Donnerstag

Wir schlafen aus. Das bedeutet bei meinem Mann bis neun Uhr, bei mir bis nach elf. Ich stehe auf, gehe erst nach oben in die Küche, wie immer, und mache ihm und mir einen Kaffee. Es ist immer sein zweiter, weil er sich den ersten schon selber gemacht hat. Jeden Morgen ist es mein Ziel, ihm einen besseren zu machen, als seiner es war, klappt aber meistens nicht. Kaffee machen ist schwerer als blasen! Georg macht im Wohnzimmer sein Tai-Chi-Programm, ich stell ihm die Tasse auf den Boden. Ich weiß nicht, ob es erlaubt ist, beim Tai Chi Kaffee zu trinken. Keine Ahnung. Agnetha sagt, das ist seine Entscheidung, auch wenn ich fest davon überzeugt bin, dass Kaffee und Tai Chi das Gegenteil voneinander sind! Sie sagt, mein geliebter Mann darf mit seinem Kaffee machen, was er will. Von mir aus.

Ich gehe mit meiner Tasse runter, ins Badezimmer. Ich muss mich für die Prostituierte rasieren. Nicht für meinen Mann, die Zeiten sind vorbei, der ist da nicht so streng wie früher, am Anfang unserer Liebe.

Im Badezimmer gucke ich mir beim Rasieren zwischendurch meine grau werdenden Schläfen an. Ich bin da richtig stolz drauf. Darf man »stolz« sagen, wenn man das nicht selber gemacht hat? Ja, dann sage ich eben, dass ich sie wunderschön finde, meine grauen Haare.

Mein Mann will zwar, dass ich mich für ihn rasiere, wenn ich es aber wochen- oder monatelang nicht mache, weil es zum Beispiel Winter ist und ich mich nicht aufraffen kann, stört ihn das auch nicht, er ist ein guter Mann, ein lockerer Mann. Der beste Mann. Und er weiß von seiner eigenen Intimrasur, wie anstrengend das ist, sich überall, wo man nicht hinsehen kann, zu rasieren, nur für den einen geilen Pornofilmauftritt vor dem Partner. Für die große Freude, wenn er mich auszieht und diese frisch rasierte Pflaume vor ihm liegt, mit halbwegs verschlossenen Schamlippen. Meine inneren sind ebenso ausgeprägt, die lugen dann doch immer vor und meine Klitoris manchmal auch. Aber: Niemals würde ich das operieren, wie es übrigens grad Mode ist, das merkt man schon an dem Wort Mode, dass es keine gute Idee ist, sich der Mode nach operieren zu lassen, egal, ob Brüste oder raushängende Schamlippen.

Meine frisch rasierten Schamlippen sind so weich, dass man es mit nichts vergleichen kann, ich fummel da selber immer dran rum, direkt nach der Rasur, diese Farbe, das Gräulich-rosa-Lilafarbene, macht sogar mich an. Georg flippt dabei vollkommen aus. Ist aber auch kein Grund, ständig drauf zu achten, dass ich allzeit bereit vollrasiert bin. Keine Lust. Er rasiert sich für mich auch, aber eben nicht andauernd. Ihn nervt das Nachwachsen der Haare schon am nächsten Tag, er fummelt dann sogar auf der Straße an seinem Sack rum, dass ich mich für ihn schäme, total, weil ich ja gut erzogen wurde und mich immer so benehme, als würde ich beobachtet.

Ich sehe noch einmal in den Spiegel. Ich respektiere Menschen mit grauen Haaren sehr viel mehr als Menschen mit gefärbten Haaren. Ich verachte Frauen mit gefärbten Haaren, weil sie nicht zu ihrem Alter stehen können. Wen wollen die eigentlich verarschen mit der Haarfärberei? Man sieht doch immer an ihrem Hals, wie alt sie sind. Der Hals der Frau ist wie die Lebensringe des Baumes, man kann nicht pfuschen. Da kann man das mit den Haaren auch sein lassen und sich einfach dran gewöhnen, dass man überraschenderweise, wie alle anderen auch, älter wird. Neben den grauen Haaren an den Schläfen werden auch manche Schamhaare grau. Was machen eigentlich die Pfuscherhaarfärbefrauen mit ihren grauen Schamhaaren? Auch färben?

Ich habe oft das Gefühl, dass Prostituierte sehr pingelig sind, was Hygiene, Rasur und alles angeht. Alles wird entfernt bis auf ein kleines Hitlerbärtchen über der Klitoris. Mach ich jetzt auch. Fertig. Ich creme noch den ganzen Körper ein, vor allem die Sitzfläche des Pos und die Haut neben den Schamlippen. Das habe ich mir auch von den Prostituierten abgeguckt. Es kommt sehr viel auf Haut an bei dem Besuch bei Prostituierten. Weiche warme Haut. Das ganze Körperanfassen ist sowieso das Beste daran. Und in die Vagina von anderen Frauen gucken.

Der Körper ist fertig präpariert. In der Garderobe such ich aus meiner großen Unterwäscheschublade Strapse, Tangahose und BH in Schwarz aus. Manchmal habe ich Lust, auch wie eine Nutte auszusehen, und manchmal gehe ich mit meinem Mann als die brave Hausfrau mit weißer, langweiliger Unterhose. Wie ich will. Ich kenne nur das eine oder das andere Extrem.

Ich klebe eine Slipeinlage in die schwarze Tangahose, damit ich keinen Vaginaschleimfleck reinmache auf dem Weg dahin. Schon das Anziehen und Rausputzen macht mich geil. Als auslaufende Frau muss man alles wie eine Krankheit vorplanen, damit es nachher nicht zu peinlichen Situationen kommt. Ich ziehe erst die Strapse an, mit den Strümpfen dazu, und darüber die Unterhose, damit ich später beim Sex die Unterhose ausziehen kann und die Strapse dranbleiben können. Darüber kommt ein Kleid, das ich besonders einfach ausziehen kann, wenn es dann so weit ist. Wir sind auf jeden Fall dort die meiste Zeit nackt, ganz bestimmt.

Mein Mann hat für diese besonderen Anlässe besonders sexy Unterhosen. Mir ist es immer ein wenig peinlich, wenn ein Mann sich sexy macht mit Unterwäsche, weil es schnell so was Schwules kriegt. Aber er möchte eben auch etwas Sichtbares tun für die Damen, die er gleich beglücken wird. Von mir aus könnte er locker mit Feinripp dorthin, das ist irgendwie männlicher, aber ich lasse ihn einfach. Es gehört zum Ritual dazu. Er ist natürlich ganz rasiert, nicht mal ein Hitlerbärtchen bleibt bei ihm stehen, er versucht, wie ich auch, nur zu raten, was man eigentlich so trägt gerade, er hat auch Angst vor der pingeligen Prostituierten.

Wir sind beide nicht Herr der Lage, wir sind nicht der Chef in der Situation, bei uns ist es immer die Nutte. Sie ist unser Chef. Wir begeben uns in ihre Hände, wir behandeln sie so gut, dass es fast zum Kotzen ist. Vielleicht werden wir auf dem Gebiet auch mal etwas cooler, ist aber lange nicht in Sicht. Ich schminke mich mit einem leichten Tages-Make-up, wird ja eh gleich komplett mit Vaginaschleim verschmiert. Dann seh ich nachher besser aus, wenn nicht ganz viel schwarzblaubraunes Zeug überall ist. Die Haare flechte ich einfach locker über die Schulter.

Georg ist fertig mit seinem Rücken-Tai-Chi, ich sehe ihn an der Tür vorbeihuschen in einer seiner Puffunterhosen, sie ist an der Poritze Tanga, also voll drin durchgezogen, und vorne für den Schwanz und die Eier so ein Beutel, wie ein Goldsäckchen bei den Piraten. Befremdlich. Aber er wirkt sehr gut gelaunt, er pfeift einen ziemlich schnellen Rhythmus, passend zum Herzschlag.

Gleich lassen wir einen fremden nackten Körper zwischen unseren. Wenn er oben an ihr rumschraubt, schraube ich unten. Und umgekehrt. Die Hände sind die ganze Zeit beschäftigt. Wenn er so gute Laune hat, muss ich schon wieder aufpassen, dass ich nicht eifersüchtig werde, denn so hat der sich schon ganz lange nicht mehr gefreut, bevor wir Sex hatten. Ja, aber wenn ich ehrlich bin, ich auch nicht. Na ja. Also Eifersucht, fick dich, lass mich das jetzt mal hier machen für meinen geliebten Mann. Der freut sich doch so mit seinem Goldsack. Irgendwann schreie ich: »Fertig!«

Er wartet immer auf mich, nie umgekehrt, aber er weiß auch ganz genau, die Frau muss im Badezimmer viel mehr machen als der Mann. Und das will ich mal sehen, wie ein Mann sich Strapse anfummelt. Unmöglich.

Wir fahren in die Stadt und setzen uns in das Café Fleur zum Frühstück. Von dort aus haben wir Blick auf den Eingang des Puffs.

Ich kann nicht viel essen, mein Mann aber. Er mag die Aufregung, ich hasse sie. Er verabschiedet sich von mir und geht schon mal vorrecherchieren in dem Massagesalon, so nennen sich die Puffs ja gerne. Ich warte im Café und werde immer nervöser.

Er klingelt, und als der Summer angeht, winkt er mir noch mal zu. Er weiß sehr genau, dass er seinen Hausdrachen, nämlich mich, befrieden muss. Er muss die ganze Zeit versuchen, mich im Boot zu halten, damit wir das gemeinsam als Paar durchstehen. Er fährt dort mit dem Aufzug hoch in die dritte Etage, die ganze Etage gehört zum Paradise. Die Chefin macht ihm dort auf, sie begrüßt ihn höflich, wie immer, führt ihn in einen separaten Raum, damit ihn die anderen Freier, die da nackt rumturnen, nicht sehen, man will ja keinen Geschäftspartner oder seinen Notar oder Anwalt dort treffen. Er wartet, und nacheinander stellen sich alle Damen leicht bekleidet vor, drehen sich einmal um sich selbst, in Zeitlupe, damit man den Po und alles noch mal angucken kann, und dann wird er eine für uns zum Ficken auswählen. Bis jetzt hat er immer gut ausgewählt, sehr gut sogar. Sie gefielen mir alle, ich fand sie schön, sexy und sympathisch. Glück gehabt bis jetzt, oder passe ich mich einfach in meinem Frauengeschmack meinem Mann an? Keine Ahnung. Ist auch scheißegal. Er sagt der Chefin, dass er in einer Stunde mit mir wiederkommt. Die er ausgesucht hat, soll dann frei sein. Bis gleich.

Ich starre die ganze Zeit auf die Tür, bis mein Mann dort breit grinsend rauskommt. Was für ein unverschämtes Grinsen. Er setzt sich wieder auf seinen Stuhl und ist aufgeregt wie ein kleiner Junge. Er hat rote Durchblutungsbacken und glänzende Augen. Ich bin stolz, dass ich ihm so was ermöglichen kann.

Er plappert drauflos: »Also, sie ist Brasilianerin, Hammerkörper, super nettes Gesicht, fließend Deutsch, voll lustig. Wirklich, wenn die reinkommt, geht die Sonne auf, gab kein Vertun, die isses.«

Ich versuche Fassung zu bewahren, aber alle Alarmglocken gehen an: Achtung, Achtung, pass auf deinen Mann auf, die schnappt dir den weg. Ich rede mit mir selbst: Nein, nein, keine Prostituierte kann mir den Mann wegnehmen, das ist nur deine Angst, Elizabeth, der macht das nicht, weil der eine neue Frau sucht, der will nur mal jemand anderes bumsen. Keine Gefahr. Tief durchatmen.

»Gut, dann essen wir schnell auf und gehen rein. Kann sie direkt?«, sage ich mit einem geschauspielerten Lächeln, um Lockerheit vorzutäuschen.

»Ja, sie wartet auf uns, ich habe sie für drei Stunden geblockt.«

Oh, Mann, drei Stunden, auch noch? Da hat man ja jede Stellung viermal durch. Egal, wir dürfen ja auch früher gehen.

Er fasst meine Hand und guckt mich verliebt und dankbar an, meint er jetzt mich oder die Brasilianerin, keine Ahnung? Frühstück wird in den Mund getan, wir bestellen zum Anturnen ein Glas Sekt, das wir uns teilen, sonst kämen wir uns vor wie Alkoholiker, jeder eins am Morgen geht nun wirklich nicht. Das ist zu dekadent. Wir zahlen schnell, nehmen uns bei der Hand und gehen mit wackeligen Knien zum Eingang. Wir klingeln, er spricht unseren echten Namen in die Sprechanlage, was haben wir auch schon zu verbergen? Wenn man mit seiner eigenen Frau in den Puff geht, dann braucht man keine Angst vor gar nichts zu haben. Außer Tripper vielleicht. Wir kommen oben rein, die Chefin, mit ihren langen roten Locken, begrüßt mich, Georg hat sie ja schon vorher begrüßt. Sie führt uns in das teuerste Zimmer, man bezahlt das immer zusätzlich, wenn man ein besonderes will. Mit allem Klischeebrimborium. Riesenspiegel über dem hellblauen Himmelbett, Rieseneisbärfell mit Kopf dran vorm Kamin, alles in Silber-Hellblau. Vor den ganzen bodentiefen Fenstern kleben diese Folien, alles komplett blickdicht, weil gegenüber Leute wohnen, und die sollen das nicht sehen, was hier gleich passiert.

Wir setzen uns wie nervöse Schulkinder aufs Bett und warten. Fuck, wie ich Aufregung hasse hasse hasse! Wirklich, von diesem Herzrasen bleibt mein Herz gleich stehen. Das kann nicht gesund sein. Die Chefin schließt hinter sich die Tür. Wir sind allein. Wir gucken uns ratlos an und müssen lachen. Weil wir so bescheuert höflich sind. Wir sind echt uncoole Freier. Ein cooler Freier würde sich jetzt schon ausziehen, hier ist es nämlich sehr warm, die Temperatur ist für Nackte bestimmt. Und er würde sich schon mal lockermachen und rücklings aufs Bett legen. Wir dagegen bleiben stocksteif auf der Bettkante sitzen.

Endlich geht die Tür auf, und sie kommt rein. Sie sieht schön aus und hat kiloweise Parfüm aufgetragen. How does a cliché become a cliché? Puh. Wahnsinn. Das gehört wohl dazu. Ein schwerer, süßlicher Geruch erfüllt das Zimmer, sie dominiert den Raum, mit ihrem Körper, ihrem Geruch, ihrem breiten, zahnigen Lachen. Sie fixiert mich und kommt auf mich zu. Das kenne ich alles schon. Eine gute Nutte wickelt natürlich die Frau um ihren Finger, der Mann ist schon ohne ihr Zutun komplett um den Finger gewickelt. Die Frau könnte abspringen, alles platzen lassen, der Mann nicht. Der Mann zieht das eisenhart durch, der würde niemals abbrechen, nicht mal, wenn es brennt.

Sie sagt: »Ich heiße Lumi.«

Und schüttelt meine Hand. Wir werden in ein paar Minuten Sex haben, und sie schüttelt meine Hand. Lustig! Deutschland. Meine Hand liegt locker in ihrer, ich bewege mich fast gar nicht, sie bewegt mich. Da soll die sich schon mal dran gewöhnen, dass ich gleich von ihr bewegt werde. Sie muss viel mehr machen als wir, sie wird dafür bezahlt. Sie ist ziemlich schwarz. Hat einen Bob, viel Lippenstift, große, liebe braune Augen. Sie ist kein bisschen kaputt. Das kann ich nämlich gar nicht leiden, wenn die was Kaputtes haben. Sie trägt einen japanischen Kimono in Türkis, mit schönen Goldregenblüten in Goldgelb und Blaulila. Das hier ist ein teurer Puff, da haben die schöne Sachen an, die Damen. Ich kann durch den Kimono sehen, dass sie kleine, feste Brüste hat, mit großen, harten Nippeln, kenn ich, hab ich auch.

Ist für meinen Mann das Sicherste, bei meinen Komplexen, nicht drübergehen in der Größe, bei der Auswahl. Das ist aber auch immer ein bisschen komisch, dadurch habe ich das Gefühl, mit mir selber zu schlafen. Na ja, selber schuld! Sie hat lange Beine und einen richtig rausstehenden super Po. Sie trägt hohe schwarze Schuhe. Mann, bin ich erleichtert, sie ist gut, sie sieht schön aus, sie ist nett, alles. Puh.

»Schöne Frau hast du«, sagt sie zu meinem Mann. Standard. Sagt jede, immer. Würde die auch sagen, wenn ich aussehen würde wie hingeschissen. Schwamm drüber. Dienstleistung pur. Ich lächele sie an, sie hat fett eingecremte Hände. Sag ich doch, Nutten schmieren sich immer voll ein, damit alles flutscht.

Sie sagt uns, wir sollen uns entspannen. Sie möchte sich noch frisch machen, das bedeutet, glaube ich, dass sie das Sperma von unserem Vorgänger wegwaschen will. Man tut ja so, als wäre man noch Jungfrau bei so einem Treffen. Eine reine, unberührte Jungfrau. Sperma von grade drin? Nein, nein. Und schwebt, uns zuzwinkernd, wieder raus. Kurz darauf hören wir das Wasser im Badezimmer rauschen. Wir legen uns zurück und gucken an die Decke, wir halten wieder Händchen, wir müssen uns doch gemeinsam unterstützen in dieser schwierigen Lage. Ich sage meinem Mann, dass er sie gut ausgesucht hat. Er ist erleichtert. Ich kann mir sehr gut vorstellen, mit dieser Frau zu schlafen, gleich, für meinen Mann die übliche Show abzuziehen. Heiße Leckschwestern, von der Insel Lesbos, nur hübscher als die üblichen Lesben. Sie auf jeden Fall! Gleich verschlingen wir uns ineinander, zu einem menschlichen Knäuel, und kommen erst nach Stunden wieder raus aus dem Rausch. So geht das jedes Mal.

Die Chefin kommt rein und gibt uns jedem ein Glas Sekt. Na gut. Sie lässt uns wieder allein. Wir ziehen die Schuhe aus und setzen uns richtig aufs Bett. Georg zieht schon mal seinen Pulli aus und knöpft sein Hemd auf, etwas. Ich stehe auf und untersuche das Zimmer, wie immer. Wegen meiner Zeitungsparanoia, ich gucke hinter Bilder, in den Stoff des Himmelbetts, überall, wo man eine winzige Kamera verstecken könnte. Clear. Lache Georg an. Er verdreht die Augen, findet immer, ich übertreibe. Ich setze mich wieder aufs Bett. Manchmal kann ich gar nicht glauben, wie ich Eifersuchtshammel das eigentlich hinkriege. Ich glaube wirklich, dass das uns viele Jahre länger zusammenbleiben lässt, weil mein Mann sich immer wieder die Hörner abstoßen kann, an einer anderen Frau, erlaubterweise, das schweißt zusammen, hoffentlich. Hoffentlich. Hoffentlich. Bleibt der dann für immer bei mir!

Das dauert ganz schön lange, bis Lumi wiederkommt. Mann, muss die viel Sperma wegwaschen. Georg und ich sprechen nicht mehr miteinander, wir sind zu aufgeregt. Ab und zu grinsen wir uns übersprungshandlungsmäßig an. Ich ziehe vor lauter Kribbeln im Bauch und innerer Hitze die Strickjacke aus, die ich über mein Kleid gezogen hatte. Lumi kommt rein. Sie trägt jetzt nur noch eine Unterhose und einen BH, der aber nur aus Bügeln besteht, kein Stoff dran, der die Brust verdeckt. Ich freue mich. Toll. Sie hat auch die hohen Schuhe irgendwo dahinten in den anderen Räumen ausgezogen. Sie steht einfach da, mit nackten Füßen, und lacht.

»Mit wem fangen wir denn an heute?«

»Mit meiner Frau.«

Sie setzt sich neben mich aufs Bett, mein Mann lehnt sich zurück und entspannt sich. Er freut sich so, er weiß ja, dass jetzt die ultimative Lesbenshow folgt. Lumi und ich, wir wissen doch, was von uns verlangt wird. Sie hält meine Hände und küsst mich auf den Mund. Erst mit geschlossenen Lippen, dann immer offener und immer nasser. Sie hat keinen Mundgeruch, ich bin froh. Ich schließe die Augen, atme ein paarmal tief durch, versuche nicht an meine Mutter zu denken, die uns grad kopfschüttelnd zusieht, Alice Schwarzer auch.

Und ab geht’s. Mit der rechten Hand fasse ich ihr an den weichen braunen Hals. Ich streichele ihr Dekolleté runter, die eine Brust, die andere, beide Hände halten beide Brüste. Bei Prostituierten muss man sich keine Sorgen machen, dass das vielleicht zu schnell geht, das gibt es da nicht, zu schnell. Ich drehe ganz leicht ihre Brustwarzen zwischen meinem Zeigefinger und meinem Daumen. Ganz vorsichtig. Damit ich ihr nicht so wehtue wie mein Mann mir manchmal, aus Versehen. Ich komme nicht darüber weg, wie weich ihre Haut ist und wie gut sie riecht. Das alleine ist schon den Trip und das Geld wert. Sie schiebt den unteren Teil meines Kleides hoch, fühlt erst und sieht dann, dass ich Strapse trage.

»Oh, schick«, sagt sie etwas mumpfig in meinen Mund rein. Die Lippen bleiben die ganze Zeit aneinander. Wir werden untenrum auch immer nasser. Ihre Hand wandert in meinen Schritt. Die fackelt aber auch nicht lange. Sie reibt ganz elegant mit ihrem ausgestreckten Mittel- und Zeigefinger meine Klitoris durch die Unterhose durch. Es pulsiert bei mir immer stärker, es tut schon fast weh, so geil macht mich das. Ich schiele zu meinem Mann rüber, hey, für den machen wir das doch eigentlich, das ist uns beiden, glaub ich, hundertprozentig klar. Er hat seinen Schwanz schon rausgeholt und reibt ihn mit der Hand ganz fest umschlossen, in Zeitlupe. Der Rausch hat begonnen. Alles ist erlaubt. Ich knete weiter ihre Brüste, bin eben sehr brustfixiert, weil ich so wenig habe. Ihre Finger haben die Unterhose schon beiseitegeschoben, alles ist schon komplett nass, zwischen den Schamlippen, es wummert und pulsiert. Mit der anderen Hand signalisiert sie mir, ich soll mein Kleid ausziehen. Ich lasse ihre schönen Brüste los, ziehe das Kleid über den Kopf, achte darauf, wie im Film, schön die Haare durchzuschütteln, wie man das eben so macht, wenn einem einer oder mehrere zugucken beim Ausziehen. Ich knie auf dem Bett, hochgestreckt, langer Oberkörper, lange Oberschenkel, alles hoch. Sie kniet sich genauso vor mich hin, wir schubsen fast meinen Mann vom Bett runter. Ich gucke immer wieder, was er eigentlich macht: Er macht immer das Gleiche, grinsen und masturbieren. So einfach ist es, ihn glücklich zu machen. Bestimmt macht es ihm riesigen Spaß, Lumi und mir zuzugucken. Aber das, was ich grad als Show getarnt für ihn mache, macht auch viel Spaß.

Lumis und mein Bauch berühren sich, so nah hocken wir voreinander, wir küssen uns die ganze Zeit, auf die Lippen, an den Hals, ins Gesicht. Und die Hände sind überall. Ich massiere ihre Arschbacken richtig durch, knete sie so feste, wie ich kann, dann fühle ich plötzlich Georgs Hände. Er fummelt an meinen Händen rum und an ihrem Arsch. Er verändert seine Position vom Bettrand hinter Lumi. Er liegt flach auf dem Bauch und küsst ihren Po. Ich kann von hier aus sehen, dass er ihre Backen auseinanderhält und in der Mitte leckt. Ich höre auch das Schmatzen. Jede Position wird ein paar Minuten gehalten, dann wird gewechselt. Immer muss jeder was zu tun haben, mit Händen, Zunge, Geschlechtsteil. Lumi achtet penibelst darauf, dass sie ununterbrochen meine Klitoris reibt, ich höre schon matschende Geräusche, Flüssigkeit ohne Ende wird produziert.

Sie legt mich auf den Rücken und springt kurz lachend auf. Sie fragt, was wir von Sexspielzeug halten, wir sagen zu allem, was sie vorschlägt, Ja. Sie holt ein sehr edel aussehendes Metallgebilde aus der Schublade neben dem Bett. Sie leckt erst ein bisschen meine Vagina und danach mein Poloch, um alles für das teure Spielzeug vorzubereiten. Ich kann spüren, wie sie versucht, Vaginaschleim von vorne nach hinten zu bewegen mit ihrer Zunge, klar, der Schleim ist für die Analrutsche viel besser als Spucke, Wasser stoppt ja eher alles. Sie kann die Mitte des Metallgebildes so verbiegen, dass diese beiden eichelähnlichen Stopfen in die gleiche Richtung zeigen, und schiebt mir eins vorne, eins hinten rein. Das ist erst mal sehr kalt, aber auch sehr geil. Sie drückt die beiden Enden immer fester rein, alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei, singe ich in meinem Kopf still vor mich hin, und Lumi leckt dazu immer weiter meine Klitoris.

Ich entspanne komplett, breite die Arme nach rechts und links aus, gucke an die Decke, und mittlerweile ist mir auch egal, wo mein Mann bei ihr überall so reinkriecht. Ich muss innerlich lachen darüber, wie cool wir sind, wie cool ich bin, was für eine Angst ich vorher hatte und dass ich es geschafft habe, Alice und Mutter zum Schweigen zu bringen. Ich bin nur noch Klitoris und Geilheit, nichts ist mehr peinlich, nichts wird mehr kontrolliert, go with the flow, Elizabeth. Wann ist das schon so? Urlaub mitten in der Stadt. Alle Stellungen werden durchprobiert, alle Finger verschwinden in allen Öffnungen, zwischendurch nehme ich mal die Stopfen aus mir raus, aber bald auch schnell wieder rein. Alles ist erlaubt, außer einer Sache: Georg will nicht reinstecken bei Lumi und auch nicht in ihr kommen. Ich habe ihm schon hundertmal gesagt: »Los, steck rein, Mann, stell dich nicht so an, du willst es doch auch, los! Verdammt.« Er macht es einfach nicht. Er weigert sich. Er will einfach seinen Schwanz nicht in eine Prostituierte stecken. Ich muss das ja nicht verstehen. Nachdem er und ich auch ausgiebig ihre schöne dunkelrote Vagina untersucht und überall reingebohrt haben, nachdem ungefähr zwei oder drei Stunden absolute Geilheit vorbei sind, ich was weiß ich wie viel mal gekommen bin, setze ich mich auf ihn und reite und kneife alle Muskeln, die ich zur Verfügung habe, in meiner gut trainierten Vagina, Lumi hat lachend je einen Zeigefinger in unseren Ärschen, er kommt und fertig. Ab da wird nur noch rumgelegen und rumgealbert. Wir trinken noch nackt was auf dem Bett zusammen, wir kennen uns ja jetzt in- und auswendig. Wir fragen sie noch etwas aus, über ein paar extreme Freiergeschichten, bezahlen, wir dürfen nachher bezahlen, weil wir Stammkunden in dem Etablissement sind, ziehen uns an und gehen nach Hause.

Auf dem Weg nach Hause riechen wir ständig an unseren Fingern. Weil sie nach Lumi riechen, müssen wir immer wieder lachen. Sie hat dreihundertfünfzig Euro dafür bekommen. Ich bin danach wie in einem Rauschzustand, weil ich denke, ich bin die Coolste von allen. Was ich da leiste, als eine heterosexuelle Frau, also, da bin ich von mir selber beeindruckt. Ewigkeiten danach riechen wir noch nach ihrem Parfüm und ihrem alles.

Ich begleite Georg nach Hause und muss mich beeilen, nicht zu spät in die Therapie zu kommen. Ich gehe so, wie ich bin, schon wieder nach Orgie riechend, dahin, Frau Drescher ist alles zuzumuten, sagt sie selber immer. Sie lüftet einfach nachher durch, dann ist alles gut.

Ich entschuldige mich bei ihr für meinen Geruch, wieder mal, ich will auf keinen Fall, dass sie denkt, dass das mein Parfüm ist, was da so riecht, und ich will auf jeden Fall, dass sie von unserem Sexabenteuer gerade erfährt. Das wird alles bis ins kleinste Detail erklärt. Überraschenderweise bleibt danach noch Zeit.

»Dann kann ich mit Ihnen jetzt noch über meine beste Freundin sprechen, Frau Drescher. Nur damit ich richtig klar bin mit ihr im Kopf. Sie war mal kurz in Therapie, will aber nicht ständig über die Vergangenheit reden, hat sie also wieder abgebrochen, dabei wiederholt sie nur stumpf ihr Leben lang, was ihre Mutter schon für eine Scheiße gebaut hat. Sie sieht nicht ein, was die Vergangenheit mit dem Leben im Jetzt zu tun hat. Mittlerweile denke ich immer öfter: Denk ruhig so weiter, aber ohne mich! Ich sehe das alles, darf es aber nicht sagen. Sie haben mir doch gesagt, da müssen Leute selber drauf kommen. Man kann sie nicht dazu zwingen. Aber man darf gehen, wenn es zu viel wird mit den Untherapierten. Und das ist es für mich geworden: zu viel! Ich habe ständig das Gefühl, ich bin verrückt, und sie kann sich einreden, weil sie ja nicht in Therapie muss, dass sie gesund ist, bekommt aber durch mich die Knallertipps von Ihnen. Sie ist meiner Meinung nach genau wie meine Mutter eine tickende Zeitbombe. Und tickende Zeitbomben machen mir große Angst. Wahrscheinlich weil ich selber eine bin.

Meine Freundin und ihre Wahnsinnigkeiten machen einen großen Teil meiner Therapie bei Ihnen aus. Damit muss doch mal Schluss sein. Ich stelle mir immer öfter vor, dass das Leben ohne sie vielleicht viel besser ist für mich. Alles wirkt auf mich so schlecht, so falsch. Das liegt auch daran, dass ich tief in mir drin eigentlich nicht glaube, dass man einfach gehen darf, wenn man erkannt hat, dass jemand für einen mehr schlecht als recht ist. Ich glaube, ich müsste mal einen Streit vom Zaun brechen und dann gehen. Man darf ja gehen, wenn man wirklich will, sagen Sie ja. Es stellt sich dann bei ihr ja mit Sicherheit ein wütendes Gefühl ein, und ich habe Angst vor den Aggressionen meiner von mir dann verlassenen besten Freundin. Und was für Aggressionen sie hat! Hab ich Ihnen ja schon oft von erzählt. Sie ist definitiv die aggressivste Person, die ich kenne, ich habe ständig versucht, sie mit Geschenken und Komplimenten und Schleimerei zu befrieden. Sie ist aber nicht zu befrieden, niemand kann ihr helfen, ein besserer Mensch zu werden, nur sie sich selbst, und sie weigert sich. Lustig, dass man so viele Jahre braucht, um das zu merken. Wie spät manchmal der Selbstschutz einsetzt.

Ich stelle mir das aber auch sehr befreiend vor, wenn ich das endlich mal mache, wenn ich mich traue. Sie haben mir ja beigebracht, dass es in einer Freundschaft wichtig ist, sich im wortwörtlichen Sinne auseinanderzusetzen. Das haben Cathrin und ich ja nie gemacht, wir waren bis jetzt immer ein harmonisches Eins. Keine Kritik ist erlaubt, wir haben wie zwei geistesgestörte Freundinnen verabredet: Alle um uns rum sind böse zu uns, wir sind immer nur lieb zueinander. Es gab aber natürlich trotzdem Aggressionen, auch von ihrer Seite, Neid auf Mann, Kind, Beziehungsfähigkeit, Erfolg, Geld, Orgasmen, fuck, eigentlich alles. Allein schon die Worte: beste Freundin. Da müsste man schon schreiend weglaufen! Nur der eine Gott ist erlaubt. Wie bei meiner Mutter auch. Hilfe! Monotheismus. Schon wieder. Ich fall aber auch immer wieder drauf rein. Oder, Frau Drescher, immer das Gleiche mit mir! Jetzt kann ich nicht mehr, ich will so eine Beziehung nicht mehr. Ich will bald Schluss machen. Ich weiß nur nicht, wie. Sie macht mir so Angst. Unglaublich eigentlich. Die beste Freundin. Und man hat Angst vor ihr. Was ist da bloß alles schiefgelaufen?

Seit ich mit dem Gedanken spiele, sie abzuschießen, erlaube ich mir so schreckliche Gedanken wie: Ich habe mich die ganze Zeit für sie hässlich gefunden. Damit sie sich besser fühlt. Wir haben uns in dieser schlimmen Beziehung selber Hässlichkeit eingeredet.«

Plötzlich kommt ein Gedanke in mir auf.

»Cathrin hat mich mit ihrer Magersucht angesteckt.«

»Ich hätte Sie damals fast in eine Klinik geschickt, damit Ihre Tochter den körperlichen Verfall der Mutter nicht weiter mit ansehen muss.«

»Diesen ganzen Scheiß von wegen: Gute Kleidung sieht nur an dünnen Körpern gut aus. Jetzt möchte ich mich aber schön finden, auch für meinen Mann, für meine Tochter, für alle, aber vor allem für mich! Ich will essen, was ich will! Ich bin klein, ich habe ein Kind, ich habe kurze Beine, ich bin genau dreiunddreißig Jahre alt, und das soll man auch sehen. Ich will so aussehen dürfen. Meine Tochter sagt wegen meiner grauen Haare: ›Boah, Mama, bist du alt.‹ Hat die wirklich letztens gesagt! Und recht hat sie.

Dass ich meine Haare nicht färbe, ist für Cathrin der Horror. Hilfe! Alter, Tod. Sie hat mir mal erzählt, dass eine alte amerikanische Feministin sagt: Die beste Erfindung für Frauen, noch besser als die Pille, sei Haarfärbemittel, weil man nämlich unsichtbar wird für Männer, wenn man grau wird. Ich kann es nicht akzeptieren, dass es feministisch sein soll, so lange wie möglich für Männer jung auszusehen. Nur der Mann ist ein guter Mann, der mich mit all den grauen Haaren und Falten akzeptiert, die zu mir gehören. Ich möchte nicht mehr, wie an der Seite meiner düsteren Freundin, versuchen gegen das Alter zu kämpfen. Scheiße. Warum dauert das so lange, bis ich diese masochistische Beziehung beenden will? Aber jetzt habe ich Angst vor ihr, vor ihrer Rache. Wie auch immer die ausfällt. Hätte ich uns irgendwann vorher retten können? Anstatt jetzt nur mich vor ihr retten zu wollen? Wir haben nie gelernt, miteinander zu sprechen, richtig zu sprechen, auch über die unangenehmen Themen. So viele Jahre, da komm ich nicht drüber. Sie haben ja oft gefragt, ob ich glaube, dass ich durch eine Aussprache was ändern könnte. Aber es hätte das gleiche Ergebnis gebracht wie das Schlussmachen mit ihr, bald.«

»Glaube ich auch, mittlerweile, nach allem, was Sie von ihr erzählt haben.«

»Das ist wirklich schön für mich, dass Sie das sagen. Ich habe das genau gemerkt, Frau Drescher. Sonst erlauben Sie mir nie wegzulaufen. Wenn ich bei irgendwelchen Problemen mit Georg weglaufen will und denke, ich kriege es nicht hin, und will weglaufen und Liza bei ihm lassen, das verbieten Sie mir jedes Mal. Aber mit Cathrin, wenn ich endlich nach tausend Jahren von alleine draufkomme, dass die schlecht ist für mich, da haben Sie nicht widersprochen. Ja. Das habe ich bemerkt. Ich beobachte Sie nämlich zurück, Frau Drescher, nicht nur Sie mich. Ha!«

Agnetha lacht.

»Cathrin hat immer gesagt, sie möchte gerne schwanger werden, aber dann eine dünne Schwangere sein. Das ist für mich ganz schrecklich. Sie wartet jedenfalls all die Jahre auf ein Baby von ihrem frauenschlagenden Mann, und ich hoffe immer, dass es kein Sohn werden wird, dann würde sie vielleicht bald von beiden Seiten, praktisch gesandwicht, geschlagen werden. Sie raucht, säuft, macht extrem viel Sport, vor allem Schwimmen, natürlich nicht für die Gesundheit, sondern für die Figur, die typische Sport- und Yogamissbraucherin. Und wundert sich dann jahrelang, warum sich nichts in ihrer lebensfeindlichen Gebärmutter einnistet. Sie trägt mir ständig neue Fragen auf, die ich Sie fragen soll, und ich verschwende gute Zeit damit, ihre Fragen mit Ihnen durchzugehen, statt mich um mich selber zu kümmern.«

»Natürlich erinnere ich mich an all die weitergeleiteten Fragen.«

»Wenn sie es schaffen würde, einmal schwanger zu werden, würde die Frauenärztin ihr sagen: ›Ein bisschen Schwimmen ist in Ordnung, aber nicht auf dem Level wie vorher.‹ Das wird sie sich nicht bieten lassen, das weiß ich ganz genau. Ihre Frauenärztin hat ihr doch gar nichts zu sagen. Sie wird mich schwanger verrückt machen. Ich kann es schon vorher nicht mehr aushalten, obwohl sie das alles ja erleiden muss, dann. Aber immer die Sprüche zwischendurch: ›Gut, dass du in Therapie gehst, so regelmäßig, du musst das auch wirklich, ich kann aber mein Leben ohne Therapie sehr gut leben, ich brauche keine Hilfe.‹

Mein Mann hat es immer gewusst. Er hat ab und zu mal ganz vorsichtig nachgefragt, ob ich noch alle Tassen im Schrank habe, was Cathrin angeht.

Ich will mich im Spiegel angucken können und denken: Mann, sehe ich sexy aus, und Mann, werde ich froh sein, sie los zu sein. Das will ich. Kein Schönheitswahn, kein Hungern mehr. Ich bin eine kleine sexy, gesunde, richtig gut gebaute Frau. Fuck, ja!

Es ist auch eine gute Idee, wenn man so einen Afrikanerinnenarsch wie ich hat, sich einen Mann zu angeln, der auf Tinto-Brass-Filme steht. Dann darf man als Frau auch immer essen, was man will, und muss nicht den heute so modernen Jungspo aufweisen, null Hüfte und was nicht noch für so einen frauenfeindlichen Scheiß. Dann darf man einen richtigen ordentlichen Frauenarsch haben. Und sogar einen Frauenbauch. Geil!«

Ich muss lächeln, ich fühle mich körperlich sehr viel besser, seit ich weiß, dass ich weg darf von Cathrin. Ich atme mal ein bisschen durch. Dann kann Frau Drescher auch mal wieder was sagen.

»Ja, Frau Kiehl, mir ist Ihr besseres Körpergefühl auch schon aufgefallen. Ich werte das auch teils als Therapieerfolg.«

»Ich auch, Frau Drescher, ich auch. Ich habe ja, wie Sie zur Genüge wissen, auch seit vielen Jahren einen schlimmen Brustkomplex. Wir haben ja schon rausgefunden, dass dieser Komplex in der Schule anfing. Ich muss aber noch viel früher anfangen mit der Geschichte. Meine erste Berührung mit Brüsten war natürlich die mit denen von meiner Mutter. Sie stand oft im Badezimmer und hat Katzenwäsche gemacht. Das haben uns alle in unserer Familie beigebracht, um Wasser zu sparen. Ich komme aus einer großen Ökofamilie. Man badet oder duscht nicht jeden Tag, es ist Wasserverschwendung und dazu noch schlecht für die Haut. Mir wurde beigebracht, dass ich nur die schnell stinkenden Stellen, also Füße, Schritt und Achselhöhle, täglich mit ein bisschen Wasser und Seife waschen soll.

Wenn also meine Mutter da so stand und im Badezimmer Katzenwäsche betrieben hat, habe ich sie genau beobachtet. Durfte ich auch. Ich habe ihre Brüste angeguckt und mich gefragt, ob ich auch so große Brüste kriegen würde. Sie hatte eigentlich sehr kleine Brüste. Aber von null, als Kind betrachtet, sahen die von meiner Mutter sehr groß aus. Ich habe oft gefragt, ob ich mal fühlen darf, und ich durfte. Ich habe sie abgewogen, die Hand so drunter gehalten, als ob man bettelt und eine Brust statt einer Münze reingelegt bekommt. Ich habe reingepiekst mit dem Finger, und meine Mutter hat oft gesagt, dass ihr das wehtue, das solle ich lassen. Aber ich wollte dieses Geknubbele fühlen. Heute weiß ich, dass das die Milchdrüsen sind. Das habe ich früher nicht kapiert. Sie hatte ganz dunkle Warzenvorhöfe und Nippel. Richtig dunkelbraunrot. Ich fand die abwechselnd ekelhaft und wunderschön. Die schönsten Brüste, die ich je gesehen hatte! Aber auch die einzigen bis dahin. Abwechselnd hatte ich Angst davor, Brüste zu kriegen, oder konnte es kaum erwarten.

Heute weiß ich, von Ihnen und weil meine Tochter genau das Gleiche mit mir macht, dass das ein starkes Konkurrenzding zwischen Mutter und Tochter ist. Liza sagt oft, wenn sie mich nackt im Badezimmer bei der Katzenwäsche beobachtet: ›Ihh, ich will nicht erwachsen werden, Mama, ich will nicht so Brüste kriegen wie du.‹ Und dann wieder: ›Darf ich mal anfassen?‹ Ich glaube, das war das Schlimmste für mich, das weiß ich heute, dass man bei Frauen und Mädchen mit kleinen Brüsten immer sagt: ›Die hat keine Brüste.‹ Wie das klingt: keine. Null, gar nichts, komplett flach. Und ich dachte immer heimlich in mich rein: Aber das stimmt doch nicht, ich habe doch Brüste, wieso merkt das denn keiner. Man muss nur genauer hinsehen, um zu merken, da sind Brüste, die sind nur klein. Ich war meiner Weiblichkeit beraubt. Damals, in meiner Schulzeit, waren die Jungs nicht selbstbewusst genug zu sagen: ›Hey, ich steh aber auf kleine Brüste‹, oder: ›Gar nicht auf Brüste, Arsch ist mir wichtig.‹ Heute als Erwachsene höre ich diese Stimmen oft und viel selbstbewusster, ich habe aber in meiner Jugend eine Diktatur der Brust erlebt. Jeder und alle waren auf große Brüste fixiert. Es ist mir ja eigentlich peinlich zuzugeben, dass mich das so mitgenommen hat, aber es ist bis heute so geblieben, dass ich gerne Männern gefallen will. Ich kann ja schlecht aus Protest lesbisch werden, nur weil ich mit diesem Problem nicht klarkomme. Ich finde auch, dass die Gesellschaft und die Medien immer brustfixierter geworden sind. Vor ein paar Jahren, als es mit meinem Brustkomplex noch ganz schlimm war, haben uns Freunde mal zu einer Party einen alten Playboy mitgebracht. Von 1978, die Oktober-Ausgabe. Ich war so glücklich, sehen zu dürfen, dass wenigstens früher mal, also gar nicht so lange her, auch Frauen mit kleinen Brüsten als schön galten. Die Frau auf dem Cover hatte noch kleinere Brüste als ich und war auf dem Cover des Playboy! Das hat mir gutgetan, dieses Bild anzugucken!

Natürlich weiß ich, dass auch eine Brustoperation auf Dauer nicht gegen die Komplexe hilft. Die sind im Kopf, klar, und nicht am Körper zu operieren. Das haben Sie mir schon gut beigebracht, Frau Drescher. Ich habe gelernt, dass Riesenbrust-und-Streichholzarm-Frauen auch weiterhin die alten Komplexe mit sich rumschleppen, zusätzlich zu ihren beiden ungemütlichen Hartbrüsten da vorne, bis sie Rückenschmerzen bekommen. Ha! Das wird mir nicht passieren. Ich lass mich nicht anglotzen wie ein Alien, ein Freak, mit zwei Bollen unterm Hals und viel zu dünnen Armen. Mein Mann und ich sind ja sogar zur Paartherapie wegen meinem Riesenbrustkomplex, wissen Sie ja alles.«

Ich habe Georg bei der Arbeit kennengelernt. Nachdem wir zusammengekommen waren, habe ich ihn dann öfter in seinem Büro besucht. Ich guckte mit einem neuen Blick durch dieses Büro. Mit einem anderen Blick als dem lockeren Kennenlernblick. Der kalte, misstrauische, kontrollierende Blick. Unter ganz vielen unverfänglichen Bildern hatte er so ein B-Movie-Plakat mit einer Frau, die mich an Jayne Mansfield erinnert hat. Erwischt. Er sagte, er hat es nur so da hängen, ja richtig, ich hab ihn sofort, uncool und unlocker und verkrampft, wie ich bin, drauf angesprochen. In dem Trashfilm ging es wohl um eine Riesenfrau. Ich sah aber nur die Brüste, für mich war alles klar. Es konnte gar keinen anderen Grund geben, warum das da hing. Im Konzert zeigte er mir seine Lieblingsmusikerin. Iris deMent. Ich bin fast hintenüber gefallen, als sie auf die Bühne kam. Ich bin zerflossen vor Hass, auf ihn, auf sie, auf alle beide, sie steckten unter einer Decke, ich war mir sicher, und auf die Decke waren riesige Brüste gehäkelt. Sie trug ein Dirndl, aus dem ihre Brüste, mit Sicherheit Cup D, rausquollen, und er wollte mir erzählen, dass sie eine gute Songschreiberin sei und ihm die Brüste egal seien. Nee, ist klar! Ich habe ihm natürlich nicht geglaubt. Ich wollte mich lieber selber fertigmachen, mit diesem Brustneid, im Volksmund sagen wir auch Tittenneid. Man macht aber nicht aus Spaß und Langeweile seinen Mann fertig, sondern das waren ja richtig echte Ängste. Das macht ja keinen Spaß, so unlocker zu sein. So klein und mickrig im Geiste. Mein Mann konnte irgendwann nicht mehr seine Lieblingsmusik zu Hause hören, diese eine Sängerin. Ich habe ihn einfach so lange böse angeguckt, bis er es drangegeben hat. Es war keine Option in unserer Beziehung, präpaartherapeutisch, was gegen meinen Willen durchzusetzen. Er konnte seine Musik nicht gegen mich durchsetzen, wenn ich ihn darauf festgenagelt hatte, dass sie eine Brustmusikerin ist.

Oder wir saßen mit beiden Kindern in unserer Lieblingspizzeria. Da hing an der Tür ein Plakat mit einer nackten Frau drauf, die sich von oben lasziv eine Spaghettinudel in den Mund hängen lässt. Immer wenn ich die Brüste sehe, werde ich rasend. Weil sie so schön sind. Eine große Handvoll auf jeder Seite. Unter der Brustwarze dieser schöne Hängende-Beutel-Effekt. Die Nippel und der Warzenvorhof sind nicht zu dunkel, nicht zu hell, nicht zu weich und nicht zu hart. Schrecklich für jemanden wie mich, der täglich gegen seinen Brustkomplex ankämpfen muss. Wenn die Familie mal wieder da essen gehen will, denke ich nur: Oh, nein, bitte nicht, nicht in dem Perfekte-Busen-Lokal. Da vergeht mir direkt vor lauter Aufregung und Wut der ganze Appetit. Wir saßen also da, natürlich haben wir einen Tisch bekommen, nahe an der Postertür, und mein Stiefsohn sagte: »Guck mal, Papa, die Frau da sieht aus wie meine Mama, wenn die nackt ist, oder?« Ahhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhhh. Ich wusste ja bis dahin nichts über die Brüste meiner Vorgängerin. Dafür, für diesen Satz seines Sohnes, musste mein Mann jahrelang leiden. »Aha, wusste ich gar nicht, dass die so große Brüste hatte, deine Exfrau.« Vollkommen verrückt von mir. Er hat sie ja für mich verlassen. Wenn man aber so komplexbeladen ist wie ich, bringt man es auch fertig, den eigenen Mann fertigzumachen dafür, dass er überhaupt mit jemandem vorher zusammen war und mir nicht Fotos gezeigt hat von allen Brüsten aller Frauen und mir am besten noch das Herz von allen rausschneidet, als Beweis dafür, dass er mich mehr liebt als sie alle zusammen. Was muss das schlimm sein, mit mir zusammen zu sein? Anstrengend, anstrengend, anstrengend. Aber alles, was in diesen Brusteifersuchtsstreits gesagt wurde, ist gesagt. Leider. Man kann es nicht löschen, zurückspulen oder ungeschehen machen. Es macht zu einem gewissen Teil die Liebe kaputt, wenn einer, in dem Fall ich, überall Tretminen verbuddelt in der Muttererde unter uns.

»Oh, Mann, Entschuldigung, Frau Drescher. Wieder mal einen Brustanfall gehabt.«

»Frau Kiehl, offensichtlich ist es Ihnen ein starkes Anliegen, immer wieder darüber zu reden, bis Sie Ihre feste Meinung dazu gefunden haben. Sie langweilen mich nicht damit, machen Sie sich keine Sorgen.«

»Okay, aber jetzt bin ich total von Cathrin abgekommen. Ich will doch endlich weg von einem schlechten Körpergefühl, ich will weg von meiner Freundin, weg von harten, bösen Einstellungen zum weiblichen Körper, hin zur gesunden Einstellung, klarkommen, mit genau dem Körper, den ich habe. Und das geht mit Cathrin nicht. Wie soll man das alles ansprechen, ohne dass man nur verbrannte Erde hinterlässt? Ich brauche immer eine Absolution von Ihnen, Frau Drescher, wie mein Mann von mir für seine Pornofilme und Nutten. Weil ich mir so böse vorkomme, wenn ich sie verlassen will. Aber ich darf sie verlassen. Man darf gehen. Wirklich, oder?«

»Natürlich. Das sage ich Ihnen ja immer wieder. Sie dürfen gehen. Sie glauben das aber offensichtlich nicht so ganz.«

»Ja. Sie sagen mir immer wieder: Alles beruht auf Freiwilligkeit, auch wenn es sich währenddessen selten so anfühlt. Freiwillig war in der Freundschaft das Allerwenigste. Ich befreie mich im Kopf jetzt seit ein paar Monaten von ihr. Ich glaube, ich werde Cathrin komischerweise keine Sekunde vermissen, keine Ahnung, wie ich das mache, aber es wird toll. Sie sind wie immer vorneweg, genau wie mein Mann, sogar mein Exmann. Selbst die Kinder finden irgendwas komisch an dieser Schieflagenbeziehung!«

»Frau Kiehl, ich muss Sie leider in Ihrem Resümee über Cathrin unterbrechen. Die Zeit ist rum für heute.«

Ich schwinge mich von der Ledercouch und gucke Frau Drescher verschämt an, wir haben uns ja die ganze Zeit nicht gesehen. Ich habe das alles dem Teufelsbild erzählt.

Sie guckt mir fest in die Augen und versichert mir: »Ich sage es Ihnen noch mal: Sie dürfen gehen. Jede Beziehung zwischen Erwachsenen sollte zu jeder Zeit auf Freiwilligkeit beruhen.«

»Danke.«

»Gern, und: schönes Wochenende!«

»Ach, ja«, sage ich, wie immer vor jedem Wochenende, »es ist ja schon wieder Wochenende.«

Bei uns ist nämlich das ganze Jahr über Wochenende. Also, ich meine, bei der Arbeit von meinem Mann und mir kommt es mir immer vor wie Wochenende, weil man doch sein Hobby zum Beruf gemacht hat. Deswegen bin ich ja auch so krank, weil ich zu viel Zeit habe, mich mit meinen Schäden zu beschäftigen, ich glaube, für mich, jetzt ganz persönlich, wäre Krieg oder Flucht oder wenigstens eine Maurerlehre besser, dann wäre ich etwas abgelenkt von meinen Eltern, meinem Mann, meiner Psyche, meiner Sexualität.

Ich fahre mit dem Auto hurtig, hurtig, aber nicht zu schnell, will ja niemanden töten, zum Notar. Mir bleiben nur ein paar Minuten, weil es meinem Mann sonst auffällt, dass ich noch woanders war, das ist der Nachteil, wenn man so symbiotisch ist wie wir und so viel Zeit miteinander verbringt, dann kriegt das so was Stasimäßiges, ob man will oder nicht.

Die beim Notar kennen das schon, ich komme rein, habe alle Testamentsänderungen schon per Mail durchgegeben, wir lesen das beide noch mal, er unterschreibt, ich unterschreibe, und dann behält er eine Kopie. Im Falle meines Todes ist er ja auch der Vollstrecker, oh, klingt das schlimm, der Vollstrecker. Und ich nehme das Original mit. Das muss ich nachher nur noch heimlich und leise in unserem Schrank verstauen, wo die ganzen Testamente liegen, die ganzen Zusätze, Pflegeversicherungen, Kopien unserer Organspendeausweise, die Originale sind in der Brieftasche, alles, was mit unserem bestimmt bald eintretenden Tod zu tun hat. Irgendwie muss ich das da reinkriegen, ohne dass mein Mann das merkt, sonst guckt der mich wieder so besorgt an, der denkt dann, es geht wieder bergab mit mir, psychisch.

Jetzt will ich aber erst mal nach Hause und Lumis Geruch wegduschen. Wenn man alleine damit beim Notar ist, ist das nicht mehr so lustig, wie mit meinem Mann auf der Straße nach ihr zu riechen. Ich habe schon das Gefühl, die Notariatsgehilfen schnuppern etwas irritiert in der Luft rum. Als alles erledigt ist, wird wieder mit lauter Musik nach Hause gefahren.

Das Auto schnell auf dem Parkplatz vor der Tür abgestellt und in die Wohnung gehuscht. Mein Mann erwartet mich schon, frisch geduscht. Wenigstens einer von uns beiden. Er breitet die Arme aus, hat seine lange Unterhose an und ein richtiges Männerunterhemd, ich umarme ihn, lege meine Wange an seine muskulösen, behaarten Schultern. Wir sind ein gut durchchoreografiertes Team, wir lösen uns aus der Umarmung, er dreht sich weg, und ich sehe ihn von hinten und bewundere seine Haare auf dem Rücken, wieder mal. Ich bin fest davon überzeugt, dass mein Mann so geil behaart ist, weil er fast platzt vor Testosteron. Ihm wachsen Haare an der ganzen Ohrmuschel, wie bei einem Werwolf, das gefällt mir sehr gut. Er geht aber trotzdem, wenn es überhandnimmt wie bei dem Walser, in ein türkisches Barbiergeschäft, dort macht eine hübsche Frau, auf die ich sehr eifersüchtig bin, weil sie tolle Brüste hat, diesen wundervollen orientalischen Enthaarungstrick, mit einem verdrehten Faden zwischen Fingern und Mund. Dann klemmt sie die Haare des Ohres in diesen verzwirbelten Faden und macht was mit dem Mund und den Fingern, sodass der Faden alle Ohrhaare rausreißt. Ich flehe ihn immer an, die Haare am Rücken nicht abzumachen. Wenn er auf mir liegt und in mir ist und ich so grade den Hals lang genug machen kann, um ihm über den Rücken zu gucken, fühle ich mich ganz klein und platt und bedeckt und habe das Gefühl, ich gucke durch eine Gräserlandschaft. Ich fahre mit beiden Händen so gerne durch seine Silberrückenaffenbehaarung, und dann weiß ich, dass wir alle nur von so einem abstammen.

Außerdem wird einem auch viel kälter, wenn man sich die Haare überall wegmacht. Ich habe eine starke Behaarung am Unterarm, und einmal habe ich sie mir unter dem sehr schlechten Einfluss meiner Freundin weggemacht, die mir einreden wollte, dass man das nicht hat, als Frau. Und da wurde ich erst mal von meinem Mann fertiggemacht für diese ekelhaften Nacktmullunterarme, und da hat mir zum ersten Mal in meinem Leben einer gesagt, dass er die Haare auf meinen Unterarmen über alles liebt. Und ich habe auch ständig ganz unangenehm gefroren ohne sie. Ich ließ sie wieder wachsen, und er musste mir auch versprechen, dass er seine Rückenhaare lassen würde für mich.

Ich sehe vom Flur aus, dass er den Tisch mit Kaffeekuchen gedeckt hat. Er ist bestens gelaunt und hat nicht bemerkt, dass ich noch schnell woanders als in der Therapie war. Keine Fragen, kein fragendes Gesicht. Super. Wenn ich irgendwann heute merke, dass er oben in der Wohnung was zu tun hat, werde ich mich nach unten an unseren Todesvorsorgeschrank schleichen und die notariellen Zusätze über die Enterbung meiner zukünftigen Exfreundin einräumen. Man darf das ja nicht richtig verstecken, das soll ja gefunden werden, wenn man bald tot ist vielleicht, das ist ja dann wie Ostereiersuchen für Erwachsene. Ich muss nur wachsam sein und den richtigen Moment abpassen. Damit der mich nicht erwischt.

Ich ziehe meine Schuhe im Flur aus und schlüpfe in meine Fußspreizer von meiner Schwiegermutter. Wir haben ja beide dieses Überbein am Fuß, bei dem der große Zeh langsam immer krummer wird und sich quer über die anderen Zehen legt. Das ist genetisch bedingt, wird aber durch das Tragen von zu engen und spitzen Schuhen befördert. Schwiegermutter wurde an beiden Haluxen operiert, aber der Chirurg, der das bei ihr gemacht hat, hat ihr erklärt, wenn sie ein Leben lang einen Fußspreizer aus dem Sanitätshaus getragen hätte, hätte sie diese schmerzhafte Operation nicht über sich ergehen lassen müssen. Als sie mir das erzählte, mit den Fußspreizern, dachte ich mir: Das kauf ich mir, ich will nicht operiert werden, später. Zu Hause laufe ich deshalb immer mit diesen Spreizern rum, die ziehen den dicken Zeh weg von den anderen, dahin, wo der hingehört.

»Ich habe Kuchen geholt für uns, im Café Heimweh. Alles Bio. Mit Bioeiern und alles.«

Mein Mann weiß, wie man eine Frau rumkriegt.

»Super. Danke. Hab auch richtig Hunger. Hast du zwei Stücke für mich? Jetzt, wo ich bald von Cathrin weg bin, darf ich ja wieder viel Kuchen essen.«

»Ja, zwei. Klar.«

Ich nehme die schönen Stücke Kuchen aus dem rosafarbenen Seidenpapier und lege jedem von uns eins auf den kleinen Teller. Dann stelle ich noch zwei Gläser Leitungswasser dazu. Das ist das einzige Mal in der Zeit, wo Liza bei ihrem Vater ist, dass wir zwei an dem Esstisch sitzen. Machen wir sonst nie. Wenn Liza hier ist, sitzen wir bei jeder Mahlzeit am Tisch. Muss sein. Wenn sie weg ist, essen wir meistens auf der Couch.

Ich setze mich und fange direkt an zu essen. Wir haben uns früher sehr oft darüber gestritten, dass er nicht kommt, wenn ich rufe. Jetzt fang ich einfach schon an, wenn er nicht kommt. Haben wir in Paartherapie gelernt, dann muss ich mich nicht aufregen, ich darf ihn nicht zu einer Kopie von mir ummodeln, leider!

Beim Hinsetzen spüre ich mein Poloch. Das ist etwas in Mitleidenschaft gezogen worden heute Morgen, bei dem Sex mit Lumi und Georg. Mit Sicherheit war es Georg, Lumi ist viel zu vorsichtig gewesen, um was kaputt zu machen. Analverkehr war bei all meinen Freunden schon immer ein großes Thema, aber nie so groß wie bei Georg. Alle waren Katholiken. Ich glaube, das hängt zusammen. Früher habe ich es ab und zu gemacht, als Liebesbeweis für den Freund. Heute will ich es gerne gut und oft hinkriegen, ich liebe ihn auch so viel mehr als je jemand anderen vorher. Am Anfang hat er das Thema ganz vorsichtig eingeführt. Er hat mich gebeten, das mal auszuprobieren. Da muss der Mann schon die Frau anbetteln, kann nämlich ganz schön anstrengend und schmerzhaft sein. Aber da muss man durch für die Liebe. Die scheiß Liebe. Ich würde das von alleine nie anbieten. Er bittet mich also, mich mal für ihn zu überwinden. Ich sage aufgeregt und besorgt Ja. Ich sage aber auch zu allem Ja. Ich kann mir, ehrlich gesagt, nicht vorstellen, zu ihm Nein zu sagen, egal, was er vorschlägt. Zum Glück schlägt er keine schlimmen Sachen vor. Also nicht ganz schlimme Sachen.

Da kommt Georg endlich, setzt sich mir gegenüber und fängt an, den Kuchen schnell in sich reinzustopfen. Wir reden nicht, was sollen wir auch reden?

Ich weiß noch ganz genau, wie er beim ersten Mal meine Haut am Poloch mit Öl eingeweicht hat, dann steckt er erst einen Finger rein, dann den Daumen, dann zwei Finger. Wir nehmen uns viel Zeit dafür, alleine deswegen kommt es im Vergleich zu anderem Sex sehr selten zum Analverkehr, weil man so vorsichtig sein und so langsam vorgehen muss, damit es der Frau, also mir!, nicht wehtut, das ist uns, vor allem mir, meistens zu anstrengend. Wenn wir es aber mal hingekriegt haben, mein Poloch so zu dehnen, dass sein Schwanz ohne Schmerzen reinpasst, macht es ziemlich Spaß.

Während ich Analverkehr habe, denke ich ständig an die Anführerin unserer deutschen Frauenbewegung und horche in mich rein und fühle eine innere Geilheit, die vom Poloch und vom Schwanz ausgeht und sich im ganzen Körper ausbreitet. Ganz anders als vaginal. Aber selbst bei vaginal sagt die Frauenbewegung, da gebe es keinen Orgasmus. Das habe ich ja schon in meiner geliebten Geo Kompakt gelernt, dass das auf jeden Fall wissenschaftlich bewiesen wurde, dass es einen vaginalen Orgasmus gibt. Aber ich bin mir auch sicher, dass es einen analen gibt. Mein Frauenbewegungshirn redet mir, mit dem Schwanz meines Mannes im Po, ständig aus, dass das geil sein kann, und währenddessen redet mein Enddarmausgang mir ein, dass das sehr wohl sein kann. Wem soll ich denn jetzt mehr glauben?

Die Frauenbewegung hat sich irgendwann mal wissenschaftlich unhaltbare Thesen ausgedacht, die aus ihrer Sicht politically correct sind. Und das darf nie geändert werden. Ich spüre aber in meinem Körper, bei jedem Sex, dass die Frauenbewegung mit vielen Ideen falschliegt.

Unsere ersten Stücke Kuchen sind fast aufgegessen. Ich grinse bei den Themen, die mir im Kopf rumspuken.

»Was lachst du so?«

»Nichts.«

Er nimmt sich sein zweites Stück und gibt mir auch meines auf den Teller. Er isst nur Quark-Mohn aus dem Laden, ich immer Apfel, immer das Gleiche, damit ich nicht verrückt werde. So geht unser Leben.

Wenn man gerade massiv gedehnt wird von einem breiten Schwanz, fühlt es sich wirklich so an, als würde gleich alles auseinanderreißen am Schließmuskel. Mein Mann machte mir aber immer Komplimente dafür, wie locker ich sei und wie entspannt ich das aushalten könne. Wahrscheinlich hatte er Vergleiche. Da frage ich lieber nicht nach, sonst raste ich wegen Eifersucht wieder aus. Ich sage ihm ständig: »Langsam, Vorsicht, warte.« Weil es wirklich elendig lange dauert, bis der Schwanz auch nur ansatzweise da drin verschwindet. Ich habe mich immer mit den Frauen im Pornofilm verglichen und gewundert, warum die einfach: zack, Schwanz aus der Vagina, zack, in den Po, ohne jede Probleme. Da dachte ich, das würde ich gerne auch meinem Mann bieten. Hundertmal in Filmen gesehen und gedacht, bei mir stimmt was nicht. Warum kann ich das nicht einfach so wegstecken.

Dann kam eines Tages die wunderbare Erklärung. In der Dokumentation 9 to 5: Days in Porn habe ich eine für mein Sexleben mit meinem Mann sehr erhellende Szene gesehen. Die Frauen haben sich, bevor sie eine Analszene drehen sollten, ganz vorsichtig und mit viel Liebe zu sich selbst, immer größere und breitere Gegenstände in ihren Po eingeführt. Ich habe extra zurückgespult und das genüsslich angeguckt. Es hat mich für immer davon befreit, zu denken, bei mir sei was nicht richtig, ich sei zu eng, nur bei mir tut das so höllisch weh, wenn man zu schnell macht. Die dehnen sich ausgiebig vorher, wie Sportler, und ich hab immer versucht, das mit Kaltstart hinzukriegen, bis ich dachte, mir kommen beim Einführen seines Schwanzes vor Schmerzen die Gedärme aus dem Mund wieder raus. Das Dehnen, die langwierige Vorbereitung des Polochs zeigen die natürlich nicht in den richtigen Pornofilmen, weil die Illusion ja aufrechterhalten bleiben soll, dass die sich einfach alles ohne Probleme dauergeil, wie die sind, in den Po schieben können, ohne Schmerzen.

Ich kann meinen Mann auch nie fragen, ob an meinem Poloch was kaputtgegangen ist, nach dem Analverkehr, weil er immer sagt, er möchte nur in Notfällen mit Krankheit und Verletzungen belämmert werden. Frau Drescher sagt auch, ich soll ihn in Ruhe lassen und ihm nicht mein Verständnis von Beziehung aufdrängen, wo man sich ständig gegenseitig Pickel ausdrückt, die Würmer im Stuhl des anderen begutachtet oder sich die Analwunden reinziehen muss. Auch nicht, wenn man sie sich gegenseitig zugefügt hat, wie mein Mann mir. Die Drescher, ts!

Als wir gerade frisch zusammen waren, ist uns dann leider ein schlimmer Unfall passiert, was mein Poloch angeht. Ich erinnere mich wegen Drogen und Alkohol nicht mehr, warum wir überhaupt im Badezimmer gelandet sind. Mein Bild im Kopf, kurz bevor es sehr wehtat, zeigt uns beide nackt. Ich stehend ans Waschbecken gelehnt, er von hinten kommend. Ich hatte eigentlich die Augen verbunden, die Augenbinde war aber etwas verrutscht, sodass ich uns im Spiegel sehen konnte. Hab ein bisschen gelauert. Und weil er voll drauf war, rammte er mir vor lauter Geilheit seinen Schwanz ins Poloch. Ich zog ihn sofort wieder raus. Dabei ist einiges kaputtgegangen. Lernt man doch schon in der Schule, dass man sich beim Analverkehr besonders schnell mit allem Möglichen anstecken kann. Weil eben viel Blut fließt. Das war bei mir auch so. Da stehen nun zwei nackte notgeile Kokssüchtige im Badezimmer und wissen nicht, wohin mit der Latte.

Wir hatten beide ein sehr unangenehmes Runterkommen. Und ein Bild im Kopf, was nie wieder weggeht. Da muss ich jedes Mal dran denken, wenn wir es wieder versuchen. Das ist eine große Überwindung. Und macht unlockerer. Mein Poloch, ein Teufelskreis.

Seit dieser Verletzung ist der Analverkehr eine Riesensache bei uns geworden. Wie Käsefondue in der Familie. Selten, aber dann richtig abgefeiert! Er entschuldigt sich hundertmal im Jahr dafür. Dass er nicht weiß, was ihn damals geritten habe. Na, ich! Und dass es ihm so wahnsinnig leidtue, dass er mir damals so wehgetan hat. Ja, ja, kein Problem. Nur vergessen kann man das schwer, wenn die Eichelspitze wieder anklopft. Ich rede dann innerlich mit meinem Poloch. Ganz ruhig, das wird schon gut gehen, mach dich locker, weite dich, das ist besser für uns beide, das passiert nie wieder wie damals, geh auseinander, nicht verkrampfen, dann tut es uns beiden nicht so weh! Und innerhalb von ein paar Minuten passt er mit seinen fetten Zentimetern Durchmesser da rein.

Er ist fertig mit seinen beiden Stücken Kuchen.

»Darf ich den Tisch verlassen?«

»Klar.«

So ist das bei uns. Wir fragen das immer, eigentlich nur als Vorbild für die Kinder, jetzt ist es aber so drin, dass wir das machen, auch wenn die nicht da sind.

Er steht hinter seinem Stuhl, und ihm fällt noch was ein: »Ich habe was im Internet bestellt, eine Überraschung, eine DVD. Ein Zusammenschnitt cooler Sexfilme aus den Siebzigern, haben zwei Frauen gemacht in der Schweiz, die heißen ›Glory Hazel‹. Eine Art Kunstprojekt. Sollen wir das mal gucken?«

»Klar.«

Unersättlich, mein Mann. Aber es ist auch besonders stark, wenn das Kind weg ist, sonst ist alles sehr unsexuell, wenn es da ist.

Ich bleibe alleine mit meinem Reststück Kuchen am Tisch sitzen und denke weiter über unsere anale Vergangenheit nach. Er geht mit Sicherheit wieder was aufräumen. Lustig. Wie kann man nur so viel aufräumen? Er würde sagen: Wie kann man nur so viel Unordnung machen?

Nach dem Polochunfall hat er auch mal vorgeschlagen, dass wir seinen Schwanzdurchmesser ausrechnen und er ein gleich großes Teil bei sich reinsteckt, nur um nachvollziehen zu können, wie das für mich ist. Aber bestimmt auch, weil er gerne Sachen hinten drin hat. Ist eben ein Katholik. Ich bin klein, also ist mein Poloch auch verhältnismäßig klein. Er ist groß, und sein Schwanz ist sogar im Verhältnis zu seiner Größe groß. Also unverhältnismäßig groß. Wenn Georg groß ist und sein Poloch damit auch viel größer, muss das, was da rein soll, damit er das gleiche Erlebnis und die Spannung am Schließmuskel spürt wie ich, um einiges größer und breiter sein als sein eigener Schwanz. Jaha!

Wir haben in einem Sexshop einen riesigen, fetten Gummidildo gekauft. Das war mir an der Kasse sehr unangenehm. Ich bin mir sicher, der Verkäufer hat ein bisschen gegrinst. Am liebsten hätte ich ihm erklärt, dass das nicht für mich kleine Person ist, sondern für ein Gleichberechtigungsexperiment. Aber man muss wohl locker sein und drüberstehen, was der Sexshopverkäufer denkt. Wo kommen wir denn da hin. Der kennt mich schon ganz gut, habe dort fast alles gekauft, was wir in unserer verbotenen Tasche horten. Schön versteckt vor den Kindern. Die meisten Sachen sind nach einem Mal Benutzen kaputtgegangen. Weil sie aus China kommen. Die Sprungfedern der Dildoverschlüsse sind kaputt, sodass man die Batterie nicht mehr festklemmen kann. Bei jedem anderen kaputten elektrischen Gerät würde man in den Laden gehen und sich beschweren. Bei Sexspielzeug macht man das irgendwie nicht. Auch weil der Verkäufer ahnen kann, wo das schon überall drin gewesen ist.

Unsere Tasche ist also eigentlich voll mit komplett nutzlosen Sachen. Dildos in allen Größen. Von Fingergröße bis zu dem Riesenschwengel für das Experiment mit meinem Mann. Wir haben auch verschiedenste Fesselwerkzeuge, die wir nur ganz am Anfang unserer Beziehung mal ausprobiert haben. So ein Gebilde mit Arm- und Fußfesseln in einem. Augenbinde (damit ist der Polochkoksunfall an meinem Schließmuskel passiert). Wir haben Bänder mit elektrischen Kugeln dran, die sich in mir bewegen würden, wenn sie nicht aus China wären.

In einer ewig langen Sitzung jedenfalls haben wir es geschafft, sein Poloch so weit zu dehnen, mit den verschiedensten Gegenständen, kleinen Dildos, Analspreizern, bis der dicke Knüppel bei ihm reinpasste. Seitdem hat er noch mehr Respekt vor meinem inneren Polochdialog. Er ist seitdem auch noch vorsichtiger geworden.

Das ist eine gute Idee für heterosexuelle Frauen, um ein lockereres Leben zu führen: Der Mann, falls er denn mal so etwas von der Frau verlangt, soll das selber auch mal bei sich ausprobieren. Wie bei uns mit dem Riesendildo in seinem Arsch. Hat mein Leben auch viel lockerer gemacht, er verehrt mich jetzt vollkommen, wenn ich ihn mal hinten reinlasse, through the backdoor, in den Braunen Salon, einmal komplette Hafenrundfahrt, weil er noch ganz genau weiß, wie weh es ihm getan hat, wie schwer es für ihn war, sich so locker zu machen im Kopf und am Schließmuskel, dass es ihn nicht zerreißt. Wie unglaublich lang er auch gebraucht hat, bis ich nur die Minispitze von dem Dildo da rein bekam. Unendlich lange! Haha!

Als er das endlich weggesteckt hatte, er brauchte wirklich viel länger als ich, er hat ja keine Übung im Leute-bei-sich-Reinlassen, wie wir Frauen, hab ich ihm gesagt: »Und das Nächste, was du mal ausprobieren musst, ist, Sperma runterzuschlucken. Wenn du das schaffst, dann mach ich das auch gerne mal wieder für dich!«

Ich stehe auf und gehe ans Fenster zum Garten hin. Ich mag das wirklich nicht, wenn meine Tochter weg ist. Ich gucke auf den Quittenbaum in unserem Garten. Da oben in der Baumkrone hat sich eine Elster ihr Nest gebaut. Ich bin wie besessen von solchen Sachen. Seit dem Tod meiner Brüder hat das magische Denken, wie es sonst meistens Kinder haben oder eben bescheuerte Christen, bei mir stark zugenommen. Den Begriff »magisches Denken« habe ich von der Drescher gelernt. Sie meint damit all diese Dinge, die im weitesten Sinne mit Aberglauben zu tun haben. Zum Beispiel meine Besessenheit von der Zahl drei. Drei tote Kinder. Dann spinne ich das in meinem traumatisierten verwundeten Kriegshirn zu ganz anderen Dingen zusammen. Wenn ich drei Fliegen in der Küche rumfliegen sehe, denke ich, das seien meine Brüder. Ich schlag sie trotzdem tot, weil ich mich nicht mit ihnen beschäftigen will und mir mein Hirn auch oft zu verrückt ist, außerdem ist es nicht schlimm: Falls sie es tatsächlich waren, haben sie es ja vorher auch geschafft, noch mal wiedergeboren zu werden. Wenn ich durch die Welt laufe, draußen, dann gucke ich meistens in die Luft und suche Knubbel. Es gibt drei Arten von Knubbeln, die ich in Bäumen suche: einmal die Elsternnester, wie bei uns in der Quitte, das sind so ganz unordentlich gebaute Nester, man erkennt sie an einer Art lose zusammmengestecktem Dach, das sich die schlaue Elster als Schirm über ihr Nest gebaut hat. Dann die Mistelparasiten, die knubbelartig in Bäumen hängen. Sie haben selber keine Möglichkeit, sich zu ernähren, sie trinken und essen alles über die Rinde ihres Wirtsbaumes. Man sieht sie besonders gut, wenn man über die Autobahn fährt und in die Bäume guckt, oft gibt es regelrechte Kolonien davon. Lustigerweise gibt es in England einen Brauch, zu Weihnachten: Wenn man sich unter so einem Mistelzweig küsst, heißt das, dass man bald heiraten wird. Passt ja gut, Parasitentum und die Ehe. Und der dritte Knubbel, nach dem ich immer schaue: die Eichhörnchenkobel. Die sind ganz ordentlich und ganz rund gebaut, nicht so schlampig, wie die Elster das macht. Und die sind aber auch von allen drei Knubbeln die seltensten, sie stehen für meinen kleinsten toten Bruder. Wenn ich solch einen Knubbel mal sehe, rede ich mir ein, dass ich an dem Tag besonders viel Glück haben werde, und verachte mich gleichzeitig dafür, weil ich doch gerne ein aufgeklärter Mensch sein möchte, der nicht an solch einen Schmu glaubt.

Das andere magische Denken, das mich verfolgt, betrifft die silberne Eichelnuss. Die Eichelnuss ... something old … hat meiner Meinung nach den Unfall verursacht, ich hebe sie nach wie vor auf. Sie liegt in unserem Keller versteckt, in dem Koffer, in dem alle Sachen sind von unserer ausgefallenen Hochzeit. Ich hoffe die ganze Zeit, dass das kein Fehler war, sie aufzubewahren. Ich habe massive Angst vor diesem bösen Gegenstand. Ich dachte immer, ich will sie loswerden, aber ich fürchtete auch, sie würde sich rächen, wenn ich sie wegschmeiße. Wie bei meiner Freundin. Ich habe Angst vor ihrer Aggression. Also bleibt die Eichelnuss da unten bei uns im Keller. Höchstwahrscheinlich ist sie verantwortlich für alle komischen Sachen, die in unserer Wohnung passieren.

Wir haben zum Beispiel ein massives Stromproblem. Irgendwas stimmt nicht mit der Spannung in der Wohnung. Entweder die Eichelnuss funkt da mit rein, oder es sind direkt meine toten Brüder. Sie sorgen ständig für Stromausfall, dass Lampen und Birnen durchknallen. Wir haben in unserer Wohnung einen extrem hohen Verbrauch an Birnen und Lampen. Ja, sogar ganze Lampen gehen bei uns kaputt. Schon mehrere Elektriker haben nicht rausfinden können, was da los ist. Ich fühle mich verfolgt von meinen toten Brüdern. Wenn Menschenfleisch verbrennt, riecht es nach gegrilltem Bauchspeck, hab ich mal gelesen.

Ich hasse es, alleine zu sein mit diesen Gedanken, immer so ekelhafte Gedanken, entweder Tote oder anal, was anderes gibt’s wohl nicht in meinem Kopf?

Ich glaube fest daran, dass sie bei lebendigem Leib verbrannt sind. Ich mache es mir nicht leicht und versuche mich mit Glauben zu beruhigen und zu trösten. Nein, ich gehe einfach von dem Schlimmsten aus, damit ich nicht so dumm bin wie die Gläubigen. Nicht trösten, sondern knallhart sein, den Tatsachen ins Auge sehen, nicht flüchten. Der liebe Gott wird schon seinen Grund haben, warum er diese reinen Seelen zu sich geholt hat. Fickt euch! Niemand holt hier niemanden. Dinge passieren, und wir müssen damit leben, klarkommen, drüber verrückt werden, egal, aber doch nicht gläubig werden, verdammt.

Das ist viel zu einfach. So lieb sein zu sich. Alles hat schon seine Gründe. Wir verstehen sie nur nicht. Ja, klar. You wish! Wir sehen uns auch alle wieder. Klar. You wish. Ist aber nicht so. Wir sehen uns nie wieder. An welcher Stelle in der Evolution zwischen Affen und Neandertalern wurde uns denn plötzlich die Seele eingehaucht? An keiner. Wir sind Tiere und sehen uns nach dem Tod nicht wieder, so wie die ganzen von uns überzüchteten Masthühnchen sich auch nicht wiedersehen nach dem Tod, im Hühnchenhimmel.

Ich habe einen unbändigen Wunsch, jemanden zu retten, weil ich meine Brüder nicht retten konnte. Ja, genau, ich würde so gerne mal jemandem das Leben retten. Dann würde ich mich vielleicht besser fühlen. Ich habe mir im Portemonnaie notiert, wo in unserer Gegend Defibrillatoren hängen, ich weiß ganz genau, wie die funktionieren. Ich müsste die Bedienungsanleitung gar nicht erst lesen. Es wäre mir auch egal, wen ich rette, selbst wenn es ein alter Nazi wäre. Am liebsten aber ein Kind. Von mir aus auch ein böses. Ich habe gelernt, wie man einen Luftröhrenschnitt macht oder eine Mund-zu-Mund-Beatmung bei Kindern.

Alles nur, weil sie sich nicht umgedreht hat.

Georgs Handy klingelt. »Hallo, Michael«, höre ich ihn sagen. Ein Kollege. Michael! Das Einzige, was ich mir mal als Abwechslung wünschen würde, wäre ein anderer Mann. Hab ich das schon gesagt? Ich halte es jedenfalls nicht mehr lange aus nur mit einem. Ich habe schon mehrmals versucht anzusprechen, dass er mir erlauben muss, mit anderen zu schlafen, sonst platze ich. Das, was mein Mann nicht weiß, ist, dass ich mich ständig in andere Männer verliebe. Seit ungefähr einem Jahr, ohne dass jemand was merkt. Wir lernen neue Leute kennen, meistens Pärchen, und ich fahre so auf die Männer ab. Das hält nur ein paar Tage, und wenn man den fast unerträglichen Phantasien nicht nachgeht, stirbt es auch ab, nach ein paar Tagen oder Wochen oder Monaten. Und ich glaube, so wie ich mich kenne, ist das, was sich für mich wie Verliebtheit anfühlt, eigentlich Geilheit auf andere. Das würde erklären, warum man früher, wenn dieses angebliche Verliebtsein in andere auftauchte, sofort gegangen ist und dann diesen Neuen als Partner hatte.

Bis jetzt ist dieses neue Verliebtsein immer weggegangen. Aber ich garantiere für nichts. Ich komme mir vor, als steckte ich mitten in einem miesen Geilheitsexperiment. Ich will bei ihm bleiben. Wir sind gut zusammen, wir haben eine Patchworkfamilie, die keine weiteren Erschütterungen erträgt. Aber ich muss mal Sex mit jemand anderem haben dürfen. Im Kopf gehe ich die ganze Zeit fremd. Ich phantasiere von Sex mit fast allen Freunden, die wir haben. Ich möchte gerne voll kontrollierten Sex mit jemandem, mittlerweile fast egal, wem, nur dass diese Person mir nicht meine Familie kaputt machen soll.

Georg telefoniert immer noch. Das ist meine Chance. Ich nehme meine Tasche, hole die Dokumente raus, schleiche runter, um sie in dem heiligen Todesschrank zu verstecken, und komme mir vor wie meine Mutter. Die hat ständig Sachen hinter dem Rücken ihrer Männer gemacht.

»Elizabeth?«

Fuck. Jetzt telefoniert er nicht mehr und sucht mich. Ich antworte nicht. Still bleiben, wie ein Kaninchen im Autoscheinwerferlicht.

»Was machst du an dem Schrank da unten?«

Ich komm aus der Nummer nicht mehr raus.

»Jaha, hab nur kurz noch was verändert, danke der Nachfrage. Mann, lass mich in Ruhe.«

Schlimm, wenn man zusammenwohnt, nichts darf man mal unbemerkt machen. Vor allem schlimm, wenn man erwischt wird. Er hat mich schon tausendmal gebeten, mich nicht ständig mit dem Tod zu beschäftigen, mit meinem eigenen Tod vor allem.

Ich gehe jetzt hoch und sage ihm die Wahrheit.

Ich nehme den Ordner und meine Papiere vom Notar mit, jetzt kann ich das auch oben verstauen. Auf dem Weg zur Couch und zu Georg schnappe ich mir noch in der Küche den Locher. »Ja, Mann, ich war grad beim Notar wegen einer Kleinigkeit, ich musste Cathrin doch enterben, weißt du? Damit du und Stefan und Liza und Max mehr kriegen. Wenn mir was passiert, und das Testament bleibt in dem alten Zustand, kriegt die ganz viel. Das geht doch nicht.«

Ich gucke ihn an, er guckt mich sehr wütend zurück an. Er sagt nichts. Fuck, ich weiß, es gibt immer Gründe, immer habe ich Gründe für die Scheiße. Ungefähr zehnmal im Jahr hänge ich beim Notar rum, für die kleinsten Kleinigkeiten. Das Testament soll immer perfekt sein, für den Fall, dass. Und das schon seit acht Jahren. Mein Mann hält das nicht mehr lange aus. Er hat bei unserer Paartherapie gelernt, dass er mich davon abbringen soll, das versucht der jetzt, indem er mich so desillusioniert anguckt. Ja, Mann, ich gehe mir ja schon selber auf den Sack, Mann! Ich weiß das alles selber, ich kann es aber nicht lassen. Ich will nicht, dass jemand, den ich liebe, weniger bekommt, nur weil jemand, den ich nicht mehr liebe, aus Versehen noch testamentarisch bedacht wird. Diesen Gedanken finde ich unerträglich.

Ich bin sein Sorgenkind. Hört das jemals auf? Alles, was er jetzt machen könnte, ist lächerlich, weil wir es schon so oft gemacht haben. Alles. Jede Lösung durchprobiert, nichts hilft, nichts stoppt mich in meiner Notarssucht. Weil es eine Todessucht ist. Ich habe ihm schon alle Versprechen gemacht und konnte mich nie dran halten. Nichts wirkt. Noch nicht mal Agnetha, in diesem Fall.

»Zerreiß dein Testament für mich«, sagt Georg mit ganz ruhiger, leiser, fester Stimme zu mir.

Was? Der spinnt ja wohl! Mein geliebtes Testament. Niemals. Meine ganzen Zusätze dafür. Nein. »Nein.«

»Doch, du machst das jetzt. Verlass dich doch einfach auf alle, die überleben, dass die alles schon regeln werden für dich, in deinem Sinne. Verlass dich.«

»Nein, ich kann mich auf niemanden verlassen. Ich muss mich alleine um alles kümmern.«

»Das ist dein Problem und somit auch meins. Du verlässt dich nicht auf mich, auf niemanden, auf nichts. Du möchtest alles ganz alleine regeln, auch wo es nichts zu regeln gibt. Glaubst du wirklich, dass das Schlimmste ist, wenn du stirbst, wie das alles mit dem Testament geregelt ist? Glaubst du das? Nein. Das Schlimmste wird sein, dass du weg bist, für mich, für Liza. Da ist doch das Testament egal. Du kannst jetzt nicht regeln, dass wir nicht traurig sind. Wir sind dann traurig. Sehr sogar. Lange auch. Du kannst jetzt nichts machen, zu Lebzeiten, dass dein Tod weniger schlimm für uns wird. Und weißt du was, je mehr du dich mit deinem scheiß Testament beschäftigst, umso mehr denke ich, du willst vielleicht selber gehen. Dich umbringen. Die Option hältst du dir immer offen, oder?«

Warum ist der so schlau? Die Liebe meines Lebens. Ja, tut mir leid, ja. Ich kann das Leben ganz oft einfach kaum aushalten. Ich möchte die Möglichkeit haben, auch gehen zu können, wenn ich will.

»Ich finde es schlimm, dass ich dich habe und Liza, ihr haltet mich hier, ich will aber nicht hier sein, ganz oft. Und wenn ich euch nicht hätte, wäre ich schon längst weg. Und deswegen muss ich immer mein Testament anpassen, falls es mal so weit ist, weißt du, falls ich es doch mal schaffe, mich von euch zu lösen. Im Testament steht, dass du und Stefan zusammenziehen müsst, für Liza, und sie dann zusammen großzieht. Macht ihr das dann? Wenn das da steht?«

»Ich weiß, was da alles drin steht, ich kenn das doch alles, alle Zusätze, das macht mich so traurig, Elizabeth, dass du die ganze Zeit deinen Abgang vorbereitest, das heißt doch, dass du nicht richtig hier bist, bei mir, bei Liza, im Leben.«

»Ja, tut mir leid, kann schon sein. Ich kann das nicht ausschließen, weißt du, ich will das auch nicht ausschließen. Ich habe nämlich für mein Leben schon genug schlechte Nachrichten bekommen. Ich will keine einzige mehr hören. Nie wieder. Und dafür gibt es keine Garantie, niemand kann mir das garantieren: keine schlimmen Nachrichten mehr. Ich gehe dann kaputt, ein einziger Umpuster, und ich geh kaputt. Mehr geht da nicht in meinen Kopf rein.«

»Es wird schon keine schlimmen Nachrichten mehr geben. Es könnte doch wirklich sein, dass es das war. Ja. Aber garantieren kann ich das nicht, klar. Elizabeth, bitte zerreiß dein scheiß Testament für mich.«

»Nein, Georg, ich kann das nicht. Verlang das nicht von mir. Hör auf.«

Ich würde gerne, aber ich kann nicht. Ich weiß schon, was er will. Ich soll mich entscheiden für ihn, für das Leben, für das Kind, ich kann das aber nicht, nicht ganz jedenfalls. Ich weine. Das ist auf Dauer ganz schön anstrengend: ein Bein im Leben, ein Bein im Grab, die ganze Zeit auf dem Sprung, ich kann mich nicht entscheiden, weder für das eine noch für das andere. Ich will deswegen nicht so stark lieben, dass es mir das Herz rausreißt, wenn jemand davongehen muss. Ich möchte nicht so viel investieren, dass ich nachher dran kaputtgehe, wenn der- oder diejenige dann weg ist. Alles mit angezogener Handbremse, immer in Lauerstellung, ich beobachte dich, Gevatter Tod. Wen du als Nächstes holst. Ich muss alles tun, was in meiner Macht steht, um meinen Mann und mein Kind vor dir zu schützen. Keine dummen, fatalen Fehler begehen.

Georg nimmt mich in den Arm.

Oh, Mann, wie oft haben wir dieses Gespräch schon geführt?

»Bleib bei mir, bleib am Leben, Elizabeth!«

Er quetscht mich so feste, dass er mir die Luft aus den Lungen rausdrückt, ich mache ein unkontrolliertes Quetschgeräusch.

»Ja, ja. Ich geh ja nicht direkt. Nicht bald.«

»Soll ich das dann für dich zerreißen?«

»Wehe! Bitte. Mach das nicht, ich weiß ja, was du meinst, ich arbeite dran, aber nicht zerreißen, ja?«

»Dann mach du. Zerreiß du.«

»Nein, ich zerreiß das auch nicht. Ich komm da schon von weg, aber nicht zerreißen, bitte. Bitte, bitte, bitte!«

Ich lege mich an ihn ran. Meine Hand wandert unter den Ärmel des T-Shirts, damit ich seine weiche Haut an der Innenseite des Oberarms fühlen kann.

Ich strecke alle viere von mir, das Leben ist mir zu anstrengend. Alles, was ich machen will, darf ich eigentlich nicht machen, weil es für mich oder andere schlecht ist.

Verzweifelt sage ich »Themawechsel« zu meinem Mann.

Das kennt er schon. Das bedeutet, ich muss abgelenkt werden, weil mein Kopf brummt und ich Angst habe, verrückt zu werden.

Georg nimmt mich feste in den Arm. Wir bleiben lange so.

Ich krieg mich wieder ein und frage: »Was ist denn jetzt mit diesen Schweizer Kunsttanten? Was machen die denn besser als andere?«

»Die haben einfach viele Filme zusammengeschnitten, Sexszene an Sexszene, schön mit Musik unterlegt. Kein dummes Drumherum, keine erniedrigenden Dialoge. Alles aus den Zeiten, wo die Sexdarsteller noch aussahen wie echte Frauen und Männer.«

Okay, schon abgelenkt.

Mein Mann hat alles, was er mit meiner Vagina kann, und das ist viel, aus Pornofilmen gelernt. Sie sind nachweislich für mein sexuelles Glück verantwortlich, für jedes Kommen, jeden Orgasmusfleck, den ich in den letzten sieben Jahren hatte. Der Anführerin der deutschen Frauenbewegung würden die Filme in unserer Familiensammlung bestimmt gut gefallen, keine Vergewaltigungen, keine Frauenerniedrigungen, eigentlich nur ganz viel Klitorisgediddeldididdel!

Ein bisschen kommt meine sexuelle Befriedigungskunst aber auch von mir, von innen, nicht nur zu hundert Prozent von meinem Mann und seiner Pornofilmsozialisation. Das habe ich zum Beispiel von meiner alten Sportlehrerin gelernt auf dem Gymnasium. Sie brachte uns sehr früh bei, wie man die Scheidenmuskulatur zusammenzieht und wieder entspannt, bis die Muskeln in dem Bereich spürbar stärker wurden. Ich glaube, meiner Sportlehrerin Frau Kühne habe ich zu verdanken, dass ich jedes Mal so übernatürlich heftig komme. Und dass ich bestimmen kann, wann der Mann kommt, wenn ich keinen Bock mehr auf Reibung habe. Irgendwann ist ja auch mal alles wund gescheuert.

Georg holt einen ganz flachen Plastikumschlag aus der Schublade unter dem Fernseher und gibt ihn mir in die Hand. Ich betrachte das Cover. Da steht »Glory Hazel« drauf. Cooler Name für eine Firma! Ich sehe schick schwarz-weiß gepixelt eine Frau, kniend von hinten, in Strapsen, zwischen ihren Beinen klemmt ein Männerkopf. Sie krallt sich mit weit ausgebreiteten Armen in eine Samtbettkonstruktion rein.

»Sieht super aus«, sage ich zu meinem Mann.

Ich klappe den Plastikverschluss auf und ziehe eine weitere Papierhülle raus, die falte ich auf, und eine schöne kleine Pflaume springt mir entgegen, nur leicht rasiert, wie das eben so war, damals.

Wir müssen beide lachen. Ich gucke ganz lange drauf, nehme die DVD und lege sie ein. Ich laufe noch schnell zum Kühlschrank und hole zwei Bier raus, öffne sie mit unserem an der Wand festgemachten Bieröffner, schön geordnet alles bei uns, setze mich mit meinem Mann auf die Couch und wickel uns beide in die übergroße Wolldecke ein.

Der Trailer geht schon mal sehr gut los. Porno ohne den ganzen peinlichen Scheiß dabei.

Ich lege unter der Decke meine Hand auf seinen Schwanz und seinen Sack und halte diese beiden komischen Gebilde fest in meiner Hand. Endlich habe ich frei von mir selbst. Anderen beim Sex zuzugucken ist ein ganz schön gesunder Drogenersatz. Es erzeugt wirklich einen richtigen Rausch.

Ein paar Minuten tauchen wir ein in diese sexuelle Kunstwelt, da klingelt es an der Tür. Ich reiße die Hand aus seiner Hose, fühle mich ertappt, wie ein Teenager in seinem Zimmer beim ersten Petting, springe sofort auf.

Georg lacht, der kennt das von mir. Sofort zur Stelle, sofort alles vertuschen, anstatt einfach nicht aufzumachen und liegen zu bleiben. Er guckt mich amüsiert an, dann auf seinen Schritt und sagt: »Ich kann grad nicht aufmachen.«

Ich wickel mich in die Decke ein, nicht weil ich nackt bin, sondern um mich zu schützen vor was auch immer da auf mich zukommt. Drücke den Pausenknopf der Fernbedienung und laufe zur Tür.

Ich atme noch mal tief durch, die Hand schon an der Klinke und reiße gespielt locker die Tür auf. Da steht unser Freund Jochen mit seiner Babytochter auf dem Arm. Ich freu mich immer sehr, wenn ich ihn sehe, er ist zwar nicht schön, aber sehr lustig und sehr versaut. Verbal, meine ich.

Er möchte nicht lange stören, entschuldigt sich fürs Wecken. Hä? Sehe ich so derangiert aus? Na ja, egal.

»Wer ist da? Mit welchem fremden Mann redest du?«, ruft Georg mit gespielter Empörung aus dem Wohnzimmer.

»Ich bin’s nur, der Jochen, keine Sorge!«

Ja, von wegen, keine Sorge. Wenn, dann der! Auf jeden Fall.

Er drückt mir eine DVD-Box in die Hand, die Georg ihm ausgeliehen hat, meine Phantasie dreht durch, ich versuche ihn mit den Augen zu fixieren, er hat aber anderes im Kopf, schuckelt seine Tochter, muss zu seinem Auto, parkt in zweiter Reihe. Er verabschiedet sich, quetscht ein bisschen die Tochter zwischen uns, Küsschen rechts, Küsschen links, schön. Er brüllt noch »Tschüs, Georg« durchs Treppenhaus, und weg ist er wieder. Mein Fremdgehkandidat Nummer eins!

Im Flur atme ich noch einmal tief aus, sammle mich nach den ganzen wilden Gedanken und geh zurück auf die Couch. Ich lege die DVD-Box auf den Tisch.

»Weiter?«, fragt Georg und drückt wieder auf Play. Wir versuchen wieder reinzukommen. Eine schön geschminkte Schauspielerin aus den späten Siebzigerjahren mit bemerkenswert starker Schambehaarung befriedigt sich auf einem braunen paisleygemusterten Bett selbst, begleitet von spacigen Synthesizersounds.

Plötzlich sagt Georg: »Also, wenn ich irgendwann mal zustimmen müsste bei einem Mann, dann bei Jochen.«

Was ist los? Ich gucke ihn von der Seite an, unterdrücke ein Grinsen, er guckt scheinbar unberührt den Film weiter. Die Frau krallt sich stöhnend am Bett fest, weil ein Mann sie leckt und fingert.

Hat der mir das grad erlaubt? Ich glaube, ja!

Ja, oder? Oder? Oder? Ja!

So, jetzt aber auf »Glory Hazel« konzentrieren. Puh! Der Trip beginnt.