»Jederzeit wieder gern«, sagte der Pfosten. Die Pfostin reichte die Hand, als erwarte sie einen Handkuss. Maik tat so, als verstehe er das Signal nicht. Schließlich war er Ossi. Leni saß noch auf der Couch, als sie nach Hause kamen. Sie war in eine Decke gehüllt, das Fernsehen zeigte eine tonlose Dokumentation über Flugzeugträger. Neben ihr lag Kevin.
»Der Junge hat gebrochen«, sagte sie. Dabei hatten wir doch Buchweizen mit Zitronengras, dachte Maik. Er brachte Ulrike nach oben ins Bett. »Ich kümmere mich«, sagte er. Dann schickte er Leni ins Gästezimmer. Heinz war schon nach Hause gefahren. Maik sagte sogar: »Danke, Leni.« Sie blickte ihn ein bisschen überrascht an, sogar eine Spur dankbar, als habe sie die Hoffnung nicht aufgeben, dass sie eines Tages doch noch Freunde würden.
Das Problem war: Wer mit Frauen kommunizierte, und war es nur ein Blick, der war umgehend Teil einer großen, langen Geschichte. Männer konnten klare Ansagen für den Moment machen, die zu nichts verpflichteten. Aber Frauen bauten einen immer gleich für den Rest ihres Lebens mit ein.
»Wer mit Frauen kommunizierte, und war es nur ein Blick, der war umgehend Teil einer großen, langen Geschichte.«
Maik spürte, dass ihm diese Nacht die einzigartige Chance bot, seine Qualifikation als Vater, als Mann, als Verantwortlicher, als Fürsorger unter Beweis zu stellen. Er bettete Henry bequem aufs Sofa, stellte einen Eimer bereit, holte einen kalten Waschlappen, den er dem Jungen vorsichtig auf die Stirn legte. Maik nahm die Decke, die seine Schwiegermutter um die Schultern getragen hatte, schob sich ein Sofakissen unter den Kopf und rollte sich auf dem Wohnzimmerteppich zusammen. Schamanen hatten kein Problem, auf dem Boden zu schlafen.
Genau in diesem Moment entstand eine dieser Heldengeschichten, die Ulrike so gern erzählte, um zu beweisen, dass sie einen großartigen Mann und die Kinder den weltbesten Papi abgekriegt hatten. Alle Mütter standen in permanentem Kerle-Wettbewerb. Und logen sich ringsum vor, wie großartig ihr Mann sich um alles kümmerte. Männer sind eben auch nichts anderes als Statussymbole, dachte Maik. Es gab Schlimmeres.
123
Bretti und Jochen hingen an ihrem Stammplatz am Tresen. Die Wirtin hatte ihre Bierdeckel bereits ringsherum mit Strichen versehen. Es war eine dieser Nächte, in denen alles scheißegal war. Sie hatte die Pink-Floyd-CD eingelegt, die Jochen ihr mal gebrannt hatte. Den Gefallen tat sie ihm immer, wenn er mit Bretti zum Saufen kam. Und die anderen Stammgäste wussten es auch zu schätzen. Jedenfalls beschwerte sich keiner. Die Walzen der Spielautomaten drehten sich ohne Unterlass. Es war ein magischer Abend - die Freispiele würden kommen.
»Biss du dir ganss sicher?«, fragte Jochen zum hundertsten Mal.
Bretti nickte stumm.
»Ganss, ganss sicher?«
Bretti nickt wieder.
»Aber sie iss eine Frau«, wandte Jochen ein.
Bretti nickte.
»Willss du Kinder von ihr?«, bohrte Jochen weiter.
Bretti nickte.
Es hatte keinen Zweck mit diesem Kerl. Er wurde von einem Schwanz gesteuert, den eine Frau fest in der Hand hielt. Dagegen konnte auch die stärkste Männerfreundschaft nichts machen. Eines allerdings konnten Frauen nicht: Versprechen für die Ewigkeit abliefern.
»Was auch immer passiert«, sagte Jochen und leerte sein Bierglas, »was auch jemals passiert - du kannsst immer zu mir kommen, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Wenn dich alle im Stich lassen - dein Kumpel Jochen nicht.«
Bretti nickte. Er war sturzbesoffen, aber er sah sichtlich gerührt aus. Er fiel Jochen um den Hals. »Egalwasspassiert«, wiederholte er und suchte sein Bier auf dem Tresen, um mit Jochen anzustoßen.
Sie hoben die Gläser: »Egalwasspassiert«.
Auch durch den dichten Bier- und Birnendunst spürte Jochen noch, dass dieser Moment tatsächlich ein magischer war - ein Moment, wie es ihn nur unter Männern gab.

4 UHR

Lars fingerte nach dem Lichtschalter. Er starb vor Durst.
124
Er musste aufs Klo, aber ganz schnell. Der Aschenbecher neben dem Bett stank bestialisch, fast so schlimm wie die leere Flasche Rotwein. Er durfte nichts mehr trinken. Er musste mit dem Rauchen aufhören. Die Leber zerfiel, der Krebs wucherte, er spürte es genau.
Endlich, der Schalter. Mit halb geschlossenen Augen tastete er sich zur Küche und riss die Kühlschranktür auf. Natürlich nichts drin. Er stolperte zum Klo. Wenn die polnische Putzfrau nicht bald aus ihrem Urlaub kommen würde, könnte er die Bude auch gleich abfackeln. Anders war dem Chaos nicht mehr beizukommen.
In der Küche nahm er sich das Weißbierglas und hielt es unter den Kran. Das Leitungswasser schmeckte nach Plutonium. War bestimmt total versetzt mit den schlimmsten Chemikalien. Egal. Das Wasser verdampfte schon auf der Zunge. Lars fühlte sich wie ein Schwamm. Noch einen halben Liter. Er konnte kaum schlucken.
Er tastete nach seinem Handy. Tatsächlich - er hat eine SMS bekommen. Von Tanja. Er würde sie nach dem Aufstehen lesen. Lächelnd schloss er die Augen. Läuft doch, dachte Lars, läuft ja doch noch. Es würde ewig so weitergehen.
125
Dorothea schlief schon, als Martin ins Bett kam, jedenfalls tat sie so. Er war bester Stimmung und hätte gern noch ein wenig gebumst oder besser noch bumsen lassen. Martin mochte es, wenn er entspannt auf dem Rücken lag und seine Frau auf ihm herumritt. Aber Dorothea machte nicht den Eindruck, als erregte sie der Gedanke an einen schnellen schmutzigen Ausritt.
Erfolglos unterdrückte Martin den bösen, kleinen Gedanken, dass Dorothea in Wirklichkeit eine ziemliche Produktenttäuschung war. Sie machte sich für besondere Anlässe wirklich toll zurecht, sah auf ihre herbe Art gleichsam geil und selbstbewusst aus. Ihre Dominanz reichte gerade mal bis zur Bettkante. Dann aber fiel sie komplett aus und ließ sich bisweilen bestenfalls zu einer eher lieblosen Ruckelnummer hinreißen. Mit den Kindern war die Lethargie gekommen.
Martin hatte manchmal die Phantasie, ihr hemmungslos den Hintern zu versohlen. Er war sicher, dass es ihr guttun würde. Und ihm erst. Er war sicher, dass Dorothea insgeheim davon träumte. Sie wusste es nur nicht. Und er traute sich nicht, sie zu fragen. Ein solches Ansinnen verstieß gegen all die Regeln, die sie sich in acht Jahren zurechtgezimmert hatten. Er legte sich auf seine Seite der beiden Einzelbetten, die mal ein Doppelbett gewesen waren, und schlief mit einer Viertelerektion ein.
Wenig später spürte Martin einen Ellenbogen in seinen Rippen. »Norbert schreit«, sagte Dorothea direkt in sein Ohr. Sein Schädel dröhnte. Es war fast fünf. Martin sah sich außerstande, schon wieder eine Morgenrunde mit dem Kinderwagen zu drehen. Andererseits würde ihm die frische Luft guttun.
Vielleicht war auch wieder Betrieb an der Tankstelle. Martin hatte sich wirklich wohlgefühlt gestern Morgen, so behütet und vertraut wie schon lange nicht mehr.
Wortlos schlüpfte Martin in seine Hose, die noch stark nach Küche roch. Tankstelle war eine tolle Sache, sie gab ihm das Gefühl, nicht allein zu sein auf dieser Welt. Er würde Redbull mit Croissant frühstücken, schon, um Dorothea zu ärgern. Es war sein Leben, sein verdammtes kleines Leben. Und das ließ er sich nicht kaputt machen, jedenfalls nicht ganz.
126
Attila hatte die restlichen Mails gelesen und seinen Trainingsplan für morgen studiert. In einer guten Stunde musste er schon wieder in die Laufschuhe springen. Mal sehen. Aber Sport hatte er eigentlich schon gemacht. Camille schlief auf dem Bauch, ein Knie angewinkelt; ihr phänomenaler Hintern lugte halb unter der Decke hervor.
Attila fühlte sich großartig. Er hatte seine Frau bewusstlos gevögelt. Und hoffentlich auch geschwängert. Na klar. Ein Mann spürte, wenn er einen hole-in-one gelandet hatte. Die Macht war mit ihm. Bingo. Tschakka. Big, big Point. Attila überlegte, was er sagen sollte, wenn sie ihm die frohe Botschaft überbrachte, dass sie schwanger sei. Er war ja nicht so der Tränentyp.
»Ach, du scheiße«, war nach wie vor sein erster Gedanke. »Schön, Schatz, ganz toll«, klänge zu schwach.
»Du, ich freu’ mich so für dich«, konnte man missverstehen. Eine Becker-Faust plus ein lautes »Yesss«, wäre nicht schlecht, weil schön kurz. Schließlich wollte er noch was von dem Kurzfilm seines bisherigen Lebens mitbekommen, der in wenigen Sekundenbruchteilen durch sein Hirn rauschen würde.
Auf jeden Fall müsste er ihr klarmachen, dass sein Marathon-Training durch so ein bisschen Schwangerschaft und Baby auf keinen Fall leiden durfte. Und das Golfen auch nicht. Ein Mann musste Prioritäten setzen.
127
Es war nicht leicht gewesen, Bretti die Stufen emporzuschleifen. Seine Reflexe funktionierten kaum noch. Aber eigentlich war Jochen ganz glücklich. Wenn Bretti sich schon am ersten Abend der Zweisamkeit die Lichter dermaßen ausschoss, dann konnte es nicht lange dauern, bis sie wieder zusammenwohnten.
Er warf Bretti in den Sessel in der Küche, machte zwei Flaschen Bier auf und drückte seinem schlafenden Kumpel eine davon in die Hand.
Das finale Killerbier war Tradition. Was immer auch passierte - eine Flasche wurde zu Hause noch geleert - oder zumindest aufgemacht.
Bretti reagierte nicht. Das war normal. Er nahm immer genau eine Birne zu viel.
Jochen hatte damit überhaupt kein Problem. Er genoss jede Stunde, die Bretti bei ihm war, und wenn er sturzbesoffen vor sich hinschnarchte, war das allemal besser als das Fickgekreische von Julia.
Bretti gehörte ihm und nicht dieser Frau. Sie wusste es nur noch nicht. Jochen war geduldig. Bretti würde zurückkommen eines Tages. Und solange würde er warten. Treue, Zuverlässigkeit, gute Laune - all das konnte eine Frau doch gar nicht geben.
 
 
Ende