
Ich habe diesmal, liebe Charlotte, keinen Brief von Ihnen seit meinem letzten bekommen, habe also keinen zu beantworten vor mir. Der Grund Ihres Nichtschreibens könnte in Ihren Augen liegen, was mich sehr schmerzen sollte, dann hätten Sie aber doch wohl einige Zeilen geschrieben; auch wenn Sie krank geworden, würden Sie es mir gewiß gesagt haben. Die natürlichste Vermutung über die Gründe Ihres Stillschweigens scheint mir daher die, daß Sie gefürchtet haben, mir gerade in den Wochen zu schreiben, wo der Verlust mich traf, in den seitdem meine Seele einzig versenkt ist. Ich danke Ihnen in der Tiefe meiner Seele für diese Zartheit. Ihr Brief würde mir zwar gleiche Freude gemacht haben als alle anderen. Man feiert die Toten nicht würdig durch verringerte Teilnahme an den Lebendigen, oder wenn man sich entzieht, ihnen hilfreich zu werden, und am wenigsten paßt das für die, welche ich betraure. Aber die Empfindung in Ihnen ist so natürlich, sie entspricht so sehr Ihrem Gefühl und Ihren Gesinnungen, ist so edel und zart, daß sie mich lebhaft gerührt hat.
Ich bin den ganzen März hindurch nur einen Tag in Berlin gewesen und habe hier, teils allein, teils mit meinen Kindern, einer beneidenswürdigen Ruhe genossen. Auch war das Wetter nur selten unfreundlich, und es hat mich nicht gehindert, täglich auszugehen. Jetzt beginnt der Frühling sehr schön, und ich denke mir, daß auch Sie dies jugendliche Erwachen der Natur in Ihrem Garten genießen. Ich weiß nicht, ob Sie auch wohl darauf geachtet haben, was ich in sehr verschiedenen Klimaten, auch in Spanien und Italien, gefunden habe, daß, wenn die Tage auch noch so regnerisch sind, sich der Himmel aufhellt um die Zeit des Sonnenunterganges. Meist hört der Regen auf eine halbe Stunde vor und nach Sonnenuntergang. Dies ist auch die gewöhnliche Zeit meiner Spaziergänge. Die Wolkenerscheinungen sind dann die größten, schönsten und glänzendsten, und seit meiner Kindheit machen sie den größten Teil meiner Freude an der Natur aus. Wie man auch darüber nachdenken mag, ist es schwer zu sagen, worin der Reiz eigentlich besteht. Gewiß ist es nicht das sinnliche Farbenspiel, wie schön und prachtvoll es auch ist, allein. Das mannigfache Schauspiel am Himmel regt die Seele tiefer und lebendiger an, als es jeder irdische Reiz tun könnte. Daß es vom Himmel kommt, zieht wieder zum Himmel hin. Freilich allemal wehmütig, aber doch groß und im Tiefsten ergreifend ist das allmähliche Verglühen der Farben, das Ersterben des Glanzes, der zuletzt, noch ehe er der Dunkelheit Platz macht, von einem falben Grau überzogen wird. Ich kann mich dabei nie erwehren, an etwas Ernsteres und Wichtigeres zu denken. Es gibt zwar vorzüglich in den höher und innerlich Gebildeten, aber mehr oder minder doch in allen, eine Menge von Gedanken, die nie zu einer Tat werden, nie ins wirkliche Leben treten, sondern still und nur dem bewußt, der sie hat, im Busen verschlossen bleiben. Es entspringt aber aus ihnen, und oft viel mehr als aus Reden und Taten, Freude und Leid, Glück und Elend. Ihr Hin- und Herfluten im Gemüte, die Bewegung, in die sie versetzen, läßt sich in vielem jenen farbig flammenden Himmelserscheinungen vergleichen. Für den Ernst des äußeren Lebens sind sie wirklich, sich mit ihm nicht mengend, luftige Wolkengebilde. Sie verschwinden auch wie diese und lassen in der Seele eine Kühle und Leere zurück, die sich dem Grau der Dämmerung und dem Dunkel der Nacht vergleichen läßt. Sind sie aber darum dahin? Kann das, was das Gemüt so bewegt, so aus seinem innersten Grunde erschüttert hat, ganz wieder untergehen? Dann könnte der ganze Mensch selbst vielleicht auch nur eine vorübergehende Wolkenerscheinung sein. Sie werden mir einwenden, daß es auf jeden Fall, wie alles, was einmal im Gemüt gewesen ist, auf dieses, auf den Geist und Charakter zurückwirkt und in dieser Zurückwirkung fortlebt. Allein das ist doch nicht genug. Es müßte doch von bestimmten Seelenbewegungen auch etwas Bestimmtes ausgehen. Diese Gedanken ergreifen mich meistenteils, wenn ich den Himmel am Abend oder vor oder nach einem Gewitter ansehe. Ich habe aber, wenn ich es gleich nicht erklären und beweisen kann, ein festes Ahnungsgefühl, daß jene Gedankenerscheinungen auf irgendeine Weise wieder aufflammen und einen Einfluß ausüben, der bedeutender ist als gewöhnlich so hochgeachtete Reden und Handlungen. Der Mensch muß sich nur ihrer würdig erhalten, auf der einen Seite nicht trocken und nüchtern, auf der anderen Seite nicht schwärmerisch und wesenlos werden, vor allen Dingen aber selbständig sein, die Kraft besitzen, sich selbst zu beherrschen, und den inneren Gang seiner Gedanken allem äußeren Genuß und Treiben vorziehen.
Indem ich auf das Geschriebene zurücksehe, muß ich Sie, liebe Charlotte, ordentlich um Verzeihung bitten, Ihnen so allgemeine Dinge und Betrachtungen zu schicken. Aber es ist dies neben dem Andenken an die Vergangenheit, die nie für mich zurückkehren kann, das einzige, worin ich lebe. Solche Ideen schließen sich an meine wissenschaftlichen Berührungen an, und so haben Sie den ganzen Kreis, worin ich lebe, wenn ich in mir sein kann, und aus dem ich nur halb und geteilt herausgehe, wenn mich Pflicht oder freiwillige Sorge für andere herausruft. Diese Art zu sein hat sich ohne mein Zutun in mir gestaltet. Ich bin mir bewußt, daß ich sie nicht absichtlich hervorgerufen habe. Ich würde auch nicht entgegenarbeiten, wenn ich plötzlich fühlte, daß es anders in mir würde, daß ich wieder Lust an den Dingen hätte, die mich vor jenem Schlage erfreuten, daß ich mich wieder freiwillig ins Leben mischte, daß ich anderer Freude fähig sei, als die ich aus mir selbst und der Vergangenheit schöpfe, so würde ich mich frei darin gehen lassen, wenn ich mir auch selbst gestehen müßte, daß diese Änderung meine innere parteilose Billigung nicht erhalten könnte. Ich denke nicht einmal daran, ob meine jetzige Stimmung mich bis ans Ende meiner Tage begleiten, oder ob die Zeit, wie die Leute so und nicht ganz mit Unrecht sagen, auch meine Gefühle abstumpfen und abändern wird. Ich bin hierin nicht bloß allem Affektierten, sondern auch allem Absichtlichen feind. Kann das Gefühl, das ich, seit ich eine solche Verbindung kannte, immer gehabt habe, daß es eine innere Verbindung zwischen Menschen gibt, deren Auflösung dem Zurückbleibenden alle Fähigkeit, alle Neigung und allen Wunsch nimmt, anderswoher Glück und Freude zu schöpfen, als aus sich selbst und dem Andenken, kann, sage ich, dies Gefühl untergehen, so möge es plötzlich verschwinden oder nach und nach ersterben. Im Reiche der Empfindungen muß nichts länger leben, als es innere Kraft zu leben hat. Bis jetzt ist es nur immer in mir gewachsen, und ich verdanke ihm alles, was ich seit jener gewaltsamen Zerreißung an innerer Stärke, Beruhigung und wirklicher Heiterkeit genossen habe, und was mir kein Mensch auf Erden, selbst meine Kinder nicht, ohne jenes Gefühl hätten geben können. Ich empfinde die Wohltätigkeit dieses Gefühls auch an der größeren Klarheit und Sicherheit meiner Ideen und Empfindungen. Denn, wenn ich auch zu manchen äußeren Geschäften weniger geschickt sein mag als sonst, so fühle ich dagegen deutlich, daß meine Ideen in jeder Rücksicht lichtvoller und fester geworden sind.
Ich bestimme Ihnen heute keinen Tag zum Schreiben, da mein Wunsch und meine Bitte dahin geht, daß Sie mir so bald schreiben mögen, als Sie können. Mit unveränderlicher Teilnahme und Freundschaft der Ihrige. H.
Tegel, den 6. Mai 1831.

Unmittelbar nach dem Abgang meines letzten Briefes an Sie, liebe Charlotte, empfing ich den Ihrigen und ersah daraus, daß ich die Ursache Ihres verzögerten Schreibens richtig erraten hatte. Bald darauf erhielt ich auch Ihren zweiten Brief.
Ich habe Sie längst befragen wollen, liebe Charlotte, ob Sie je Schillers Leben von Frau von Wolzogen gelesen haben. Wo nicht, so rate ich Ihnen, das Buch ja bald zu lesen. Ich glaube nicht, daß es ein zweites so schön geschriebenes, so geistvoll gedachtes und so tief und zart empfundenes Buch gibt. Ein Mann könnte garnicht so schreiben, wenn er auch sonst vorzüglich von Kopf und Gemüt wäre. Unter allem, was ich bisher von Frauen gelesen habe, weiß ich nichts damit zu vergleichen. Außerdem sind viele Briefe von Schiller in dem Werke, und unter diesen vortreffliche. Das Buch wird Ihnen Freude machen.
Was ist Poesie? – sagen Sie und setzen hinzu, ich denke, man muß sie empfinden. – Ich bin ganz Ihrer Meinung. Wer recht lebendig empfindet (denn empfunden muß und kann es eigentlich nur werden), daß etwas poetisch ist, bedarf nicht der Erklärung, und wer kein Gefühl dafür hat, dem kann alle Erklärung durch Worte nicht helfen. Insoweit es möglich ist, hat es gewiß Schiller getan, der mehr als irgend jemand die Gabe besaß, in Worte zu kleiden, was in seiner eigentümlichen Natur dem Ausdruck widerstrebt. Beispiele erklären es schon besser. Nehmen wir zwei gleichzeitige Dichter, die Sie gleich gut kennen, Gellert und Klopstock. Beide sind miteinander zu vergleichen, weil sie beide geistliche Stoffe behandelt haben, weil sie gewiß beide von gleich edler Frömmigkeit und gleich reiner Tugendliebe beseelt waren, und endlich auch, weil sie eine große und tiefe Wirkung auf die Gemüter und die Herzen ihres Zeitalters hervorgebracht haben. Aber gewiß sind Sie meiner Meinung, daß in Klopstock ein ungleich höherer Schwung ist, daß man bei seinen Worten mehr denkt, von ihnen mehr hingerissen wird. Gellerts Verse sind nur gereimte Prosa, Klopstock war durchaus eine poetische Natur. – Ich bitte Sie, Ihren nächsten Brief am 24. abzusenden. Leben Sie herzlich wohl. Mit der aufrichtigsten Teilnahme und Freundschaft der Ihrige. H.
Tegel, den 3. Juni 1831.

Ihr Brief vom 22. bis 25. vor. Monats ist mir allerdings so spät zugekommen, daß mich sein Ausbleiben wunderte. Ich wußte diesmal garnicht, welcher Ursache ich Ihr Stillschweigen zuschreiben sollte. Doch hatte ich keine Besorgnis vor Krankheit, weil ich mich darauf verlasse, daß Sie mir, liebe Charlotte, in einem solchen Fall immer, wenn auch noch so wenige Worte sagen werden. Desto mehr habe ich mich jetzt gefreut, einen ausführlichen Brief zu erhalten. Wenn ich dies sage, meine ich nur, daß ich die Blätter von Ihrer Hand immer gern lese, und immer, was Sie betrifft, es sei erfreulich, oder es sei das Gegenteil, mit wahrer und aufrichtiger Teilnahme mitgeteilt erhalte. Denn sonst konnte mich das, was Sie mir darin über den neuen Verlust, der Sie betroffen, und die Stimmung, in welche Sie dieser Trauerfall versetzt hat, nur schmerzlich berühren. Auch ganz ohne die Familie zu kennen, hat der Todesfall dieser jungen Person etwas ungemein Rührendes. Er ist sichtbar eine Folge des Todes der Schwester und der, aus Liebe für die Dahingegangene, zu beschwerlich in der Besorgung der Kinder und des Hauswesens übernommenen Anstrengung. Beides vereinigt hier alles, was das Bedauernswürdige des Falles vermehren kann. Sie sagen, daß ein so früher Tod beneidenswert sei, der eine schöne, reine, frische Blüte bricht, ehe der rauhe Nord sie erstarrt, und Sie kommen auch in einer andern Stelle Ihres Briefes hierauf zurück. Ich erinnere mich sehr wohl, das gleiche Gefühl vor vielen Jahren bei dem Tode meines ältesten Sohnes, eines damals zehnjährigen Knaben, gehabt zu haben. Er starb in Rom, wo er auch an einem schönen Orte unter nun großen schattigen Bäumen begraben liegt. Er war ein wunderschönes, verständiges, gutes Kind und ging aus einer plötzlichen und schnell endenden Krankheit in vollem Frohsein und voller Heiterkeit hinüber. Ich erkenne daher sehr die Wahrheit jenes Gefühls, allein das Leben hat doch auch seinen Wert, selbst wenn es der Freuden weniger gibt oder gegeben hat. Es stärkt die Kraft, es reift das Gemüt, und ich kann mir wenigstens die Überzeugung nicht nehmen, daß das Wichtigste für den Menschen der Grad der inneren Vollkommenheit ist, zu dem er gedeiht. Dazu aber trägt das Leben selbst in seinen Stürmen, und seinen rauhen Stürmen, mächtig bei. Alle diese Betrachtungen sind aber nur bis auf einen gewissen Punkt trostreich und beruhigend. Der Verlust geliebter Personen bleibt in sich unersetzlich, und der Kummer und Gram darum lindert sich, wie ich sehr gut weiß und empfinde, durch keine Betrachtungen, eher noch in manchen Fällen und bei manchen Gemütern durch den ruhigen Verlauf der Zeit. Da Sie schon sehr einsam leben, so begreife ich noch mehr und fühle noch lebhafter, wie dieser unerwartete Verlust Sie auf einmal noch viel schmerzlicher trifft. Wenn die Aufrichtigkeit und die Wärme meiner Teilnahme dazu beitragen kann, Ihrem Kummer Linderung zu gewähren, so zählen Sie mit Sicherheit auf beide. Sie kennen meine Gesinnungen für Sie, Sie wissen, daß dieselben vom ersten Augenblicke an, wo Sie sich nach einer bedeutenden Reihe von Jahren an mich wandten anteilvoll und wohlwollend gewesen sind, ob gleich ich in der ganzen Zwischenzeit nichts von Ihnen wußte, und unsere Jugendbekanntschaft nur das Werk weniger Tage war. Dieser Ihnen aus dem reinen Wunsche, wohltätig und erheiternd auf Sie, Ihre Stimmung und Ihr Leben einzuwirken, gewidmete Anteil wird Ihnen bleiben, und Sie können sich versichert halten, daß er sich bei jedem kleineren und größeren Vorfall Ihres Lebens aufs neue beweisen wird. Je mehr ich in mir selbst lebe, je mehr ich in dem Zustand bin, nichts von außen empfangen zu wollen, je freier ich mich in die Lage versetzt habe, ohne alle Rücksicht jede Gemeinschaft, außer der mit meinen Kindern, zurückzuweisen, desto freier, reiner und forderungsloser ist auch mein Anteil an denen, von welchen ich weiß, daß sie ihn gütig aufnehmen und daß er ihnen Freude macht. Ich sehe und empfinde die Ereignisse des Lebens jetzt mehr in anderen als in mir selbst, ich bin ruhig und in Erinnerungen und Betrachtungen, wenn auch oft wehmütig, dennoch heiter. Meine Freunde und Bekannten, die das wissen, lassen mich gewähren und stören mich in diesem abgeschlossenen Kreise nicht; aber mein Anteil an Ihnen und Ihrem Schicksal ist gleich groß.
Über meine Gesundheit kann ich Ihnen nur Gutes sagen. Ich kann über keine Kränklichkeit, nur über die Schwächlichkeiten klagen, die Sie längst kennen. Sie rühmen, liebe Charlotte, meine feste Hand und freuen sich darüber. Ihr Urteil hierin ist auch mir darum um so wichtiger, als Sie die erste waren, die mich auf die Schwäche und das Zitterhafte meiner Hand aufmerksam machte. Ich wunderte mich damals darüber, wie einer, der etwas von sich erfährt, was er selbst nicht gewußt hat, ich bemerkte aber, daß Ihre Bemerkung ganz richtig war. Ich habe seit dem Winter etwas gebraucht, was das Zittern der Glieder und die Schwäche der Hand heben soll. Gegen das erste hat es sichtbar geholfen, vielleicht auch gegen das letzte, doch glaube ich das eigentlich nicht. Was Ihnen den Eindruck gemacht, schreibe ich mehr der Methode zu, die ich angenommen habe, wie die Kinder auf Linien zu schreiben, dies hält die Züge und die Hand mehr in Ordnung. Mein Arzt schließt aus der Wirkung der verordneten Mittel, daß die Ursache der Schwäche im Rückgrat liegt, und rät zum Gebrauch eines kräftigen Seebades. Ich werde also in diesem Sommer nicht Gastein, sondern Norderney gebrauchen. Sie wissen wohl, daß dies eine Insel ist, welche der Stadt Aurich in Ost-Friesland gegenüber liegt. Meine älteste Tochter wird mich begleiten, und ich werde eine Reise auf eines meiner Güter damit verbinden.
Leben Sie herzlich wohl; mit dem innigsten Anteil der Ihrige. H.
Oschersleben, den 3. Juli 1831.

Ich sehe aus Ihrem Briefe, daß Sie Ihren Reiseplan aufgegeben haben, und kann das nur billigen. Solange man noch in seinen häuslichen Gewohnheiten ruhig ist, fühlt man in diesen wohl eine gewisse ermüdende Einförmigkeit, die auf eine Reise mit Vergnügen hinblicken läßt. Wenn aber der Zeitpunkt kommt, sich loszureißen, so fühlt man alles Beschwerliche und Unerfreuliche, das nicht heimisch scheint, und lernt erst den Wert der gewöhnlichen Existenz in alledem erkennen, was einen alle Tage umgibt. Ich selbst habe mich diesmal höchst ungern zur Badekur entschlossen und hätte es nicht getan, wenn ich nicht glaubte, daß ohne die Kur die Schwächlichkeiten, an denen ich leide, und die doch meine freie Tätigkeit hemmen, zu sehr anwachsen könnten. Interesse finde ich an der Reise garnicht. Einige Menschen in den Orten, durch die ich reise, sehe ich allerdings gern wieder, aber das wiegt doch die vielen anderen Unbequemlichkeiten, und besonders den Zeitverlust, nicht auf. Zu dem allen kommt die Ungewißheit der Zeiten.
Sie reden in Ihrem Briefe über den Wert des Lebens und äußern, daß ihn die geschwächten Kräfte des Alters noch mindern. Wenn man von dem Glückswert des Lebens spricht, so gebe ich gern zu, daß man ihn nicht immer hoch anschlagen kann. Ich behaupte sogar, daß alle, die ungefähr in meinem Alter sind, von der jetzigen Zeit wenig oder nichts Erfreuliches zu erwarten haben können, denn in allem, was das menschliche Leben äußerlich angeht, trüben sich die Aussichten, verwirren sich die Begriffe bis zu den verschiedensten Meinungen, und die Jahre, die ich noch zu leben habe, werden nicht hinreichen, dies zu lösen. Ist es aber recht und erlaubt, den Wert des Lebens wie den eines andern Guts zu schätzen? Das Leben ist dem Menschen von Gott gegeben, um es auf eine ihm wohlgefällige pflichtgemäße Weise anzuwenden und im Bewußtsein dieser Anwendung zu genießen. Es ist uns allerdings zum Glück gegeben. Dem Glück ist aber immer die Bedingung gestellt, daß man es zuerst, und wenn die mancherlei Tage Prüfungen mit sich führen, allein in der mit Selbstbeherrschung geübten Pflicht finde. Ich frage mich daher nie, welchen Wert das Leben noch für mich hat, ich suche es auszufüllen und überlasse das andere der Vorsehung. Die Schwächung, welche die Kräfte durch das Alter erfahren, kenne ich sehr wohl aus eigener Erfahrung, aber ich möchte darum nicht zurücknehmen, was ich Ihnen neulich schrieb, daß der Zweck des Lebens eigentlich der ist, zu der höchsten, dem inneren Geistesgehalt des Individuums, von dem die Rede ist, den Umständen und der Lebensdauer angemessenen Erkenntnisreife zu gedeihen. Es gibt allerdings Fälle, wo das Alter alle Geisteskräfte vernichtet. So war es mit Campe, der die letzten fünf Jahre seines Lebens hindurch bloß vegetierte, und von dem man kaum sagen konnte, daß er wieder zum Kindesalter zurückgekehrt war. Über diese Fälle ist nichts zu sagen. Der Mensch hört in ihnen menschlich auf zu sein, ehe er physisch stirbt. Sie sind aber glücklicherweise selten. Die gewöhnlichen Altersschwächen gehen mehr den Körper an, und im Geiste bleibt die Kraft des Entschlusses, seine Schnelligkeit und Ausdauer, das Gedächtnis, die Lebendigkeit der Teilnahme an äußeren Begebenheiten. Das in sich gekehrte Denkvermögen und das Gemüt bleiben nicht nur in den meisten Fällen ungeschwächt, sondern sind reiner und minder getrübt durch Verblendung und Leidenschaften. Gerade aber diese Kräfte sind es, die am besten und sichersten zu der oben erwähnten Reife der Erkenntnis führen. Sie wägen in den höheren Jahren, die keine Ansprüche mehr an Erfolge des Glücks und Veränderung der Lage machen, am richtigsten den wahren Wert der Dinge und Handlungen ab und knüpfen das Ende des irdischen Daseins an die Hoffnung eines höheren an; sie läutern die Seele durch die ruhige und unparteiische Prüfung dessen, was in ihr im Leben vorgegangen ist. Niemand muß glauben, mit dieser stillen Selbstbeschäftigung schon fertig zu sein. Je mehr und anhaltend man sie vornimmt, desto mehr entwickelt sich neuer Stoff zu derselben. Ich meine damit nicht ein unfruchtbares Brüten über sich selbst, man kann dabei tief mit seinen Gedanken in der Zeit und der Geschichte leben, aber wenn man dies tut, was nicht notwendig ist, meine ich nicht das Ziehen jedes Gedankenstoffes in den Kreis der Irdischkeit, sondern in den höheren, dem der Mensch vorzugsweise in seinen spätesten Jahren angehört. Denn dieser zweifache Kreis ist dem Menschen sichtbar angewiesen. In dem einen handelt er, ist er geschäftig, trägt er im Kleinsten und Größten zu den Menschenschicksalen bei, davon aber sieht er niemals das Ende, und darin ist nicht er der Zweck. Er ist nur ein Werkzeug, nur ein Glied der Kette, sein Faden bricht oft im entscheidendsten Moment ab, der des Ganzen läuft fort. In dem andern Kreise hat der Mensch das Irdische, nicht dem Erfolg, sondern nur der Idee nach, die sich daran knüpft, zum Zweck und geht mit diesem Streben über die Grenzen des Lebens hinaus. Dieses Gebiet ist nur dem einzelnen, aber jedem Menschen für sich angewiesen. Die Nationen, das Menschengeschlecht im ganzen, strömen bloß im Irdischen fort. Jeder Mensch dreht sich, wenn er auf sich achtet, immer in diesen beiden Kreisen herum, aber dem Alter ist der höhere und edlere mehr eigen, und nicht ohne Grund befallen den Menschen Altersschwächen, er widmet sich, dadurch gemildert und beruhigt, jenen höchsten Betrachtungen.
Ich bitte Sie, Ihren nächsten Brief am 20. Juli zur Post zu geben und nach Norderney über Aurich zu adressieren. Ich habe diesen Brief im Hause meines Pächters angefangen und schließe ihn heute, den 6. Juli, in Zelle. Meine Reise ist, wie es eine so unbedeutende Reise natürlich ist, ohne alle Abenteuer gewesen. Mit unveränderlicher Teilnahme der Ihrige. H.
Norderney, den 26. Juli 1831.

Es kommt mir ordentlich wunderbar vor, liebe Charlotte, nachdem ich Ihnen mehrere Sommer von den Gebirgen von Gastein aus geschrieben, es nun von den niedrigen Dünen und der flachen Küste der Nordsee zu tun. Es interessiert Sie aber wohl auch, imstande zu sein, sich einen Begriff von dem Seebade und meinen Umgebungen zu machen. Zuerst werden Sie, nach Ihrer Teilnahme an mir, von meinem Befinden zu hören wünschen. Bis jetzt kann ich Ihnen nur das Beste davon sagen, und da ich schon heute das vierzehnte Bad genommen, so hoffe ich, daß mein Befinden ferner gut bleiben wird, obgleich man freilich von Erfolg und Wirkung einer Badekur erst urteilen kann, wenn sie beendet ist. Aber das Gefühl der allgemeinen Belebung und Erfrischung, die Freiheit des Kopfes und die Leichtigkeit in allen Gliedern, unmittelbar wenn man aus der See kommt, habe ich bis jetzt vollkommen. Das Übrige und Wesentlichere hoffe ich um so mehr, als meine Forderungen an die Kur höchst mäßig sind. Ich bin vollkommen zufrieden, wenn das Übel, um dessenwillen der Arzt wollte, daß ich dies Bad nehmen sollte, im nächsten Jahre nicht zunimmt. Ich bin nicht so betört und nicht so unbescheiden gegen das Schicksal, an eine wirkliche Heilung zu denken. In höheren Jahren muß man sich darauf gefaßt machen, gewisse Unbequemlichkeiten in seine Existenz als unvermeidlich und unabänderlich aufzunehmen. Der menschliche Organismus und die im Laufe der Zeit natürliche Vergänglichkeit lassen das nicht anders zu, und die Unbequemlichkeiten, an denen ich leide, sind überdies, gegen die anderer Menschen gehalten, so leidlich, daß ich doppelt strafbar sein würde, dadurch ungeduldig gemacht zu werden.
Die Luft wird hier, selbst bei heiterem Sonnenschein, auch in diesem Monat unaufhörlich durch frische Seewinde abgekühlt, die das Meer bald nur lieblich kräuseln, bald in hohen Wellen bewegen. Dieser Anblick des Meeres ist für mich hier dasjenige, was dem Aufenthalt seinen eigenen Reiz gibt. Ich besuche den Strand gewöhnlich jeden Tag mehr als einmal außer dem Baden und oft auf Stunden. So einfach die Bewegung des Meeres scheint, so ewig anziehend bleibt es, ihr zuzusehen. Man kann es nicht mit Worten ausdrücken, was einen gerade daran fesselt, aber die Empfindung ist darum nicht weniger wahr und dauernd. Viel trägt gewiß die Unermeßlichkeit der Erscheinung, der Gedanke des Zusammenhanges des einzelnen Meeres, an dessen Küste man steht, mit der ganzen, Weltteile auseinander haltenden Masse bei. Diese malt sich wirklich, kann man sagen, in jeder einzelnen Welle. Das Dunkle, Unergründliche der Tiefe tut auch das ihrige hinzu, und nicht bloß das der Tiefe, sondern auch das Unerklärliche, Unverständliche dieser wilden und unermeßlichen Massen der Luft und des Wassers, deren Bewegungen und Ruhe man weder in ihren Ursachen, noch in ihren Zwecken einsieht, und die doch wieder ewigen Gesetzen gehorchen und nicht die ihnen gezogenen Grenzen überschreiten. Denn die bewegtesten Wellen des Meeres laufen in spielenden Halbkreisen schäumend auf dem flachen Lande aus. Schade ist es, daß man hier das Meer nirgends aus den Häusern oder doch nur sehr unvollkommen aus Bodenkammern sieht. Die ganze Insel ist von Dünen, niedrigen Sandhügeln, umgeben, die man immer erst übersteigen muß, ehe man an das Ufer kommt. Auf diesen geht man dann aber auch, wenn es die Zeit der Ebbe ist, besser wie es sonst irgend auf dem Lande möglich ist. Der Boden ist fest wie eine Tenne, und doch elastischer und minder hart. Zwischen diesem in der Zeit der Flut immer bespritzten Strande und den Dünen ist tiefer Sand, und wo diese Strecke sehr breit ist, da gleicht die Insel einer afrikanischen Wüste. Ein Bach ist nirgends, nur teils gegrabene, teils natürliche Brunnen süßen Wassers. Aber auch dies Wasser ist nicht sonderlich gut. In der Mitte, von den Dünen eingeschlossen, sind aber grüne Anger und Wiesen, auf denen Vieh weidet. Wirklich hohe Bäume hat die Insel garnicht, nur Gesträuch; höherem Wuchs widersetzen sich die Stürme, aber von diesem Gesträuch sind ganz hübsche Bosketts und einige gegen Sonne und Wind schützende Laubengänge angelegt. Es gibt auf der ganzen Insel nur ein, aber sehr ansehnliches Dorf. In diesem wohnen auch die Badegäste, in kleinen, aber sehr reinlichen Wohnungen. Die Einrichtung ist hier schon mehr holländisch und englisch. Was diesen Fischer- und Schifferhäusern, denn das sind die Bewohner größtenteils, von außen ein gefälliges Äußere und innerlich Freundlichkeit und Licht gibt, ist, daß die Fenster sehr groß sind, hölzerne Kreuze und große, helle und gut gehaltene Glasscheiben haben, viel besser, als dies bei uns manchmal selbst in größeren Städten der Fall ist. Ein Haus gehört der Badeanstalt selbst, in diesem wohne ich, es ist aber klein und gewährt wenig Vorzüge gegen die Wohnungen bei den Dorfbewohnern. Die Badegesellschaft ist ziemlich zahlreich, obgleich die Furcht vor der Cholera viele abhält, in diesem Jahr die Ost- und selbst die Nordseebäder zu besuchen. Für das Zusammenkommen der Badegäste gibt es ein eigenes Gebäude mit Versammlungssälen zum Speisen und zu Abendgesellschaften. Ich esse aber in meiner Wohnung und bin erst einmal in jenem Saale gewesen. Doch gibt es einzelne Personen, die mich und die ich besuche. Was den Aufenthalt in diesem und in allen Seebädern in Vergleichung mit anderen Bädern angenehmer macht, ist der Umstand, daß man hier nicht von so schweren Kranken und von so großen Krüppelhaftigkeiten hört und noch weniger sieht. Gegen solche Übel ist das Seebad nicht geeignet, und da es auch immer, um Gebrauch davon machen zu können, noch gewisse Kräfte voraussetzt, so können so sehr kranke Personen es nicht benutzen. Ich sehe nur einen Mann hier, der auf Krücken geht und sich, da der Weg zum Badestrande vom Dorfe nicht ganz nahe ist, in einer Sänfte hintragen läßt. So können Sie sich nach der ausführlichen Beschreibung meines hiesigen Aufenthaltes ein anschauliches Bild meines Lebens machen.
Ich habe noch keinen Brief von Ihnen erhalten, glaube aber gewiß, daß ich morgen, wo Posttag für ankommende Briefe ist, einen erhalten werde. Ich lasse indes den meinigen immer abgehen. Die Briefe bleiben hier ungewöhnlich lange aus. Ich bitte Sie, mir am 5. August hierher, wie ich Ihnen neulich schrieb, über Aurich zu schreiben. Mit der herzlichsten Teilnahme Ihr H.
Tegel, den 1. Januar 1832.

Ich bin fortdauernd sehr wohl und kann auch weniger über Schwächlichkeit klagen als sonst. Das Seebad hat mir offenbar wohlgetan, nur mit dem Schreiben geht es gleich langsam und schlecht, und die Stumpfheit der Augen nimmt doch zu. –
Sie freuen sich, daß ich mich wieder heiter dem Leben zuwende, und da Sie liebevollen Anteil an mir nehmen, so können Sie sich allerdings meiner größeren Kräftigkeit freuen. Mit dem heiteren Zuwenden zum Leben aber ist es eine eigene Sache. Es ist wahr und nicht wahr zugleich. Ich hatte mich niemals vom Leben abgewendet, dies zu tun ist ganz gegen meine Gesinnung; solange man lebt, muß man das Leben erhalten, sich ihm nicht entfremden, sondern darin eingreifen, wie es die Kräfte und die Gelegenheit erlauben. Das Leben ist eine Pflicht, die man erfüllen muß; man ist allerdings in der Welt, um glücklich zu sein, aber der Gutgesinnte findet sein höchstes Glück in der Pflichterfüllung, und der Weise trauert nicht, wenn ihm auch kein anderes wird, als was er sich selbst zu schaffen imstande ist. In einem anderen Sinne aber dem Leben zugewendet habe ich mich nicht. Die Änderung, die das Gefühl größerer Kräftigkeit in mir hervorgebracht hat, ist die, daß es mich gemahnt hat, da ich das Vermögen in mir dazu besitze, noch allerlei zu vollenden, was ich im Sinn habe, eingedenk der Ungewißheit der mir dazu übrig bleibenden Zeit. Die Folge ist also gewesen, daß ich noch haushälterischer mit meiner Zeit umgehe und mich seit meiner Rückkehr von Norderney noch einsamer zurückgezogen habe, mich noch anhaltender mit mir selbst beschäftige, und mir alles andere noch gleichgültiger in Beziehung auf mich ist. Die Heiterkeit am gegenwärtigen Augenblicke kann mir nicht wieder werden, seitdem meinem Leben etwas fehlt, für das es keinen Ersatz gibt, aber die Beschäftigung mit der Vergangenheit gibt mir eine sich immer gleich klare und ruhige Heiterkeit. Das Leben recht eigentlich in seinen guten und bitteren Momenten durchzuempfinden und das Tiefste und Eigenste, was die Brust in sich schließt, seinen äußeren Einwirkungen entgegenzustellen, nannte ich oben eine Pflicht, und sie ist es gewiß, aber es wäre auch widersinnig, es nicht zu tun. Das Dasein des Menschen dauert gewiß über das Grab hinaus und hängt natürlich zusammen in seinen verschiedenen Epochen und Perioden. Es kommt also darauf an, die Gegenwart zu ergreifen und zu benutzen, um der Zukunft würdiger zuzureifen. Die Erde ist ein Prüfungs- und Bildungsort, eine Stufe zu Höherem und Besserem, man muß hier die Kraft gewinnen, das Oberirdische zu fassen. Denn auch die himmlische Seligkeit kann keine bloße Gabe sein und kein bloßes Geschenk, sie muß immer auf gewisse Weise gewonnen werden, und es gehört eine wohl erprüfte Seelenstimmung dazu, um ihrer durch den Genuß teilhaftig zu werden.
Es hat mich sehr geschmerzt, aus Ihrem Briefe zu ersehen, daß neue Trauerfälle Ihnen das Ende des Jahres trüben; es hat mir umsomehr leid getan, da Sie eben auf dem Wege waren, größere Heiterkeit zu gewinnen. Die Schicksale des Lebens gehen ihren Gang, scheinbar fühllos, fort. Ich habe in diesem Jahre drei sehr langjährige Freunde, einen, der älter als ich war, und zwei jüngere, verloren. Aber die Gewöhnlichkeit und Natürlichkeit dieser Fälle mildert den Schmerz nicht und wehrt nicht der Trauer. Die beklommene Brust fragt sich immer, warum, da so viele länger leben, der Dahingegangene gerade vorangehen mußte. Was Sie von Ihrer ersten Erzieherin sagen, hat mich sehr gefreut und gerührt. Jedes gutgesinnte Gemüt, geschweige denn zart und edel fühlende, bewahrt durch das ganze Leben willig gezollte Dankbarkeit für die Pfleger der Kindheit. Schon im Altertum ist das wahr und schön beschrieben. Die Behandlung der Kindheit fordert Geduld, Liebe und Hingebung, und diese Jahre hindurch ihr gewidmet zu sehen, berührt, wie auch übrigens der Mensch sein mag, die weichsten und zartesten Saiten des Busens. Dies Gefühl ist im ganzen sich immer gleich, der Unterschied beruht vorzüglich auf der Innigkeit des Empfindenden. Der Maßstab der Dankbarkeit ist aber der Grad der Liebe, den der, an den sie knüpft, in das Geschäft legte. Viele, die bei Kindern sind, tun ihre Pflicht, aber das Herz ist nicht dabei, das merkt das Kind gleich. Ich fühle recht, daß es das war, was Sie an der Verlorenen schätzten. Möge das neue Jahr Ihnen Heiterkeit und Freude bringen, Sie vor Verlusten in dem schon engen Kreise bewahren und über Ihre Stimmung, wie ernst sie auch manchmal sein möge, immer das freundliche Licht ausgießen, in dem man, wenn man auch das Leben nur als einen Weg zum Höheren anfleht, sich doch noch auch am Anblick des Weges erfreut. Erhalten Sie mir auch Ihr Wohlwollen, wie Ihnen meine unveränderliche und herzlichste Teilnahme immer gewidmet bleibt. Seien Sie auch nicht besorgt um mich, ich bin gerade so glücklich, wie ich jetzt lebe, und kann es nur so sein. Wenn mir die Einsamkeit und mein täglicher stiller Spaziergang bleibt, kann mir in den Äußerlichkeiten des Lebens viel Unglück begegnen, ohne daß es mein Inneres berührt. Leben Sie wohl! Der Ihrige. H.
Tegel, den 2. Februar 1832.

Der heitere Ton Ihres lieben Briefes vom 12. Januar hat mir die größte Freude gemacht, und ich danke Ihnen, liebe Charlotte, recht herzlich und aufrichtig dafür. Ich habe diesen Brief schon lange bekommen, aber keinen zweiten, von dem Sie doch in diesem reden. Sie wollten ihn acht Tage später schreiben, wäre das geschehen, so müßte der Brief längst in meinen Händen sein.
Ich nehme immer den lebhaftesten und aufrichtigsten Teil an Ihnen, Ihrem Befinden und Ihrer Gemütsstimmung, und so wäre mir die größere Heiterkeit, die aus Ihrem Briefe hervorleuchtet, immer noch ein Gegenstand großer, inniger Freude gewesen. Noch erfreulicher aber ist es, daß Sie diese größere Ruhe, diese freudigere Erhebung des Gemüts, welche Sie in sich wahrnehmen, dem Einfluß, den ich auf Sie ausübe, und den Eindrücken meiner Briefe zuschreiben. Es soll mir unendlich lieb sein, wenn sie eine solche Kraft besitzen. Wenn dem so ist, wie ich denn gewiß glaube und sicherlich keinen Zweifel in Ihre Worte setze, so entspringt es aus dem Gefühl und der Zuversicht, die Sie haben, und die Ihnen die einfache Natürlichkeit meiner Worte einflößen muß, daß, was ich sage, unmittelbar aus meinem Herzen kommt. In etwas anderem kann es nicht liegen. Es geht überhaupt mit allem Zuspruch in Belehrung, Tröstung und Ermahnung so. Das Belehrende, Tröstende, Ermahnende, wenn es erfolgreich ist und dem in das Gemüt und die Seele dringt, an welchen es gerichtet ist, liegt nur zum kleinsten Teil in den dargestellten Gründen selbst. Viel mehr schon ruht die Wirkung in dem Ton und dem begleitenden Ausdruck, weil dieser der Persönlichkeit angehört. Denn eigentlich kommt alles auf diese an, das ganze Gewicht, was ein Mensch bei einem anderen hat, teilt sich demjenigen, was er sagt, mit, und dasselbe im Munde eines anderen hat nicht die gleiche Wirkung. Sie müssen es also den Gesinnungen zuschreiben, die Sie für mich so liebevoll hegen, wenn meine Worte vorzugsweise Eindruck auf Ihr Gemüt machen. Es freut mich aber ungemein, wenn Sie sagen, daß ich Ihnen in Trost und Ermutigung gerade das zubringe, was Ihrer Stimmung angemessen ist. Ein natürlicher Hang hat mich schon sehr früh im Leben auf das Streben geleitet, in jeden Charakter und in jede Individualität so tief einzugehen, als möglich war, um mich möglichst in ihre Denkungs-, Empfindungs- und Handlungsweise zu versetzen, und was Sie mir sagen, ist mir ein neuer Beweis, daß mir mein Bestreben nicht ganz mißlungen ist. Es ist aber nicht genug, die Ansichten der Menschen zu kennen, man muß auch zu bestimmen verstehen, wie sie sich zu denen verhalten, die man als die unbedingt richtigen, hohen und von allen, den einzelnen Individualitäten immer anklebenden Einseitigkeiten freien, anzusehen hat, und danach die Richtung des Individuums lenken. Auf diesem Wege muß man dahin gelangen, jedem einzelnen nicht bloß verständlich zu werden, sondern ihn auch auf diejenige Weise zu berühren, welche gerade für seine Empfindungsart die passendste und angemessenste ist. Man braucht aber bei diesem Gange nie seine eigene Natur weder aufzugeben, noch zu verleugnen, auch nicht die fremde unbedingt für die einzig beifallswürdige anzusehen. Da man immer von dem Punkte ausgeht und wieder dahin zurückkommt, wo sich alle Individualitäten ausgleichen und vereinigen, so fallen die schneidenden Kontraste von selbst weg, und es bleibt nur das miteinander Verträgliche übrig. Es ist wirklich das Wichtigste, was das Leben darbietet, sich nicht in sich zu verschließen, sondern auch ganz verschiedenen Empfindungsweisen so nahe als möglich zu treten. Nur auf diese Art würdigt und beurteilt man die Menschen auf ihre und nicht auf seine eigene, einseitige Weise. Es beruht auf dieser Manier zu sein, daß man Respekt für die abweichende des anderen behält und seiner inneren Freiheit niemals Gewalt anzutun versucht. Es gibt außerdem nichts, was zugleich den Geist und das Herz so anziehend beschäftigt, als das genaue Studium der Charaktere in allen ihren kleinsten Einzelheiten. Es schadet sogar wenig, wenn diese Charaktere auch nicht gerade sehr ausgezeichnete oder sehr merkwürdige sind. Es ist immer eine Natur, die einen inneren Zusammenhang zu ergründen darbietet, und an die ein Maßstab der Beurteilung angelegt werden kann. Vor allem aber gewährt einem diese Richtung den Vorzug, die Fähigkeit zu gewinnen, den Menschen, mit denen man in Verbindung steht, innerlich in aller Rücksicht mehr sein zu können.
Was Sie mir von den Äußerungen einiger Menschen über Todesfälle schreiben, habe ich sehr merkwürdig gefunden. Die Betrachtung, daß dem Verstorbenen wohl ist, wird sehr oft nur als ein Vorwand vorgebracht, seine eigene Gleichgültigkeit zu beschönigen. So wahr auch übrigens der Satz gewiß ist, so läßt er sich nicht einmal immer anwenden. Auch der Verstorbene ist oft zu beklagen, daß er so früh oder gerade in dem Augenblicke, wo er starb, hinweggerissen wurde. Eine junge Person hätte gern länger gelebt; eine Mutter wäre gern bei ihren Kindern geblieben, und hundert Fälle der Art. Für den Zustand jenseits gibt es kein zu früh oder zu spät, die Spanne des Erdenlebens kann dagegen garnicht in Betrachtung kommen. Die Wehmut, die das Herz bei Todesfällen geliebter oder geschätzter Personen erfüllt, ist eine Empfindung, die mit vielen im Gemüt zugleich zusammenhängt. Es ist wohl der Zurückbleibende, der sich selbst beklagt, aber es ist weit mehr noch als dies immer mehr oder weniger auf sich selbst und sein Glück bezogene Empfindung. Wenn der Tote ein sehr vorzüglicher Mensch war, so betrauert man gleichsam die Natur, daß sie einen solchen Menschen verlor. Alles um uns her gewinnt eine andere und schwermütigere Farbe durch den Gedanken, daß der nicht mehr ist, der für uns allem Licht, Leben und Reiz gab, es ist nicht mehr das einzelne Gefühl, daß uns der Dahingegangene so und so glücklich machte, daß wir diese und jene Freude aus ihm schöpften, es ist die Umwandlung, die unser ganzes Wesen erfahren hat, seit es den Weg des Lebens allein verfolgen muß. Für ein tiefer empfindendes Herz liegt auch darin ein höchst wehmütiges Gefühl, daß das Schicksal so enge Bande zerreißen konnte, daß die innere Verschwisterung der Gemüter nicht den Übrigbleibenden von selbst dem Vorangegangenen nachführte. Ich begreife, daß dies Gefühl nur in wenigen so lebendig sein, nur auf wenige Fälle passen könne. Aber auch ganz einfache Fälle, selbst unbedeutende, nur harmlose und gute Menschen, wenn sie auch kaum eine Lücke in der Reihe der Zurückgebliebenen zu machen scheinen, erregen doch immer Wehmut und Schmerz, die in einem irgend fühlenden Gemüt nicht so leicht und nicht so bald verklingen. Das Leben hat seine unverkennbaren Rechte, und es gibt nichts Natürlicheres als den Wunsch, womöglich mit allen, die man liebt und schätzt, zusammen darin zu bleiben, und den Schmerz, den nie endenden, wenn dies Band zerrissen wird. Die zu große Ruhe bei dem Hinscheiden geliebter Personen, wenn sie auch nicht aus Gefühllosigkeit, sondern aus christlicher Ergebung entspringt, ja die unnatürliche Freude, daß sie ins Himmelreich eingegangen sind, zeigen immer von einem überspannt frömmelnden Gemüt, und ich habe niemals damit sympathisieren können.
Die guten Nachrichten von Ihrer gestärkten Gesundheit haben mir lebhafte Freude gemacht. Suchen Sie nur ja, sich recht viel Bewegung zu machen. Dieser so ungewöhnlich gelinde Winter ladet doppelt dazu ein. Ich erinnere mich seit Jahren keines ähnlichen. Es ist wenigstens hier gar kein Schnee mehr. Wunderbar aber ist es, daß der See, der mehr als eine Meile im Umkreise hat, und in dem ich bloß fünf Inseln besitze, noch immer fest zugefroren ist. Die nächste Stadt von hier ist Spandau, die gerade an der gegenüberstehenden Seite des Sees liegt. Nun kommen alle Tage eine Menge Schlittschuhläufer von dort zum Vergnügen hierher, auch Frauenspersonen in Handschlitten, die von Schlittschuhläufern gestoßen werden. Dies geschieht alle Jahre, aber fast in jedem Jahr verunglückt auch einer bei solcher Postreise. Sie setzen nämlich diese Überfahrten zu lange, wenn auch schon Tauwetter ist, fort und kommen dann auf schwache, einbrechende Stellen. Diese Beispiele vermögen aber die anderen nicht abzuschrecken.
Mein Befinden ist sehr gut, ich habe kaum einmal einen Schnupfen in diesem Winter gehabt, aber ich mache mir viel Bewegung, und das tut mir immer ungemein wohl.
Ich bin im Schreiben dieses Briefes gestört worden und endige ihn erst heute, den 6. Februar. Leben Sie herzlich wohl, mit inniger Teilnahme und Freundschaft der Ihrige. H.
Tegel, den 7. März 1832.

Ich habe zwei liebe Briefe von Ihnen zur Beantwortung vor mir und fange in meiner Erwiderung zuerst mit dem an, womit Sie enden, mit dem Duell. Ich habe die erste Nachricht davon durch Sie erfahren, da ich Zeitungen sehr unordentlich und oft in vier und sechs Wochen gar keine lese. Das wird Ihnen unglaublich scheinen. Aber die sogenannten großen Begebenheiten bieten seit Jahren so wenig dar, woran sich das Gemüt innerlich interessieren könnte, daß mir sehr wenig daran liegt, sie früher oder später oder auch garnicht zu erfahren. In solche Periode des Nichtlesens war jene unselige Geschichte gefallen.
Mit den Duellen ist es übrigens eine eigene Sache. Viele sind freilich bloße Jugendtorheiten. Allein mit anderen verhält es sich doch anders. Sie sind ein notwendiges Übel, und in ihnen selbst liegt eine edle Art, einen einmal unheilbaren Zwiespalt zu lösen und abzumachen. Im Volke ziehen sich Feindschaften mit Erbitterung und Rachsucht jahrelang hin. Der Zweikampf, der nicht immer lebensgefährlich ist und oft ganz unblutig abgeht, führt schnell die Versöhnung herbei und endet allen Groll.
Sie haben, liebe Charlotte, sehr lange der Sterne nicht erwähnt, aber gewiß versäumen Sie solche nicht. Ich habe sie nie schöner als dies Jahr gesehen. Die Gegend um den Orion ist bezaubernd. Ich habe an zwei schönen Abenden meinen Spaziergang bis zur recht späten Sternenzeit verlängert und einen großen Genuß gehabt. Von jeher habe ich meine Spaziergänge gern so eingerichtet, daß der Sonnenuntergang die größere Hälfte desselben beschließt. Es hat etwas so Liebliches, die Dämmerung nach und nach untergehen zu sehen. Die Nacht hat überhaupt manche Vorzüge vor dem Tage. Eine stürmische ist erhabener, und eine sanfte und stille zieht das Gemüt ernster und tiefer an. Die kleineren Sterne entgehen nur jetzt meinen Augen, und man gewinnt doch nur dann eine richtige Ansicht der Sternbilder, wenn man auch die kleineren Sterne darin aufsuchen kann. Vormittags ist es eigentlich wärmer und in gewisser Art, besonders im Winter, besser zu gehen. Ich tue es aber nie, oder höchstens wenn mich jemand, was ich aber garnicht liebe, um die Tageszeit besucht. Überhaupt ist es eine große Rettung vor langweiligen Besuchen auf dem Lande, den Schauplatz ins Freie zu verlegen. Die langweiligen Töne verhallen leichter in der weiten Luft, und man hat mehr Zerstreuung um sich her, indem man ihnen ein halbes Ohr leiht.
Es ist schön, daß Sie fortwährend an sich arbeiten. Jeder bedarf dessen. Außerdem hat man über keinen Gegenstand alle Momente zur Beurteilung so vollständig und richtig beisammen, da man nur in den eigenen Busen hinabzusteigen braucht. Zwar kann auch das täuschen, man beschönigt die Schwächen oder vergrößert aus einer anderen Verirrung der Eitelkeit die Schuld seiner Fehler, denn allerdings findet die Beurteilung dadurch Schwierigkeit, daß der Gegenstand der Beurteilung das eigene Ich ist. Wenn man aber mit schlichter Einfachheit des Herzens und in der reinen und ungeheuchelten Absicht die Prüfung unternimmt, um vor sich und seinem Gewissen gerechtfertigt dazustehen, so hat man von jener Gefahr nichts zu fürchten. Und ein lebendiges Bild seines Inneren muß sich jeder immer machen. Es ist gewissermaßen der Punkt, auf den sich alles andere bezieht. Man muß bei dieser Selbsterforschung nicht streng nur bei demjenigen stehenbleiben, was Pflicht und Moral angeht, sondern sein inneres Wesen in seinem ganzen Umfange und von allen Seiten nehmen. Wirklich ist es ein viel zu beschränkter Begriff, wenn man sich selbst gleichsam vor Gericht ziehen und nach Schuld und Unschuld fragen will. Die ganze Veredlung des Wesens, die möglichste Erhebung der Gesinnung, die größte Erweiterung der inneren Bestrebungen ist ebensowohl die Aufgabe, die der Mensch zu lösen hat, als die Reinheit seiner Handlungen. Es gibt auch im Sittlichen Dinge, die sich nicht bloß unter den Maßstab des Pflichtmäßigen und Pflichtwidrigen bringen lassen, sondern einen höheren fordern. Es gibt eine sittliche Schönheit, die so wie die körperliche der Gesichtszüge eine Verschmelzung aller Gesinnungen und Gefühle, einen freiwilligen Zusammenhang derselben zu geistiger Einheit erheischt, die sichtbar zeigt, daß alles einzelne darin aus einem aus der innersten Natur flammenden Streben nach himmlischer Vollendung quillt und daß der Seele ein Bild unendlicher Größe, Güte und Schönheit vorschwebt, das sie zwar niemals erreichen kann, aber von da immer zur Nacheiferung begeistert, zum Übergang in höheres Dasein würdig wird. Auch die Entwickelung der intellektuellen Fähigkeiten bis zu einem gewissen Grade gehört zu der allgemeinen Veredlung. Aber ich bin ganz Ihrer Meinung, daß dazu nicht gerade vieles Wissen und Bücherbildung gehört. Das aber ist wirklich Pflicht und ist auch dem natürlichen Streben jedes nicht bloß an der irdischen Welt, ihrem Gewirre und Tand hängenden Menschen eigen, in den Kreis von Begriffen, den er besitzt, Klarheit, Bestimmtheit und Deutlichkeit zu bringen und nichts darin zu dulden, was nicht auf diese Weise begründet ist. Das kann man wohl das Denken des Menschen nennen. Dazu ist das Wissen nur das Material. Es hat keinen absoluten Wert in sich, sondern nur einen relativen in Beziehung auf das Denken. Der Mensch sollte nicht anders lernen, als um sein Denken zu erweitern und zu üben, und Denken und Wissen sollten immer gleichen Schritt halten. Das Wissen bleibt sonst tot und unfruchtbar. In Männern findet sich das sehr oft, ja man möchte es als die Regel ansehen. Es fällt aber weniger auf, weil schon ihr Wissen gewöhnlich zu anderen äußeren Zwecken und Nutzen wenigstens eine Anwendung findet. Aber ich habe es auch bei Frauen gefunden, und da erregt das Mißverhältnis des Denkens zum Wissen ein viel größeres Mißbehagen. Ich kenne von meiner frühesten Jugend an und vor der Universität eine Frau dieser Art, der ich durch alle Perioden ihres Lebens gefolgt bin. Sie kennt sehr gründlich die alten und die meisten neueren Sprachen, ist frei von aller Eitelkeit und Affektation, versäumt nie über den Büchern eine häusliche Obliegenheit, hat aber durch ihr Wissen nichts an Interesse gewonnen. Wenn sie gleich die ersten und schwersten Schriftsteller aller Nationen gelesen hat, schreibt sie darum doch keinen Brief, der einem sonderlich zusagen könnte. Sie bemerken ganz recht in dieser Beziehung, daß Christus seine Jünger aus der Zahl ungebildeter und unwissender Menschen wählte. Es hing aber auch mit den Zwecken und der Natur der Religion, die er stiften wollte, zusammen, und in dem Volke, in dem er auftrat, gab es in jener Zeit kein anderes Wissen als ein totes und mißverstandenes. Es gab nur Schriftgelehrte, welche das Auslegen der heiligen Bücher auf eine spitzfindig-hochmütige Weise mit Bedrückung und Verachtung des Volkes trieben.
Erhalten Sie Ihre Gesundheit und heitere Gemütsstimmung. Mit unveränderlicher Teilnahme der Ihrige. H.
Tegel, April 1832.

Daß Sie im Gemüte sich wieder gestärkt fühlen, ist mir eine große Freude, und noch mehr, daß Sie mir einigen Anteil daran zuschreiben. Ich habe bei unserem Briefwechsel nie eine Absicht für mich gehabt und habe daher alles, was unter uns zur Sprache kam, immer mit völligster Unparteilichkeit in Betrachtung ziehen können. Dann glaube ich aber auch viel mehr als die meisten anderen mir an Talent sonst überlegenen Männer, das, was sich auf den Zusammenhang der Gesinnungen und Empfindungen im Menschen bezieht, studiert und erforscht zu haben. Ich habe von jeher viel an mir selbst gearbeitet und weiß also, was im Herzen vorgeht und vorgehen kann. Ich habe es von jeher an mir selbst nicht leiden können, in meinem inneren Dasein etwas anderes als mich selbst zu brauchen. Darum kenne ich, was Kraft und Haltung zu geben vermag. So begreife ich, was Sie, liebe Charlotte, obgleich Sie es viel zu hoch stellen, von meinen Briefen sagen und rühmen. Es kommt nur von den zwei Umständen her, daß es auf der einen Seite klar und bestimmt gedacht und auf der anderen durch die innere Erfahrung bewährt ist...
Die Unterdrückung des Stolzes ist allerdings lobenswert, und es freut mich, wenn es Ihnen damit so ganz gelungen ist. Der Stolz, den man wirklich nicht aufgeben soll, bleibt jedem Rechtgesinnten dennoch. Diesen sollte man aber nicht Stolz, sondern richtig abgewägtes Selbstgefühl nennen. Es ist eigentlich dies die Erhebung des Gemüts, welche daraus entsteht, daß es fühlt, daß eine würdige Idee sich mit ihm vereinigt, sich seiner bemächtigt hat. Der Mensch ist da eigentlich stolz auf die Idee, auf sich nur insofern, als die Idee eins mit ihm geworden ist.
Man vermeidet die Abwege, wohin der Stolz führt, am leichtesten und sichersten, wenn man sich in allem Tun und Lassen recht natürlich gehen läßt, jede Äußerung des Stolzes streng wegweist, aber darauf nicht weiter Wert legt, sondern es als etwas ansieht, das sich von selbst versteht, wo man Recht haben würde, sich Vorwürfe zu machen, wenn man anders gehandelt hätte.
Es freut mich, daß Sie des Saturns erwähnen. Ich sehe ihn auch in diesen Wochen immer mit Vergnügen. Das Wiederkehren der Planeten nach einer Reihe von Jahren bei denselben Sternbildern hat etwas sehr Bewegendes im Leben. Für den Saturn hat man übrigens, noch von den Astrologen her, eine geringere Zuneigung. Aber den Jupiter erinnere ich mich mehrmals im Löwen gesehen zu haben, das erstemal in einer sehr glücklichen Zeit meines Lebens...
Sie werden, wie es schon hätte früher geschehen sollen, nächstens meinen Briefwechsel mit Schiller empfangen. Vor meinem Briefwechsel werden Sie eine Einleitung über Schiller und seine Geistesentwicklung finden, die Ihnen, wenn Sie seine Schriften dabei haben, zum Leitfaden dienen kann. Ich gehe darin seine Werke von den frühesten bis zu den spätesten durch und zeige, wie er von dem einen zu dem anderen übergegangen und gekommen ist. Auch die Briefe handeln fast ganz von Schillers Arbeiten, die er gerade in jenen Jahren machte und mir nach und nach, wenn ich abwesend war, mitteilte. Schwerlich hat je jemand Schiller so genau gekannt als ich. Es haben ihn sehr wenige so lange und so nahe gesehen. Bei einem Manne wie er, der nicht zum Handeln, sondern zum Schaffen durch Denken und Dichten geboren war, heißt sehen – sprechen, und ganze Tage und Nächte haben wir eigentlich miteinander sprechend zugebracht. Wenn daher auch der Jahre, die wir miteinander verlebten, so viele nicht waren, so war des Zusammenlebens doch sehr viel.
Die Lieblichkeit des Wetters dauert fort, auch fängt alles an zu knospen und zu keimen.
Leben Sie recht wohl. Mit unveränderlicher Teilnahme und Freundschaft der Ihrige. H.
Tegel, den 5. Juni 1832.

Ich finde es sehr natürlich, daß Sie ernst gestimmt sind. Es liegt an und für sich im denkenden Menschen, ist den zunehmenden Jahren mehr noch eigen. Das mancherlei Traurige, das Sie früher, das häusliche Ereignis, das Sie kürzlich betroffen, war wohl dazu gemacht, solche Stimmung sogar zu erzeugen, wenn sie selbst nicht schon vorhanden war.
Über den Tod und das Verhältnis desselben zum Leben kann ich aber doch nicht ganz in Ihre Ideen eingehen. Niemand kann ihn weniger fürchten als ich, auch hänge ich nicht an dem Leben, dennoch ist mir eine Sehnsucht nach dem Tode fremd; obwohl sie edlerer Art ist als Überdruß am Leben, dennoch ist sie zu mißbilligen. Das Leben muß erst, so lange es die Vorsehung will, durchgenossen und durchgelitten, mit einem Wort, durchgemacht sein, und zwar mit völliger Hingebung, ohne Unmut, Murren und Klagen durchgeprüft sein. Es ist ein wichtiges Naturgesetz, das man nicht aus den Augen lassen darf, ich meine das der Reise zum Tode. Der Tod ist kein Abschnitt des Daseins, sondern bloß ein Zwischenereignis, ein Übergang aus einer Form des endlichen Wesens in die andere. Beide Zustände, hier und jenseits, hängen also genau zusammen, ja, sie sind unzertrennlich miteinander verbunden, und der erste Moment des Dort kann sich nur wahrhaft anschließen, wenn der des Scheidens von hier, nach der freien Entwickelung des Wesens, wahrhaft der letzte gewesen ist. Diesen Moment der Reise zum Tode oder der Unmöglichkeit, hier weiter zu gedeihen, kann keine menschliche Klugheit berechnen, kein inneres Gefühl anzeigen. Dies zu wähnen wäre nur eine eitle Vermessenheit menschlichen Stolzes. Nur der, welcher das ganze Wesen zu durchschauen und zu erkennen imstande ist, kann dies, und ihm die Stunde anheimzustellen und seiner Bestimmung auch nicht einmal durch heftige Wünsche entgegenzukommen, ist Gebot der Pflicht und der Vernunft. Glauben Sie mir sicherlich, wenn Sie auch diese Ansichten manchmal strenge nannten, daß sie es allein sind, was uns in tiefem Seelenfrieden durch das Leben führt und uns als treue Stütze nie verläßt. Das Erste und Wichtigste im Leben ist, daß man sich selbst zu beherrschen sucht, daß man sich mit Ruhe dem Unveränderlichen unterwirft und jede Lage, die beglückende wie die unerfreuliche, als etwas ansieht, woraus das innere Wesen und der eigentliche Charakter Stärke schöpfen kann. Daraus entspringt dann die Ergebung, die wenige hinreichend haben, obgleich alle sie zu haben glauben. Fast alle setzen der Ergebung ein gewisses Maß und glauben der Verpflichtung dazu überhoben zu sein, wenn dies Maß überschritten ist oder ihnen scheint. Aus der wahren Ergebung, die immer die Zuversicht mit sich führt, daß eine unwandelbare, immer gleiche Güte auch die unerwartetsten, widrigsten Geschicke zu einem heilbringenden Ganzen verknüpft, geht die ernste, aber heitere Milde in der Ansicht eines auch oft gestörten und getrübten Lebens hervor. Diese Heiterkeit sich zu erhalten oder in sich zu schaffen, sollte man immer alles nur irgend vom Willen Abhängige versuchen. Man kann es nicht immer ganz erreichen, auch nicht in allen Momenten des Lebens, sie läßt sich auch eigentlich nicht hervorbringen, sondern muß sich von selbst in der Seele erzeugen. Sie bleibt aber da nicht aus, wo ihr der Boden vorbereitet ist, und diese Vorbereitung liegt hauptsächlich in einer besonnenen, von Selbstsucht freien, ruhigen Stimmung des Gemüts. Diese hat man durch Vernunft und Willenskraft in seiner Gewalt, dahin kann und muß eigentlich Übung und Vorsatz führen. Zur Beruhigung des Gemüts trägt angemessene Beschäftigung viel bei. So kann und darf eigentlich nichts in der Seele vorgehen, was der Mensch nicht nach vorangegangener Prüfung darin duldet oder unterdrückt.
Leben Sie wohl und seien Sie meiner unwandelbaren Teilnahme gewiß. H.
Norderney, den 2. August 1832.

Ich bin wieder hier, liebe Charlotte, bewohne wieder die nämlichen Zimmer und führe wieder dasselbe, nicht sehr erfreuliche Badeleben. Ein solcher von Jahr zu Jahr wiederkehrende Aufenthalt hat immer etwas Sonderbares für mich. Er ruft die Frage hervor, ob man im künftigen Jahr wiederkehren wird, und wenn nicht, aus welchem Grunde? Denn das Bad dann entbehren zu können, bin ich nicht so töricht zu erwarten. Ich bin nicht krank, eher gesund. Das, wogegen das Bad wirken kann, ist Altersschwäche, die durch Umstände früher zum Durchbruch gekommen ist. Diese kann eine Kur nicht aufheben, nur mindern. Ich sage dies mit Fleiß, damit sich Ihr freundschaftlicher Anteil an mir nicht Hoffnungen macht, in denen Sie sich notwendig getäuscht finden müßten. Den Erfolg aber, den man mit Recht und Billigkeit sich versprechen kann, glaube ich auch diesmal erwarten zu können. Meine Tochter ist allerdings wieder mit mir hier. Das Bad hat ihr voriges Jahr so wohl getan, daß sie Unrecht getan haben würde, die Kur nicht zu wiederholen. In den Einrichtungen hier ist vieles besser geworden. Daß die Zeitungen gesagt haben, ich sei nach den Rheinprovinzen gegangen, war ein grundloses Gerücht. Sie hätten sich die Mühe, von mir zu reden, ganz ersparen können. Ich bin auf dem gewöhnlichen Wege hergegangen und hasse alle kleinen Reisen und Umwege so gründlich, daß ich mich nicht darauf einlassen würde. Sollte ich einmal eine längere Abwesenheit von Hause nicht scheuen, so würde ich nach Italien oder England gehen, und hiervon möchte ich die Möglichkeit nicht bestreiten, vorzüglich, wenn mein Gesicht schwächer würde und mich am eigenen Arbeiten hinderte. Es freut mich sehr, daß Ihnen mein Briefwechsel mit Schiller Freude gemacht hat. Mir ist es mit dem Buche sonderbar gegangen. Ich hatte den Schillerschen Erben die Herausgabe versprochen. Als sie mich, da darüber mehrere Jahre verflossen waren, dazu aufforderten, war es mir höchst lästig, mich damit zu befassen. Ich mußte den ganzen Briefwechsel durchgehen, um alles auszuschalten, was sich für den Druck nicht geeignet hätte. Dessen war so viel, daß das Ganze gut und gern zur Hälfte zusammenschmolz, und die Arbeit kostete mich einige Wintermonate; dann schrieb ich die Vorerinnerung. Ich erwartete keinen großen Anteil für das Buch, höchstens für einen Teil der Briefe Schillers und für einige wenige von mir. Der Erfolg hat aber meine Erwartungen übertroffen, und es ist viel mehr gelesen worden, als ich dachte, und besonders von Frauen. Viele haben mir davon gesprochen, einige ausführlich geschrieben, und so, daß sie ganz in die Ideen eingegangen waren und einige davon weiter ausspannen. Ich glaube auch nicht, daß, wie Sie meinen, die Briefe gewonnen hätten, wenn sie früher erschienen wären, eher umgekehrt. Ich bin überhaupt gegen alles Drucken von Briefen. Die Herausgabe dieser rechtfertigt nur der Name eines wahrhaft großen Mannes, an den sich der andere mit immer gleich sichtbarer Unterordnung anschließt, so daß man doch immer auch in ihm nur jenen sieht. Briefe haben immer einen Anflug des wirklichen Lebens. Je mehr sie also aus der Ferne erscheinen, desto mehr überraschen sie. Gleich nach dem Tode sind sie eine schwache Fortsetzung der noch in dem Gedächtnis lebenden Wirklichkeit. Nach langer Zeit erscheinend, führen sie Personen zurück, die man nicht mehr gewohnt war, sich mit den Umgebungen zu denken, wie sie das Leben begleiten. Ich dächte auch nicht, daß es störend auffallen könnte, wenn in den Briefen gewissermaßen kunstmäßig beurteilt wird, was man in der Zeit mit Begeisterung aufgenommen hat. In der Dichtung ist wenig oder gar keine Kunst, die erlernt oder studiert werden müßte. Eine solche ist aber auch nicht in den Räsonnements dieses Briefwechsels entwickelt, wenn man einige leicht zu überschlagende Stellen über das Silbenmaß ausnimmt. Beide, Schiller und ich, haben nur gesucht, die Gründe darzulegen, aus welchen das Gefühl entspringt, die Bedingungen, unter denen es entsteht. Wer nun die Gründe wahr findet, in dem müssen sie das Gefühl erhöhen, da sie es mit anderen und gleich großen Ideen in Verbindung bringen. Wem sie nicht zusagen, der wird sich dadurch noch mehr in seinem Gefühle bestimmt finden und sich nun vielleicht durch die Widerlegung leichter die Gründe selbst entwickeln.
Der Stelle in der Delphine erinnere ich mich nicht. Wenn Frau von Staël damit meinte, daß eine in der Jugend geschlossene und bis ins Alter fortgesetzte Ehe das Wünschenswürdigste ist, so bin ich vollkommen derselben Meinung. Ich fürchte aber sehr, sie meinte es anders, und dann ist es eine aus oberflächlicher französischer Ansicht geschöpfte Behauptung. Sie müssen darum nicht glauben, daß ich den Wert der Staël verkenne. Sie war meiner tiefsten Überzeugung nach eine wahrhaft große Frau, und nicht bloß von Geist, sondern durch wahres und tiefes Gefühl und eine sich nie verleugnende, unendliche Güte, und auch von Herz und Charakter. Sie hatte die feinste Empfindung der edelsten Weiblichkeit. Sie war in ihrem Innersten dem eigentlichen französischen Wesen fremd, aber es begegnete ihr doch zu Zeiten, banale französische Anrichten ihren Äußerungen beizumischen, und das ist nicht zu verwundern, da sie immer in Frankreich lebte. Sie hat sogar erst spät Deutsch gelernt, und ich habe sie selbst noch in Paris unterrichtet.
Allein die Ehe mehr ein Bedürfnis des Alters als der Jugend zu nennen, ist ein Einfall, der ebenso der Natur und der Wahrheit, als jeder schöneren Empfindung widerspricht. Die Frische der Jugend ist die wahre Grundlage der Ehe. Ich sage damit gewiß nicht, daß das Glück der Ehe mit der Jugend aufhört oder auch nur im mindesten dadurch verliert. Aber die Erinnerung der zusammen genossenen Jugend muß in die höheren Jahre mit hinübergehen, wenn das Glück vollkommen sein und nicht gerade die Eigentümlichkeit des ehelichen verlieren soll. Diese Ansicht ist nicht als eine sinnliche zu betrachten. Die tiefsten und heiligsten Empfindungen hängen damit ganz enge zusammen, und man müßte aller Liebe den Stab brechen, wenn man dies nicht anerkennen wollte. Ein junges, sich gegenseitig gleich herzlich liebendes Ehepaar ist allemal ein im Tiefsten erfreulicher Anblick, auch in niedrigen Ständen, insofern das Gefühl nur irgend die Feinheit hat, die ihm die Natur in gutartigen Gemütern gibt. Von den in höheren Jahren, über vierzig oder fünfundvierzig, geschlossenen Ehen, zweiten oder ersten, läßt sich das nicht sagen. Man wird sie gewiß nicht tadeln, man läßt gern jedem seine Empfindung, solche Verbindungen können sehr vernünftig, sie können auch für Leute, die einmal keine hohen Forderungen an ihr Gefühl machen, beglückend sein. Wer aber tiefer empfindet, sagt sich, daß er sie nicht eingehen würde. Mann oder Frau wird in solcher Verbindung fühlen, daß, wenn ihm der Gegenstand jugendlicher Liebe entrissen ist, öder er nie einen gefunden hat, er auf ein Glück Verzicht leisten muß, dessen wahre Blüte ihm nicht mehr werden kann. Es wird ihm innerlich unmöglich sein, nach dem so Geringen zu greifen. Ich kann auch nicht in das einstimmen, was man über das Alter sagt. Es kann ein unglückliches und freudenloses geben, wie eine solche Jugend. Aber die Schicksale gleichgestellt, finde ich das Alter, selbst mit allen Schwächen, die es mir bringt, nicht arm an Freuden; die Farben und die Quellen dieser Freuden sind nur anders. Sie entspringen für mich immer ausschließlicher aus der Einsamkeit und der Beschäftigung mit meinen Ideen und Gefühlen. Das nimmt mit jedem Tage in mir zu. Ich fühle mich darin, und nur darin glücklich, und das ist so sichtbar, daß die wahrhaft diskreten unter meinen ältesten Bekannten diese Stimmung stillschweigend, aber durch die Tat ehren. Mir ist sie darum doppelt lieb, da sie mit meinen Jahren und mit meiner Lage übereinstimmt. Verzeihen Sie, daß ich wieder auf mich zurückkomme, aber diese Dinge sind von der Art, daß man nur nach seinem individuellen Gefühl davon reden kann. Wer möchte sich anmaßen, über Fremdes darin abzusprechen?
Über meine Abreise kann ich noch nicht fest bestimmen, bitte Sie aber, mir nach Berlin zu schreiben und so, daß der Brief zwischen dem 26. und 30. August dort anlangt. Mit der aufrichtigsten, unveränderlichsten Teilnahme Ihr H.
Tegel, den 3. September 1832.

Ich bin am 26. August gesund und wohl hierher zurückgekehrt, liebe Charlotte, und habe gleich am folgenden Tage meine Beschäftigungen wieder vorgenommen. Von dem Bade sehe ich der Fortdauer der guten Wirkung, die ich schon spüre, entgegen. Das Wetter war vom August an in Norderney sehr schön, ohne Regen und Sturm, und doch nie zu warm, da es nie an kühlender Seeluft fehlt. Sonnenschein war nicht immer; es ist allen Inseln, besonders den kleineren, eigen, auch bei sehr milder Luft wenig eigentlich sonnige Tage zu haben. In Irland zum Beispiel zählt man deren unglaublich wenige. Ich habe mich aber bei meinem diesjährigen Aufenthalte im Seebad vollkommen überzeugt, daß, wenn man, wie doch natürlich ist, bloß auf seine Gesundheit Rücksicht nimmt und nicht weichlicherweise die Unannehmlichkeit scheut, man sich schlechtes und kein gutes Wetter wünschen muß. Bei ruhig gutem Wetter ist die See eben nichts anderes als eine große Badewanne. Der Sturm und die Wellen geben ihr erst Seele und Leben. Wie das Meer in seiner erhabenen Einförmigkeit immer die mannigfaltigsten Bilder vor die Seele führt und die verschiedenartigsten Gedanken erweckt, so ist mir erst jetzt bei den anhaltenden heftigen Stürmen recht sichtbar geworden, welche schmeichelnde Freundlichkeit das Meer gerade in seiner größten Furchtbarkeit hat. Die Welle, die, was sie ergreift, verschlingt, kommt wie spielend an, und selbst den tiefsten Abgrund bedeckt lieblicher Schaum. Man hat darum oft das Meer treulos und tückisch genannt, es liegt aber in diesem Zuge nur der Charakter einer großen Naturkraft, die sich, um nach unserer Empfindung zu reden, ihrer Stärke erfreut und sich um Glück und Unglück nichts kümmert, sondern den ewigen Gesetzen folgt, welchen sie durch eine höhere Macht unterworfen ist. H.
Im November.

Was sagen Sie zu dem außerordentlich schönen Herbst? Ich dächte, ich hätte nie einen ähnlichen erlebt. Noch jetzt scheint er mehr ein Ausgehen aus dem Sommer als ein Eingang in den Winter. Ich gehe noch immer eine Stunde vor Sonnenuntergang spazieren. Da ist es, selbst bei stürmischen Tagen, meist ruhig und bei regnerischen heiter. Sie haben gewiß auch oft gesehen, wie die scheidende Sonne sich dann durch ihre eigenen Strahlen einen lichten Streifen bildet, in den sie sich dann hinabsenkt. Ist dann recht dunkles Gewölk über ihr, so regnet es meist unmittelbar nach dem Untergange, bisweilen auch noch während des Untergangs. Es ist mir die liebste Zeit des Tages. – Sie schreiben mir, daß die Centifolien in Kassel blühen. Auch hier habe ich es zu meiner großen Verwunderung gesehen. In mittäglichen Ländern ist dies wiederholte Blühen ganz gewöhnlich. Man sieht daran, daß das vegetierende Leben beständig die Neigung hat, Blüten hervorzubringen, aber nur durch die Abwesenheit begünstigender Umstände daran verhindert wird. So traurig aber auch der Winter und seine lange Dauer sind, so entschädigt doch der Frühling dafür, nicht bloß sein Erscheinen und der Genuß desselben, sondern ganz vorzüglich das Erwarten desselben. Diese Sehnsucht ist eine der einfachsten und natürlichsten von allen und eine der reinsten Quellen, woraus jede andere Sehnsucht fließt, die so vieles und großes im Gemüte schafft und aus dessen innersten Tiefen hervorruft. Es ist dies gewiß eine der Ursachen, daß die nördlicheren Nationen doch eine tiefer ergreifende Poesie haben als die südlicheren, wenn diese auch klangvollere Sprachen besitzen. Es liegt unendlich viel in dem Einfluß, den die Natur um uns her auf uns ausübt, und es kommt da nicht darauf an, daß sie gerade Genuß gibt, sondern weit mehr darauf, daß sie Empfindungen weckt und die Kräfte in Tätigkeit bringt. Leben Sie wohl. Ihr H.
Tegel, Dezember 1832.

Der Ton der ruhigen Zufriedenheit und selbst einer frohen Heiterkeit, in welchem Ihr letzter Brief geschrieben ist, liebe Charlotte, hat mir eine lebhafte Freude gemacht. Ich hege nun auch die gewisse Hoffnung, daß diese Stimmung bleibend in Ihnen sein wird. Was mich in dieser beruhigenden Ansicht bestärkt, ist, daß Sie sich auch körperlich wohler fühlen, seit Sie sich befreit fühlen von einem sorglichen Kummer, der seit längerer Zeit schwer auf Ihnen lastete, und wodurch Sie nun der Ruhe und Heiterkeit wiedergegeben sind, die ein Gemüt, wie das Ihrige, das mit sich und der Vorsehung eins ist, immer genießen müßte....
Daß eine schon in sich ernste Seele in Zeiten, wo außerordentliche Erscheinungen diesen Ernst vermehren, noch ernster gestimmt wird, ist ganz natürlich. An den Wunsch und das Verlangen, nichts unberichtigt zu lassen, knüpft sich ein moralisches Gefühl, und zwar eins der wesentlichsten und achtungswürdigsten....
Der Mensch fühlt ein Bedürfnis, die großen Ideen, die in ihn gelegt sind, und die er in der Natur ausgeprägt findet, in dem kleinen Kreise seines Daseins nachzubilden, und oft, selbst wenn er ganz anderen, aus dem gewöhnlichen Leben geschöpften Bewegungsgründen zu folgen glaubt, folgt er in der Tat diesem geheimen Zuge, überhaupt ist die menschliche Natur in ihrem tiefen Grunde viel edler, als sie auf der Oberfläche erscheint. Ja selbst in anderen Stücken. Eitle Menschen sind oft in einigen mehr wert, als sie sich selbst glauben.
Sie gebrauchen in Ihrem Briefe den Ausdruck: sein Haus bestellen. Dies ist mir immer eine so passende und gehaltvolle Rede geschienen. Es ist ein altertümlicher, echt biblischer Ausdruck, der, wie mehrere dieses Gepräges, tief aus dem Leben geschöpft ist und tief in die Seele eingreift. Auch längst, ehe ich in die Jahre kam, wo das Bestellen des Hauses wahrhaft dringend wird, habe ich mir dadurch Abschnitte im Leben zu machen gesucht und habe dies immer sehr wohltätig gefunden. Es gibt aber im Innern ein Bestellen seiner Seele, wie im Äußern seines Hauses. Man zieht dann das Gemüt auf einen kleinen Kreis von Empfindungen zurück, übergibt die anderen der Vergessenheit und freut sich der Ruhe in der selbstgewählten Beschränkung. Wenn man dies recht tut, tut man dies nur einmal. Man verläßt dann nicht wieder den Raum, wie man ihn eng umgrenzt und umzogen hat.
Sie rühmen meine Geduld. Sie hat nichts Verdienstliches und hat mir nie Mühe gekostet. Ich möchte sie mir angeboren nennen. Die Zeit, die ich über eine Sache sitzen muß, um sie zu Ende zu bringen, wird mir nie lang.
Sie gedenken bei einem Ereignisse der Vergangenheit Holzmindens im Braunschweigischen. Das hat mir lebhaft eine Erinnerung zurückgerufen. Von diesem kleinen Orte reiste ich 1789 mit Campe nach Paris. Campe kam von Braunschweig, ich von Göttingen aus dahin. Die Reise, die Sie gelesen haben können, da Campe sie herausgegeben hat, war kurz, aber meine erste außer Deutschland. Campe war, wie ich Ihnen schon früher glaube gesagt zu haben, Hauslehrer im Hause meines Vaters, und es gibt noch eine Reihe großer Bäume hier, die er gepflanzt hat. Er hat nicht gerade ein unglückliches, aber ein bedauernswürdiges Ende gehabt. Er war die letzten Jahre seines Lebens ganz blödsinnig. Ich habe bei ihm schreiben und lesen gelernt und etwas Geschichte und Geographie nach damaliger Art, die Hauptstädte, die sogenannten sieben Wunderwerke der Welt usw. Er hatte schon damals eine sehr glückliche, natürliche Gabe, den Kinderverstand lebendig anzuregen....
Ich bin vollkommen wohl, und mir ist in meiner in mir vergrabenen Stimmung sehr wohl. Ich bitte Sie, Ihren Brief an mich wie gewöhnlich abgehen zu lassen, und wünsche von inniger Seele, daß Sie das Jahr gesund und heiter beschließen und ebenso das neue beginnen mögen. Begleiten Sie mich bei dem Wechsel der Jahre mit dem Wunsch, daß mich nichts im Genuß meiner Einsamkeit, die mein wahres Glück ist, stören möge, und machen Sie, daß ich mir Ihr Leben ruhig und zufrieden denken kann. Mit der herzlichsten Freundschaft und unveränderlicheren Teilnahme der Ihrige. H.
Tegel, den 9. Februar 1833.

Es tut mir leid, liebe Charlotte, daß Ihnen dieser Brief später als gewöhnlich zukommen wird. Ich habe aber wegen eines Geschäftes einige Tage in der Stadt sein müssen, und da komme ich nicht zum ruhigen Schreiben. Da ich Berlin jetzt selten besuche, so drängt sich dann alles, Menschen und Sachen, zusammen, und es bleibt mir nicht einmal die materielle Zeit übrig, etwas für mich anzufangen, wenn ich auch garnicht von der Stimmung reden will. Ich verlor aber gerade auf diese Weise die ersten Tage des Monats, in denen ich Ihnen jetzt gewöhnlich zu schreiben pflege. Ich hoffe, Sie werden sich über das Ausbleiben des Briefes nicht beunruhigt haben. Sie müssen das niemals tun, liebe Freundin, darum bitte ich sehr. Der kleinen, ganz unbedeutenden Ursachen, warum ich Ihnen an diesem oder jenem Tage nicht schreibe, können sehr viele sein, und ich kann sie so wenig voraussehen, als Sie sie erraten. Aber Sie können sicher eine von diesen voraussetzen, wenn meine Briefe Ihnen über die gewohnte Zeit ausbleiben. Da ich zu derselben Zeit im Monat jetzt gewohnt bin, Ihnen zu schreiben, so bekommen Sie nach einer ziemlich längeren Pause hernach zwei Briefe schneller nacheinander, was Ihnen Freude macht, da Sie auf meine Briefe einen viel größeren Wert legen, als sie verdienen. Diese Ihre Freude ist auch mir eine und macht, daß ich Ihnen willig die Zeit opfere, die es mich kostet. Seit vorgestern bin ich wieder hier, und heute schon setze ich mich hin, um mich mit Ihnen zu unterhalten. Denn eine Unterhaltung kann man unseren Briefwechsel vorzugsweise nennen. Da er sich meist um Ideen dreht und die äußeren Lebensverhältnisse sehr wenig angeht, so gleicht er darin einem räsonnierenden Dialog, und Ideen sind ja nur das einzig wahrhaft Bleibende im Leben. Sie sind im eigentlichsten Verstande das, was den denkenden Menschen ernsthaft und dauernd zu beschäftigen verdient. Auch Sie nehmen ebenso lebhaftes Interesse daran, und daß Ihnen meine Briefe Freude machen, liegt vorzüglich in diesem ihrem Inhalte. Es ist mir auch ein besonderer Grund der Zufriedenheit und Freude an Ihrer Art zu schreiben, daß Sie nicht mehr, wie Sie es sonst oft taten, darauf dringen, daß ich Ihnen von dem erzähle, was mich angeht, und über das Mitteilungen mache, was mich umgibt, was garnicht in meinem Wesen liegt. Darum müssen Sie nun aber ja nicht denken, daß ich es auch gern habe, wenn Sie über sich schweigen. Es macht mir im Gegenteil wahre Freude, wenn ich Ihr inneres Leben in allen Ihren äußeren Umgebungen sehe. Vergessen Sie also nicht, mir auch ferner von Zeit zu Zeit diesen Überblick wie bisher zu geben....
Sie bitten mich in Ihrem letzten Brief, Ihnen noch nähere Erläuterungen darüber zu geben, was ich eigentlich damit meine, daß man in gewissen Lebensepochen innerlich das tun müsse, was man äußerlich sein Haus bestellen nenne. Ich habe darunter etwas sehr Einfaches und ganz der gewöhnlichen Bedeutung der Redensart Entsprechendes verstanden. Man sagt, daß man sein Haus bestellt hat, wenn man Sorge getragen hat, alles das auf den Fall seines Todes zu berichtigen, was bis dahin unberechtigt geblieben war. Die Redensart schließt ferner in sich, daß man angeordnet habe, wie es mit den Dingen, die einem angehören, nach dem Hintritt werden soll. Von allen Seiten schneidet also das Hausbestellen Verwickelung, Ungewißheit und Unruhe ab und befördert Ordnung, Bestimmtheit und Seelenfrieden. So nimmt man den Ausdruck im äußeren, weltlichen Leben. Auf viel höhere und edlere Weise aber findet das ähnliche im Geistigen statt. Auch darin gibt es mehr und minder Wichtiges, mehr und minder an das irdische Dasein Geknüpftes, mittelbar oder unmittelbar mit dem Höchsten im Menschen Verbundenes. Ich meine damit nicht gerade, wenigstens nicht ausschließlich, Religionsideen. Was ich hier meine, gilt auch von solchen, die garnicht in diesen Kreis gehören. Es läßt sich überhaupt nicht im allgemeinen bestimmen, was hier das Höchste und Wichtigste genannt wird. Jedermann pflegt aber in sich die Erfahrung zu machen, daß er gerade dem, was in ihm das Tiefste und Eigentümlichste ist, die wenigste Muße widmet und sich viel zu viel durch untergeordnete Gegenstände das Nachdenken rauben und entreißen läßt. Dies muß man abstellen, den störenden Beschäftigungen entsagen und sich mit Eifer den wichtigeren widmen. Noch mehr aber geht diese Sammlung auf eine kurze Spanne noch übrigen Lebens, wie man es auch nennen könnte, in dem Gebiete des Gefühls vor. Doch ist hier im allgemeinen ein großer und wichtiger Unterschied. Im Intellektuellen und allen Sachen des Nachdenkens hat der Vorsatz volle Kraft. Man kann und muß absichtlich die Gedanken und das Nachdenken auf gewisse Punkte richten. Im Gefühl ist das nicht nur unmöglich, sondern würde auch geradezu schädlich sein. Im Gebiete des Empfindens läßt sich nichts Unfreiwilliges, nichts Erzwungenes denken. Da kann also die Änderung nur von selbst eintreten und ist mit der Reife einer Frucht zu vergleichen. Sie geht von selbst vor sich, so wie die ganze Seelenstimmung verrät, daß dies Loslassen vom hiesigen Dasein in das Gemüt ganz übergegangen ist. Die Änderung besteht auch da in einem Vereinfachen und Zurückziehen des Gemüts auf sich selbst, doch läßt sich hier noch weniger als im Gebiet des Denkens, aus einer einzelnen Individualität heraus, etwas allgemein Geltendes sagen. In mir ist es ganz einfach so zugegangen, daß sich mein Gemüt so auf eine Empfindung konzentriert hat, daß es jeder anderen unzugänglich geworden ist, insofern nämlich, als ich durch eine andere Empfindung etwas empfangen sollte. Denn auf keine Art bin ich dadurch kalt und unteilnehmend geworden, nur uneigennütziger und wirklich jeder Forderung entsagend. Nicht bloß mit Menschen ist es mir aber so, auch an das Schicksal mache ich keine Forderung. Ich würde Ungemach wie ein anderer fühlen, das läßt sich aus der menschlichen Natur nicht ausrotten. Entbehrung bleibt Entbehrung und Schmerz bleibt Schmerz. Aber den Frieden meiner Seele würden sie mir nicht nehmen, das würde der Gedanke verhindern, daß solche Ereignisse und Zustände natürliche Begleiter des menschlichen Lebens sind, und daß es nicht geziemend wäre, in einem langen Leben nicht einmal die Kraft gewonnen zu haben, seine höhere und bessere Natur gegen sie aufrecht erhalten zu können. Ich weiß nicht ob ich Ihnen so deutlich genug geworden bin. Wäre es nicht der Fall, oder schiene Ihnen meine Ansicht nicht richtig, so werde ich sehr gern weiter und ausführlicher in die Sache eingehen. Sie reden in Ihrem Briefe von Gedächtnishilfen, die Sie sich ersonnen haben, und erbieten sich, mir mehr darüber zu sagen, wenn ich es wolle. Tun Sie es ja. Leben Sie wohl! Mit immer gleichem Anteil der Ihrige. H.
Tegel, den 8. März 1833.

Auch diesmal komme ich viel später zum Schreiben, als es mein Vorsatz war, liebe Charlotte, und da ich immer viel Zeit zum Schreiben brauche, so werden Sie den Brief noch später bekommen. Sie müssen sich aber nie deshalb beunruhigen. Sie werden sagen, daß man darüber nie Herr ist. Mit jedem Ersten des Monats denke ich daran, Ihnen zu schreiben, aber es treten bei meiner Lebenseinteilung oft Tage und Reihen von Tagen ein, wo ich nicht zum Schreiben an Sie, auch mit dem besten Willen, kommen kann. Der Vormittag ist unabänderlich wissenschaftlichen Arbeiten gewidmet. Davon mache ich hier in Tegel keine Ausnahme (in der Stadt muß ich es freilich); diese Arbeiten machen jetzt eigentlich mein Leben aus, meine Gedanken sind ihnen ganz zugewendet, und da ich jetzt vieles Schlafes bedarf, so ist mein Vormittag doch kurz. Den Nachmittag gehe ich ein bis zwei Stunden spazieren, und die übrige Zeit bleibt für meine ziemlich weitläufige Korrespondenz und vielfachen Geschäfte usw. Fällt nun in diesen Dingen etwas ungewöhnlich Dringendes vor, wie es diesmal der Fall war, oder kommt Besuch, so verzögert sich gegen mein Wünschen und Wollen der Abgang meines Briefes an Sie. Dennoch bin ich glücklicherweise viel weniger Störungen ausgesetzt wie andere und genieße noch der höchst nützlichen Gabe, nie durch Mangel an Stimmung abgehalten zu werden oder die Stimmung abwarten zu müssen. Wie ich die Sache vornehme, ist, wenn ich bisweilen auch lieber etwas ganz anderes täte und mich zum Anfange wahrhaft zwingen muß, die Stimmung da. Bei dem Wort fallen mir Ihre Tabellen ein. Sie haben mich sehr interessiert. Es ist eine originelle Idee, die täglichen Zustände des Lebens schnell aneinanderzureihen, die Stimmung und alle anderen Dinge, von denen sie abhängen kann, aufzuzeichnen. Auch nur ein halbes Leben so verzeichnet, würde zu einer Menge von Vergleichungen Stoff darbieten.
Ihr ganzer Brief hat mir Freude gemacht, da eine ruhige, in jeder Art erfreuliche Gemütsstimmung daraus hervorgeht. Nur hat mich für Sie der neue Verlust sehr geschmerzt, den Sie abermals erlitten haben. Das Vorangehen so vieler ist allerdings bei vorrückenden Jahren etwas die ruhige Heiterkeit des Gemüts sehr schmerzlich Trübendes. Ich gehe aber noch weiter. Auch das Altwerden derer, die man in Jugendkraft des Körpers und Geistes gekannt hat, ist betrübend. Ich wollte schon immer alt werden, wenn nur die, die um mich her sind, jung blieben. Indes ist das, wenn es auch nicht scheint, ein eigennütziger Wunsch.
Sie fragen mich, was ich unter Ideen meine, wenn ich sage, daß sie allein das Bleibende im Menschen sind, und daß sie allein das Leben zu beschäftigen verdienen? Die Frage ist nicht leicht beantwortet, ich will aber versuchen, deutlich darüber zu werden. Die Idee ist zuerst den vergänglichen äußeren Dingen und den unmittelbar auf sie bezogenen Empfindungen, Begierden und Leidenschaften entgegengesetzt. Alles, was auf eigennützige Absichten und augenblicklichen Genuß hinausgeht, widerstrebt ihr natürlich und kann niemals in sie übergehen. Aber auch viel höhere und edlere Dinge, wie Wohltätigkeit, Sorge für die, die einem nahestehen, mehrere andere gleich sehr zu billigende Handlungen sind auch nicht dahin zu rechnen und beschäftigen denjenigen, dessen Leben auf Ideen beruht, nicht anders, als daß er sie tut, sie berühren ihn nicht weiter. Sie können aber auf einer Idee beruhen und tun es in idealistisch gebildeten Menschen immer. Diese Idee ist dann die des allgemeinen Wohlwollens, die Empfindung des Mangels desselben wie einer Disharmonie, wie eines Hindernisses, das es unmöglich macht, sich an die Ordnung höherer und vollkommener Geister und an den wohltätigen Sinn, der sich in der Natur ausspricht und sie beseelt, anzuschließen. Es können aber auch jene Handlungen aus dem Gefühl der Pflicht entspringen, und die Pflicht, wenn sie bloß aus dem Gefühl der Schuldigkeit fließt, ohne alle und jede Rücksicht auf Befriedigung einer Neigung oder irgendeine selbst göttliche Belohnung, gehört gerade zu den erhabensten Ideen. Von diesen muß man hingegen auch absondern, was bloß Kenntnis des Verstandes und des Gedächtnisses ist. Dies kann wohl zu Ideen führen, verdient aber nicht selbst diesen Namen. Sie sehen schon hieraus, daß die Idee auf etwas Unendliches hinausgeht, auf ein letztes Zusammenknüpfen, auf etwas, das die Seele noch bereichern würde, wenn sie sich auch von allem Irdischen losmachte. Alle großen und wesentlichen Wahrheiten sind also von dieser Art. Es gibt aber sehr viele Dinge, die sich nicht ganz mit den Gedanken fassen und ausmessen lassen und darum doch nicht minder wahr sind. Bei vielen von diesen tritt dann die künstlerische Einbildungskraft ein. Denn diese besitzt die Gabe, das Sinnliche und Endliche, zum Beispiel die körperliche Schönheit, auch unabhängig vom Gesicht und seinem seelenvollen Ausdruck so darzustellen, als wäre es etwas Unendliches. Die Kunst, die Poesie mit eingeschlossen, ist daher ein Mittel, sehr vieles in Ideen zu verwandeln, was ursprünglich und an sich nicht dazu zu rechnen ist. Selbst die Wahrheit, wenn sie auch hauptsächlich im Gedanken liegt, bedarf einer solchen Zugabe zu ihrer Vollendung. Denn wie wir bisher die Idee nach ihrem Gegenstand betrachtet haben, so kann man sie auch nach der Seelenstimmung schildern, die sie fordert. Wie sie nun, dem Gegenstand nach, ein Letztes der Verknüpfung ist, so fordert sie, um sie zu fassen, ein Ganzes der Seelenstimmungen, folglich ein vereintes Wirken der Seelenkräfte. Gedanke und Gefühl müssen sich innig vereinigen, und da das Gefühl, wenn es auch das Seelenvollste zum Gegenstande hat, immer etwas Stoffartiges an sich trägt, so ist nur die künstlerische Einbildungskraft imstande, die Vereinigung mit dem Gedanken, dem das Stoff artige widersteht, zu bewirken. Wer also nicht Sinn für Kunst oder nicht wahren und echten für Musik oder Poesie besitzt, der wird überhaupt schwer Ideen fassen und in keiner gerade das wahrhaft empfinden, was darin Idee ist. Es ist ein solcher Unterschied zwischen den Menschen in ihrer ursprünglich geistigen Anlage gegründet. Die Bildung tut hierzu nichts. Sie kann wohl hinzutun, nie aber schaffen, und es gibt hundert künstlerisch und wissenschaftlich gebildete Menschen, die doch in jedem Worte deutlich beweisen, daß ihnen die Naturanlage, mithin alles fehlt. Der große Wert der Ideen wird vorzüglich an folgendem erkannt: Der Mensch läßt, wenn er von der Erde geht, alles zurück, was nicht ganz ausschließlich und unabhängig von aller Erdenbeziehung seiner Seele angehört. Dies aber sind allein die Ideen, und dies ist auch ihr echtes Kennzeichen. Was kein Recht hätte, die Seele noch in den Augenblicken zu beschäftigen, wo sie die Notwendigkeit empfindet, allem Irdischen zu entsagen, kann nicht zu diesem Gebiete gezählt werden. Allein diesen Moment, bereichert durch geläuterte Ideen, zu erreichen, ist ein schönes, des Geistes und des Herzens würdiges Ziel. In dieser Beziehung und aus diesem Grunde nannte ich die Ideen das einzig Bleibende, weil nichts anderes da haftet, wo die Erde selbst entweicht. Sie werden mir vielleicht Liebe und Freundschaft entgegenstellen. Diese sind aber selbst Ideen und beruhen gänzlich auf solchen. Von der Freundschaft ist das an sich klar. Von der Liebe erlassen Sie mir zu reden. Es mag an sich eine Schwachheit sein, aber ich spreche das Wort ungern aus und habe es ebensowenig gern, wenn man es gegen mich ausspricht. Man hat oft wunderbare Ansichten von der Liebe. Man bildet sich ein, mehr als einmal geliebt zu haben, will dann gefunden haben, daß doch nur das eine Mal das Rechte gewesen sei, will sich getäuscht haben oder getäuscht sein. Ich rechte mit niemandes Empfindungen. Aber was ich Liebe nenne, ist ganz etwas anderes, erscheint im Leben nur einmal, täuscht sich nicht und wird nie getäuscht, beruht aber ganz und viel mehr noch auf Ideen.
Ich fürchte aber, Sie ermüdet zu haben, ohne Ihnen vollkommen klar zu werden. In diesem Fall verzeihen Sie mir. Sie wollten ausdrücklich, daß ich Ihnen darüber schreiben sollte, und die Schwierigkeit liegt in der Sache. Vielleicht aber finden Sie doch etwas darin, woran Sie sich halten können, und wenn Sie von da aus Fragen tun, so kann ich Ihnen weitere Erläuterungen geben, was ich von Herzen gern tun will. Wie immer der Ihrige. H.
Tegel, den 7. April 1833.

Ich bin schon lange im Besitz Ihres Briefes, liebe Charlotte, habe aber nicht früher dazu kommen können, ihn zu beantworten. Sie haben ihn bloß vom Monat März datiert und gegen Ihre Gewohnheit nicht den Tag des Abgangs vermerkt. Ich bitte Sie, ihn künftig immer hinzuzusetzen. Ein Brief, von dem man nichts als den Monat weiß, ist eine zu unbestimmte Mitteilung, und ich habe immer auf die Tage gehalten. Man kann eher noch etwas im Raum unbegrenzt lassen. Die Empfindung der Zeit greift überhaupt tiefer in die Seele ein, was wohl daran liegt, daß der Gedanke und die Empfindungen sich in der Zeit bewegen.... Ich habe oft, fast von meiner Kindheit an, angefangen, Tagebücher zu halten und sie nach einiger Zeit wieder verbrannt. Es tut mir aber sehr leid, nicht wenigstens von jedem Tage aufgezeichnet zu haben, wo ich war und was ich vorzüglich tat, oder wer mir begegnete. Ich würde mich sehr freuen, das von meinem zehnten Jahre an zu besitzen. Von ausführlichen Tagebüchern und solchen, die Beurteilungen der Handlungen und Gesinnungen enthalten sollen, halte ich sonst nicht viel. Es geht einem, wie man es anfangen möge, nie ganz ein, für sich selbst und an sich selbst gerichtet zu schreiben. Wenn man das Geschriebene auch niemand zeigt noch zeigen würde, so schreibt man doch wie einem imaginierten Publikum gegenüber. Man ist wirklich mehr befangen, als wenn man die Selbstbeurteilung an eine einzelne bestimmte Person richtet. Das Interesse an dieser zieht da die Seele davon ab, sich zu sehr mit sich selbst zu beschäftigen und zu sehr auf sich Rücksicht zu nehmen, stellt dadurch die Unbefangenheit wieder her und befördert die Naivität der Erzählung. Überhaupt ist nicht eben zu fürchten, daß man sich in solchen Aufzeichnungen über sich selbst zu sehr schont, oft liegt sogar die Übertreibung der Wahrheit im Gegenteil. Was dagegen eher zu fürchten sein kann, ist, daß die Eitelkeit dabei Nahrung findet. Man hält leicht, je mehr man sich mit sich selbst beschäftigt, alles, was einen betroffen hat, für außerordentlicher, als was anderen begegnet ist, und legt auf jeden Zufall wie auf eine Absicht Wert, welche Gott mit uns gehabt hätte. Indes können solche Fehler vermieden werden, und dann wird gerade ein solches Tagebuch zu einer zugleich anziehenden und nützlichen Selbstbeschäftigung....
Die Zeit ist nur ein leerer Raum, dem Begebenheiten, Gedanken und Empfindungen erst Inhalt geben. Da man aber weiß, daß sie, wenn man auch viel Einzelnes davon kennt, diesen Inhalt freudvoll und leidvoll für empfindende Menschen getragen hat, so ist sie an sich immer das Herz ergreifend. Auch ihr stilles und heimliches Walten hat etwas magisch Anziehendes. Der Tag, an dem einem ein großes Unglück begegnet, ist eine lange Reihe von Jahren ungeahnt an einem vorbeigegangen, und ebenso still und unbekannt schreitet der an uns vorüber, an dem uns ein Unglück unwandelbar bevorsteht. Denkt man aber der Folge der Zeit nach, so verliert man sich darin wie in einem Abgrund. Es ist nicht Anfang noch Ende. Ein großer Trost liegt aber im Wandel, da er immer an ein höchstes Gesetz, an einen ewiglenkenden Willen in unverrückter Ordnung erinnert. Das Erkennen dieser Ordnung ist in allen Welteinrichtungen, bei der Hinfälligkeit der menschlichen Natur und der scheinbar oft regellos zermalmenden Gewalt der Elemente, etwas sehr Beruhigendes. Am regelmäßigen Sonnenlauf und Mondeswechsel muß das auch ganz rohen Nationen anschaulich werden. Je mehr die Kenntnis der Natur zunimmt, desto mehr wächst die Zahl der Beweise dieser Ordnung. Zur eigentlichen Einsicht in den Sternenlauf ist schon wissenschaftliche Beobachtung notwendig. Steigt diese, wie bei uns, zum höchsten Grade, so werden wieder Abweichungen bemerkbar und Dinge, die sich in die sonstige Ordnung nicht passen lassen. Diese sind sichere Beweise, daß die Forschung noch ein neues Feld zu Entdeckungen vor sich hat. Denn alles wissenschaftliche Arbeiten ist nichts anderes, als immer neuen Stoff in allgemeine Gesetze zu bringen...
Sie klagen im ganzen über Ihr Gedächtnis, nehmen aber einiges aus. Mehr können wenige von sich sagen. Das Gedächtnis ist nach Gegenständen verteilt, und in niemanden ist es für alle gleich gut. Das angenehmste ist ein leichtes Gedächtnis für Gedichte. Ist das mit wahrem Geschmack in der Auswahl und mit Talent im Hersagen verbunden, so gibt es keine andere, das Leben gleich verschönende Gabe. Zum guten Hersagen gehört aber unendlich viel: zuerst freilich nur Dinge, die jede gute Erziehung jedem geben kann, richtiges Verstehen des Sinnes, eine gute, deutliche, von Provinzialfehlern freie Aussprache; aber dann freilich Dinge, welche nur angeboren werden, ein glückliches, schon in sich seelenvolles Organ, ein feiner musikalischer Sinn für den Fall des Silbenmaßes, ein wahrhaft dichterisches Gefühl und hauptsächlich ein Gemüt, in dem alle menschlichen Empfindungen rein und stark wiederklingen. Der Genuß, den ein solches Wiedergeben wahrhaft schöner Gedichte gewährt, ist in der Tat ein unendlicher. Er ist mir oft und im höchsten Grade geworden, und ich rechne das zu den schönsten Stunden des Lebens. Aber auch das eigene Auswendiglernen und Auswendigwissen von Gedichten oder von Stellen aus Gedichten verschönert das einsame Leben und erhebt oft in bedeutenden Momenten. Ich trage mich von Jugend an mit Stellen aus dem Homer, aus Goethe und Schiller, die mir in jedem wichtigen Augenblicke wiederkehren und mich auch in den letzten des Lebens nicht verlassen werden. Denn man kann nichts Besseres tun, als mit einem großen Gedanken hinübergehen...
Ich befinde mich, Gott sei gedankt, recht wohl, gehe aber doch den Sommer wieder ins Seebad nach Norderney. Man findet, daß es meine Schwächlichkeiten vermindert hat. Das sehe ich nun zwar nicht, und auch Sie werden es, an meinem Schreiben wenigstens, nicht gewahr werden. Allein das ist wohl möglich, und das glaube ich sogar selbst, daß der jährliche Gebrauch des Bades diese meine Schwächlichkeiten auf dem Punkte erhält, auf dem sie jetzt sind. Vielleicht sind auch die Wellen unschuldig daran. Aber man ist gern dankbar, und die See ist ein so schöner und großer Gegenstand, daß man ihr gern dankbar ist. Gern gehe ich aber nicht hin, es ist mir eine lästige Störung. Aber wenn ich mich einmal in das Notwendige fügen muß, so nehme ich mir das Angenehme heraus und gehe leicht über das Lästige hinweg, ob ich mich gleich von meiner hiesigen Einsamkeit so ungern als von einer geliebten Person trenne.
Mit der Gegenwart sind Sie so dankbar zufrieden. Vertrauen Sie auch der Zukunft und hegen keine ängstlichen Besorgnisse. Sie ist allerdings ungewiß, aber bedenken Sie, daß die ewige Güte wacht, daraus entspringt Vertrauen, und dies muß man im Herzen nähren. Mit inniger Teilnahme unabänderlich der Ihrige. H.
Norderney, den 2. August 1833.

Mit dem Anfange dieses Monats ist gerade die Hälfte meiner Badekur vollendet, liebe Freundin, und es wird Ihnen Freude machen, wenn ich Ihnen sage, daß ich sie ununterbrochen habe fortsetzen können, und befinde mich, Dank sei es der Vorsehung, sehr wohl. Von der gänzlichen Wirkung läßt sich erst nach Monaten urteilen. Dem Erfolg bis jetzt nach zu schließen, wird sie hoffentlich nicht geringer als im vorigen Jahre sein. Hier werde ich fast allgemein, meiner einzelnen Schwächlichkeiten ungeachtet, für stark gehalten, und gewissermaßen könnte ich mir selbst so erscheinen. Denn kein noch so junger rüstiger Mann braucht das Bad stärker als ich, und ich fühle mich niemals nur einen Augenblick davon angegriffen. Ich nehme nie etwas Stärkendes nachher und beschäftige mich, wenn ich nicht der Luft im Gehen genießen will, mit jeder Sache, die mich gerade interessiert. Von der Witterung spüre ich gar keinen Einfluß. Einige Körperstärke setzt das allerdings voraus. Aber die Hauptsache ist doch, das ganze Leben hindurch die Seele zur Ertragung jedes Ungemachs abgehärtet zu haben. Es ist unglaublich, wieviel Kraft die Seele dem Körper zu verleihen vermag. Es erfordert auch garnicht eine große oder heldenmütige Energie des Geistes. Die innere Sammlung reicht hin, nichts zu fürchten und nichts zu begehren, als was man selbst in sich abwehren und erstreben kann. Darin liegt eine unglaubliche Kraft. Man ist darum nicht in eine phlegmatische Ruhe versenkt, sondern kann dabei gerade von den tiefsten und ergreifendsten Gefühlen bewegt sein, ihre Gegenstände gehören nur nicht der äußeren Welt an, sondern sind höheren Dingen und Wesen zugewendet. Man ist nicht frei von Sehnsucht, vielmehr ihr oft hingegeben, aber es ist nicht die verzehrende, die nach äußerer Gewährung strebt, sondern eine eigene, nur die lebendige Empfindung von etwas Besserem und Schönerem, mit dem die Seele innig verwandt ist. – Das Wetter war hier seit unserer Ankunft für den Gebrauch des Bades sehr günstig. Denn da es immer windig und einigemal sehr stürmisch war, so war die See fast unausgesetzt sehr hoch und unruhig, und diesen heftigen Wellenschlag hält man gerade für sehr zuträglich. Mit Sonnenschein verbunden, wie wir ihn oft hatten, ist er zugleich ein reizender Anblick. Über Hitze hat man sich hier wohl selten zu beklagen. Da die Winde meistenteils vom Meer herkommen, so kühlen sie die Luft hinreichend ab. Auf Inseln, besonders auf kleinen, ist große Hitze ebenso wie große Kälte selten. Wir haben aber in diesem Sommer wirklich sehr heiße Tage gehabt. Meine Liebe für große Wärme schreibt sich doch nicht, wie Sie glauben, aus meinem längeren Aufenthalt in Spanien und Italien her, ich erinnere mich, sie von früher Kindheit an gehabt zu haben...
Sie haben allerdings recht, wenn Sie sagen, Frau von Staël und Frau von Laroche werden schlimm im Goetheschen Briefwechsel behandelt. Es ist dies Goethes Schuld. Im vertraulichen Briefwechsel kann man sich, wie im Gespräch, kleine Spöttereien erlauben, da man keine üble Absicht damit verbindet und genau weiß, wie man verstanden wird. Wenn man aber solche Briefe vor das große Publikum bringt, muß man solche Stellen wegstreichen, und darin ist Goethe, der den Briefwechsel herausgegeben, zu sorglos gewesen. Solche kleine Flecken können aber einem Werke keinen Eintrag tun, das sonst einen solchen Reichtum an genialen und neuen Ideen enthält und so das lebendige Gepräge des Gedankenaustausches zweier großer Geister in sich trägt; denn es gibt nicht leicht eine Schrift, die einen so unendlichen Stoff zum Nachdenken darbietet und so, nach allen Richtungen hin, die einzig richtig leitenden Ansichten angibt. Der Staël mußten Goethe und Schiller Unrecht tun, da sie sie garnicht genug kannten. Die Staël war bei weitem weniger von ihren schriftstellerischen Seiten, als im Leben und von Seiten ihres Charakters und ihrer Gefühle, Geist und Empfindung. Beides war in ihr auf eine ganz ihr angehörende Weise verschmolzen. Goethe und Schiller konnten das nicht so wahrnehmen. Sie kannten sie nur aus einzelnen Gesprächen, und auch da nur unvollkommen, da sie sich doch beide nicht französisch mit vollkommener Freiheit ausdrückten. Diese Gespräche griffen sie an, weil sie dadurch angeregt wurden, ohne sich doch in dem fremden Organ ganz und rein aussprechen zu können, und so wurde ihnen die lästig, die solche Gespräche veranlaßte. Von dem wahren inneren Wesen der Frau wußten sie nichts. Was man von ihrer Unweiblichkeit sagte, gehört zu dem trivialen Geschwätz, das sich der gewöhnliche Schlag der Männer und Weiber über Frauen erlaubt, deren Art und Wesen über ihren Gesichtskreis geht. Sich über das Höhere allen Urteils zu enthalten, ist eine zu edle Eigenschaft, als daß sie häufig sein könnte. Wirklich selbst vorzügliche Frauen, welche die Staël kannten, haben sie nie als unweiblich getadelt, und noch weniger kann man sie so in ihren Schriften finden.
Die Laroche habe ich selbst gleichfalls gekannt. Sie war sehr gutmütig und mußte in ihrer Jugend schön gewesen sein. Von Geist war sie allerdings nicht ausgezeichnet. Allein ihre Schriften sind nicht ohne Wirkung auf die weibliche Bildung ihrer Zeit geblieben. Insofern hat die Frau ein Verdienst gehabt, das ihr auch Goethe und Schiller nie würden haben absprechen wollen. Sie dachten nur an den literarischen Wert, der freilich nicht groß war. Man muß aber auch, was sie in scherzhaft heiterer Laune hinschrieben, nicht als vollwichtigen Ernst aufnehmen. Die Epochen, in die uns diese Erinnerungen zurückführen, weichen allmählich in solche Ferne zurück, daß schon darum das Interesse an ihnen wächst. Auch erscheint immer mehr, was zur Charakterisierung der damals merkwürdigsten Personen dient. In den Urteilen über sie wirkt noch die Stimmung mit fort, welche sie im Leben hervorbrachten; allein nach und nach tritt eine andere Stimmung ein, bis sich endlich das bildet, was man den bleibenden Nachruhm nennt. Die Menschen werden in diesem gewissermaßen zu Schattengestalten. Vieles, was sie an sich tragen, erlischt, und das Übrigbleibende wird nun zu einer ganz anderen Erscheinung. Dabei wird noch, was man von ihnen weiß, nach dem Geiste der jedesmaligen Zeit aufgenommen. So ungewiß steht es um das Bild, das auch die größten Menschen hinterlassen, und um die Geschichte!
Meine Badekur ist den 21. d. M. zu Ende, und ich werde also noch vor dem Ende desselben zurückgekehrt in Tegel sein. Ich fühle mich wohl und sehr gestärkt, und werde die Wirkung nach einiger Zeit noch mehr empfinden. Ich sage Ihnen das, liebe Freundin, schon jetzt und noch von hier aus, da Sie mir mit liebevoller Teilnahme so oft gesagt haben, daß Sie diese Nachrichten zuerst und vor allen anderen in meinen Briefen suchen. So begegnen sie Ihnen schon am Schluß dieses Briefes und kommen Ihnen früher zu, was Ihnen, wie ich weiß, Freude macht. Aber richten Sie es nun auch so ein, daß ich einen Brief von Ihnen in Berlin vorfinde. Mit der innigsten und unveränderlichsten Teilnahme der Ihrige. H.
Tegel, den 6. Oktober 1833.

Ich sage Ihnen meinen herzlichsten Dank, liebe Charlotte, für Ihren lieben Brief, den ich bei meiner Zurückkunft hier vorfand, und der so viel Liebes und Gütiges über mich enthält. Ob Sie nichts von Ihrem Befinden erwähnen, so scheint mir doch die Stimmung zu beweisen, daß Sie wohl sind. Sie wissen, welchen lebhaften Anteil ich daran nehme. Sie genießen doch gewiß auch recht in Ihrem Garten die schönen Tage, mit denen das sich zum Ende neigende Jahr scheint alle schlimmen Tage, an denen der Sommer reich war, wieder in Vergessenheit bringen zu wollen. Es ist merkwürdig, wie wunderschön das Wetter ist, eben so ausgezeichnet schön war der Frühling. Ich dächte in zwanzig Jahren kein so blütenreiches Frühjahr hier erlebt zu haben. Die Pracht war über alle Beschreibung. Das schöne Wetter wird aber bei weitem nicht so dankbar von den Menschen erkannt, als man das bloß minder gute gleich übermäßig allgemein tadeln hört. Die Menschen scheinen zu meinen, daß, wenn ihnen auch der Himmel alle übrigen Glücksgaben vorenthielt, er ihnen doch diese, gleichsam die wohlfeilste von allen, gewähren müsse. Wieviel dem Himmel das schöne Wetter kostet, ist freilich schwer zu berechnen. Allein in der Wirkung auf das Gemüt gehört ein wahrhaft schöner Tag zu den allerkostbarsten Geschenken des Himmels. Wenn man im Menschen eine gewisse mittlere Seelenstimmung als die Regel annehmen kann, so bringt mich schlechtes Wetter niemals unter dieselbe, dies erlaubt meine gegen alle äußeren unangenehmen Eindrücke sehr gut verwahrte Natur nicht. Aber ein schöner Tag oder eine strahlend sternhelle Nacht hebt mich unaussprechlich darüber empor. Denn man kann, gerade indem man die Empfindung des Schönen schärft, die Reizbarkeit gegen das Unangenehme abstumpfen.
Was Sie über Herder und Goethe sagen und über die verschiedene Wirkung, welche die Schriften beider auf Sie haben, hat mich zu allerlei Betrachtung geführt, über die Empfindungen anderer sollte man nicht so scharf absprechen. Beschränken Sie das Gesagte auf sich und andere, deren Gemütsart Ihnen genau bekannt ist, so stimme ich Ihnen gänzlich bei. Was mir aber bei dieser Stelle Ihres Briefes besonders aufgefallen ist, ist, daß sie mir wieder recht klar bewiesen hat, daß es zwei ganz verschiedene Arten gibt, sich einem Buche zu nahen. Eine, mit einer bestimmten Absicht verbunden und ganz nahe auf den Lesenden selbst bezogen, und eine freiere, die mehr und näher auf den Verfasser und seine Werke geht. Jeder Mensch liest, nach Verschiedenheit der Stimmungen und der Momente, mehr auf die eine oder die andere Weise; denn rein und gänzlich geschieden sind beide natürlich nie. Die eine wendet man an, wenn man von einem Buche fordert, daß es erheben, erleuchten, trösten und belehren soll, die andere Methode ist einem Spaziergange in freier Natur zu vergleichen. Man sucht und verlangt nichts Bestimmtes, man wird durch das Werk angezogen, man will sehen, wie sich eine poetische Erfindung entfalte, man will dem Gange eines Räsonnements folgen. Belehrung, Trost, Unterhaltung findet sich nachher ebenso und in noch höherem Maße ein, aber man hat sie nicht gesucht, man ist nicht von einer beschränkten Stimmung aus zu dem Buche übergegangen, sondern das Buch hat frei und ungerufen die ihm entsprechende selbst herbeigeführt. Das Urteil ist aber auf diese Weise freier, und da es von augenblicklicher Stimmung unabhängiger bleibt, zuverlässiger. Ein Verfasser muß es vorziehen, so gelesen und geprüft zu werden. Herder kann übrigens jede Art der Beurteilung ruhig erwarten. Er ist eine der schönsten geistigen Erscheinungen, die unsere Zeit aufzuweisen hat. Seine kleinen lyrischen Gedichte sind voll tiefen Sinnes und in der Zartheit der Sprache und Anmut der Bilder die Lieblichkeit selbst. Besonders weiß er das Geistige unnachahmlich schön, bald mit einem wohlgewählten Bilde, bald mit einem sinnigen Worte in eine körperliche Hülle einzuschließen, und ebenso die sinnliche Gestalt geistig zu durchdringen. In diesem symbolischen Verknüpfen des Sinnlichen mit dem Geistigen gefiel er sich auch selbst am meisten, bisweilen, obgleich selten, treibt er es bis ins Spielende. Eine seiner großen Eigenschaften war es auch, fremde Eigentümlichkeiten mit bewunderungswürdiger Feinheit und Treue aufzufassen. Dies zeigt sich in seinen Volksliedern und in der Geschichte der Menschheit. Ich erinnere mich z. B. aus der letzten der meisterhaften Schilderung der Araber. Herder stand im Umfang des Geistes und des Dichtungsvermögens gewiß Goethe und Schiller nach, allein es war in ihm eine Verschmelzung des Geistes mit der Phantasie, durch die er hervorbrachte, was beiden nie gelungen sein würde. Diese Eigentümlichkeit führte ihn zu großen und lieblichen Ansichten über den Menschen, seine Schicksale und seine Bestimmung. Da er eine große Belesenheit besaß, so befruchtete er seine philosophischen Ansichten durch dieselbe und gewann dadurch den Reichtum von Tatsachen für seine allegorischen und historischen Ausführungen. Er gehört, wenn man ihn im ganzen betrachtet, zu den wundervollst organisierten Naturen. Er war Philosoph, Dichter und Gelehrter, aber in keiner einzigen dieser Richtungen wahrhaft groß. Dies lag auch nicht an zufälligen Ursachen, an Mangel gehöriger Übung. Hätte er einen dieser Zweige allein ausbilden wollen, so würde es ihm nicht gelungen sein. Seine Natur trieb ihn notwendig zu einer Verbindung von allen zugleich hin, und zwar zu wahrer Verschmelzung, wo jede dieser Richtungen, ohne ihre Eigentümlichkeit zu verlassen, doch in die der andern einging, und da doch dichtende Einbildungskraft seine vorherrschende Eigenschaft war, so trug das Ganze, indem es die innigsten Gefühle weckte, immer einen doppelt stark anziehenden Glanz an sich. Diese Eigentümlichkeit bringt es aber auch freilich mit sich, daß die Herderschen Räsonnements und Behauptungen nicht immer die eigentlich gediegene Überzeugung hervorbringen, ja daß man nicht einmal das recht sichere Gefühl hat, daß es seine eigene recht feste Überzeugung war, die er aussprach. Beredsamkeit und Phantasie leihen leicht allem eine willkürliche Gestalt. Von der Außenwelt entlehnte er nicht viel. Sein Aufenthalt in Italien hat ihn fast um nichts bereichert, da Goethe der seinige so reiche und schöne Früchte getragen hat. Herders Predigten waren unendlich anziehend. Man fand sie immer zu kurz und hätte ihnen die doppelte Länge gewünscht. Aber eigentlich erbaulich waren die, welche ich gehört habe, nicht, sie drangen wenig ins Herz.
Wenn er jetzt wüßte, daß ich so viel mit unleserlich kleinen Buchstaben über ihn schreibe, würde er sich gewiß wundern, und ich wundere mich über mich selbst. Ich tue es einzig, weil ich denke, daß es Ihnen Freude macht. Sagen Sie mir aber auch, wenn Sie mich nicht mehr lesen können. Denn für mich selbst schreibe ich nicht.
Mit der herzlichsten Teilnahme Ihr H.
Tegel, den 16. Nov. bis 7. Dez. 1833.

Ich fange diesen Brief an, liebe Charlotte, ohne noch einen von Ihnen empfangen zu haben; ich denke aber gewiß, daß in diesen Tagen selbst einer ankommen muß. Zuerst habe ich noch auf eine Stelle Ihres Briefes zurückzukommen, die eigentlich ganz unbeantwortet von mir geblieben ist, und wofür ich Ihnen sehr danke. Es ist nämlich das, was Sie über die verschiedene Art Bücher zu lesen sagen, und über das, was man in ihnen zu suchen hat. Sie beziehen sich dabei auf Goethe. Sie wissen, ich liebe es sehr, wenn man im freundschaftlichen Briefwechsel es frei ausspricht, wo die Meinungen nicht übereinstimmen. Dann auch haben Sie mich veranlaßt, die schöne Stelle in Goethes »Wahrheit und Dichtung« wieder zu lesen, auf die Sie sich beziehen. Im ganzen aber ist es, wie es gewöhnlich im Entgegenstellen der Behauptungen geht, daß man einander doch nicht bekehrt. Meine Art ist es einmal und wird es immer bleiben, ein Buch ebenso wie einen Menschen als eine Erscheinung an sich, nicht als eine Gabe für mich anzusehen. Ich gehe darum noch nicht, wie Goethe sagt, in die Kritik desselben ein, ebensowenig wie ich dies bei einem Menschen tue. Aber ich betrachte es wie ein Produkt des menschlichen Geistes, das ohne alle Beziehung auf meine Gedanken und Gefühle einen eigenen Ideenzusammenhang und eine eigene Gefühlsweise ausspricht und meine Aufmerksamkeit dadurch in Anspruch nimmt. Ich begreife indes, daß viele Leser die Bücher mehr zu sich hinziehen und sie weniger objektiv nehmen, und wenn Sie mich fragen, ob es einem Schriftsteller unangenehm sein könne, wenn er Beruhigung oder Erheiterung in ein dieser oder jener bedürfendes Gemüt ergieße oder eine gebeugte Seele ermutige, so antworte ich mit voller Überzeugung: er ist gewiß damit zufrieden und fühlt sich belohnt, gesetzt, es wäre auch nicht gerade sein Zweck. Ich wollte Ihnen nur sagen, wie ich Bücher lese, keineswegs aber Ihre Weise tadeln.
Den 4. Dezember. Ich bin nunmehr im Besitz Ihres Briefes vom 24. November und danke Ihnen herzlich für den ganzen Inhalt desselben. Erhalten Sie sich in der ruhigen, heitern, zufriedenen Stimmung. Eine Heiterkeit wie die, von der Sie sagen, daß sie Ihnen natürlich inwohnt, ist eine sehr glückliche Gabe des Himmels oder des Schicksals und, wie Sie selbst sehr richtig bemerken, mehr noch eine Frucht einer natürlich einfachen, bescheiden genügsamen Gemütsart. Wenn sie aber auch so, gleichsam von selbst, im Charakter hervorblüht, so kann und muß man sie doch auch nähren und unterstützen. Ich meine das nicht von außen, sondern recht eigentlich von innen. Ebenso ist es auch mit der Wehmut. Der Mensch hat sich, wenn er irgendein innerliches Leben gelebt hat, ein geistiges Eigentum von Überzeugungen, Gefühlen, Hoffnungen, Ahnungen gebildet. Dies ist ihm sicher, ja, im eigentlichen Verstande unentreißbar. Kann er darin sein Glück, seine Beruhigung, seine stille Heiterkeit finden, so ist ihm diese gesichert und geborgen, wenn seine Stimmung auch wehmütig bleibt. Denn jeder Gegenstand edler Wehmut schließt sich willig an den eben genannten Kreis an. Sobald man überhaupt irgend etwas, was das Gemüt ergreift, in das Gebiet geistiger Tätigkeit hinüberführen kann, wird es linder und mischt sich auf eine sehr versöhnende Weise mit allem, was uns eigentümlich ist, wovon wir, wenn es auch schmerzte, uns nicht trennen könnten, ja nicht trennen möchten. Ich meine aber unter geistiger Tätigkeit nicht die der Vernunft. Diese könnte ein fühlendes Gemüt nur zu starrer Resignation bringen, die immer eine Ruhe des Grabes ist und nicht die schöne lebendige Heiterkeit gewähren kann, von der ich hier rede. Die rein geistige Wirksamkeit hat aber ein viel weiteres Gebiet und verschmilzt mit der Empfindung gerade zu dem Höchsten, dessen der Mensch fähig ist, und diese Verschmelzung enthält das wahre Mittel aller wahrhaft hilfreichen Beruhigung. Der Gedanke verliert in ihr seine Kälte, und die Empfindung wird auf eine Höhe gestellt, auf der sich die verletzende einseitige Beziehung auf das persönliche Selbst und den Augenblick der Gegenwart abstumpft. Leben Sie herzlich wohl! Ihren letzten Brief beantworte ich das nächste Mal. Mit dem innigsten Anteil der Ihrige. H.
Tegel, den 20. Dez. 1833 bis 7. Jan. 1834.

Es ist sehr gütig von Ihnen, liebe Charlotte, daß Sie lieber meine Briefe entbehren wollen als mir zumuten, sie bei dem Zustand meiner Augen und Hand zu schreiben. Ich erkenne es mit doppelter Dankbarkeit, da ich weiß, was Ihnen meine Briefe sind, und daß Sie weit mehr darin finden als wirklich darin liegt. Ich fühle auch, daß Ihre Einsamkeit sie Ihnen noch wertvoller macht, da es nicht immer leicht ist, im Innern ganz allein zu stehen. Ich begreife daher und fühle vollkommen, daß das Ausbleiben meiner Briefe eine bedeutende Lücke in Ihrem täglichen Leben machen würde. Gewiß weiß ich also die Stelle, die Ihr letzter Brief enthält, nach ihrem vollen Wert zu schätzen. Für den Augenblick sehe ich noch keine Notwendigkeit ein, eine Änderung vorzunehmen. Wenn mich, wofür man freilich menschlicherweise nicht stehen kann, nichts Plötzliches befällt, so wird überhaupt ein gänzliches Abbrechen nicht nötig sein. Die Übel, die mir das Schreiben erschweren, sind von der Art bis jetzt, daß sie nur nach und nach und bis jetzt sogar nicht schnell zunehmen. Die Folge wird daher auch nur die sein können, daß ich weniger ausführliche Briefe schreibe, wobei es mir doch auch ein Trost sein wird zu denken, daß Sie weniger Mühseligkeit haben werden zu lesen. Überlassen Sie es also vertrauensvoll mir, abzumessen, was meinen Kräften noch zusagt und wozu sie nicht mehr ausreichen. Ich bin von Natur und durch eigene frühe Gewöhnung tätig und von nicht leicht zu ermüdender Geduld, lasse schwer ab in Überwindung von Schwierigkeiten und gestatte nicht gern der Natur, meinem Willen etwas abzunötigen. Ganz aus eigenem Triebe habe ich als Kind schon mich geübt zu tun, was mir körperlich sauer wurde, und Schmerz und Beschwerde mir nicht aus Weichlichkeit zu ersparen gesucht. Noch danke ich dem Himmel, daß er mir gerade das in die Brust legte. Denn wenn auch die Selbstverleugnung und Übung der Willenskraft garnicht zu den höchsten und größten Tugenden gehören, so kann man sie doch mit vollem Recht zu den nützlichsten zählen. Sie können nicht ganz von wechselnden Fügungen des Schicksals unabhängig machen. Eine solche wahre Unabhängigkeit kann der Mensch auf Erden niemals erlangen, er muß es schon als einen unendlich großen, ihm von der Vorsehung eingeräumten Vorzug ansehen, daß die Unabhängigkeit, die es ihm gelingen kann sich zu erstreben, in seine Gewalt gegeben ist, ja, daß er allein sie sich zu schaffen imstande ist, da sie eine innerliche ist. Wenn man aber recht frei und kühn auf das Ziel zugeht, den äußeren Einflüssen keine Herrschaft zu gestatten, so gelangt man immer weit und kann nicht allem, aber viel im Leben begegnen. Auch im Alter, kann ich mit Wahrheit sagen, suche ich mir das Leben nicht leicht und bequem zu machen, wenn ich den einzigen Punkt ausnehme, daß ich nicht mehr in Gesellschaft gehe: denn das habe ich ganz aufgegeben, selbst für die wenigen Orte, die ich noch, wenn auch schon selten, im vorigen Winter besuchte.
Den 4. Januar 1834. Es ist das erstemal, daß ich die neue Jahreszahl schreibe. Ich hätte früher nie geglaubt, daß ich noch soviel schreiben würde, und noch jetzt, wo ich das Leben schon seit Jahren für das, was mich eigentlich daran knüpft, als geendet ansehe, habe ich weder ein äußeres körperliches, noch inneres geistiges Vorgefühl, daß ich nicht noch mehrere neue Jahreszahlen schreiben würde. Das sage ich nicht im mindesten darum bestimmter, weil ich weiß, daß Sie es gern hören, so gern ich Ihnen auch Freude mache, sondern weil ich es wirklich so fühle. Ungeachtet des sonderbaren Winters ist mein eigentliches Befinden, wenn ich es von den hindernden Beschwerden trenne, so, daß es mir zu keiner Klage Anlaß gibt.
Der Ideenumtausch, von dem Sie in Ihrem Briefe reden, ist wohl sehr hübsch, aber mir ist der Sinn dafür vergangen. Die persönliche Nähe anderer ist mir immer eine Störung meiner Einsamkeit, das heißt jetzt im engsten Sinne meiner selbst. Sie wird mir leicht beunruhigend und kann mir peinigend werden. Ich vermeide daher, soviel ich kann, die Besuche meiner ältesten Freunde und Bekannten, sollte ich auch dadurch lieblos oder unhöflich erscheinen. Es gibt Opfer, die man unrecht hätte zu bringen. Die meisten aber sind diskret und gütig und gönnen mir die Luft des Alleinseins.
Was Sie mir von Paul Gerhard schreiben, hat mich sehr interessiert, und ich werde die Lieder, die Sie mir bezeichnen, nochmals nachlesen. Seine Schicksale waren mir im allgemeinen bekannt, aber nicht in so genauer Beziehung auf die Lieder, die doch hier gerade das Wichtigste ist. Ich schließe jetzt meinen Brief mit meinen herzlichen Glückwünschen für das neue Jahr. Möge dasselbe Sie frei von störenden Ereignissen, in Gesundheit und der stillen heiteren Stimmung erhalten, die das Erfreuliche, wo es nicht zu ändern ist, still hinüberträgt. Mit der innigsten Teilnahme der Ihrige. H.
Tegel, den 12. Januar 1834.

Sie sagen in Ihrem letzten Brief, daß, wenn man auch gar kein anderes Buch haben dürfte, man mit Bibel und Gesangbuch leben könnte, über die Bibel teile ich ganz Ihre Meinung. Das Gesangbuch würde ich doch nur als eine Zugabe ansehen. Was so alles andere ersetzen soll, muß nicht von einzelnen bekannten, uns nahestehenden Verfassern herrühren, es muß aus fernen Jahrhunderten als die Stimme der ganzen Menschheit, in der sich immer zugleich die Stimme Gottes offenbart, zu uns herüberschallen. Darum könnte, wessen Gemüt kindlich und einfach genug ist, den Sinn früherer Jahrtausende zu fühlen, auch mit dem Homer getrost in die Einsamkeit gehen. Das ist das, was der Mensch nie genug an der Vorsehung bewundern und wofür er nie dankbar genug sein kann, daß sie die wahrhaft göttlichen Gedanken, die, auf denen unser innerstes Dasein ruht, bald im Geiste ganzer Völker und Zeiten, bald in einzelnen Menschen weckt und durchbrechen läßt. Von mir gestehe ich Ihnen, daß ich sehr leicht ohne alle Bücher leben könnte. Eine eigentliche Neigung zum Lesen habe ich garnicht, auch habe ich für ein langes Leben und so vielfache wissenschaftliche Beschäftigungen nur wenig gelesen. Eine Menge Bücher, die andere sehr früh gelesen, kenne ich nur dem Namen nach, und ich kann von Büchern umringt sein, auch wissen, daß neue darunter sind, ohne in eines hineinzusehen. Diese geringe Anziehungskraft aber haben die Bücher nicht erst spät, gleichsam aus einer Art Überdruß, für mich bekommen, es ist, auch wie ich sehr jung war, nicht anders gewesen. Ich habe darum doch sehr viel, Tage und Nächte, mit Büchern gelebt, allein immer mit dem Zweck, irgend etwas Bestimmtes zu lernen, aufzusuchen oder zu erforschen. Dies ab er ist durchaus verschieden von der in einigen Menschen sich bis zur Leidenschaft steigernden Lust, zu lesen. Diese Lust liegt in einer inneren Lebendigkeit, die ich nie so besessen habe, an einem Bedürfnis nach Ideenstoff, das aber freilich zugleich an ein Verlangen geknüpft ist, diesen Stoff von außen in bunter Mannigfaltigkeit zu bekommen, anstatt ihn in größerer Einförmigkeit aus seinem Innern zu schaffen. Indes ist diese Neigung darum nicht zu mißbilligen. Der Mangel an jener Strebsamkeit nach außen hin, das Hängen an einsamem Sinnen, das Versenken in sich selbst ist auch nicht immer reines Metall ohne Schlacken. Es entspringt oft aus Apathie, aus Hang zum Müßiggange, und ist oft mehr ein waches Träumen als ein fruchtbares Nachdenken. Es führt aber eine Süßigkeit mit sich, die ich sonst mit nichts vergleichen kann, man mag sich nun in Ideen verlieren oder Erinnerungen zurückrufen. Das erste ist leichter und müheloser als im Gespräch und im Schreiben, da man nur für sich denkt, also Mittelsätze überspringen und näher zum Ziel gelangen kann, ja, von niemand gedrängt, es nicht so scharf zu erreichen braucht. Wo aber die Wahrheit auf Gefühlen ruht, da vertrauen sich diese lieber der Verschlossenheit des eigenen Busens an. Darum sind alle religiösen Menschen der Einsamkeit leicht zugetan. Erinnerungen aber kleiden sich in ein so sanftes Dämmerlicht, daß die Zeit, die man in ihnen zum zweitenmal durchlebt, oft dadurch tiefer in die Seele eindringt, als ihr die Unruhe der Gegenwart es zu tun erlaubt, denn die Gegenwart ist immer mit der Zukunft gemischt, und die Erfindung in ihr ist von einer Seite noch dem Wechsel offen. Auch versetzt der Genuß wie der Schmerz in eine Spannung, die der ruhigen Betrachtung des Gegenstandes nicht günstig ist. Wenn nun dies Vergnügen am Nachhängen gewisser Gedanken, die einen gewohnten Reiz über das Gemüt ausüben, der unbestimmten Luft, den Blick in ein Buch zu werfen, gegenübertritt, so bleibt meine Wahl nicht lange unentschieden, und ich könnte sehr gut lange Zeit ohne alle Bücher zubringen.
Sie bemerkten, daß man sehr oft fragen hört: was ist Glück? Wenn man unter dem Worte Glück das meint, durch das man im Leben in der letzten tiefsten Empfindung glücklich oder unglücklich ist, nicht bloß darunter einzelne Glücksfälle versteht, so ist es recht schwer, das Glück zu definieren. Denn man kann sehr vielen und großen Kummer haben und sich doch dabei nicht unglücklich fühlen, vielmehr in diesem Kummer eine so erhebende Nahrung des Geistes und des Gemüts finden, daß man diese Empfindung mit keiner anderen vertauschen möchte. Dagegen kann man im Besitz recht vieler Ruhe und Genuß gewährender Dinge sein, gar keinen Kummer haben, und doch eine mit den Begriffen des Glücks ganz unverträgliche Leere in sich empfinden. Notwendig wird also zum Glück eine gehörige Beschäftigung des Geistes oder des Gefühls erfordert, allerdings verschieden nach jedes einzelnen Geistes- oder Empfindungsmaß, aber doch so, daß eines jeden Bedürfnis dadurch erfüllt werde. Die Natur dieser Beschäftigung oder vielmehr dieses inneren Interesses richtet sich aber dann nach der individuellen Bestimmung, die jeder seinem Leben gibt, oder vielmehr, die er schon in sich gelegt findet, und so liegt Glück oder Unglück in dem Gelingen oder Mißlingen des Erreichens dieser Bestimmung. Ich habe immer gefunden, daß weibliche Gemüter in dies Gefühl lieber und williger eingehen als Männer, und sich auf diese Weise ein stilles Glück in einer freudenlosen, ja oft kummervollen Lage bilden. Auch für das künftige Dasein ist diese Ansicht folgereich. Denn alles Erlangen eines anderen Zustandes kann sich doch nur auf einen bereits erfüllten gründen. Man kann nur erlangen, wozu man reif geworden ist, und es kann in der geistigen und Charakterentwicklung keinen Sprung geben.
Tegel, Februar 1834.