle die Kinder nicht nach dem Vermögen ihrer Väter anstellen, sondern nach dem, was ihre eigenen Seelen vermögen.

Weil es die Philosophie ist, die uns lehrt, wie wir leben sollen, und sie auch der Jugend ebensowohl Lehren erteilt als dem Alter, warum macht man sie nicht mit ihr bekannt!

 

Udum et molle lutum est; nunc, nunc properandus, et acri

Fingendus sine fine rota.17

 

Man lehrt uns die Kunst zu leben, wenn unser Leben dahin ist. Hundert Schüler haben sich Krankheiten der Unzucht zugezogen, bevor sie in ihrem Aristoteles bis an das Kapitel der Mäßigung gekommen waren. Cicero sagt, wenn er auch das Alter zweier Menschen leben sollte, würde er sich doch nicht die Zeit nehmen, die lyrischen Dichter zu studieren. Und ich halte die Ergotisten auf eine weit kläglichere Weise für unnütz. Mit unserem Kinde hat es größere Eile: nur die ersten fünfzehn oder sechzehn Jahre des Lebens gehören der Schulerziehung, das übrige gehört fürs Handeln. Eine so kurze Zeit müssen wir auf den notwendigen Unterricht verwenden. Man schaffe den Mißbrauch aus dem Wege! Man entferne die verworrenen Spitzfindigkeiten der Disputierkunst, die unser Leben nicht bessern können, und halte sich an die einfachen Sätze der Philosophie; nur verstehe man, sie richtig zu wählen und vorzutragen; sie sind leichter zu fassen als eine Erzählung des Boccaccio. Ein Kind, das eben der Amme entnommen wird, kann sie begreifen, weit leichter als Lesenlernen oder Schreiben. Die Philosophie hat Lehren für die Kindheit des Menschen wie für sein hinfälliges Alter. Ich bin der Meinung Plutarchs, daß Aristoteles seinen großen Zögling nicht sowohl dabei aufhielt, ihn künstliche Syllogismen drechseln zu lassen oder geometrische Aufgaben zu berechnen, als er ihm vielmehr sichere Anleitung zur Herzhaftigkeit, Tapferkeit, Größe der Seele, Mäßigung und Unerschrockenheit gab. Mit diesen Eigenschaften ausgerüstet, schickte er ihn noch als Kind hin, die Welt zu erobern, mit nicht mehr als dreißigtausend Mann zu Fuß und viertausend zu Roß, mit bloß zweiundvierzigtausend Talern im Kriegsschatz. Die übrigen Künste und Wissenschaften, sagte er, ehrte Alexander zwar und rühmte ihre Vortrefflichkeit und Vorzüge, allein, so viel Vergnügen er daran fand, so war es doch nicht leicht, ihm die Lust beizubringen, sich mit ihrer Ausübung selbst zu befassen.

 

Petite hinc, iuvenesque senesque,

Finem animo certum, miserisque viatica canis.18

 

Das ist es, was Epikur im Anfang seines Briefes an Menikäus sagt: Laß den Jüngling sich nicht weigern zu philosophieren noch den Ältesten darob zu ermüden. Wer das Gegenteil tut, scheint dadurch zu sagen, seine Zeit, glücklich zu leben, sei noch nicht gekommen oder sie sei für ihn dahin. Gleichwohl will ich mit diesem allen nicht sagen, daß man den Jüngling einkerkern solle. Ich verlange nicht, daß man ihn dem Zorn und der düsteren Laune seines Schulmeisters überlasse: meine Meinung ist nicht, seinen Geist ins Joch oder auf die Folter zu spannen oder ihn nach der Weise einiger seine vierzehn bis fünfzehn Stunden des Tages wie einen Lastträger unter den Büchern schwitzen zu lassen. Ich würde es nicht einmal billigen, wenn er aus düsterem, melancholischem Temperament unmäßigerweise über den Büchern läge und man ihn darin bestärken wollte. Dergleichen macht junge Leute ungeschickt zum artigen Umgang und hält sie ab von besseren Beschäftigungen. Wie manchen Menschen hab' ich in meinem Leben wegen zu großer Gier nach Wissenschaft verdummt gesehen! Carneades war darauf so närrisch erpicht, daß er sich darüber nicht die Zeit ließ, sich den Bart zu scheren und die Nägel zu küppen. Auch möchte ich unserem Jüngling nicht gern die großmütigen Sitten durch die Rauheit und Grobheit anderer verderben. Ehemals war die französische Lebensart zum Sprichwort geworden als eine Lebensart, die sich früh bei jungen Leuten äußerte, aber nicht lange aushielt. In der Tat sehen wir noch, daß nichts so artig sei als die kleinen Kinder in Frankreich; gewöhnlich aber täuschen solche die Hoffnung, die man sich von ihnen machte, und zeigen als erwachsene Menschen gar keine Vortrefflichkeit. Von gar verständigen Leuten hab' ich sagen gehört, daß die Erziehungsanstalten, wohin man sie zu senden pflegt und deren es in Frankreich so viele gibt, sie so verdummen sollen. In der unsrigen müssen ihm immer Garten, Tisch, Bett, Einsamkeit, Gesellschaft, Vormittag, Nachmittag, alle Stunden einerlei sein. Jeder Ort gut zum Studieren; denn die Philosophie, welche als eine Bildnerin des Verstandes und der Sitten sein hauptsächlichstes Studium ist, hat das Privilegium, allenthalben gegenwärtig zu sein.

Als Isokrates der Orator bei einem Gastmahl ersucht wurde, von seiner Kunst zu sprechen, antwortete er nach jedermanns Urteil sehr richtig: Es ist jetzt nicht die Zeit, von dem zu sprechen, was ich verstehe, und auf dasjenige, wozu es jetzt Zeit wäre, verstehe ich mich nicht. – Denn eine Gesellschaft, die sich versammelt hat, um zu lachen und Wohlleben zu treiben, mit zierlichen Reden oder ästhetischen Abhandlungen unterhalten, hieße ein Mischmasch von Tönen ohne Zusammenhang vortragen. Und dasselbe ließe sich von allen übrigen Wissenschaften sagen. In Ansehung der Philosophie aber, insofern sie vom Menschen und seinen verschiedenen Pflichten handelt, sind alle Weisen der einstimmigen Meinung gewesen, daß man solcher ihrer anmutigen Unterhaltung wegen zu keiner fröhlichen Versammlung oder keinen Spielen den Zutritt versagen dürfe. Und wir sehen, wie sie beim Plato, der sie zu seinem Kränzchen als Gast eingeladen hatte, die Gesellschaft auf eine gefällige, dem Ort und der Zeit angemessene Weise unterhält, obgleich sie von den erhabensten und nützlichsten Sachen spricht.

 

Aeque pauperibus prodest, locupleribus aeque;

Aeque neglectum pueris senibusque nocebit.19

 

Also wird er auch gewiß weniger Feierstunden machen wie ein anderer. Aber, gleich wie die Schritte, die wir in einer Galerie spazierend tun, uns nicht so ermüden, täten wir ihrer auch dreimal soviel als auf einem vorgeschriebenen Wege: ebenso werden unsere Lektionen, die wir bei allem unserem Tun so gleichsam als zufälligerweise mitnehmen, ohne an Zeit und Ort gebunden zu sein, hingehen, ohne uns im geringsten zu ermüden. Selbst unsere Spielstunden und unsere Leibesübungen, Laufen, Ringen, Musik, Tanzen, Reiten, Fechten und die Jagd werden einen guten Teil unseres Studierens ausmachen. Ich will, daß ein äußerer Anstand des Körpers, ein gefälliges Wesen der Person im Umgang zu gleicher Zeit gebildet werde als die Seele. Es ist nicht eine Seele, nicht ein Körper, den wir erziehen; es ist ein Mensch. Aus dem müssen wir keine zwei machen. Und wie Plato sagt: man muß den einen nicht abrichten ohne den anderen, sondern sie beide gleich führen und leiten, wie ein Paar an eine Deichsel gespannter Pferde. Und scheint es nach seiner Meinung nicht mehr Zeit und Mühe zu erfordern, den Körper auszubilden als den Geist; und nicht umgekehrt? Übrigens muß bei unserer Erziehungsmethode mit strenger Sanftmut verfahren werden, und nicht, wie wohl es bisher gewöhnlich war. Anstatt den Kindern Lust zum Lernen einzuflößen, machte man ihnen davor Furcht und Grauen. Weg mit Zwang und Gewalt! Nichts erniedrigt und verdummt nach meiner Meinung so arg eine sonst gutgeartete Natur.

Verlangt ihr, daß ein Zögling Schimpf und Strafe fürchtet, so verhärtet solchen nicht dagegen. Härtet ihn ab gegen Schweiß, Kälte, Wind, Sonne und Zufälligkeiten, die er nicht achten lernen muß. Entwöhnt ihn aller Weichlichkeit und Verzärtelung in Kleidung, Essen, Trinken und Schlafen. Gewöhnt ihn an alles. Macht daraus kein schönes Söhnchen und Jungferngesichtchen, sondern einen derben, kräftigen Jüngling. Als Kind, Mann und Greis habe ich immer gleich geglaubt und geurteilt. Unter anderen aber hat mir die innere Einrichtung der meisten Erziehungsanstalten beständig mißfallen. Man hätte gewiß nicht weniger Unheil gestiftet, wenn man mehr der Nachsicht Raum gegeben hätte. Es sind wahre Kerker der gefangenen Jugend. Man macht sie faul und liederlich, indem man sie als faul und liederlich bestraft, bevor sie es noch ist. Man komme nur in die Klassen beim Verhör der Lektionen! Da hört man nichts als Schreien der Kinder unter Schlägen und sieht nichts als zorntrunkene Präzeptoren. Eine vortreffliche Art, den zarten und furchtsamen Seelen der Kinder Lust zum Lernen zu machen, sie mit fürchterlicher Kupfernase dazu anzuleiten, die Hände bewaffnet mit der gottlosen Rute von abscheulicher Gestalt. Hinzugefügt noch, was Quintilian darüber sehr richtig bemerkt hat, daß das hochgebietende Ansehen sehr gefährliche Folgen nach sich zieht und vorzüglich bei unserer Art der Züchtigung. Viel anständiger wäre es, wenn die Klassen mit Blumen und Blättern bestreut wären als mit Fasern von blutigen Birken. Ich würde die Munterkeit, die Freude, Flora und Grazien zu den Lehrstunden einladen, so wie es der Philosoph Speusippus mit seiner Schule machte. Wo ihr Gewinn liegt, da laß auch ihr Geschäft walten. Dem Kinde muß man gesunde Speisen verzuckern, solche aber, die ihm schädlich sind, vergällen. Es ist fast unglaublich, wie Plato in den Gesetzen für seine neue Republik so äußerst sorgfältig für die Fröhlichkeit und den Zeitvertreib der Jugend bedacht ist und wie lange er sich bei ihren Wettlaufen, Spielen, Gesängen, Springen und Tänzen aufhält, welche, wie er sagt, vom Altertum der Aufsicht und dem Schutz der Götter übergeben waren, dem Apoll, den Musen und der Minerva. Er breitet sich aus über tausenderlei Vorschriften für die gymnastischen Spiele. Über die gelehrten Wissenschaften sagt er nur sehr wenig und scheint er besonders die Dichtkunst nur bloß der Musik wegen zu empfehlen. Alles Affektierte und Sonderbare in unseren Sitten und Ständen ist zu vermeiden, weil es der bürgerlichen Gesellschaft nachteilig ist. Wer wundert sich nicht über die Komplexion Demophons, des Haushofmeisters Alexanders, welcher im Schatten schwitzte und im Sonnenschein vor Frost zitterte? Ich habe Leute gekannt, welche vor dem Geruch von Äpfeln schneller flohen als vor Flintenschüssen; andere, die vor einer Maus erschraken; noch andere, die sich übergaben, wenn sie Milch abrahmen; andere, wenn sie ein Federbett wärmen sahen: wie Germanicus, der so wenig den Anblick eines Hahnes als sein Krähen vertragen konnte. Dergleichen Abscheu mag vielleicht in verborgenen Eigenschaften gegründet sein: man würde ihn aber tilgen, bin ich überzeugt, wenn man früh genug dazu täte. Über mich hat die Erziehung so viel vermocht, freilich nicht ohn alle Mühe, daß ich, Bier ausgenommen, alles übrige, was eß- und trinkbar ist, ohne Ekel essen und trinken kann. Noch ist der Körper biegsam, deswegen muß man ihn in alle Falten und Gewohnheiten bringen, und wenn man nur den Willen und die Begierden im Zaume halten kann, so darf man den jungen Menschen dreist für alle Nationen und für alle Gesellschaften zustutzen, selbst, falls es nötig sein sollte, zur Unregelmäßigkeit und Ausschweifung. Er füge sich den Sitten und der Gewohnheit. Er muß alles mitmachen können, nie aber gern etwas mitmachen, was nicht gut und heilsam ist. Selbst die Philosophen wollen es nicht loben, daß Callisthenes dadurch die Gunst des Alexander verscherzte, daß er nicht ein Glas Wein über den Durst mit ihm trinken wollte. Mein Zögling müßte mit dem Prinzen lachen, scherzen und zechen. Ich verlange sogar, daß er selbst in einer Schwelgerei seinen Gesellen in Festigkeit und Ausdauer überlegen sein soll und daß er nicht aus Mangel an Kraft oder Mangel an Wissen tolle Streiche vermeide, sondern aus bloßem Mangel an Willen. Multum interest, utrum peccare aliquis nolit, an nesciat.20 Ich meinte wirklich einen Herrn vom Stande, der sowenig als nur irgendein Mensch in ganz Frankreich zur Unmäßigkeit geneigt war, dadurch zu ehren, daß ich ihn in guter Gesellschaft fragte, wie oft er sich wohl in Deutschland, aus Notwendigkeit wegen der Geschäfte des Königs, betrunken hätte. Er nahm es auch im rechten Sinn auf und antwortete, es sei dreimal geschehen, und erzählte dabei die Umstände. Ich kenne Personen, die aus Mangel dieser Fähigkeit sich, weil sie mit dieser Nation zu verhandeln hatten, in schlimmer Verlegenheit befunden haben. Oft habe ich mit großer Bewunderung die vortreffliche Natur des Alcibiades bemerkt, der sich so geschmeidig in ganz verschiedene Lagen fügen konnte, ohne daß seine Gesundheit dabei litt, indem er zuweilen die persische Pracht und Üppigkeit übertraf und zuweilen die Mäßigkeit und Strenge der Lakedämonier, ebenso nüchtern in Sparta war als schlemmend in Ionien.

 

Omnis Aristippum decuit color, et status, et res.21

 

So müßte mein Jüngling erzogen sein.

 

– – quem duplici panno patientia velat

Mirabor, vitae via si conversa decebit,

Personamque feret non inconcinnus utramque.22

 

So sind meine Lehren beschaffen. Der hat sie besser studiert, der sie ausübt, als der sie auswendig gelernt hat. Wenn man ihn sieht, so hört man ihn: wenn man ihn hört, so sieht man ihn. Gott wolle nicht, sagt jemand beim Plato, daß Philosophieren soviel heiße als Dinge lernen und sich der Künste befleißigen! Hanc amplissimam omnium artium bene vivendi disciplinam, vita magis, quam litteris, persecuti sunt.23

Als Leo, Fürst der Phliasier, sich beim Heraclides Ponticus erkundigte, von welcher Kunst oder Wissenschaft er eigentlich Profession mache, antwortete ihm dieser: "Ich weiß weder Kunst noch Wissenschaft, sondern ich bin ein Philosoph." Man machte dem Diogenes den Vorwurf, daß er als ein Ungelehrter sich mit der Philosophie abgäbe. "Eben darum", sagte er, "bin ich dazu fähiger." Hegesias bat ihn, er möchte ihm aus einem Buche vorlesen. "Du bist doch sonderbar", sagt er zu ihm, "du wählst wahre, natürliche und nicht gemalte Feigen: warum wählst du nicht zu deiner Geistesnahrung wahre, natürliche und nicht geschriebene Sachen?" Mein Schüler soll seine Lektion nicht sowohl aufsagen als ausüben. Er wird solche durch Handlungen in sein Gedächtnis prägen. Man wird sehen, ob er bei seinen Unternehmungen Klugheit braucht; ob bei seinem Betragen Güte und Gerechtigkeit vorwaltet; ob in seinen Reden Verstand und Anmut herrscht; ob Standhaftigkeit in seinen Krankheiten; ob Bescheidenheit in seinen Spielen; ob Mäßigkeit in seiner Wollust; Ordnung in seiner Haushaltung; ob Gleichgültigkeit in seinem Geschmack an Fleisch oder Fischen, an Wein oder Wasser. Qui disciplinam suam non ostentationem scientiae, sed legem vitae putet, quique obtemperet ipse sibi, et decretis pareat.24 Der wahre Spiegel unserer Vernunft ist der Lauf unseres Lebens. Zeuxidamus antwortete jemand, der ihn fragte, warum die Lakedämonier die Verordnungen über die Kriegszucht nicht schriftlich abfaßten und ihrer Jugend zu lesen gäben, das geschehe deswegen nicht, weil sie solche an Taten und nicht an Worte gewöhnen wollten. Hiermit vergleiche man nach fünfzehn oder sechzehn Jahren einen von diesen Latinisten aus den Schulklassen, der ebensoviel Zeit daran gewendet hat, bloß sprechen zu lernen. Die Welt treibt nichts als Schwatzen, und ich habe noch keinen Menschen gesehen, der nicht eher mehr als weniger gesprochen hätte, als nötig war. Gleichwohl geht unsere halbe Lebenszeit damit hin. Man hält uns fünf bis sechs Jahre dabei auf, Worte verstehn zu lernen und solche aneinanderzureihen; noch ebenso lange, einen großen Haufen derselben, welcher in vier oder fünf Teile ausgedehnt wird, in ein richtiges Verhältnis zu stellen. Nun noch andere fünf, aufs wenigste, um die Kunst zu wissen, sie behende und geschickt durcheinanderzumischen und zu verweben. Das können wir aber denen überlassen, die davon ausdrücklich Profession machen. Eines Tages, als ich nach Orléans reiste, traf ich in der Ebene diesseits Cléry fünfzig Schritte entfernt hintereinander zwei Schullehrer an, die nach Bordeaux gingen; weiter hinter ihnen sah ich einen Haufen Reiter mit einem Offizier an der Spitze, welches der Comte de Rochefoucault war. Einer meiner Leute erkundigte sich bei dem ersten Schulmann, wer dieser Kavalier sei. Dieser, der den Trupp nicht gesehen hatte, der hinter ihm war und meinte, man spräche von seinem Kollegen, antwortete gar drollig: "Es ist kein Kavalier; er ist ein Grammatikus, und ich bin ein Logikus." Wir nun aber, die wir nicht darauf ausgehen, weder einen Grammatikus noch einen Logikus zu bilden, sondern einen wackeren Edelmann, wir wollen sie ihre Muße mißbrauchen lassen, wie sie wollen; wir haben wohl sonst was zu tun! Wenn unser Zögling nur einen guten Vorrat von Sachen hat, die Worte werden von selbst kommen, und wollen sie nicht kommen, so wird er sie schon herbeiholen. Ich höre einige sich damit entschuldigen, daß sie sich nicht gehörig ausdrücken können, wobei sie merken lassen wollen, als hätten sie den Kopf voll schöner Sachen, die sie aber aus Mangel an Beredsamkeit nicht von sich geben könnten. Das sind Luftstreiche! Soll ich sagen, was ich davon halte? Es sind Wolkenbilder, die sie sich von dunkeln Begriffen in den Kopf setzen, die sie nicht in ihrer Seele auseinandersetzen, sich nicht deutlich machen und folglich anderen nicht mitteilen können. Sie verstehen sich selbst noch nicht. Man sehe sie nur ein wenig darüber stottern, wenn sie solche zur Welt bringen wollen, so wird man leicht urteilen, daß es nicht Schmerzen der Geburt sind, sondern der Schwangerschaft, und daß sie höchstens an ein Mondkalb lecken.

Meinerseits halt' ich dafür, und Sokrates behauptet, daß jedermann, der in seinem Geist eine lebhafte, deutliche Idee hat, solche darstellen wird, sei's durch Provinzialismen, sei's auch nur durch Gebärden, wenn er stumm ist.

 

Verbaque praevisam rem non invita sequentur.25

 

Und wie jener in seiner Prosa ebenso poetisch sagte: quum res animum occupavere, verba ambiunt26, und jener andere: ipsae res verba rapiunt.27 Er weiß so wenig von Ablativ, Konjunktiv, Substantiv oder Grammatik als sein Schuhputzer oder Heringshökerin an der Ecke eines Gäßchens, und doch werden uns diese genug vorschwatzen, wenn uns danach gelüstet, und werden sich vielleicht dabei ebensowenig von den Regeln ihrer Muttersprache entfernen als der beste Schulmagister im Lande. Er weiß nichts von der Redekunst, nicht wie man eingangsweise das Wohlwollen des günstigen Lesers erschleichen müsse, und weiß auch nicht, wozu es nötig wäre. Im Ernst, diese ganze schöne Malerei verbleicht gar schnell vor dem Glanze einer ungeschmückten Wahrheit. Dergleichen Kußhandkünste dienen zu nichts weiter, als dem großen Haufen Honig ums Maul zu schmieren, der noch nicht imstande ist, kräftigere und derbere Speisen zu verdauen, wie Afer dies beim Tacitus deutlich zeigt. Die Abgeordneten von Samos waren zum König Cleomenes von Sparta gekommen, vorbereitet auf eine schöne lange Rede, die ihn zum Kriege gegen den Tyrannen Polykrates aufreizen sollte. Nachdem Cleomenes solche der Länge nach angehört hatte, gab er ihnen zur Antwort: "Des Anfangs und Eingangs euerer Rede erinnere ich mich nicht mehr, folglich auch nicht des Hauptteils derselben; was aber eueren Beschluß anlangt, so kann ich mich darauf nicht einlassen." – Das war, deucht mich, eine schöne Antwort und machte die Nasen der Redner um viele Zoll länger. Und wie ging's jenen anderen? Die Athenienser hatten einen großen Bau aufzuführen und versammelten sich, unter zwei Baumeistern einen zu wählen. Der erste davon, voller Anmaßungen, trat mit einer wohlstudierten Rede auf, über den Gegenstand dieser Unternehmung und riß das Urteil des Volkes für sich dahin. Der andere aber hatte nur drei Worte: "Ihr Herrn von Athen", sagt er, "was mein Mitwerber da gesagt hat, das will ich leisten."

Als Cicero einst eine wohlausgearbeitete Rede hielt, traten viele mit Bewunderung auf seine Seite. Cato aber tat dabei nichts als lachen und sagte: "Wir haben da einen redseligen Konsul." – Vor-oder nachher gesagt, ein nützlicher Spruch, ein schöner Zug stehen immer am rechten Orte. Schickten sie sich nicht auf das Vorgehende oder Nachfolgende, so sind sie doch schön an und für sich selbst. Ich bin keiner von denen, welche dafür halten, der hübsche Reim mache das gute Gedicht. Mag unser junger Mann eine lange Silbe kurz brauchen, was hängt daran? Wenn seine Erfindung sinnreich ist, wenn Witz und Verstand dabei ihre Pflicht getan haben, so werde ich sagen: Es ist ein guter Dichter, obgleich ein schlechter Versemacher.

 

Emunctae naris, durus componere versus.28

 

Man nehme, sagt Horaz, seinem Gedicht Silbenmaß und Klangfuß,

 

Tempora certa modosque, et, quod prius ordine verbum est,

Posterius facias, praeponens ultima primis ...

Invenias etiam disiecti membra poetae29,

 

dadurch wird es nicht aufhören, Poesie zu sein; selbst die einzelnen Brocken davon werden schön bleiben. Das ist es, was Menander dem antwortete, der ihn ausforschen wollte, als der Tag annahte, an dem er ein Schauspiel versprochen, an welches er aber noch keine Hand gelegt hatte: "Das Schauspiel ist fertig und bereit; ich muß nur erst noch die Verse dazu machen." Nachdem er Materie und Plan in seinen Gedanken geordnet hatte, hielt er das übrige für sehr leicht. Seitdem Ronsard und Bellay unsere französische Dichtkunst in Aufnahme gebracht haben, wüßte ich nicht den geringsten Lehrling, der nicht Worte aufblase und nicht, ungefähr wie jene, einen Vers auf seine Füße stelle. Aber plus sonat quam valet30; es ist Theaterdonner. Für den großen Haufen haben wir niemals so viele Dichter gehabt. So leicht es ihnen aber geworden ist, ihre Reime nachzuklingeln, so weit sind sie zurück, wenn sie die unerschöpfliche Darstellungskunst des einen und die so große Feinheit der Erfindungen des anderen nachahmen wollen. Recht gut! Aber, was wird unser Jüngling tun, wenn man ihm mit der Spitzfindigkeit sophistischer Syllogismen auf den Leib rückt? Wie z.B. Schinken essen reizt zum Trinken; trinken löscht den Durst: ergo löscht Schinkenessen den Durst! Laß ihn darüber lachen; drüber lachen ist viel gescheiter, als darauf antworten. Laß ihn vom Aristipp die spaßhafte Gegenlist borgen: "Warum sollte ich euer Rätsel auflösen, da es mir gebunden schon so viel zu schaffen macht?" Chrysippus sagte zu jemand, der den Cleanthes mit logischen Spitzfindigkeiten zerren wollte: "Necke die Kinder mit deinen Foppereien, aber komm damit den ernsthaften Gedanken eines verständigen Mannes nicht in die Quere!"

Wenn solche gelehrten Schwänke, contorta et aculeata sophismata31, ihm Unwahrheit zur Wahrheit machen sollten, so wären sie freilich gefährlich. Wenn sie aber ohne Wirkung abglitschen und ihm bloß zu lachen geben, so seh' ich nicht, warum er dagegen so ängstlich auf seiner Hut zu sein braucht. Es gibt so dumme Hänse, die zu halben Meilen von ihrem geraden Wege abschweifen können, um einen witzigen Einfall zu haschen. Aut qui non verba rebus aptant, sed res extrinsecas arcessunt quibus verba conveniant32 und der andere: qui alicuius verbi decore placentis vocentur ad id quod non proposuerant scribere. 33 Ich mag lieber einem anderen einen brav gesagten Gedanken abdrehn und solchen den meinigen einflicken, als den Faden meiner eigenen auftrieseln, um ihn einzudrillen. Umgekehrt, sag' ich, die Worte müssen nachtreten und das Buch tragen, und wenn der Franzose nicht dahin reichen kann, der Gaskogner kann alles. Ich fordere, daß ein Hörer oder Leser von den Sachen überwältigt und seine Imagination davon solchermaßen angefüllt werde, daß er sich der Worte darüber gar nicht bewußt sei. Die Sprache, die ich vorzüglich liebhabe, ist eine Sprache ohne künstliche Ziererei, aber von natürlichem Ausdruck, gleichviel abgeschrieben oder gesprochen, eine kräftige, nachdrückliche Sprache, kurz und gedrungen, nicht sowohl zart, geschmückt und gekrümmt, als andringlich und hastig.

 

Haec demum sapiet dictio, quae feriet34,

 

lieber schwer, als langweilig; ohne Affektation, ohne Rute, den Zügel der Regel leicht tragend und kühn. Jeder Wurf muß darin seine Stelle füllen; sie muß nicht pedantisch sein, nicht mönchisch, nicht zungendrescherisch, sondern vielmehr soldatisch, wie Sueton die Sprache des Julius Cäsar nennt, ob ich gleich nicht recht einsehe, warum. Ich habe mit Fleiß diese Ungebundenheit nachgeahmt, die man an unserer Jugend, in ihrer Art die Kleidung zu tragen, wahrnimmt. Das trägt seinen Mantel quer über Brust und Rücken, läßt die Kappe herunterhängen bis auf die Schultern und läßt die Strümpfe am Beine schlottern, und das zeigt dann in dieser sonderbaren Zier und künstlichen Nachlässigkeit so ein gewisses stolzes Freiheitsgefühl. Ich finde diese Ungebundenheit aber noch besser angebracht in der Form der Sprache.

Eine Affektation, besonders bei der französischen Lebhaftigkeit und Freiheit, kann einem Hofmann wohl anstehn; und in einer Monarchie muß jeder von Adel auf den Hofton gestimmt sein. Deshalb tun wir wohl, ein wenig auf der Seite des Ungezwungenen und des Kopfwerfens zu hinken. Ich habe ein Gewebe nicht gern, worin die Weberknoten und Nähte sichtbar sind; sowenig wie man an einem schönen Körper die Knochen und Adern muß zählen können. Quae veritati operam dat oratio, incomposita sit et simplex.35 Quis accurate loquitur, nisi qui vult putide loqui?36

Die Beredsamkeit, welche uns auf sich selbst zieht, tut den Sachen Gewalt und Unrecht. So wie es bei unsern Kleidungen kindisch ist, sich durch irgend etwas Besonderes und Auffallendes auszuzeichnen, so ist es auch mit der Sprache; das Haschen nach neuen Wendungen und wenig bekannten Worten bezeichnet einen schülerhaften kindischen Ehrgeiz. Möchte mir doch nie ein ander Wort oder andere Redensarten entfahren, als die man in der Residenz auf dem Fischmarkte versteht! Aristophanes der Grammatiker wußte nicht, was er wollte, da er am Epikur die Kunstlosigkeit seiner Worte tadelte und den Zweck seiner Kunst zu reden, welcher bloß auf Deutlichkeit der Sprache zielte. Das Nachahmen der Sprache ist so leicht, daß es sich ohne Anstand unter einem ganzen Volke verbreitet. Mit dem Nachahmen im Urteilen, im Erfinden geht es nicht so geschwind. Die meisten Leser irren gewaltig, wenn sie meinen, sie hätten einerlei Körper, weil sie Kleider von einerlei Schnitt tragen. Mark und Sehnen borgt man nicht, wie man wohl Mantel und Kleid borgt. Die meisten Personen, mit denen ich umgehe, sprechen wie mein Buch. Ob sie aber ebenso denken wie ich, das weiß ich nicht.

Die Athenienser, sagt Plato, haben zu ihrem Anteil die Sorge für den Reichtum und die Zierlichkeit der Sprache; die Lakedämonier für ihre Kürze; die von Kreta aber für die Fruchtbarkeit der Gedanken vielmehr als für die Sprache. Diese letzten sind die besten. Zenon sagt, er habe zwei Gattungen von Schülern: die einen, die er pilologos, gierig Sachen zu lernen, nannte, wären seine Lieblinge; die anderen logopilos, dächten auf nichts als auf die Sprache. Das heißt aber nicht soviel gesagt, als sei es nicht eine recht hübsche Sache um die Reinheit und Richtigkeit der Sprache! Nur ist es nicht so wichtig, als wozu man's macht, und ich ärgere mich nur darüber, daß wir unser ganzes Leben darauf verwenden sollen.

Ich würde erstlich meine Muttersprache und die Sprache meiner Nachbarn, mit denen ich gewöhnlich den meisten Verkehr habe, gut wissen wollen. Es ist allerdings ein fein und lieblich Ding um das Griechische und das Latein, nur kauft man es gar zu teuer. Ich will hier eine Art und Weise sagen, wie man es wohlfeileren Kaufs wie gewöhnlich haben kann. Man hat solche mit mir selbst eingeschlagen. Wer will, mag sich derselben bedienen. Nachdem sich mein Vater seliger auf alle menschenmögliche Weise bei gelehrten und sachkundigen Männern nach einer vorzüglichen Erziehungsart erkundigte, ward er von dem Nachteil belehrt, der sich bei der gewöhnlichen Weise befindet, und ward ihm gesagt, daß diese Länge der Zeit, welche wir darauf verwenden, die Sprachen der Griechen und Römer zu lernen, die ihnen nichts kostete, die einzige Ursache sei, warum wir uns nicht bis zur Größe der Seele und der Höhe der Wissenschaften erheben könnten, die man bei diesen alten Völkern wahrnähme. Ich glaube gleichwohl nicht, daß das die einzige Ursache sei. Indessen war das Mittel, welches mein Vater ergriff, folgendes: Noch an der Brust und noch bevor sich meine Zunge gelöst hatte, übergab er mich einem Deutschen, der nachmals als ein berühmter Arzt in Frankreich starb. Dieser verstand gar kein Französisch, aber um so besser das Lateinische. Er hatte ihn ausdrücklich verschrieben und sehr gute Bedingungen gemacht, und dieser hatte mich beständig auf den Armen. Neben sich hatte er noch zwei andere von minderer Wissenschaft, die beständig um mich sein mußten, um es dem ersten zu erleichtern. Diese nun sprachen kein ander Wort mit mir als Latein. Für die übrigen Personen des Hauses war es eine unverbrüchliche Regel, daß weder mein Vater noch meine Mutter, weder männliche noch weibliche Bediente in meiner Gegenwart ein Wort sprechen durfte als die paar lateinischen Brocken, die jeder gelernt hatte, um mit mir zu pappeln. Groß bis zum Bewundern waren die Fortschritte, die ein jeder darin machte. Mein Vater und meine Mutter lernten darüber Latein genug, um es zu verstehn, und selbst genug, um sich im Notfall darin auszudrücken, ebenso wie diejenigen von den Bedienten, welche am meisten mit mir zu tun hatten. Kurz, wir latinisierten uns dermaßen, daß noch für die Dörfer um uns her etwas abkrümmelte, woselbst man noch Überbleibsel findet und wo es zur Gewohnheit geworden ist, verschiedene Handwerker und ihr Gerät mit lateinischen Namen zu nennen. Mich selbst anlangend, so wußte ich in meinem siebenten Jahre ebensowenig von der französischen oder perigordischen Sprache als von der arabischen; und ohne Kunst, ohne Buch, ohne Grammatik oder Vokabelbuch, ohne Rute und ohne Tränen hatte ich ein so echtes, reines Latein gelernt, als mein Lehrer es wußte; denn wodurch hätte ich es vermischen oder verderben sollen? Wenn man mir zur Übung, wie es in Schulen gebräuchlich ist, ein Thema aufgeben wollte, so gab man es mir, wie sonst den andern auf französisch, in schlechtem Latein, um es in gutes zu bringen. Und Nicolas Grouchi, der de comitiis Romanorum geschrieben hat, Wilhelm Guerente, der den Aristoteles kommentiert hat, Georg Buchanan, der große schottländische Dichter, Marc Anton Muret (welchen Frankreich und Italien für den größten Redner seinerzeit erkennen), meine Hauslehrer haben mir oft gesagt, daß ich in meiner Kindheit diese Sprache solchergestalt am Schnürchen gewußt habe, daß sie sich fürchteten, mir zu nahezukommen. Buchanan, den ich nachher wieder im Gefolge des verstorbenen Marschalls de Brissac gefunden habe, sagte mir, er arbeite an einem Plan der Erziehung der Kinder und daß er die meinige zum Muster nähme; denn ihm war damals die Erziehung dieses Grafen de Brissac aufgetragen, der sich hernach so brav und so tapfer bewiesen hat.

Betreffend das Griechische, das ich nun fast ganz wieder ausgeschwitzt habe, so machte mein Vater den Plan, solches mich durch einen Sprachmeister lehren zu lassen; jedoch nach einer neuen Methode; spielend und im Spazierengehen. Wir warfen uns die Deklinationen zu, so wie diejenigen zu tun pflegen, welche vermittelst gewisser Karten und Spielzeuge die Arithmetik und die Geometrie lernen. Denn unter anderem war auch meinem Vater geraten worden, meinen Willen ohne Zwang so zu leiten, daß ich aus eigenem Antrieb die Wissenschaften und meine Pflichten liebte, und meine Seele mit Liebe und Sanftmut zu bilden, ohne Strenge und Härte. Das ging bis zu der, möcht' ich sagen, Schwärmerei, daß, weil einige Menschen der Meinung sind, es schade dem zarten Gehirne der Kinder, wenn man sie des Morgens plötzlich und mit Gewalt aus dem Schlafe wecke, indem sie tiefer und fester schlafen als erwachsene Personen, er mich immer durch Musik aufwecken ließ und also beständig jemand im Dienste hatte, der ein Instrument spielen konnte.

Dieser Zug mag hinreichend sein, um vom übrigen zu urteilen, und auch die Fürsorge und zärtliche Liebe eines so guten Vaters zu preisen, dem man die Schuld nicht beimessen kann, wenn er keine Früchte eingeerntet hat, die einer so sorgfältigen Kultur entsprächen. Das lag an zwei Ursachen: Die erste war die Unfruchtbarkeit und Ungeschlachtheit des Ackers; denn ob ich gleich von guter und fester Gesundheit war und dabei zugleich von mildem und biegsamem Naturell, so war ich doch mitunter so träge, weichlich und schläfrig, daß man mich dem Müßiggang nicht zu entreißen vermochte, nicht einmal um zu spielen. Das was ich sah, sah ich richtig; und unter dieser schwerfälligen Komplexion unterhielt ich kühne Ideen und solche Meinungen, die über mein Alter gingen. Mein Witz war langsam und ging nicht weiter, als man ihn leitete; von Begriff war ich schleppend, meine Erfindungskraft war schlaff, und dabei war noch mein Gedächtnis unglaublich schwach. Zweitens: so wie diejenigen, welche ein heftiger Wunsch treibt, von irgendeinem Übel zu genesen, endlich jeden Rat ohne Unterschied befolgen, so ließ sich endlich mein guter Vater bei seiner gewaltigen Furcht, ich möchte ihm mit einer Sache fehlschlagen, die ihm so sehr am Herzen lag, vom allgemeinen Wahne hinreißen, welcher immer demjenigen nachschlendert, welcher vorangeht (wie die Kraniche), und fügte sich in die gewöhnliche Weise; denn er hatte die Männer nicht mehr um sich, die ihm den ersten Erziehungsplan an die Hand gegeben, den er aus Italien mitgebracht hatte, und sandte mich, da ich ungefähr sechs Jahre alt war, ins Guyenner Kolleg, das damals sehr blühend und das beste in Frankreich war. Hier wendete er alle mögliche Sorgfalt an, sowohl um mir die gelehrtesten Privatlehrer auszuwählen, als die übrigen Umstände meines Unterhalts einzurichten, worin er sich verschiedene besondere Punkte vorbehielt, die in der Schulanstalt nicht gewöhnlich waren. Unterdessen war's und blieb's eine öffentliche Schule. Mein Latein ward von Stund an verdorben, und nachher hab' ich all meine Fertigkeit darin aus Mangel an Übung verloren. Und meine bisherige ungewöhnliche Erziehung diente weiter zu nichts, als mich gleich bei meiner Ankunft den Sprung in die ersten Klassen tun zu lassen. Denn mit dreizehn Jahren, da ich das Kollegium verließ, hatte ich meinen Kursum (wie sie es nennen) vollendet; und zwar ohne irgendeinen Nutzen, den ich gegenwärtig in Rechnung zu bringen wüßte.

Die erste Neigung, die ich zum Lesen bekam, entsprang aus dem Vergnügen an den Fabeln der Verwandlungen von Ovid. Denn in meinem siebenten oder achten Jahre entzog ich mich jedem andern Vergnügen, um solche zu lesen; um so mehr, da die Sprache gleichsam meine Muttersprache war und das Buch das leichteste für mich, das ich kannte, und zugleich, wegen seines Inhalts, für mein Alter das angemessenste. Denn die Lancelots du Lac, die Amadis, die Huons de Bordeaux und dergleichen alte Tröster von Romanen, woran sich die leselustige Jugend erfreute, kannte ich nicht einmal dem Titel nach, wie ich solche noch bis auf diese Stunde dem Inhalt nach nicht kenne; so genau war die Enteilung meiner Zeit. Ich ward dadurch nachlässiger, meine andern mir vorgeschriebenen Lektionen zu treiben. Hierbei kam es mir außerordentlich zustatten, daß ich es mit einem verständigen Manne von Präzeptor zu tun hatte, der bei dieser und ähnlichen Ausschweifungen auf eine sehr feine Art ein Auge zuzudrücken wußte. Denn dadurch las ich die Aeneis des Vergil in einem Zuge ganz durch, und dann den Lukrez, hierauf den Plautus und italienische Komödien, die mich alle durch den Reiz der Fabel anlockten. Wäre er töricht genug gewesen, mich in diesem Gang zu stören, so hätte ich, wie ich glaube, aus dem Collegio nichts mitgebracht als die Bücherscheu, wie es fast mit unserem ganzen Adel der Fall ist. Er betrug sich dabei sehr klüglich und tat, als ob er davon nichts merkte; er verschärfte meinen Hunger, indem er mich diese Bücher nur verstohlenerweise verschlingen ließ und mich sanfterweise zu meiner Schuldigkeit für die übrigen regelmäßigen Studien anhielt. Denn das vornehmste, was mein Vater bei denjenigen suchte, welchen er mich anvertraute, war Gutmütigkeit und ein sanfter Charakter; auch hatte mein eigener keine anderen Fehler als Langsamkeit und Trägheit. Es war nicht zu befahren, daß ich etwas Böses täte, sondern daß ich nichts täte. Niemand prophezeite, daß ich ein schlechter Mensch werden würde, aber wohl ein unnützer Mann. Man sah voraus, ich würde ein Faulenzer werden, aber kein böser Mensch. Ich fühle wohl, daß es so eingetroffen sei. Die Klagen, die mir in den Ohren gellen, laufen darauf hinaus: er tut nichts; er ist kalt in den Pflichten der Freundschaft, der Verwandtschaft und des bürgerlichen Lebens; ist zu eigenwillig, zu wegwerfend. Die Beleidigendsten selbst sagen nicht, warum hat er gekauft, warum hat er nicht bezahlt?, sondern: warum quittiert er nicht, warum gibt er nicht? – Ich würde es für eine große Güte aufnehmen, wenn man keine anderen Wirkungen von meinen verdienstlichen Werken verlangte. Aber sie sind ungerecht, daß sie, was ich nicht schuldig bin, viel strenger fordern, als von sich selbst zu fordern, wofür sie Schuldner sind. Indem sie mich dazu verdammen, tilgen sie den Wert der Handlung und den Dank, der mir dafür gebührte, da erzeigte Wohltaten von meiner lässigen Hand um so wichtiger sein sollten, in Rücksicht dessen, daß die Reihe des Nehmens noch niemals an mir gewesen ist. Ich kann um so freier über das meinige schalten, weil es mehr mein ist, und über mich selbst, weil ich mehr der meinige bin. Wäre ich indessen der Mann, der sein Tun hübsch herausstreichen möchte, so könnte ich vielleicht diese Vorwürfe zurückgeben und könnte einigen der guten Leute begreiflich machen, daß sie eigentlich nicht darüber böse sind, daß ich nicht genug tue, sondern darüber, daß ich mehr tun könnte, als ich wirklich tue.

Meine Seele war nichtsdestoweniger dabei für sich, in der Stille, ganz geschäftig und urteilte sicher und frei über die Dinge, die sie kannte, und dachte für sich selbst nach, ohne sich gängeln zu lassen. Und unter anderem glaub' ich wirklich, daß sie ganz und gar unfähig gewesen sein würde, der Gewalt und dem Zwange nachzugeben. Darf ich aus meiner Kindheit dies noch anführen, daß es mir leicht ward, ohne Blödigkeit aufzutreten, und daß ich Biegsamkeit genug in Stimme und Gebärden besaß, um die Rollen gut auszuführen, die ich übernahm.

 

Alter ab undecimo tum me vix ceperat annus.37

 

Ich habe die Hauptrollen aus Buchanans, aus Guerentes und Murets lateinischen Tragödien gespielt, welche in unserm Collegio zu Guyenne mit Würde vorgestellt wurden. In diesem Punkte war Andreas Goveanus, wie in allen übrigen seines Amtes, ohn allen Vergleich der größte Schuldirektor in Frankreich; und mich hielt man darin für Meister oder wenigstens für einen Altgesellen. Es ist eine Übung, auf welche ich für vornehmer Leute Kinder nichts zu sagen habe; und habe ich seitdem unsere Prinzen selbst damit abgeben gesehen; nach edlem, ehrlichem und löblichem Beispiel einiger unter den Alten, bei denen es Leuten von Stand und Ehre sogar erlaubt war, daraus ein Gewerbe zu machen; und in Griechenland Aristoni tragico actori rem aperit: huic et genus et fortuna honesta erant; nec ars, quia nihil tale apud Graecos pudori est, ea deformabat.38 Denn ich habe immer die Leute für unbesonnen gehalten, welche diese Ergötzlichkeit verdammen; und diejenige für ungerecht, welche solchen Schauspielern, die Verdienste haben, keine Erlaubnis erteilen wollen, in unseren guten Städten zu spielen, und den Einwohnern diese öffentliche Lustbarkeiten nicht gönnen.

Gute Polizeianstalten sorgen dafür, die Bürger zu versammeln und zu vereinigen, sowohl zur feierlichen Übung der öffentlichen Andacht als auch zur Übung fröhlicher Spiele; dadurch wird Geselligkeit und Freundschaft befördert, und überdem könnte man dem Volke keinen besser geordneten Zeitvertreib verstatten als einen solchen, der in aller Gegenwart und selbst unter den Augen obrigkeitlicher Personen stattfindet. Ich würde es nicht mehr als billig finden, wenn der Landesherr zuweilen, zum Zeichen seiner väterlichen Huld und Gewogenheit, auf seine Kosten den Untertanen damit ein Vergnügen machte und wenn man in volkreichen Städten besondere Anstalten und Gebäude für solche Schauspiele errichtete; dadurch würden schlimmere Gelage und heimliche Lustarten sich vermindern. Aber wieder auf meine Materie zu kommen: Man muß hauptsächlich darauf arbeiten, Lust und Liebe zum Studieren zu erregen; sonst erzielt man weiter nichts als mit Büchern bepackte Esel. Man gibt ihnen mit Karbatschenhieben den ganzen Schulbeutel voll Wissenschaft zum Aufheben und Bewahren, welche man, um es recht zu machen, nicht bloß bei sich zur Herberge nehmen, sondern als trautes Gemahl heimführen muß.

 

Fußnoten

 

1 Cicero, De nat. deor. I, 5: Die Achtung für Lehrer und ihr Ansehen blendet oft die Zöglinge.

 

2 Seneca, Epist. 33: Sie werden niemals mündig.

 

3 Dante, Inferno XI, 93: Zweifeln behagt mir nicht minder als wissen.

 

4 Seneca, Epist 33: Wir stehen unter keinem Könige; ein jeder behaupte seine Freiheit.

 

5 Horaz, Od. III, 2, 5: Er ward an jede Witterung gewohnt und lernte jeder Gefahr im Auge sehn.

 

6 Cicero, Tusc. disp. II, 15: Schwielen von Arbeit schützen vor Schmerz.

 

7 Seneca, Epist. 103: Man kann weise sein, ohne zu prunken und ohne Neider zu erwecken.

 

8 Cicero, De off. I, 41: Wenn Sokrates und Aristipp etwas taten, das wider die Gewohnheit und die gemeinen Sitten anstieß, so muß er nicht wähnen, dasselbe sei auch ihm erlaubt. Jene erwarben sich diese Erlaubnis durch große und erhabene Tugenden.

 

9 Cicero, Acad. II, 3: Keine Not zwingt ihn, alles zu verteidigen, was ihn gelehrt und was ihm vorgeschrieben worden.

 

10 Properz IV, 3, 39: Wo die Erde vom Froste starrt, wo sie staubt von Hitze; welcher Wind gegen Italien bläst.

 

11 Persian, Satiren III, 69: Was zu wünschen vergönnt, was Nutzen uns die neugeprägte Münze schafft? Was wir für unsere Lieben und fürs Vaterland zu tun vermögen, was Gott zu sein uns auferlegt, und was wir wirklich sind? Was unsere Pflicht in dieser Welt? Wozu wir geboren sind?

 

12 Vergil, Aen. II, 459: Und wie und wann man Ungemach vermeiden und wann und wie ertragen soll.

 

13 Horaz, Epist. I, 2, 40: Ermanne dich und beginne weise zu sein! Wer die Stunde verschiebt, sich selbst zu bessern, gleicht jenem Toren, welcher steht und harrt, bis der Fluß versiegt, der Jahrhunderte noch in seinem Bette fließen wird.

 

14 Properz IV, 1, 89: Was für Einfluß das Sternbild der Fische oder des stolzen Löwen verbreite, oder auch des Steinbocks, wenn er sich ins hesperische Meer senkt.

 

15 Anacreon, Oden XVII, 10: Was hab' ich mit Bootes zu tun, was gehen Plejaden mich an?

 

16 Juvenal IX, 18: Verbirg die Freude, verbirg den Gram deines Herzens in deiner Brust, so tief du willst. Dennoch wird von beiden die Spur auf deinem Gesicht sich zeigen.

 

17 Persian, Satiren III, 23: Jetzt ist der Ton noch biegsam und geschmeidig; jetzt gleich damit auf die Drehscheibe, um das Gefäß zu bilden.

 

18 Persian V, 64: Hieraus nehmt Alt' und Junge was eurer Seele, sei sie stark oder schwach, zur Lebensweise dienen kann.

 

19 Horaz, Epist. I, 1, 25: Gleiche Dienste erweist sie dem Armen wie dem Reichen, Geringschätzung bestraft sie auch, am Alten wie am Jüngling.

 

20 Seneca, Epist 90: Groß ist der Unterschied zwischen dem, der nichts Böses tun kann, und dem, der's nicht tun will.

 

21 Horaz, Epist. I, 17, 23: In jedes Kleid, in jede Lage weiß Aristipp sich zu fügen.

 

22 Horaz, Epist. I, 17, 25: Ihn, der geduldig sich in den Philosophenmantel hüllt, und wenn das Glück ihn hebt, mit Anstand auch in besserem Stoff einhergeht, ihn bewundere ich, wenn er beide Rollen schicklich spielt.

 

23 Cicero, Tusc. disp. IV, 3: Mehr durch ihr tätiges Leben als durch Regeln haben sie die Kunst aller Künste, das Leben richtig anzuwenden, gelernt und getrieben.

 

24 Cicero, Tusc. disp. II, 4: Der sein Wissen nicht zur Schau trägt, sondern für die Regel seines Lebens hält; der sich selbst beherrscht und seinen eigenen Geboten gehorcht.

 

25 Horaz, Ars poet. 311: Die Worte folgen von selbst, hat man die Sache nur inne.

 

26 Seneca, Controvers. III: Ist der Geist der Sachen Herr, so sind die Worte leicht.

 

27 Cicero, De fin. III, 5: Die Sachen führen die Worte herbei.

 

28 Horaz, Sat. I, 4, 8: Macht einen stumpfen Vers mit scharfer Nase.

 

29 Horaz, Sat. I, 4, 58: Verwandle die Zeiten und Arten der Worte, zerstöre den Versbau, setze hinten hin, was vorne stand, auch dann noch wirst du Spuren des Dichters finden.

 

30 Seneca, Epist. 40: Es klimpert, aber es gilt nicht.

 

31 Cicero, Acad. II, 24: Verflochtene, zugespitzte Trugschlüsse.

 

32 Quintilian VIII, 3: Die nicht die Worte den Gedanken anpassen, sondern weit umher nach fremden Gedanken haschen, die sie in die Worte hineinschieben können.

 

33 Seneca, Epist. 59: Die sich durch sein hübsches Wort, das ihnen hübsch vorkommt, gängeln lassen, etwas zu schreiben, das nicht ihr Vorsatz war.

 

34 Nur die Ausdrucksweise wird geschmackvoll sein, die auch treffend ist. (Epitaph des Lukan, zitiert in der lateinischen Bibliothek de Fabricius, II, 10. C.)

 

35 Seneca, Epist. 40: Die Rede, welche Wahrheit darstellen soll, sei nicht gesucht und künstlich im Ausdruck.

 

36 Seneca, Epist. 75: Wer spricht langweiliger als der, welcher immer schön sprechen will?

 

37 Vergil, Eclog. VIII, 39: Kaum war ich aus dem zwölften Jahre getreten.

 

38 Livius XXIV, 24: Er entdeckte es dem Tragiker Aristo, dessen Geschlecht und Glücksgüter achtbar waren und dessen Kunst, die bei den Griechen als solche keinen entehrt, ihm nichts an Würde benahm.

Über die Freundschaft.

Nachdem ich das Benehmen eines Malers, den ich im Hause habe, betrachtete, ist mir die Lust angekommen, in seine Fußtapfen zu treten. Er wählt den schönsten Platz auf der Mitte jeder Wand, worauf er ein Gemälde zeichnet und mit aller seiner Kunst ausführt, und den leeren Raum ringsherum füllt er aus mit Grotesken, deren einziger Wert in der Mannigfaltigkeit und Laune besteht. Was enthält dies Buch hier, beim Lichte besehen, anderes als Grotesken und phantastische Körper, die aus verschiedenen Gliedern zusammengestoppelt sind, die keine bestimmte Gestalt haben, in keine Ordnung gehören, außer der Natur, außer allem Verhältnis sind, es müßte denn ein bloß zufälliges sein?

 

Desinit in piscem mulier formosa superne.1

 

Ich gehe nun zwar wohl mit meinem Maler bis zu diesem zweiten Punkt; bei dem ersten und besten aber da hapert's! Denn so weit reicht meine Kunst nicht, daß ich mich unterstehen könnte, mich an ein reiches, schönes, nach den Regeln der Kunst geordnetes Gemälde zu wagen. Ich bin darauf verfallen, eins von Etienne de la Boétie zu borgen, welches all meinem übrigen Gepinsel Ehre machen soll. Es ist eine Abhandlung, der er den Namen gab: Freiwillige Knechtschaft. Diejenigen aber, die nichts davon wußten, haben sie nachdem weit schicklicher Wider einen getauft. Er schrieb sie als eine Übungsarbeit in seiner frühen Jugend, zu Ehren der Freiheit, wider die Despoten. Sie ist unter sachkundigen Männern von Hand zu Hand gegangen und hat viel Lob und Beifall erhalten, denn sie ist artig geschrieben und sehr reichen Inhalts. Dennoch läßt sich wohl dabei sagen, daß es nicht das beste sei, was er hätte schreiben können. Und hätte er in einem reifern Alter, da ich ihn kannte, einen solchen Vorsatz gefaßt, wie der meinige ist, seine Einfälle zu Papier zu bringen, so würden wir manche vortreffliche Sachen, welche dem Ruhm des Altertums sehr nahekommen dürften, von ihm erhalten haben; denn ich wüßte niemand, den ich ihm, vorzüglich was Naturgaben betrifft, an die Seite stellen könnte. Er hat aber nichts weiter hinterlassen als diese Abhandlung, und diese auch nur durch Zufall; dennoch glaube ich nicht, daß er sie wieder vor die Augen bekommen hat, nachdem er sie einmal hatte entwischen lassen; und noch ein paar Aufsätze über das Jänneredikt, das so berufen durch die innern Kriege ist, welche vielleicht auch noch anderwärts ihren Platz bekommen. Das ist es alles, was ich von seinem Nachlaß habe sammeln können (ob er meiner gleich noch, da ihm der Tod schon an der Kehle saß, so höchst freundschaftlich gedachte und mir in seinem Testament seine Bücher und seine Papiere vermachte) außer dem einen Bande von seinen Werken, den ich herausgegeben habe. Und habe ich diesem Stücke außerordentlich viel zu verdanken, weil es die Veranlassung zu unserer Bekanntschaft gab. Denn es ward mir lange vorher mitgeteilt, ehe ich ihn persönlich kannte, und erfuhr ich zuerst dadurch seinen Namen; solchergestalt beförderte es diejenige Freundschaft, welche wir, solange es Gott gefiel, miteinander gepflogen haben und welche so innig, so vollkommen war, daß man gewiß von viel dergleichen nicht lesen wird; und unter den Menschen heutigen Tages findet sich davon gar keine Spur mehr. Um eine solche Freundschaft zu stiften, werden so viele Zufälligkeiten erfordert, daß es schon viel ist, wenn das Glück solche nur alle dreihundert Jahre einmal zusammentreffen läßt.

Es scheint, die Natur habe uns zu nichts eigentlicher und näher bestimmt als zur Geselligkeit. Und Aristoteles sagt, die besten Gesetzgeber haben mehr Sorge für die Freundschaft als für die Gerechtigkeit getragen. Nun aber macht diese den höchsten Grad ihrer Vollkommenheit aus. Denn überhaupt sind alle die Freundschaften, welche aus Wollust, aus Eigennutz und Not, öffentliche oder häusliche, errichtet werden, um so weniger schön und herzlich und daher um so minder Freundschaft, als sich andere Ursachen, andere Zwecke und anderer Genuß hineinmischen als die Freundschaft selbst. Ebensowenig machen die vier Arten des Altertums, getrennt und jede für sich oder zusammengenommen, den eigentlichen wahren Charakter der Freundschaft aus, als da sind: Verbindungen des Naturverhältnisses, der Geselligkeit, des Gastrechts oder der physischen Liebe. Vom Vater zum Kinde ist es vielmehr Ehrerbietung.

Die Freundschaft nimmt ihre eigentliche Nahrung von der vertraulichen Mitteilung, welche unter Eltern und Kindern, wegen des zu großen Abstandes der Jahre, nicht stattfinden kann und wohl gar die Pflichten der Natur beleidigen könnte; denn teils lassen sich alle geheimen Gedanken des Vaters dem Kinde nicht mitteilen, weil das eine unschickliche Gleichheit nach sich ziehen würde, teils können die Belehrungen und Warnungen, welche unter die vornehmsten Pflichten der Freundschaft gehören, vom Kinde zum Vater nicht stattfinden. Es sind Völkerschaften bekannt geworden, wo die Kinder, nach eingeführter Gewohnheit, ihre Väter töteten; und andere, wo die Väter ihre Kinder umbrachten, um der Beschwerde auszuweichen, sie zuweilen mit sich zu schleppen, und natürlicherweise hängt die Unterhaltung der einen ab von dem Verderben der andern. Es hat Philosophen gegeben, welche dies Band der Natur verachtet haben; zum Beispiel Aristipp, welcher, als man ihm die Neigung zu Gemüt führte, die er seinen Kindern schuldig wäre, weil sie von ihm ihren Ursprung hätten, von seinem Speichel auswarf und dabei sagte: der hätte auch seinen Ursprung von ihm!, erzeugte der Mensch doch auch Ungeziefer und Würmer.

Und jener andere, den Plutarch bereden wollte, sich mit seinem Bruder zu versöhnen, sagte: "Ich mache mir deswegen nicht mehr aus ihm, weil ich mit ihm aus einer Höhle abstamme." Allerdings ist der Name Bruder schön und voller Süßigkeit, deswegen ich auch unser Bündnis darauf gründete; allein das ineinander verwickelte Interesse, die Teilung der Erbschaften und der Umstand, daß der Reichtum des älteren Bruders die Armut der jüngeren verursacht, macht sehr große Erkältungen und erschlafft die Banden der Bruderliebe; die Brüder, welche ihr Fortkommen in der Welt auf einerlei Wegen und mit einerlei Mitteln bewirken sollen, die können nicht umhin, sie müssen sich zuweilen stoßen und einander ins Zeug geraten. Noch mehr! Warum findet man die trauliche Eintracht und die gegenseitige Mitteilung, welche wahre und vollkommene Freundschaften erzeugen, bei dieser hier nicht? Der Vater und der Sohn können ganz entgegengesetzter Gemütsart sein; ebenso Brüder. Es ist mein Sohn, es ist mein Verwandter; aber es ist ein störrischer Mensch, ein Bösewicht, oder ein Narr. Dazu kommt dann noch, daß dies Freundschaften sind, wozu uns die Gesetze und Pflichten der Natur verbinden, wobei keine Wahl stattfindet und dabei der freie Wille nicht mitwirken kann wie bei der bloßen Herzensfreundschaft. Ich kann wohl sagen, daß ich Familienfreundschaft im höchstmöglichen Maße empfunden und genossen habe, denn mein Vater war bis in sein graues Alter der beste und gütigste, den jemals die Welt gesehen hat, und dabei bin ich von einer Familie, die von seiten der brüderlichen Liebe und Eintracht, von Vater auf Sohn, als musterhaft berühmt ist.

 

Et ipse

Notos in fratres animi paterni.2

 

Wenn man damit die Neigung zum weiblichen Geschlecht vergleicht, so wird man finden, daß, ob solche gleich aus unserer Wahl entspringt, man sie doch nicht in dies Verzeichnis bringen könne. Ihr Feuer, das bekenne ich,

 

Neque enim est Dea nescia nostri

quae dulcem curis miscet amaritiem3

 

ist heftiger, durchdringender und angreifender. Aber, ein unbesonnenes, wildes Feuer, flatterhaft und ungleich; eine Fieberhitze, die bald steigt, bald fällt und die uns nur bei einem Zipfel hält. In der Freundschaft ist es überall verbreitete Wärme, im übrigen gemäßigt und immer sich gleich; eine Wärme, die anhält und nicht verfliegt; durchgängig lieblich und sanft schmelzend, die nichts Brennendes oder Stechendes bei sich führt. Was noch mehr ist, in der Liebe ist es nur ein ungestümes Begehren nach dem, was uns flieht.

 

Come segue la lepre il cacciatore

Al freddo, al caldo, alla montagna, al lito,

Nè più l'estima poi che presa vede;

E sol dietro a chi fugge affretta il piede.4

 

Sobald sie sich in Freundschaft umwandelt, das heißt nach Gutbefinden des Willens beider, verraucht sie, erkrankt; Genuß, weil er nur am Körperlichen hängt und Sättigung hervorbringt, vernichtet sie. Die Freundschaft hingegen gibt in eben dem Maße Genuß, als sie begehrt. Sie sproßt, nährt sich und wächst bloß durch den Genuß, weil sie geistig ist und die Seelen durchs Annahen sich immer mehr einigen. Unter dieser vollkommenen Freundschaft haben jene flüchtigen Neigungen ehedem auch bei mir Platz gefunden; damit ich nichts von meinem Freunde sage – er hat es nur zu deutlich durch seine Gedichte bekannt. Also sind diese Leidenschaften beide mir nicht unbekannt geblieben; nie aber tat es eine der andern gleich. Die erste nimmt immer einen sehr hohen, stolzen Flug und sieht mit Verachtung auf die andere herab, die mit ihren Kräften tief unter ihr flattert.

Anlangend die eheliche Verbindung, außerdem, daß es damit weiter nichts ist als ein Handelskontrakt, der nur beim Eingehen frei ist, dessen Dauer aber unfreiwillig und gezwungen, weil sein Widerruf von andern Rücksichten als unserm Wollen abhängt, und ein Handelskontrakt, der gemeiniglich aus verheimlichten Absichten geschlossen wird: so kommen darin tausenderlei Knäuel für beide abzuwickeln vor, die so ineinandergewirrt sind, daß der Faden und der Lauf einer lebhaften Zuneigung dadurch leicht zerrissen wird. Wohingegen in der Freundschaft kein anderer Handel oder Geschäft stattfindet als über die Freundschaft selbst. Hierzu kommt dann noch, daß, die Wahrheit zu sagen, das schöne Geschlecht gewöhnlicherweise nicht hinlänglichen Stoff zur Unterhaltung besitzt, um dem Bedürfnis der Ideenmitteilung im täglichen Umgang, der Stärkung dieses heiligen Bandes, zu entsprechen; dabei scheinen ihre Seelen nicht fest genug zu sein, um den Druck eines so scharf geschürzten und dauerhaften Knotens auszuhalten. Und wahrlich, wenn ohne diese Unbequemlichkeiten ein solches freies ungezwungenes Bündnis geschlossen werden könnte, in welchem die Seelen nicht nur diesen völligen Genuß hätten, sondern wo auch die Körper ihren Teil an der Vereinigung nähmen und wo also der ganze Mensch in Wirksamkeit wäre – so ist gewiß, daß die Freundschaft dadurch an Fülle und Vollkommenheit gewinnen müßte. Aber die schöne Hälfte der Schöpfung ist noch durch kein Beispiel bis dahin gelangt und ist von den Schulen des Altertums davon ausgeschlossen. Und jene unnatürlichen Liebschaften bei den Griechen sind uns nach unseren Sitten mit Recht ein Greuel; welche bei alledem auch nach ihrem Gebrauch notwendig einen so großen Unterschied an Jahren und an Obliegenheiten unter den Liebenden erheischten, daß sie auch nicht der vollkommenen Einigkeit und Übereinstimmung der Seelen fähig sind, welche wir hier verlangen. Quis est enim iste amor amicitiae? Cur neque deformem adolescentem quisquam amat, neque formosum senem?5 Denn das Gemälde, welches die Akademie des Altertums davon macht, widerspricht mir nach meiner Meinung nicht in dem, was ich ihr nachspreche: daß diese erste Begierde nämlich, welche der Sohn der Venus dem Herzen des Liebhabers nach der Blume der zarten Jugend des geliebten Gegenstandes einflößte, welcher sie alle die ungezähmten und leidenschaftlichen Anfälle einräumt, die eine zügellose Begierde erregen kann, sich bloß auf eine äußere Schönheit gründete, auf das falsche Bild der körperlichen Fortpflanzung. Denn auf den Geist konnte sie sich nicht gründen, dessen Anschein selbst noch verborgen war; der erst noch im Keime lag und noch nicht gekeimt hatte: daß, wenn sich diese Gier eines schlechten Menschen bemeisterte, seine Mittel zu siegen, Reichtümer waren und Geschenke, Fürsprache zu dem Behuf, Ehrenämter zu erlangen und andere dergleichen niedrige Waren, welche die Akademiker tadeln. Befiel solche einen Mann von edleren Gesinnungen, so waren auch die Anlockungsmittel von edlerer Art. Bald waren es Unterricht in der Philosophie, bald Anweisung in der Verehrung der Religion, im Gehorsam gegen die Gesetze, für das Vaterland zu sterben, Beispiele der Tapferkeit, der Klugheit, der Gerechtigkeit. Im Bestreben des Liebhabers, sich durch Anmut und Schönheit seines Geistes angenehm zu machen, weil sein Körper bereits erbleicht war, und in der Hoffnung, daß diese geistige Verbindung ein festeres und dauerhafteres Bündnis befestigen würde. Wann diese Absicht zur rechten Zeit erreicht ward (denn das, was sie beim Liebenden nicht forderten, daß er nämlich in seiner Unternehmung nichts übereile und Klugheit anwende, das verlangten sie unumgänglich von dem Geliebten, um so mehr, da er über eine innerliche Schönheit urteilen mußte, welches keine leichte Kenntnis ist und eine abstrakte Entdeckung erfordert), so erzeugte sich in dem Geliebten ein Verlangen nach einer geistigen Empfängnis vermittelst einer geistigen Schönheit. Diese letzte war hierbei das vornehmste. Die körperliche war nur zufällig und stand der ersten nach. Ganz umgekehrt verhielt es sich mit dem Liebenden. Aus dieser Ursach ziehen sie den Geliebten vor und beweisen, daß auch die Götter ihn vorziehen, und tadeln den Dichter Aeschylus gar weidlich, daß er in der Liebe zwischen Achilles und Patroklus dem Achilles die Rolle des Liebenden gegeben, der in der ersten bartlosen Blute seiner Jünglingsjahre und der Schönste unter den Griechen war. Nächst dieser allgemeinen Übereinkunft, wobei der Geliebte und würdigste Teil seine Obliegenheit übte und der herrschende war, sagten sie auch, daß daraus viel nützliche Früchte fürs häusliche und fürs gemeine Wesen erwüchsen. Es sei die Kraft des Staates, dieser habe den besten Nutzen davon. Es sei der beste Schild der Billigkeit und Freiheit, wie die heilsame Liebschaft zwischen Harmodius und Aristogiton bezeugen soll. Gleichwohl nennen sie solche heilig und göttlich und stehe ihr nichts im Wege nach ihrer Meinung, weder die Gewalt der Tyrannen noch die Feigheit des Volkes. Kurz, alles was man der akademischen Schule zugunsten einräumen kann, ist, wenn man sagt: Es war eine Liebe, die sich in Freundschaft auflöste. Wie sich denn das nicht übel mit der stoischen Definition von der Liebe verträgt:

Amorem conatum esse amicitiae faciendae ex pulchritudinis specie.6

Ich komme wieder auf meine Beschreibung, welche billiger und passender ist:

Omnino amicitiae, corroboratis jam confirmatisque et ingeniis et aetatibus, judicandae sunt.7

Im übrigen ist das, was wir gewöhnlich Freundschaft nennen, wo Leute sich einander sehen, die Geschäfte miteinander haben und wodurch unsere Seelen sich miteinander unterhalten, eigentlich nur Bekanntschaft. In derjenigen Freundschaft, wovon ich rede, vermischen und schmelzen sie sich solchergestalt ineinander, daß ein so durchaus Zusammengesetztes daraus wird, daß auch die Spur der Naht davon verschwindet, welche sie aneinander geheftet hat.

Wenn man in mich dringt, ich soll sagen, warum ich meinen Freund Boëtius liebte, so fühle ich wohl, daß sich das nicht anders ausdrücken läßt, als wenn ich antworte: "Weil's er war, weil ich's war." Es ist dabei etwas, das über meinen Verstand geht; und alles, was ich besonders davon sagen kann, ist, diese Vereinigung ward durch eine unbegreifliche, unwiderstehliche Macht vermittelt. Wir suchten uns, bevor wir uns noch gesehen hatten, und zwar durch Ähnlichkeiten in der Gemütsstimmung, die wir voneinander hörten und welche auf unsre Neigung stärker wirkten, als nach ihrem berechneten Verhältnis zu erwarten gestanden hätte; ich glaube, es geschah auf Verordnung des Himmels. Wir umarmten uns durch unsere Namen; und bei unserer ersten Begegnung, die bei einem großen Feste und einer feierlichen Stadtgesellschaft geschah, fanden wir uns so aneinandergezogen, so bekannt miteinander, so verbunden, daß von der Stunde an uns nichts so nahe war als wir uns einer dem andern. Er schrieb eine vortreffliche lateinische Satire, welche gedruckt worden, worin er die Schnelligkeit unsers Einverständnisses, welches so stracks fort zu seiner Vollkommenheit gedieh, entschuldigt und erklärt. Da es nur so kurz von Dauer sein sollte und so spät begonnen hatte (denn wir waren beide schon Männer an Alter und er schon einige Jahre weiter), so hatte es keine Zeit zu verlieren und durfte sich nicht nach dem Muster der schlaffen und regelgerechten Freundschaften richten, wobei so viele Behutsamkeit und so lange vorausgehende Bekanntschaft erfordert wird. Diese hier hat keine andere Idee als von sich selbst und kann sich auf nichts anderes beziehen als auf sich selbst. Es ist nicht eine besonders beabsichtigte Sache dabei, nicht zwei, nicht drei, nicht vier, nicht tausend; es ist, ich weiß nicht was für eine Quintessenz aus all diesem Gemische, welche sich meines ganzen Willens bemächtigt hatte und ihn dahin trieb, sich ganz in den seinigen zu stürzen und sich darin zu verlieren, und der, nachdem er sich völlig des seinigen bemächtigt, denselben gleichfalls antrieb, sich in den meinigen zu stürzen und zu verlieren, von einerlei Hunger getrieben mit ähnlichem Eifer. Ich sage mit Fleiß ineinander verlieren, denn sie behielt sich nicht das geringste als Eigentum vor oder etwas, das sein oder mein gewesen wäre.

Als Lälius in Gegenwart der römischen Konsuln, welche, nachdem Tiberius Gracchus verurteilt worden, alle diejenigen, die mit ihm im Einverständnis gestanden, zur Untersuchung brachten, nun den Cajus Blosius, den wichtigsten Freund des Gracchus, im Verhöre fragte: "Wieviel er hätte für ihn tun wollen" und dann dieser antwortete: "Alles!", so fuhr er fort: "Was, alles? Wie nun aber wenn er dir befohlen hätte, unsere Tempel anzuzünden?" – "Das hätte er mir gewiß nicht befohlen", versetzte Blosius. – "Wenn er's nun aber getan hätte?" setzte Lälius hinzu. – "So hätte ich gehorcht!" antwortete er. War er des Gracchus so inniger Freund als die Geschichte sagt, so war es überflüssig, die Konsuln durch dies letzte kühne Geständnis aufzubringen; und durfte er nur auf der Zuversicht beharren, die er von dem Willen des Gracchus bezeugt hatte. Indessen verstehen diejenigen, welche diese Antwort für aufrührerisch erklären, das wahre Geheimnis doch nicht, und sehen über den Punkt weg, daß er den Willen seines Freundes in Händen hatte, indem er ihn kannte und ihn lenken konnte.

Sie waren mehr Freunde als Staatsbürger; mehr Freunde als Patrioten oder Rebellen oder als ehrgeizige Aufrührer. Sie hatten sich einer dem andern so völlig übergeben, daß jeder völlig den Zaum der Neigungen des andern in Händen hatte. Nun lasse man das Leitseil von der Tugend und der Vernunft regieren, wie es dann auch ohnedem völlig unmöglich wäre, den Zug anzuspannen, so ist die Antwort des Blosius so, wie sie sein mußte. Waren ihre Handlungen und Unternehmungen nicht Kinder ihres genauesten Einverständnisses, so waren sie, nach meinem Maßstabe, weder Freunde einer des andern noch Freunde ihrer selbst. Übrigens führt diese Antwort nichts weiter mit sich, als wenn sich jemand mit folgender Frage an mich wendete: "Wenn Ihr Wille Ihnen geböte, Ihre Tochter zu töten, würden Sie es tun?" und ich es bejahete. Denn das enthält noch kein Zeugnis, daß ich in die Tat willige, weil ich über meinen Willen gar keinen Zweifel hege, und ebensowenig über den Willen eines solchen Freundes. Es steht nicht in der Macht aller Beredungskünste von der ganzen Welt, mich aus meiner Gewißheit zu bringen, die ich von dem Willen und dem Verstand des meinigen habe. Man sollte mir keine einzige von seinen Handlungen vorlegen, was für eine Gestalt sie auch habe; davon ich nicht augenblicklich die Triebfeder auffinden wollte. Unsere Seelen sind so einstimmig miteinander am Joch gegangen, haben sich mit so warmer Zuneigung betrachtet, sich einander diese gegenseitige gleiche Zuneigung bis auf den tiefsten Grund ihres Innern schauen lassen – so daß ich nicht nur die seinige kenne wie meine eigene, sondern ich hätte mich, in Ansehung meiner, gewiß lieber ihm vertraut als mir selbst.

Komme man mir ja nicht und setze in diesen Rang jene andern Alltagsfreundschaften; ich habe davon ebensoviel Kenntnis wie ein anderer und das von den vollkommensten in ihrer Art; allein ich rate nicht, ihre Regeln miteinander zu verwechseln; man würde sich mächtig irren. Bei diesen andern Freundschaften muß man ja sehr bedächtig und vorsichtig verfahren und nie den Zügel aus der Hand lassen, die andere Verbindung ist so sicher geknüpft, daß es keines Mißtrauens bedarf. Liebe deinen Freund, sagte Chilon, als ob du ihn eines Tages hassen müßtest, und hasse deinen Feind so, als ob du ihn einst lieben müßtest. Dieser Rat, der in dieser hohen und erhabenen Freundschaft so scheußlich ist, hat gleichwohl bei gewöhnlichen und Alltagsverbindungen seinen heilsamen Nutzen; indessen ist's doch besser, wenn man statt dieses Rates Chilons, Aristoteles' gewöhnliches Sprichwort einführt: "O meine Freunde, man findet keinen Freund mehr." In dieser noblen Freundschaft verdienen die Dienste und Wohltaten, welche die anderen Freundschaften stärken und nähren, kaum daß man ihrer erwähne und daran ist die äußerste Verwechslung unseres Willens schuld, denn eben wie die Freundschaft, die ich zu mir selbst trage, durch die Hilfe, die ich mir im Notfall suche, nicht verstärkt wird, was auch die Stoiker darüber sagen mögen; und wie ich mir selbst keinen Dank für den Dienst weiß, den ich mir leiste, ebenso vernichtet die Vereinigung solcher Freunde, wenn sie ungeheuchelt wahr ist, das Andenken und selbst das Gefühl solcher Pflichten und haßt und verbannt sie; und mit ihnen die Worte, welche Frost und Entfernung veranlassen als Wohltaten, Verbindlichkeit, Erkenntlichkeit, Bitte, Dank und dergleichen mehr. Da alles unter ihnen gemeinschaftlich ist, Wille, Denkart, Urteil über vorkommende Dinge, Güter, Weiber, Kinder, Ehre und Leben, und ihre äußere Sorgfalt nur zwei Gegenstände hat, eine Seele nämlich und zwei Körper, wie Aristoteles es sehr richtig definiert hat, so können sie sich einander weder etwas leihen noch geben.

Hierauf gründet es sich, warum die Gesetzfabrikanten, um die Ehe mit einiger eingebildeten Ähnlichkeit mit dieser göttlichen Einigkeit zu beehren, die Schenkungen zwischen Ehemann und Ehefrau verboten haben. Sie wollten dadurch zu verstehen geben, daß unter ihnen alles gemeinschaftlich sein sollte und daß unter ihnen nichts Geteiltes oder zu Verteilendes stattfinde. Wenn in der Freundschaftsverbindung, von der ich hier rede, der eine dem andern etwas zu schenken hätte, so wäre es derjenige, welcher die Wohltat erhält, welcher seinen Genossen verbindlich machte. Denn einer würde den andern vor allen Dingen sich verbindlich zu machen suchen durch Wohltun; sowohl der, welcher die Materie und die Gelegenheit gibt, als der, welcher der Freigebige ist, indem er seinen Freund das Vergnügen macht, was er seinerseits am meisten wünscht.

Wann der Philosoph Diogenes Mangel hatte an Geld, so sagte er, daß er's von seinen Freunden wieder begehrte, nicht daß er solche darum bäte. Und um zu zeigen, wie das der Tat nach geschah, will ich ein sehr sonderbares Beispiel aus dem Altertum anführen. Der Korinther Eudamidas hatte zwei Freunde, einen Charixenus aus Sycion und einen andern namens Aretheus aus Korinth. Bei der Annäherung seines Todes, da er arm war und seine Freunde reich, machte er folgendes Testament: "Meinem Freund Aretheus vermache ich meine Mutter, um solche zu nähren und in ihrem Alter zu pflegen. Meinem Freund Charixenus vermache ich meine Tochter, um sie zu verheiraten und ihr einen so großen Brautschatz als nur möglich zur Aussteuer zu geben, und in dem Falle, da einer vor dem andern sterben sollte, so substituiere ich ihm den andern, der ihn überlebt."

Diejenigen die zuerst das Testament sahen, trieben darüber ihren Spott; als aber die Erben davon Nachricht erhielten, nahmen sie's mit großem Vergnügen an; und als einer von ihnen, Charixenus, fünf Tage darauf starb, welchem Aretheus substituiert war, so unterhielt dieser die Mutter mit der fleißigsten Sorgfalt, und von den fünf Talenten, die er im Vermögen hatte, gab er seiner einzigen leiblichen Tochter zwei und ein halbes und die übrigen drittehalb Talente der Tochter des Eudamidas, die er mit seiner eigenen Tochter zugleich verheiratete. Dies Beispiel ist sehr sprechend. Was daran auszusetzen sein möchte, wäre die Mehrheit der Freunde; denn die vollkommene Freundschaft, von der ich hier rede, ist unteilbar. Jeder von beiden übergibt sich seinem Freund so gänzlich, daß ihm nichts übrigbleibt, was er einem andern geben könnte. Es tut ihm vielmehr leid, daß er nicht zweifach sei, dreifach und vierfach, und daß er nicht mehr Seelen habe denn eine und mehr als einen Willen, um das alles dem einzigen Gegenstand zu übertragen. Alltagsfreundschaften lassen sich teilen, man kann in dem einen die Schönheit liebhaben, in dem andern die sanften Sitten, in einem andern die Freigebigkeit, in diesem die Zärtlichkeit des Vaters, in jenem des Bruders usw. Bei dieser Freundschaft aber, welche sich der Seele bemächtigt und solche unumschränkt regiert, ist es unmöglich, daß sie zweifach ist. Wenn deine zwei Freunde zu gleicher Zeit von dir Beistand verlangten, welchem von beiden würdest du zur Hilfe eilen? Wenn sie sich widersprechende Pflichten von dir forderten, nach welcher Ordnung würdest du verfahren? Wenn dir der eine ein Geheimnis anvertraute, das dem andern ersprießlich wäre zu wissen, wie würdest du dich dabei benehmen? Die einzige und vornehmste Freundschaft läßt keine Verbindung der Seele weiter zu, das Geheimnis, was ich zu bewahren beschworen habe, kann ich ohne Meineid demjenigen mitteilen, der eigentlich mein anderes Ich ist. Es ist ein nicht kleines Wunder, sich selbst zu verdoppeln. Und diejenigen kennen seine Größe nicht, welche von triplieren schwatzen. Nichts ist über sein Maß hinaus, das seinesgleichen hat. Und wer für bekannt annimmt, daß ich von zweien den einen ebenso stark liebe als den andern und daß jeder von ihnen sich untereinander und mich ebenso lieben als ich sie, der vervielfacht in der Seelenbrüderschaft eine Sache, die nur einfach und einzig und wovon eine noch dazu die seltenste ist, die man auf dieser Welt finden kann. Das übrige dieser Geschichte schickt sich sehr gut zu dem, was ich sagte; denn Eudamidas vermacht seinen Freunden aus Liebe und Gefälligkeit die Gelegenheit, ihm in seinem Bedürfnis zu helfen; er setzt sie zu Erben derjenigen Freigebigkeit ein, die darin besteht, ihnen die Mittel an die Hand zu geben, wodurch sie ihm wohltun können. Und in seiner Handlung zeigt sich ohne Zweifel die Stärke der Freundschaft viel heller als in der Tat des Aretheus. Kurz, es sind Effekte, die für denjenigen undenkbar sind, der nicht selbst einige Erfahrung davon hat, und die mir die Antwort so äußerst ehrwürdig machen, welche jener junge Krieger dem Cyrus gab, da er von ihm befragt wurde, für wieviel er das Pferd weggeben wollte, mit dem er den Preis im Wettrennen gewonnen hatte; ob er es wohl gegen ein Königreich vertauschen möchte. "Nein Herr, gewiß nicht; gern aber gäb' ich's hin, wenn ich dadurch einen Freund gewinnen könnte; ich müßte aber einen Mann finden, der des Bündnisses wert wäre." Er sagte ganz richtig, "ich müßte finden"; denn man findet Menschen genug, die sich zu einer oberflächlichen Bekanntschaft schicken; bei dieser Freundschaft aber, wo es auf alles ankommt, was wir sind und haben, nichts ausgenommen, ist es nötig, daß alle Bewegursachen rein und vollkommen sicher sind. Bei Verbindungen, die nur auf einen Zweck zielen, sind nur solche Unvollkommenheiten zu vermeiden, welche sonderlich diesem Zweck hinderlich wären. Es ist gleichgültig, von was für Religion mein Arzt ist und mein Anwalt. Dieser Umstand hat mit den Freundschaftsdiensten, die sie mir zu leisten haben, nichts zu schaffen. Und mit der häuslichen Verbindung, welche die Leute mit mir eingehen, die mir dienen, verfahre ich ebenso; und erkundige mich, wenn ich einen Lakaien annehme, wenig danach, ob er keusch, sondern ob er fleißig ist und seinen Dienst versteht; und fürchte nicht so sehr, einen Reitknecht zu bekommen, der sein Geld verspielt, als einen, der ein Dummkopf ist; noch einen Koch, der flucht und schilt, als einen, der nichts versteht. Es ist meine Sache nicht, zu sagen, was man in der Welt tun soll, es gibt andere genug, die sich damit abgeben; weiß ich nur, was ich darin tue.

 

Mihi sic usus est: tibi, ut opus est facto, face.8

 

Bei Tische habe ich lieber aufgeweckte als fürsichtige Gäste; im Bett lieber Schönheit des Körpers als Schönheit des Geistes; beim geselligen Gespräch lieber Verstand und Witz als schulgerechte Weisheit und so im übrigen. Gerade so wie derjenige, den man mit seinen Kindern spielend auf einem Stecken reitend antraf, den Mann, der ihn ertappte, bat, er möchte es nicht eher ausbringen, bis er erst selbst Vater geworden wäre, weil er meinte, die väterliche Zärtlichkeit, die alsdann in seiner Seele lebendig werden müßte, würde ihn zum billigen Richter über diese Tat machen, so wünschte ich, mit Leuten zu reden, die das erfahren hätten, wovon ich spreche; allein da ich weiß, wie selten eine solche Freundschaft und wie hoch sie über den gewöhnlichen Brauch der Welt hinaus ist, so erwarte ich darüber keinen guten Richter. Denn selbst die Meinungen, die das Altertum uns über diesen Gegenstand hinterlassen hat, kommen mir, gegen die Gefühle, die ich davon habe, als seicht und flach vor. Und in diesem Punkte übertreffen die Wirkungen die Lehren der Philosophie selbst.

 

Nil ego contulerim jucundo sanus amico.9

 

Der alte Menander pries den glücklich, der nur den Schatten von einem Freund hätte finden können. Er hatte gewiß recht, das zu sagen; selbst wenn er aus Erfahrung gesprochen. Denn, in Wahrheit, wenn ich das übrige meines Lebens, das ich zwar durch die Gnade Gottes ganz gemächlich und bequemlich und außer dem Verlust eines solchen Freundes frei von drückendem Kummer, mit ganz ruhigem Gemüt hingebracht habe, indem ich das, was mir der Himmel bescherte, mit Danksagung genoß und nicht mehr Überfluß begehrte; wenn ich es ganz durchgängig vergleiche, sage ich, mit den vier Jahren, da mir's so gut ward, des süßen Umgangs mit diesem Manne zu genießen, so ist's ein bloßer Rauch, nichts weiter als eine dunkle freudenleere Nacht. Seit dem Tage, da ich ihn verlor:

 

Quem semper acerbum,

semper honoratum (sic Di, voluistis!) habebo10,

 

schleich' ich hinwelkend umher, und die Freuden selbst, die sich mir darbieten, anstatt mich aufzuheitern, verdoppeln meinen Schmerz über seinen Verlust. Wir gingen beständig zur Hälfte: mich dünkt, ich raube ihm jetzt seinen Anteil.

 

Nec fas esse ulla me voluptate hic frui

Decrevi, tantisper dum ille abest meus particeps.11

 

Ich war dergestalt daran gewöhnt, überall selbander zu sein, daß mir deucht, ich sei nur noch halb.

 

Illam meae si partem animae tulit

Maturior vis, quid moror altera?

Nec carus aeque, nec superstes

Integer. Ille dies utramque

Ducet ruinam.12

 

Bei jeder Handlung, bei jedem Gedanken finde ich Gelegenheit zu dieser Klage, so wie er getan haben würde, wenn er mich überlebt hätte; denn, so wie er mich in jeder andern Wissenschaft und Tugend unendlich weit übertraf, so tat er's auch in der Pflicht der Freundschaft.

 

Quis desiderio sit pudor aut modus

Tam cari capitis.13

 

O misero frater adempte mihi!

Omnia tecum una perierunt gaudia nostra,

Quae tuus in vita dulcis alebat amor.

Tu mea, tu moriens fregisti commoda, frater;

Tecum una tota est nostra sepulta anima,

Cuius ego interitu tota de mente fugavi

Haec studia, atque omnes delicias animi.14

 

Alloquar? Audiero nunquam tua verba loquentem?

Nunquam ego te, vita frater amabilior,

Adspiciam posthac? at certe semper amabo.15

 

Aber laß uns ein wenig hören, was der Jüngling von sechzehn Jahren zu sagen hat.

Weil ich gefunden habe, daß dies Werk seitdem von solchen Menschen aus böser Absicht in den Druck gegeben worden, welche den Staat zu beunruhigen und seine Verfassung zu ändern trachten, ohne eben zu wissen, ob sie solche auch verbessern möchten, und weil sie dies Werk mit andern Schriften von ihrem eignen Machwerk zusammengemengt haben, so hab' ich mich eines andern besonnen und werde es hier nicht einrücken. Und damit das Andenken des Verfassers nicht bei denen darunter leide, welche seine Meinungen und Handlungen nicht in der Nähe gekannt haben, so berichte ich ihnen, daß diese Materie von ihm schon in seinen Knabenjahren, gleichsam als zur bloßen Übung, ist bearbeitet worden, als eine Materie, die alltäglich genug und schon in tausend Stellen in Büchern abgedroschen worden. Ich zweifle im geringsten nicht daran, daß er glaubte, was er schrieb, denn er war gewissenhaft genug, um selbst im Scherz keine Unwahrheit zu sagen. Dabei weiß ich noch, daß, wenn die Wahl bei ihm gestanden hätte, er lieber zu Venedig als zu Sarlat geboren wäre; und zwar mit Recht. Er hatte aber einen andern Grundsatz unauslöschlich in seine Seele geprägt: sich den Gesetzen des Landes, wo er geboren worden, zu unterwerfen und ihnen getreulich zu gehorchen. Es war kein besserer Bürger zu erdenken, oder der mehr die Ruhe seines Landes wünschte, oder ein größerer Feind von den Friedensstörern und Neuerern seiner Zeit gewesen wäre. Er hätte viel lieber seine Kräfte angewendet, das Feuer zu löschen, als es weiter anzufachen. Er hatte seinen Geist nach dem Muster anderer Jahrhunderte als des gegenwärtigen gebildet ...

 

Fußnoten

 

1 Horaz, De art. poet. 4: Das von oben schöne Weib geht aus in einen Fisch.

 

2 Horaz, Od. II, 2, 6: Und ich selbst bin dafür bekannt, daß ich meine Brüder väterlich liebe.

 

3 Catull LXVIII, 17: Auch wir sind nicht unbekannt der Göttin, die dem Wermut des Lebens Honig zumischt.

 

4 Ariost X, 7: Wie der Weidmann dem Hasen nachsetzt, in Frost, in Hitze, durchs Tal und über Berge; und hat er ihn erhascht, nicht mehr sein achtet, nur bloß den, der ihn flieht, verfolgt.

 

5 Cicero, Tusc. disp. IV, 34: Was ist's denn eigentlich mit dieser Freundschaftsliebe? Warum verfällt sie nicht auf häßliche Jünglinge, nicht auf schöne Greise?

 

6 Cicero, Tusc. disp. IV, 34: Liebe sei der Drang, mit der Schönheit Freundschaft zu errichten.

 

7 Cicero, De amic. 20: Jede Freundschaft läßt sich nur nach der Reife und Stärke des Alters und des Geistes beurteilen.

 

8 Terenz, Heautont. I, 1, 28: So mach' ich's. Du magst es treiben, wie dir's die Umstände gebieten.

 

9 Horaz, Sat. I, 5, 44: Allen Dingen den frohen Genuß eines Freundes vorzuziehen, treibt mich die Vernunft.

 

10 Vergil, Aen. V, 49: Tag, der mir ewig schmerzhaft (so wollen's die Götter), Tag, der mir ewig heilig sein wird.

 

11 Terenz, Heautont. I, 1, 97: Und das ist mein Schluß auf immer, nie eine Freude zu genießen, solang er sie nicht mit mir teilt. Ihm nie sein Recht zu nehmen.

 

12 Horaz, Od. II, 17, 5: Wenn meinen besten Teil der Seele die Parzen vor der Zeit abrissen, was zaudert der andere, der mir nicht lieber, nicht überlebender ist! Ein Tag stürzt uns beide ins Grab.

 

13 Horaz, Od. I, 24, 1: Der Sehnsucht sollt ich mich und ihrer Heftigkeit schämen? Sie mäßigen bei einem so schmerzlichen Verlust?

 

14 Catull LXVIII, 20: Oh, wie elend macht, Bruder, mich dein Verlust! Dahin mit dir ist meine Freude! Mit dir starb jeder Genuß mir, der mir durch den Besitz deiner edeln Seele, solang du hier walltest, geschenkt ward. Dein Tod hat mir meine Seele geraubt, hat alle Musen, alle Grazien von mir verscheucht.

 

15 Catull LXV, 9: Soll ich nie dich wieder sprechen? Nie, liebenswürdigster Bruder, dein Antlitz wieder sehen? Doch werd' ich gewiß ewig dich lieben.