Doch der Abschied gestaltete sich als sehr kompliziert: Die Funktion zum Abmelden ist in den hintersten Winkeln der Nutzerkonto-Verwaltung versteckt -und selbst wenn man sie entdeckt hat, wird man zunächst mit emotionalem Druck zum Bleiben überredet: »Diese Freunde werden dich vermissen«, schreibt Facebook und listet eine ganze Reihe von Kontakten mit Bild auf. Bleibt man hart, wird als nächstes der Grund abgefragt, warum man der Online-Gemeinschaft den Rücken kehren will. Verschiedene Optionen wie mangelnde Zeit oder Bedenken zur Sicherheit der Privatsphäre stehen zur Auswahl. Doch egal, was man anklickt, es folgt stets ein kleiner Aufsatz, in dem einem freundlich erklärt wird, dass dieser Grund eigentlich Quatsch sei -und man doch bleiben solle. »Ich fühlte mich ein wenig wie jemand, der versuchte, einer Sekte den Rücken zu kehren«, erzählt Sarah. Obwohl Sarah allen Überredungsversuchen widerstand, hatte sie sich am Ende doch noch nicht komplett abgemeldet, sondern -ohne es zu merken -ihren Account lediglich »deaktiviert«. Die Mail, die sie darüber in Kenntnis setzte, landete jedoch ungelesen in einem E-Mail-Postfach, das sie kaum noch benutzte. »Meine Freunde bekamen übrigens überhaupt nicht mitgeteilt, dass ich mich abgemeldet hatte«, erinnert sich Sarah. »Sie konnten meine Seite noch sehen, hatten aber keinen Zugang mehr zu meinen Bildern -was viele wiederum als persönlichen Affront verstanden.« Als sie nach mehreren Wochen merkte, dass ihr Konto keineswegs gelöscht, sondern nur deaktiviert war, versuchte sie, den Vorgang abzuschließen. Inzwischen hatte sie aber das Passwort vergessen.21 Zwar konnte sie sich ein neues Passwort an ihre Mailadresse schicken lassen, mit diesem neuen Passwort war jedoch eine endgültige Abmeldung wiederum nicht möglich. Erst nach mehreren Wochen Wartezeit und zahllosen Anrufen gelang es ihr, das Konto komplett zu löschen.

Facebook ist dabei kein Sonderfall, fast alle sozialen Netzwerke verstecken ihre Abmeldefunktionen und bauen kleinere und größere Hürden ein, um den Abschied der Nutzer zu verhindern. Schließlich ist eine möglichst große Zahl von Mitgliedern derzeit das wichtigste Kapital der Netzwerke. Wer sich wirklich zum Abschied von einem oder mehreren sozialen Netzwerken entschieden hat, dem raten Experten dazu, vor der Abmeldung per Hand alle persönlichen Informationen wie Bilder, Hobbys, Freundeslisten oder Beiträge zu löschen. Wem das zu mühsam ist, für den haben eine Handvoll Netzaktivisten aus Rotterdam mit der »Suieide Machine 2.0« ein Programm entwickelt, das diesen Vorgang automatisiert. Bei Netzwerken wie Twitter, MySpace oder LinkedIn räumt die martialisch benannte »Selbstmordmaschine« zuerst die Kontaktlisten leer, bei Twitter werden darüber hinaus alle Tweets gelöscht. Erst am Ende erfolgt der eigentliche Abmeldevorgang. Als die »Suieide Machine«

Ende 2009 startete, war es auch noch möglich, sein Facebook-Konto damit zu tilgen, doch schon nach wenigen Tagen meldeten sich die Anwälte des amerikanischen Netzwerks und verlangten von den Rotterdamer Programmierern, die Selbstmordmaschine sofort vom Netz zu nehmen. Mit der Begründung, das automatisierte Löschen fremder Nutzerkonten verstoße gegen die Geschäftsbedingungen des Netzwerks, ist der Zugriff der Suieide Machine nun offenbar zumindest bei Facebook gestoppt.

Mir kommt die passende Zeile aus dem Eagles-Hit »Hotel California« in den Sinn: »You can checkout any time you like, but you can never leave«. Auch Sarah hat den endgültigen Absprung nicht geschafft. Ungefähr ein Vierteljahr nach der komplizierten Abmeldung bei Facebook hat sie sich wieder neu angemeldet. »Ich weiß, es klingt völlig bescheuert«, gibt sie zu. »Aber ich habe gemerkt, dass es mir irgendwie doch fehlt. Und habe einfach aufgehört, so empfindlich zu sein, was die Oberflächlichkeit mancher Kontakte betrifft.« Auf meine Frage, ob sie denn nach all den Schwierigkeiten bei der ersten Abmeldung nicht gezögert habe, antwortet sie: »Die Neuanmeldung war ein sehr schneller Entschluss. Aber ich wollte einfach nicht diejenige sein, die als einzige draußen steht und kulturpes21 Mehrere Nutzer berichten jedoch, dass selbst weniger vergesslichen Menschen.die endgültige Abmeldung aus sozialen Netzwerken schwer gemacht wird: Denn wenn jemand versucht, sich noch einmal anzumelden (eben, um zu prüfen, ob sein Profil wirklich gelöscht ist), wird dies von vielen Netzwerken als »Einverständnis« gedeutet, das Konto weiter zu betreiben. simistisch den mahnenden Zeigefinger hebt.« Ich erzähle ihr von der einfachen und plausiblen Dreiteilung, die der Schriftsteller Douglas Adams vor über zehn Jahren für alle technischen Neuerungen aufgestellt hat, von der Druckerpresse über das Fahrrad bis zum Fernsehen: »1) Alles, was schon existierte, als wir geboren wurden, ist für uns normal. 2) Alles, was zwischen unserer Geburt und unserem 30. Geburtstag erfunden wird, ist wahnsinnig aufregend und kreativ, und mit etwas Glück machen wir damit Karriere. 3) Alles, was nach unserem 30. Geburtstag erfunden wird, ist gegen die natürliche Ordnung der Dinge und das Ende der Zivilisation, wie wir sie kennen. Bis es etwa zehn Jahre lang existiert hat, dann freunden wir uns langsam damit an.« »Genau« stimmt Sarah zu. »Kürzer und präziser kann man es wahrscheinlich kaum zusammenfassen.«

Tag 26 Am Sabbat bleibt der Computer kalt

Der Rabbiner Ehrenberg wohnt im Schatten des KDW in einem Haus; das nach Bohnerwachs riecht. Es war nicht einfach, einen Termin zu bekommen, um mit ihm über das Telefon-und Internetverbot am Sabbat zu sprechen, aber am Ende hat es doch geklappt. Über der Garderobe, an der ich meine Jacke aufhänge, befindet sich eine stattliche Reihe mit schwarzen Hüten, überall in der Altbauwohnung hängen Bilder von Hochzeiten, Bar Mitzwas und Familienfeiern. Auf dem Wohnzimmertisch stehen eine Schale mit Paranüssen und eine mit Kinder-Schokobons. Yitzhak Ehrenberg ist 60 Jahre alt und Gemeinderabbiner. Das heißt, ihm untersteht nicht nur eine einzelne Synagoge, sondern er kümmert sich um die Belange der gesamten jüdisch-orthodoxen Gemeinde von Berlin, die offiziell 12000 Mitglieder umfasst.

»Aber in der Realität leben bestimmt über 50000 Juden in Berlin«, so Ehrenberg. Der Rabbi ist, wie er selbst sagt, »das Tor zur Welt« für seine Gemeinde. Wer eine Bescheinigung für ein koscheres Restaurant braucht, kommt ebenso zu ihm wie jemand, der sich scheiden lassen möchte.

»Am Sabbat geht es nicht nur darum, nicht zu arbeiten«, erklärt er mir freundlich, als wir zum Anlass meines Besuchs kommen. »Wer den Sabbat verstehen will, muss das Konzept des jüdischen Melachah verstehen, das so etwas bedeutet wie >Neues erschaffen< und uns Juden am Sabbat streng untersagt ist.« Darunter fällt neben der klassischen Arbeit auch Kreatives wie Malen oder Musizieren, aber auch Kochen und Feuer zu machen -und damit auch das Benutzen elektrischer Geräte. »Aus diesem Grund sind auch Computer am Sabbat tabu. Aber das ist nicht der einzige Grund: Es geht nicht nur darum, was ich am Sabbat nicht darf, sondern auch, was ich tun soll. Und das ist, mir Zeit zu nehmen für mich selbst, meine Seele, meinen Glauben und meine Familie.« Deshalb seien auch Handy und Festnetztelefon am Sabbat tabu, ebenso wie Gespräche über die Arbeit und Alltagssorgen wie Schulden, Geschäfte oder Verpflichtungen. »Gerade heute, in unserer verrückten Welt«, sagt er lachend, »haben wir doch nie genug Zeit, mit unserer Familie zu sprechen und uns auf unser Innerstes zu besinnen. Deshalb darf man den Sabbat auch nicht als Pflicht verstehen, sondern muss ihn als Geschenk begreifen, das Gott einem macht.« Er fragt mich, ob ich wüsste, was die Kaballah ist. Alles, was ich weiß, ist: Eine Art jüdische Geheimlehre, auf die Madonna vor ungefähr zehn BunteJahrgängen einmal abgefahren ist und sich deshalb rote Armbändchen umgebunden hat. Deshalb belasse ich es vorsichtshalber bei einem stummen Nicken. »In der Kaballah steht, dass jeder Jude am Sabbat eine zusätzliche Seele bekommt«, sagt Ehrenberg und fährt mit einem Schmunzeln fort. »Der Heilige gibt sie dem Menschen am Vorabend des Sabbats, und am Ende des Sabbats nimmt er sie ihm wieder. Manche gelehrten Kommentatoren haben versucht, damit zu begründen, warum man am Sabbat so viel Appetit hat.«

Dann wird der Rabbiner wieder ernst: »Für uns Juden stellt sich nicht die Frage, warum wir am Sabbat keinen Computer benutzen sollen. Es ist so festgelegt: keine elektrischen Geräte! Das reicht als Begründung. Ich glaube aber, dass es jedem Menschen guttut, egal welchem Glauben er angehört, einen Tag in der Woche Abstand zu gewinnen von der Arbeit, den Pflichten und den Alltagssorgen.«

Sein Mobiltelefon klingelt. Als er den Anrufer mit einem warmen »Shalom« begrüßt, verschwindet das Wort fast in seinem üppigen weißen Bart. Nachdem er das Gespräch beendet hat, frage ich ihn, wie häufig er selbst das Internet benutzt. »Ich benutze es, außer am Sabbat, fast jeden Tag. Ich schreibe E-Mails mit Rabbinern in der ganzen Welt, ich lese Nachrichten aus Israel und informiere mich, was draußen so passiert«, sagt er. Und fügt mit einem gewissen Stolz hinzu: »Ich möchte in Zukunft auch selbst stärker im Internet aktiv werden und zum Beispiel Lehrvideos über die Torah und den jüdischen Glauben anbieten. Das gibt es auf Deutsch bisher noch nicht, und es ist ein guter Weg, unsere verstreute Gemeinde zu erreichen.«

Die Kerne des Granatapfels

Nicht alle sind so aufgeschlossen wie Ehrenberg: Einige ultraorthodoxe Juden lehnen das Internet komplett ab, da es den Geist verderbe und zu viele weltliche Unanständigkeiten ins Haus bringe. Deshalb fordern eil!ige Rabbis von ihrer Gemeinde, jenseits des Berufs gänzlich auf das Internet zu verzichten oder spezielle Filtersoftware zu verwenden. Diese sperrt nicht den Zugang zu obszönem Material, wie es die Filter von Kindersicherungen tun, sondern erlaubt nur den Zugang auf eine Positivliste vorab ausgewählter Seiten: In dieser koscheren Version des Internets sind Webseiten wie torah.net für das Studium religiöser Texte oder Foren wie »Ask the Rabbi« erlaubt. Alles andere -von bild.de mit seinen »Sexel-Prinzen« bis zu zockerparadies.de für die abendliche Pokerpartie -wird geblockt. Ehrenberg versucht es ohne Verbote und Filtervorschriften, fürchtet aber auch die Versuchungen, die in der digitalen Welt lauem: »Es gibt gute Orte im Internet, die der Bildung dienen, und es gibt schlechte Orte, an denen Kinder ihre Seele kaputtmachen können. Und wir sind alle große Kinder. Wir sind schwach und brauchen viel Disziplin, um auf der Autobahn nicht falsch abzubiegen.« Einweiteres wichtiges Konzept in der jüdischen Lehre ist das Verbot der Zeitverschwendung. Es ist die Pflicht der Gläubigen, ihre Zeit sinnvoll zu nutzen -zum Studium der Torah, um den Nachbarn zu helfen, um Sport zu treiben, aber auch um zu essen. »Ich komme gerade von einer Beerdigung«, verrät der Rabbiner, »wo ich über den Sinn des Lebens gesprochen habe. Jede Minute ist eine Welt -und die Torah gebietet, keine Minute zu vergeuden. Wir sollen unser Leben für gute Sachen verwenden.«

Eine ganz schön strenge Vorgabe -vor allem in einer Welt, in der man nach jedem Youtube-Video verführerisch gefragt wird, ob man nicht noch ein Dutzend »ähnliche Videos« ansehen will. Und in der Wikipedia-Artikel über die Geschichte des Eishockeys oder über mobile Kernkraftwerke auf ein Dutzend anderer, nicht minder skurrile Artikel verlinken. »Man muss das Internet handhaben wie einen Granatapfel«, gibt mir der Rabbiner zum Abschied mit auf den Weg. »Man muss die guten, süßen Kerne herausholen und die unnütze Schale wegwerfen.«

Als ich zurück zur U-Bahn-Station stapfe, reifen in mir zwei Entschlüsse: Ich werde versuchen, nach dem Ende meines Selbstversuchs eine Art Internet-Sabbat beizubehalten. Und ich werde versuchen, mehr Essensmetaphern in meinen Texten und Gesprächen zu verwenden.

Tag 27 Warum wir so gerne suchen

Jessica hat morgen Geburtstag. Ich wusste schon relativ lange, dass ich ihr einen Holzschlitten schenken wollte, da wir bei einern Urlaub in Vorarlberg unsere Liebe zu halsbrecherischen Rodelpartien entdeckt haben. Doch wo bekommt man so ein Ding her? Spielwarengeschäfte haben nur welche für Kinder, die großen Kaufhäuser nur hässliche Plastikbobs. Als ich Freunde um Rat frage, lautet die Standardantwort: »Ich wüsste auch gerne, wo es die gibt! Wenn du einen schönen siehst, kauf mir am besten auch gleich einen!«

Gleichzeitig bin ich mir sicher, dass das Internet geradezu überquillt mit Seiten, auf denen formschöne, hochwertige Holzschlitten zu unverschämt günstigen Preisen angeboten und frei Haus geliefert werden. Ich bin kutz davor, einen der Freunde, die selbst heiß auf ein solches Gefahrt sind, mit einer Internetbestellung zu beauftragen. Sicher, das wäre gemogelt -aber wenn ich nicht wegen eines Geburtstagsgeschenks für die Frau an meiner Seite kurz vorn Pfad der Offline-Tugend abweichen darf

-wofür denn bitte dann? Ich komme gerade von dem erfolglosen Versuch zurück, in einem Baumarkt einen Schlitten zu erwerben, als ich zwei Schaufenster neben unserer Haustür das perfekte Holzmodell in der Auslage eines Outdoor-und Campingladens entdecke. »Sagen Sie nicht, der sei nur Dekoration«, überfalle ich den freundlich, aber leicht bekifft wirkenden Verkäufer. Als er begriffen hat, wovon ich rede, fängt er an, den Schlitten in den höchsten Tönen zu preisen: Handarbeit! Erzgebirge!

Zwei Personen! Erstklassige Verarbeitung! Dabei bin ich schon längst überzeugt. Stolz trage ich meine Beute nach Hause. Wenn es sich bei dem Schlitten wirklich um ein handgefertigtes Meisterwerk aus dem Erzgebirge handelt, wird das gute Stück nächsten Winter sicher für den dreifachen Preis im Manufactum-Katalog angeboten.

Einzig die Verpackung gestaltet sich ein bisschen schwierig. Eine Rolle Packpapier und mehrere Rollen Tesafilm später ist der Holzbock zwar komplett verhüllt, aber an seiner Form erkennt man sofort, dass es sich um einen Schlitten handelt. Ich grinse trotzdem selig. Warum ist es eigentlich so wichtig, Geschenke zu verpacken, frage ich mich und ziehe den Christo-Schlitten hinter mir her ins Wohnzimmer. Bestimmt hat es auch etwas mit Tradition oder Aberglauben zu tun, mit bösen Geistern, die von der Geschenkverpackung davon abgehalten werden, sich in dem Schlitten, dem Spielzeugroboter oder den Socken für Papa einzunisten.

Unser Gehirn auf Google

Mir fällt aber noch eine andere Möglichkeit ein, woher das beliebte Verpackungsritual stammen könnte: Ich habe in den letzten Tagen darüber gelesen, was in unserem Gehirn passiert, wenn wir am Computer sitzen und zum Beispiel etwas in die Google-Suchmaske eintippen. Wahrscheinlich am wichtigsten: Dopamin wird ausgeschüttet. Jener Botenstoff, der gerne als »Glückshormon« bezeichnet wird und unter anderem für Antrieb, Wohlbefinden und Lebensfreude verantwortlich ist. Die Erwartung von etwas Neuem, das Auffinden von etwas Unerwartetem -all das erhöht unseren Dopaminspiegel. Dass Suchen das menschliche Gehirn stimuliert, stellte der Psychologieprofessor James Olds schon 1954 fest. Der Stanford-Psychologe und Neurowissenschaftler Brian Knutson behauptet sogar, die Aussicht auf Erfolg sei stimulierender als der Erfolg selbst. Worin ihm nicht nur die angestaubte Redewendung »Vorfreude ist die schönste Freude« Recht gibt, sondern was auch eine plausible Erklärung wäre, warum wir irgend wann anfingen, Geschenke zu verpacken. Um die Freude über die Gabe selbst noch zu steigern, indem wir es hinter Papier verstecken und somit sowohl die Vorfreude als auch die Überraschung erhöhen.

Doch noch einmal zurück zur Google-Suche und wie sie unseren Dopamin-Spiegel erhöht. Kokain und diverse andere Drogen tun das im Übrigen auch, weswegen Dopamin bei manchen einen schlechten Ruf hat. Zu Unrecht, denn Dopamin ist zunächst ein ganz harmloser und lebenswichtiger Neurotransmitter -wenn wir dauerhaft zu wenig davon haben, erkranken wir beispielsweise an Parkinson. Trotzdem ist unser Verhältnis zu Dopamin nicht ungetrübt. Denn da es uns -vereinfacht gesagt

-schnell und unkompliziert gute Laune macht, wollen wir natürlich stets mehr davon. Und über das sogenannte Belohnungszentrum in unserem Gehirn, bekommen wir schnell ein Gespür dafür, auf welchen Wegen wir uns den erwünschten Dopamin-Kick holen können. Tun wir das zu unkontrolliert, entsteht ein Suchtverhalten -sei es nach Drogen, nach Sex oder nach Mai!oder SMS-Nachrich-ten. Der Psychologieprofessor Kent Berridge von der University of Michigan glaubt, dass jedes Piepen, Klingeln oder Brummen einer eintreffenden Nachricht das Versprechen einer solchen Belohnung ist, auf die wir reagieren. Dass uns diese Belohnung kurzzeitig befriedigt, aber gleichzeitig hungrig nach mehr zurücklässt. »Unser Dopamin-System hat leider keine Sättigungsgrenze eingebaut«, erklärt Berridge in einem Interview. »Unter gewissen Umständen kann uns das zu immer unvernünftigeren und exzessiven Bedürfnissen führen, die nicht gut für uns sind.« Und wer hätte nicht schon einmal auf die Uhr gesehen und festgestellt, dass er sich seit über einer Stunde von einer Google-Suche zur nächsten hangelt-ohne dass es wirklich wichtig wäre, geschweige denn ein handfestes Ergebnis gebracht hätte? »So lange man vor dem Computer sitzt«, erklärt Berridge, »wird der Appetit immer weiter angeregt.« Auch der inzwischen verstorbene Psychologe B.E Skinner hat sich lange und intensiv mit dem Belohnungszentrum in unserem Gehirn beschäftigt. Er fand unter anderem heraus, dass nicht regelmäßige Belohnungen am stärksten wirken, sondern scheinbar zufällige. Skinner hat das Internet in seiner heutigen Pracht nicht mehr erlebt. Aber die Zufälligkeit, mit der man in den endlosen Weiten des Netzes immer wieder auf aufregende Dinge stößt oder die alberne aber reale Freude, die wir über einen überraschend gemailten Youtube-Link empfinden, hätten seine Thesen sicherlich untermauert.

Weil ich es genauer wissen will, wende ich mich an den Neurowissenschaftler Jaak Panksepp von der Washington State University. Der 67-Jährige ist mir schon deswegen sympathisch, weil er herausgefunden hat, dass Laborratten tatsächlich lachen, wenn man sie kitzelt. 22 Der mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Wissenschaftler beschäftigt sich jedoch auch seit Jahrzehnten damit, wie sich alle Arten des Versteckspiels auf unser Gehirn auswirken. »Der Erregungszustand, durch den wir durch viele Arten des Suchens gelangen, ist höchstwahrscheinlich einer der Hauptgründe für jene Energie, die wir lange >Libido< nannten«, erklärt er mir. »Dieser Zustand steigert sich von Interesse über Enthusiasmus und Freude bis zur Euphorie -und kann ein sehr großes Suchtpotenzial haben.« Warum sowohl Mensch als auch Tier gleichermaßen so gestrickt sind, dass es ihnen große Freude macht, nach etwas zu suchen, kann Panksepp auch nicht klar beantworten. Aber im Rahmen seiner Forschung f~nd er heraus, dass sämtliche Säugetiere es bevorzugen, sIch beispielsweise ihre Nahrung zu suchen oder zu verdienen, statt sie einfach regelmäßig und ohne weiteres Zutun vorgesetzt zu bekommen.

»Kurz gesagt, ermöglicht die Leidenschaft, etwas zu suchen und eine intensive Neugier zunächst einmal das Überleben und stillt die wichtigsten Bedürfnisse aller Säugetiere - durch Nahrungssuche, die Suche nach einem sicheren und warmen Ort, nach Sexualpartnern und sozialen Kontakten«, fährt Panksepp fort. »Wenn die körperlichen Bedürfnisse gestillt sind, führt dieses System der Suche dazu, dass wir die Welt um uns herum entdecken und neues Wissen erlangen. Aber auch unsere Freude am 22 Wer gerade selbst keinen Internet-Sabbat einlegt und Jaak Panksepp zusehen möchte, wie er Laborratten zum Lachen bringt und ihr Lachen für das menschliche Ohr hörbar macht, muss bei YouTube nur »rats laughing" eingeben. Spiel wird durch dieselben Hirnfunktionen befriedigt -und deshalb kann es auch sein, dass uns das Surfen im Internet so viel Freude bereitet, weil es eine endlose Suche nach Belohnungen ist.« Doch Panksepp ist sich auch klar über mögliche Gefahren: »Wenn dieser durch das Suchen verursachte Erregungszustand nachlässt, kann etwas Ähnliches passieren wie beim Entzug von Drogen: Nämlich dass wir in einen depressiven Zustand verfallen. Anders herum kann auch eine Überaktivität zu ähnlichen Wirkungen wie Drogen führen: zu exzessivem Verhalten und manischen Zwangsvorstellungen. Die Folgen können ähnlich sein wie bei Spiel sucht, Sexsucht oder Kokain-Abhängigkeit: Statt sie in wertvolle Dinge zu stecken, die uns froh machen, konzentriert sich unsere geistige Energie nur noch auf die Sucht und unser narzisstisches Selbst.« Panksepp fand auch heraus, dass es für uns Menschen so gut wie keinen Unterschied macht, ob das, was wir suchen, etwas Reales ist (also etwas zu essen, die Frau fürs Leben oder unser Auto auf dem Stadionparkplatz) oder etwas Abstraktes wie eine bestimmte Information. Suche bleibt Suche und zu suchen, treibt uns auf geheimnisvolle Weise und immer weiter an.

Zum Abschied gibt mir Panksepp noch einen Satz von AristoteIes über das Konzept der »praktischen Klugheit« (Phronesis) mit auf den Weg, den der Hirnforscher auf unsere heutige OnIine-Welt umgemünzt hat: »Jedet kann sich heute dafür begeistern, das Internet zu durchkreuzen, das ist einfach; aber es nach Dingen der Weisheit, ohne Zwang zu durchkreuzen -zur richtigen Zeit, zum richtigen Zweck und auf die richtige Art -das ist nicht einfach.« Dann fügt er in seinen eigenen Worten hinzu:

»Vermeiden Sie es, süchtig nach Dingen zu sein, die keinen eigenen Wert haben. Wählen Sie Ihre Süchte sorgfältig aus und beherrschen Sie sie, statt sich von ihnen beherrschen zu lassen.«

Mittlerweile ist mir auch klar, warum ich in der ersten Phase meines Selbstversuchs so freudlos, schlapp und niedergeschlagen war: Mir fehlte einfach das Dopaminfeuerwerk, das mein Gehirn jedes Mal abgebrannt hatte, wenn ich mich morgens an den Computer gesetzt und nach einer halben Stunde zwischen Lust und Stress bereits über ein Dutzend Browserfenster gleichzeitig geöffnet hatte. Damit meine Synapsen vernünftig funktionieren können, brauchen sie, so die Neurobiologin Amy Arnsten von der Universität Yale, genau die richtige Menge sowohl an Dopamin als auch an Noradrenalin. Noradrenalin ist ebenso wie sein bekannterer Bruder Adrenalin eine Art Folgeprodukt von Dopamin. Nur wenn man sich in dem optimalen Punkt zwischen zu viel und zu wenig nervlicher Anspannung befindet, hat man die Chance, den sogenannten Flow zu erleben. Also jenen Zustand, in dem uns die Arbeit leicht von der Hand geht, eines das andere ergibt, alles zueinander passt, wir gute Lösungen auch für komplizierte Probleme finden -oder beispielsweise beim Tennis einen Tick besser spielen, als wir es eigentlich können.

Zu wenig Dopamin -und man kommt, so wie ich vor zwei Wochen, morgens nicht in die Gänge, kann sich nicht aufraffen. Befindet man sich jedoch zu lange in einem Stadium übermäßiger nervlicher Anspannung, also dem, was man gemeinhin als »negativen Stress« bezeichnet, steigen der Cortisolund Adrenalinspiegel in unserem Körper nicht nur momentan, sondern chronisch an. Was nicht bloß

ungesund ist, sondern auch Neuronen in unserem Hippocampus, einem Teil unseres Gehirns, schädigen und somit unsere Fähigkeit beeinträchtigen kann, Erinnerungen zu speichern und neue Dinge zu lernen.

Als ich Jessica um Mitternacht ihren Schlitten überreiche, weiß sie natürlich sofort, was sich hinter den diversen Packpapierschichten befindet. Die Freude ist trotzdem groß, und ich verzichte auf einen langen Vortrag über Dopamin und das Belohnungszentrum und unsere rätselhafte Leidenschaft für das Suchen. Wir holen uns stattdessen eine Extraportion Dopamin und Adrenalin und eine Menge blauer Flecken, als wir im nächtlichen Schneetreiben zu einem kleinen, aber steilen Hügel in der Nähe stapfen. Mitternachtsrodeln erscheint uns ausgefallen, verrückt und einzigartig -aber als wir den Miniberg erreichen, müssen wir feststellen, dass wir weniger originell sind, als wir denken: Rund ein Dutzend Menschen sausen bereits auf Plastiktüten jauchzend den Hang hinunter, zwei haben sogar Ski unter den Füßen, einer ein flaches Minisurfbrett. »Aber niemand hat einen Holzschlitten aus dem Erzgebirge«, preise ich mein Geschenk noch einmal an. »Halt dich lieber fest«, antwortet Jessica und schiebt uns und den Schlitten mit einem beherzten Ruck über die Kante.

Dreizehn Dinge, die das Internet auf dem Gewissen hat

• Den Teletext/BTX

• Unangenehme Überraschungen auf Klassentreffen

• Angenehme Überraschungen auf Klassentreffen

• Den Quelle-Katalog

• Höflichkeit unter Fremden

• Privatjets und Kokainorgien in der Musikindustrie

• Angenehme und tagelange Unwissenheit vom Tod Prominenter

• Telefonbücher

• Den guten Ruf nigerianischer Geschäftsleute

• Die fabelhaften Geschäftsaussichten von Lexikonverlagen

• In Plattenläden verbrachte Teenagerjahre

• Rechthaber-Wetten auf Partys, die nie aufgelöst werden

• Die romantische und unerreichbar verschollene Ferienliebe

kapitel 5

In dem ich erfahre, wie viele Freunde ein Mensch wirklich braucht, einen fast fatalen Ratschlag eines Reisebüros befolge -und lerne, dass es keine Form von Internetsucht gibt, die es nicht gibt.

Tag 29 Bei 150 hört die Freundschaft auf

In einem Zeitungsartikel lese ich, dass der durchschnittliche Facebook-Benutzer rund 110 Freunde hat. Ich kann zwar im Moment nicht nachsehen, erinnere mich aber, ziemlich genau doppelt so viele zu haben. Sofort fange ich an zu grübeln: Ist das gut? Bedeutet das, ich bin interessant, beliebt und

»gut vernetzt«? Oder bin ich einfach zu wahllos, wenn es darum geht, Freundschaftsanfragen zu bestätigen? Klicke ich zu oft »akzeptieren«, obwohl ich mich allenfalls noch diffus an die betreffende Person erinnere, mit der ich vor sagen wir zwölf Jahren ein gemeinsames Praktikum absolviert habe?

Wie viele Freunde (Netzwerkfreunde, Onlinebekannte oder wie auch immer) sind normal? Wie viele braucht man? Ab wann wird es albern?

Sind 220 Freunde zu viele?

Robin Dunbar, ein britischer Anthropologe, hat genau darüber ein Buch geschrieben: Es heißt »How Many Friends Does One Person Need?« -Wie viele Freunde braucht der Mensch? Niemand, der sich mit dieser Frage beschäftigt, kommt so richtig an Robin Dunbar vorbei, denn er hat das geschafft, was ich mir als den feuchten Traum eines jeden Wissenschaftlers vorstelle: Eine Zahl wurde nach ihm benannt. Die »Dunbar Number« lautet 150 -und laut seinen Forschungen ist das genau die Anzahl an Menschen, mit denen wir befreundet sein können. Als ich den Freundschaftsforscher in seinem Büro in Liverpool anrufe und ihn frage, wie es sich anfühlt, eine Zahl zu haben, die auf den eigenen Namen getauft wurde, muss er lachen: »Das fühlt sich toll an, keine Frage. Aber ich habe keine Ahnung, wer genau zum ersten Mal den Begriff »Dunbar Number« verwendet hat ich ganz sicher nicht! Zum ersten Mal tauchte sie wohl 2007 bei einem Blogger auf, der vermutlich meine Aufsätze gelesen hatte. Es war die Zeit, als Facebook gerade bekannter wurde und sich plötzlich alle fragten, ob sie zu viele Onlinefreunde hätten.«

Ich erzähle ihm von meinem Selbstversuch und dass ich mir dieselbe Frage gestellt habe. Schließlich liege ich mit der Anzahl meiner Freunde deutlich über der Dunbar-Zahl von 150; Die Ursprünge die-ser Zahl, erzählt mir Dunbar, liegen gut zwanzig Jahre zurück. Der Anthropologe beschäftigte sich damals mit der Größe von Gruppen, in der verschiedene Affenarten zusammenleben. Dabei stellten er und sein Team fest, dass sich die Größe einer Gruppe sich proportional ansteigend zur Größe des sogenannten Neocortex des jeweiligen Affenhirns einer Art verhielt. »Der Neocortex ist grob gesagt der Teil des Gehirns, der für das analytische Denken zuständig ist«, erklärt mir Dunbar, »und er ist bei Menschen größer als bei Affen. Ich rechnete also hoch, was die ideale Gruppengröße für den Menschen ist -und kam auf die 150.« In der Folge suchte Dunbar in der Menschheitsgeschichte nach der Zahl 150 und war selbst überrascht, wie oft er sie fand: Bei über 20 Stammesgesellschaften, von denen Statistiken existieren, liegt die durchschnittliche Größe eines Stammes bei 153. Vom alten Rom bis zur modernen US Army umfassen Kompanien -die kleinste unabhängige Einheit -rund 150

Mann. Nomadenvölker ziehen meist in Gruppen von ungefähr 150 durch die Wüste. Sogar die Kirchengemeinden der Amish spalten sich in zwei neue Gruppen auf, wenn sie eine Größe von ungefähr 150 erreichen. »Wir stießen in allen Epochen und Bereichen darauf«, sagt Dunbar. »Schließlich befragten wir Engländer, wie vielen Menschen sie Weihnachtskarten schicken. Ich weiß nicht, ob das auch in Deutschland ein Ritual ist, aber wir Engländer nehmen unsere Weihnachtskarten sehr ernst.«

Will er mir allen Ernstes weismachen, jeder Engländer würde 150 Weihnachtskarten verschicken?

»Nein, es sind weniger, im Durchschnitt 68. Aber die meisten gehen an Paare und Familien. Und wenn man zählt, wie viele Personen jemand mit seinen Weihnachtskarten erreicht. .. Bingo, 150.«

Ich bin noch nicht gänzlich überzeugt. Warum ist ausgerechnet bei 150 Schluss? Ist unser Gehirn wirklich so konstruiert? »Es ist zum einen unser Gehirn«, erklärt Dunbar geduldig und sicher nicht zum ersten Mal. »Bei 150 stoßen wir an eine Kapazitätsgrenze und können uns nicht mehr genau merken, wer die Leute sind, woher wir sie kennen, geschweige denn, was sie so alles tun, mögen und so weiter. Denn der zweite wichtige Faktor ist Zeit: Damit eine Freund-oder Bekanntschaft eine längere Zeit überdauert, müssen wir immer wieder Zeit miteinander verbringen, uns austauschen, erfahren, was bei dem anderen so los ist.« Aber wird genau das nicht durch Facebook, MySpace oder StudiVZ viel einfacher? Wer zwei Mal im Jahr mit seinen 150 Freunden telefonieren will, muss jeden Tag einen von ihnen anrufen. Durch Internet-Gemeinschaften können wir mit ein paar Mausklicks auch 500 oder 5000 Freunden unsere Urlaubsbilder zeigen, wenn wir wollen. Dunbar ist vorsichtig: Natürlich helfe jede Technologie, besser in Kontakt zu bleiben. »Bevor es die Post gab, waren Menschen, die in ein anderes Land auswanderten, für immer verschwunden. Durch Briefe und Telefon blieben Familienmitglieder dann in Kontakt, durch E-Mail, Skype und Facebook ist es noch mal einfacher geworden.«

Wohl wahr, wir machen ein Praktikum in New York, freunden uns dort mit einem Holländer an, der erst einen Job in Kanada annimmt und zwei Jahre später eine Argentinierin heiratet und in Buenos Aires eine Tangoschule aufmacht. Trotzdem bleiben wir immer auf dem Laufenden. »Die Freund-schaft wird dennoch irgendwann einschlafen, wenn Sie es nicht hinbekommen, sich ab und zu von Angesicht zu Angesicht zu treffen«, schränkt Dunbar ein. »Wir haben herausgefunden, dass das Internet den Verfall solcher Freundschaften zwar verlangsamen, aber nicht dauerhaft aufhalten kann.«

Imechten Leben Zeit miteinander zu verbringen sei essentiell, sonst verblasse die Freundschaft nach und nach, bis sie schließlich von einer neuen gänzlich verdrängt werde. »Das ist ein normaler Prozess«, beruhigt mich Dunbar. »Wir lernen ja auch ständig neue Leute kennen, denen wir unsere Aufmerksamkeit schenken wollen.« Ja ja, und bei 150 ist Schluss; schon kapiert. Vermutlich hat er recht. Ich denke an a11 die alten Bekannten, von denen man »ewig nichts gehört« hat. Über die man dann auf Facebook stolpert, sich gegenseitig inniger Freundschaft versichert· -und dann hört man wieder jahrelang nichts. Eben haargenau, wie man vorher jahrelang nichts gehört hat. Und selbst wenn man ihnen in einem Anfall von Mitteilungswahn und Distanzlosigkeit seine Urlaubsfotos schicken würde, würden sie diese vermutlich ebenso wenig ansehen, wie man umgekehrt auch. Man kommt ja zu nix. Zum Abschluss ,unseres Gesprächs frage ich Dunbar, was ihn bei seinen Freundschaftsforschungen am meisten überrascht hat: »Wie wichtig auch in unserer modernen Gesellschaft die Familie ist«, antwortet er wie aus der DSL-Leitung geschossen. »Freundschaften bröckeln im Lauf der Zeit weg. Familien hingegen halten auch längere Kommunikationspausen aus. Und wer eine größere, weit verzweigte Familie hat, hat weniger Freunde -weil die Familie viele der 150 Plätze besetzt. Familienmitglieder werden aber niemals von neuen Freundschaften verdrängt.«

Im Briefkasten finde ich später einen Umschlag, dessen Herkunft ich schon an der Handschrift erkennen kann. Mein Vater hat mir einen Artikel aus seiner Tageszeitung ausgeschnitten, in dem es um die Studie geht, in der die 50 Schweizer einen Monat lang auf Facebook verzichtet haben. An den Rand hat er einen kurzen, aber liebevollen Gruß geschrieben. Das hat er schon ein paar Mal gemacht, seit ich offline bin, und es ist eine rührende Geste. Ich werde es nie schaffen, wie die besessenen Engländer 68 Weihnachtskarten an 150 Menschen zu schreiben. Aber ich mache mir .eine geistige Notiz, dass auch wenn ich dieses Jahr nur eine einzige verschicken sollte, der Empfänger mein Vater sein wird.

Tag 30 Online buchen, offline fluchen

Übermorgen muss ich für zwei Termine nach Bonn und Mainz. Normalerweise macht es mir Spaß, Reisevorbereitungen zu .treffen -selbst für so kleine Ausflüge. Wie kommt man am besten hin? Wo übernachtet man? Was gibt es zu sehen, und wo gibt es das beste Essen? Alles Dinge, die ich bequem nebenher im Internet nachsehen kann, wenn ich mal ein paar Minuten Langeweile habe. Doch jetzt ist alles deutlich komplizierter: Das Zugticket habe ich schon besorgt, als ich letztes Wochenende Jessica am Bahnhof abgeholt habe, aber als es um die Hotelbuchung geht, bin ich für einen Moment ratlos. Dann beschließe ich, zum ersten Mal seit vielen Jahren wieder ein Reisebüro zu betreten. Glücklicherweise gibt es eines in unserer Straße. Ich habe mich im Vorbeigehen schon öfter gefragt, wie so ein Laden heutzutage noch überleben kann. Denn ich bin ebenso wie viele meiner Mitmenschen schizophren: Wenn wir irgendwo anrufen und eine Tonbandstimme uns auffordert: »Für Tarifinformationen drücken sie 1, für Bestellungen drücken Sie 2 ... «, fahren wir mehr oder weniger sofort aus der Haut. »Man wird doch wohl noch mit einem normalen Menschen sprechen dürfen!«, fordern wir dann abends erregt, wenn wir mit Freunden zusammensitzen. Doch wenn es darum geht, eine Reise zu buchen, tun wir plötzlich alles, um nicht mit einem normalen Menschen sprechen zu müssen. Wir durchforsten Billigflieger-Suchmaschinen, klicken uns durch Bildergalerien von Hotels, vergleichen Preise, jagen Schnäppchen. Der Spaß an -oder die Sucht nach -der Suche, wie ich inzwischen weiß! Nur, um uns dann ein paar Wochen später auf Gran Canaria zu beschweren, dass der Pool auf der Webseite aber viel größer aussah -und zu erfahren, dass unsere Zimmernachbarn es auch diesmal wieder geschafft haben, nur halb so viel zu bezahlen wie wir.

Vielleicht ist es also ein heilsamer Entschluss, dem guten alten Reisebüro doch noch eine Chance zu geben. Ich lasse mich von den gekritzelten Sonderangeboten im Schaufenster und der altersschwachen Yucca-Palme in der Ecke nicht abschrecken und nehme.als einziger Kunde Platz. »Hotel in Bonn?«, fragt mich der freundliche Inhaber, der in einer Trainingsjacke hinter seinem Schreibtisch sitzt. »Inland machen wir gar nicht. Aber wenn's nicht gerade am Wochenende ist: Fahren Sie doch einfach hin. Da finden Sie immer was!« Nicht gerade geschäftstüchtig, denke ich mir, aber vielleicht trotzdem richtig. Vielleicht muss man gar nicht alles haarklein planen und sich das Leben erschweren, indem man stundenlang Preise vergleicht und sich die immer gleichen Formulierungen auf Hotelwebseiten durchliest. Vielleicht muss man sich einfach reinstürzen ins Abenteuer Leben -und sei es in Bonn!

Um nicht nach 30 aufregenden Abenteuersekunden schon wieder gehen zu müssen, verwickle ich den Mann noch in ein Gespräch darüber, ob er das Gefühl hat, das Internet mache sein Geschäft kaputt. »Überhaupt nicht«, sagt er derart gutgelaunt, dass ich gar nicht anders kann, als ihm zu glauben.

»Die Leute denken immer, im Internet wäre alles billiger. Wenn sie dann genau gucken, merken sie, dass es gar nicht stimmt.« Er dreht seinen Computerbildschirm zu mir, in nüchternem Schwarz-Weiß

stehen endlose Zahlen-und Buchstabenketten untereinander. Blitzschnell entschlüsselt er für mich: Ein Flug von Berlin-Tegel über Heathrow nach Boston. »Das sind dieselben Daten und dieselben Preise, die man im Internet auch findet -nicht teurer und nicht billiger. Aber wenn die Sparfüchse das erste Mal einen Flug verpasst haben, weil ihnen die Suchmaschine eine viel zu kurze Umsteigezeit in einem Riesenflughafen wie Heathrow gebucht hat, dann kommen sie doch wieder zu uns.«

Ha, der Kerl ist also doch geschäftstüchtig! Mich jedenfalls hat er so weit, dass ich bei meiner nächsten großen Reise, statt mich stundenlang auf vergeblicher Schnäppchenjagd durchs Internet zu klicken, lieber ihn die Arbeit machen lasse, meine Füße ausstrecke und die alten Werbeplakate der Lufthansa an der Wand bestaune. Aber jetzt muss ich mich erst mal auf die Reise machen. Tag 32 Ab in die Ambulanz

Auf der Zugfahrt ärgere ich mich über einen Mitreisenden im Großraumwagen, der laut in sein Mobiltelefon brüllt, obwohl er sich in einer sogenannten Ruhezone befindet. Das sind jene Wagen, in denen ein freundliches Gesicht auf einem Piktogramm mit einem Finger über den Lippen signalisiert, dass man gefälligst die Klappe zu halten hat. Es wird viel über die Bahn geschimpft, über das Englisch ihrer Schaffner und ihre angebliche Unpünktlichkeit -aber für diese Erfindung gebührt ihr Lob und Dank. Wenn sich nur alle daran halten würden. Ich will den Schreihals gerade bitten, seine herrischen Anweisungen anderswo hinauszuposaunen, aber da ist er auch schon fertig und trollt sich ins Bordrestaurant. Gleichzeitig kommen mir Zweifel. Bin ich wirklich so spießig geworden? So kleingeistig, dass ich mir nicht zu blöd bin, triumphierend auf ein Piktogramm zu deuten, das mich ins Recht setzt? Ich hätte bestimmt nicht triumphierend gedeutet, sondern sachlich, beruhige ich mich. Außerdem erinnere ich mich an eine plausible Begründung, warum es uns so viel mehr nervt, ein Handygespräch mitanhören zu müssen als eine normale Unterhaltung zwischen zwei körperlich anwesenden Menschen: Sobald wir nämlich jemandem beim Telefonieren zuhören, so hat eine Studie der britischen York University ergeben, versucht unser Gehirn automatisch, die fehlende Hälfte des Gesprächs zu ergänzen. Das Abschalten oder Ausblenden - denn meist interessiert es uns ja überhaupt nicht, welchen »Bock der Müller da wieder geschossen hat« -fällt uns deswegen viel schwerer, als wenn sich am Nebentisch zwei Menschen angeregt unterhalten. Die Studie fand außerdem heraus, dass wir fremde Telefongespräche nicht nur störender empfinden als Live-Gespräche, sondern auch subjektiv als lauter -selbst wenn sie objektiv exakt in der gleichen Lautstärke geführt werden. Vielleicht ist das auch der Grund, warum niemand mehr will, dass im Flugzeug telefoniert wird. Anfangs waren Handygespräche an Bord ja noch verboten, weil Bedenken herrschten, die Funksignale könnten die Bordelektronik stören. Obwohl dies inzwischen technisch verhindert werden kann, halten die meisten Fluggesellschaften an dem Telefonierverbot fest -unter anderem weil diverse Umfragen ergeben haben, dass die Mehrheit der Passagiere froh darüber ist, in den Stunden, in denen man auf engem Raum mit über 100 Fremden eingepfercht ist, diese wenigstens nicht alle denselben Quatsch in ihre Telefone rufen zu hören: »Nee, ich bin im Flieger! ... Natürlich wieder Verspätung! ... Hühnchen war auch schon alle ... genau zwei Reihen vor mir... Klar bring ich dir was vom Duty-Free mit ... Du, ich rufspäter noch mal an, und dann besprechen wir, wann wir morgen telefonieren ... «

Normalerweise bin ich dafür, dass sowohl der Telefonierer als auch der ruhe bedürftige Leser oder Döser zu ihrem Recht kommen -die Lösung der Bahn ist daher ideal. Solange aber Flugzeuge noch nicht so groß sind, dass man sie in Telefonier-und Ruhezonen unterteilen kann, bin auch ich weiterhin dafür, das Telefonieren im Flieger zu untersagen. Sonst werden bald auf jedem Flug mehrere Air Marshalls nötig sein -nicht um Terroranschläge zu vereiteln, sondern um Handgreiflichkeiten unter den entnervten Passagieren zu verhindern. 23

Von der Parodie zum Problem

In Mainz steige ich aus und mache mich auf den Weg zur ersten Ambulanz für Internetsüchtige in Deutschland. Die Taxifahrerin schnalzt anerkennend mit der Zunge, als ich ihr das Ziel der Fahrt nenne: »Ach, die Psychiatrie! Da gibt es sagenhaftes Essen!«, frohlockt sie. »Da mache ich immer Mittag -die kochen alles frisch! Und die Toiletten sind auch immer tiptop sauber!« Bevor ich etwas erwidern kann , erzählt sie mir auch schon von ihrem verstorbenen Pudel und der Intelligenz dieser Hunderasse. Doch als sie, ohne Luft zu holen, den nächsten Themenkomplex eröffnen will, sind wir zum Glück auch schon da.

Das Gebäude der Universitätsklinik ist ein zweistöckiger Backsteinbau, vor dem sich ein Basketballkorb und ein paar Steinskulpturen befinden. Drinnen empfangen einen der typische Krankenhausgeruch und das Geräusch von schlurfenden Hausschuhen. Es gibt einen Getränkeautomaten, einen Kiosk mit Zeitschriften und Süßkram sowie einen Glaskasten, in dem die Raucher sitzen. Als mich Anke Ouack, in der Klinik ebenso für Suchtprävention wie für Öffentlichkeitsarbeit zuständig, empfängt und ich ihr von den Lobliedern der Taxifahrerin erzähle, reagiert sie weniger erfreut, als ich erwartet hätte: »Wir sind hier nicht die Psychiatrie«, weist sie mich freundlich, aber bestimmt zurecht, »sondern eine Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.« Um ihr zu beweisen, dass ich mich zumindest ein winziges bissehen auskenne und nicht nur ein Idiot bin, der Small Talk über Taxifahrten machen kann, verwkkle ich sie in ein Gespräch über den Begriff Internetsucht. Dieser ist nämlich ein wenig umstritten: Viele Experten scheuen sich davor, die Abhängigkeit beispielsweise von Computer mit sogenannten stoffgebundenen Süchten wie AIkoholismus gleichzusetzen. Sie sprechen deshalb statt von lieber von Pathologischem Internetgebrauch, Internetnutzung oder Internet Addiction Disor(lAD). »Wir verwenden hier durchaus den Begriff«, stellt Anke Ouack wiederum klar. »Denn beispielsweise haben EEG-Untersuchungen gezeigt, dass ganz ähniche Himregionen aktiv sind wie bei stoffgebundenen Süchten. Wenn man einem Internetsüchtigen zum Beispiel sein Lieblingsspiel zeigt, kommt es zu denselben Reaktionen im Gehirn wie bei einem Alkoholiker, dem man ein Bild von einem Glas Bier zeigt. Auch die anderen klassischen Suchtfaktoren wie Toleranz23 Beginnend mit einer gesetzlichen Änderung 2008 fingen Emirate Airlines als erste Fluggesellschaft an, auf ausgewählten Flügen Handytelefonate zu erlauben, einige andere folgten. entwicklung, Kontrollverlust, sozialer Rückzug und Entzugserscheinungen lassen sich bei der Internetsucht beobachten.«

Als der New Yorker Psychiater Ivan Goldberg 1995 zum ersten Mal den Begriff »Internetsucht« gebrauchte, handelte es sich noch um eine Satire. In einem Artikel, in dem er Eltern beschrieb, die ganz im Banne des Bildschirms ihre Kinder vernachlässigten, wollte er all die neuen Süchte und Störungen parodieren, die oft schnell in die einschlägigen Diagnosehandbücher24 aufgenommen werden.

»Ich glaube, eine Internetsucht existiert ebenso wenig, wie es eine Tennissucht oder eine Bingosucht gibt«, gab der Psychiater damals zu Protokoll. »Manche Menschen übertreiben manche Dinge. Es gleich eine Störung zu nennen, ist falsch.« Doch inzwischen hat sich das Bild deutlich verändert: Eine StanfordStudie aus dem Jahr 2006 geht davon aus, dass in den USA bereits jeder achte Erwachsene erste Anzeichen von Internetabhängigkeit zeigt. Zahlreiche Psychotherapeuten weltweit fordern, dass das Internet-Abhängigkeitssyndrom tatsächlich als offizielle Krankheit anerkannt wird, was auch die Mitarbeiter der Mainzer Ambulanz begrüßen würden: »Denn egal ob Sie es Sucht nennen oder Abhängigkeitssyndrom oder Impulskontrollstörung -es ist ein ernstzunehmendes Störungsbild, das für die Betroffenen sehr viel Leid birgt.«

Ein Argument gegen das Krankheitsbild Internetsucht lautet, dass es sich bei den Störungen um ganz klassische Phänomene wie Spielsucht, Kaufsucht oder Sexsucht handelt, die eben nur onIine ausgelebt werden -aber grundsätzlich unabhängig vom Internet existieren. Andererseits wird auch zunehmend ein Suchtverhalten beobachtet, das ohne das Internet gar nicht möglich wäre, wie zum Beispiel die Sucht nach Chats oder das zwanghafte Sammeln und Archivieren von Informationen, Downloads oder Programmen. Experten unterscheiden deshalb oft zwischen »spezifisch pathologischer Internetnutzung« wie beispielsweise exzessiver Konsum von OnIine-Pornographie oder krankhaftes OnlineWetten und »allgemeiner pathologischer Internetnutzung« -zum Beispiel wenn Menschen tatsachlich abhängig von Facebook, Chats oder E-Mails werden, sich ihr spezifisches Suchtverhalten also ohne das Internet gar nicht entwickeln könnte.

»Jeder sucht sich die Sucht, die zu ihm passt«, erklärt mir Anke Quack und fügt hinzu: »Da gibt es im Grunde nichts, was es nicht gibt. Wir haben einen Mann behandelt, der ganz harmlos anfing, Ahnenforschung im Internet zu betreiben. Irgendwann konnte er jedoch nicht mehr aufhören, nächtelang Unmengen von Dokumenten herunterzuladen und zu speichern -viel mehr, als er je lesen konnte. Es war ihm aber auch unmöglich, dieses Verhalten einzuschränken.« Während diese krankhafte Sam24 Das DSM (Diagnostisches und Statistisches Handbuch Psychischer Störungen) für die USA sowie die ICD (Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) für Europa sind die wichtigsten offiziellen Klassifikationssysteme für ärztliche Diagnosen. In der Regel kann nur die Behandlung von Krankheiten, die in diesen Werken klassifiziert sind, über Krankenkassen oder Versicherungen abgerechnet werden. Pathologische Internetnutzung oder .. Internetsucht« ist bislang in keinem der beiden Systeme erfasst, was sich jedoch bei der nächsten regelmäßigen Überarbeitung ändern könnte.

melwut häufig Männer mittleren Alters träfe, finde man eine pathologische Nutzung von InstantMessaging-Chats wiederum etwas häufiger bei Frauen. Die klassische Klientel der Klinik sind jedoch nach wie vor exzessive Computerspieler, eine Gruppe, die zu über 80 Prozent aus jungen Männern besteht. »Onlinerollenspiele wie >World of Warcraft< und Egoshooter wie >Counterstrike< sind hier die Spitzenreiter,« so Quack, »ebenfalls häufiger sind Fälle von Online-Sexsucht und in jüngster Zeit auch nach Glücksspielen im Internet. Gerade Poker ist da momentan ein Modethema unter jüngeren Menschen, unter Umständen auch, weil es so stark beworben wird.«

Sieben feste Mitarbeiter sind in der 2008 eröffneten Mainzer Ambulanz tätig, bald sollen es acht werden. Dazu kommen mehrere Diplomanden und Praktikanten. »Eine steigende Therapienachfrage sowohl im Bereich der Onlinespielsucht als auch in der allgemeinen pathologischen Internetnutzung ist unbestreitbar«, erklärt mir der Diplom-Psychologe Kai Müller, der als festes Mitglied im Team arbeitet und mehrere Therapiegruppen leitet. Er ist jung, trägt ein dünnes Lederband um den Hals, bequeme Jeans und hat eine verstrubbelte Frisur. Der Mann sieht aus, als könne er im Zweifelsfall auch selbst eine Playstation bedienen, einem Alien den Kopf wegschießen und anschließend ein Blog oder ein Twitter-Konto einrichten. Aber das ist vermutlich auch Voraussetzung, um von den technisch versierten Patienten ernstgenommen und nicht als »Noob«, als unwissender Neuling und Nichtskapierer ausgelacht zu werden. »Viele Patienten, die zu uns kommen, haben bereits einiges hinter sich«, beschreibt er die Menschen, die bei ihm Hilfe suchen. »Beziehung kaputt, Arbeitsplatz weg, Selbstbewusstsein am Boden.« In fünf Einzelgesprächen versuchen die Psychologen dann zunächst herauszufinden, ob sich hinter der krankhaften Internetnutzung noch andere Begleiterkrankungen verbergen, beispielsweise Angststörungen, Depressionen oder soziale Phobien. Gleichzeitig wird mit dem Patienten ein Therapieplan ausgearbeitet, dabei ist nicht immer radikaler Entzug Voraussetzung.

»Wenn man einen völligen Stopp von heute auf morgen verlangt, schreckt das viele ab, und sie kommen gar nicht«, erklärt Müller. »Aber wenn sich jemand vornimmt, >flur ein bissehen reduzieren< zu wollen, ist eine erfolgreiche Therapie natürlich auch schwierig.« Meist, so Müllers Erfahrung, entwickele sich im Lauf der 20 wöchentlichen Gruppensitzungen dann von selbst der Wunsch nach totaler Abstinenz.

Wir sitzen in einer kleinen Bibliothek, einem hellen, freundlichen Raum mit großem Tisch, in dem auch die Gruppensitzungen stattfinden. In diesen jeweils 90-minütigen Runden sprechen die meist sechs bis acht Patienten über ihr Verhalten. Welche persönlichen Faktoren haben sie anfällig gemacht? Wie geht man mit einem Rückfall um? Was ändert sich durch den Abschied von dem zwanghaften Verhalten? Wie kompensiert man Stress im Alltag? Wie überwindet man soziale Unsicherheit oder Ängste? All das sind Fragen, die in der Verhaltenstherapie erörtert werden, zu den Gruppengesprächen kommen noch einmal rund zehn Einzelsitzungen hinzu -bei Bedarf auch mehr. Neben den pubertierenden Dauerspielern, die oft genug von ihren verzweifelten Eltern in die Ambulanz gebracht werden, hat Müller auch eine Zunahme bei den Problemen bemerkt, die Menschen mit Online-Communitys wie StudiVZ, Facebook oder www.wer-kennt-wen.de haben. »Hier ist bei den Patienten das Geschlechterverhältnis ausgeglichener, und sie sind auch nicht mehr ganz so jung wie die Computerspiele!«, sagt er. Ein häufiger Antrieb für die Menschen, die sich in den sozialen Netzwerken »verlieren«, sei die ständige Verfügbarkeit der Kommunikationspartner, die unmittelbare Belohnung für jede Interaktion und das Gefühl der Bestätigung, das mit jeder Freundschaftseinladung, jedem »Stupser«

oder getippten »LOL«-Lacher25 einhergeht. »Es entsteht ein starkes Gefühl der Beliebtheit, das oft einen Ausgleich zu den Selbstzweifeln im echten Leben herstellt und zu dem Gefühl, dort ständig etwas falsch zu machen oder anders zu sein. Gleichzeitig verzerrt sich schnell die Wahrnehmung, was die Tiefe und Intensität dieser Kontakte betrifft -da wird viel mehr an Freundschaft und Verständnis hineininterpretiert, als tatsächlich da ist.«

Ich ertappe mich bei dem Gedanken, wie es mir auch jedes Mal Freude bereitet hat, wenn ich vor meinem Selbstversuch etwas auf Facebook zum Besten gab und jemand den »gefällt mir«-Knopf drückte. Und.dann noch jemand. Oder was für ein Hochgefühl es war, als ein Artikel von mir über 250 Mal auf Twitter weiterempfohlen wurde. Ist das nur ganz gewöhnliche, alberne Eitelkeit? Oder schon der Beginn einer Störung? Von den Hochgefühlen, die ich in meinen besten Jahren beim Betrachten unbekleideter Frauen auf einschlägigen Internetseiten erfahren habe, traue ich mich hier in der seriösen Bibliotheksatmosphäre gar nicht anzufangen. Ebenso wenig von den Momenten, in denen ich meine schlechte Laune mit einem virtuellen Flammenwerfer an tumben Außerirdischen in einem Playstation-Spiel ausgelassen oder als Kleinkrimineller virtuelle Autos geklaut habe, nur um damit Polizisten zu überfahren und im Autoradio einen von Karl Lagerfeld musikalisch zusammengestellten Sender zu hören. Ich frage also vorsichtig und rein hypothetisch, ob jemand aus meinem Freundeskreis, der so etwas -theoretisch -täte, sich theoretisch Sorgen machen müsste -unter Umständen. Nicht, dass ich jemals ...

»Es gibt eine Reihe von klassischen Kriterien«, beruhigt mich Kai Müller. »Wenn Sie mehrere dieser Kriterien über ein Jahr hinweg erfüllen, dann kann man von der Gefahr einer Störung sprechen.«

Diese Kriterien seien denen anderer klassischer Abhängigkeiten sehr ähnlich -beispielsweise der mehrfach vergeblich durchgeführte Versuch, den Konsum zu reduzieren. Negative Konsequenzen für Beruf, Schule, Gesundheitszustand oder Partnerschaft. Entzugserscheinungen. Immerhin letzteres habe ich aufzuweisen und erzähle von meinen Kopfschmerzen ZU Beginn meines Internetentzugs.

»Unruhe und Schlafstörungen sind häufigere Symptome«, sagt der Psychologe, »aber auch Kopfschmerzen oder Depressionen kommen vor. Aber denken Sie daran: Das Internet alleine kann kein 25 LOL steht für "Laughing out loud«, also lautes Lachen, und signalisiert amüsierte Zustimmung. Gleichzeitig signalisiert es nicht unbedingt Niveau -es ist gewissermaßen das digitale Schenkelklopfen. Suchtverhalten auslösen -allerdings ist das Risiko eines Kontrollverlusts höher, weil es so allgegenwärtig ist.«

Bevor ich mich mit dem guten Gefühl verabschiede, dass es in Sachen Internetsucht so schlimm nicht um mich bestellt sein kann -immerhin bin ich schon über einen Monat clean -frage ich nach den Erfolgsquoten der Therapie. »Für repräsentative Zahlen gibt es uns noch nicht lange genug«, antwortet Kai Müller. »Aber bei unseren bisherigen Patienten ist die Erfolgsquote sehr gut -auch wenn wir natürlich bei jedem einzelnen am Ball bleiben können.«

Internet-Entzug in China

Im Zug nach Bonn lese ich einen Artikel im Technologie-Magazin »Wired«, in dem es um Internetabhängige in China geht-und um die grausamen Methoden, mit denen diese entwöhnt werden sollen. In den letzten zwölf Jahren ist Zahl der Internetnutzer in China von einer halben auf Millionen gestiegen, das Land ist damit die größte und schnellsten wachsende Online-Gemeinschaft weltweit. Monat werden 700000 neue Breitbandanschlüsse aber immer wieder dringen Gruselgeschichten auch nach Deutschland, die von Todesfällen nach tagelangen erzählen, von Kindern, die ihre Eltern umbringen, weil diese sie vom Computer fernhalten wollten. So begründet in manchen Fällen die Angst vor einer Internetsucht auch sein mag, in China muss es in den letzten Jahren eine richtiggehende Hysterie gegeben haben. Diese führte dazu, dass Hunderte von inoffiziellen, unkontrollierten Camps eröffneten, häufig in alten Gefängnisgebäuden oder stillgelegten Kasernen. Dort sollen Jugendliche mit einer unausgegorenen Mischung aus Antidepressiva, Elektroschocks und Gewaltmärschen von ihrer angeblichen Sucht geheilt werden. In den meisten Fällen, so der schockierende Artikel, sind die Betreiber solcher Camps in keiner Weise ausgebildet, verlangen aber horrende Summen -oft das Doppelte eines durchschnittlichen Monatslohns. Erst als es Ende 2008 zu einer Reihe von Todesfällen durch prügelnde Wärter in den Camps kam, wurde die Öffentlichkeit auf das Problem aufmerksam und Forderungen nach einer strengeren Regulierung und Überprüfung der Camps laut. Trotzdem soll es noch zwischen 300 bis 400 »Internet-Entwöhnungslager« im gesamten Land geben. Ich betrachte das Foto von Deng Senshan, einem der Opfer. Das Bild stammt von einem Badeausflug mit seiner Familie, er hat ein Handtuch um seine Schultern geschlungen. Er sieht nicht sehr fröhlich aus -vielleicht, weil er schon weiß, dass ihn seine Eltern am folgenden Tag in das Camp abschieben werden. Wie schmal der Grad zwischen gerechtfertigter Fürsorge und kopfloser Hysterie sein kann. Welche Eltern würden sich keine Sorgen machen, wenn ihr Kind immer mehr Zeit vor dem Bildschirm verbringt und mit immer schlechteren Noten nach Hause kommt? Andererseits: Welcher Jugendliche hat nicht eine Phase, in der ihm Schule und Freunde auf die Nerven gehen und er sich in eine andere Welt flüchtet -seien es Reiterhofromane, Popmusik, eine Fernsehserie oder ein OnlineComputerspiel?

Panik und Verbote, da bin ich mir sicher, helfen genauso wenig weiter wie zu verschweigen, dass ein Problem existiert. Dass es Menschen gibt, die Hilfe brauchen, um nicht unter die digitalen Räder zu geraten. Und das Beste, was eine Gesellschaft tun kann, um beide Extreme zu vermeiden, ist offen darüber zu sprechen. Eltern mit ihren Kindern, Kinder mit ihren Lehrern, aber auch Beziehungspartner und Freunde untereinander. Wie viel Zeit muss ich und wie viel Zeit will ich im Internet verbringen? Schmeckt das Essen besser, wenn jeder nebenbei auf ein kleines Gerät starrt? Welche Regeln lohnt es sich, zu vereinbaren -und welche lassen sich auch durchhalten? Warum ist es heuchlerisch, wenn Eltern ihren Kindern das Videospiel verbieten, aber während sie das Verbot aussprechen, selbst auf ihrem Blackberry herumdrücken?

Als ich in Bonn ankomme, ist meine Laune aufgrund des Horrorartikels nicht gerade auf dem Höhepunkt. Ich begebe mich auf die Suche nach einem Hotel-den Satz »Fahren Sie doch einfach hin, da finden Sie immer was!« aus dem Reisebüro noch im Ohr. Doch auch wenn Bonn seit Ewigkeiten nicht mehr Bundeshauptstadt ist und die Innenstadt an diesem Dienstagabend wie ausgestorben wirkt

-überall erhalte ich dieselbe Antwort: Wir sind schon voll. Es fängt an zu regnen und langsam wird mir mulmig. Sicher, irgendwo in den Außenbezirken wird es schon noch ein Kämmerchen geben aber mein Plan, zu Fuß von Hotel zu Hotel zu laufen und zu fragen, wird immer brüchiger, je weiter ich mich aus den schmalen Straßen der Innenstadt entferne. Wie ein Leuchtturm taucht plötzlich ein Wegweiser mit dem Hinweis »Touristeninformation« auf. Mein ganzes Leben lang habe ich solche Orte gemieden. Wollte nie »Tourist« sein, immer nur Reisender. Touristeninformationen waren was für Rentner, die bewaffnet mit Baedeker-Reiseführern dort Infoblätter und Rabattcoupons für das örtliche Spielzeugmuseum abgriffen. So zumindest das Feindbild meiner Jugend. Heute bin ich jedoch versucht, der bunt gekleideten fülligen Dame hinter dem Tresen um den Hals zu fallen. Denn sie schafft es nach diversen Telefonaten, mir noch ein Zimmer in Laufnähe zu verschaffen. »Ist aber etwas klein«, warnt sie mich. Ist mir völlig egal. Ich singe ein Loblied auf die Bonner Touristeninformation. Als ich später in einer teuren, überheizten Schuhschachtel versuche, Schlaf zu finden, höre ich auf zu singen, aber wirklich ärgern kann ich mich auch nicht. Vielleicht hätte ich ja auch genau dieses Zimmer gebucht, wenn ich im Internet auf Schnäppchenjagd gegangen wäre. Und hätte mich anschließend beschwert: »Auf der Webseite sahen die Zimmer aber viel größer aus.«

Tag 33 Im größten Post-Kasten Deutschlands

Das »Innovation Center« der Deutschen Post DHL steht eine Viertelstunde außerhalb von Bonn auf der grünen Wiese, die heute aufgrund des tristen Wetters leider bestenfalls einen Preis als graue Wie-se bekommen würde. Ebenso wie die Telefonzellenbauer durch die Erfindung des Handys oder die Farbfilmhersteller durch die Erfindung der Digitalkamera unter Druck geraten sind, vermute ich, geht es auch der guten alten Post nicht mehr allzu gut. In Zeiten, in denen selbst mein Vater E-Mails schreibt und die 104-jährige Britin Ivy Bean aus ihrem Altenheim in Bradford vergnügt twittert, statt handschriftliche Grußkarten zu verschicken, werden die Nachrichten, auf die man noch eine Briefmarke kleben muss, um sie zu übermitteln, Blatt für Blatt weniger: In den letzten sieben Jahren ist die Zahl der mit der Deutschen Post verschickten Briefe von 9,2 auf 8 Milliarden gefallen.26 An dem Rückgang von rund 13 Prozent sind sicherlich auch die Liberalisierung des Briefwesens Anfang 2008

und neue Dienstleister wie PIN oder TNT mit Schuld. Doch auch die Zahl privater Briefe, die sicherlich noch seltener über neue Brieffirmen verschickt werden als Firmenpost, ist seit 2002 von 1,5 Milliarden auf 1,3 Milliarden gesunken -also ebenfalls um rund 13 Prozent. Globale Warenströme statt privater Briefwechsel

Doch die gelbe Post ist schon längst nicht mehr nur für das Versenden von Geburtstagsgrüßen und Liebesbriefen zuständig, sondern spätestens durch den Kauf des US-Konzerns DHL im Jahr 2002 der größte Logistikkonzern der Welt -durch dessen Hände insgesamt rund 1,5 Milliarden Sendungen pro Jahr gehen. Keith Ulrich, Leiter des Technologie-und Innovationsmanagements, führt mich durch das 3600 Quadratmeter große Forschungszentrum, das der Konzern hier in Troisdorf vor drei Jahren eröffnet hat. Der Manager zeigt mir RFID-Funkchips, die in Containern oder Paketen angebracht nicht nur permanent ihre genaue Position übermitteln können, sondern auch bei heiklen Sendungen zu große Temperaturschwankungen oder Erschütterungen melden können. Wer empfindliche Kunstwerke von einem Museum ins andere oder von seinem Landhaus in die Stadtwohnung transportieren möchte, kann Werte wie die Luftfeuchtigkeit im Container vom heimischen Computer aus in Echtzeit mitverfolgen. Ich staune auch über eine neue Navigationstechnologie, die bei der Paketauslieferung die ideale Route für Lieferwagen auch nach akutem Verkehrsaufkommen und aktueller Auftragslage berechnet -und somit die Wege um 10 bis 15 Prozent verkürzt. Und ich verstehe, dass ich mit den EMails und MMS-Mitteilungen, die ich verschicke, der Post viel weniger schade, als ich ihr durch meine diversen Internetbestellungen von eBay bis Amazon nutze. »Auch wenn weniger Briefe verschickt werden«, erklärt Ulrich optimistisch, »steigt das Volumen der Warenströme kontinuierlich

-nicht zuletzt durch eCommerce, Onlineshopping, aber auch generell durch die fortschreitende Globalisierung.« Immerhin -mein schlechtes Gewissen dem Postboten gegenüber ist wieder einigermaßen beruhigt. »Wir müssen uns neuen Technologien wie dem Internet stellen«, fährt Ulrich fort, »und oft auch auf die schöpferische Kraft der Zerstörung vertrauen. Nur wer sich den veränderten Gegebenheiten anpasst und innovativ damit umgeht, hat am Ende eine Chance. So wie die Autohersteller 26 Nicht mitgezählt wurden dabei werbliche Sendungen (Briefmarketing), die sogar leicht anstiegen -von 9,2 Milliarden im Jahr 2002 auf 10,9 Milliarden im Jahr 2009.

sich langfristig fragen müssen, ob es ihre Aufgabe ist, Metallboxen mit Verbrennungsmotor herzustellen, oder ob sie sich als Mobilitätsanbieter verstehen -so müssen wir uns fragen, ob unser Job ausschließlich darin besteht, einen Brief oder ein Paket von A nach B zu tragen.«

Am Ende der zweistündigen Führung frage ich den Manager, wie sein persönliches Verhältnis zu Technologien wie Internet und Handy aussieht. »Wenn ich auf eines verzichten müsste, dann ganz klar auf E-Mail«, kommt die eindeutige Antwort. »Anfangs war das eine wirkliche Arbeitserleichterung, aber inzwischen hat es einfach unvorstellbare Ausmaße angenommen.« Wie die meisten in seiner Position bekommt Ulrich mittlerweile mehrere Hundert Mails am Tag _ und während Führungskräfte sonst nach und nach immer mehr delegieren, ist die E-Mail-Adresse seltsam heilig. Hier liest der Chef noch selbst. »Am Schlimmsten ist der CCWahn«, stellt Ulrich fest. Also die Angewohnheit, neben dem normalen Empfänger immer noch mehreren anderen eine Kopie der Mail zur Kenntnis zu senden, um sich abzusichern. Eine britische Studie gibt Ulrich Recht: Darin hatten 80 Prozent der Teilnehmer angegeben, berufliche E-Mails dazu zu nutzen, sich abzusichern. Ist ja auch praktisch: Wer immer mehreren Leuten Kopien seiner Mails zukommen lässt, streut Verantwortung und kann sich im Extremfall mit einem Hinweis, das hätten doch alle wissen müssen, aus der Affäre ziehen. Rund ein Drittel der Befragten gab in der Studie außerdem an, Mails zu nutzen, um unangenehme Telefonate zu vermeiden. »Ein anderes extremes Beispiel, wie anstrengend elektronische Korrespondenz werden kann, war ein Kollege aus Japan, der mir wahnsinnig viele Mails schickte«, erinnert sich Ulrich lachend. »Ich war gerade dabei, die eine zu beantworten, da kam schon wieder die nächste. Das ging ein paar Tage hin und her, irgendwann wurde es mir zu bunt -und ich habe ihn einfach angerufen. Nach ein paar Minuten war alles geklärt.«

Tag 34 Nie aufhören, wenn es am schönsten ist

Eigentlich wäre mein Selbstversuch schon vor drei Tagen zu Ende gegangen. Einen Monat wollte ich ursprünglich auf Internet und Handy verzichten. Aber so schwer es mir zu Beginn fiel, so sehr ich unter dem anfänglichen Entzug litt inzwischen kommt es mir fast einfacher vor, weiterhin offline zu bleiben, als alle Geräte wieder einzustöpseln, mich zurückzumelden und durch die verpassten Nachrichten und Mails zu wühlen. Aufzuholen, was ich )}verpasst« habe, wieder auf den neuesten Stand zu kommen.

Ich gehe also in die Verlängerung. 40 Tage sollen es werden -so lange dauert auch die christliche Fastenzeit vom Aschermittwoch bis Ostern. Ein passender Rahmen, wie ich finde...:.. schließlich begann es auch bei mir mit Kopfschmerzen. Ob meine digitale Fastenzeit allerdings mit Schokohasen und versteckten Körbchen voller Eier endet, wage ich zu bezweifeln.

Beliebte Einwände gegen technische Entwicklungen

»Das Internet ist eine Spielerei für Computerfreaks. Wir sehen darin keine Zukunft.« (Der damalige Telekom-Vorstand Ron Sommer Anfang der 1990er)

»Wozu zur Hölle soll das gut sein?« (IBM-Ingenieur Robbert Lloyd 1968 über den Mikroprozessor)

»Schon heute dürfte Amazon in die Netz-Geschichte als eines der am stärksten überschätzten Unternehmen eingehen, ein Riesenbluff, der ( ... ) die Aktionäre nicht mit Bilanzen versöhnte, sondern mit den Anekdoten und dem ansteckenden Lachen des Firmengründers Jeff Bezos.« (SZ über das Internet-Unternehmen Amazon, das 2009 einen Gewinn von rund einer Milliarde US-Dollarerzielte)

»Frauen interessieren sich weniger für Computer und scheuen die unpersönliche Öde des Netzes.«

(Journalist Hanno Kühnert 1997 über die fehlende »Käuferschicht« im Netz)

»Das Gequatsche im Internet ist nichts anderes als der CB-Funk der siebziger Jahre.« (Fernsehjournalist Friedrich Küppersbuch 1996 über Online-Kommunikation)

»Die Vertrautheit der Nachbarschaft ist zerschlagen worden durch das Wachstum eines komplizierten Netzes von weit entfernten Kontakten.« (Soziologe Charles Horton Cooley 1912 über das Telefon)

»Das Internet -gibt es diesen Blödsinn immer noch?« (Homer Simpson)

kapitel 6

In dem ich mit einem virtuellen Ehebrecher spreche, mich für die Rückkehr in die Zivilisation wappne -und mich von der berühmtesten Frisur des Internets fragen lassen muss, ob ich mich nicht für schuhsüchtig halte.

Tag 36 Beziehungsstatus: Es ist kompliziert

Beim Einkaufen treffe ich David, der mir von seiner neuen Freundin berichtet. Als er seine letzte Beziehung beendet hatte, war das die erste Trennung gewesen, von der ich über Facebook erfahren hatte. Er erzählt mir, dass er sich damals gar nicht so viele Gedanken darüber gemacht hätte, als er seinen Beziehungsstatus von »in einer Beziehung« auf »Single« umgestellt hatte. »Es entsprach ja den Tatsachen und die Trennung war auch schon ein paar Tage her«, erklärt er. »Aber ich habe nicht bedacht, dass diese kleine Umstellung allen meinen Freunden als Neuigkeit verkündet werden würde. Auch denjenigen, denen ich es eigentlich lieber persönlich erzählt hätte.« So wie David ging es schon vielen, denen das filigrane Interface zwischen realem Liebesleben und virtuellem Freundesmanagement schon mal für einen kurzen, aber fatalen Moment entglitten ist. Und ebenso wie es früher Gefühlsbulldozer gab, die per Fax Schluss machten oder sich per SMS trennten, gibt es heutzutage si-cher auch einige, die sogar ihren Partner via Facebook davon in Kenntnis setzen, dass er sich seine Beziehungspapiere bitteschön beim Pförtner abholen möchte.

Aber nicht nur was das Ende einer Beziehung betrifft, auch in der Anbahnungsphase hat das Internet die Spielregeln geändert: Wurden früher verschämt Chiffre-Anzeigen geschaltet oder auf verkrampften Tischtelefon-und »Fisch sucht Fahrrad«-Singlepartys nach dem Glück gesucht, sind Online-Partnerbörsen nun für jede Kragenweite und jedes Bedürfnis verfügbar. Von der gutsituierten Geschäftsfrau, die jemanden sucht, um eine Familie zu gründen, bis zum unruhigen Azubi, der so viele Bettgeschichten wie möglich erleben will, ohne viel Zeit »mit Quatschen und so« zu vertrödeln

-für jeden Geschmack gibt es eine entsprechende Plattform. Und selbst auf Seiten wie Xing oder StudiVZ, auf denen es vordergründig um berufliche Kontakte geht, wird geflirtet, was das Zeug hält. Und sogar wer sich nicht online kennenlernt, sondern am Arbeitsplatz oder beim Geburtstag eines Freundes, zieht immer häufiger Google zu Rate, um herauszufinden, ob sich ein weiteres Treffen lohnt.

Anders als im realen Leben ermöglicht die Partnersuche im Internet nicht nur einen viel größeren Auswahlpool, sondern auch viel rigidere Selektion. Alter, Größe, Gewicht, Konfession, Beruf, Einkommen, Herkunft, Augenfarbe, Interessen, Lieblingsbuch, Lieblingsfarbe, Lieblingsessen, Affinität zu Haustieren, Spieleabenden oder Mario Barth -all das, was sich früher erst im Laufe mehrerer Verabredungen herauskristallisierte, ist heute mit wenigen Klicks an-und abwählbar. Das erspart einerseits Zeit und Enttäuschungen nimmt aber andererseits jede Form von Unberechenbarkeit aus dem Prozess des Kennenlernens und Verliebens.

Gleichzeitig bieten die Internet-Profile die einzigartige Möglichkeit, sich selbst so darzustellen, wie man es selbst gerne hätte: Man zeigt sich braungebrannt und ausgeruht auf einem besonders vorteilhaften Urlaubsfoto und nicht erschöpft und blass vor dem Fernseher -auch wenn das der Realität vielleicht viel näher käme. Bei den Zahlen wird gerne mal ein bisschen geschummelt -die Frauen eher beim Gewicht, die Männer eher beim Einkommen, schließlich weiß man, worauf es der Gegenseite ankommt. Die Lieblingsbücher sind natürlich nur die klugen, bei den Filmen trägt man brav die anerkannten Klassiker »Citizen Cane« oder »Pulp Fiction« ein statt die vielleicht viel aufrichtigeren

»Mein Partner mit der kalten Schnauze« oder »Zwei Nasen tanken Super«.

Nur einen Klick vom Seitensprung entfernt

Neben der Frage »Wer passt zu mir?« kann man dem Internet aber noch eine weitere, durchaus teuflischere Frage stellen: »Was wurde eigentlich aus ... ?« Ob man nur bei Google nach der Ex-Freundin sucht oder sich bei Facebook mit dem ehemaligen Liebhaber Jahre später wieder anfreundet -die Tür in die Vergangenheit steht immer einen Spaltbreit offen. Man verliert sich nicht mehr einfach aus den Augen, wie es früher oft ganz automatisch der Fall war. Flirts, die Jahre her sind, lassen sich online unter Umständen. binnen Sekunden wieder aufwärmen. Zunächst scheinbar unverbindlich und unverfänglich, stets hinter einer Passwortwand verborgen vor den Blicken des aktuellen Partners. »Als Teenager oder in unseren frühen Zwanzigern knüpfen wir oft sehr intensive Freundschaften -auch wenn sie nicht immer lang" lebig sind«, schreibt Robin Dunbar, mit dem ich über die 150 Freunde sprach, in einem Aufsatz. »Auf den diversen Netzwerkseiten tauchen solche Freunde aus dieser glühenden und emotional turbulentesten Zeit unseres Lebens nun oft wieder auf -und nicht selten wird dabei auch eine alte Flamme wieder zum Leben erweckt, die unsere gegenwärtige Beziehung zerstören kann.«

Ich kenne jemanden, der seine Ehe beinahe durch einen Internet-Flirt kaputtgemacht hätte -und heute noch darunter leidet. Als ich vor einiger Zeit mit dem New Yorker Literaturprofessor Joshua Gidding über sein Buch »Failure« sprach, in dem er vom Scheitern schreibt, erzählte er mir von dem Betrug an seiner Frau. Sie war einige Jahre vor unserem Gespräch an Krebs verstorben, und in den Jahren zuvor, während sie bereits erkrankt war, hatte er sie in regelmäßigen Online-Chats mit seiner Exfreundin -zumindest virtuell-betrogen. »Das ist die Sache in meinem Leben, für die ich mich am meisten schäme«, erzählt er mir in unserem Telefonat ganz ruhig und sachlich. »Ich war damals süchtig nach diesen kleinen täglichen Flirts -ich dachte sogar, sie stünden mir zu. Denn ich bemitleidete mich selbst stärker als meine kranke Frau.«

Es gibt sicherlich unterschiedliche Meinungen darüber, wo Ehebruch beginnt und ob ein InternetChat ohne realen Körperkontakt schon als Fremdgehen zählen kann. Ich finde schon -vor allem, wenn einen das eigene schlechte Gewissen überführt. Oder wenn sich der Partner betrogen fühlt und einen bittet, die Sache zu beenden. Giddings Frau hat das getan -mehrfach und ohne Erfolg. Er selbst versucht gar nicht, sein Tun zu beschönigen: »Das Geheimnis einer Affäre -selbst einer rein >virtuellen< -war unwiderstehlich«, schreibt er in seinem Buch. »Ich erinnere mich noch an den Stromstoß, den mir der Gedanke an den Ehebruch versetzte: An den Schock der neuen Gefühle, die Kraft des Sexuellen, die in der Routine der Ehejahre langsam eingeschlummert war -und wie hilflos ich dieser Kraft ausgeliefert war.« Er erinnert sich sogar noch an den exakten Chat-Dialog, mit dem alles begann. Und daran, wie er in den kommenden Jahren nie mehr von den OnIine-Unterhaltungen mit seiner Ex lassen konnte: »Manchmal schaffte ich es, einige Monate durchzuhalten, ohne sie zu kontaktieren«, schreibt er. »Aber irgendwann wurden die Versuchung und das Hochgefühl, mit ihr per Instant Messenger zu kommunizieren, zu unwiderstehlich, die Glöckchen, die eine neue Nachricht von ihr ankündigten, zu verlockend.«

Joshua Gidding sieht ein wenig aus wie ein gut gealterter Bill Murray. Er könnte einen gemütlichen Filmpsychiater spielen, dessen Leidenschaft das Segeln ist. Als ich ihn frage, wie schnell ihm seine Frau auf die Schliche gekommen ist, antwortet er: »Sehr bald. Sie merkte, dass ich ein anderer war, und fragte mich eines Abends beim Essen: >Na, wer ist es?<. Sie war sehr verletzt und bat mich, damit aufzuhören, den Kontakt einzustellen. Aber ich konnte nicht, obwohl ich es ihr immer wieder versprach. Erst ganz am Ende, kurz bevor Diane starb, brach ich den Kontakt zu meiner Ex ab da hatte mir meine Frau aber bereits vergeben. Was sehr großherzig war und meine Scham nur steigerte.«

Natürlich wäre es Unsinn, zu behaupten, dass das Internet treue Ehemänner und Ehefrauen in gedankenlose Fremdgeher verwandelt, die alle moralischen Bedenken beim Hochfahren des Computers über Bord werfen. Das bestätigt auch die Diplom-Psychologin Christiane Eichenberg, die an der Universität Köln unter anderem zu sozialen Beziehungen im Internet und Sex im Netz forscht: »Das Internet verursacht keine Untreue an sich«, sagt sie in einem Interview mit einer Frauenzeitschrift.

»Dahinter stecken vielmehr unbefriedigte Wünsche beziehungsweise ungelöste Konflikte in der Partnerschaft. Die hat es auch schon vor dem Internet gegeben. Dazu kommt der allgemeine Trend, dass viele in einer Beziehung lebende Menschen das Gefühl haben, dass es noch einen besseren Partner für sie geben könnte.« Trotzdem wird die Fremdgeh-Logistik durch Internet und Handy erheblich vereinfacht. Wer sich auf der Weihnachtsfeier mit jemandem aus dem Kollegenkreis einlässt, hat sofort Mitwisser, wer sich per Festnetztelefon verabreden muss, fliegt viel leichter auf. Bei Affären, die im Internet beginnen (oder vielleicht sogar komplett dort stattfinden), ist es deutlich einfacher, im Geheimen zu operieren. »Wichtig ist heute, das Internet in die Partnerschaft miteinzubeziehen. Definieren Sie auch für das Netz Regeln«, rät die Psychologin deshalb. »Wo beginnt für Sie Untreue?

Chatten, Kontakte über Communitys oder reale Treffen mit Sex -all das sollten Sie in Ihrer Beziehung ansprechen.«

Dass nicht einmal Betrug im Spiel sein muss, damit das Internet für Ärger in der Beziehung sorgen kann, musste der amerikanische Rockstar John Mayer erfahren, der eine Zeitlang mit der Schauspielerin Jennifer Aniston liiert war und in einem Playboy-Interview Folgendes über die Trennung zu Protokoll gab: »Einer der größten Unterschiede zwischen uns war, dass ich Twitternutzer war und sie nicht. Es gab ein Gerücht, dass sie mit mir Schluss gemacht hätte, weil ich zu viel Zeit mit Twitter verbracht hätte. Das war es nicht, aber es war ein signifikanter Unterschied. Ihr Erfolg kam vor ( ... ) Twitter, und ich glaube, sie hofft immer noch, dass alles wieder so wird wie 1998. Wenn ich mich mit einer neuen Technologie beschäftigte, sah sie das immer als Konkurrenz, als Ablenkung meiner Liebe. Und ich sagte immer: Das sind die neuen Regeln ... «

Tag 37 Mein erstes @

Mein alter Freund Tobias kommt für 36 Stunden in die Stadt. Was insofern bemerkenswert ist, als er inzwischen seit drei Jahren in Brasilien lebt. Als Unternehmensberater ist er auf Effizienz getrimmt und hat vier Bewerbungsgespräche in straffer Folge vereinbart, als freiberuflicher Journalist und Strohwitwer bin ich so ziemlich das Gegenteil und froh, dass ich es vor seiner Ankunft schaffe, die Gästematratze neu zu beziehen und den Kühlschrank einigermaßen anständig zu befüllen. Als er mittags vom Flughafen kommt, hängt er -nachdem wir uns freudig begrüßt haben als allererstes sein Blackberry an die Steckdose. Ich habe ihm schon am Telefon von meinem Selbstversuch erzählt und frage ihn natürlich sofort aus -zum Beispiel, ob sich jemand wie er ein Leben ohne Smartphone und mobiles Internet überhaupt noch vorstellen kann. »Es ist für mich schon sehr wichtig geworden«, sagt er. »Es gibt mir am Wochenende zum Beispiel die Freiheit, mit meiner Freundin auf den Flohmarkt zu gehen, anstatt zuhause zu bleiben und auf eine wichtigeMail warten zu müssen.« Versklavt fühlt er sich durch das Gerät nicht -schließlich sei es ja seine Entscheidung, ob er es mit an den Strand nehme oder wie schnell er eingehende Mails tatsächlich beantworte. »Das Blackberry ist aber auch oft eine reine Zeittotschlagmaschine und die Effizienz nur eine scheinbare«, gibt er zu.

»Manchmal stehe ich am Flughafengate oder schon im Finger in der Schlange der Passagiere und lese noch bis zum letzten Moment des Einsteigens Online-Nachrichten. Aber ist es für mich in diesem Moment wirklich eine relevante Information, wenn ich in Sao Paulo davon lese, dass bei einem Brand in Saarbrücken eine Familie getötet wurde? Oder sind solche Nachrichten auch nur Ablenkung

-und ich könnte genauso gut aus dem Fenster starren oder Däumchen drehen?«

Tobias und ich haben uns vor etwas mehr als 15 Jahren durch Zufall kennengelernt, als wir beide mit Rucksäcken behängt durch Kalifornien reisten und beschlossen, einen Teil unserer Route gemeinsam fortzusetzen. Es handelte sich damals gewissermaßen um den Vorabend der digitalen Revolution und ich erfuhr auf dieser Reise zum ersten Mal von einer spannenden und verrückten Sache namens »Internet«. Ich erinnere mich noch genau, wie Tobias und ich uns nach einigen gemeinsam zurückgelegten Küstenkilometern, nach geteilten Joints, Frauengeschichten und Spritdollars in San Francisco wieder trennten. Damals tauschte man unter jungen Reisenden mit Geldsorgen und »Lonely Planet«Reiseführer im Rucksack noch handschriftlich Telefonnummern und Adressen, wenn die Wege einen nach einigen Tagen wieder in unterschiedliche Richtungen führten. So auch wir. Doch unter seiner Postanschrift stand noch eine weitere Adresse -mit einem Zeichen, das mir bisher vollkommen fremd war: @.

Die Zeile ergab für mich keinen Sinn. Da standen einige wirre Buchstaben und Zahlen und am Ende etwas von einer Universität. »Das ist eine E-Mail-Adresse«, erklärte mir Tobias. »Damit kann man sich von Computer zu Computer Nachrichten schreiben.« Ich nickte, verstand aber kein Wort. Erst einige Monate später, als ich zurück in Deutschland selbst an eine Uni ging, bekam ich meine eigene E-MailAdresse und ging das erste Mal »in den Cyberspace«, wie man das damals noch aufgeregt nannte.

15 Jahre sind seitdem vergangen. 15 Jahre, von denen Tobias und ich nur wenige Monate in derselben Stadt gewohnt, mindestens sieben Jahre jedoch nicht einmal auf demselben Kontinent gelebt haben. Dass der Kontakt nie wieder ganz abgerissen ist -auch wenn wir beide sicherlich nicht die besten Kontaktpfleger der Welt sind -, ist in diesem Fall vermutlich tatsächlich dem Internet zu verdanken. Allerdings haben wir es auch mit Robin Dunbar gehalten, dem Mann, nach dessen Namen eine Zahl benannt wurde: »Das Internet kann manche Freundschaften etwas länger am Leben erhalten. Aber wenn wir unsere Freunde nicht ab und zu leibhaftig treffen, schläft die Freundschaft irgendwann ein«, sagt der Begründer der 150-Freunde-Theorie. »Frauen sind kommunikativere Wesen, bei ihnen kann eine Freundschaft manchmal auch per Telefon sehr lange bestehen bleiben. Aber Männer müssen sich ab und zu treffen, sich betrinken und ihre Köpfe gegen Bäume schlagen, wenn ihre Freundschaft sich nicht langsam in Luft auflösen soll.«

Tag 38 Der Internet-Irokese

Und schon ist Tobias wieder weg. Wir haben unsere Köpfe zwar nicht gegen Bäume geschlagen, aber meiner fühlt sich heute dennoch ein wenig so an. Kurz bevor ich meine mönchsartige Abgeschiedenheit von der digitalen Welt wieder verlassen werde, habe ich mir vorgenommen, mit einem der wohl am stärksten vernetzten Menschen Deutschlands zu sprechen. Sascha Lobo, Blogger der ersten Stunde, prägte als Autor den Begriff der »Digitalen Boheme«. Über 30000 Menschen haben auf Twitter seine Meldungen abonniert -nur wenige deutsche Nutzer schaffen mehr. 27 Lobo betreibt und befüllt mehrere Blogs, auf seinem privaten finden die Leser nicht nur seine Handynummer, sondern über den Ortungsdienst Google Latitudes auch stets seinen aktuellen Aufenthaltsort in der realen Welt. Kurzum: Sascha Lobo, der es nicht nur durch seinen roten Irokesenschnitt versteht, aufzufallen und sich zu vermarkten, ist das Schreckgespenst aller Internet-Skeptiker.

Doch auch innerhalb der Online-Gemeinde schlägt dem 35-Jährigen immer häufiger Kritik entgegen, seit er nicht nur als (ehrenamtlicher) Berater für die SPD tätig ist, sondern auch in einem Werbespot für den Kommunikationsriesen Vodafone auftrat. Der ehemalige Werber betreibe den Ausverkauf der einst nichtkommerziellen Internetgemeinschaft, so der implizite Vorwurf. Mir soll es viel weniger darum gehen, ob und wie jemand mit seinem Wissen und seiner Leidenschaft fürs Internet Geld verdienen darf, sondern darum, warum er sich für ein so öffentliches und vernetztes Leben entschieden hat. Wie er damit klarkommt, ständig onIine zu sein, und ob ihn die 100 sozialen Netzwerke, in denen er laut eigenen Angaben Mitglied ist, nicht gelegentlich auch stressen. Wer hält sich schon für schuhsüchtig?

27 Darunter kaum Einzelpersonen, sondern vor allem Institutionen wie die »Eilmeldungen« von Spiegel Online oder Marketingfirmen, die ihre FolIower mit umstrittenen Methoden wie dem beliebten »Zurückfollowen« gewinnen. Als ich mit dem freundlichen Internet-Evangelisten spreche, liegen auf seinem Schreibtisch fünf Handys. »Ich benutze aber nur drei davon«, relativiert er. Während der normale Handynutzer sich im Schnitt alle zwei Jahre ein neues Gerät zulegt -nämlich dann, wenn sein Vertrag abläuft und ihm der Mobilfunkanbieter ein neues Telefon subventioniert bekommt Lobo häufiger ein neues Gerät zum Testen angeboten. Sei es von Vodafone, wo er als freier Berater tätig ist, sei es von Google, die mit dem Smartphone Nexus One nun auch den Handymarkt erobern wollen, sei es von Apple, die mal wieder eine neue Version des iPhone herausbringen. Der Grund dafür, mehrere Handys zu nutzen, sei jedoch, dass ihm drei Telefone mit unterschiedlichen Nummern nicht mehr Stress bereiten, sondern weniger. »Ich habe eine öffentliche Nummer, die steht überall, jeder darf sie wissen«, erklärt er. »Das Telefon mit dieser Nummer stelle ich jedoch auch oft leise oder gehe nicht ran, wenn es klingelt. Ich nehme mir sogar die Freiheit, nicht unbedingt zurückzurufen, wenn jemand eine Nummer hinterlässt.« Nur weil er jemandem seine Telefonnummer gegeben hat, entsteht für Lobo daraus noch lange nicht die Verpflichtung, jederzeit sofort mit dieser Person kommunizieren zu wollen. Manchmal bekommt Lobo auf seiner öffentlichen Nummer auch Hassanrufe, aber das sind nur ein oder zwei pro Monat, sagt er, und selbst die seien meist eher »soziologisch interessant«. »Meine Privatnummer wiederum haben nicht mal 20 Leute -meine Familie, meine Freundin und ein paar ganz enge Freunde. Wenn ich also mein öffentliches Telefon leise stelle, bin ich viel weniger erreichbar als der durchschnittliche Handynutzer.«

Allzu häufig kappt Lobo seinen Draht zur Außenwelt allerdings nicht: »Ich schätze mal, ich bin zu 80

Prozent meiner wachen Zeit online -das ist mein Alltag. Im Netz erfahre ich Neuigkeiten, tausche mich privat und beruflich aus -es ist für mich der ideale Weg, um zu kommunizieren.« Die Frage, ob er keinerlei Gefahr einer Sucht oder Abhängigkeit sehe, stößt bei ihm auf wenig Verständnis: »Das ist in etwa so, als ob ich dich fragen würde, ob du schuhsüchtig bist -nur weil du 80 Prozent der Zeit, die du wach bist, Schuhe trägst. Denn natürlich bist du nicht schuhsüchtig, aber du hast gemerkt, dass es besser ist, als barfuß durch die Straßen zu laufen. Wenn ich online bin, kann ich das, was ich tue, besser tun. Es ist für mich ein Instrument.« Wie auch der Rabbiner Ehrenberg ist auch Sascha Lobo nicht um eine Metapher verlegen: »Ich unterscheide nicht zwischen online und offline. Das ist für mich wie die Frage, ob ich zuhause das Licht anschalte oder nicht. Es ist ein Unterschied -aber ich mache keine Religion draus. In manchen Momenten ist das eine sinnvoller und mal das andere.«

Mir fällt ein, wie ich Lobo zu Beginn meines Selbstversuchs schon einmal vor einigen Wochen anrief, um das Interview zu vereinbaren. Und obwohl ich ihm gerade .geschildert hatte, dass ich im Rahmen eines Experiments ohne Internetzugang und Handy leben würde, fragte er mich weni~e Sekunden später, ob ich die Fragen nicht per E-Mail schicken könne. Der Fairness halber muss ich jedoch hinzufügen, dass er seinen Fauxpas erstens relativ schnell bemerkte und zweitens nicht der einzige war, dem das passierte. Ich habe bestimmt ein Dutzend mal Sätze wie »Oh, das ist ja ein span-nendes Experiment, so ganz ohne Internet ... Ich hab da gestern ein ganz interessantes Interview gelesen ... Wart mal, ich schick Dir gleich Mal den Link!« gehört. Aber kann jemand wie Sascha Lobo, der sein ganzes Leben im Internet führt, überhaupt noch einen ganzen Tag offline sein? »Ich war über Weihnachten und Neujahr insgesamt vier Wochen in Indonesien unterwegs«, erzählt er. »Da gibt es viele Inseln, auf denen es gerade mal Strom gibt, aber kein Internet und keinen Handyempfang. Da war ich manchmal auch drei Tage am Stück offline -und bin trotzdem nicht verrückt geworden.« Aus einem Zeitungsinterview weiß ich, dass der scheinbar »gläserne Mensch« Sascha Lobo gar nicht so viel von sich preisgibt, wie man denken möchte, wenn man seine scheinbare Omnipräsenz im Netz betrachtet. Was man dort von ihm sähe, so gab er damals zu Protokoll, »ist ein bisschen unter 50 Prozent. Es scheint mehr, weil ich sehr umtriebig bin. Aber versuche mal herauszufinden, wie meine Freundin heißt.« So freigiebig Lobo mit seiner Handynummer oder seinem Aufenthaltsort umgeht -so wenig erfährt man im Internet über sein Privatleben: »Es gibt viel, das ich bewusst nicht ins Netz stelle. Das müssen die Jugendlichen auch lernen.«

Zusammen mit seinem Koautoren Holm Friebe hat Lobo vor einigen Jahren in dem Buch »Wir nennen es Arbeit« den Begriff der »Digitalen Boheme« geprägt. In einem Leben »jenseits der Festanstellung« gäbe es immer mehr Menschen, so die Beobachtung der beiden Autoren, die freiberuflich und selbstbestimmt in losen Bündnissen kollaborierten -und das immer öfter und immer besser online. Dass von dieser klugen und richtigen Analyse der Arbeitswelt oft nur das klischeehafte Bild der Milchkaffeetrinker übrig blieb, die lange schlafen und dann in Szenecafes in ihre Apple-Notebooks gucken, ist nicht Lobos Schuld -ebenso wenig, dass er seit ein paar Jahren als »Klassensprecher des Web 2.0« oder »Twitter-Guru« herumgereicht wird. Als ich mit ihm spreche, schreibt der umtriebige Tausendsassa gerade seinen ersten Roman fertig. Auch dabei sieht man ihn häufig in seinem Lieblingscafe am Berliner Heimholtzplatz sitzen einerseits ganz Posterboy für die Digitale Boheme, andererseits auch oft bewusst abgekoppelt. »Wenn ich konzentriert arbeiten muss, bin ich relativ hemmungslos«, erzählt er. »Dann schalte ich das Telefon aus und arbeite an meinem Computer mit einem Arbeitsbrowser, der so eingestellt ist, dass ich nicht durch Twitter oder andere Echtzeitplattformen abgelenkt werde.«

Beklemmungen in der Bibliothek

Ebenso wie der New Yorker Professor Clay Shirky (»Es ist keine Revolution, wenn niemand verliert«) hält Lobo das ganze Gerede von »Informationsoverkill« für blanken Unsinn: »Es muss, kann und soll doch niemand alles lesen, was im Internet steht -das ist ein völlig falscher Ansatz! Aber ich habe noch nie von jemandem gehört, der beim Betreten einer Bibliothek Beklemmungen bekommen hat wegen all der Bücher, die er ja auch nie lesen kann.« Auch das Argument, im Internet gebe es nur seichten Schund, da sich jedermann dort ungehindert äußern könne, lässt er nicht gelten: »Das ist in etwa so, als würde ich in eine Bahnhofsbuchhandlung gehen, mir die Stapel mit den immer gleichen Krimis und Single-Romanen ansehen und aus dieser Stichprobe schlussfolgern: Aha, auf Papier wird also nur flaches Klischeezeug gedruckt. Aber genau so verfahren Journalisten oder Politiker, wenn sie glauben, es reicht, fünf Minuten bei Twitter herumzuklicken und dann festzustellen, dass da ja

>sowieso nichts Vernünftiges< steht.«

Dass sich manche Menschen von der Allgegenwart von Internet und Handy überfordert fühlen, kann Sascha Lobo immerhin verstehen: »Ich glaube aber, dass dieses Gefühl, überfordert zu sein, immer sehr subjektiv ist und nicht systemimmanent. Wenn ich es zulasse, kann ich ja auch schon von einern einzigen Wählscheibentelefon gestresst sein, weil es zu oft klingelt. Man stelle sich außerdem vor, dass jemand aus dem 18. Jahrhundert ins Jahr 1990 transferiert würde, als es noch so gut wie keine Handys oder massentaugliches Internet gab. Trotzdem würde diese Person ja all die Lichter, das Fernsehen oder die mehrspurigen Straßen als Bedrohung wahrnehmen und nicht glauben, dass Menschen so leben können. Aber jemand von heute, der an all das gewöhnt ist, kann seine Freundin auch mitten auf dem Times Square verliebt ansehen und all das um sich herum gar nicht als störend oder gar bedrohlich wahrnehmen.«

Auch in dem Verfechter der Digitalisierung und der immer stärkeren Vernetzung schlummert also ein romantisches Herz. Gut zu wissen. Wir unterbrechen das Gespräch kurz, da Lobo einen Anruf bekommt. Es ist jedoch der einzige während unserer Unterhaltung -und auch sonst ist der Mann mit dem knallroten Irokesenschnitt ein angenehm konzentrierter Gesprächspartner und keineswegs jemand, der ständig mit einem Auge auf seine E-Mails schielt oder auf seiner Handy tastatur herumdrückt. Kurz: Der nach eigenen Angaben an der Aufmerksamkeitsstörung ADHS leidende PowerTwitterer hat erheblich bessere Kommunikationsmanieren als manch Internetskeptiker, der den Geruch von Druckerschwärze preist und die angebliche Verblödung der Welt durch Twitter und Co beklagt. Wir unterhalten uns noch eine ganze Weile über Themen wie Netzneutralität28, Vorratsdatenspeicherung und Internetzensur -Bereiche, in denen Lobo eine viel größere Gefahr sieht als in der angeblichen Informationsflut oder dem Verlust der Privatsphäre.

Und wie verändert das Internet unsere Freundschaften? Im Falle von Lobo wohl nahezu komplett, wenn auch, wie er sagt, nur zum Positiven: »90 Prozent der Leute, mit denen ich mich im echten Leben umgebe, kenne ich aus dem Internet -mit den anderen zehn Prozent bin ich verwandt. Aber das finde ich gut so. Früher haben sich die Menschen per Zufallsgenerator kennengelernt -wer beispielsweise seinen Partner am Arbeitsplatz findet, lässt doch in letzter Konsequenz den Personalchef die 28 Netzneutralität bedeutet, dass die Anbieter von Internetzugängen (Internet Service Provider oder ISP) die ihnen anvertrauten Daten unverändert und gleichberechtigt übertragen, ohne diese inhaltlich zu kontrollieren oder für Zusatzdienstleistungen, wie beispielsweise eine schnellere Beförderung von Datenpaketen, zusätzliches Entgelt zu verlangen. Derzeit wird sowohl in den USA als auch in Europa versucht, Netzneutralität gesetzlich zu verankern. Vorauswahl treffen. Im Netz ist es viel leichter, Leute zu finden, die zu mir passen, zu meinen Interessen und allgemeinen Wünschen. Eine ebenso häufige wie falsche Schussfolgerung ist die, dass sich Internet und reales Leben ausschließen. Dabei ist es genau umgekehrt: Menschen, die sich online treffen und gut verstehen, treffen sich irgendwann auch real.« In diesem letzten Punkt gibt ihm auch der Anthropologe Robin Dunbar recht, der in seiner Freundschaftsforschung feststellte, dass das Klischee des Computernerds, der im echten Leben keine Freunde hat, aber in der virtuellen Welt reüssiert, so nicht stimmt. Stattdessen sei ein starker Zusammenhang zwischen einem großen und aktiven virtuellen Freundeskreis und vielen Freunden im realen Leben nachzuweisen. Ich denke noch eine Weile über das Gespräch mit Sascha Lobo nach. Auch wenn es für mich Eigenbrötler eine Horrorvorstellung wäre, im Internet ständig meinen Aufenthaltsort preiszugeben, so hatte ich doch nicht den Eindruck, dass der umstrittene Internet-Irokese von all der Technik und all den Kommunikationsmöglichkeiten, mit denen er sich umgibt, unterdrückt wird. Eher im Gegenteil: Es schien mir, als gehöre er zu den wenigen Menschen, die es geschafft haben, im Umgang mit den vielen kleinen Maschinen und Software-Algorithmen selbst die Regeln zu bestimmen, statt sich ihnen zu unterwerfen.

Tag 40 Der letzte Tag

Heute ist der letzte Tag meiner digitalen Klausur. Als ich am Morgen aufwache, habe ich ein eigenartiges Gefühl in der Magengegend, ein leicht melancholischer Abschiedsschmerz. So, wie man ihn vielleicht am letzten Tag eines Urlaubs verspürt, wenn man noch einmal an den Lieblingsstrand oder in das sensationelle Fischrestaurant geht, das man im hintersten Winkel des Hafens entdeckt hat. Oder wenn man sich inmitten seiner gepackten Umzugs kisten noch einmal in der leeren Wohnung umsieht, aus der man in wenigen Stunden ausziehen wird und die plötzlich so viel größer wirkt. Walden kann mich mal!

Auf dem Balkon stehend trinke ich meine erste Tasse Kaffee. Ohne E-Mails zu lesen, aber auch ohne eine Zeitung oder ein Buch. Ich denke einfach nur darüber nach, was ich heute noch machen will, beobachte das Vogelnest im großen Baum hinter unserem Haus und probiere aus, ob es mir weniger kalt an den Füßen ist, wenn ich auf meinen Zehenspitzen oder auf meinen Fersen stehe. Ich merke, dass ich in den vergangenen 39 Tagen ruhiger geworden bin, oft auch konzentrierter. Ich habe auch jenseits von Internet und Handy davon Abstand genommen, stets drei Dinge gleichzeitig machen zu wollen. Ich weiß nicht, ob das automatisch mit dem Verzicht auf die digitale Technik einhergegangen ist. Oder ob ich einfach ein Offline-Streber sein wollte, der alles besonders gut macht. Wahrscheinlich ein bisschen von beidem, aber das ist am Ende auch egal. Ich habe erfahren, dass sich ein Teil der guten Laune, die ich früher daher bekam, so viel wie möglich gleichzeitig zu tun, auch einstellt, wenn ich mich für den Augenblick ganz auf eine Sache konzentriere, ganz in diesem einen Moment bin. Meist halte ich es wirklich nicht viel länger als diesen einen Augenblick aus so wie jetzt, als mir meine Zehen endgültig einzufrieren drohen und ich schnell wieder nach drinnen gehe. Ich merke aber ebenso deutlich, dass ich auch nicht völlig in dieser analogen Askese und Besinnlichkeit aufgehe. »WaIden«, das Buch, in dem der Schriftsteller Henry David Thoreau beschreibt, wie er in eine kleine Hütte an einen See zieht und dort »tief leben, alles Mark des Lebens aussaugen« will, habe ich nach der Hälfte wütend in die Ecke geworfen, so entnervt war ich von dem selbstzufriedenen Geschwafel des Einsiedlers und seiner offenkundigen Verachtung für den seiner Meinung nach völlig verblödeten Rest der Menschheit. So möchte ich nicht sein. Und das will etwas heißen aus dem Mund von jemandem, der als Teenager zwei Mal hintereinander in »Der Club der toten Dichter«

gegangen ist. Einen Film, in dem die WaIden-Philosophie des »weniger betretenen Pfades« gepriesen wird als Schatzkarte, die nicht nur zu einem glücklichen Leben führt, sondern auch in den Schlafsaal der Mädchen. Letzteres war vermutlich auch der eigentliche Grund für den doppelten Kinobesuch. So oder so: Der altkluge Eigenbrötler Thoreau kann mir gestohlen bleiben. Ein Teil von mir freut sich auch auf die Rückkehr ins Netz. Auf die Möglichkeit, mit einem Mausklick Dinge zu erfahren, von denen ich vorher nicht einmal wusste, dass es sie gab. Auf die Möglichkeit, in Sekundenschnelle eine vielleicht völlig irrelevante, aber dennoch bohrende Frage zu beantworten. Und ja, auch darauf, bei Facebook oder Twitter zu lesen, was ein alter Bekannter gerade zum Frühstück gegessen hat. Immerhin erfahre ich auf diesem Wege, dass es ihm gut geht. Denn wer Honig-Flakes mit Mangojoghurt verspeist, kann gar nicht unglücklich sein. Gleichzeitig machen sich auch kleine Sorgen breit: Was ist, wenn ich eine wahnsinnig wichtige EMail verpasst habe und damit eine Chance auf viel Geld, eine Karriere als Astronaut oder eine Kombination aus beidem? Wenn jemand etwas Unflätiges auf meine Facebook-Seite geschrieben hat, und ich habe es 40 Tage lang nicht gesehen und als die schmutzige Lüge geoutet, die es ist? Bevor ich mich in eine Art digitale Paranoia hineinsteigere und mein Gelübde ausgerechnet am letzten Tag breche, mache ich lieber einen Spaziergang. Denn es ist schwer, die letzten 24 Stunden auch noch durchzuhalten, wenn es eigentlich um nichts mehr geht. Wenn es nur noch eine Formsache zu sein scheint, denn ich habe mir ja schon bewiesen, dass ich den Verzicht schaffe. Was kann es schon schaden, jetzt schon die Bücher zu bestellen, die man mir während meiner Offlinephase empfohlen hat? Umso schneller sind sie doch da -was soll schon passieren? Einen Tag früher oder später wieder einsteigen, wo liegt der Unterschied? Ich bleibe dennoch hart -unter anderem, weil eine seltsame Hemmung sich in mir ausbreitet. So ganz wohl ist mir bei dem Gedanken, wieder in die digitale Realität zurückzukehren, nämlich nicht. Oder anders herum: Nach anfänglichen Schwierigkeiten, Entzugserscheinungen und Sinnkrisen gefällt mir mein derzeitiger Zustand eigentlich ganz gut. Wie schon bei meiner ersten Verlängerung vor etwa zehn Tagen, scheint es mir auch jetzt einfacher, offline zu bleiben, als das Netzwerkkabel wieder einzustöpseln und das Handy wieder einzuschalten. Ich denke ernsthaft drüber nach, noch ein weiteres Mal zu verlängern. Aber ich merke, dass auch zumindest bei einigen meiner Mitmenschen der berühmte Geduldsfaden langsam so straff gespannt ist wie eine Gitarrensaite -und ich nicht einschätzen kann, wie lange er noch hält. Da ist zum Beispiel einer meiner Auftraggeber, der drei Mal »vergessen« hatte, dass ich noch um anderthalb Wochen verlängert habe. Da er sonst zu den unvergesslichsten Menschen zählt, die ich kenne, ist sein Verhalten wohl eher als ein genervtes »Ist jetzt langsam auch mal gut mit deinem albernen Selbstversuch?« zu deuten. Was in dieser Form niemand sagt, aber mehrere zu denken scheinen. Auch Jessica schien die Nase gegen Ende irgendwann voll zu haben. Und ich kann es ihr nicht verdenken. Unterm Strich waren die vergangenen 40 Tage für meine Mitmenschen vermutlich anstrengender als für mich selbst. Den Rest des Tages feiere ich stillvergnügt vor mich hin: Einerseits den letzten Tag eines relativ paradiesischen Zustands -andererseits die Tatsache, dass genau dieser Zustand morgen wieder ein Ende hat. Ich höre zum ersten Mal seit Ewigkeiten Musik weder über meinen iPod noch über meinen Computer, sondern lege eine alte Beach-Boys-Schallplatte auf. Und statt mich zu ärgern, dass ich alle 20 Minuten zum Plattenspieler gehen muss, um sie umzudrehen, freue ich mich über das große Foto auf dem Cover, das ich vor zwei Jahrzehnten in meinem Kinderzimmer so intensiv studiert habe, als würde es alle Geheimnisse des Lebens enthalten. Ich lese sogar eine gute Stunde lang die weitschweifigen Essays in einem dieser großformatigen und zentnerschweren Bildbände, die ich sonst nur auf den Couchtisch lege, um Besuch zu beeindrucken.

Nachdem mein Spaziergang vorhin streng genommen kein Spaziergang war, sondern in guter alter Multi-TaskingManier ein etwas ausgedehnter Gang zum Altglascontainer, mache ich am Abend noch einen zweiten Spaziergang, diesmal einen richtigen: ohne jeden Sinn und Zweck, einzig und allein dem Müßiggang dienend. Anschließend schreibe ich meine vorerst letzte Postkarte gen Hamburg. Ab morgen wird wieder per SMS und E-Mail Süßholz geraspelt.

Zehn Phrasen, die in keiner Unterhaltung, keinem Zeitungsartikel und keinem Buch über das Internet fehlen dürfen

• »Googles Motto lautet >Don't Do Evil -Tu nichts Böses<. Aber was heißt das schon?«

• »In den USA nennt man den Blackberry ja seit Neuestem Crackberry.«

• »Aber worüber die jungen Leute nicht nachdenken: Dass irgendwann auch mal der Personalchef das Partytoto sieht, auf dem sie betrunken sind.«

• »In China bringen Sie sich inzwischen gegenseitig wegen besonders mächtiger Computerspielschwerter um.«

• »In >Second Life< ist auch nichts mehr los.«

• »Das Internet darf kein rechtsfreier Raum sein.«

• »Im letzten Jahr entstanden so viele Informationen im Internet wie in einem Bücherstapel stecken, der soundso oft von der Erde zum Mond reicht.«

• »Das Internet ist ja ursprünglich eine Militärtechnologie und hieß früher ARPANET.«

• »Das Internet vergisst nicht.«

• »Nur wie man im Internet damit Geld verdienen soll, weiß noch niemand.«

kapitel 7

In dem ich in die digitale Welt zurückkehre, innerhalb einiger Stunden fast 1000

E-Mails lösche und ungläubig auf das Display meines Mobiltelefons starre. Tag 41 War nie wirklich weg, hab mich nur versteckt

Die Stunde der Wahrheit ist gekommen. Ich schleiche um den Computer herum wie eine Katze um das Mauseloch, die zweite Tasse Kaffee wird in meiner Hand langsam kalt. Die erste habe ich noch in der bewährten Manier getrunken, dabei über den Lauf der Welt nachgedacht, ohne mich dabei ablenken zu lassen -oder es zumindest versucht. Doch jetzt muss es sein. Ich stecke das Netzwerkkabel in den Computer, starte das Mailprogramm und, wie es sich für einen guten Multitasker gehört, gleichzeitig den Browser. Noch während mein Mailprogramm die exakt 1024 Mails herunterlädt, die ich in meiner Abwesenheit bekommen habe, schalte . ich das Handy an. Da sich der Akku jedoch scheinbar vollkommen entleert hat, obwohl es ausgeschaltet war, muss ich zunächst das Ladekabel suchen, um es wieder an die Steckdose zu hängen.

Where Do You Want To Go Today?

In meinem Browser sehe ich zum ersten Mal seit Wochen die Seite von Spiegel Online, meiner zugegebenermaßen wahnsinnig langweiligen Startseite. Ich versuche die Meldungen zu überfliegen, wie ich es sonst oft getan habe, lese nur Überschrift und Vorspann, ohne auf die einzelnen Artikel zu klicken, aber irgendwie will nichts hängenbleiben. Tat es vielleicht sonst auch nie, aber heute fällt es mir zum ersten Mal auf. Eine seltsame Lähmung macht sich breit. Der Cursor in der Adresszeile blinkt langsam und gleichmäßig. Where do you want to go today? Wohin wollen Sie heute gehen, so lautete vor ein paar Jahren der Werbeslogan von Microsoft Windows. Ja, wohin will ich gehen? Ich fühle mich wie ein Steinzeitmensch, der einen amerikanischen Supermarkt betritt und sich zwischen 200 Sorten Frühstücksflocken entscheiden soll. Alles ist möglich -gleichzeitig ist nichts so wichtig, dass es unbedingt als allererstes angesteuert werden müsste. Ich entscheide mich für ein banales, aber dennoch relevantes Ziel und gehe auf die Seite meiner Bank. Gut, immerhin hat niemand meine digitale Abwesenheit genutzt, um mein Konto leerzuräumen oder mit meiner Kreditkarte Dinge bei eBay zu bestellen. Endlich sind auch die E-Mails vollständig eingetroffen. 1024. Ich muss gestehen, ich bin ein wenig enttäuscht. Ich habe nie wirklich gezählt, aber ich hätte geschätzt, an einem normalen Tag mindestens 100 zu bekommen. Das hätte bei einer 40-tägigen Abwesenheit immerhin das Vierfache ergeben müssen. Doch gerade als ich mich unbeliebt, einflusslos und volkswirtschaftlich nutzlos fühlen will, dämmert es mir: Von den 100 Mails, die ich an einem normalen Tag bekomme, sind natürlich neben all dem üblichen Spam und Newslettern die allermeisten Antworten. Antworten auf Antworten. Antworten auf Antworten auf weitergeleitete Antworten. Was am Morgen als unschuldigeMail mit dem Betreff »Interviewanfrage« beginnt, kann am Ende des Tages leicht so aussehen. »AW: AW: AW: FW: AW: AW: AW: FW: AW: AW: Interviewanfrage«. Dadurch, dass ich 40 Tage lang keine Mails mehr geschrieben habe, gab es natürlich auch . für niemanden mehr die Notwendigkeit, mir zu antworten. Ich bin beruhigt. Und gleichzeitig ein wenig beschämt. Jetzt war ich so lange abstinent und halte trotzdem noch die Anzahl von Mails, die jemand bekommt, für ein Statussymbol und Zeichen von Bedeutsamkeit.

Ein viel kapitalerer Tritt vors Schienbein meines Egos ist jedoch mein Mobiltelefon, das sich nach einer kurzen Ladezeit einschalten lässt. -Keine einzige SMS-Nachricht, die vibrierend ankommt und meinen Dopamin-Spiegel nach oben peitscht. Auch als ich nach einer halben Stunde noch einmal auf das Display gucke: nichts. Die Mailbox hatte ich abgestellt, dort können also keine Nachrichten warten -aber ich hätte doch mit der ein oder anderen SMS gerechnet. Insgeheim hatte ich sogar ein wenig gehofft, dass mich jemand, der von meinem Selbstversuch nichts wusste, per SMS kontaktieren würde. Wie würden solche Personen auf meine ausbleibende Antwort reagieren? Wie oft würden sie per SMS nachfragen? Würde mein ausdauerndes Schweigen sie in Raserei versetzen wie JDs Freundin, als sie ihn im Urlaub nicht erreichte? Würden sie irgendwann vor meiner Tür stehen -aus echter Sorge um mein Wohlbefinden oder zumindest, um mir unfassbare Arroganz vorzuwerfen? Oder wäre es den meisten vollkommen egal, wenn sie keine Antwort erhielten? Ein großes soziales Experiment hatte ich vor meinem geistigen Auge entworfen, das sich mir wie von selbst offenbaren würde, wenn ich mein Handy wieder einschaltete und eine Lawine von SMS mit zunehmendem Eskalationsgrad vorfinden würde. Doch nichts dergleichen passiert. Der SMS-Eingang bleibt leer. Irgendwann trifft eine Nachricht von Jessica ein: »Juhu! Du hast es geschafft!« So sehr ich mich freue, so sehr nagt es an mir, dass niemand sonst in den letzten 40 Tagengeschrieben hat. Da kommt mir mit einem Mal ein schrecklicher Verdacht. Endlich weiß ich auch, was ich mit den endlosen Möglichkeiten, die mir das Internet wieder bietet, anfangen soll. Eine kurze Google-Suche später weiß ich, dass SMSNachrichten je nach Netzbetreiber nur 24 oder 48 Stunden aufbewahrt werden. Wenn der Empfänger sein Telefon für längere Zeit ausgeschaltet hat und die Nachricht nicht zugestellt werden kann, wird sie einfach gelöscht. Hervorragend! Dieser Teil meines sozialen Experiments ist also grandios in die Hose gegangen. Ich überlege kurz, ob ich Jessica anrufen soll, um ihr mitzuteilen, dass ich mich gleich noch mal für 40 Tage aus der modemen Welt verabschiede. Dass ich jedoch diesmal das Handy nicht aus-, sondern nur auf lautlos schalte, bevor ich es wegschließe. Dann erinnere ich mich daran, wie freudlos das Leben als Single ist, wenn man nicht mehr 21 und Student ist, und begrabe den Gedanken an eine Wiederholung des Experiments ganz schnell und lautlos. Nachdem ich mich von meiner Enttäuschung über die vet~ lorenen SMS erholt habe, knöpfe ich mir den Mailbrocken vor, der in meinem Postfach schlummert. Ich habe es ja bereits befürchtet, so wie es fast jeder ahnt, der sich tagtäglich mit E-Mails herumschlägt: Der Bruchteil davon, der wirklich wichtig ist, ist ungefähr so groß wie der Anteil an fettarmen Gerichten auf der Karte eines FastfoodRestaurants. Sicher, es gibt immer irgendwo eine Tüte mit Apfdschnitzen oder einen Salat mit Putenbrust. Aber das meiste im Posteingang ist Schrott. Ich meine gar nicht· mal die klassischen SpamMails, von denen vorher die Rede war. Ich rede von den Newslettern, den Rundschreiben, den Infomails. Lufthansa, Airberlin und die Bahn halten mich über neue günstige Tarife auf dem Laufenden. Amazon unterrichtet mich über DVDs zum Schnäppchenpreis, eBay über seine »WOW!-Angebote«

und die Staatsoper Unter den Linden verrät mir, was im kommenden Monat gegeben wird, weil ich auch dort einmal so leichtsinnig war, meine Mailadresse zu hinterlassen. Löschen und ignorieren

Löschen, löschen, löschen. Über den Tag verteilt, können genau diese kleinen Hinweise auf Shopping-Gdegenheiten willkommene Unterbrechungen des tristen Arbeitsalltags sein. Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Terminator-DVDs Tag für Tag in deutschen Büros bestellt werden, weil der Chef einen Mitarbeiter kurz zuvor wieder herumgemuffelt hat. Wie viele »Romantische Städtetrips«

gebucht werden, weil der Newsletter genau am Montagnachmittag eintrifft, wenn man den Berufsverkehr satt hat und das Wochenende so unerreichbar weit weg scheint. Auf einem großen Haufen ausgekippt, merkt man jedoch, dass der Subtext der Mails so banal wie ähnlich ist: Unterbrich, was du gerade tust, komm auf unsere Web seite und gib uns all dein Geld!

Zu diesen allgemeinen Newslettern kommen noch spezielle berufliche, die jedoch auch nicht viel spannender sind. Bei mir sind es Neuigkeiten aus der Medienbranche und diverse Pressemitteilungen, bei einem Kieferchirurgen würden es vermutlich Neuigkeiten aus der Kieferforschung, Informationen über anstehende Kieferkongresse oder neue Bücher von Kieferfachverlagen sein. Meist sind das keine E-Mails, die einem den Tag retten, die man sich ausdruckt und einrahmt -aber sie gehören halt zum Job und machen ihn im Idealfall ein Stück einfacher. Nachdem ich all diese Mails gelöscht habe, die nicht mir persönlich gelten, sondern einer wie auch immer definierten Zielgruppe (zum Beispiel Bahnkunden, extrem unregelmäßige Opernbesucher oder Journalisten mit dem RessortSchwerpunkt »Flüssiges«), bleiben nicht einmal mehr 100 übrig. Zu meinen Favoriten unter den Standardmails gehören übrigens die, die mangelnde Aktivität auf der eigenen Webseite bemängeln:

»Du warst in letzter Zeit nicht auf Facebook -Freunde warten auf deine Nachricht«, schreibt mir zum Beispiel Facebook. »Wie populär bist und warst du in deiner Klasse?«, quengelt ein anderes Netzwerk, aus dem es mir trotz intensivster Bemühungen bisher nicht gelungen ist, mich abzumelden. Von den verbleibenden Mails, die Menschen an mich persönlich adressiert haben, hat sich ein Großteil wiederum schon von selbst erledigt. Die Einladung zu der Lesung, zu der ich einen Tag zu früh erschien. Freunde, die sich auf ein paar Getränke treffen wollten und dann anriefen, als sie merkten, dass mich ihre Mails nicht erreichen. Aber auch insgesamt drei Aufträge für Artikel, bei denen sich die jeweiligen Absender nicht die Mühe gemacht hatten, anzurufen, sondern vermutlich gedacht haben, ich sei übergeschnappt. Und einfach einen anderen Kerl beauftragten, der weniger kauzig war, seine Mails beantwortete und an sein Handy ging, wenn es klingelte. Sollte ich mich also entscheiden, dauerhaft offline zu gehen, müsste ich mir vermutlich binnen weniger Monate einen neuen Job suchen. Wenn auch keine erfreuliche, so doch zumindest eine sehr handfeste Erkenntnis meines Selbstversuchs. Vor dem Nachmachen also bitte die Risiken und Nebenwirkungen bedenken. Während ich mich durch den endlos erscheinenden Berg von Mails klicke, klingelt das Telefon: Mein Steuerberater ist dran und sagt, wir müssten ein paar Dinge zu meiner Ouartalsabrechnung besprechen. Verdammt, nie glaubt er mir, dass ich mir die elektrische Eierköpfmaschine und die Rückenmassiermatte für die Sessellehne ausschließlich zu beruflichen Recherchezwecken bestellt habe! Er fragt, ob es mir gerade passt, und entgegen meiner guten Vorsätze, nicht mehr ständig drei Dinge gleichzeitig zu machen, sage ich ja und lösche, während ich ihm zuhöre, munter weiter Newsletter mit Betreffzeilen wie: »Starten Sie jetzt in den oberösterreichischen Frühling!« Noch während wir über die Gründe diskutieren, warum mein großes Essay über das Eierköpfen schlussendlich doch nicht erscheinen konnte, klingelt mein Handy. Ein Interviewpartner, mit dem ich für nächste Woche verabredet bin, möchte den Termin verschieben. Ich bitte den Steuerberater dranzubleiben und lösche in dieser Sekunde ausgerechnet eine Mai!, die doch kein sinnloser Newsletter war. Während ich versuche, sie aus dem virtuellen Mülleimer zu bergen, öffne ich meinen Terminkalender und suche nach einem Alternativtermin. Ich bin gerade mal wieder einen halben Tag zurück unter den digital Lebenden, und mein Kopf brummt wie der von Frank Schirrmacher -würde dieser versuchen, in einer Achterbahn seinen Videorecorder zu programmieren. Keine Gnade tür Handball-Uwe

Irgendwann ist ein neuer Termin gefunden, meine Steuererklärung sauber wie frisch gefallener Schnee, und mir bleibt nichts anderes übrig, als ungläubig den Kopf zu schütteln. Vor sechs Wochen hätte ich mir während dieses Doppelgesprächs noch ein Spiegelei gebraten und auf Twitter live davon berichtet -heute bringt es mich an den Rand des Nervenzusammenbruchs. Eine Anekdote, mit der Professoren auf der ganzen Welt ihre Erstsemester zum hingerissenen Staunen bringen, ist die Geschichte von den Gehirnen der Londoner Taxifahrer. In diesen wurde nämlich ein deutlich vergrößerter Hippocampus gemessen, der Teil, der für räumliches Denken und Orientierung verantwortlich ist. Wenn es einen Teil im Gehirn gibt, der für das schnellere Verarbeiten größerer Informationsmengen zuständig ist, muss er bei mir in den vergangenen sechs Wochen auf Erbsengröße geschrumpft sein.

Meine Rückkehr zu Facebook fällt verhältnismäßig unspektakulär aus. Meine Freunde haben sich nicht heimlich in einem virtuellen Raum versammelt und rufen: »Überraschung!«, in dem Moment, in dem ich ihn betrete. Vereinzelt gibt es einen Kommentar: »Oh! Du bist wieder online«, aber den meisten ist vermutlich nicht einmal aufgefallen, dass ich weg war. Was ich durchaus angenehm finde. Auch hier haben sich eine ganze Reihe von Nachrichten angesammelt: Einladungen, Mitglied in der Gruppe »Die Todesmutigen Kettenbriefunterbrecher« oder »Ich schmeiß auch nach 20.00 Uhr Altglas ein!« zu werden. Einladungen zu Veranstaltungen -und natürlich Freundschaftsanfragen. Früher habe ich diese grundsätzlich positiv beantwortet, es sei denn, es handelte sich um eine Verwechslung und ich kannte die betreffende Person überhaupt nicht. Zu groß war meine Angst, als arroganter Mistkerl zu gelten, der nur anruft, wenn er Umzugshelfer oder ein knackiges Zitat für einen Magazinartikel braucht, sich aber ein Jahr später zu fein für eine Internetfreundschaft ist. So klickte ich freundlich auf »bestätigen« -.wohlwissend, was dies unterm Strich bedeuten würde: gar nichts. Doch seit meinem Gespräch mit Robin Dunbar, dem Mann, der die 150 als magische Grenze unserer sozialen Beziehungen erkannt hat, bin ich vorsichtig geworden. Die Grenze sei fix und unumgehbar in unsere Gehirne implementiert, hatte er mir versichert. Würde ich also in dem Augenblick, in dem ich jemanden als Freund bestätigte, mit dem ich zwar auf der Schule war, aber nie auch nur ein Wort geredet hatte, einen anderen, echten Freund an den Rand des Zirkels drängen? Würde plötzlich HandballUwe, an den ich seit fast 20 Jahren nicht mehr gedacht hatte, mit seinen täglichen Updates die Aufmerksamkeit verbrauchen, die eigentlich einem gegenwärtigen Freund zustand? Ich will kein Risiko eingehen und beschließe deshalb, meinem inneren Türsteher eine etwas strengere Auswahlpolitik zu verordnen.

Es fühlt sich trotzdem albern und arrogant an, auf »Ignorieren« zu klicken. Ungefähr so, als würde einen im Supermarkt jemand mit Namen ansprechen und man täte trotzdem so, als hätte man es nicht gehört. Weiter die Etiketten Senfgläser studieren und schließlich mit leerem Blick und Schulterzucken zur Kasse gehen. Vertracktes Internet! Die letzten sechs Wochen waren sicher auch nicht immer ein Spaziergang, aber immerhin frei von solch moralischen Dilemmata.

Tag 45 Was vom Selbstversuch übrig blieb

Inzwischen bin ich seit einer halben Woche online und habe mich wieder einigermaßen akklimatisiert: Mein Puls fängt nicht mehr an zu rasen, wenn mein Telefon klingelt, während ich auf dem Handy bereits spreche. Ich habe den »Rückstand« von unbearbeiteten Mails, Facebook-Nachrichten und Google-Recherchen, die ich mir in den letzten Wochen auf einen Block gekritzelt hatte, aufgeholt und gehe wieder meinen tagtäglichen Verrichtungen nach. Trotzdem ist längst nicht alles wieder genauso wie vorher -zum Glück!

Zum einen fliehe ich immer mal wieder für einen halben Tag in die Bibliothek. Die Stille dort erinnert mich an die Tage, an denen ich diese Ruhe auch zuhause ständig hatte auch wenn ich es nicht immer schätzte, sondern gerade anfangs oft genug verflucht habe. Mein Arbeitspensum in den Offline-Wochen war phänomenal-:-vor allem insofern, als ich wesentlich mehr erledigt bekam als vorher, aber gleichzeitig nicht das Gefühl hatte, mehr zu arbeiten. Ein bisschen was von dieser wundersamen Effizienzsteigerung versuche ich, durch die Bibliotheksbesuche in meinen neuen alten Online-Alltag hinüberzuretten. Vielleicht fehlt mir aber auch nur der Bibliotheksmief. Und ewig klickt die Maus

Zum anderen merke ich, wie sich manche Freundschaften in den Wochen meiner Netzlosigkeit qualitativ verbessert ha" ben. Mit David, mit dem ich sonst meist nur die ein oder andere kurzeMail oder SMS austausche, spreche ich derzeit viel häufiger -sei es am Telefon oder bei einem unserer ebenfalls häufigeren Treffen. Als er heute anrief, ertappte ich mich allerdings dabei, wie ich nach ungefähr fünf Minuten Geplauder bereits ungeduldig wurde. Wieder zurück an meinen Computer wollte, um die EMail weiterzuschreiben, die ich vorher angefangen hatte. Die aber nebenbei bemerkt, weder besonders wichtig noch besonders eilig war. Auch als ich abends mit meinem Vater telefoniere, erleide ich einen schlimmen Rückfall in eine Krankheit, die ich während meines Selbstversuchs überwunden hatte. »Uh-hm«, sage ich, während er mir von seiner Woche erzählt. »Aha«, streue ich immer mal wieder ein, während ich mich ziellos durch meine Mailordner, durch eBay-Angebote und OnlineNachrichten klicke. Es ist nicht so, dass ich nicht zuhöre, es ist eher so, dass ich Angst habe, meine Augen könnten sich langweilen, wenn nur meine Ohren mit dem Gespräch beschäftigt sind. Es ist keine wirklich gute Angewohnheit, und mein Vater hat vermutlich einfach nur zu gute Manieren, um mich auf meine schlechten hinzuweisen. Denn ich selbst hasse es, wenn ich merke, dass mein Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung in regelmäßigen Abständen mit der Maus klickt. Oder gar heimlich und möglichst leise tippt. Alle Menschen, die ich kenne, hassen das -und trotzdem tun es fast genauso viele Menschen selbst. Vor kurzem hat das berühmte Forschungszentrum MIT in Boston eine Technik entwickelt, mit der man nur anhand der Stimme analysieren kann, wie aufmerksam jemand am Telefon der Unterhaltung folgt. »Jerk-O-Meter«, also Idiotometer, hat der erfreulich humorvolle Entwickler Anmol Madan seine Analysesoftware genannt, die jedem geistig Abwesenden sofort auf die Schliche kommt. Tonlose Stimme, zu lange Pausen vor Antworten, zu viel nichtssagendes Zustimmungsgebrumme -zack!

Schon ist man als rücksichtsloser Rüpel enttarnt, der nebenher E-Mails schreibt, den Sportteil liest oder ohne Ton »Germany's Next Topmodel« guckt. Bislang gibt es die Software nur im wissenschaftlichen Testbetrieb -und es ist vermutlich aus ethischen Gründen nur möglich, seine eigene Stimme zu analysieren, nicht heimlich die des Gesprächspartners. Doch wenn es das »Jerk-O-Meter« irgendwann als herunterladbare App für jedes bessere Telefon geben sollte -dann Gnade mir Gott!

Tag 55 Zurück im Online-Alltag

Jessica hat ihren Job in Hamburg beendet, und wir sind wieder gemeinsam in Berlin. Eine der größeren Veränderungen, die ihr auffällt: »Wie oft das Festnetztelefon inzwischen klingelt! «

»Nervt es dich?«, frage ich sie. Denn mir ist es gar nicht richtig aufgefallen, dass auch nach dem Ende meines Selbstversuchs viele Leute, die sich früher nur per Handy oder E-Mail gemeldet haben, einfach weiterhin dort anrufen.

»Nein, gar nicht«, sagt sie. »Ich find's schön. Es zeigt, dass jemand gerade an uns denkt.«

Es ist jetzt zwei Wochen her, dass ich meinen Selbstversuch beendet habe. In vielen Dingen bin ich erschreckend schnell wieder in alte Gewohnheiten zurückgefallen: Wenn ich am Computer sitze, springe ich wieder mit CTRL-TAB zwischen den einzelnen Fenstern hin und her, ohne jedes Mal genau sagen zu können, warum eigentlich. Ein bissehen so, als wollte ich nachsehen, ob noch alle da sind. Wenn ich mit jemandem länger telefoniere, kann ich immer noch nicht die Finger von Maus und Tastatur lassen. Und immer noch muss ich mich, nachdem ich mich eine Stunde von Googlesuche zu Googlesuche und von Link zu Link gehangelt habe, daran erinnern, dass ich das, was ich ursprünglich gesucht, schon vor 55 Minuten gefunden hatte -und alles, was danach kam, nur noch in die Kategorie »Ach, das ist aber auch ganz interessant« fällt.

Ich finde das aber im Grunde gar nicht so schlimm. Immerhin ist es mir durch den Selbstversuch zum ersten Mal seit Langem wieder so richtig bewusst geworden. Ein wenig erinnert es mich daran, wie ich vor Jahren nach einer Woche des Heilfastens plötzlich mehr darüber nachdachte, wann, wie viel und vor allem was ich aß. Ich hatte nicht nur den Eindruck, plötzlich intensiver und differenzierter schmecken zu können, sondern auch weniger Lust auf ungesundes Fast Food und dafür größeren Appetit auf Obst und Gemüse. Lange hielt der Effekt jedoch nicht an, schätzungsweise nach einem Monat schaufelte ich wieder Gyrosteller oder Leberkäse in mich hinein, als wäre nie etwas gewesen. Als ich ein Jahr später erneut eine Heilfastenwoche plante, kündigten plötzlich mehrere meiner damaligen Kollegen an, in dieser Zeit Urlaub einreichen zu wollen. Auf meine Frage, ob ein Zusammenhang zu meiner Tee-undSaft-Askese bestünde, erfuhr ich etwas, das ich selbst nicht für möglich gehalten hätte: »Du warst noch nie so schlecht gelaunt wie in dieser Woche«, rückte ein Kollege irgendwann mit der Sprache heraus. Ich hatte zwar gelesen, dass manche Menschen während des Fastens dünnhäutiger und gereizter waren, hatte aber den Eindruck gehabt, davon vollkommen verschont geblieben zu sein, und sah mich selbst trotz leerem Magen als gutgelaunter Sonnenschein durchs Leben springen. Die anderen hatten offenbar eine andere Erfahrung gemacht. Auch bei meinem digitalen Selbstversuch habe ich gemerkt, wie manchmal Selbstwahrnehmung und Realität auseinanderklaffen. So war ich zum Beispiel der festen Überzeugung, dass meine Entschleunigung gar nicht ausschließlich von meiner Internet-Abstinenz herrührte. Es war schließlich Winter, ganz Deutschland lag unter einer dicken Schneedecke -das Leben ging einfach insgesamt gerade langsamer. Das machte ich mir zumindest weis. »Sag mal, spinnst du?«, entgegnete mir David, als ich ihn ungefähr zur Hälfte meines Selbstversuchs mit dieser Einschätzung konfrontiert hatte. »Über Weihnachten und Silvester war ein wenig Ruhe -aber am 2. Januar ging es überall schon wieder mit Volldampf los.« Die Ruhe und Konzentration, das Gefühl, »endlich mal Zeit zu finden«, das ich zumindest zu 50 Prozent auf eine Art Winterschlaf der Menschheit geschoben hatte, war bei mir also doch ausschließlich dem Ziehen des Online-Steckers zu verdanken gewesen.

Warum machst du das?

»Papa ... Wie sind die Menschen eigentlich ins Internet gekommen, bevor es Computer gab?« Diese Frage eines Kindes kursiert seit einiger Zeit in Internetforen, wird per Mail weitererzählt oder beim abendlichen Palaver über den Stand der virtuellen Dinge. Dabei ist unklar, ob jemals wirklich ein real existierendes Kind diese Frage gestellt hat -oder ob es sich eher um einen gerne weitererzählten Mythos handelt, ähnlich dem der Großstadtkinder, die eben nur angeblich zum lilafarbenen Filzstift grei-fen, wenn sie echte Kühe malen sollen.29 Doch egal ob ein Kind wirklich einmal diese Frage gestellt hat, sie zeigt, wie selbstverständlich und allgegenwärtig das Internet inzwischen geworden ist. Mich selbst bringt eine ganz andere Kinderfrage ins Grübeln: »Wieso machst du das?«, fragte mich Lena, die fünf jährige Tochter eines befreundeten Paares eines Tages, als ich ihren Eltern beim Kaffeetrinken von meinem gerade noch laufenden Selbstversuch berichtete. Die Frage war gut und mit dem kurzen »Weil ich ein Buch darüber schreibe«, mit dem ich mich aus der Affäre zog, natürlich längst nicht beantwortet. Zum Glück gab sich Lena in diesem Moment damit zufrieden und wandte sich wieder dem Berg an Teebeuteln zu, die nach Sorten zu sortieren sie sich zu ihrer Aufgabe gemacht hatte.

Doch die Frage blieb spannend. Natürlich war da ein Buch, das geschrieben werden wollte; Ebenso wie der banale Wunsch, mir einfach zu beweisen, dass ich es schaffen würde, eine Zeitlang auf all die Technik zu verzichten, die angeblich mein Leben bestimmte. Aber natürlich war da mehr. Es war der Wunsch, zu erkennen, was von all den Vernetzungsmöglichkeiten und Kommunikationsangeboten wirklich wichtig und ein Gewinn war und worauf ich gut verzichten konnte. Wie und ob es mich verändern würde, wie meine Umwelt reagieren würde. Ein Stück weit war mein Selbstversuch sicher auch der sentimentale Versuch einer Rückkehr in jene »gute alte Zeit«, in der ich am Nachmittag auf mein Fahrrad stieg und zur Tischtennisplatte im Park fuhr, weil einfach immer jemand da war, der mitspielen würde. In der man sich mit einer Gitarre und einer Kiste Bier um ein Lagerfeuer setzte und noch niemand wusste, was SMS und Chats und Tweets und Facebook überhaupt waren. Geschweige denn, wofür man sie brauchen sollte. Doch natürlich konnte diese Rückkehr nicht mehr gelingen oder eben nur zeitweise. Zum Glück. Denn nicht nur bin ich keine 14 mehr -und selbst wenn ich es wäre, würde ich heute statt an der Tischtennisplatte zu stehen mit meinen Freunden vor einem Bildschirm sitzen und »Grand Theft Auto« spielen -oder Chatroulette. Tag 58 Der geschenkte Offline-Samstag

Auch wenn ich in vielen Dingen schnell wieder in alte Gewohnheiten zurückgefallen bin -es gibt auch Dinge, die ich aus den 40 Offline-Tagen mitgenommen habe und dauerhaft beibehalten will. So schalte ich beispielsweise nicht mehr als erstes jeden Morgen den Computer ein und lasse mich von der ersten Welle der Mails, RSS-Nachrichten und anderen Meldungen wegspülen. Stattdessen frage ich mich selbst, was ich heute zu tun habe, was die wichtigsten Dinge sind, die ich erledigen muss oder möchte, wo meine Prioritäten für den heutigen Tag liegen. Erst wenn ich einen Teil davon erledigt habe, checke und beantworte ich meine E-Mails -danach wird das Mailprogramm wieder ge29 Auch wenn die Geschichte mit den realitätsfremden Großstadtkindern, die durch die Fernsehwerbung denken, Kühe seien lila, unsere Vorurteile wunderbar bestätigt: Leider konnten wir sie in mehreren Studien nicht bestätigen«, erklärt Natursoziologe Rainer Braemer von der Uni Marburg. Auch wenn manche Kinder beim Kühemalen die Farbe lila wählten, so sei das eben Spaß und Fantasie -dass echte Kühe nicht lila sind, wissen spätestens nach dem Kindergarten alle, denn Kinder .. können sehr gut zwischen Werbewelt und Realität unterscheiden«, so der Experte.

schlossen und weitergearbeitet. Im Grunde nur eine vergleichsweise kleine Verhaltensumstellung, die jedoch gewaltige positive Auswirkungen hat.

Eine andere Veränderung, die von meinem Experiment übrig geblieben ist, ist der »Online-Sabbat«. Ich versuche, einen Tag pro Woche so zu verbringen, wie ich die 40 Tage verbracht habe: ohne Internet und Handy. Ich gebe zu, ich bin an diesen Samstageri nicht ganz so strikt wie während meines Selbstversuchs, das Handy ist meist nur auf lautlos geschaltet, und wenn ich etwas ganz dringend im Internet nachsehen muss, schalte ich den Computer für einen Moment an. Aber danach eben auch wieder sofort aus. Kein zielloses Surfen, kein virtuelles Geplauder, kein Stöbern in OnIine-Shops oder auf Nachrichtenportalen. Das bedeutet aber auch: keine Versuchung, am Wochenende ein wenig zu arbeiten, doch noch schnell etwas für den Artikel zu recherchieren, an dem ich gerade arbeite, oder drei Mails zu beantworten, die ich am Freitag nicht mehr geschafft habe. Das hat keinerlei religiöse Gründe, sondern fühlt sich einfach gut an, wenn sich wenigstens an einem Tag die Sphären von Beruf und Privatleben, von Arbeit und Freizeit einmal nicht mischen.

Und was man stattdessen alles tun kann! Heute ist zum Beispiel ein solcher Samstag. Wenn ich früher ein wenig vor Jessica aufwachte, verbrachte ich die Stunde, bis sie aus dem Schlafzimmer kam, meist im Pyjama und mit einer Tasse Kaffee am Computer. Manchmal, weil dort wirklich noch etwas zu erledigen war, oft genug aber auch einfach, um die Zeit totzuschlagen. Als sie jedoch heute mit verwuscheltem Haar und verschlafenen Augen aus dem Bett steigt, riecht die ganze Wohnung bereits nach Fischsuppe.

»Muss ich mir Sorgen um deine geistige Gesundheit machen?«, fragt sie und versucht festzustellen, ob das alles nur ein besonders bizarrer und gleichzeitig extrem realistischer Traum ist.

»Nein, alles in Ordnung«, beruhige ich sie. »Heute ist nur mal wieder ein Offline-Tag.«

Sie geht ins Badezimmer, und ich rühre glücklich die Fischsuppe um, bevor ich einen frischen Kaffee aufsetze und die Musik ein wenig lauterdrehe. Plötzlich fällt mir der Rabbi Ehrenberg ein und was er mir über den Sabbat gesagt hat: Dass man ihn nicht als lästige Pflicht begreifen sollte, sondern als Geschenk.

Ich weiß jetzt, was er gemeint hat.

Zehn nutzlose E-Mail-Betreffzeilen -die nicht erkennen lassen, worum es geht

• »???«

• »Zwei Sachen«

• »Dringend!«

• »Sehr SEHR dringend!!!!!!«

• »Nur mal kurz geklärt«

• »Zwischenstand«

• »Hilfe, bitte!«

• »Kleine Anmerkung«

• »Hallöchen!«

• »Termin«

Und zehn E-Mail-Betreffzeilen -die immerhin sofort erkennen lassen, dass es sich um Spam handelt:

• »Geehrte Kunden und Kundinnen von Deutsche Bank«

• »Kein Scherz! Sie haben gewonnen!«

• »Nie wieder wird eine Frau Sie auslachen!«

• »Abnehmen ohne Hunger -ganz einfach!«

• »Mein lieber Herr Freund«

• »Greife das Link!«

• »Blaues Wunder, dann klappts auch mit der Nachbarin«

• »Wie Sie klüger aussehen und schnell reich werden«

• »Hier, das hat meinem Kumpel geholfen«

• »Auch McDonald's-Angestellte können wie Oligarchen aussehen!«

kapitel 8

In dem ich Wege; Tricks und Denkanstöße vorstelle, die helfen können, entspannter zu kommunizieren, konzentrierter zu arbeiten und ein angenehmeres Leben zu führen. (Achtung, wie bei Haartönungen und der Angabe von Spritverbrauch in der Autowerbung gilt auch hier: individuelle Ergebnisse können variieren.)

Bevor Sie weiterlesen, checken Sie bitte noch ein letztes Mal Ihre Mails -ja, auch noch die Zweit-Adresse und die ganz alte, die Sie nur noch so selten benutzen, weil Ihnen der Name, den sie sich damals ausgesucht haben (flori3000@ ... oder miss_boombastic@ ... ), heute peinlich ist. Verschicken Sie noch diese eine SMS wegen Ihrer Wochenendverabredung, die Sie schon seit heute Morgen im Kopf haben. Googeln Sie die Telefonnummer für den Zahnarzttermin und gucken Sie in den Bundesligaticker. Tätigen Sie die Online-Überweisung, die dringend ansteht, und geben Sie dem eBay-Verkäufer, der Ihnen pünktlich diesen tollen Retro-Lampenschirm geschickt hat, seine positive Bewertung. Alles erledigt, alle potentiellen Ablenkungen abgestellt und abgehakt? Super, dann kann es ja losgehen.

Ich halte nicht allzu viel davon, Menschen zu sagen, was sie zu tun und wie sie zu leben haben. Wer zu viele Ratschläge gibt und zu sehr an deren Gültigkeit glaubt, fängt irgendwann an, Vorschriften zu machen. Als nächstes beginnt er, nur noch weiße Kleidung zu tragen und Menschen auf einer abgelegenen Farm um sich zu scharen, die Lieder über ihn singen -und irgendwann muss die Polizei kommen. Der zweite Grund, warum ich Ratschlägen und damit auch Ratgeberbüchem skeptisch gegenüberstehe, ist die Tatsache, dass wir Menschen doch viel zu verschieden sind und uns mit Problemen herumschlagen, die allesamt gravierend und bedeutend und wichtig sind -aber eben auch immer komplett unterschiedlich.

Ich habe trotzdem versucht, einige Dinge aufzuschreiben, von denen ich glaube, dass sie uns helfen könnten, uns in der wundervollen modemen Welt etwas weniger gestresst zu fühlen. Die es erlauben, die Möglichkeiten, die uns Internet und Handy bieten, freudig zu umarmen -uns aber gleichzeitig nicht von ihnen verrückt und unzufrieden machen zu lassen. Es liegt in der Natur der Sache, dass dabei für den Einzelnen vermutlich nur ein Teil der Ideen und Ratschläge richtig ist und funktioniert. Das Verzwickte daran: Es wird für jeden ein anderer Teil sein. Jemand, der in seinem Beruf feste Arbeitszeiten hat, fühlt sich auf andere Art und von ganz anderen Dingen gestresst als jemand, dessen Arbeitszeiten flexibel sind. Jemand mit Kindern im schulpflichtigen Alter denkt vermutlich anders über Facebook als jemand, der selbst noch zur Schule geht. Wie Douglas Adams schreibt: Jemand, der über 30 ist, hält andere Dinge für selbstverständlich oder eine Bedrohung als jemand unter 30. Deshalb mein Vorschlag: Probieren Sie aus, was für Sie funktioniert. Hinterfragen Sie Ihre Kommunikationsgewohnheiten, und wenn Sie mit allem genau so zufrieden sind, wie es im Moment ist -lassen Sie es so. Aber wenn Sie an manchen Stellen das Gefühl haben, unzufriedener, gehetzter oder unfreier zu sein als vor einigen Jahren -versuchen Sie, mal ein paar Kleinigkeiten zu ändern. Zuhause

Das Internet muss sich auch mal ausruhen: Legen Sie für sich selbst feste Zeiten fest, zu denen Sie online sein wollen -vor allem aber definieren Sie umgekehrt auch feste Offline-Zeiten. So wäre es zum Beispiel möglich, zwischen acht Uhr abends und acht Uhr morgens nur in extrem dringenden Fällen online zu gehen -und zu diesen Notfällen zählen nicht die Mai! an die Lohnbuchhaltung oder das Googeln des Pausenhof-Erzfeindes aus der Grundschule. Sollten Sie ernsthafte Schwierigkeiten haben, diesen Vorsatz einzuhalten: Bei den meisten Betriebssystemen lässt sich eine regelmäßige Uhrzeit festlegen, zu der der Computer abends herunterfahren soll oder die Internetverbindung getrennt wird. Haben Sie Vertrauen -das Internet wird morgen früh auch noch da sein, noch bunter und weitläufiger als zuvor.

Sonntags gehört Papa mir: Ziehen Sie in Erwägung, einen komplett internetfreien und -falls möglich -handylosen Tag pro Woche einzulegen. Sie müssen weder Sabbatkerzen anzünden noch die gewonnene Zeit zu einem Kirchgang nutzen -tun Sie einfach etwas, worauf Sie Lust haben und wozu Sie in der Hetze der Werkwoche einfach nicht kommen. (Nein, damit ist nicht gemeint, ein neues Virenschutzprogramm zu installieren oder die digitale Fotosammlung zu ordnen.) Verbringen Sie Zeit mit der Familie oder mit Freunden. Legen Sie sich mit einem Buch in die Badewanne oder lassen Sie einen Drachen steigen. Holen Sie die alte Gitarre vom Dachboden oder suchen Sie sich eine Freizeitmannschaft in Ihrer Lieblingssportart. Singen Sie, besuchen Sie einen Streichelzoo oder basteln Sie eine Arche aus Streichhölzern. Aber was auch immer Sie tun: Berichten Sie frühestens am Montag auf Facebook, Google Buzz oder Twitter davon. Es wird beachtet, was um den Tisch sitzt: Vereinbaren Sie mit Ihrem Partner oder Ihrer Familie, dass bei gemeinsamen Mahlzeiten keine Mobiltelefone, Blackberrys oder andere mobile Geräte mit an den Tisch gebracht werden. Durch immer unterschiedlichere Tagesabläufe und Arbeitszeiten, aber auch durch individualisierte Mediennutzung wird die gemeinsam verbrachte Zeit ohnehin immer kostbarer -die meisten modernen Familien sind schon froh, wenn es eine Mahlzeit pro Tag gibt, bei der alle gleichzeitig um den gleichen Tisch versammelt sind. Einigen Sie sich auch darauf, das Festnetztelefon klingeln zu lassen, wenn jemand während genau dieser Zeit anrufen sollte. Es ist dabei von Vorteil, wenn Sie keinen Anrufbeantworter besitzen, der auf lautes Mithören eingestellt ist. Denn sonst kann es passieren, dass die ganze Familie mit anhören muss, wie sich ein junger Verehrer der Tochter um Kopf und Kragen stammelt -oder der Scheidungsanwalt um einen Rückruf bittet, von dem die Eltern natürlich noch niemandem etwas erzählt haben.

Technikfreies Schlafzimmer: Dass ein Fernseher im Schlafzimmer schlecht für das Sexualleben und damit oft für die gesamte Beziehung ist, hat sich inzwischen herumgesprochen -dass dasselbe auch für Smartphones gilt, scheinbar nicht. Denn von den über 1000 Nutzern sozialer Netzwerke, die im Rahmen einer Studie befragt wurden, gab rund die Hälfte an, ihre Neuigkeiten beispielsweise bei Facebook oder Twitter auch abends im Bett oder morgens direkt nach dem Aufstehen zu lesen. Dabei sollte doch das Letzte, was man abends sieht, und das Erste, worauf man morgens seine Aufmerksamkeit richtet, kein kleines LCD-Display sein, sondern der Mensch, mit dem man das Bett teilt. Und der trotzdem bei einem bleibt, auch wenn man als Ersatz für den Handywecker, den man bisher immer gestellt hat, einen von diesen Weckern kauft, der beim Klingeln unters Bett rollt oder als kleiner Plastikhubschrauber abhebt, damit man auch wirklich aus dem Bett kommt.

Nutzen Sie technische Hilfsmittel: Wenn Sie sich regelmäßig bei Internetrecherchen verzetteln, die eigentlich nur eine kurze Zeitspanne in Anspruch nehmen sollten, stellen Sie sich einen Küchenwecker. So verbringen Sie wirklich nur die Zeit damit, das ideale Apfelkuchenrezept oder ein Geschenk für Ihren Chef im Netz zu finden, die Sie auch wirklich damit verbringen wollen. Wenn Sie hingegen das Gefühl haben, generell zu viel Zeit auf für Sie im Grunde irrelevanten Seiten zu vertrödeln, und Sie es mögen, sich selbst ins Gewissen zu reden -dann überlisten Sie Hi-Tech mit Hi-Tech: Spezielle kostenlose Programme lassen sich so einstellen, dass beispielsweise alle 30 Minuten ein Pop-UpFenster erscheint, das Sie mit einer Frage konfrontiert, die Sie vorher selbst formuliert haben. Zum Beispiel: »Ist es das, womit ich meine Zeit verbringen will?«, »Tue ich gerade etwas Sinnvolles?«

oder »Genug Farmville gespielt, leicht in Versuchung zu führender Nichtsnutz -zurück an die Arbeit!«

Freiwillige Fremdkontrolle: Sollten Sie sich regelmäßig auf Webseiten wiederfinden, die Sie nur heimlich und ohne das Wissen ihres Partners oder Ihrer Familie besuchen wie zum Beispiel Pornographie oder Glücksspiel -, stellen Sie den Computer an einen zentralen, gut einsehbaren Ort in der Wohnung. Diese Form von sozialer Kontrolle kann gleichzeitig das Einhalten selbst festgelegter Offlinezeiten erleichtern. Sollten Sie merken, dass Sie Ihren Partner oder Ihre Familie belügen, um heimlich online sein zu können (mit dem Laptop im Keller, in Online-Cafes o.ä.), ziehen Sie in Erwägung, eine psychologische Beratungsstelle aufzusuchen. Wenn es sich um die heimliche Buchung eines Überraschungsausflugs dreht oder um ein kurzes Scannen der Bundesligaergebnisse, während die Schwiegereltern zu Besuch sind, ist natürlich noch keine Sorge angebracht. Im Job

Prioritäten setzen, nicht setzen lassen: Gewöhnen Sie sich vor allem an, Ihren Arbeitstag nicht mit dem Abrufen von Mails zu beginnen. Sie geraten sonst von der ersten Minute an in die unangenehme und defensive Position des reinen Reagierens, Abarbeitens, Wegbeantwortens. Verbringen Sie stattdessen erst ein oder zwei Stunden mit einer Aufgabe, die an diesem Tag für Sie wirklich wichtig und relevant ist -sei es ein Text, der bald fertigwerden muss, oder eine grundlegende Recherche, die für alle weiteren Schritte erforderlich ist. Erst wenn Sie einen Teil dessen erledigt haben, schauen Sie in Ihre E-Mail-Inbox und beschäftigen sich mit dem, was alle anderen von Ihnen wollen. Dienst ist Dienst: Auch wenn es zunächst nach mehr Logistik und Kommunikationsaufwand klingt

-schaffen Sie sich selbst ein »Diensthandy« an, wenn Sie beruflich häufig mobil angerufen werden und Ihnen (zum Beispiel als Freiberufler) kein Arbeitgeber ein Mobiltelefon stellt. Die Tarife sind inzwischen so günstig, dass die zusätzlichen Kosten kaum ins Gewicht fallen, wenn Sie sich für ein einfaches Gerät entscheiden. Trennen Sie daraufhin rigoros zwischen den beiden Telefonen -die Privatnummer erhalten nur wenige Menschen aus dem direkten privaten Umfeld, die berufliche alle anderen. (In den meisten Fällen ist es sinnvoller, die bisherige Nummer als berufliche Nummer weiterzuverwenden und die Nummer des neuen Handys als Privatnummer an eine Handvoll Menschen weiterzugeben, die Ihnen am Herzen liegen. Lassen Sie sich von ein paar spitzzüngigen Mitmenschen ruhig als »Pseudopromi mit Geheimnummer« verspotten -es sind dieselben, die Anfang der neunziger Jahre über Handybesitzer gelästert haben. Wenn Sie in einem amtsähnlichen Büro mit Telefonnebenstelle und Stechuhr arbeiten und auf ihrem Mobiltelefon ohnehin ausschließlich private Anrufe von Onkel Willi und den frechen Zwillingen eingehen, können Sie auf das Zweittelefon natürlich verzichten. Aber seien Sie gewahr, dass Sie zu einer aussterbenden Zunft gehören. Und Schnaps ist Schnaps: Legen Sie Kernarbeits-und damit Kommunikationszeiten für sich fest und halten Sie sich daran -auch wenn Sie von Zuhause oder unterwegs arbeiten. Lassen Sie die Menschen, mit denen Sie beruflich zu tun haben, wissen, wann Sie erreichbar sind und wann eben nicht. Beinahe logisch: Schalten Sie das berufliche Telefon außerhalb Ihrer Kommunikationszeiten aus oder auf lautlos. Bald wird es hoffentlich möglich sein, von einem Gerät aus zwei Nummern zu verwalten und die »Dienstnummer« zeitweise zu deaktivieren -oder dies zum Beispiel am Wochenende vom Gerät automatisch erledigen zu lassen. Anrufe bei der Dienstnummer könnte man dann zwischen Freitag 18 und Montag 8 Uhr automatisch auf die Mailbox umleiten lassen. Eilig ist es erst, wenn ich es sage: Lassen Sie sich nicht zu einer sofortigen Reaktion auf eine EMail zwingen, egal wie viele Ausrufezeichen jemand in seinen Text setzt oder ob er die Prioritätsstufe auf »extrem sehr superhoch« einstellt. Schlechtes Zeitmanagement und miserable Planung auf der anderen Seite müssen sich nicht sofort in einem akuten Notfall für Sie niederschlagen. Lernen Sie, geschäftige Formulierungen wie »ASAP« (as soon as possible, also so schnell wie möglich) oder

»sofort beantworten!!!!« als Zeichen mangelhafter Organisation des Absenders zu lesen und nicht als in Stein gemeißeltes Gesetz. Stellen Sie, wenn möglich, Ihr eigenes Mailprogramm so ein, dass es nicht anzeigt, ob Mails mit der »Priorität hoch« oder »normal« oder sonst wie versendet wurden. Wie hoch die Priorität einer Mail für Sie als Empfänger ist, legen Sie immer noch selbst fest. Wenn Ihr Beruf eine wirklich ständige Erreichbarkeit in Notfällen verlangt, haben Sie in der Hälfte der Fälle sowieso einen Krankenhaus-oder Feuerwehr-Beeper. Falls nicht, erklären Sie Ihren beruflichen Kontakten, dass sie, statt eine »Priorität hoch, Achtung eilig!«-Mail zu schreiben, lieber direkt bei Ihnen anrufen sollen. Sollten Sie selbst aufgrund schlechter Planung oder widriger Umstände unter Zeitdruck sein, machen Sie es genauso: Rufen Sie die betreffende Person direkt an, statt ihr eine schludrige Eil-Mail zu schreiben und anschließend nägelkauend auf Antwort zu warten. Ob zwei Mal oder sieben Mal -auf jeden Fall nicht dauernd: Rufen Sie Ihre E-Mails nur zu bestimmten Zeiten ab. Wann und wie häufig das am besten funktioniert, muss jeder individuell herausfinden. Dan RusselI, Senior Manager bei IBM, schlägt vor, jeder solle seine Mails nur noch zwei Mal am Tag abrufen -Professor Ramesh Sharda von der Oklahoma State University hat in einer Studie vier Mal am Tag als ideales und produktivstes Maß herausgefunden. Für welchen Rhythmus Sie sich auch immer entscheiden: Halten Sie sich daran. Rufen Sie Ihre Mails ab, beantworten Sie die wichtigen sofort und am Stück und schließen Sie danach das Mailprogramm (oder die entsprechende Webseite) wieder. Wenn Sie extrem viele Mails bekommen, extrem mutig und nicht gerade extrem knapp bei Kasse sind, können Sie es auch so machen wie der US-Autor und Internetguru Timothy Ferriss: Der Autor des vollmundigen Bestsellers »Die 4-Stunden-Woche: Mehr Zeit, mehr Geld, mehr Leben« lässt all seine Mails von preiswerten Assistenten in Indien lesen, bekommt einmal am Tag in einem zehnminütigen Anruf die wichtigen Nachrichten mitgeteilt und entscheidet, wie darauf zu antworten ist. Für den Anfang reicht es aber auch, wenn Sie statt einer massiven Outsourcing-Extravaganz einfach aufhören, alle fünf Minuten nachzusehen, ob eine neueMail gekommen ist. Nicht auf Autopilot schalten: Beantworten Sie nicht automatisch jede Mail mit einer Mail!. Fragen Sie sich stattdessen, was der beste Weg ist: Es kann ein kurzer Anruf beim Absender sein, gerade wenn es um emotionale Themen oder heikle Situationen geht, in denen Feingefühl nötig ist. Ein Anruf lohnt sich auch dann, wenn Sie selbst eine schnelle Reaktion wünschen. Wer eineMail schickt und nach fünf Minuten anruft: »Hast du meineMail schon gelesen?«, kann auch gleich anrufen und diese Frage stellen. Manchmal kann der beste Weg, zu reagieren, auch eine Handlung sein. Statt sieben Mal hin und her zu mailen, wer jetzt den Konferenzraum »Alpenglühen« reservieren soll, tun Sie es einfach. Sehr häufig kann der beste Weg, auf eineMail zu antworten, auch ganz einfach sein: gar nichts zu tun. Achtung, dies gilt nicht für Mails von Ihrem Chef mit der Betreffzeile »Dritte und letzte Warnung« oder für Mails von der Praktikantin mit der Betreffzeile »Abschiedstorte in der Teeküche«. In diesen Fällen ist ein diplomatischer Anruf oder beherztes Handeln gefragt. Betreff: Betreff: Versuchen Sie, die Betreffzeile bei E-Mails sorgfältig und sinnvoll zu formulieren. Es mag drei Sekunden mehr kosten, als nur »Hallo« oder gar nichts reinzuschreiben -aber nur durch ein vernünftig ausgefülltes Betreffsfeld kann der Empfänger erkennen, ob er die Mail sofort lesen und bearbeiten muss oder nicht.

Auch hier die Technik nutzen: Stellen Sie Ihr Mailprogramm so ein, dass es nicht alle fünf Minuten neue Mails abruft, sondern nur einmal pro Stunde. So verhindern Sie, dass Sie, während Sie eine Reihe von Mails beantworten, schon wieder von neu ankommenden unterbrochen werden. Auch wenn es darum geht, beim Abrufen und Beantworten von Mails die Zeit nicht aus den Augen zu verlieren, kann eine Eieruhr gute Dienste leisten. Eine Zeitbegrenzung beim Beantworten von Mails mag sich anfühlen, als würde man am Fließband arbeiten, hilft aber ungemein, bei den Antworten auf den Punkt zu kommen, sich auf die Kernfrage zu konzentrieren -und unwichtige Mails, die keiner zwingenden Antwort bedürfen, sondern nur informieren sollen, eben auch unbeantwortet zu lassen. Unter Freunden

Nicht heimlich grollen: Sagen Sie es einfach, wenn Sie es als unhöflich empfinden, dass ein Freund ein Gespräch mit Ihnen mehrfach für ein Handy telefonat unterbricht oder seinen Blackberry auf eingegangene Nachrichten hin untersucht. Das mag die momentane Stimmung nicht unbedingt heben, ist aber besser, als sich heimlich den Rest des Tages darüber aufzuregen. Schlechte Angewohnheiten schleichen: sich schnell und unbemerkt ein, und der andere ist in vielen Fällen sogar dankbar, wenn ihn mal jemand auf seine Unachtsamkeit aufmerksam macht.

Nahgespräch schlägt Ferngespräch: Schalten Sie Ihr Handy auf lautlos oder aus, wenn Sie sich mit einem Freund für ein Gespräch treffen. Falls Sie einen wirklich dringenden Anruf erwarten, erklären Sie das kurz zu Beginn und schalten Sie Ihr Mobiltelefon dann aus, wenn dieser eine wichtige erledigt ist. Nicht paranoid werden: Wenn ein Freund, den Sie auf dem Handy anrufen, Sie wegdrückt -also Ihren Anruf nicht annimmt, sondern nach dem ersten Klingeln ein Besetztzeichen sendet -heißt das nicht, dass Sie die nächste Stunde darüber grübeln müssen, ob Sie seine Gefühle verletzt haben und warum er Ihnen die Freundschaft gekündigt hat. Denn es bedeutet zunächst einmal nur, dass die Person gerade keine Zeit oder Lust hat, ein Telefongespräch anzunehmen. Das ist auch ihr gutes Recht

-wer Leute auf dem Handy anruft, muss damit rechnen, manchmal ungelegen zu kommen. In der Regel wird die angerufene Person sich melden, da sie ja sehen konnte, wer angerufen hat. Andernfalls können Sie es später noch einmal versuchen -aber bitte erst nach einer Weile. Wer sofort stumpf die Wahlwiederholung benutzt, nachdem er »weggedrückt« wurde, beweist nicht etwa Zielstrebigkeit und Dringlichkeit, sondern vor allem Dummheit und fehlendes Taktgefühl.

Kleine Gesten erhalten die Freundschaft: Wenn ein Freund, Familienmitglied oder ein Kollege, den sie nicht hassen, von Angesicht zu Angesicht mit Ihnen spricht, während Sie am Computer sitzen

-nehmen Sie die Hände von Maus oder Tastatur und die Augen vom Bildschirm, während Sie antworten. Es mag wertvolle Sekunden im alltäglichen E-MailKampf kosten -aber in Zeiten, in denen immer mehr Menschen weitertippen, während sie eine gedankenlose Antwort murmeln, drückt ein überlegter Satz mit Blickkontakt und einem freundlichen Lächeln ungefähr so viel Wertschätzung aus, wie in den achtziger Jahren ein ganzer Strauß Blumen.

Anruf nach Plan: Wenn Sie darunter leiden, dass Sie ein permanent schlechtes Gewissen quält, weil Sie sich schon wieder viel zu lange nicht bei Ihrer allein lebenden Mutter oder Ihrem besten Freund gemeldet haben -legen Sie eine Zeit für einen regelmäßigen Anruf fest, der gut in Ihren Rhythmus passt. Sei es Sonntagmittag oder Donnerstagmorgen. Durch diese Routine entfallen Selbstvorwürfe und ständiges Aufschieben -und die betreffende Person weiß, dass sie sich auf diesen Anruf verlassen kann, und macht Ihnen keine Vorwürfe. Falls doch, können Sie diese dann zumindest ein wenig gelassener ertragen. Im Urlaub

Sich richtig verabschieden: Wenn Sie in den Urlaub fahren, formulieren Sie Ihre Abwesenheitsmail klar und eindeutig. Sie sind für diesen Zeitraum nicht zu erreichen, ganz einfach. Eventuell können Sie auf eine andere Person, einen Stellvertreter oder Kollegen verweisen -falls das nicht möglich ist, muss sich der Absender eben gedulden. Die Welt wird aller bisherigen Erfahrung nach eher nicht untergehen. Hinterlassen Sie keine Handynummer »für Notfälle« und schreiben Sie nicht »Ich rufe meine Mails nur unregelmäßig ab«. Denn, wie Sie gleich lesen werden: Sie werden sie gar nicht abrufen -Sie sind schließlich im Urlaub. Mit leichtem Gepäck reisen: Lassen Sie Ihr Laptop, Ihr Netbook, Ihr iPad, Ihren Blackberry oder alle sonstigen technischen Gadgets zuhause, die Sie nur an die Arbeit erinnern. Schon klar, Internet bedeutet ja nicht nur Arbeit. Aber wollen Sie wirklich derjenige sein, der am Fuße des Kilimandscharo den Tchibo-Newsletter liest? Vertrauen Sie dem von einem Fleischhersteller gesponsorten »Grillwürstchen-Wetter« auf wetter.de wirklich mehr als dem erfahrenen Blick eines steinalten Einheimischen Richtung Himmel? Wollen Sie wirklich 20 Mal am Tag den Hotelsafe auf-und zuschließen, weil Sie »nur mal schnell online was nachschauen« wollen, sich aber auch nicht trauen, Ihr teures Macbook Pro auf dem Hotelbett liegenzulassen?

Die Freunde ruhig mal vergessen: Meiden Sie im Urlaub auch Internetcafes oder die Internet-Terminals in Hotellobbys oder auf Flughäfen. Selbst wenn Sie nur kurz die Freunde daheim mit Schilderungen von Temperatur und genauem Farbton des Meerwassers neidisch machen wollen die Versuchung, beim Öffnen des E-Mail-Postfachs einen schnellen Blick auf die eingegangen Mails zu werfen und sich davon im Extremfall die Ferien verderben zu lassen, ist für die meisten Normalsterbli-chen einfach zu groß. Außerdem: Wenn Sie es wirklich nicht einmal zwei oder drei Wochen ohne die Leute zuhause aushalten, dann sparen Sie sich doch nächsten Sommer das Geld für die Reise und setzen Sie sich drei Wochen in deren Hobbykeller.

Tadellose Techniktricks: Wenn Sie im Urlaub unter keinen Umständen auf Ihr Mobiltelefon verzichten wollen -sei es, um Lösegeldübergaben zu arrangieren oder dem Hundesitter mit Kontrollanrufen den letzten Nerv zu rauben: Bitte, so sei es! Sollte es sich um ein Smartphone mit Internetzugang handeln, deaktivieren Sie jedoch das sogenannte Datenroaming, das Datenübertragung in ausländische Netze ermöglicht. Nicht nur wird Ihre Handyrechnung nach der Rückkehr um mehrere 100

Euro niedriger ausfallen -Sie vermeiden auch die weiter vorne beschriebene Tchibo-Falle. Stellen Sie außerdem Ihre Mailbox so ein, dass Anrufer erfahren, dass Sie im Urlaub sind und deshalb keine Nachrichten hinterlassen werden können. Oder wollen Sie wirklich aus der hawaii anis ehen Hängematte Ihren Bankberater zurückrufen, der eine aufgeregte Nachricht hinterließ, die Sie das Schlimmste befürchten lässt -als Sie ihn zurückrufen, aber trotzdem nur über »die grundsätzliche strategische Ausrichtung Ihrer Vermögensplanung und Altersvorsorge« sprechen möchte?

Am Telefon

Mit offenen Karten spielen: Wenn Sie nicht gerade Günther Wallraff sind und mit Theaterschminke im Gesicht in verdeckter Mission recherchieren -verzichten Sie bitte darauf, bei Ihrem Telefon die Rufnummernunterdrückung einzuschalten, also »anonym« bei anderen anzurufen. Eine angerufene Person, die wiederholt nicht ans Telefon geht, wenn Ihre Telefonnummer auf dem Display erscheint, wird vermutlich einen Grund dafür haben. Und die Chancen, dass ausgerechnet zu häufige Nervanrufe dieser Grund sind, stehen gar nicht mal so schlecht. Da man niemanden zur Kommunikation zwingen kann, verzichten Sie also auf die telekommunikative Tarnkappe der Nummernunterdrückung und hinterlassen Sie einfach eine (!) Rückrufbitte auf der Mailbox oder per SMS. Wenn die andere Person nicht zurückruft, heißt das ja nicht, dass sie damit nicht doch etwas sagt. Sie müssen nur lernen, genau hinzuhören. Man muss auch loslassen können: Wenn Sie Ihr Mobiltelefon irgendwo zurücklassen, sei es im Spind einer Hallenbadumkleide oder auf Ihrem Schreibtisch im Großraumbüro, wenn Sie in ein Meeting gehen: Tun Sie der Menschheit einen Gefallen und schalten Sie es leise. Niemand will live miterleben, wie irgendjemand Sie fünf Mal hintereinander anruft -und jedes Mal eine polyphone Klangkaskade Ihres brandneuen Lady-Gaga-Klingeltons auslöst. Nicht hin-und herspringen: Nicht nur ist es ein Akt der Höflichkeit, die sogenannte Makeln-Funktion (oder »Call Waiting«) an Ihrem Telefon auszuschalten -es schont auch Ihre eigenen Nerven. Und die Ihres Gesprächspartners, den Sie nicht ständig mit einem »Moment bitte, ich bekomme gerade einen Anruf auf der zweiten Leitung« unterbrechen müssen.

Kurz, aber wichtig: Schalten Sie die Tastentöne Ihres Mobiltelefons ab, damit es nicht bei jeder SMS, die Sie tippen, 160 Mal piepst -und Sie bei der nächsten S-Bahn-Fahrt zwischen dem 100. und dem 120. Zeichen von genervten Mitfahrern erdrosselt werden. Wenn Sie nicht wissen, wie man die Tastentöne abschaltet, fragen Sie Ihren Sohn, Ihre Enkelin oder irgendjemanden aus dem Freundesoder Verwandtenkreis, der noch zur Schule geht. Die erledigen das unabhängig vom Handymodell in fünf bis zehn Sekunden.

Keine Marathon-Ansagen: Fassen Sie sich bei der Ansage auf Ihrer Handymailbox, aber auch beim heimischen Anrufbeantworter (falls Sie so etwas noch besitzen) so kurz wie möglich. Niemanden interessiert es, ob Sie den Anruf nicht annehmen können, weil Sie gerade nicht zu Hause oder »in einer Besprechung« sind, auf der anderen Leitung sprechen oder unter der Dusche stehen. Auch detaillierte Anleitungen, was der Anrufer alles zu hinterlassen hat, sind in der Regel überflüssig. Die meisten Menschen sind mit den Modalitäten einer Rückrufbitte inzwischen vertraut. Deshalb wird niemand statt Namen, Nummer und Anrufgrund den Namen des Bundestrainers, die Lottozahlen und eine mögliche Lösung für das Welthungerproblem aufsprechen. Und bestimmt wird heute auch niemand mehr anfangen zu reden, bevor der »Signalton« zu hören war -oder über Sachen wie »Hier ist der Blechdepp von XY«, gesungene Ansagen oder Stimmimitatoren auf Ihrer Mailbox lachen. Nicht angeben: Schalten Sie die automatische Fußnote »Sent from my Blackberry« oder »Gesendet von meinem iPhone« aus, wenn Sie nicht wollen, dass alle Empfänger wissen, dass Sie dauernd erreichbar sind. Als Statussymbol zum Distinktionsgewinn funktioniert diese Schlussformel ohnehin nicht mehr -wenn auch zugegebenermaßen als plausible Erklärung, warum man 100 Tippfehler in drei Sätzen macht.

Im Netz

Vorurteile ablegen: Im Internet geht es doch nur um Sex lautet die unterschwellige Befürchtung vieler Eltern und anderer besorgter Menschen. Doch auch, wenn es in den endlosen Weiten des World Wide Web so manchen Abgrund geben mag, in den man besser nicht starren möchte -die schönen Orte überwiegen: Laut einer Studie der US-Regierung sind genau 1,1 Prozent aller Internetseiten

»sexuell explizit«. Erstens kommt da jeder abendliche Werbeblock im Privatfernsehen auf eine höhere Schmutzquote -und zweitens weiß man ja: Das, was die prüden Amerikaner als »sexuell explizit«

brandmarken, geht im laxen Europa in mindestens der Hälfte aller Fälle noch als Kunst durch, weil es sich um das Foto eines Michelangelo-Werkes oder einen französischen Experimentalfilm handelt. Die Unüberschaubarkeit akzeptieren: Freunden Sie sich mit der Erkenntnis an, dass es schon immer viel mehr Informationen gab, als ein Mensch je hätte verarbeiten können. Das ist nicht schlimm: Niemand muss alles lesen -lassen Sie andere die Hände über dem Kopf zusammenschlagen, wenn immer wieder neue Zahlen herauskommen, wie viele Terrabyte Informationen jedes Jahr neu auf den großen Berg an Informationen draufgekippt werden. Wie oft man mit dem Papierstapel bis zum Mond käme, wenn man das gesamte Internet endlich einmal ausdrucken würde -oder wie oft man Luxemburg damit abdecken könnte. Es ist ganz egal. Das einzig Interessante an all den Fantastilliarden Bytes, Seiten, Bildern und Videos: Je mehr Informationen es gibt, umso größer die Chance, dass auch genau diejenige existiert, die Sie gerade brauchen und suchen.

Nicht zurückblättern: Echtzeitdienste wie Twitter oder Google Buzz, aber auch der Newsfeed von Facebook zeigen einem in einem endlosen Strom, was andere Menschen gerade so tun. Aber ebenso wenig, wie man die Zeitung von gestern »aufholen« muss, wenn man nicht dazu kam, sie zu lesen, muss man bei Twitter und Konsorten nicht »zurückblättern«, wenn man mal eine Weile nicht hineingeschaut hat. Hier handelt es sich nicht um einen Roman, dessen Fortgang man nur verstehen kann, wenn man alle vorigen Ereignisse mitbekommen hat -es ist eher wie ein Fenster, aus dem man immer mal wieder schauen kann, aber das man eben auch mal eine Zeitlang sich selbst überlas&en kann. Die Angst ablegen: Ebenso wenig, wie man sich ständig dem kommunikativen Dauerfeuer des Internets aussetzen sollte, sollte man sich ihm nicht zu sehr entziehen. Denn in vielen Fällen ist das Gefühl der Überforderung -das »Payback«-Autor und FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher und die Großmutter eint, die den Videorecorder verflucht, weil sie ihn nicht programmieren kann -eine Empfindung, die mit der simplen und verständlichen Angst einhergeht, Dinge nicht zu beherrschen. Wer sich also mit etwas Neuem auseinandersetzt, senkt automatisch die Chance, sich überfordert zu fühlen. Das bedeutet überhaupt nicht, dass jeder Mensch twittern muss, sich auf Facebook anmelden oder seine nächste Städtereise mit Google Street View vorbereiten sollte. Aber wer sich der ganzen Sache mit einer entspannten Haltung des Ausprobierens und Herumspielens nähert, wird manch positive Überraschung erleben -und im schlechtesten Falle merken, dass er zwar keinen »Social Bookmarking Service mit erweiterter Geotagging-Funktion« benötigt -dass es aber auch nichts ist, wovor man sich fürchten muss, weil es einem das Gehirn zersetzen könnte.

Literatur

Abelson, Hai & Ken Ledeen & Harry Lewis (2008): Blown to Bits. Your Life, Liberty, and Happiness After the Digital Explosion. Amsterdam: Addison-Wesley Longman.

Anderson, Chris (2009): The Long Tail -Nischenprodukte statt Massenmarkt. Das Geschäft der Zukunft. München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

Anderson, Chris (2009): Free. The Future of a Radical Price. New York: Hyperion Books. Anderson, Sam (2009): In Defense of Distraction. In: New York Magazine, 17. Mai 2009. Babauta, Leo (2009): The Power of Less. The Fine Art of Limiting Yourself to the Essential. New York: Hyperion. Benkler, Yochai (2006): The Wealth of Networks. How Social Production Transforms Markets and Freedom. New Haven: Yale University Press. boyd, danah m. & Nicole B. Ellison (2008): Social Network Sites: Definition, History and Scholarship. In: Journal of ComputerMediated Communication. Nr. 13, S. 210-230.

Carr, Nicholas (2009): The Big Switch. Der große Wandel. Die Vernetzung der Welt von Edison bis Google. Heidelberg: Redline. Christakis, Nicholas A. & farnes H. Fowler (2010): Connected. Die Macht sozialer Netzwerke und warum Glück ansteckend ist. Frankfurt: S. Fischer. Davis, R.A. (2001): A Cognitive-Behavioral Model of Pathological Internet Use. In: Computers in Human Behavior 17, S. 187-195.

Doidge, Norman (2008): Neustart im Kopf. Wie sich unser Gehirn selbst repariert. Frankfurt: Campus Verlag. Döring, N. (2002): 1x Brot, Wurst, 5 Sack Äpfel, I.L.D. Kommunikative Funktionen von Kurzmitteilungen (SMS) In: Zeitschrift für Medienpsychologie, Volume 14, Nr. 3, S. 118-128.

Dunbar, Robin (2010): How Many Friends Does One Person Need? Dunbar's Number and Other Evolutionary Quirks. London: Faber & Faber.

Parke, Gabriele (2003): Onlinesucht. Wenn Mailen und Chatten zum Zwang werden. Stuttgart: Kreuz Verlag. Friebe, Holm & Sascha Lobo (2006): Wir nennen es Arbeit. Die digitale Boheme oder intelligentes Leben jenseits der Festanstellung. München: Heyne Verlag.

Gasser, Urs & lohn Palfrey (2008): Generation Internet. Die Digital Natives. Wie sie leben, was sie denken, wie sie arbeiten. München: Carl Hanser Verlag. Gidding,loshua (2007): Failure. An Autobiography. New York: Cyan Books. Gleick, lames (2000): Schneller. Eine Zeitreise durch die Turbogesellschaft. München: Deutsche Verlags-Anstalt. HalloweIl, Edward (2007): CrazyBusy. Overstretched, Overbooked and About to Snap. Strategies for Coping in a World Gone ADD. New York: Ballantine Books.

Izuma, K. & D. Saito & N. Sadato (2008): Processing of Social and Monetary Rewards in the Human Striatum. In: Neuron, Volume 58, Nr. 2, S. 284-294. lohnson, Steven (2006): Die neue Intelligenz. Warum wir durch Computerspiele und TV klüger werden. Köln: Kiepenheuer & Witsch. Kraybill, Donald B. (2001): The Riddle of Amish Culture. Baltimore: John Hopkins University Press. Kunz, Andreas (2010): Leben ohne Facebook. In: Weltwoche, Nr. 4.10 vom 28. Januar 2010, S. 24-29. Lanier, laron (2009): You Are Not A Gadget. A Manifesto. New York: Alfred A. Knopf. Lessig, Lawrence (2006): Freie Kultur. Wesen und Zukunft der Kreativität. München: Open Source Press. Levine, Robert (1998): Eine Landkarte der Zeit. Wie Kulturen mit Zeit umgehen. München: Piper Verlag. Lobo, Sascha & Kathrin Passig (2008): Dinge geregelt kriegen. Ohne einen Funken Selbstdisziplin. Berlin: Rowohlt Verlag, S. 30-43.

Meckel, Miriam (2007): Das Glück der Unerreichbarkeit. Wege aus der Kommunikationsfalle. Hamburg: Murmann Verlag.

Monk, Andrew, f. Carroll, S. Parker & M. Blythe (2004): Why Are Mobile Phones Annoying? In: Behaviour and Information Technology, Vol. 23, S. 33-41. Montague, Read (2007): Your Brain Is (Almost) Perfect. How We Make Decisions. London: Penguin. Moser, Klaus (2002): Steigende Informationsflut am Arbeitplatz. Belastungsgünstiger Umgang mit elektronischen Medien. Bremerhaven: Verlag für Neue Wissenschaften.

N.N. (2010): A World of Connections. A Special Report on Social Networking. In: The Economist, 30.1.2010, S. 1-20. Panksepp, Jaak & Joseph Moskal (2008): Dopamine and Seeking. Subcortical Reward Systems and Appetitive Urges. In: Andrew

J. Elliott (Hg.): Handbook of Approach and Avoidance Motivation. S. 67-87. PashIer, H. (1992): Attentional Limitations in Doing Two Tasks at the Same Time. In: Current Directions in Psychological Science, Volume 1, S. 44-50.

PashIer, H. & f. C. Johnston & E. Ruthruff: Attention and Performance. In: Annual Review of Psychology, Volume 52, S. 629-651.

Passig, Kathrin (2009): Internetkolumne. Standardsituationen der Technologiekritik. In: Merkur, Nr. 727, S. 1144-1150. Rheingold, Howard (2002): Smart Mobs. The Next Social Revolution. Cambridge: Perseus. Ries, Mare, Hildegard Fraueneder & Karin Mairitsch (Hg.) (2007): dating.21. Liebesorganisation und Verabredungskulturen. Bielefeld: transcript Verlag. Rock, David (2009): Your Brain At Work. Strategies for Overcoming Distraction, Regaining Focus, and Working Smarter All Day Long. New York: HarperCollins Publishers.

Schirrmacher, Frank (2009): Payback. Warum wir im Informationszeitalter gezwungen sind zU tun, was wir nicht tun wollen und wie wir die Kontrolle über unser Denken zurückgewinnen. München: Karl Blessing Verlag. Schwartz, Barry (2004): The Paradox of Choice. Why More is Less. New York: HarperCollins. S. 47-75. Shipley, David & Will Schwalbe (2007): Send. The Essential Guide to Email for Office and Horne. New York: Alfred A. Knopf.

Shirky, Clay (2008): Here Comes Everybody. The Power of Organizing Without Organizations. New York: Penguin Books.

Stibel, Jeffrey M. (2009): Wired for Thought. How the Brain Is Shaping the Future of the Internet. Boston: Harvard Business Press.

Strom, G. (2002): Mobile Devices as Props in Daily Role Playing. In: Personal and Ubiquitous Computing, Volume 6, Nr. 4, S. 307

310.

Sunstein, Cass R. (2006): Infotopia. How Many Minds Produce Knowledge. New York: Oxford University Press. Surowiecki, James (2005): Die Weisheit der Vielen. Warum Gruppen klüger sind als Einzelne. München: C. Bertelsmann Verlag. Sutherland-Smith, Wendy (2002): Weaving the Literacy Web: Changes in Reading From Page to Screen. In: The Reading Teacher, Vol. 55, Nr. 7, S. 662-669. Tapscott, Don & Anthony D. Williams (2007): Wikinomics. Die Revolution im Netz. München: Hanser Verlag. Tapscott, Don (2009): Grown Up Digital. How the Net Generation Is Changing Your World. New York: McGraw-Hill Books.

Weinberger, David (2007): Everything is Miscellaneous. The Power of the New Digital Disorder. New York: Holt. Yee, Nick & Jeremy Bailenson (2007): The Proteus Effect: The Effect of Transformed Self-Representation on Behavior. In: Human Communication Research, Nr. 33, S. 271-290.

Zimmermann Umble, Diana (2000): Holding the Line. The Telephone in Old Order Mennonite and Amish Life. Baltimore: John Hopkins University Press. Zittrain, Jonathan (2008): The Future of the Internet. And How to Stop It. London: Penguin Books. Danksagung

Mein Dank gilt meinem Vater und Katharina -für ihre immerwährende Unterstützung und einen entspannten Umgang mit Internet und Handy, an dem man sich jederzeit ein Beispiel nehmen kann. Meine Literaturagenten Michael Gaeb und Eva Semitzidou haben an mich und das Buch geglaubt und es durch ihre ausgezeichnete Arbeit überhaupt erst möglich gemacht.

Nicola Bartels vom Blanvalet-Verlag und Catharina Oerke danke ich für ihr Vertrauen und ihr Lektorat, das aus meinen wirren Gedanken erst ein richtiges Buch machte. Vielen Dank auch an Berit Böhm, Inge Kunzelmann, Brigitte Nunner und alle anderen hilfreichen Menschen bei Blanvalet. Sven Haase, Andreas Bernard, Cathy Earnshaw, Alexander Hüppop, Vera Schroeder, Mathias Kalle, Benedikt Köhler, Daniel Erk, Mathias Irle, Till Erdmann, JD (jdsmenstories.net) und vielen anderen (die es nicht alle in dieses Buch geschafft haben) danke ich von Herzen dafür, dass sie mit mir ihre persönlichen Erlebnisse mit und ohne Handy und Internet geteilt haben, mich auf wertvolle Ideen brachten oder einfach nur zum Lachen.

Götz Mundle, Rabbiner Ehrenberg, Robert Levine, Joshua Gidding, James Surowiecki, Jaak Panksepp, Robin Dunbar, Gordon Hempton, Mark Zuckerberg, Keith Ulrich, Sascha Lobo, Anke Quack und Kai Müller sowie der AmishGemeinde von Jamesport, Missouri möchte ich für ihre auf schlussreichen und spannenden Interviews danken, die sie mir gewährten. Urban Zintel hat es tatsächlich geschafft, Fotos von mir zu machen, auf denen ich die Augen geöffnet habe. Danke!

Meinen Chefredakteuren bei NEON, Michael Ebert und Timm Klotzek, danke ich dafür, dass sie verstanden haben, wie gerne ich dieses Buch schreiben wollte -, und mich ließen. Auftraggeber wie brand eins oder das DT Magazin haben in meiner internetlosen Zeit die Nerven behalten und meine handschriftlichen Notizen per Brieftaube ertragen, worüber ich ebenfalls sehr froh bin. Am meisten und ganz besonders danke ich Jessiea -ohne die ich es nie im Leben 40 Tage aushalten würde.

Hinweis des Autors

An manchen Stellen habe ich die Ereignisse der Lesbarkeit zuliebe in eine andere Reihenfolge gebracht. Einige Privatpersonen, die in dem Buch vorkommen, tragen außerdem nicht ihre realen Namen. An den Tagen, die keinen eigenen Eintrag bekommen haben, war ich selbstverständlich auch offline, es gab nur nicht jeden Tag etwas zu erzählen.