Eine Publikation der

Freien Redaktion XUN

Heilbronn

August 2013

 

Es besteht Titelschutz nach den §§ 5, 15 MarkenG, durch

Ordnungsgemäße Anzeige und Veröffentlichung im Börsenblatt

des Deutschen Börsenvereins

Ausgabe 20/2006, Ausgabe 30

 

Titelbild: Stefan Böttcher

Lektorat: Marco Stevik-Sikirius

 

Redaktion:

Freie Redaktion XUN  c/o Bernd Walter

Postfach 3717

74027 Heilbronn

 

 

Umschlaggestaltung, Herstellung und Verlag:

Freie Redaktion XUN + Stefan Böttcher

 

© XUN – eBook Edition

    Freie Redaktion XUN, Heilbronn

 

©  des Romans und Titelbildes:

    bei den jeweiligen Autoren und Grafikern

 

www.xun-online.de 

www.frx-online.de 

E-Mail:

[email protected] 

 

Originalausgabe. Alle Rechte vorbehalten.

 

 

Preis: € 2,99

 

Nachdruck, auch Auszugsweise, nicht ohne vorherige

Genehmigung durch die Freie Redaktion XUN

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

XUN eBook-Edition

Nr. 20 

 

 

TERRA FUTURA

Teseco im Einsatz

 

SciFi-Serie von W. Berner

 

3.

„Das Geheimnis der Pflanzenwelt

 

 

 

 

 

Eine ereignisreiche Zeit lag hinter den Menschen der Erde. Der erste Kontakt mit einer fremden, raumfahrenden Zivilisation hätte fast in einer gigantischen Katastrophe geendet. Aufgrund von kulturellen Unterschieden, Fehlinterpretationen und Missverständnissen glaubten sich die Außerirdischen, die sich selbst als ‚Noraki’ bezeichneten, von der Menschheit bedroht. Es kam zu Entführungen von Bürgern des Terranischen Bundes, darunter auch Roy Anthony, funktechnischer Spezialist des TESECO-Einsatzkreuzers PRINCESS II.

Aus dem Nichts heraus erschien eine Flotte der Noraki im Sonnensystem, wo sie einen heftigen Angriff auf die Mondhauptstadt flogen, auf Luneville.

Mit den vereinten Kräften der Unionsflotte, den TESECO-Einheiten und der Systemverteidigung, konnte dieser Angriff unter nicht unerheblichen Verlusten abgewehrt werden. Doch dies war noch nicht der Höhepunkt der Auseinandersetzung. Im Zuge ihrer Abwehrmaßnahmen platzierten die Noraki einen Sonnenzünder in der Sonne Sadir. Topic, ein beliebter Ferienplanet, zog dort seine Bahn, und  das Sadir-System lag quasi vor der 'kosmischen Haustüre' der Noraki.

Der Sonnenzünder leitete eine Entwicklung ein, die in der Explosion Sadirs gipfelte. Man hatte zwar noch versucht, alle Menschen aus dem Sadir-System zu evakuieren, doch die Zeit reicht nicht dafür aus. Es gab tausende Todesopfer.

Umso überraschender kam dann die Wendung, indem die Regierung der Noraki Kontakt zur Erde aufnahm, um Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen den Völkern aufzunehmen. Ruhe kehrte wieder in die Stellare Union ein. 

Die Crew der PRINCESS II genoss ihren wohlverdienten Urlaub, denn sie waren bei den Geschehnissen im Sadir-System dem Tod nur um Haaresbreite entgangen.

In dieser Ruheperiode ging man daran, die neuen Außengrenzen des künftigen Territoriums des Stellaren Bundes abzusichern. Ortungs- Satelliten und Wachstationen wurden eingerichtet.

Vermessungsschiffe kartographierten jedes Lichtjahr des neuen Raumes, darunter auch die ENIGMA, unter dem Kommando von Crewmaster Letitia Krim. Sie und ihre Crew machten eine Entdeckung, die den Einsatz von TESECO erforderlich machen sollte. Es ging darum, einem Geheimnis auf die Spur zu kommen, dem GEHEIMNIS DER PFLANZENWELT…

 

 

Die Hauptpersonen des Romans: 

Letitia Krim

Die Kommandantin des Vermessungsschiffes ENIGMA macht eine

folgenschwere Entdeckung

 

Tom Carna, Nomo Teniate, Glenn Stark, Roy Anthony, Harriet James, Hanne Arminos und Karin Schröder

Die Crew der PRINCESS II schließt eine seltsame Freundschaft

 

Gareth Hiiol

Ein Ersatzmann an Bord der PRINCESS II wird zum Risiko

 

Generalmanagerin Kate Reed

Die Chefin der TERRA SECURITY ORGANISATION wird erneut überrascht 

 

Noch zwei Minuten bis zum Orientierungsaustritt“, meldete Momoto Kochi, der schwarzhaarige Astronavigationsspezialist an Bord des Vermessungsschiffes ENIGMA.

Letitia Krim, in ihrer Eigenschaft als Kommandantin der ENIGMA nickte kurz, zum Zeichen, dass sie die Worte des eher zierlich gebauten Japaners aus SubTokio verstanden hatte. Außerdem erschien auf einem kleinen Display ihres Kommandopultes ein entsprechender Hinweis, in Kombination mit einer rückwärts laufender Zeitanzeige. Mit einer flüchtigen Handbewegung aktivierte sie die Bordkommunikation.

Achtung Leute, hier spricht eure allseits geschätzte und ständig hochverehrte und angebetete Kommandantin“, sagte sie, mit einem Schmunzeln auf ihren sinnlichen, vollen Lippen, die sie zumindest von einem Mann an Bord angebetet wusste.

Die Hyperraumruhe ist beendet“, gab sie weiter durch. „In …“ sie warf einen kurzen Blick auf den Countdown, „... genau einer Minute und dreißig Sekunden verlassen wir den Hyperraum. Alle Mann auf Position – und damit meine ich auch die Frauen der Crew!“ 

Den letzten Teil ihrer Anweisung gab sie speziell für die kanadische Kybernetikerin Paula Mantee von sich. Diese beschwerte sich nämlich ständig über das vorwiegend ‚männliche’ Vokabular ihn der Raumfahrt. Mit ihren Nörgeleien ging sie dabei nicht nur der Kommandantin auf die Nerven. Nichtsdestotrotz war sie eine hervorragende Fachkraft, weswegen Letitia Krim sie nicht an Bord der ENIGMA missen wollte. Wenige Sekunden nach der Durchsage öffnete sich die Lifttür des zentralen Bordaufzugs, der sich als eine zwei Meter durchmessende Röhre, die das Schiff vom Kommandodeck bis hinunter in die Bodenschleuse durchlief, präsentierte. Modernere Schiffe besaßen zwischenzeitlich einen geteilten Antigrav- Lift, bei dem gleichzeitig die Bewegung nach oben und unten möglich war. Die ENIGMA hatte schon ein paar Jährchen auf ihrem Buckel, doch bisher hatte sich das Schiff als durch und durch zuverlässig erwiesen.

Nacheinander betraten die restlichen Crewmitglieder die Zentrale, um sogleich ihre Arbeitsplätze hinter den Kontrollpulten einzunehmen. Ein Orientierungsaustritt war ein alltäglicher Vorgang, der von Zeit zu Zeit durchgeführt wurde, um etwaige Kursabweichungen korrigieren zu können. Bei kosmischen Entfernungen konnte schon eine geringe Abweichung dafür sorgen, dass ein Raumschiff sein Ziel um Lichttage, ja sogar Lichtmonate verfehlte. Im bisherigen Kerngebiet der Stellaren Union waren Abertausende von galaktonautischen Positionsbojen des GALNAV-Systems platziert. Diese kommunizierten automatisch mit den jeweiligen Bordrechnern, so dass Orientierungsaustritte praktisch unnötig waren. Doch hier, in dem neuen Gebiet, gab es diesen Luxus natürlich noch nicht.

Der Bordchronometer zeigte die letzten Sekunden an. Bei ‚Null’ ertönte ein melodischer Gong. Gleichzeitig wurde der SUPRAG deaktiviert, der über einen Konstantaufriss zum Hyperraum den MAWIB, dass Mawitzel’sche Hyperenergie- Wandlergerät, mit Hyperenergie versorgte. Damit stellte der MAWIB automatisch seinen Betrieb ein. Die SEHD-Projektoren bekamen dadurch keine Energie mehr, so dass das von Ihnen generierte SEHD-Feld schlagartig zusammenbrach. Das Raumschiff fiel praktisch übergangslos aus dem Hyperraum in den Normalraum zurück. Automatisch sprangen die ALPHARD- Energiekonverter an und der deGrelle’sche Schwerfeldantrieb nahm seinen Betrieb auf und trieb die ENIGMA im Unterlichtflug weiter durch den Weltraum. All das geschah innerhalb von Sekundenbruchteilen, mit der Präzision eines Schweizer Uhrwerkes.  

Zufrieden mit Schiff und Crew wandte sich die Aufmerksamkeit der Kommandantin dem zentralen Bildschirm ihres Kommandobereiches zu. Darauf war das trüb braun-violette Wallen des Hyperraums verschwunden und hatte dem gewohnten Anblick des prachtvollen Sternenfunkelns Platz gemacht. Routinemäßig scannte die Crew die nähere Umgebung des Raumschiffes ab. Anhand des bisher vorliegenden Daten- und Kartenmaterials sollte die ENIGMA an dieser Stelle im Raum nichts Besonderes erwarten. Umso erstaunter waren die Raumfahrer, als sich Momoto Kochi meldete, der an Bord für Astronavigation und Raumüberwachung zuständig war.

Die Ortung spricht an“, informierte er seine Kollegen mit verblüfft klingender Stimme. „Ich erfasse eine Sonne, Spektraltyp G Null, Sol ähnlich, nur geringe Abweichungen im Spektralogramm. Entfernung sieben Lichtmonate.“

Letitia Krim zog erstaunt ihre Augenbrauen in die Höhe.

Eine Sonne? Hier?“, hakte sie irritiert nach. „Irrst du dich auch nicht, Momoto?“

Natürlich irre ich mich“, giftete der kleine Japaner zurück. „Ich habe meine Instrumente noch nie zuvor in meinem Leben gesehen!“

Schon gut, schon gut!“, beschwichtigte die Kommandantin den Astronavigationsspezialisten. „Ich wollte dich nicht in deiner Berufsehre kränken.“

Rasch rief sie über ihren Touchscreen einige Daten ab.

Da haben wir es!“, rief sie nach einem kurzen Moment aus.

Das Vermessungsschiff SEARCHER XX hat diesen Sektor vor knapp sechs Monaten schon einmal durchflogen und kartographiert. Und nach deren Datenmaterial dürfte sich von diesem Punkt aus gesehen im Umkreis von fünf Lichtjahren keine Sonne befinden.“

Das ist in der Tat seltsam“, stimmte der schwarzhaarige Japaner überrascht zu. „Entweder haben die auf der SEARCHER kometenmäßig gepennt, oder hier geht etwas nicht mit rechten Dingen zu!“ 

Das sehe ich auch so“, meinte Letitia Krim mit nachdenklicher Miene.

Wie dem auch sei, wir werden der Sache auf den Grund gehen. Momoto, überprüfe bitte noch einmal deine Daten und schick sie dann Paula auf ihr Pult, damit sie einen Kurs bestimmen kann“, wies sie den Japaner an. „Und dann werden wir dort hin fliegen und nachsehen, was an dieser ominösen Sonne dran ist.“ 

Sie warf einen funkelnden Blick in die Runde.

Ihr wisst, was es bedeutet, wenn sich unsere Messung als wahr erweisen und wir tatsächlich ein bisher unbekanntes System kartographieren?“

Whitt Kilian, der stellvertretende Kommandant der ENIGMA, klatschte begeistert in seine Hände.

Eine Top-Provision, das bedeutet es!“, rief er fröhlich aus. „Jede Menge TECS für uns. Und die kann ich gerade wirklich gut brauchen!“

Du kannst Geld doch immer gerade wirklich gut brauchen“, spöttelte Paula.

Doch Whitt ignorierte die Bemerkung der Kybernetikerin. Stattdessen studierte er das Ortungsbild der fernen Sonne.

Hoffentlich hat das Ding da draußen auch noch ein paar Planeten. Das wären dann noch einmal ein paar TECS extra.“

Seine Augen bekamen bei dem Gedanken an das viele Geld einen glänzenden Schimmer.

Paula Mantee schüttelte ihren Kopf.

Whitt, Whitt…“, seufzte sie, „Mit dir nimmt es noch einmal ein schlimmes Ende. Du denkst ständig nur ans Geld!“

Aber überhaupt nicht!“, protestierte der Gescholtene mit einem frechen Grinsen. „Eigentlich denke ich ständig nur an Sex. Und das viele Geld erlaubt mir, ganz viel davon zu bekommen.“

Du bist und bleibst ein Wüstling!“, beschwerte sich Paula.

Man tut, was man kann“, erklärte der Subcommander lakonisch.

Könnt ihr Euren tiefsinnigen Dialog für einen Moment unterbrechen?“, mischte sich Momoto in das Gespräch der beiden ein.

Dann könnte ich meine weiteren Ortungsergebnisse mitteilen.“

Schiess los, Weltraumlauscher“, forderte Whitt ihn auf.

Der Japaner räusperte sich kurz.

Also…“, begann er, „..meine Messergebnisse sind natürlich völlig korrekt.“

Wer hätte auch je etwas anderes denken können“, rief Kilian dazwischen, was ihm einen verärgerten Blick des kleinen Japaners einbrachte.

In exakt sieben Lichtmonaten, dreizehn Lichtstunden und zwölf Lichtminuten befindet sich ein Sonnensystem mit einer gelben Sonne, vom Sol-Typ, die geringförmig größer ist, als unser Heimatstern.“

Und? Planeten?“, wollte Kilian neugierig wissen.

Wir sind noch zu weit weg, um genauere Ortungsergebnisse hereinzubekommen. Doch das Astrophysikalische Programm meines Arbeitsplatzes hat eine  90- Prozentige Wahrscheinlichkeit für das Vorhandensein von mindestens drei dunklen Begleitern errechnet.“ 

Noch umständlicher hättest du das wohl nicht formulieren können“, meinte Kilian spöttisch. „Wahrscheinlich drei Planeten – das hätte genügt!“

Momoto Kochi öffnete schon seinen Mund, um mit einer geharnischten Antwort aufzuwarten, doch schnell klinkte sich die Kommandantin in die Unterhaltung ein, um das zu erwartende Streitgespräch zwischen Momoto und Whitt im Keim zu ersticken.

Über Sinn und Unsinn diverser Formulierungen im Sprachgebrauch könnte ihr beide euch streiten, wenn ihr weit weg und außer Hörweite seid“, sagte sie und bedachte beide mit einem strengen, warnenden Blick.

Daraufhin schloss Momoto seinen Mund wieder und auch Whitt Kilian trat mit einem undeutlichen Genuschel den verbalen Rückzug an. Letitia Krim nahm es mit Befriedigung zur Kenntnis. Eines dieser nervenden Streitgespräche, die geradezu ausarten konnten, war das letzte, was sie sich jetzt anhören wollte. Nachdem die beiden notorischen Streithähne ausgebremst waren, wandte sich die Kommandantin an Paula Mantee. Diese hatte die Daten Momotos abgerufen, um damit einerseits die genaue Position des Systems zu bestimmen und andererseits sogleich einen Kurs für die ENIGMA dorthin auszuarbeiten. 

Wie sieht es aus, Paula?“, fragte sie die aus dem kanadischen Ontario stammende Kybernetik- und Raumkartographiespezialistin.

Hast du die Koordinaten schon vorliegen?“

Aber sicher doch“, bestätigte Paula. „Momoto hatte ja schon bereits gute Vorarbeit geleistet. Die Koordinaten der unbekannten Sonne lauten Negativ-Vektor OST, 6 zu 23 zu 15 zu 179. Die Entfernung zu uns hatte Momoto ja schon exakt geliefert.“

Danke, Paula.“

Einen Moment lang war erwartungsvolle Ruhe in die Kommandokanzel der ENIGMA eingekehrt. Letitia Krim schaute in die die gespannten Gesichter ihrer Kollegen.

Wenn ich mich so umschaue, dann kann ich mir die Frage, ob wir dorthin fliegen sollen, doch wohl völlig sparen, oder?“

Die Antwort bestand lediglich aus einem kollektiven Grinsen.

Also gut, Leute!“, rief sie dann aus.

Paula, transferiere die Kursdaten auf mein Pult. Wir werden uns erst mal bis auf 20 Lichtstunden dem System nähern. Alles bereit machen für eine kurze Hyperraum-Etappe. SUPRAG warm laufen lassen. ALPHARD- Konverter hochfahren, wir gehen mit dem deGrelle auf 75 % Licht.“

Die ENIGMA beschleunigte, gezogen von den künstlichen, in Flugrichtung projizierten Schwerefeldern des deGrelle'schen Schwerefeldantriebes, der von den ALPHARD- Konvertern mit modifizierter Hochenergie versorgt wurde. Beim Erreichen von 75 Prozent der Lichtgeschwindigkeit wurden die SUPRAGS ausgelöst. Diese erzeugten zunächst einen Aufrissimpuls, der eine Verbindung zum übergeordneten Kontinuum des Hyperraums schuf. War die Verbindung hergestellt, sorgten die SUPRAGS für einen Konstantaufriss. Durch diesen Konstantaufriss floss Hyperenergie in das Mawitzel’sche Hyperenergie-Wandelaggregat, auch kurz nur MAWIB genannt. Nachdem der MAWIB die ihm zufließende Energie modifiziert hatte, floss diese in die angeschlossenen SEHD- Projektoren. Von ihnen wurde ein Supraenergetisches Hyperdimensionales Energiefeld generiert und das Schiff schlüpfte dann geradezu in den Hyperraum hinein. Eigentlich ein Fremdkörper, schütze das SEHD Feld ein Raumschiff davor, einfach wieder in den Normalraum zurückgestoßen zu werden. Das Feld war allerdings so regulierbar, dass man Zonen in seiner Struktur schaffen konnte, die sich diesen Abstoßungseffekt des Hyperraums zunutze machten und auf diese Weise für eine enorme Beschleunigung sorgten, die Geschwindigkeiten über die Lichtgeschwindigkeit hinaus möglich machte. Schaltete man den MAWIB ab, so brach das SEHD- Feld in Sekundenbruchteilen zusammen und ein Schiff materialisierte umgehend wieder im Normalraum. Der Flug der ENIGMA, über eine Strecke von etwas mehr als sieben Lichtmonaten, nahm zirka 55 Minuten in Anspruch. Knapp zwanzig Lichtstunden von der gelben Sonne entfernt, erschien das Vermessungsschiff wieder im Normalraum. Und während die ENIGMA sich dem System mit halber Lichtgeschwindigkeit weiter näherte, liefen Ortung und Scanner auf Hochtouren. Etwa zwei Stunden später hatten die Raumfahrer schon ein wesentlich genaueres Bild des Sonnensystems vorliegen. 

Na, dass ist doch wirklich ein gutes Ortungsergebnis!“, fasste Momoto seine Arbeit in einem freudigen Satz zusammen. „Freunde, das Enigma- System könnte sich als sehr Gewinn bringend für uns erweisen.“

Enigma- System?“

Letitia Krim, die Kommandantin, hatte fragend ihre rechte Augenbraue in die Höhe gezogen.

Ich habe mir erlaubt, die Sonne nach unserem Schiff zu taufen“, erklärte der kleine Japaner. „Da das System bisher offensichtlich übersehen wurde, was mir, gelinde gesagt, ein großes Rätsel ist, fand ich den Namen ‚Enigma’ für diese Sonne mehr als passend.“

Da bin ich ausnahmsweise mal deiner Meinung“, pflichtete im Whitt Kilian bei.

Momoto Kochi nahm diese Unterstützung mit großen Augen auf.

Das ich das noch erleben durfte!“, sagte er mit gekünsteltem Schluchzen in der Stimme, während er theatralisch seine Arme in die Höhe warf. „Whitt ist tatsächlich mal einer Meinung mit mir! Jetzt kann ich beruhigt ins Land meiner Ahnen reisen…“

Ein allgemeiner Heiterkeitsausbruch war die Folge dieser pseudo-dramatischen Geste.

Ich würde aber jetzt trotzdem gerne wissen, was dir deine Instrumente über das Enigma-System verraten haben“, forderte Whitt kurz darauf die noch fehlenden Informationen des Astronavigators ein.

Aber gerne doch“, sagte Momoto und rief seine Messergebnisse auf einen seiner Datendisplays im Pult vor ihm.

Enigma-System…drei Planeten. Nummer eins ist ein uninteressanter Glutball. Er ist knapp Mars groß und seine Oberflächentemperatur liegt bei gut 450°Celsius auf der Tagseite. Da er in nur sieben Stunden um seine eigene Achse rotiert, ist es auf der Nachtseite mit etwa 245 ° Celsius immer noch recht warm.“ 

Warm?“, warf Paula feixend ein. „Das ist eine kleine Untertreibung!“

Momoto grinste sie an und las dann weiter seine Messergebnisse vor.

Der zweite Planet ist da schon ein wenig interessanter. Mit einem Durchmesser von 12.376 Kilometer spielt er in der gleichen Liga, wie unsere gute, alte Erde. Allerdings ist der atmosphärische Druck um einiges geringer als auf Terra. Exakt um 12 Prozent. Die dünne Lufthülle besteht aus marginalen Mengen Sauerstoff und Edelgasen, sowie aus Stickstoff und Kohlendioxid. Außerdem gibt es Wasserdampf in der Atmosphäre. Durchschnittstemperatur etwa zwanzig Grad Celsius. Tageslänge 28 Stunden, das Jahr hat 223 Tage.“ 

Das hörst sich doch gar nicht schlecht an!“, meinte Whitt Kilian.

Ein bisschen Terraforming und aus dem Planeten könnte etwas ganz annehmbares werden. Zumindest sollte es hier nicht schwer sein, Bodenschätze zu fördern, denn die Atmosphäre ist immerhin nicht extrem unwirtlich, sondern recht einfach zu handhaben.“ 

Du hast durchaus recht“, sagte Momoto Kochi, „aber ich denke, zunächst wird sich die Aufmerksamkeit auf Planet Nummer drei richten.“

Lass hören!“

Klasse M-Planet, mit einem Durchmesser von 14.365 Kilometern. Also etwas größer als die Erde. Die Gravitation liegt bei 1.4 G, die atmosphärische Dichte bei 1.3 zur Terranorm. Keine großen Meere, wie bei uns, statt dessen ein einziger Superkontinent mit etlichen Binnenmeeren von der Größe des Schwarzen oder Kaspischen Meeres. Die Lufthülle besteht aus rund 25 Prozent Sauerstoff, etwa 60 Prozent Stickstoff, gut 10 Prozent Kohlendioxid, der Rest aus diversen Edelgasen. Es gibt Regionen hoher, tektonischer Aktivität und einen Gürtel mit etlichen, aktiven Vulkanen, der sich in etwa Äquatorhöhe um den Planeten zieht. Die durchschnittlichen Tagestemperaturen liegen bei 28 Grad Celsius, mit einer Luftfeuchtigkeit von über siebzig Prozent.“ 

Über siebzig Prozent?“, staunte Paula Mantee. „Das scheint ja die reinste Waschküche zu sein!“

Regenwald, meine Liebe, Regenwald!“, korrigierte Momoto die Computerspezialistin. „Die Bioanzeigen hier vor mir explodieren fast. Bis auf wenigen Ausnahmen ist der dritte Planet von der dichtesten Vegetation bedeckt, die mir je in meiner Laufbahn untergekommen ist. Doch wie dem auch sei: Nummer drei ist durchaus für eine Besiedlung geeignet!“

Kochis Kolleginnen und Kollegen hatten seiner Schilderung mit wachsender Begeisterung zugehört. Die vorgetragenen Daten ließen die Aussicht auf eine fette Provision für die Besatzung der ENIGMA in immer leuchtenderen Farben erstrahlen. Sogar die eher stille und sehr zurückhaltende Temia Bwemba aus Ghana, Kommunikationsspezialisten der ENIGMA, strahlen über ihr ganzes, schwarzes Gesicht.

Ich weiß nicht, wie ihr das seht, Leute“, sagte Letitia Krim fröhlich, „Aber ich bin der Meinung: nichts wie ran an den Speck. Tun wir unsere Arbeit, nämlich vermessen und kartographieren.“ 

Wie wollen wir die drei neuen Planeten nennen?“, stellte Paula Mantee die Frage in den Raum.

Wie wir es immer machen, Paula“, antwortete die Kommandantin.

In der Namensdatei sind alle Bezeichnungen gespeichert, die uns in den letzten Wochen und Monaten eingefallen sind. Unser Bordrechner wird drei davon per Zufallsgenerator auswählen. Und ich bin schon gespannt, was dabei herauskommen wird!“

Nur wenige Minuten später wusste sie darüber Bescheid. Von innen nach außen gesehen, hatte der Computer die Namen Airon, Kleopatra und Greenwich dem vorhandenen Fundus entnommen und für die drei Planeten ausgewählt. Nachdem diese Frage geklärt war, wandte sich die Kommandantin mit einer Anweisung an die Kommunikationstechnikerin Temia Bwemba.

Temia, programmiere eine GALNAV- Positionsboje mit den Daten und Namen des neu entdeckten Systems und setze sie hier aus“, wies sie die dunkelhäutige junge Frau an. „Und dann nimm mit dem Raumvermessungsamt Kontakt auf und melde unsere Entdeckung offiziell durch, damit uns niemand die fällige Leistungsprämie absprechen kann.“ 

Und zu allen Crewmitgliedern sagte sie dann: „Wenn die Boje draußen ist, nehmen wir Kurs auf den dritten Planeten, der von uns auf den Namen Greenwich getauft wurde. Wir werden ihn uns ein wenig genauer ansehen und auch ein paar Proben von Flora und Fauna einsammeln.“

Mit Eifer gingen die Raumfahrer der ENIGMA an ihre jeweiligen Arbeiten. Schon nach kurzer Zeit wurde eine fußballgroße Sonde ausgeschleust, die sich selbstständig in das galaktonautische Datennetz einklinken würde, um künftig als Informationsquelle und Positionsmarke genutzt werden zu können. Nachdem dies geschehen war, nahm das Vermessungsschiff Fahrt auf und steuerte auf direktem Weg den grünlich schimmernden Ball des Planeten Greenwich an. Die Crew an Bord konnte nicht ahnen, welche Entdeckungen ihnen dort bevorstehen würden. Vielleicht hätten sie sonst auf eine Landung auf Greenwich verzichtet. 

 

###

Eine herrliche Welt!“

Paula Mantee geriet beim Betrachten des Abbildes von Greenwich auf einem der Monitore ihres Arbeitsbereiches ins Schwärmen.

Ich habe noch nie so viele Grün-Schattierungen in meinem Leben gesehen!“

Es war aber auch in der Tat ein Bild, wie es die Raumfahrer nicht alle Tage sahen. Bis auf wenige Wüstenflecken im Feuergürtel der äquatorialen Vulkane schien der komplette Planet mit einem einzigen, riesigen Urwald bewachsen zu sein. Kein Wunder, denn seine geringe Achsneigung, die von zwei kleinen, den Marsmonden Phobos und Deimos nicht unähnlichen Trabanten, stabilisiert wurde, erzeugte ein relativ ausgeglichenes Klima auf dem ganzen Globus. Das hieß, dass es auch keine Eiskappen an den beiden Polen gab. Allerdings wuchsen in den nördlich- und südlichsten Breiten eher Buschlandschaften, durch die die blauen Bänder ungebändigter Flüsse mäanderten, bevor sie in eines der blaugrün glitzernden Binnenmeere mündeten.

So stelle ich mir das Paradies vor der Vertreibung vor“, seufzte Paula, immer noch ganz gefangen von dem Anblick des Planeten.

Doch die ausgebildete Galaktobiologin und Planetologin an Bord der ENIGMA, die Brasilianerin Astada Kaibo, holte Paula ganz schnell auf den Boden der Tatsachen zurück.

Wenn das Paradies ein brühwarmes Dampfbad war, dann verzichte ich auf diese ‚paradiesischen Umstände’“, meinte sie in ihrer bekannt trockenen Art. „Wir werden auf jeden Fall Atemfiltermasken tragen müssen“, führte sie weiter aus. „Die Luft dort unten wimmelt nur so von pflanzlichen Sporen und Keimen. Außerdem …“, sie deutete auf die Monitore, auf denen laufend die neuesten Messergebnisse eingeblendet wurden, „…außerdem würde der hohe Sauerstoffanteil in der Atmosphäre bei uns recht schnell zu einem Oxygenrausch führen, da wir das nicht gewöhnt sind. Ich finde es nicht gerade paradiesisch, ohne einen Schluck Hochprozentiges zu sich genommen zu haben, wie ein Betrunkener herum zu torkeln. An den Sauerstoffgehalt muss man sich erst langsam gewöhnen.“ 

Die Kommandantin pflichtete der Fachfrau bei.

Astada hat natürlich recht“, sagte sie mit ernster Stimme. „Wie bei jedem neu entdeckten Planeten, der von Menschen das erste Mal betreten wird, werden wir uns peinlich genau an die dafür vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen halten. Alles andere wäre tödlicher Leichtsinn!“

Ihre Finger huschten über die auf ihrem Pult eingeblendete Tastatur. Rasch schloss sie den Bericht für das Bordbuch ab, den sie gerade eingab. Dann erhob sie sich von ihrem Sessel und kam um das Kommandopult nach vorne gelaufen.

Whitt, übernimm bitte“, wies sie ihren Stellvertreter an. „Ich werde hinunter ins Magazin gehen und die Ausrüstung für die Erkundung auf der Oberfläche von Greenwich überprüfen und zusammenstellen. Da kann ich mir wenigstens mal ein bisschen die Beine vertreten.“

Der Subcommander bestätigte kurz, dann nickte Letitia Krim ihren Kollegen zu und trat in den zentralen Bordlift, um sich hinunter auf das Ausrüstungsdeck tragen zu lassen. Währenddessen erledigten die in der Zentrale zurückgebliebenen Besatzungsmitglieder weiter ihre Aufgaben. Momoto Kochi schloss mit Hilfe von Paula Mantee die Vermessung des Planeten ab, während Temia Bwemba die energetische und funktechnische Abtastung der Oberfläche beendete. Alle waren mehr als eifrig bei der Arbeit. Der in verschiedenen Grüntönen schimmernde Ball des Planeten schien einen geradezu verlockenden Reiz auf alle auszuüben, eine faszinierende Anziehungskraft, der sich kaum einer an Bord widersetzen konnte.

Nach weniger als fünf Stunden waren alle Arbeiten beendet und die Crew hatte sich wieder vollständig in der Kommandozentrale versammelt.

Leute, es ist soweit“, sagte Letitia Krim.

Die Kommandantin hatte wieder hinter ihren Kontrollen Platz genommen.

Macht euch für die Landung fertig“, befahl sie dann. „Ich habe mich für einen Platz auf der nördlichen Hemisphäre entschieden. Und zwar dort, wo der dichte Waldbewuchs in die Gebiete mit den niedrigen Buschlandschaften und weiten Grasebenen übergeht. Dort erscheint mir eine Landung einfacher und sinnvoller, denn wir müssen uns nicht erst einen Landeplatz in die Vegetation brennen.“

Es kam kein Widerspruch aus den Reihen ihrer Kolleginnen und Kollegen. Sie hätte auch keinen erwartet. Zum einen war die Wahl sinnvoll, zum anderen lag es in ihrer alleinigen Kompetenz, einen Landeplatz zu bestimmen. Rasch überzeugte sich die Kommandantin, dass alle ihre Positionen in der Kanzel eingenommen hatten. Dann aktivierte sie die Steuerkontrollen. Die ENIGMA bekam durch den de Grelle einen ‚Schubs’ verpasst, der sie den bis dahin stabilen Orbit um Greenwich verlassen ließ. In einem flachen Winkel strebte das Vermessungsschiff der Oberfläche des grünen Planeten entgegen. Gleichzeitig veränderte sich der Kurs des Schiffes so, dass es nun die nördliche Hemisphäre ansteuerte. Schon bald stieß die ENIGMA auf die ersten Ausläufer der Atmosphäre. Im Prallschirm, der das Schiff schützend umgab, begann es zu irrlichtern und zu lodern, als sich die Luftpartikel am schützenden Energiefeld zu reiben begannen. Bald war der große Flugkörper komplett von einer flammenden Aureole umgeben, die in einem großen Bogen der Planetenoberfläche entgegen zu stürzen schien. Im Gegensatz zu Körpern wie Meteoriten wurde die Fluggeschwindigkeit dabei langsamer. In einer Höhe von fünfzig Kilometern über Grund schaltete sich der de Grelle automatisch ab und das ANGRAV- Triebwerk übernahm. Allmählich wurde die Landekurve des Raumschiffes steiler. Letitia Krim steuerte die ENIGMA nun direkt auf den ausgewählten Landepunkt zu, zuletzt in einer Höhe von fünfhundert Metern über den höchsten Wipfeln des Urwaldes hinweg, parallel zur Planetenoberfläche. Dabei wurde der Flug immer langsamer. Exakt über dem berechneten Landepunkt ließ der ANGRAV das Schiff scheinbar regungslos mitten in der Luft stillstehen. Dann sank es langsam senkrecht nach unten, einer Gras bewachsenen Lichtung am Rande des Urwalds entgegen. Als nur noch fünf Meter zwischen dem untersten Punkt der Bodenschleuse und dem Boden übrig waren, kam der Schiffskörper auf seinen unsichtbaren Antigrav- Polstern zum Stillstand. Starke Traktorfelder verankerten das Vermessungsschiff energetisch mit seiner Umgebung. Andernfalls hätte schon ein kleiner Lufthauch das praktisch gewichtslose Schiff zur Seite abdriften lassen. Schließlich war es soweit: die ENIGMA befand sich am Ziel! 

 

***

 

Was sagen sie da?“

Josef Ziegler, seines Zeichens Leiter der AVEK, der Agentur für die Vermessung, Erschließung und Kolonisation extrasolarer Planeten, war rot vor Zorn.

Ich sagte, die PLUTARCH meldet sich nicht“, wiederholte Wong Mae Dae, die Chefsekretärin Zieglers mit gleichmütiger Miene.

Die PLUTARCH meldet sich nicht?“, bellte Ziegler wütend und bedachte die zierliche Frau aus Beijing mit zornigen Blicken.

Mae Dae nickte nur kurz.

Warum meldet sich die verfluchte PLUTARCH nicht?“ 

Ziegler ließ krachend seine Faust auf den Schreibtisch Mae Daes krachen. Diese zuckte nicht einmal zusammen. Sie kannte schließlich die Marotten ihres Chefs. Daher wusste sie auch, dass die eben formulierte Frage rein rhetorisch war und keiner Antwort bedurfte.

Ich will aber, dass die PLUTARCH antwortet!“, schimpfte der stämmige Wiener weiter. „Wofür bezahlen wir denn diese Schlappschwänze sonst?“ 

Natürlich kommentierte die Sekretärin auch diese Fragen nicht. Eine befriedigende Antwort hätte sie ihrem Chef schuldig bleiben müssen. Und bei dem bekannt cholerischen Temperament Zieglers war keine Antwort allemal besser als eine unbefriedigende.

Ziegler hatte seinen ungeduldigen auf- und ab- Marsch vor dem Schreibtisch im Vorzimmer zu seinem Büro eingestellt. Stattdessen kam er nun um das breite und elegant gestaltete Möbelstück herum. Mit grimmigem Gesichtsausdruck packte er den Bürostuhl an seiner Lehne und schob ihn mitsamt der Sekretärin darin einfach zur Seite.

Weg da!“, fauchte er bei dieser Aktion. „Lassen Sie mich mal da ran!“

Wong Mae Dae quittierte die Aktion ihres Chefs mit einem Schulterzucken und innerlichem Seufzen. Die Wutausbrüche ihres Chefs kannte sie ja zur Genüge. Und sie wusste, dass er diese zum einen nicht gegen Sie persönlich richtete und zum anderen, dass diese Attacken nie so gemeint waren, wie sie manchmal auf Außenstehende wirken mochten.

Ziegler hatte sich zwischenzeitlich mit der Kommunikationszentrale der AVEK verbinden lassen, die ihm einen Rufkanal zum der überfälligen Pioniereinheit schaltete.

PIONEER CONTROL an PLUTARCH!“, schrie er in einem Ton ins Mikrofonfeld, der in einem gegenseitigen Gespräch keinen Widerspruch geduldet hätte.

PLUTARCH, melden Sie sich. Umgehend! Hier spricht Josef Ziegler. Sie haben sich auf der Stelle bei mir zu melden!“

Er wartete einige Sekunden lang ab, während sein geröteter Kopf einen immer tieferen Farbton annahm.

Kometen und Sternennova!“, fluchte er dann unvermittelt los.

Hört mich denn keiner? Sitzt ihr alle auf Euren Ohren?“

Doch die herbei befohlene Antwort blieb aus. Wong Mae Dae hatte es nicht anders erwartet. Schließlich gab ihr Chef seine erfolglosen Bemühungen auf. Wütend deaktivierte er die Kom- Verbindung.

Das hätten Sie mir doch gleich sagen können, dass die PLUTARCH sich nicht meldet!“, fuhr er seine Sekretärin an.

Die stand daraufhin auf, stemmte die Hände in ihre zierlichen Hüften und funkelte ihren Chef aus zu schmalen Schlitzen zusammengekniffenen Augen an.

Ich glaube, jetzt reicht es, Mr. Ziegler!“, zischte sie ihn leise an. 

Der große, massige Mann zuckte bei diesen Worten wie unter einem Peitschenhieb zusammen. Er hob seinen rechten Zeigefinger in einer ärgerlichen Geste empor und öffnete schon den Mund zu einer heftigen Erwiderung. Doch dann schien er sich eines anderen zu besinnen. Ziegler ließ den Arm wieder sinken und stapfte auf die geöffnete Tür zu seinem Büro zu. In der Türfassung drehte er sich noch einmal zu Mae Dae um.

Na ja“, gab er grummelnd und brummelnd von sich. „Man macht sich halt so seine Sorgen!“

Sprach’s und verschwand dann endgültig in sein Büro. Leise zischend schloss sich die Tür hinter ihm.

Wong Mae Dae zuckte seufzend mit ihren schmalen Schultern und lächelte still vor sich hin.

Chef, Chef…“, sagte sie seufzend, „Zum Glück kenne ich Sie schon ein ganzes Weilchen.“

Die Sekretärin ließ sich wieder auf ihrem Sessel nieder. Kaum, dass sie saß, sprach auch schon die Sprechanlage aus Zieglers Arbeitszimmer an.

Mae Dae“, meldete sich ihr Chef, nun wieder in ganz normalem, geschäftsmäßigem Ton, „Machen Sie mir doch bitte eine Verbindung zu TESECEO, das Büro von Generalmanagerin Kate Reed. Ich hätte Sie gerne und dringend gesprochen.“

Wird sofort erledigt, Mr. Ziegler“, bestätigte die schwarzhaarige Frau.

Noch einmal schüttelte sie mit mildem Lächeln den Kopf über ihren Chef, Josef Ziegler. Diese cholerischen Ausbrüche waren zwar manchmal schwer zu ertragen. Doch auf der anderen Seite freute sich Mae Dae jeden Monat über den herrlichen Blumenstrauß, mit dem Ziegler sich für sein Temperament zu entschuldigen pflegte. Dann räusperte sie sich kurz und kontaktierte Engin Ültay, den persönlichen Sekretär von Kate Reed, der TESECO- Chefin, um das gewünschte Gespräch für ihren Chef in die Wege zu leiten.

 

***

 

Unwillig hob Kate Reed ihren Kopf. Die Generalmanagerin TESECOs brütete gerade über einem Riesenberg von wichtigen Unterlagen, als sie schon wieder vom leisen Summen der COM- Anlage gestört wurde.

Seufzend tippte sie auf ein orange blinkendes Sensorfeld. Sogleich öffnete sich in dem Wand großen Bildfeld gegenüber ihrem Schreibtisch ein weiteres Fenster, das das ausnehmend hübsche Gesicht ihres persönlichen Sekretärs Engin Ültay zeigte. Der knapp dreißigjährige, aus dem türkischen Antalya stammende junge Mann, war eine ausgesprochen attraktive Erscheinung. Schlank, sehr athletisch gebaut, mit perfekter, V-förmiger Silhouette und  Waschbrettbauch. Ein äußerst knackiger Po und lange, wohl proportionierte Beine rundeten den ersten Eindruck ab. In dem schmalen, stets gepflegten, ebenmäßigen und sehr anziehenden Gesicht loderten dunkelbraune Augen in fast schon erotischem Feuer. Ültay hatte rabenschwarzes Haar und trug einen dichten, fein getrimmten Schnauzbart von gleicher Farbe. 

Sein sinnlicher, voller Mund lächelte der Generalmanagerin entgegen.

Obwohl ihr Sekretär der Schwarm vielen Frauen und Männer im HQ-TESECO war, fühlte sich Kate Reed momentan nicht für die hübsche Erscheinung des Mannes empfänglich. Im Gegenteil, sie reagierte eher ungehalten über die wiederholte Störung an diesem Vormittag.

Was ist denn nun schon wieder los, Engin?“, meldete sie sich unwillig und mit vorwurfsvoll klingender Stimme. „Sie wissen doch, dass ich einen Berg von Papieren durchzuarbeiten habe und nicht gestört werden will. So werde ich mit dem Kram doch nie fertig!“

Ihr Sekretär zuckte bedauernd mit seinen Schultern. Dazu versuchte er, ein möglichst unschuldiges Gesicht zu machen.

Das ist mir durchaus bewusst, Generalmanagerin“, antwortete er mit seiner tiefen, männlichen und doch angenehm weich klingenden Stimme. 

Und trotzdem stören Sie mich nun schon zum vierten Mal“, meinte Kate Reed Stirn runzelnd. „Das muss dann aber schon ein verdammt guter Grund sein!“

Wie man es nimmt, Chefin“, sagte Ültay und produzierte ein säuerliches Grinsen.

Joseph Ziegler, der AVEK- Leiter, wünscht Sie umgehend und dringlichst zu sprechen. Und Sie kennen doch AVE-Joe – der lässt sich nicht so leicht abweisen.“

Engin, Sie sollten doch wissen, dass ich es nicht schätze, wenn Leute in der Öffentlichkeit mit ihren Spitznamen tituliert werden!“, wies Kate Reed ihren Sekretär mit leichtem Tadel zurecht. Allerdings musste sie vor sich selbst zugeben, dass dies nur ein sehr halbherziger Verweis war, benutzte sie doch den Spitznamen des AVEK- Leiters selbst ziemlich häufig.

Na, dann stellen Sie die Verbindung in Gottes Namen eben her“, seufzte sie. „Das war genau das, was mir zu meinem Glück und all dem Verwaltungskram auf meinem Schreibtisch heute noch gefehlt hat!“

Der junge Mann nickte kurz. Dann wurde das eingeblendete Kom- Fenster auf der Bildwand dunkel. Allerdings nur für einen kurzen Moment, denn gleich darauf erschien das Abbild eines runden, nur spärlich mit dünnen, schwarzen Haaren bewachsenen und stark geröteten Kopfes eines Mannes, der ziemlich direkt auf die Sechzig zusteuerte. Größer konnte der Kontrast zu den ebenmäßig schönen Gesichtszügen Ültays gar nicht sein.

Aha, Generalmanagerin Reed“, poltere Ziegler auch sogleich los, kaum, dass er die Leiterin TESECOS erblickt hatte. „Wird Zeit, dass Sie sich endlich melden…“.

Er stockte, als er den eisigen Blick bemerkte, der ihn aus den grau braunen Augen der schlanken Frau hinter dem riesigen Schreibtisch traf. Unverhohlener Zorn über den rüden Auftritt des beleibten Mannes loderte darin.

Äh, ich meine, welch ein Glück, dass ich Sie so rasch erreichen konnte“, ruderte Ziegler sogleich ein wenig zurück, wobei er sich verlegen räusperte. GM Reed hatte ihn einmal derart zusammen gestaucht, dass er wenig Lust auf eine Wiederholung dieser Standpauke verspürte. Die erste war ihm nämlich noch äußerst lebhaft in Erinnerung.

Guten Tag, Mr. Ziegler“, begrüßte ihn nun auch die TESECO- Chefin. Was kann ich für Sie tun?“

Ich habe Arbeit für Ihren Verein!“ blaffte Ziegler los.

Wie bitte?“

Äh, ich meine, die AVEK benötigt unter Umständen die Hilfe und Unterstützung von TESECO.“

Ich höre?“

Erneute räusperte sich der massige Mann.

PIONEER CONTROL hat den Kontakt zu einer unserer Pioniereinheiten verloren“, erläuterte Ziegler die Situation, wobei er sich Mühe gab, möglichst ruhig zu bleiben. Man sah ihm aber an, dass ihm dies sichtlich schwer fiel. 

Nachdem die Routinemeldung ausblieb, wurde mit allen Mitteln versucht, Kontakt zur PLUTARCH aufzunehmen. Doch sie meldet sich einfach nicht. Mittlerweile ist das Schiff mehr als fünfzehn Stunden überfällig.“

Wo befindet, oder besser gesagt, wo befand sich das Schiff beim letzten Funkverkehr?“, fragte Generalmanagerin Reed nach.

Es gab ziemlich strikte Regeln in der Raumfahrt, was die Einhaltung von vorgeschriebenen Kontaktintervallen betraf. Vor allem bei Einheiten wie die PLUTARCH, die als Pionierschiffe in weitgehend unbekanntem Terrain operieren. Eine Überfälligkeit von mehr als fünfzehn Stunden war da schon ein Besorgnis erregender Vorfall.

Zum Zeitpunkt der letzten routinemäßigen Meldung befand sich die PLUTARCH noch auf Greenwich, dem dritten Planeten im Enigma- System. 179 Lichtjahre von der Erde entfernt. Das System wurde erst vor wenigen Wochen entdeckt. Die PLUTARCH war die erste Pioniereinheit, die die AVEK dorthin beorderte.“ 

Nach dieser kurzen Erläuterung schaute Ziegler die Leiterin TESECOS so auffordernd an, als erwartete er von ihr, dass Sie sofort in Panik von ihrem breiten Ledersessel aufspringen und hektische Aktivität entfalten müsste. Doch zu seiner Enttäuschung tat Kate Reed nichts von alledem. Im Gegenteil, sie blieb ruhig sitzen und dachte mit nachdenklicher Miene über die erhaltenen Informationen nach.

Enigma, hm…“, murmelte sie vor sich hin. „Ich entsinne mich, vor kurzem einen Bericht über das System gelesen habe. Ist Greenwich nicht diese satt grün schimmernde Pflanzenwelt?“

Ziegler nickte bestätigend.

Ja, in der Tat“, sagte er. „Es freut mich, dass Sie offensichtlich schon einige Informationen über das neu entdeckte System einsehen konnten.“

Diese Daten kommen routinemäßig auf meinen Schreibtisch“, sagte GM Reed mit einer einschränkenden Geste. „Für TESECO wird es erst meistens dann interessant, wenn auf neuen Welten Stationen und Ansiedlungen errichtet werden und nicht nur eine Handvoll Menschen dauerhaft dort leben. Aber ich glaube, davon können wir im Moment noch nicht ausgehen, Mr. Ziegler?“ 

Oh, noch lange nicht“, sagte er. „Die PLUTARCH hatte den Auftrag, auf Greenwich eine kleine Erkundungsstation einzurichten, in die während der nächsten Monate und Jahre Wissenschaftler zur Erforschung eingezogen wären. Reine Routinearbeit, die schon einige hundert Mal durchgeführt worden ist. Und trotzdem ist der Kontakt zur PLUTARCH plötzlich abgebrochen.“

Er schaute Kate Reed herausfordernd an.

Also, was gedenken Sie zu unternehmen?“, fragte er mit ernstem Blick.

Die TESECO- Chefin erwiderte den Blick, ohne mit der Wimper zu zucken.

Wir warten die 24-Stunden-Frist ab, dann werden wir uns die nächsten Schritte überlegen“, sagte sie in ruhigem Ton.

Aber Generalmanagerin…“, wollte Josef Ziegler widersprechen, doch GM Reed schnitt ihm resolut das Wort ab. 

Mr. Ziegler“, sagte sie, „Sie wissen doch selbst sehr genau, dass es viele Ursachen haben kann, wenn der Funkkontakt unterbrochen ist. Deswegen wurde die 24-Stunden-Frist ja auch eingeführt. Sollte sich bis dahin keine Änderung der Situation ergeben haben, werde ich eine Patrouille zum Enigma-System senden, die sich der Sache annehmen wird. Bis dahin ist es am besten, wenn wir, Sie und ich, einen ruhigen Kopf bewahren.“

Irgendwie schaffte es Kate Reed, die Betonung auf dem ‚Sie’ in ihrem letzten Satz so zu Pointieren, dass zwar erkennbar war, was sie damit ausdrücken wollte, es aber andererseits nicht zu direkt ausfiel, um verletzend oder beleidigend zu wirken. Josef Ziegler kämpfte mit sich. Ihm wäre es mit Sicherheit lieber gewesen, Kate Reed hätte sofort einen schweren Raumkampfverband ins All beordert.

Allerdings wusste er selbst auch nur zu gut, wie in einem Fall wie bei der PLUTARCH im Allgemeinen verfahren wurde.

Also gut, Mrs. Reed“, sagte er dann schließlich mit hörbarem Seufzen in seiner Stimme. „Warten wir die Frist ab. Ich werden mich melden, sollten sich neue Erkenntnisse ergeben.“

Tun Sie das Mr. Ziegler. Wir hören voneinander!“

Mit diesen Worten trennte die TESECO- Generalmanagerin die Verbindung wieder. Das Kom- Fenster inmitten der Wiedergabe von Diagrammen und Analysen erlosch wieder. Kopfschüttelnd wandte sie sich erneut ihren Akten und Dokumenten zu.

Wahrscheinlich ist bloß irgendein Defekt aufgetreten, den die Crew mit Bordmitteln selbst reparieren kann“, murmelte sie dabei vor sich hin.

Dennoch ließ sie kurz von ihrer Arbeit ab, um einen Zeitmarker über ihr Terminal in den Taskmanager der HQ- Leitzentrale einzugeben. Dann kehrte sie endgültig zu ihren Papieren und Schaubildern zurück. Nach wenigen Minuten verschwendete sie vorerst keinen weiteren Gedanken mehr an diese Störung.

 

                                     ***

 

Knapp siebzehn Tage später rasten drei TESECO- Schiffe durch das konturlose Wallen des Hyperraums dem 179 Lichtjahre entfernten Enigma- System entgegen. Nachdem die 24-Stunden-Frist verstrichen war, ohne das in irgendeiner Form Kontakt mit der überfälligen PLUTARCH hergestellt werden konnte, hatte Generalmanagerin Kate Reed keinen Moment mehr gezögert. Umgehend wurden drei der schnellsten Einheiten damit beauftragt, im Enigma- System nach dem Rechten zu sehen. Umgehend bedeutete aber auf Grund der Entfernung auch, dass es gut siebzehn Tage brauchen würde, um die Sonne Enigma und ihre Planeten zu erreichen. Und genau an diesem Punkt standen die drei TESECO- Einsatzkreuzer, nur noch wenige Lichtminuten vom Erreichen des Ziels entfernt. Im kugelförmigen Hologramm vor dem Kommandopult in der Zentrale des Einsatzleitschiffes NEXUS zeichnete sich ein ständig und rasch anwachsender Leuchtpunkt ab: das Ziel der drei Einheiten, die Sonne Enigma. 

Noch immer keinerlei Verbindung zur PLUTARCH?“

Zabo Krakar, der kroatische Kommandant der NEXUS, war um den Arbeitsplatz des Kommunikationsspezialisten herum getreten. Er stand hinter Mweru N’Kasa. Seine rechte Hand ruhte dabei auf der Schulter des Afrikaners. Dieser schüttelte soeben seinen schwarz glänzenden, kahlen Kopf.

Nein, Sir“, antwortete mit leicht ratlosem Unterton in seiner tiefen Stimme. „Ich habe es jetzt mit allen möglichen und auch unmöglichen Frequenzen des Hyperspektrums versucht. Hyperfunktechnisch gesehen herrscht hier absolute Funkstille.“

Pam Willioms, ihres Zeichens Submaster der NEXUS, schwenkte mit ihrem Sessel herum und blickte zu den beiden Männern hinüber.

Vielleicht ist ja wirklich nur die Funkanlage der PLUTARCH defekt“, mutmaßte sie, in der heimlichen Hoffnung, dass doch nichts Schlimmes vorgefallen sein möge.

Doch N’Kasa schüttelte erneut heftig seinen Kopf.

Ich kenne keine Störung, die so gravierend wäre, dass man sie nicht mit Bordmitteln reparieren könnte“, widersprach er. „Genug Ersatzteile führt jedes Raumschiff vorschriftsmäßig mit. Und selbst, für den unwahrscheinlichen Fall, dass eine Reparatur doch nicht möglich sein sollte, gibt es immer noch das völlig autarke Notsignalsystem. Und das hätte dann zwischenzeitlich längst aktiviert sein müssen!“ 

Er machte eine grimmige Miene, die sein ohnehin schon dunkles Gesicht noch finsterer aussehen ließ.

Nein, Pam, es muss ihnen irgendetwas zugestoßen sein!“

Crewmaster Krakar machte zu dieser Aussage ein skeptisches Gesicht.

Was soll denen denn auf einem Grasball wie Greenwich schon zugestoßen sein?“, stellte er  abschätzig die Frage in den Raum. 

Die synthetische Stimme des Bordcomputers enthob die in der Kommandozentrale anwesenden Crewmitgliedern einer Antwort.

Achtung“, klang die Meldung durch den Raum, „Verlassen des Hyperraums in zehn Minuten.“

Na gut“, brummte Krakar halblaut vor sich hin. „Vielleicht werden wir ja gleich sehen, was mit der PLUTARCH geschehen ist. Plätze besetzen und fertig machen zum Wiedereintritt in den Normalraum.“

Er selbst eilte zu seinem Kommandopult zurück und ließ sich in den Sessel dahinter fallen.

Verteidigungsbereitschaft herstellen“, befahl er. „Sicherheitsalarm!“

Ein roter, rundum laufender Leuchtstreifen erschien an der Kanzelwand und verdeutlichte den Alarmstatus auf der NEXUS. Zeitgleich wurde auch auf den anderen beiden Schiffen des Verbandes, der EXODUS und der GANYMED III, Sicherheitsalarm ausgelöst.

Gespannt erwarteten die TESECO- Agenten das Ende der letzten Hyperraumetappe. Langsam verrannten die Minuten und Sekunden, dann erstarb das stete Summen der SUPRAGS. Der Zufluss von modifizierter Hyperenergie zu den SEHD- Projektoren versiegte. Durch die nun innerhalb von Sekundenbruchteilen zusammenbrechenden SEHD- Felder stürzten die drei Raumkreuzer in den Normalraum zurück. Übergangslos erschienen auf den Monitoren an Bord der Schiffe wieder die vertraut glitzernden Sterne.

Der Kommandant des Leitschiffes verringerte die Geschwindigkeit der NEXUS auf fünfzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit und die GNANYMED III sowie die EXODUS folgten seinem Beispiel.

Mr. N’Kasa, nehmen Sie Kontakt zu unseren beiden Schwesterschiffen auf. Wir verfahren nach Einsatzplan Omega. Das heißt, einen Totalscan des gesamten Systems auf alles, was ungewöhnlich erscheinen mag“, wies Krakar seinen Kommunikationsspezialisten an.

Wir fliegen erst in das System ein, wenn wir keine unmittelbar drohende Gefahr orten können. Gleichzeitig werden Sie die PLUTARCH weiterhin auf allen Hyper- und Normalfunkfrequenzen rufen.“

Verstanden Sir“, bestätigte der Afrikaner den Erhalt der Weisungen.

Sogleich machte er sich an die Umsetzung derselben. Kurz darauf zeigten ihm zwei eingehende Signale auf einem der Displays vor ihm auf dem Kontrollpult an, dass die Kommandanten der EXODUS und der GANYMED III die Befehle verstanden und bestätigt hatten.

So vergingen einige Stunden. Die Scanner- und Ortungssysteme der drei TESECO- Raumkreuzer arbeiteten auf Hochtouren. Allein konnten  sie nichts Verdächtiges oder Ungewöhnliches im Enigma- System feststellen. Eine Tatsache, die im Zusammenhang mit der scheinbar verschwundenen PLUTARCH für sich schon wieder verdächtig war. Letztendlich kam Crewmaster Zabo Krakar zu dem Entschluss, dass weiteres verharren im interstellaren Raum zum Zwecke der Ortung nutzlos war. So gab er schließlich den Befehl zum Einflug in das Enigma- System. Gleich darauf beschleunigten die drei Schiffe wieder. Ihr Kurs richtete sich neu aus und zeigte nun auf einen noch unsichtbaren Punkt im All vor ihnen. Und an diesem Punkt wartete die Pflanzenwelt Greenwich auf die TESECO- Raumer.

 

                                 ***

 

Ortung spricht an!“

Luornu Hagar, die Mars geborene Astronavigationsspezialisten rief diese Meldung in den Raum, ohne ihren konzentrierten Blick von den Anzeigen vor ihr abzuwenden.

Die NEXUS, die GANYMED III und die EXODUS kreisten in verschiedenen Orbitalbahnen um den Planeten Greenwich. Die Abtastung der Oberfläche lief auf Hochtouren.

Die Scanner haben auf der Planetenoberfläche eine metallische Massenkonzentration erfasst“, berichtete die hagere Spezialistin mit dem Pferdegebiss weiter. „Nach den vorläufigen Auswertungen entsprechen Zusammensetzung und Ortungsecho den Spezifikationen eines Raumschiffes der NE-GALAKTUS-ZETA-3 – Baureihe. Pioniereinheiten sind größtenteils Schiffe dieses Typs. Außerdem messe ich noch Energieerzeuger an, die auf Minimallast laufen. Ich denke, es dürfte klar sein, was sich dort unten befindet.“

Die PLUTARCH?“, fragte Pam Willioms vorsichtig nach.

Mit 90- prozentiger Sicherheit“, bestätige Luornu Hagar. 

Interessante Neuigkeiten, Mrs. Hagar“, sagte Zabo Krakar.

Mr. N’Kasa, konnten sie schon Kontakt über Normalfunk herstellen?“

Negativ, Sir“, antwortete N’Kasa bedauernd.

Ich versuche es fortwährend, auf allen gebräuchlichen Frequenzen und mit höchster Sendeleistung. Doch da draußen herrscht Totenstille!“

Schweigend hatte der Crewmaster sich diese Meldung angehört. Dabei trommelte er nachdenklich mit seinen Fingern einen Wirbel auf dem Pult vor sich.

Wollen wir mal hoffen, dass sie mit der ‚Totenstille’ Unrecht haben, Mr. N’Kasa“, sagte er mit Sorgenfalten auf seiner Stirn.

So langsam wird die Sache nämlich seltsam. Selbst wenn das Hauptfunkgerät an Bord ein Totalausfall wäre, müssten sie uns jetzt auch mit ihren Armbandfunkgeräten empfangen können!“

Er ließ seine rechte Faust krachend auf das Kommandopult sausen.

Mrs. Willioms?“

Crewmaster?“

Machen Sie eine SILVERJET startklar. Es hilft nichts, wenn wir hier ins Blaue hinein Mutmaßungen anstellen. Wir müssen uns die Sache aus der Nähe anschauen, wenn wir Klarheit haben wollen!“

Die stellvertretende Kommandantin nickte nur kurz wortlos zur Bestätigung. Dann ließ sie ihre Finger über die Sensorfelder ihres Kontrollpultes huschen. Nur wenige Augenblicke später leuchtete ein grünes Signal auf, neben dem sich ein Statusdisplay öffnete. 

Hangar geflutet“, meldete sie. „Die S-NEXUS 2 ist startklar. Steht die Besatzung des Beibootes schon fest?“

Zabo Krakar überlegte kurz.

Sie werden mich hier an Bord vertreten“, bestimmte er dann. „Mr. N’Kasa und Mrs. Hagar werden mich zur Planetenoberfläche hinunter begleiten.“

In Ordnung, Crewmaster.“

Pam Willioms erhob sich.

Ich gehe in den Hangar und führe den Routine- Kanzelcheck durch. Sie können dann sofort los fliegen, wenn sie drei sich ausgerüstet haben und zum Start bereit sind.“

Einverstanden, Mrs. Willioms“, bestätigte der Crewmaster.

Er sah seiner Stellvertreterin nach, während diese zum Antigravlift ging und sich dem nach unten führenden Kraftfeld anvertraute. Gleich darauf hatte der Commander seine Eintragungen für das Bordbuch abgeschlossen und erhob sich ebenfalls.

Ich wäre soweit“, sagte er. „Mrs. Hagar kann mich gleich nach unten zur Rüstkammer begleiten.“

Und an Mweru N’Kasa, dem Kommunikationsspezialisten, gewandt, sagte er: „Sie werden unsere beiden Begleitschiff entsprechend informieren. Wenn Sie damit fertig sind, rüsten Sie sich aus und folgen uns in den Hangar. Ich denke, leichte Bodenausrüstung sollte genügen.“

Verstanden, Crewmaster“, erwiderte der hochgewachsene Afrikaner.

Der Kommandant nickte befriedigt.

Gut, dann kann es ja losgehen. Miss Hagar, folgen Sie mir bitte!“

Ich komme!“, rief die Angesprochene.

Gemeinsam mit dem Kommandanten begab sie sich zum Antigravlift, wo sie gleich darauf nach unten, dem „E“- deck entgegen sanken, wo sich die Rüstkammer befand. Etwa fünfzehn Minuten später kletterten sie durch das mannshohe, ovale Luk am untersten Punkt des silbern schimmernden Beiboots ins Innere und stiegen die kurze Sprossenleiter zur Kanzel hinauf. Dort wurden sie schon von Pam Willioms erwartet, die einen kurzen Statusreport ablieferte und damit das Beiboot an den Piloten übergab. Anschließend verließ sie den ellipsoiden Flugkörper, um in die Kommandozentrale zurückzukehren, von wo aus sie Start und Mission der S-NEXUS 2 überwachen würde. Kaum war die Submasterin im nach oben gepolten Teil des Antigravschachtes verschwunden, kam auf der abwärts führenden Seite Mweru N’Kasa in den Hangar geeilt. Rasch begab auch er sich an Bord und verschloss sogleich die Zugangsluke hinter ihm. Sekunden später erreichte er die Kanzel der SILVERJET, wo er umgehend seinen Platz einnahm.

Die Kommandanten der EXODUS und der GANYMED II haben bestätigt“, meldete er dem silberhaarigen Crewmaster. „Sie werden jeweils ein Beiboot in Bereitschaft versetzen, um rasch zur Hilfe zu eilen, sofern das notwendig sein sollte.“ 

Sehr umsichtig“, lobte Krakar. „Das sollte uns ein beruhigendes Gefühl während unserer Mission vermitteln.“

Er nahm einige Schaltungen vor und summend erwachten ein Stück unter ihnen die Energieerzeuger und Antriebsaggregate zum leben.

Wir sind startbereit“, meldete der Kommandant seiner Stellvertreterin in der Kommandozentrale der NEXUS. 

Verstanden“, bestätigte diese. „Ich starte den Countdown für den automatischen Startvorgang. Hals- und Beinbruch für die Mission.“

Während die mächtigen Pumpen des Beiboothangars diesen für den Start Luft leer pumpten, wandte sich Krakar an den Kommunikationsspezialisten.

Mr. N’Kasa, wir werden bei der Mission eine Aufzeichnungsdrohne einsetzen“, befahl er ihm. „Das erspart uns später langwierige Berichte. Bis wir die Oberfläche erreicht haben, werden Sie ein solches Gerät entsprechend programmieren!“

Der schwarzhäutige N’Kasa nickt zur Bestätigung, da zählte die Bordoptronik auch schon laut die letzten Sekunden des Countdowns herunter. Gleichzeitig öffnete sich über dem Beiboot der Lamellenverschluss des Hangars, so dass ein kreisrunder Ausschnitt des schwarzen Weltalls über dem oberen Scheitelpunkt des ellipsenförmigen Körpers erschien. Als der Countdown bei Null angelangt war, griffen starke Traktorfelder nach dem Flugkörper und katapultierten ihn in dieses Schwarz hinaus.

Direkt vor ihnen, fast zum Greifen nah, leuchtete grün und geheimnisvoll das mächtige Rund des Planeten Greenwich. Seitlich von ihm, in Flugrichtung links, lugte der flammende und gleißende Feuerball der Sonne Enigma hinter der Krümmung des Planeten hervor.

Zabo Krakar steuerte die SILVERJET langsam den Koordinaten entgegen, die Luornu Hagar als Landeplatz der PLUTARCH ermittelt hatte. Mit mittleren Fahrtwerten näherten sie sich so Greenwich mehr und mehr an. Gebannt starrte Luornu durch die einseitig transparente Beibootwand aus NULL-Metall hindurch auf den Planeten ‚hinunter’.

Dieses Grün!“ sagte sie leiser voller Ergriffenheit.

Unglaublich, in wie vielen Schattierungen und Nuancen von Grün der Planet leuchtet. Ist das nicht faszinierend?“

Faszinierend?“, meinte Mweru N’Kasa zweifelnd.

Ich finde, geheimnisvoll, oder, besser gesagt, unheimlich trifft es besser. Noch nie habe ich eine derart von Vegetation überschäumende Welt gesehen!“

Krakar, der Crewmaster, war der Unterhaltung seiner beiden Crewmitglieder bisher schweigend gefolgt. Seine Stirn war dabei in nachdenkliche Falten gelegt und seine Augen schienen in eine unbekannte Ferne zu starren. Das verlieh dem eher spröden Mann etwas Entrücktes.

Seltsam…“, murmelte er dann plötzlich vor sich hin.

Wirklich…sehr seltsam!“

Was ist denn so seltsam?“

Der Kommunikationsspezialist hatte seinen Kopf gedreht und betrachtete den Kommandanten mit neugieriger Miene.

Es ist schwer zu beschreiben“, begann Krakar zögerlich eine Erklärung auf diese Frage.

Von diesem Planeten geht eine ungeheure Anziehungskraft aus und zwar seit dem Moment, wo das Beiboot die NEXUS verlassen hat und wir eine ungehinderte Sicht auf die Welt vor uns hatten.“ 

Anziehungskraft?“, hakte N’Kasa nach.
„Wie sollen wir uns das vorstellen?“

Krakar zuckte mit seinen Schultern.

Vielleicht klingt es sehr weit her geholt“, meinte er dann, „Aber ich fühle mich, als würde ich von Greenwich gerufen. Oder besser gesagt, als würde etwas auf dem Planeten dort unten mich zu sich rufen.“

Aber mir geht es doch ganz genau so!“, platzte es da aus Luornu Hagar heraus. „Bis zu Ihrer Erklärung dachte ich allerdings, dass ich mir alles nur einbilde.“

Damit wären wir schon drei!“, fügte Mweru mit grüblerischem Gesichtsausdruck hinzu. „Ich glaube, hier sind Umstände im Spiel, die uns noch manche Überraschung bereiten könnten.“

Hoffentlich keine bösen!“

Luornu blickte von Mweru zum Kommandanten und zurück. Doch keiner der beiden Männer kommentierte ihren Wunsch.

Inzwischen hatte die S-NEXUS 2 die ersten, atmosphärischen Ausläufer erreicht. Im Prallschirm um das Beiboot begann es zu flackern und zu irrlichtern. Das riss die drei TESECO- Agenten aus ihren grüblerischen Gedankengängen heraus. Zabo Krakar schüttelte die unerklärlichen Empfindungen von sich ab, als wenn er gerade unter der Dusche hervorgetreten wäre.

Entfernung?“, fragte er knapp.

Mweru N’Kasa schaute auf das Display vor ihm. Eine grafische Darstellung zeigte den Abstand zur Planetenoberfläche.

169 Kilometer“, antwortete er. „Höhe über Grund rasch fallend. 150 Kilometer…140 Kilometer…130 Kilometer…“

Er gab nun laufend die schrumpfende Distanz laut an. Währenddessen steuerte Krakar die SILVERJET in eine flacher verlaufende Flugbahn, bis sie schließlich parallel zur Oberfläche flogen. Ihre Flughöhe betrug exakt zweitausend Meter. Rasch nahm der Crewmaster noch einige geringfügige Kursänderung vor, dann lag die S-NEXUS 2 auf direktem Kurs zum Landeplatz der PLUTARCH. Als die Pioniereinheit von den optischen Systemen des Beibootes erfasst wurde, verzögerte Krakar dessen Geschwindigkeit. Einige Minuten später konnten die drei TESECO- Agenten den Raumer durch die einseitig transparente Hülle des Beibootes aus dem Grün des fast undurchdringlich erscheinenden Dschungels auftauchen sehen. Der Kroate reduzierte die Geschwindigkeit weiter, bis die acht Meter durchmessende SILVERJET wie ein silbern schimmernder Schemen regungslos neben der PLUTARCH in der Luft hing, nur gehalten von den energetischen Polstern des ANGRAV. 

Die drei TESECO- Spezialisten musterten Schiff und Umgebung genau, wobei sie sich natürlich nicht nur auf ihre Augen verließen. Auch die Scanner und Ortungsanlagen der SILVERJET arbeiteten auf Hochtouren.

Auf den ersten Blick sah alles normal und unverdächtig aus. Die Raumfahrer sahen ein Raumschiff, welches dem von TESECO und der USF verwendeten Typs sehr ähnlich war. So verfügte die PLUTARCH über die scheibenförmige Grundform, die am Rand wulstartig abgerundet war. Der Unterschied zur NEXUS bestand in der größeren Halbkugel auf der Scheibenunterseite und des ebenfalls größeren Kugelsegments auf der Unterseite. Man hatte bei diesem Schiffstyp die Waffensysteme zugunsten eines größeren Transportvolumens um einige Nummern kleiner ausgelegt. Auch waren die Triebwerke nicht ganz so leistungsfähig wie die der schnellen TESECO- Kreuzer.

Zabo Krakar steuerte die SILVERJET ein paar Mal kreisförmig um den Schiffskörper der PLUTARCH herum. Dabei fiel auf, dass die sie umgebenden Bäume und Pflanzen bereits wieder damit begonnen hatten, das Schiff zu überwuchern.

Sie haben sich einfach einen Landeplatz aus dem planetaren Dschungel heraus gebrannt“, stellte Luornu Hagar fest. „Das entspricht ganz und gar nicht dem Standardprotokoll für die Landung und Errichtung von Basen auf unerforschten Planeten.“

Allerdings“, pflichtete der Kommandant der marsgeborenen Frau bei.

Machen Sie einen entsprechenden Vermerk ins Bordbuch“, wies er sie dann anschließend an. „Mr. Ziegler von der AVEK wird uns erklären müssen, warum eine Crew aus seinem Verantwortungsbereich so grob die Standardvorschriften missachten kann!“

Während die hagere Frau mit dem Pferdegebiss den Anweisungen ihres Kommandanten nachkam, ließ dieser die SILVERJET sanft neben der PLUTARCH nach unten sinken. Ein optisches Signal auf dem Steuerdisplay zeigte an, dass die drei teleskopartigen Landestützen ausgefahren waren. Sanft und ohne Nachfedern setzte die S-NEXUS 2 auf der Oberfläche Greenwichs auf.

Unheimlich!“, entfuhr es Mweru N’Kasa.

Seiner Stimme war ein deutliches Unbehagen anzuhören.

Kein Mensch weit und breit zu sehen. Das ist kein gutes Omen!“

Da stimme ich mit Ihnen überein, Mr. N’Kasa“, sagte Krakar zu seinem Kommunikationsspezialisten. „Deswegen werden wir auch erhöhte Vorsicht walten lassen, wenn wir gleich aussteigen!“

Und zu Luornu Hagar sagte er: „Mrs. Hagar, Sie werden an Bord der SILVERJET bleiben und das Beiboot in Alarmstartbereitschaft halten. Außerdem zeichnen sie alles auf, was die integrierten Mikrokameras der Einsatzkombinationen aufnehmen. Und egal was passiert: Sie werden uns auf keinen Fall folgen! Ist das klar?“

Vollkommen klar, Crewmaster!“, bestätigte die TESECO- Spezialistin die soeben erhaltenen Befehle.

Krakar und N’Kasa überprüften ihre Kombinationen und die mitgeführte Ausrüstung. Dann nahm der Crewmaster seine Waffe, einen TESECO- Multitasker Omega 23, kurz auch TMO 23 genannt, stellte die Betriebsart ein, entsicherte sie und steckte sie zurück in das Oberschenkelhalfter.

Mr. N’Kasa, stellen Sie ihre TMO 23 bitte auf Paralyse ein“, wies er den Afrikaner an.

Dieser blickte den drahtigen Mann mit dem kurzen, graumelierten Haar fragend an.

Meinen Sie denn, wir brauchen unsere Waffen?“

Ich hoffe nicht“, entgegnete dieser. „Aber sicher ist sicher!“

Die zur Schau gestellte entschlossene Miene unterstrich die Ernsthaftigkeit seiner Worte.

Wir werden außerdem Filtermasken tragen“, sagte er dann und warf dabei einen prüfenden Blick durch die Kanzelwand des Beibootes nach draußen.

Die Luft ist zwar laut unseren Instrumenten gut atembar, doch der Sauerstoffgehalt ist für unsere Verhältnisse ziemlich hoch. Außerdem wird die Luft da draußen mit Pollen oder ähnlichem Kleinzeug gesättigt sein. Ich verspüre keine große Lust darauf, einen interplanetaren Heuschnupfen zu bekommen!“ 

 

***

 

Die beiden Männer verließen die SILVERJET durch die ovale Bodenluke und schritten langsam, ständig auf die Umgebung achtend, auf den mächtigen stählernen Leib der PLUTARCH zu, der blaugrau vor ihnen im Lichte Enigmas glänzte. Rundherum sah man noch die Spuren thermischer Energie, mittels der die Schiffsgeschütze entgegen den Vorschriften eine Bresche in das undurchdringliche Grün der Pflanzendecke Greenwichs geschlagen hatten. Allerdings war die agile Vegetation des Planeten schon wieder dabei, das verlorene Terrain zurückzuerobern. Schlangen gleich rankten dicke Pflanzenstränge aus der fast kompakt wirkenden Wand des Pflanzenbewuchses ringsumher auf die schwarzbraun verbrannte Fläche und schlugen dort schon wieder neue Wurzeln. Als die TESECO- Agenten unter den Schiffsleib traten, wurde es wegen des durch diesen geworfenen Schattens dunkler um sie herum. Angenehm dagegen war die eintretende Kühle, denn Enigma strahlte heiß von einem nur mit wenigen Kumulus- Wolken durchsetzten Firmament. Das leise, feine Summen der ANGRAV- Aggregate lieferte sich einen Wettbewerb mit dem Rascheln und Knistern der Pflanzen des Waldes ringsumher. Die Mischung aus beiden wirkte irgendwie unwirklich, fremdartig, ja, er hatte sogar etwas Bedrohliches an sich. Vorsichtig und langsam umrundeten Krakar und N’Kasa das Kugelsegment des unteren Schiffsleibes. Dann kam die Bodenschleuse der PLUTARCH in Sicht. Sie war sperrangelweit geöffnet, bei allerdings deaktivierter Antigravrampe. Das Fehlen des energetischen Zutrittsweges des gut drei Meter über Grund befindlichen Schleusenraumes hatte die hiesige Vegetation nicht daran gehindert, mit ihren schlangenartigen Ranken bis dorthin vorzudringen. 

Das sieht nicht gut aus!“, bemerkte Zabo Krakar düster. „Die Schleusenabschirmung ist nicht aktiviert. Entweder ist das bodenloser Leichtsinn, oder…“

Oder uns erwartet eine böse Überraschung!“, vollendete der schwarzhäutige Afrikaner den Satz seines Captains. „Gehen wir an Bord?“

Ich denke, dazu sind wir da, Mr. N’Kasa.“

Mweru N’Kasa nickte und zog einen kleinen Codegeber aus einer der Taschen seines Kombis. Damit nahm er Kontakt zur Bordoptronik der PLUTARCH auf und übermittelte ein TESECO- Überrangsignal. Der Bordrechner reagierte zu ihrer Erleichterung sofort. Nur einen Wimpernschlag später baute sich, von der Unterkante der geöffneten Bodenschleuse ausgehend, das nur wenige Millimeter dünne, leicht golden schimmernde Feld der Antigravrampe vor ihnen auf. Mit gemischten Gefühlen begannen die beiden Männer, diese hinaufzuschreiten. In der Schleuse des Pionierraumers angekommen, hielten sie kurz inne und Mweru hob einen handflächengroßen Scanner in die Höhe, um ihre Umgebung abzutasten.

Oh oh…“, machte er.

Sparen Sie sich bitte solch unqualifizierte Äußerungen und geben Sie lieber einen klaren Bericht über die Situation ab!“, wies ihn sein Kommandant unwillig zurecht.

Mweru seufzte innerlich über seinen stets auf Einhaltung aller Vorschriften und Reglements bedachten Vorgesetzten, kam aber seiner Aufforderung sofort nach.

Keine Lebenszeichen zu orten“, berichtete er. „Und die atmosphärische Zusammensetzung im Schiffsinneren ist die gleiche, wie dort draußen.“

Vorausgesetzt, jemand möchte nicht vierundzwanzig Stunden am Tag eine Filtermaske tragen, dann wäre das wesentlich mehr als bodenloser Leichtsinn!“, bemerkte Krakar trocken. „Die ganze Sache wird von Minute zu Minute mysteriöser.“

Er verzog seine Lippen zu dünnen Strichen, während er nachdachte und versuchte, die Situation zu analysieren. Dabei stand ihm die Sorge um die verschwundene Crew deutlich ins Gesicht geschrieben.

Also gut!“, sagte er schließlich, „Mit Herumstehen kommen wir auch nicht weiter. Wir dringen weiter ins Schiffsinnere vor und klappern dabei Deck für Deck ab.“ 

Er steuerte einen der drei Schiffslifte der PLUTARCH an. Mweru folgte ihm. Gemeinsam betraten sie dessen Kabine und ließen sich ein Deck höher tragen. Hier befanden sich überwiegend Ausrüstungs- und Lagerräume für Material, welches zur Errichtung von ersten Basen und Stationen auf neu entdeckten Planeten benötigt wurde. Einige der Lagerräume hatten aufklappbare Seitenwände, durch die das darin eingelagerte Material direkt auf die jeweilige Planetenoberfläche heraus geschafft werden konnte. Auf diesem Deck angekommen, verließen sie den Bordlift. Vor ihnen lag der kreisförmige Ringkorridor dieser Ebene. Da sich hier nur die Ausrüstungsräume anschlossen, brauchten sie nach einem Zugang zu einem äußeren Korridor nicht zu suchen. Den gab es hier nicht.

Wo fangen wir an, Commander?“, fragte Mweru seinen Chef.

Dieser zeigte nach links.

Hier!“, bestimmte er. „Wir nehmen uns Raum für Raum vor, bis wir dieses Deck durchsucht haben. Und dann kommt das nächste dran. An die Arbeit!“

Mit der Durchsuchung des Ausrüstungsdecks kamen sie rasch voran, da die einzelnen Räume gut organisiert und durchdacht, sowie effizient beladen worden waren. Die Übersichtlichkeit kam den beiden Männern somit zugute. Allerdings fanden sie keine Spur von der verschwundenen Mannschaft. Erstaunlich war die Tatsache, dass die Bestände laut den elektronischen Bestandslisten, die sich neben jedem Eingang befanden, zu beweisen schienen, dass kein nennenswertes Material aus dem Schiff entladen wurde. Das war ein weiterer Punkt auf der Liste der mysteriösen Geschehnisse und Ungereimtheiten. N’Kasa und Krakar trafen sich vor dem Bordlift wieder. Da ihre Suche auf diesem Deck kein Ergebnis erbracht hatte, steuerten sie ohne Umschweife das nächsthöhere an. Hier, sowie auf dem folgenden Level, befanden sich die Mannschaftskabinen und Gemeinschaftseinrichtungen der 15- köpfigen Besatzung.

Aber auch auf dem nächsthöheren Deck umfing sie absolute Stille und es gab weiterhin keine Spur von der Besatzung. Die Anspannung der beiden TESECO- Agenten wuchs mit jeder ergebnislos verstreichenden Minute. Die ersten drei untersuchten Kabinen waren Unterkünfte, die jedoch leer vorgefunden wurden. Krakar stand vor der Tür des nächsten Raumes, laut Beschriftung einer der drei Gemeinschaftsräume. Der Kroate betätigte den Öffnungssensor und mit kaum wahrnehmbarem Zischen glitten die beiden Türhälften zur Seite. Der Crewmaster machte zwei Schritte nach vorne, blieb dann aber abrupt stehen und zuckte erschrocken zurück. Dabei prallte er gegen den kräftige gebauten Leib N’Kasas, der dem Commander zum Gemeinschaftsraum gefolgt war, nachdem er die zuvor von ihm untersuchte Kabine wieder verlassen hatte. 

Hoppla!“, entfuhr es ihm erschrocken, „Was ist denn los, Chef?“ 

Entgegen seiner sonst üblichen Art wies Krakar seinen Kommunikationsspezialisten wegen der informellen Anrede nicht zurecht. Stattdessen hob er nur seinen rechten Arm und wies in den Raum vor ihnen hinein. Der Afrikaner folgte mit seinem Blick dem ausgestreckten Arm Krakars. Im nächsten Moment stieß er ein entsetztes Ächzen aus. Es bot sich ihm ein fürchterlicher Anblick. Vor ihnen lagen menschliche Körper kreuz und quer verteilt im Raum herum, teils auf dem Boden, teils auf den Sitzmöbeln und Einrichtungsgegenständen. Es mussten um die zwölf Personen sein, vermutlich sogar alle 15 Besatzungsmitglieder der PLUTARCH. Manche der Körper waren mit dichten, wuchernden Pflanzen bedeckt. Nichts regte sich und über allem lag ein feiner, süßlicher Geruch von Verwesung.

Mein Gott!“, stöhnte Mweru auf und griff sich in fassungsloser Geste an seinen Kopf. „Was um alles in der Welt ist denn hier passiert?“

Tja, es scheint, wir haben die Besatzung der PLUTARCH gefunden“, sagte Krakar betont gelassen.

Der Commander gab sich alle Mühe, ruhig zu erscheinen, um damit auch Herr der Lage zu bleiben. Doch wer genau hinhörte, bemerkte das Zittern in seiner Stimme, begriff, dass die zur Schau gestellte Kaltblütigkeit nur den inneren Aufruhr überdecken sollte.

Man kann keine äußeren Verletzungen erkennen“, murmelte er vor sich hin, während aus zusammengekniffenen Augen die surreal anmutende Szenerie vor sich musterte. „Fast, als ob sie schlafen!“

Ein sehr tiefer Schlaf“, entschlüpfte es N’Kasa, der mühsam um seine Fassung rang. „Und ungesund dazu.“

Er atmete einige Male tief durch, dann schob er sich an Krakar vorbei und ging langsam auf den ihnen am nächstgelegenen Körper zu.

Der Pionier lag mit dem Gesicht vor ihm auf den mit einem hellgrauen, kurzflorigen Teppich ausgestatteten Boden des Gemeinschaftsraumes. Mweru ging neben der Gestalt in die Hocke. Entschlossen ergriff er sie an den Schultern und drehte sie auf den Rücken. Weit aufgerissene Augen starrten ihm entgegen, stumpf, glanzlos und gebrochen. Der Blick des Todes. Das Gesicht selbst spiegelte die Empfindungen wieder, die den Mann vor seinem Tod bewegt haben mochten. Zum Erstaunen des TESECO- Agenten zeigte es den Ausdruck grenzenlosen Erstaunens. Mweru ließ den Körper wieder los.

Verdammte Scheiße!“, fluchte er und wandte sich ab.

Zabo Krakar sah dem Afrikaner an, dass er sekundenlang mit sich und seinen Gefühlen kämpfen musste. Ein TESECO- Agent bekam zwar eine gute Ausbildung und wurde für alle möglichen Eventualitäten trainiert. Doch letztendlich konnte man einen Menschen nicht auf alles vorbereiten, was ihm im Laufe der Jahre begegnen und widerfahren mochte.

Der Kroate trat jetzt selbst neben einen der toten Körper heran. Dieser musste nicht erst herumgedreht werden, denn er lag bereits auf dem Rücken. Die Augen des etwa vierzigjährigen Mannes waren zwar geschlossen, doch sein Gesicht zeigte den gleichen, erstaunten Ausdruck, wie bei dem anderen Toten. Krakar musterte den Mann genau, damit ihm keine noch so geringe Kleinigkeit entging. Auf dem hellgrauen Bordkombi konnte man Reste von Pflanzensträngen erkennen. Sie führten an Ärmeln, Kragen und der Verschlussleiste über der Brust unter den Stoff, was die Vermutung des Commanders bestärkte, dass diese Pflanzen tatsächlich aus dem Körpergewebe der Menschen heraus gewachsen waren. Die Blätter dieser seltsamen Gewächse präsentierten sich schmal, lanzettförmig und sie besaßen sehr scharfe Blattkanten. Der tote Körper schien jedoch kein Quell des Lebens mehr für diese Pflanze zu sein, denn ihr Laub war welk und teilweise schon abgestorben und vertrocknet. Krakar musterte nun den Toten etwas genauer. Die Verwesung war noch nicht weit voran geschritten, so dass man durchaus noch erkennen konnte, dass dessen Gesicht einmal männlich anziehend gewesen sein mochte. Warum die Leichname noch so gut intakt waren, schien dem Crewmaster ein weiteres Rätsel auf der Liste zu sein. Hier würden die forensischen Untersuchungen sicher mehr zutage fördern als der jetzige bloße Augenschein. Aber Krakar hatte so dass Gefühl, als das die vorgefundenen Pflanzen hierbei eine wichtige Rolle spielen mochten.

Schade um dich und deine Kollegen“, sagte Carna leise zu dem Toten vor sich. „Du hättest es sicher verdient gehabt, dein Leben weiter zu leben!“

Krakar schloss die Augen und sprach leise ein kurzes Gebet, zu dessen Abschluss er sich noch bekreuzigte. Dann wandte er sich an Mweru N’Kasa.

Sie werden sich noch die anderen Leichen anschauen“, befahl er ihm.

Machen sie einen ersten, kurzen Bioscan der Körper. Vielleicht finden wir ja dadurch schon heraus, was die Menschen hier getötet hat. Ich schaue mir derweil mal die Bordbuchaufzeichnungen an.“

Er erhob sich und strebte einem Computerterminal an der Seite des Gemeinschaftsraumes entgegen. Es mochte ja gut sein, dass die Aufzeichnungen des Bordbuches Hinweise auf das Geschehen hier auf der PLUTARCH liefern konnten. Er hatte das kleine Nebenterminal noch nicht erreicht, als er so ruckartig stehen blieb, als wäre er gegen eine Wand gelaufen.

Eine wohl unbewusst gemachte Wahrnehmung drängte sich in den Vordergrund seines Wachbewusstseins. Krakar wirbelte herum und eilte zu dem Toten zurück, neben dem er eben noch gekniet hatte. Erneut unterzog er den Körper einer kritischen Musterung mit seinen Blicken. Und da entdeckte er, was er vorhin wohl ganz einfach übersehen, oder, besser gesagt, nicht bewusst registriert hatte.

Mweru, kommen Sie bitte einmal zu mir herüber“, bat er seinen Kollegen.

Ja, was gibt es?“

Mit schnellem Schritt kam der Afrikaner zu seinem Commander herüber gelaufen. Dieser deutete auf den Kopf des Toten.

Hier – sehen Sie sich den Schädel dieses Mannes an. Was fällt Ihnen da auf?“

Der TESECO- Agent begriff nicht sofort, auf was sein Vorgesetzter hinaus wollte, denn im ersten Augenschein konnte er nichts Ungewöhnliches an dem Mann entdecken, abgesehen von der Tatsache, dass er auf mysteriöse Weise zu Tode gekommen war. Doch andererseits würde ihn Zabo Krakar niemals ohne Grund auf etwas hinweisen. Das war einfach nicht seine Art. Also schaute Mweru noch einmal ganz genau hin, ging dazu neben der Leiche in die Hocke.

Verflixt, ich sehe nicht…“, murmelte er leise vor sich hin.

Doch mitten im Satz stockte er, denn seine Augen hatten tatsächlich etwas erfasst, was beim einfachen Hinsehen durchaus unbemerkt bleiben konnte.

Da ist eine nadelfeine, rote Linie auf der Stirn, fast nicht zu sehen“, sagte er dann, als er sich seiner Beobachtung sicher war.

Und wie mir scheint, führt sie um den gesamten Schädel herum. Fast so, als hätte jemand mit einem Stift eine Haarfeine Linie auf die Haut gezeichnet.“

Ich glaube nicht, dass es ein Stift war“, entgegnete Krakar ernst.

Das scheint mir eher ein sehr scharfes Messer gewesen zu sein. Ein Skalpell, oder…höllisch scharfe, Lanzettförmige Blätter!“

Mweru sah seinen Chef verwirrt an.

Messer?“, echote er verständnislos, „Blätter? Ich verstehe nicht…“

Er fing einen Blick Krakars auf, der ihn bis ins Knochenmark erschauern ließ. Nur langsam bahnte sich die Erkenntnis Bahn in dem Afrikaner, die sein Kommandant wohl schon gefunden hatte. Wortlos und entschlossen griff der Crewmaster in die Haare des toten Pioniers. Er packte zu und nach einem kurzen Ruck hielt er dessen Schädeldecke in seiner Hand.

Schlagartig fühlte Mweru, wie starke Übelkeit in ihm aufstieg. Er würgte heftig. Ein Anblick wie dieser bot sich selbst einem erfahrenen Agenten nicht alle Tage. Die Schädelkapsel vor ihnen war völlig leer. Von dem Gehirn des Toten fehlte jede Spur. Außerdem war nicht ein Tropfen Blut zu sehen. Alles wirkte klinisch steril und sauber, was den Eindruck des Unheimlichen extrem verstärkte.

Das ist ja…grauenhaft!“, stammelte der Kommunikationsspezialist fassungslos hervor.

Dann drehte er sich rasch zur Seite und übergab sich. Den Anblick des leeren Schädels würde er so schnell nicht wieder aus seinem Gedächtnis löschen können. Auch Krakar, der Kommandant, musste einige Male heftig schlucken und seine Gesichtsfarbe war weit davon entfernt, gesund auszusehen. Doch mit eiserner Disziplin riss er sich zusammen und bewahrte Fassung. Er hob seinen Arm und aktivierte das Multicom- Armband. Zuerst rief er die S-NEXUS 2 und erkundigte sich bei Luornu Hagar, ob die Aufzeichnungen der Einsatzmonturen komplett und störungsfrei bei ihr eingegangen waren. Bleich, das Entsetzen des eben gesehenen noch ins Gesicht geschrieben, antwortete die hagere Frau.

Es…es ist alles aufgezeichnet, Commander.“

Gut Mrs. Hagar. Dann…informieren Sie bitte die Kommandanten der EXODUS und der GANYMED II über den bisherigen Einsatz. Veranlassen Sie außerdem, dass umgehend ein Bergungskommando auf den Planeten herunter geschickt wird.“

Nachdem die TESECO- Agentin die erhaltenen Anweisungen bestätigt hatte, trennte Krakar die Verbindung. Er setzte sich vor der Wand des Gemeinschaftsraumes auf den Boden, lehnte sich zurück und schloss erschüttert seine Augen. In dieser Stellung verharrte er, bis die Männer und Frauen des Bergungskommandos eintrafen. Gemeinsam hoben sie die Toten auf Antigravbahren und schafften sie aus der PLUTARCH heraus, wo sie in schmale Kunststoffsärge umgebettet wurden. Nachdem diese Arbeit erledigt war, sanken die NEXUS und die EXODUS aus ihrem Orbit nach unten, wo sie mangels Platz auf dem Boden in der Luft, rechts und links über dem Rumpf der PLUTARCH zum Stillstand kamen. Die Bodenschleusen der beiden TESECO- Kreuzer öffneten sich und mittels Traktorstrahl wurden die Plastiksärge an Bord der beiden Schiffe gehievt. Dort würde man eine erste Autopsie durchführen. Krakar hegte den leisen Verdacht, dass bei allen 15 Leichen das Gehirn entfernt worden war. Eine unheimliche, grauenvolle Bedrohung lastete über den TESECO- Agenten. Keiner sprach darüber, aber es war allen anzusehen, dass sie dieser Gedanke beschäftigte, um nicht zu sagen, bis ins Mark ängstigte. Darum war jedes Besatzungsmitglied der drei Raumschiffe froh, als man nach einigen Stunden die Bergungsarbeiten abschließen konnte. Leise summend, stiegen die EXODUS und die NEXUS wieder in den blauen Himmel des Planeten Greenwich empor. Im Orbit schloss sich den beiden Schiffe auch die GANYMED II an und gemeinsam nahm man Kurs auf die ferne Erde. Kurz darauf startete auch die PLUTARCH. Man hatte den Bordrechner mit einem automatischen Flugprogramm gefüttert, der das Schiff bis in den Mondorbit zurück führen würde. Damit war auch das letzte Raumschiff von Greenwich verschwunden. Zurück blieb ein auf den ersten Blick unschuldig wirkender Planet, der jedoch unter den Wipfeln, Ästen und Blättern des globalen Urwalds ein mörderisches Geheimnis verbarg. 

 

***

 

Tom Carna ließ es sich gut gehen. Braun gebrannt, saß der Crewmaster der PRINCESS II auf einer Liege am Strand der kleinen Ferieninsel Sonaisali Island, die zum Fidschi- Archipel gehörte und ließ seinen Blick über das in der Morgensonne glitzernde Wasser des pazifischen Ozeans gleiten. Sonaisali Island, ein kleines Eiland, welches südwestlich der Hauptinsel Viti Levu vorgelagert war, beherbergte nur die Ferienanlage und wurde als Nude- Resort betrieben. Das tragen von Kleidung war somit verboten, was dazu geführt hatte, dass Tom mittlerweile eine nahtlose Bräune vorweisen konnte. Kein Wunder, waren er und Nomo Teniate, mit dem er den Urlaub gemeinsam verbrachte, doch schon über einen Monat hier. Insgesamt befanden sich die beiden im vierten Monat von insgesamt sechs medizinisch zu Erholung angeordneten. Ein Schatten flog über das Gesicht des smarten Neuseeländers, als er daran dachte, was der Grund für diese super langen Ferien gewesen war. In Gedanken ließ er die Ereignisse noch einmal Revue passieren.

Vor mehr als vier Monaten kam es zum ersten Kontakt der Menschheit mit einer außerirdischen, raumfahrenden Rasse, den Noraki. Doch der Start war alles andere als harmonisch. Aufgrund interkultureller Missverständnisse, Fehlinterpretationen und falscher Entscheidungen kam es zum Angriff der Noraki auf Luneville, der Mondhauptstadt. Die Menschheit war unabsichtlich so sehr in die Nähe der Heimatwelt der Noraki vorgedrungen, dass diese sich von dieser Expansion bedroht sahen. Zwar konnte die vereinte terranische Raumflotte den Angriff der Außerirdischen abwehren, doch es war unmöglich zu verhindern, dass diese die Sonne Sadir, ein Stern, der dem norakischen Heimatsystem am nächsten stand, durch eine Sonnenbombe hyperphysikalisch anregten, wodurch diese in den beschleunigten Prozess einer Supernova eintrat. Zwar konnten die meisten Menschen, die sich dort auf dem Ferienplaneten Topic  aufhielten, im letzten Moment evakuiert werden. Dennoch waren viele tausend Tote zu beklagen. Auch die Crew der PRINCESS II versuchte, noch Menschenleben in Sicherheit zu bringen. Es gelang ihnen, quasi im letzten Moment, noch eine terranische Familie von der Oberfläche Topics zu retten. Doch ganz konnte das Schiff dem sich anbahnenden Inferno nicht entkommen. Als die Sonne Sadir in einer gigantischen Explosion zerbarst, geriet die Crew im Ersatzschiff ATHENE in ein bis dato unbekanntes Strahlenchaos. Die Schutzschirme des Schiffes konnten nur einen Teil des Strahlensturms, der auf die Menschen einprasselte, abwehren. Ein Teil der Explosionsstrahlung drang durch. Spätere Untersuchungen hatten ergeben, dass diese Partikelströme nicht ohne Folgen für die Menschen an Bord der ATHENE geblieben waren. Ihre Gene und Zelleigenschaften wurden so geändert, dass eine spontane Regeneration eingetreten war, die seither auch weiterhin anhielt. Konkret bedeutete dies, dass die betroffenen Menschen biologisch verjüngt aus diesem energetischen Chaos hervorgegangen waren. Nicht nur das, seither regenerierten sich die Telomerase- Ketten, mitverantwortlich für die Zellalterung, ständig aufs Neue. Die PRINCESS- Crew und die Familie Olson hatten dadurch viele Jahre Lebenszeit dazu gewonnen. Wie lange dieser Zustand andauern würde, das konnten auch die fähigsten Genetiker und Zellforscher nicht vorhersagen. Fest stand zum jetzigen Zeitpunkt jedoch, dass die elf Menschen sehr viel älter als der irdische Durchschnitt werden würden. Man sollte ja meinen, dass Carna, seine Crew und die Familie Olson über diesen Umstand hätten erfreut sein sollen. Doch alle betrachteten ihren neuen Zustand eher mit Skepsis und Sorge. So war man übereingekommen, dieses Detail gegenüber der Umwelt zu verschweigen. Tom Carna grübelte noch eine Weile herum, während sich sein Blick im Blau und Weiß des Himmels verlor. Es war Nomo, der ihn wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholte. Der Freund und Lebenspartner hatte sich in dem großzügigen Bungalow aufgehalten, der zu diesem Strandabschnitt gehörte. Von dort aus kam er jetzt zu Tom heraus gelaufen. 

Na, du Oberfaulenzer?“, rief er ihm scherzhaft schon von weitem entgegen. „Suchst du den Himmel nach fliegenden Untertassen ab?“

Um Himmels willen!“, gab Tom mit gespieltem Entsetzen zur Antwort.

Mir reichen noch die Beulenkugeln der Noraki.“

Da hast du allerdings auch wieder recht“, meinte Nomo. Hier!“

Mit diesem Wort reichte er seinem Freund und Commander einen daumendicken, zehn Zentimeter langen, zylindrisch geformten Com- Stick.

Unsere allseits geliebte Chefin hat das dringende Verlangen verspürt, dich mal kurz zu sprechen.“

Wahrscheinlich will sie wissen, ob wir nach vier Monaten überhaupt noch leben!“

Carna ergriff den Stick und zog seitlich den Folienbildschirm heraus, so dass sich eine fünfzehn mal zehn Zentimeter große Bildfläche ergab. Von dort aus schaute ihn das nicht unattraktive Gesicht der 47- Jährigen Leiterin von TESECO entgegen.

Bei den schwarzen Höhlen von Deimos“, stöhnte Tom und verdrehte die Augen, „Nicht einmal im Urlaub hat man seine Ruhe!“ 

Ich freue mich auch, Sie zu sehen“, gab die Generalmanagerin trocken zur Antwort. „Wie geht es Ihnen?“

Hallo Chefin“, sagte Carna salopp, „Was verschafft mir die Ehre ihres Anrufs?“

Nun, nach vier Monaten Urlaub interessiert es mich einfach, wie es Ihnen so ergangen ist. Sie haben ja schließlich einiges durchmachen müssen. Was haben Sie denn so getrieben, in dieser langen Zeit?“

Nun, ich habe mit Nomo zuerst mal meine Eltern in Christchurch besucht. Dann waren wir noch bei meiner Schwester Shyleen in Rotorua und bei meinem Bruder Arnold in Auckland. Sie wissen ja, wer als Raumfahrer das All durchkreuzt, der sieht seine Familie zu Hause viel zu selten.“ 

Wohl wahr, Tom“, stimmte Generalmanagerin Reed dieser Aussage zu.

Tja und dann haben Nomo und ich uns hier auf diesem bezaubernden Eiland eingemietet, wo wir nun seit sechs Wochen die Ruhe und traute Zweisamkeit genießen“, fuhr Carna dann zu erzählen fort. „Es ist einfach herrlich, mal so total ausspannen zu können.“ 

Na, so ganz kann das mit dem ausspannen aber nicht stimmen“, wandte GM Reed ein.

Darf ich erfahren, wie Sie das meinen?“

Nun, mir liegen Meldungen vor, nach denen Sie mehrere Male vertrauliche Ermittlungsberichte zur verschiedenen Themenbereichen aus dem ZENTRACOMP- Verbund abgerufen haben. Vor allem scheinen Sie sich für die Machenschaften der Partei 'Aufrechtes Ozeanien' zu interessieren.“

Diese Brüder muss man auch im Auge behalten“, gab Tom verdrießlich von sich. „Deren Wahlerfolge sind beängstigend, aber die scheinen nichts Gutes im Schilde zu führen.“

Er fixierte das Abbild seiner Chefin mit seinen blaugrauen Augen.

Mir war jedoch nicht bewusst, dass meine Informationsanfragen überwacht werden, Generalmanagerin.“

Seien Sie nicht albern, Tom!“, wischte Kate Reed diesen leisen Vorwurf energisch beiseite.

Sie sind lang genug bei TESECO, um zu wissen, dass wir Sie nicht überwacht haben. Sie haben klassifizierte Berichte abgerufen, was Ihnen wegen Ihres G1- Dienstranges durchaus zusteht. Allerdings sind Sie zurzeit nicht im Dienst, sondern Sie befinden sich im Urlaub. Zudem sind Sie mit Ermittlungen in den abgerufenen Fällen dienstlich nicht beauftragt. Deswegen wurden die Datenabrufe dem HQ automatisch weiter gemeldet.“ 

Nun war es GM Reed, die den schlanken, braun gebrannten Commander ihrerseits mit einem prüfenden Blick aus graubraunen Augen maß.

Nun, wie erklären Sie mir dieses außerordentliche Interesse?“

Tom hielt dem Blick ohne mit der Wimper zu zucken stand. Doch dann musste er herzhaft lachen.

Die Erklärung ist absolut simpel“, sagte er dann. „Mir ist langweilig! So viel Erholung hält doch kein Mensch aus!“

Die Generalmanagerin erwiderte das Lachen.

So etwas habe ich mir doch schon fast gedacht“, sagte sie dann schmunzelnd zum Crewmaster der PRINCESS II. 

Und damit sind wir auch schon beim eigentlichen Grund meines Anrufs bei Ihnen in ihrem Südseeparadies: wie wäre es mit einem kleinen Auftrag für Sie und Ihre Crew?“

Lassen Sie hören!“

Sagt Ihnen der Name ‚Greenwich’ etwas?“

Hm, meinen Sie den Londoner Stadtteil, oder diesen neu entdeckten Grasball?“

Natürlich den Grasball, ähem, ich meine natürlich den Planeten im Enigma- System. Es hat dort nämlich einen unerfreulichen Vorfall gegeben, der die Analytik- Spezialisten TESECOS, und, lassen Sie mich es so sagen, nicht nur diese, vor ein unheimliches Rätsel stellt.“ 

Inwiefern?“, hakte Carna nach, bei dem die Worte ‚unheimlich’ und ‚Rätsel’ schlagartig das Interesse weckten.

Auch Nomo Teniate, der sich in dem freien Liegestuhl neben seinem Freund niedergelassen und der Unterhaltung zugehört hatte, horchte auf.

Sie kennen die Standardprozedur, die bei der Entdeckung und Erkundung einer neuen Welt durchgeführt wird?“

So im Großen und Ganzen ist uns das Verfahren bekannt“, antwortete Carna seiner Chefin. 

Gut!“, sagte die brünette Frau aus dem Com-Pad heraus zu ihm.

Wie üblich entsandte man eine Pioniereinheit nach Greenwich, um dort eine Basisstation zu errichten, von der aus die Erforschung des Planeten, von Flora, Fauna und Umweltbedingungen, vorangetrieben werden sollte. Kurz nachdem die PLUTARCH, so der Name der Pioniereinheit, auf Greenwich gelandet war, brach jedweder Kontakt zum Schiff ab.“

Jedweder?“, stellte Nomo eine Zwischenfrage.

Jedweder!“, bestätigte GM Reed.

Er konnte auch nicht wieder hergestellt werden. Sie können sich vorstellen, wie mir Josef Ziegler von der AVEK daraufhin in den Ohren gelegen hat!“

Die TESECO- Leiterin verdrehte bezeichnenderweise ihre Augen, kehrte aber sofort zu ihren Erläuterungen zurück.

Aber ich sollte nicht ungerecht sein“, relativierte sie ihre Handlung sofort. „Mr. Ziegler hatte ja recht, so ungeduldig zu sein. Ich habe jedenfalls einen kleinen Verband aus drei Schiffen ins Enigma- System beordert. Tja und die haben die vermisste PLUTARCH dann auch gefunden.“ 

Und?“, fragte Tom und Nomo wie aus einem Mund.

Das Schiff erwies sich als völlig intakt. Was man von der Besatzung nicht behaupten konnte. Die waren tot. Alle fünfzehn Männer und Frauen. Der unglaublichste Umstand von alldem war jedoch der, dass ihnen sämtlich die Gehirne entfernt worden waren!“

Carna glaubte zuerst, sich bei dem, was Kate Reed eben sagte, verhört zu haben. Und auch Nomo starrte ungläubig zu seinem Boss mit dem Com-Pad in der Hand hinüber.

Die Gehirne fehlten? Wie scheußlich!“, sagte der Commander deshalb erst nach ein kurzen Pause und die Bestürzung über das Geschehen war ihm deutlich anzumerken. „Wie kam das denn zu Stande?“ 

Tja, wenn wir das wüssten, wäre nicht nur mir entschieden wohler.“

Generalmanagerin Reed machte ein etwas ratloses Gesicht.

Außerdem könnte ich dann endlich Josef Ziegler von der AVEK beruhigen. Der ist sowieso schon ganz hysterisch. Dabei wurde die PLUTARCH nach ihrem automatischen Rückflug im wahrsten Sinne des Wortes auseinander genommen. Jeder Aufzeichnung und jeder Datenquant in der Bordoptronik musste Analysen und Auswertungen durchlaufen, sogar mehrfach!“

Lassen Sie mich raten, GM – es kam nichts dabei heraus“, mutmaßte Carna.

Sie sagen es, Tom!“, bestätige seine Chefin die Vermutung des PRINCESS II – Kommandanten.

Und so lange wir keine nachvollziehbare Lösung in diesem Fall vorweisen können, bleibt der Planet Greenwich für weitere Erkundungen oder die Errichtung von Stationen gesperrt. Eine unbefriedigende Situation für alle Beteiligten.“

Man sollte noch mal hin fliegen und den Planeten genauer unter die Lupe nehmen“, meinte der Neuseeländer und kaute dabei nachdenklich auf seiner Unterlippe, während die Finger seiner rechten Hand gedankenverloren mit seinem goldenen Ohrring spielten. 

Genau meine Meinung“, sagte GM Reed.

Und ich dachte dabei an eine meiner besten Mannschaften!“

Sie legte eine Pause ein und schaute den Crewmaster aus der Bildfläche des Com- Pads heraus erwartungsvoll an.

Ich dachte mir doch gleich, dass sie uns hier nicht nur angerufen haben, um sich nach dem Wetter zu erkundigen“, gab Tom schmunzelnd von sich. „Sie wollen, das wir mit der PRINCESS II ins Enigma- System fliegen und auf Greenwich nach dem Rechten zu sehen?“ 

So in etwa hatte ich es gehofft, Tom“, gab die schlanke, durchaus aparte Frau zu. „Und?“

Also, an mir soll's nicht liegen!“, stimmte Carna lachend zu. „Mir hängt die Erholung, wie schon eingangs erwähnt, sowieso schon zum Hals raus. Wie steht es mit dir, Nomo?“ 

Auf, auf zu neuen Taten!“, rief dieser theatralisch aus. Allerdings wird es mir schwer fallen, mich wieder an Kleidung zu gewöhnen.“

Diese Bemerkung sorgte für einen allgemeinen Heiterkeitsausbruch.

Also, zwei Mann haben Sie schon mal sicher, GM Reed“, sagte Carna, nachdem sie sich wieder beruhigt hatten.

Allerdings befinden wir uns im ärztlich angeordneten Urlaub und ich kann nur für Nomo und mich sprechen. Die anderen Crewmitglieder müssten Sie schon selbst überzeugen. Ich weiß nicht mal, wo die sich alle rumtreiben.“ 

Wir müssten unsere Betriebslizenz zurückgeben, wenn TESECO die Aufenthaltsorte ihrer Leute nicht hätte ermitteln können“, sagte die Generalmanagerin. „Und in der Tat, wir hatten uns vorab schon mal ein wenig umgeschaut.“

Sie mal an, umgeschaut haben Sie sich“, spöttelte Tom und Nomo grinste dazu breit über das ganze Gesicht. „Und was hat diese ‚Umschau’ ergeben?“

Nun, dass ich die Zustimmung von allen Crewmitgliedern für diesen Einsatz bekommen habe.“

Tatsächlich?“, staunte Nomo. „Wie haben Sie denn das fertiggebracht?

Mit Roy Anthony war es am einfachsten“, begann die Generalmanagerin zu erklären. „Er verbrachte seinen Urlaub wie fast immer im heimischen England. Da dort aber seit Wochen äußerst schlechtes Wetter herrschte, Regen, Wind, Kälte und so weiter, zeigte er sich recht angetan von meiner Anfrage und gab sofort seine Zustimmung. 

Bei Harriet James und Hanne Arminos hatten wir weitaus mehr Schwierigkeiten.“

Schwierigkeiten?“, hakte Carna nach. „Wie ist denn das zu verstehen?“

Die beiden befanden sich auf einer Wanderung durch den Naturpark Norwegen. Da sie kein Multicom oder sonstiges Peilgerät bei sich hatten und auf jegliche Kommunikation verzichteten, konnten wir sie nur mit Mühe ausfindig machen. Als ihr Standort ermittelt war, schickte ich einen P-Sec Gleiter nach den beiden Frauen aus.“ 

Hanne ist freiwillig mit auf eine Wanderung gegangen?“, wunderte sich Nomo. „Mit Harriet, unserem absoluten Naturfreak?“

Kate Reed musste lachen, als sie die Bemerkung des Afrikaners vernommen hatte.

Offensichtlich hatte sie sich von Harriet dazu überreden lassen. Als die beiden P-Secs sie fanden, war unsere Astronavigatorin mit Zetern, Jammern und Schimpfen beschäftigt. Die Kollegen berichteten, dass Hanne Freudentränen in den Augen hatte, als sie dort auftauchten. Am liebsten hätte sie wohl auch den Gleiter geküsst. Jedenfalls war sie sehr erleichtert. Allerdings auch sehr verschnupft.“ 

So sauer war Hanne auf unsere Harriet?“, fragte Carna erstaunt nach.

Doch GM Reed schüttelte nur ihren Kopf.

Nein, ich meine, sie war wirklich verschnupft“, erläuterte sie ihre eigene Bemerkung. „Hanne hat sich einen kapitalen Schnupfen auf der Wandertour eingefangen. Doch sie will unbedingt mit ins Enigma- System.“

So kennen und lieben wir unsere dunkelhaarige Griechin!“, feixte Nomo.

Fehlen also noch Karin Schröder und Glenn Stark“, stellte Tom fest.

Wo haben Sie die beiden aufgegriffen?“

Karin Schröder trafen wir beim Experimentieren in der Wohnung ihrer Eltern in Stuttgart an.“

Nanu?“ wunderte sich der Crewmaster, „Ich wusste gar nicht, dass sie sich dort ein Labor eingerichtet hat!“

Ach was, Labor“, winkte GM Reed lachend ab. „Küche! Karin experimentierte mit Koch- und Backrezepten ihrer beiden Großmütter.“

Karin als Küchenfee?“, meinte Nomo zweifelnd.

Obwohl, wenn ich mir so die Vorratsliste der PRINCESS II in Erinnerung rufe, dann hatte sie schon einen Hang zu Ausgefallenem und regionaler Spezialitäten. Aber dass sie selbst kochen und backen kann, ist mir neu!“ 

Sogar ausgezeichnet kann sie das!“, bestätigte die TESECO- Leiterin. „Ich konnte mich selbst davon überzeugen. Denn zufällig hielt ich mich zusammen mit Koran Altintop, dem Chef von SINDUS, zu einer Sicherheitskonferenz in Stuttgart auf, als man mir mitteilte, wo man Karin aufgespürt hatte. Also beschloss ich, persönlich dort vorbei zu gehen und Karin um die Teilnahme an dem Auftrag zu bewegen. Koran begleitete mich freundlicherweise. Wir wurden auf das Herzlichste mit äußerst leckerem, selbst gebackenem Kuchen und frisch gebrühtem Kaffee bewirtet. Ich glaube, Karin Schröders Eltern fiel ein Stein vom Herzen, als sich ihre Tochter zu dem Auftrag bereit erklärte. Denn wie mir Frau Schröder im Vertrauen mitteilte, befürchtete sie, noch weitere Kilo zuzunehmen, wenn sie von Karin noch ein paar Wochen bekocht würden!“ 

Tom und Nomo mussten ob dieser Neuigkeit herzhaft lachen.

Und Glenn?“, fragte der Commander schließlich und wischte sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. 

Der Gesichtsausdruck GM Reeds wandelte sich und bekam einen leicht besorgten Ausdruck.

Ach ja, Glenn“, seufzte sie und zog dabei ihre Stirn kraus, 

Ihr Subcommander war eine kleine Herausforderung für uns, Tom.“

Inwiefern?“

Kate Reeds Stimmungswandel ließ in ihm leise Alarmglocken klingeln und auch Nomo schaute auf einmal ernster drein, als noch vor wenigen Momenten.

Zunächst konnte sein Aufenthaltsort auf Terra nicht lokalisiert werden“, berichtete die TESECO- Chefin.

Eine Überprüfung der Raumhäfen ergab dann, dass er vor knapp drei Wochen kurzfristig eine Passage zur Venus gebucht hat und auch von Toronto Spaceport dorthin abgeflogen ist.“

Zur Venus?“, fragte Nomo dazwischen. „Was wollte er denn da?“

Wir hatten angenommen, er wollte wie viele andere Touristen das große Ereignis live und vor Ort miterleben“, sagte GM Reed.

Das große Ereignis?“, echote Tom. „Was für ein Ereignis?“

In diesen Tagen wird erwartet, dass die Bodentemperatur auf der Venus dauerhaft unter die 100 Grad Celsius- Marke sinken soll.“

Tatsächlich?“, rief Tom erstaunt aus. „Ist das Terraforming schon so weit dort oben?“

Ja, Tom, aber wir schweifen ab.“

Oh, Entschuldigen Sie, GM Reed. Fahren Sie bitte fort.“

Die meisten Reisenden zur Venus steigen in einem der Hotelkomplexe in Venucity oder Solaris ab. Deswegen suchten wir auch dort zuerst nach Glenn.“

Und?“, fragte Carna gespannt.

Nichts!“, antwortete seine Vorgesetzte.

Ihr zweiter Mann war wie vom Erdboden verschluckt. Er ist zwar auf dem Raumhafen von Venucity Central angekommen, doch dann verschwand er spurlos. Es gab zwar noch eine PayCard- Aufladung und eine Barabhebung von Tecs an einem Bankterminal des Raumhafens, doch dann war’s das auch schon. Keine Hotelbuchung, keine bargeldlose Transaktion – eben nichts! Erst vor einer Woche sind wir ihm dann auf die Spur gekommen. Zwei P-Secs haben Glenn in einer miesen, heruntergekommenen Spelunke in Las Venus aufgespürt. Schmutzig, unrasiert, heruntergekommen, betrunken und mitten in eine wüste Schlägerei verwickelt!“ 

In Las Venus?“, fragte Tom zweifelnd zurück.

Verkommend, betrunken und schlägernd? Unser Glenn? Reden wir von derselben Person?“

GM Reed nickte kurz zur Bestätigung.

Leider ja, Tom“, sagte sie betrübt.

Die P-Secs vor Ort mussten ihn paralysieren, so in Rage und entfesselt hat er sich in dieser Bar aufgeführt. Anschließend war es notwendig, ihn in der Klinik von Venucity drei Tage lang zu entgiften, behandeln und wieder aufzupäppeln. Danach verfrachteten wir ihn nach Luneville, ins TESECO- HQ. Dort hält er sich seitdem auf.“

Ich kann gar nicht glauben, was Sie uns da erzählt haben!“, meinte Tom erschüttert. „So kenne ich unseren Großen ja gar nicht. Was mag bloß in ihn gefahren sein? Hat er nicht irgendetwas darüber erzählt, was ihn zu dieser so untypischen Verhaltensweise veranlasste?“

Nein, Tom“, erwiderte GM Reed kopfschüttelnd. 

Er gab und gibt sich sehr wortkarg und mürrisch, was diesen Vorfall anbelangt. Es scheint wohl etwas mit seiner Freundin Tanya Shennon zu tun zu haben. Aber mehr war ihm nicht zu entlocken. Und da ist noch was, Tom…“, fügte sie zögernd hinzu. 

Ich höre?“

Es droht Glenn eine Disziplinierung.“

Disziplinierung?“

Ja, wegen ungebührlichen Verhaltens eines aktiven TESECO- Agenten in der Öffentlichkeit.“

Ich verstehe, GM Reed.“

Allerdings habe ich einen Aufschub gewährt, bis Sie als sein Commander mit ihm gesprochen haben. Vielleicht bekommen Sie mehr aus ihm heraus. Mit mehr, meine ich auch vor allem Informationen, die sein Verhalten erklären würden und mir die Möglichkeit gäben, von einem förmlichen Disziplinierungsverfahren absehen zu können.“

Das ist nett von Ihnen, GM Reed“, sagte Tom erleichtert. „Und ich danke Ihnen dafür. Es muss einen triftigen Grund für dieses seltsame Verhalten geben. Es passt so gar nicht zu Glenn. Aber ich werde ihm schon auf den Zahn fühlen, das verspreche ich Ihnen!“

Gut, Tom“, sagte Kate Reed, „Glenn ist ein guter Mann, ein fähiger Submaster und ein ausgezeichneter TESECO- Agent. Es täte mir Leid, wenn ich wegen eines erklärbaren Ausrutschers seine Karriere beenden müsste!“

Wie geht es jetzt weiter?“, fragte der Commander. „Ich meine, wann geht es los mit unserem außerplanmäßigen Auftrag?“

Übermorgen“, antwortete die TESECO- Chefin. „Morgen Vormittag wird Sie eine SILVERJET abholen und nach PORT TESECO bringen. Danach finden Sie sich im HQ zur Vorbesprechung ein und können sich so zusammen mit Ihrer Crew auf den Einsatz vorbereiten. Haben Sie noch Fragen?“ 

Keine mehr, Chefin. Also, bis Morgen auf dem Mond!“

Kate Reed grüßte noch kurz zurück, dann wurde die Bildfolie des Com-Pads wieder dunkel. Nachdenklich drückte Carna einen kleinen Kontakt und die Folie rollte sich wieder im stiftförmigen Gehäuse zusammen, dass er dann auf den kleinen Tisch neben seiner Liege ablegte. Dann blickte er seinen Freund Nomo an.

Sieht ganz so aus, als wäre das unsere letzte Nacht auf Sonaisali Island, mein Freund“, sagte er. „Was fangen wir damit an?“

Einen langen Strandspaziergang, ein gutes Abendessen und ein paar köstliche Cocktails an der Bar“, schlug Nomo vor. „Aber vorher steht mir der Sinn nach etwas verführerischen Obst.“

Aha“, machte Tom breit grinsend. „Und an welches Obst hattest du dabei gedacht?“

Na, an welches wohl: an zwei Bananen natürlich!“

Nomo, Nomo…“, lachte Tom, „Du bist und bleibst ein alter Lüstling!“

Dann erhob er sich und folgte dem Afrikaner ins Innere ihre großen Bungalows. Es würde eine aufregende, letzte Nacht in der Südsee Terras werden.

 

***

 

Am nächsten Morgen, gleich nach dem Frühstück, landete eine silbern im Licht der Morgensonne schimmernde und funkelnde SILVERJET auf einem der zur Hotelanlage gehörenden Golfplätze. Das verursachte unter den Gästen natürlich einen kleinen Aufruhr und schnell war der Landeplatz von einer Schar Neugieriger umringt. Kein Wunder, denn so oft bekam der Normalbürger keines der ovalen, acht Meter durchmessenden und gut fünf Meter hohen Raumboote praktisch zum Anfassen nah zu Gesicht.

Tom und Nomo beeilten sich mit dem Auschecken, dann begaben sie sich umgehend an Bord des Raumbootes, wo sie schon von zwei Mitarbeitern TESECOS erwartet wurden. Das Gepäck der beiden PRINCESS- Crewmitglieder würde direkt an die Heimatadresse verfrachtet werden. Darum mussten sie sich also schon mal nicht kümmern.

Mit dem typischen, leisen Singen des ANGRAV- Triebwerks hob das Raumboot ab. Schwerelos stieg die SILVERJET scheinbar spielerisch und rasch schneller werdend in den blauen Himmel über Sonaisali Island empor. In nur drei Minuten erreichte das kleine Raumfahrzeug die Grenze zwischen Atmosphäre und Weltraum. Hier erfolgte automatisch die Umschaltung von ANGRAV auf den deGrelle, woraufhin das ovale Gefährt stark weiter beschleunigte. Der blauweiss gesprenkelte Erdball machte fast einen Satz vom Schiff weg, obwohl es ja eigentlich umgekehrt war. Während der Erdball weiter schrumpfte, schob sich die graue Kugel des pockennarbigen Erdtrabanten ins fast ungehinderte Sichtfeld der an Bord befindlichen Männer. Es war immer wieder ein eindrucksvolles Erlebnis, mit einer SILVERJET durchs All zu reisen. Von außen wirkte die hoch verspiegelte Hülle undurchdringlich. Vom Cockpit aus jedoch präsentierte sich dies völlig anders. Das obere Segment der SILVERJET bestand nämlich aus NULLPLAST und war von Innen heraus völlig durchsichtig. Man hatte also das Gefühl, als brauste man in einem 'Cabrio' durchs All. Atemberaubend für den, der dies zum ersten Mal erlebte. Für die vier TESECO- Mitarbeiter allerdings nichts anderes als Routine. Zumal ein Flug von der Erde zum Mond im Jahr 2231 wirklich nichts Besonderes mehr war. Nach gerade mal 15 Minuten befanden sie sich schon im Anflug auf PORT TESECO, dem Hauptstützpunkt der Organisation. Im Hintergrund erhoben sich die glänzenden Kuppeln der Mondhauptstadt Luneville aus dem staubgrauen Mondboden. CONTROL meldete sich und wies dem Jet Landeplattform 45 zu. Während das Raumboot langsam der Plattform entgegen sank, musterten Nomo und Tom die sie umgebende Anlage genau. Hier und da konnte man noch Schäden feststellen, die von dem nun schon Monate zurückliegenden Angriff der Noraki stammten. Doch im Großen und Ganzen hatten die Reparatur- und Instandsetzungstrupps ganze Arbeit geleistet. Mehr konnten die beiden Männer jedoch nicht erkennen. Sanft hatte die SILVERJET auf der Plattform aufgesetzt und sofort begannen sich die beiden Hälften des kuppelförmigen Druckschotts über dem Raumfahrzeug zu schließen. Scheinwerfer flammten auf und erhellten die Szenerie. Nachdem der riesige Schott luftdicht verschlossen war, fluteten gewaltige Pumpen den entstandenen Hohlraum mit Atemluft. Als die Druckanzeige eine Atmosphäre anzeigte, sank die Plattform samt Raumboot nach unten ins Innere des hier großflächig ausgehöhlten Mondbodens hinab. Unten angekommen übernahm die automatische Steuerung des Hangar- und Werftbereiches. Traktorstrahlen griffen nach dem Ellipsoid und zogen es durch riesige Leitschächte und Tunnel hindurch bis zu seiner endgültigen Parkposition, umringt von den riesigen, scheibenförmigen Schiffskörpern der TESECO- Einsatzschiffe. Der Crewmaster und sein Defenser bedankten sich bei den beiden Piloten, dann verließen sie eilig den Jet. Sie begaben sich auf dem kürzesten Weg zur Station der LUNAR TRAVEL TUBE. Dort mussten sie nicht lange auf eine Kabine warten. Kurze Zeit später waren sie schon mit Überschallgeschwindigkeit unterwegs zum HQ TESECO, welches sich in Kuppel 7 von Luneville befand, am TESECO- Plaza Nr. 1. Dort angekommen, strebten sie dem Bereitschaftscenter im dritten Stockwerk zu. Das Center war eine riesige Halle, mit vielen bequemen Sitzgruppe und einer Reihe großer Monitore an den Wänden. Hier trafen sich die Crews, wenn es auf einen neuen Einsatz ging. Displays listeten die Schiffe mit Startzeit, Order- Kennzahl und Ziel auf, sofern dieses nicht der Geheimhaltung unterlag. In dem Fall erschien statt einer Zielangabe nur eine Reihe kryptischer Symbole. Eine Durchsage tönte aus unsichtbaren Lautsprechern durch das Center. 

Die ASGARD ist nun startbereit“, klang es da, „Die Besatzung der ASGARD wird gebeten, sich umgehend nach PORT TESECO, Boardingstation C 232 zu begeben.“ 

Tom wusste, dass nun irgendeine Crew gemeinsam aufbrechen und mittels LTT zur angewiesenen Station fahren würde, um ihr Schiff zu bemannen. Prozeduren wie diese wurde hier rund um die Uhr und am laufenden Band durchgeführt. Er und Nomo grüßten hin und wieder die hier im Bereitschaftscenter arbeitenden Mitarbeiter, denn natürlich kannte man sich über die Jahre hinweg. Die beiden Männer steuerten einen Bereich im Center an, wo sich die PRINCESS- Crew für gewöhnlich vor ihren Einsätzen zu treffen pflegte. Ihr Stammplatz sozusagen. 

Schon bald erblickten sie die ihnen wohl bekannten Gesichter der Kolleginnen und Kollegen. Und auch diese erspähten die Gestalten ihres Crewmaster und des Defensers recht bald. Freudig sprangen sie von ihren bequemen Sitzen auf und kamen Nomo und Tom entgegen. Einzig Glenn Stark blieb vornübergebeugt, mit den Ellbogen auf seinen Oberschenkeln und die verschränkten Hände unter seinem Kinn, sitzen. Dazu trug er einen äußerst düsteren Gesichtsausdruck zur Schau, was Tom mit einigem Stirnrunzeln bemerkte. Doch zunächst begrüßte er die anderen Crewmitglieder in aller Herzlichkeit. Als er Hanne Arminos umarmte, schniefte diese heftig. Tom setzte eine betont gerührte Miene auf.

Ach, ist das nicht schön?“, sagte er in gespielter Bewegtheit. „Schaut euch nur Hanne an: seht ihr, wie zutiefst bewegt sie ist, ihren Commander wiederzusehen? Das ist noch echte Kameradschaft!“

Und zu der braunhaarigen Griechin sagte er:

Aber du brauchst doch wirklich keine Freudentränen zu vergießen, liebste Freundin!“

Nilde nir nboß nks ein, nu ngeblneder Affne!“, schimpfte die Astronavigationsspezialistin unter dem Gelächter der anderen.

Kine Dräne wünde ch din nchweimen! Ch hane nir noß enen Nupfen ngefngen!“

Na, wenn das so ist“, meinte Tom mit bedauerndem Unterton.

Aber die rote Nase steht dir wirklich gut! Autsch!“

Hanne hatte ihm dafür kräftig in die Seite geboxt, was wiederum für herzhaftes Gelächter bei den Kollegen sorgte.

Lass gut sein, Chef“, meinte Harriet James, die Computerspezialistin. „Sie hat schon schlechte Laune genug. Außerdem bin ich an allem schuld, laut Hanne. Schließlich hatte ich sie zu der Wandertour überredet.“

Na winn ich meimen!“, kommentierte diese die Äußerung ihrer Kollegin prompt.

Das werden wir an Bord ausdiskutieren“, sagte Tom schmunzelnd.

Aber jetzt geht schon mal vor zum Büro von GM Reed. Sie wollte uns persönlich instruieren, zumal sie uns ja auch außerplanmäßig aus dem Urlaub geholt hatte. Ich möchte noch kurz mit Glenn unter vier Augen reden!“

Der Crewmaster wartete, bis Nomo, Roy, Harriet, Hanne und Karin den Bereich um die Sitzgruppe verlassen hatten, dann ging er hinüber zu dem immer noch dumpf vor sich hin brütenden Glenn und setzte sich neben ihn auf die Couch.

Alter, was ist los mit dir?“, fragte er seinen Kollegen und langjährigen Freund. 

Meine Sache!“, brummelte der unfreundlich vor sich hin.

He, so kenne ich dich ja gar nicht!“, sagte Tom, wobei er sich den Ärger über die schroffe Abfuhr nicht anmerken ließ.

Irgendetwas stimmt nicht und ich würde gerne wissen, was da los ist.“ 

Will nicht darüber reden“, wiegelte der schlanke Kanadier schroff ab.

Freund, so geht das aber nicht!“, sagte Carna daraufhin in wesentlich strengerem Tonfall als zuvor.

Als dein Freund sorge ich mich um dich, denn eine wüste Schlägerei in irgend einer zwielichtigen Spelunke, dass passt einfach nicht zu dem ruhigen und besonnenen Mann, als den ich dich kennen und schätzen gelernt habe. Es muss also irgendetwas geschehen sein, was dich aus der Bahn geworfen hat. Vielleicht kann ich dir, können wir dir ja helfen, aber dazu musst du schon mit der Sprache rausrücken, was vorgefallen ist!“

Er schaute seinen Submaster aufmerksam an, der ihm mehr denn je wie ein Häufchen Elend vorkam. Glenn hob seinen Kopf und starrte nun seinerseits Carna aus müden, mit tiefen Schatten unterlegten Augen entgegen.

Sonst noch was?“

Die Bemerkung sollte wohl gleichgültig klingen, aber Carna hörte deutlich ein Zittern aus den Worten heraus, wie es vorkommt, wenn jemand verzweifelt darum bemüht ist, seine Fassung zu bewahren.

Allerdings, Glenn“, gab der Commander zur Antwort.

Als dein Crewmaster muss ich dir nämlich mitteilen, dass du ernsthafte Konsequenzen für dein Verhalten in Venucity zu erwarten hast, wenn du nicht irgendwelche Gründe zu deiner Entlastung vorlegst. Auf jeden Fall bekommst du eine Rüge in deine Personalakte eingetragen. Es steht außerdem deine Suspendierung vom aktiven Dienst im Raum. Schlimmstenfalls könnte es sogar um deine Entlassung aus TESECO gehen. Als rück' jetzt verdammt nochmal mit der Sprache heraus. Ich will wissen, ob ich dich mit in den Einsatz nehmen kann, oder ob wir einen neuen Submaster zugewiesen bekommen!“

Glenn hielt dem Blick des Commanders nur einen kurzen Moment stand. Dann ließ er den Kopf wieder hängen und seine Schultern sackten kraftlos nach unten. Ein tiefer Seufzer entrang sich seinen Lippen.

Tanya hat mich verlassen“, sagte er dann mit so leiser und kraftloser Stimme, dass Carna Mühe hatte, das Gesagte zu verstehen.

Wie ...?“, entgegnete er erschrocken, denn er konnte kaum glauben, was Glenn da soeben zu ihm gesagt hatte.

Tanya? Du liebe Güte, Glenn ...aber ...wieso?“

Der dunkelhaarige Kanadier zuckte nur müde mit seinen Schultern. Als er wieder seinen Kopf hob, konnte Carna sehen, dass in seinen Augen Tränen schimmerten.

Sie hat gesagt, dass sie nun zu den 'Kindern der Sterne' gehen würde, weil sie dort ihre neue Bestimmung gefunden hätte“, sagte er traurig. „Und dann war sie weg – einfach so!“

Tom lehnte sich zurück und auf seinem Gesicht spiegelte sich eine Mischung aus ungläubigem Erstaunen und Verständnis für den Freund und Kameraden wieder.

Nach all den Jahren?“, sagte er und konnte das Gehörte immer noch nicht so richtig fassen. „Und dabei hatte sie doch noch vor unserem letzten Einsatz von Hochzeit gesprochen! Und sie ist zu dieser neuen Sekte gegangen, sagt du?“ 

Glenn nickte und wischte sich dann mit dem Handrücken die Tränen aus den Augen.

Ja, Tom“, bestätigte er nochmals. „Diese neue Sekte, von der auch schon so oft in den Nachrichten berichtet wurde. Ausgerechnet die 'Kinder der Sonne“. P-Sec ermittelt gegen die, wusstest du das?“

Ich glaube ja, Glenn“, sagte dieser. „Da gab es vor kurzem ein Memo dazu, in der alle aktiven Agenten aufgefordert wurden, Erkenntnisse, gleich welcher Art, die im Zusammenhang mit dieser Sekte stehen, an die zentrale Ermittlungsstelle bei P-Sec Centerra weiterzuleiten.“

Und wegen diesen ...diesen universellen Spinnern hat mir Tanya den Laufpass gegeben. Sang- und Klanglos. Schnipp – und weg, nach fast fünf Jahren!“

Die letzte Worte Glenns klangen verbittert und brachten so zum Ausdruck, wie tief in der Entschluss seiner Lebensgefährtin getroffen hatte.

Da hat was in mir ausgetickt, Tom. Ich musste einfach raus und als es in Venucity zu dieser Schlägerei kam, habe ich mir meinen ganzen Frust vom Leib geprügelt. Kannst du das verstehen?“ 

Oh ja, Glenn!“, sagte Tom mitfühlend. „Jetzt verstehe ich dich vollkommen. Hölle und Kometen, wenn Nomo mir aus heiterem Himmel mitteilen würde, so das war’s und Tschüss! - ich glaube, ich wüsste auch nicht mehr, was ich dann tun würde!“

Beide Männer schwiegen kurz. Glenn hing einfach seinen Gedanken nach, während Tom die Konsequenzen aus dem eben Gehörten durchdachte.

Ich denke, dass können wir wieder einrenken, alter Freund“, sagte er dann und klopfte dem Crewmaster kameradschaftlich auf dessen Schultern. „Um die Rüge wirst du nicht herum kommen, aber wenn ich mit GM Reed gesprochen habe, dann werden die anderen Maßnahmen vom Tisch sein.“

Da wäre ich sehr erleichtert, Tom“, gestand Glenn ein. „Das alles hat mich noch zusätzlich belastet. Du glaubst gar nicht, wie peinlich mir der Zwischenfall auf der Venus ist!“

Kopf hoch, Glenn!“, rief Carna. „Es wird schon wieder. Und jetzt bring dein Make Up wieder in Ordnung, wir müssen zu den Anderen. Die warten schon im Vorzimmer von unserer Chefin.“

Glenn nickte und folgte seinem Freund und Vorgesetzten, wobei ihm anzumerken war, dass er sich nun wesentlich erleichterter fühlte, als vor dem Gespräch. Und als die beiden einige Minuten später ins Vorzimmer des Büros von Generalmanagerin Kate Reed, welches im 25. Stockwerk des HQ TESECO angesiedelt war, traten, brachte er sogar schon wieder ein Lächeln zu Stande, wenn es auch noch etwas schmal ausfiel.

Dort wurden sie bereits von den anderen erwartet. Der Umstand, dass sich alle gegenseitig schon über viele Jahre hinweg gut kannten, führte dazu, dass keiner groß nachfragte, warum Tom und Glenn erst jetzt zu ihnen stießen und was sie in der Zeit bis dahin gemacht hatten. Glenn nahm dies mit Erleichterung zur Kenntnis und Tom, der eine fragend hochgezogene Augenbraue bei Nomo entdeckte, nickte diesem nur kurz lächelnd zu, womit das Thema auch schon erledigt war.

Hallo Engin!“, begrüßte der Crewmaster nun den persönlichen Sekretär von Generalmanagerin Reed, Engin Ültay. „Wir haben uns ja jetzt schon ein ganzes Weilchen nicht mehr gesehen. Geht es Ihnen gut?“

Oh, Danke der Nachfrage, Tom“, antwortete der Sekretär mit einem breiten Lächeln. „So, wie ich von ihren drei Damen angeschmachtet werde, kann es mir ja gar nicht schlecht gehen“, fügte er dann noch augenzwinkernd hinzu, was bei Karin, Harriet und Hanne zu einer leichten Rotverschiebung ihrer Hautfarbe führte. 

Aber wer wollte es denn den Dreien auch verdenken. Engin Ültay war einer der bestaussehendsten Männer in der ganzen TESECO. Schlank, sehr athletisch und wohl proportioniert. Schwarze, glänzende Haare, ein buschiger Schnauzbart der gleichen Farbe, warme, braune Augen in einem ausnehmend hübschen wie ebenmäßigen Gesicht, das immer auf anziehende Weise zu lächeln schien. Ledig und ungebunden, war er der offene oder heimliche Schwarm vieler Frauen und Männer in der Organisation. Auch Tom musste insgeheim für sich zugeben, dass er ihn wohl kaum von der Bettkante schubsen würde, sollte dieser unwahrscheinliche Fall eintreten. Aber da würde Nomo noch ein gutes Wörtchen mitzureden haben.

Na, dann wird es wohl besser sein, wir gehen zur Chefin rein, wenn Sie schon Zeit für uns hat“, meinte Carna schmunzelnd. „Nicht, dass uns unsere drei Schönen hier noch vorher weg schmelzen!“

Diese Bemerkung brachte ihm drei finstere Blicke vom weiblichen Teil der Besatzung ein.

Dann gehen Sie mal besser zur Generalmanagerin hinein“, sagte Ültay lachend und berührte einen Sensor, der das Schutzfeld vor der Tür zu GM Reeds Büro deaktivierte.

Die siebenköpfige Crew der PRINCESS II ging gemeinsam auf die Bürotür zu, welche sich nahezu lautlos vor ihnen zur Seite schob und den Weg in den Raum dahinter freigab. Dort bot sich ihnen das gewohnte Bild. Gleich rechts, neben dem Eingang befand sich eine große Sitzgruppe, bestehend aus einer geschwungenen Eck- Couch, einem niedrigen Glastisch und drei bequemen Sesseln, die wie die Couch aus beigefarbenen Leder gefertigt war. Links neben dem Eingang hatte der riesige, halbrunde Schreibtisch der Generalmanagerin seinen Platz gefunden. Der Eingangstür gegenüber, an der leicht nach innen gewölbten Wand, war eine wandgroße Monitorlandschaft zu bewundern. Diese konnte ihn X-verschiedene Einzelbildflächen aufgeteilt, oder zu einem einzigen Bild zusammen geschaltet werden und das alles in plastischer, gestochen scharfer 3-D- Wiedergabe. Mehrere große Grünpflanzen rechts und links am Rand der Monitorwand lockerten die Einrichtung des Arbeitszimmers ein wenig auf. Den Boden bedeckte ein hellblauer, mittelfloriger Teppich, der so geformt war, dass er wie ein kleiner Teich auf den Besucher wirkte. Tom wusste als einer der wenigen, dass es darunter verborgen den Einstieg zu einem Notfluchttunnel gab. Ebenfalls kaum sichtbar präsentierte sich der haarfeine Umriss einer Tür an der linken Wand, gleich neben GM Reeds gewaltigem Schreibtisch. Diese Tür führte zu einem kleinen Ruheraum mit Hygienezelle, da die Generalmanagerin oftmals bis tief in die Nacht arbeitete und sich dann nicht mehr die Mühe machte, noch nach Hause zu fahren, um dort zu schlafen. Wahrscheinlich mit ein Grund, warum die knapp 43- jährige bisher keinen festen Freund oder Lebensgefährten hatte. 

Als die Crew eintrat, kam GM Reed hinter ihrem großen Schreibtisch hervor, um sie mit Handschlag zu begrüßen.

Hallo miteinander“, sagte sie mit herzlichem Lächeln. Ich hoffe, es nimmt mir niemand übel, dass ich sie so überraschend aus ihrem wohlverdienten Urlaub habe holen lassen!“

Anso, mnich hanen nie genettet!“, näselte Hanne mit verstopfter Nase, was die anderen zu einem herzhaften Lachen veranlasste, mit Ausnahme Harriets, die das alles ja völlig anders sah.

Hallo Kate“, begrüßte Karin die oberste Chefin TESECOS. „Ich glaube, meine Eltern waren froh, dass sie sich wieder ein wenig von meiner Koch- und Backwut erholen können.“

Aber dein Kuchen war wirklich ausgezeichnet, liebe Karin!“, meinte GM Reed liebenswürdig.

Nanu?“, wunderte sich der Commander. „Du? Haben wir da was verpasst?“

Wer mich derart mit frischem Selbstgebackenem verwöhnt, wie Karin, der hat sich das 'Du' redlich verdient“, erklärte GM Reed anstatt der deutschen Ingenieurin. 

Ich glaube, ich sollte backen lernen!“, meinte Nomo daraufhin lachend.

Nun, ich werde ihre Backkünste dann eingehend prüfen, Nomo“, antwortete Kate Reed.

Aber vorher sollten wir über Ihren bevorstehenden Einsatz reden. Wenn Sie bitte Platz nehmen möchten?“

Sie wies einladend auf die bequeme Sitzgruppe. Während die PRINCESS- Crew dort Platz nahm, ging die Generalmanagerin wieder um ihren Schreibtisch herum und setzte sich dort in ihren Sessel.

Ich werde Ihnen nun einen kurzen Film zeigen, der aufgenommen wurde, als der erste Suchtrupp unter Führung des TESECO- Kreuzers NEXUS den Planeten Greenwich ansteuerte“, erläuterte Generalmanagerin Reed, während gleichzeitig ihre Finger über das Display auf ihrem Schreibtisch vor ihr huschten. 

Das Licht im Büro dimmte sich ein paar Stufen hinunter. Auf der Monitorwand an der Stirnseite des Raumes schalteten sich viele einzelne Bild- und Datendisplays zu einem einzigen, großen Bild zusammen. Im Zentrum stand der noch winzige Ball eines Planeten. Die Sonne des Systems befand sich rechts außerhalb der Bildfläche, was man klar an der erleuchteten Hemisphäre erkennen konnte.

Sie alle wurden bei der Abholung kurz über das Enigma- System unterrichtet, in dem sich der Planet Greenwich befindet“, fuhr GM Reed mit ihren Erläuterungen fort.

Die genauen Koordinaten sind Negativ- Vektor OST, 6 zu 23 zu 15 zu 179 Lichtjahren.“

Und die Einsatzeinheiten haben bei ihrem Anflug wirklich nichts Ungewöhnliches feststellen können?“, wollte Carna noch einmal bestätigt wissen. 

Wie im Bericht schon erwähnt, Tom, da war nichts. Das System präsentierte sich als geradezu unheimlich ruhig.“

Auf der Projektionsfläche war der Ball des Planeten nun schon so weit angewachsen, dass man davon ausgehen konnte, dass die vorliegenden Aufnahmen bereits aus einer Orbitalposition heraus angefertigt wurden. Man sah einen in vielen, verschiedenen Grüntönen schimmernden, etwa erdgroßen Planeten, in dessen Atmosphäre die weißen Wolkenbänder ein verwirrendes Muster zeichnete. Harriet schaute fasziniert auf das sich ihnen bietende Bild.

Das ist also dieser geheimnisvolle Planet“, gab sie leise von sich.

Er sieht wunderschön aus. Kaum zu glauben, dass er ein finsteres Geheimnis haben soll!“

Wie so oft in unserem Metier mussten wir auch hier feststellen, dass harmlose und schöne Dinge doch oft tödlich für einen sein können“, sagte GM Reed ernst. „Sie werden das gleich selbst feststellen können, wenn Sie mit eigenen Augen sehen, was das Einsatzkommando dort vor Ort vorgefunden hat!“

Wie aufs Stichwort verschwand die Gesamtansicht des Planeten und dessen grüne Oberfläche schien nun rasend schnell auf den Betrachter zu zustürzen. Rasch tauchte ein kleiner, schwarzer Punkt in der Bildmitte auf, der binnen Minutenfrist zu einem deutlich erkennbaren Raumschiff wurde, den die Crewmitglieder als der Baureihe NE-GALAKTUS-ZETA-3 zugehörig identifizierten, also dem Typ, der von der Explorerflotte der AVEK überwiegend verwendet wurde. Als das Bild des Schiffes die gesamte Monitorfläche ausfüllte, wechselte die Darstellung. Eine kurze Einblendung erläuterte, dass die folgenden Aufnahmen von den Kameras stammten, die in die Einsatzkombinationen des Erkundungstrupps vor Ort integriert gewesen waren. Die PRINCESS- Crew verfolgte mit, wie das schweigende Explorer- Schiff von der NEXUS- Silverjet angesteuert wurde und wie der Erkundungstrupp unter dem Kommando Zabo Krakars langsam in die offen stehende Bodenschleuse der PLUTARCH eindrang. Zunächst sahen sie nur den menschenleeren Bereich des Schiffes, doch dann tauchten die ersten, toten Besatzungsmitglieder in der Bilderfassung auf. Karin Schröder stieß vor Schreck hörbar die Luft aus.

Auf den ersten Blick sieht nichts nach Gewaltanwendung aus“, meinte sie dann.

Auf den ersten Blick nicht“, sagte GM Reed zustimmend. „Aber achten Sie mal bei den folgenden Großaufnahmen auf die Köpfe der Toten und hier insbesondere auf den Stirnbereich!“ 

Wieder wechselte das Bild und die sieben Raumfahrer konzentrierten sich auf den von ihrer Chefin besonders hervorgehobenen Bereich.

Also, ihr könnt mich schlagen und treten, aber ich kann nichts erkennen!“, rief Harriet zweifelnd aus.

Stehst du seit neustem auf Sado- Maso- Praktiken, werte Kollegin?“, witzelte Roy. „Aber kannst beruhigt sein“, kam er einer Antwort der Kybernetikspezialistin zuvor. „Ich habe auch noch nicht herausgefunden, auf was genau GM Reed hinaus will!“

Nun war zu erkennen, wie die Besatzungsmitglieder der NEXUS die am Boden verteilt herumliegenden Toten näher untersuchten. Es dauerte nicht mehr lang bis zu dem Moment, in welchem Zabo Krakar, der Expeditionskommandant, die Schädeldecke des Mannes vor ihm in seiner Hand hielt. Das Bild des völlig leeren Schädelinneren ging einher mit vereinzeltem Aufstöhnen aus den Reihen der PRINCESS- Crew. Der Film lief noch einige Sekunden lang weiter, dann endete er. Auf der riesigen Monitorwand erschienen wieder mehrere verschiedene Displays und das Licht im Raum wurde auf normale Helligkeit zurückgefahren. Glenn Stark lehnte sich tief Luft holend zurück und schüttelte dann seinen Kopf.

Leute ...das war so ziemlich das fürchterlichste, was ich seit langem zu Gesicht bekommen habe!“, sagte er sichtlich erschüttert. Und auch in den Mienen der anderen Crewmitglieder stand deutlich das Entsetzen über das soeben Gesehene zu lesen. 

Roy kratzte sich nachdenklich am Hinterkopf.

Oh je“, sagte er, „Und dafür habe ich mich freiwillig aus dem Urlaub holen lassen? Da haben Sie ja mal wieder einen richtige harten Brocken für uns, Chefin!“

Sein Gesicht drückte alles andere als Freude aus, als er diese Feststellung aussprach.

Nun ja ...“, antwortete GM Reed etwas gedehnt, „Ich gebe zu, dass die Lösung dieses mysteriösen Falls bestimmt keine leichte Aufgabe sein wird. Aber wer außer Ihnen kann ansonsten Licht in dieses ...grüne Dunkel bringen?“

Eins muss man Ihnen lassen, Honig ums Maul schmieren, dass können Sie wirklich ganz hervorragend“, kommentierte der blonde Engländer diese Äußerung trocken.

Was glauben Sie denn, wie man sonst Chefin bei TESECO werden könnte?“, lachte die Generalmanagerin und auch die anderen Crewmitglieder konnten sich ein Schmunzeln nicht verkneifen. 

Also, wie sieht es aus?“, fragte sie dann, schnell wieder ernst geworden. „Kann ich bei diesem Auftrag auf ihre Mitarbeit zählen?“

Tom Carna nahm sich einen Moment Zeit, um ihr auf diese Frage zu antworten. Rasch nahm er Blickkontakt zu seinen Leuten auf und konnte in deren Augen nur stumme Zustimmung herauslesen. Er nickten den Sechs kurz dankend zu.

Von uns aus geht die Sache klar, Chefin“, wandte er sich dann wieder an Kate Reed. „Wann sollen wir starten?“

Als Startzeitpunkt ist 16.00 Uhr lunarer Standard- Zeit vorgesehen“, antwortete diese mit deutlich hörbarer Erleichterung in ihrer Stimme.

Mein Sekretär wird Ihnen draußen noch einen Speicherkristall mit den Missionsdaten überreichen. Falls außerdem noch Rückfragen nötig sein sollten, gleich welcher Art, ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung!“

Jederzeit?“, echote Nomo breit grinsend.

Und wenn uns was zu nachtschlafender Zeit einfallen sollte? Dürfen wir dann...“ 

Er kam nicht mehr dazu, seine Frage zu Ende zu bringen, denn plötzlich flackerte das Licht im Büro und die Monitorwand erlosch. Fast gleichzeitig war auch das ferne Grollen einer starken Explosion zu hören, in der nächsten Sekunde schaurig untermalt von schrill aufheulenden Alarmsirenen. Unvermittelt klang eine automatische Durchsage aus unsichtbaren Lautsprechern auf.

Sicherheitsalarm ROT – Sicherheitsalarm ROT – Sicherheitsdienst sofort in das Bereitschaftscenter. Achtung: Medizinisches Personal sofort in das Bereitschaftscenter. Sicherheitsalarm ROT!“

Ein akustisches Signal lenkte die Aufmerksamkeit der Crew und Kate Reeds auf den großen Schreibtisch. Ein Fingerdruck der TESECO- Leiterin aktivierte das ins Pult integrierte COM- Terminal. Sie blickte in das ernste Gesicht von Chief-in-Charge Alma Wett, Chefin des organisationsinternen Sicherheitsdienstes.

GM Reed hier, ich höre?“, meldete sich die Generalmanagerin knapp.

Eine Explosion im Bereitschaftscenter, Liftgruppe 4. Die automatische Detektion ortete ein verdächtiges Gepäckstück in Händen eines bisher noch nicht identifizierten Individuums. Auf Ansprache des automatischen Systems ließ die Person das Gepäckstück, einen Handkoffer, soweit wir bis jetzt wissen, fallen und ergriff die Flucht“, berichtete die Australierin.

Beim Bergungsversuch des Handkoffers erfolgte die Explosion. Es gab einen Toten und drei Schwerverletzte.“

Und der Attentäter?“

Er wurde im Not- Treppenhaus von mehreren Paralysestrahlen voll erwischt. Dabei stürzte er so unglücklich, dass er sich das Genick brach. Die Leiche wird im Moment zu den kriminaltechnischen Labors im Basement verfrachtet. Wir hoffen, in Kürze Auskunft über die Identität des Verstorbenen zu erhalten. So weit die derzeitige Lage.“

 

Können Sie schon Aussagen über das Ziel der Person treffen?“, erkundigte sich die TESECO- Chefin besorgt.

Mit Sicherheit PORT TESECO. Er hatte einen gefälschten Technikerausweis bei sich, sowie ein Datenpad mit den Boardingstationen mehrerer Schiffe. Da wären die MADAME, die ORANCA, die BETH- LEHEM, die PRINCESS II, die JUPITER XXX...“ 

Das genügt!“, unterbrach GM Reed die Auflistung des Chief-in-Charge. “Kommen sie zum persönlichen Rapport, wenn die Identität des Attentäters festgestellt werden konnte. Vielleicht sehen wir dann klarer!“

Alma Wett nickte kurz bestätigend und trennte die Verbindung. GM Reeds Aufmerksamkeit wandte sich wieder der PRINCESS- Crew zu.

Das verstehe wer will?“, sagte sie ratlos. „Ein Bombenattentat hier im HQ oder PORT TESECO? Das hat es ja noch nie gegeben!“

Was mir Kopfzerbrechen bereitet ist, dass sich auf der Liste des Unbekannten auch der Name unseres Schiffes befand!“

Du meinst doch nicht etwa, dass da ein Zusammenhang mit unserem bevorstehenden Start ins Enigma- System bestehen könnte?“, fragte Nomo zweifelnd.

Nun, merkwürdige Geschehnisse im Zusammenhang mit dem neu entdeckten System gab es ja schon genug“, erwiderte der Kommandant.

Malen Sie mir den Teufel nicht an die Wand!“, rief GM Reed.

Es sind genug Rätsel aufgetaucht. Fliegen sie los und lösen sie das Geheimnis der Pflanzenwelt, bevor noch mehr Unheil geschieht!“

Zu Befehl, Generalmanagerin“, gab Tom Carna zur Antwort und erhob sich. „Werden Sie uns informieren, wenn in der Anschlagssache neue Erkenntnisse vorliegen?“

Aber sicher doch, Tom“, sagte die TESECO- Chefin. „Sobald ich mehr weiß, kontaktiere ich sie. Versprochen!“

Nun denn, Leute, dann lasst uns aufbrechen!“, rief Carna seinen Leuten zu, die sich ebenfalls bereits von der Sitzgarnitur erhoben hatte.

Sie verabschiedeten sich alle noch von GM Reed, dann eilte die Crew hinunter zum LTT, um direkt weiter nach PORT TESECO fahren zu können, während sich ihre Chefin daran machte, sich einen genaueren Überblick über die Lage im HQ zu verschaffen. Allen gemeinsam war die Hoffnung, Licht ins Grün zu bringen.

 

 

***

 

Körperloses Raunen erfüllte die riesige, tief unter der Oberfläche verborgenen Erdhöhle. Jeder Winkel dieses großen Lebensbereiches war davon erfüllt.

Werden sie wiederkommen?“ 

Unausgesprochen und doch auf unbegreifliche Weise hörbar, schien diese Frage durch das Dämmerlicht zu schweben, losgelöst von allem körperlichen.

Ich frage dich, werden sie wiederkommen?“ 

Diesmal war der fragende Impuls, den DENKER EINS absandte, schon wesentlich dringender formuliert.

Und der Geistbruder antwortete.

Sie kommen wieder!“, lautete die stumme Antwort. Aber lass sie nur kommen.“

Grimmigkeit, ja Zorn schwang in den Impulsen mit, ausgesandt von DENKER ZWEI. DENKER EINS schien beunruhigt zu sein ob dieser Antwort.

Sie könnten uns verletzen. Erinnere dich, sie haben schon einmal Teile von uns verletzt.“

Ach was!“

Ärgerlich wischte DENKER ZWEI den Einwand seines Geistbruders beiseite.

Du bist zu weich, zu zaudernd. Diesmal sind wir gewarnt. Wir werden sie überraschen.“ 

DENKER EINS wehrte sich.

Ich bin nicht zu weich!“, protestierte er.

Und was du zaudern nennst, ist nur begründete Vorsicht.“

Du bist zu weich. Schluss. Ich werde aber nicht zulassen, dass sie uns wieder verletzen, wie vor unendlich vielen Lichtphasen. Damals waren wir noch nicht fähig zu begreifen, denn uns fehlte die Erfahrung. Wir waren jung, unser Denken gerade erst erwacht. Doch wir lernten und lernen. Wir werden stärker. Wir können uns wehren.“ 

Und trotzdem!“, wagte DENKER EINS einen schon fast trotzigen Widerspruch. „Unsere Erinnerungen an die Jugend und die fast völlige Auslöschung sind alt, verblasst, ungenau. Wir sind ja noch nicht einmal sicher, ob SIE es überhaupt sind. Die, die wir testeten, hatten nicht die geringste Spur der Grausamkeit von IHNEN. Sie sind IHNEN zwar ähnlich, aber doch sehen sie anders aus. Es sind keine grauen, aufrecht laufenden Separaten. Wir müssen sicher sein...“ 

Du und dein ewiges Zaudern, deine ewigen Einwände!“

Der Ärger, den DENKER ZWEI ausstrahlte, richtete sich jetzt gegen seinen Geistbruder.

Sie sind IHNEN ähnlich, kamen auch in fliegenden Gärten und sie besitzen auch das tötende Licht und können machen, dass wir einfach zu Staub zerfallen. SIE sind es, die uns peinigten...“

Ich widerspreche, denn es gibt keine Beweise, die...“

GENUG!“

Eine dritte, mächtigere Geistesstimme beendete den endlosen Disput von DENKER EINS und DENKER ZWEI.

So wahr ich der LENKER bin, es ist genug mit eurem sinnlosen Gerede. Ich habe eure Meinungen analysiert und meine Entscheidung gefällt. Wir werden handeln, wie es zu handeln an der Zeit ist, wenn es Zeit dazu ist, so wahr wir AISCHONGAN sind. Und nun – schweigt! Verbindet euch! Sammelt Kräfte für die nächste Begegnung!“ 

Das körperlose Raunen verstummte und es kehrte Ruhe in den riesigen, unterirdischen Dom ein.

 

 

                                    ***

 

Letzte Überprüfung der Systeme beendet“, meldete Glenn Stark in geschäftsmäßigen Ton und deaktivierte einige Displays auf seinem Arbeitspult. 

Wir können wie geplant in fünfzehn Minuten starten, Tom.“

Danke, Glenn“, antwortete der Crewmaster.

Und mit dir alles wieder klar?“, fügte er mit forschendem Blick hinzu.

Der smarte Kanadier lächelte schwach.

Alles klar, Tom. Ich komme schon klar. Die Arbeit ist jetzt sowieso das Beste, um mich abzulenken. Ich danke dir nochmals, dass du dich für mich bei GM Reed eingesetzt hast!“

Alter, dafür ist ein Crewmaster doch da“, antwortete Carna.  

Er nickte seinem Submaster noch einmal kurz zu und wendete sich dann an den funktechnischen Spezialisten am Pult der Kommunikationskontrolle, den Engländer Roy Anthony.

Roy?“

Commander?“

Melde unsere Startbereitschaft an CONTROL und erbitte um Startfreigabe und Plattformzuweisung.“

Wird gemacht, Chef!“

Mit flinken, geübten Fingern schaltete der blonde Mann aus dem südenglischen Southhampton eine Audioverbindung zum Kontrolltower von PORT TESECO.

PRINCESS II an CONTROL: Klarschiff zum Start. TESECO- Auftragsnummer 288-89-2231 Alpha- Priorität. Bitte Plattformzuweisung und Startfreigabe.“ 

Die Antwort kam ohne Verzögerung.

CONTROL an PRINCESS II: Alpha Priorität bestätigt. Sie haben Startfreigabe um 1700 Lunar- Zeit, Plattform 13. Automatische Überführung auf Startposition aktiviert. Countdown läuft ab...jetzt. Gute Reise. Ende mit PRINCESS II.“ 

Danke. Ende mit CONTROL.“

Roy schaltete ab.

Fast gleichzeitig zeigten Signale auf Carnas Pult an, dass die automatische Überführung auf die zugewiesene Startplattform begonnen hatte. Traktorstrahlen hoben den TESECO- Kreuzer aus seiner Startposition und bugsierten ihn ziemlich rasch durch das labyrinthische Gewirr der Stollen und Kavernen des hier weiträumig ausgehöhlten Mondgesteins.

Parallel dazu fuhr Karin vom technischen Leitstand aus die schiffsinterne Energieversorgung hoch. Der Haupt- Materie/Antimaterie- Reaktor wurde angefahren. Das kompakte Hochleistungsgerät erreichte innerhalb weniger Minuten seine volle Leistungsbereitschaft. Außerdem zündete die deutsche Technikerin die Fusionsreaktoren Eins und Zwei. Diese dienten im wesentlichen zur Versorgung der Defensiv- und Absorbersysteme. Solange diese die angebotene Energiemenge nicht vollständig aufbrauchten, luden sich automatische die Not- Speicherbänke. Die Fusionsreaktoren Drei und Vier wurden in Vorbereitschaft geschaltet, was im Bedarfsfall die sekundenschnelle Zündung ermöglichte. Als die zugewiesene Startplattform erreicht war, zeigten auch die Bereitschaftsanzeigen der drei Antriebssysteme volle Bereitschaft an. Zum einen gab es da den ANGRAV, dass Antigravitations- Impulstriebwerk, welches hauptsächlich im planetennahen Raum und für atmosphärische Flüge verwendet wurde. Die zweite Komponente bestand aus dem deGrelle, die Kurzform für deGrelle'schen Schwerefeldantrieb. Diesen setzte man für Flüge im interplanetaren Raum ein. Man konnte damit bei Bedarf bis zu 95 % der Lichtgeschwindigkeit erreichen. Als Hauptantrieb fand der so genannte MAWIB Verwendung. Das Mawitzel’sche Hyperenergie- Wandelaggregat machten den überlichtschnellen Raumflug erst möglich. 

Zuerst rissen die SUPRAGS, die Superraum- Aufrissgeneratoren, mittels eines Hyperfrequenten Stoßimpulses ein 'Loch' in den Hyperraum. Sofort floss dann übergeordnete Energie in speziellen Röhrenfeldern zu den MAWIB- Komponenten ab. Wenn dieser dann seine Arbeit aufnahm, konstituierte sich ein Permanent- Aufriss. Die aus dem Hyperraum abgezogene Energie wurde durch mehrerer Hyperkristall- Schwingkreise moduliert und sodann den SEHD- Projektoren zugeleitet. Diese spannen ein Supraenergetisches Hyperdimfeld um das Schiff, welches dadurch in die Lage versetzt wurde, in den Hyperraum zu wechseln. Durch gezielte Feldmanipulationen konnte man dann in der Feldstruktur 'Fremdheitspunkte' manifestieren, Unregelmäßigkeiten im das Schiff umgebenden SEHD- Feld. Der Hyperraum 'trachtete' dann danach, diesen Fremdkörper wieder auszustoßen. Und dieser Abstoßungsimpuls war es, der die Schiffe dann durch das übergeordnete Kontinuum mit Überlichtgeschwindigkeit auf ihr Ziel zu trieb. Moderne Schiffe wie die PRINCESS II erreichten dadurch eine momentane Höchstgeschwindigkeit von knapp fünfzehn Lichtjahren pro Tag, was einer Strecke von zirka 0,625 Lichtjahren in der Stunde entsprach. Man konnte also die rund 4,5 Lichtjahre entfernte Sonne Proxima Centauri in gut 7,5 Stunden erreichen.

Die PRINCESS II hatte nun Plattform 13 erreicht. Die Traktorfelder fixierte das Schiff mit dem diskusförmigen Grundkörper genau in der Mitte der Plattform. Nachdem dies geschehen war, hoben mächtige Hydraulikpressen den TESECO- Kreuzer samt Plattform nach oben. Nur kurz darauf war über die Außenübertragungssysteme zu hören, wie sich die Dichtungswülste der Plattform mit einem satten Schmatzen gegen die Basis der mächtigen Druckkuppel pressten, als sie ihren oberen Haltepunkt erreicht hatte. Das Schiff befand sich jetzt in einer halbkugelförmigen, gegen die inneren Anlagen PORT TESECOS hermetisch abgedichteten Kuppel. Deren Entlüftungsanlagen erwachten mit tosendem Gebrüll, das jedoch mit zunehmendem Vakuum rasch schwächer wurde. Bereits nach zwei Minuten war der das Schiff umgebende Raum völlig luftleer. Bei Countdown minus Zwei Minuten begannen die beiden Kuppelhälften in gespenstischer Lautlosigkeit langsam zur Seite zu sinken. Gleich darauf befand sich über der PRINCESS II nichts mehr als der schwarze Himmel über der Mondoberfläche.  

Exakt bei 'Null' hob das Schiff langsam und in einer durchaus eleganten, fließenden Bewegung ab und strebte immer schneller werdend, den fernen Lichtpunkten der Sterne entgegen. Auf den Bildschirmen der sieben Arbeitsbereiche, sowie im Kugelholo vor dem Pult des Kommandanten wurde rasch die Mondkrümmung sichtbar und auch PORT TESECO und das nahe Luneville waren gut zu erkennen. Auch in der Mondhauptstadt sah man noch die Schäden des Noraki- Angriffs Monate zuvor. Aber auch hier war ein Heer an emsigen Arbeitern und Robotern damit beschäftigt, diese Spuren so rasch wie möglich vom Antlitz des Mondes zu tilgen. Bei dem Tempo, welches sie vorlegten, würde bereits in wenigen Wochen nichts mehr davon zu sehen sein.

Das Bild schrumpfte in dem Maß, in dem sich das Schiff vom Mond entfernte, der innerhalb von wenigen Minuten nur noch ein heller Lichtfleck vor schwarzem Hintergrund geworden war.

Der TESECO- Kreuzer stach nahezu senkrecht aus der System- Ekliptik heraus, vom deGrelle immer stärker beschleunigt, bis es fast 80 Prozent der Lichtgeschwindigkeit erreicht hatte, ein Idealwert für den Eintritt in den Hyperraum. Jede Geschwindigkeit darunter bedeutete eine höhere Belastung und einen höheren Energieaufwand für alle Komponenten des MAWIB- Komplexes. Da eine niedrige Geschwindigkeit die Aggregate also über die Maßen beanspruchte, wandte man eine solche Vorgehensweise nur in Notsituationen an. Etwa dreißig Minuten nach dem Start aktivierte Karin Schröder die MAWIB- Komponenten. Die SUPRAGS luden sich auf, um dann mit einem hochenergetischen, auf einem Schlag freigesetzten Energieimpuls die Aufrisszone zum Hyperraum zu etablieren. Der MAWIB wandelte die abgeleitete Energie um, leitete sie in die SEHD- Projektoren und innerhalb von fünfzehn Sekunden verschwand die PRINCESS II im grau- violetten und konturlosem Wallen jener Existenzebene, die bis heute von den Wissenschaftlern noch nicht vollständig erforscht und zu erklären war. Das Enigma- System befand sich 179 Lichtjahre von Sol entfernt. Für diese Strecke hatte der Commander eine Fahrtzeit von sechzehn Tagen angesetzt. Das bedeutete eine Geschwindigkeit von gut elf Lichtjahren am Tag, womit die Höchstgeschwindigkeit der PRINCESS II nicht voll ausgereizt wurde. Dafür bestand ja auch keine Notwendigkeit und es hatte den zusätzlichen Effekt, dass die Aggregate des Schiffes im optimalen Auslastungsbereich arbeiten konnten. An Bord des Schiffes kehrte mit dem Eintritt in den Hyperraum die Routine ein. Aufregend würde es noch früh genug werden. 

 

                                    ***

 

 

Die neuen Systeme sind wirklich ganz große Klasse!“, schwärmte Karin, die neben Tom am Ausgabeschalter der Bordküche stand.

Effektiv, leise und sie schnurren wie kleine Kätzchen“, fügte sie mit glänzenden Augen hinzu. 

Tom Carna teilte die Begeisterung der Technikspezialistin uneingeschränkt.

Ist schon eine großartige Leistungssteigerung, die unsere Techniker und Wissenschaftler da hingebracht haben“, sagte er.

Fast fünf Lichtjahre mehr am Tag zurücklegen zu können, das ist schon ganz enorm. Ich bin schon darauf gespannt, wie es sein wird, wenn die das Projekt „Distanzsprung“ testen werden.“

Ach du meinst, das neuartige Transportsystem, an dem sie tüfteln?“, fragte Karin. „So weit ich weiß, wird da noch einiges an Zeit vergehen, bis man überhaupt an die erste, praktische Erprobung gehen kann. Aber das wäre schon was, mehrere Lichtjahre mit einem einzigen Sprung praktisch in Nullzeit zu überbrücken!“

Sie hatte glänzende Augen bei dieser Vorstellung bekommen. Doch bevor sie sich ganz in technischen Fantasiewelten verlieren konnte, öffnete sich die Klappe der automatischen Bordküche und ihr Essen schob sich auf einem Tablett daraus hervor: Salat- Teller mit Putenstreifen und eine Quarkspeise. Sie packte ihr Tablett und setzte sich dann neben den Commander, der sich schon über seine Terrine mit dampfender Gulaschsuppe hermachte.

Sag mal, Karin, wollte Hanne nicht vorhin zusammen mit dir in die Messe zum Essen kommen?“, erkundigte sich Carna, nachdem die blonde Frau sich gesetzt hatte.

Doch, eigentlich schon“, antwortete sie kopfnickend. 

Aber auf dem Weg hierher hat sie es sich anders überlegt. Sie fühlte sich nicht besonders und wollte sich ein paar Tabletten aus dem Medocenter besorgen und sich ein Weilchen hinlegen. Ihre Erkältung will und will einfach nicht besser werden.“

Ja ja“, meinte Carna versonnen, während er mit dem Löffel in der heißen Gulaschsuppe rührte, um sie abzukühlen.

Diese verfluchten Grippeviren. Die sind wohl das einzige, was unsere Mediziner nicht so recht in den Griff bekommen. Krebs, AIDS – all das können wir heilen. Organe werden nachgezüchtet und Implantate lassen Blinde wieder sehen, Taube wieder hören. Doch gegen die Grippe kommen wir einfach nicht an.“ 

Karin nickte beipflichtend dazu.

Diese Viren- Biester ändern so schnell ihre Struktur und Eigenschaft, dass man fast glauben könnte, die sind intelligent!“, seufzte sie und machte ein betrübtes Gesicht.

Kaum sind neue Mittel auf dem Markt, sind sie auch schon wieder überholt.“

Und genau das bereitet mir Sorgen“, meinte Carna.

Wenn ich nachher in meine Kabine gehe, kann ich ja noch mal bei Hanne vorbei schauen, um zu sehen, wie es ihr geht“, schlug Karin vor.

Gute Idee!“, stimmte der Crewmaster dankbar zu.

Ich hoffe, sie fühlt sich dann schon wieder ein wenig besser. Falls nicht, soll sie einfach im Bett liegen bleiben und sich auskurieren. Wir kommen schon zurecht.“

Alles klar, Tom. Ich gebe dir dann kurz Bescheid. Wo finde ich dich? In deiner Kabine?“

Nein, ich muss noch mal kurz hoch in die Kommandozentrale. Danach werde ich allerdings in meiner Kabine sein, noch ein bisschen lesen und mich dann aufs Ohr hauen.“ 

Die beiden TESECO- Agenten beendeten in Ruhe ihre Mahlzeit. Dann erhoben sie sich von ihren Plätzen und stellten nacheinander ihre Tablett mit dem schmutzigen Geschirr in das Aufnahmefach des Reinigungsautomaten. Anschließend verließen sie zusammen die Bordmesse, die sich zusammen mit Küche, Medostation, medizinischem Labor und den Tiefschlafzellen auf dem B- Deck des Schiffes befand.

Während Karin die nach unten gepolte Hälfte des zentralen Antigravlifts benutzte, um ein Deck tiefer ihre auf dem C- Deck gelegene Kabine aufzusuchen, ließ sich Carna von der nach oben gepolten Hälfte zurück in die Kommandokanzel tragen. Er hielt sich dort noch keine fünf Minuten auf, als sich auch schon Karin über Bordsprechanlage bei ihm meldete.

Tom, ich bin in Hannes Kabine“, rief die junge Deutsche mit erschreckt klingender Stimme. „Es geht ihr gar nicht gut! Sie hat hohes Fieber, ihre Stirn glüht richtig! Und ansprechbar ist sie auch nicht. Ich fürchte, sie muss schnellsten in eine Klinik eingeliefert werden!“

Du liebe Güte!“, entfuhr es dem Crewmaster besorgt wie erschrocken zugleich. „Ich schicke dir Nomo runter. Schafft Hanne rüber in die Medostation, dort ist sie am besten aufgehoben, bis wir uns Klarheit darüber verschafft haben, was wir als nächstes tun werden!“

OK, Tom“, bestätigte Karin kurz.

Carna nickte seinem Freund und Mannschaftskameraden zu, der sogleich vom Pult des Defensers aufsprang und zum Lift hinüber lief, um sich nach unten tragen zu lassen.

Himmel, wo soll ich so schnell hier draußen einen Arzt oder ein Krankenhaus her bekommen“, sagte Carna sorgenvoll zu den in der Kanzel verbliebenen Crewmitgliedern Harriet James und Glenn Stark.

Vielleicht hätte ich da eine Idee, Tom“, meldete sich Harriet zu Wort.

Schiess los!“, wurde sie vom Commander aufgefordert.

Ich bin hier zwar nicht die Astronavigationsspezialistin, aber ich meine mich zu erinnern, dass wir in etwa drei Stunden einen Transitpunkt der großen Raumfahrtgesellschaften passieren werden“, erklärte die schlanke Südafrikanerin.

Dort befindet sich üblicherweise eine Transitstation, in diesem Fall die HYPERSTAR XIII. Auf solchen Stationen gibt es in aller Regel hervorragend ausgestattete Medozentren.“

Harriet, Goldschatz, du hast recht!“

Carna fiel sichtlich ein Stein vom Herzen.

Die Transitstation! Das ist die Möglichkeit!“

Er ging zu seinem Kommandopult und ließ sich in den Sessel dahinter fallen.

Glenn, da Roy noch Freiwache hat, wirst du dich um die Kommunikation kümmern!“, sagte er zu seinem Submaster.

Wenn es weiter nichts ist“, erwiderte dieser. „Schaffe ich doch mit links!“

Gut. Dann Funkspruch an HQ. Schildere unsere Situation und bitte darum, dass auf HYPERSTAR XIII alles für unsere Ankunft vorbereitet ist. Die Aufnahme von Hanne muss schnell gehen, denn ich möchte unnötige Verzögerungen unseres Auftrags vermeiden. Wenn vom HQ aus bereits alles abgeklärt ist, haben wir es dann entsprechend leichter. Alles klar?“

Klar wie kalter Kakao“, kam die Rückmeldung des Kanadiers.

Bin schon bei der Arbeit.“

Carna hatte unterdessen Harriet angewiesen, die Kursänderung für den Flug zur Transitstation zu berechnen. Während sie sich an ihre Aufgabe machte, kam Nomo aus der Krankenstation zurück.

Wie geht es Hanne?“, erkundigte sich Tom bei dem Afrikaner.

Der wiegte bedächtig seinen Kopf mit den kurzen, schwarzen Kraushaaren.

Nicht gut, fürchte ich“, sagte er mit ernster Stimme.

MeDoc untersucht sie gerade.“

'MeDoc' war das automatische Untersuchungs- und Behandlungssystem des Schiffes.

Tom Carna kam nicht dazu, auf Nomos Worte einzugehen, denn schon meldete sich Glenn zu Wort, der Antwort vom TESECO- Hauptquartier erhalten hatte.

Ich habe die Bestätigung vom HQ empfangen“, informierte er den Commander.

Man wird die Transitstation umgehend unterrichten. Außerdem wies man uns an, dort einen Ersatzmann für unsere erkrankte Hanne an Bord zu nehmen.“

Einen Ersatzmann?“

Carna schien überrascht zu sein und zog zugleich seine Stirn in sorgenvollen Falten kraus.

Ja, Tom“, bestätigte Glenn und er wirkte nicht minder besorgt. 

Man ist im Einsatzstab wohl der Ansicht, dass es angesichts der ungeklärten Lage auf Greenwich wohl besser ist, dort in kompletter Mannschaftsstärke anzurücken“, erläuterte er die soeben erhaltene Anweisung aus dem HQ TESECO weiter. 

Der Name des Mannes ist übrigens Hiiol, Gareth Hiiol. Ein freier Astronavigationsspezialist, der wohl auch schon mal für unseren Verein gearbeitet hat. Weitere Informationen werden wir auf der Station bekommen. Das war alles.“

Mir reicht das auch schon!“, meinte Carna leicht mürrisch.

Ich kann ja gedanklich noch nachvollziehen, dass eine Crew bei einem Risikoeinsatz in voller Stärke anrücken soll. Allerdings bin ich auch der Meinung, dass ein unbekanntes Besatzungsmitglied in einer solchen Situation ein ungleich größeres Risiko darstellt, zumal es sich bei dem Mann nicht um einen ausgebildeten TESECO- Agenten handelt. Was denken die sich im HQ eigentlich?“

Carna war aufgesprungen und hatte damit begonnen, hinter seinem Pult auf und ab zu gehen.

Schöne Scheiße, was, Chef?“

Glenn hatte sich, nachdem das Gespräch mit dem HQ beendet gewesen war, in seinem Sitz zurück gelehnt und hatte die Hände hinter dem  Kopf verschränkt. Aus dieser Position heraus beobachtete er die unruhige Wanderung des Crewmasters.

Ich hoffe bloß, die bekommen auf der Station unsere Hanne wieder hin“, sagte er dann.

Tom blieb stehen und schaute seinen Stellvertreter an.

Du hast recht, Glenn, dass sollte im Moment unsere größte Sorge sein“, sagte er nach einem kurzen Moment des Schweigens.

Alles andere bekommen wir auf die Reihe. Schließlich sind wir schon mit viel größeren Problemen fertig geworden!“

Er seufzte und rieb sich dann mit den Fingern seiner linken Hand über die Augen.

Und jetzt übernimm wieder das Kommando, Großer“, sagte er dann zu dem hoch gewachsenen Kanadier. „Ich gedenke den Rest meiner Freiwache im Bett zu verbringen. Ein paar Stunden Schlaf braucht selbst ein übermenschlich leistungsfähiger Kommandant wie ich.“ 

Unter den spöttischen Blicken seiner Kollegen verließ er die Kommandokanzel. Unterwegs stieg er noch einmal auf dem B- Deck aus der Antigravröhre, um auf der Medostation nach der erkrankten Astronavigationsspezialistin zu sehen.

Als er eintrat, blickte ihm Karin, die immer noch am Lager der erkrankten Kollegin weilte, sorgenvoll entgegen.

Hallo Chef“, begrüßte sie Tom leise, während sie Hanne mit einem Tuch die schweißnasse Stirn abtupfte.

Wie geht es ihr?“, erkundigte sich der Crewmaster ebenso leise.

Sie hat immer noch sehr hohes Fieber“, gab die Technikspezialistin leise zur Antwort. „MeDoc hat ihr zwar hohe Dosen eines Breitband-Antivirustatikas verabreicht und natürlich auch Fieber senkende Mittel eingesetzt. Doch alles will nicht so recht ansprechen. Im Gegenteil, es treten zeitweise regelrechte Fieberkrämpfe auf.“ 

Und MeDoc konnte nicht analysieren, was die Ursache für diesen heftigen Krankheitsausbruch ist?“

Es ist auf alle Fälle ein mutiertes Grippevirus, so viel ist sicher“, erklärte Karin und deutete dabei auf ein Display des medizinischen Analysators. „Eine bakterielle Infektion konnte ausgeschlossen werden. Allerdings scheinen wir in unserer Ausrüstung nicht die passenden antiviralen Medikamente mitzuführen. MeDoc kann Hannes Zustand zwar stabilisieren, aber selbst nicht wirkungsvoll therapeutisch dagegen vorgehen.“ 

Sie nahm ihr Tuch und tupfte der Griechin erneut sanft die Stirn ab. Hanne wälzte sich dabei unruhig hin und her und gab ein leises Stöhnen von sich.

Tom versuchte die Technikerin ein wenig zu beruhigen.

Wir sind bald bei der Transitstation HYPERSTAR XIII“, sagte er mit zuversichtlichem Tonfall in der Stimme.

Dort haben die ein ausgezeichnetes Medocenter. Dort biegen sie unsere Sternenlauscherin garantiert wieder hin.“

Er schwieg einen Moment, dann nahm er Karin fürsorglich bei ihren Schultern.

Du solltest dich jetzt auch etwas ausruhen“, meinte er. „Auch du brauchst deine Pause. Weitere Ausfälle in der Crew können wir uns nicht leisten!“

Karin Schröder seufzte kurz, dann erhob sie sich von der Bettkante, auf der sie die letzten Minuten gesessen hatte.

Du hast recht, Tom“, stimmte sie dem Crewmaster zu.

Im Moment kann ich hier sowieso nicht mehr viel ausrichten. Ich werde versuchen, ein paar Stunden zu schlafen. MeDoc wird uns informieren, falls sich am Zustand von Hanne gravierende Änderungen ergeben.“

Sie kontrollierte noch einmal die Anzeigen und Displays der medizinischen Analyseeinheit, dann verließ sie zusammen mit dem Kommandanten das kleine Medocenter der PRINCESS II. Auf dem ein Stockwerk tiefer liegenden C- Deck trennten sich ihre Wege, als jeder der beiden seine eigene Bordkabine aufsuchte, um den Rest ihrer Freiwache in Ruhe zu verbringen.

 

***

 

Knapp dreieinhalb Stunden später wurde Tom vom durchdringenden Summen des Bord- Interkoms geweckt. Er aktivierte die Verbindung durch einen kurzen Zuruf. Es war Glenn, der sich auf der anderen Seite meldete.

Chef, Eintritt in den Normalraum in knapp zwei Minuten. Roy hat unsere Ankunft schon auf der Transitstation angemeldet.“

Der Crewmaster des TESECO-Kreuzers reckte sich kurz und vernehmlich.

Gut“, antwortete er dann knapp. „Ich werde mich rasch noch ein wenig frisch machen, dann komme ich in die Kommandozentrale hoch.“

Nachdem die akustische Verbindung wieder beendet war, setzte sich Carna auf seinem Bett auf und fuhr sich mit der Hand durch sein kurzes, schwarzes Haar. Danach rieb er sich den Schlaf aus den Augen und gähnte noch einmal herzhaft. Wenngleich sein Schlummer recht kurz gewesen war, hatte er ihm doch gut getan. Kurz entschlossen sprang der Commander aus dem Bett. Nackt, wie er war, suchte er die zu seiner Kabine gehörende Hygienezelle auf, stellte sich unter die Dusche und stellte das kalte Wasser an. Der kühle, pulsierende Strahl prickelte auf seiner Haut und vertrieb den letzten Rest Müdigkeit aus seinen Knochen. Bald darauf machte er sich frisch angezogen und rasiert auf den Weg zum zentralen Antigravlift der PRINCESS II. Dort vertraute er sich dem nach oben gepolten Feld an und schwebte der Kommandokanzel entgegen. Dort angekommen, sah er im  Hologlobus vor seinem Arbeitspult bereits das Abbild der Transitstation HYPERSTAR XIII leuchten. Sie sah aus wie ein überdimensionaler Spitzkegel, an dessen breiten Ende ein Ring von Antriebsaggregaten angeflanscht worden war. Auf der silbern schimmernden Hülle der Station konnte man übergroß das Emblem der Raumflug-Allianz sehen, die die HYPERSTAR XIII gemeinsam betrieben: UNITED STAR ALLIANCE.

Tom Carna musterte das Bild kurz. Dann ging er hinüber zur Gästeecke, wo sich auch die Servoeinheiten befanden. Diesen entlockte er einen großen Becher Kaffee mit Milch und Zucker, von dem er einen genießerischen Schluck nahm. Anschließend begab er sich zum Arbeitsbereich des funktechnischen Spezialisten der Crew, dem Briten Roy Anthony.

Schon Neuigkeiten von der Station?“, erkundigte sich knapp, während er erneut an seinem heißen Kaffee nippte.

Die Verwaltungszentrale hat sich bereits bei uns gemeldet“, erstatte der blonde, schnauzbärtige Mann bereitwillig Auskunft.

Wir sollen Hanne mit einer SILVERJET zur Schleuse 23 bringen, wo sie vom dortigen, medizinischen Personal direkt übernommen und weiter versorgt wird. Anschließend können wir unseren Ersatzmann abholen, diesen Hiiol. Oder wie auch immer der Knabe heißen mag.“

Tom zeigte sich ob dieser Auskünfte befriedigt.

Na bestens. Wenigstens ein paar Dinge, die anscheinend reibungslos zu klappen scheinen. Habt ihr den Transport schon organisiert?“

Ja, Tom“, rief Glenn Stark dem Commander die Antwort auf diese Frage von seinem Arbeitsplatz aus zu.

Ich habe Nomo und Harriet dazu eingeteilt. Die beiden sind bereits damit beschäftigt, unsere Hanne in die SILVERJET 1 zu verfrachten. Der Start dürfte in wenigen Minuten erfolgen. Das Beiboot habe ich schon durchgecheckt. Ich warte nur noch auf das OK von Nomo.“

Für was bin ich eigentlich aufgestanden?“, fragte sich Tom laut und gähnte noch einmal herzhaft, bevor er zu seinem Pult hinüber ging, um sich dort in die bequemen Polster seines Kontursessels sinken zu lassen. „Es läuft doch auch ohne mich alles hervorragend. Nur weiter so!“ 

Wie auf dieses Stichwort hin meldete sich Nomo Teniate aus dem Hangar der SILVERJET 1.

Hallo Leute, wir sind startklar. Bitte um Einleitung der automatischen Startsequenz.“

Verstanden“, bestätigte Glenn. „Sequenz ...läuft!“

Große Anzeigen auf dem Display des Subcommanders zeigten an, dass die Luft in rasender Geschwindigkeit aus dem Hangar des Beibootes abgesaugt wurde. Sodann öffnete sich der kreisförmige Lamellenverschluss über dem kleinen Raumfahrzeug. Traktorfelder bugsierte das silbern glänzende, ovale Raumboot in den freien Weltraum hinaus. Dort beschleunigte Nomo das Schiff und steuerte direkt auf die durch grelle Lichter gekennzeichnete Landeschleuse der Hypertransit-Station zu. Es würde ein kurzer, schneller Flug werden, was beim gegenwärtigen Gesundheitszustand der Astronavigations-spezialistin nur recht sein konnte. 

 

***

 

 

Nur wenige Minuten später wurden Nomo und Harriet vom stellvertretenden Stationsdirektor im kleinen Hangar der Schleuse 23 begrüßt.

Mein Name ist Tzu Kai-Ten“, stellte er sich kurz vor, während rot gekleidete Mediker schon dabei waren, Hanne Arminos auf eine spezielle Antigrav-Krankentransportliege zu betten, um sie ins Medocenter der Transitstation zu bringen.

Ich darf Sie im Namen der UNITED STAR ALLIANCE herzlich an Bord der HYPERSTAR XIII begrüßen. Seien Sie versichert, dass Ihre werte Kollegin bei uns in besten Händen ist. Und so bald es ihr wieder besser geht, werden wir sie mit dem nächsten Passagierliner zurück zur Erde transportieren lassen.“ 

Nomo erwiderte die freundliche Begrüßung des Asiaten höflich.

Vielen Dank, Mr. Tzu“, sagte er. „Wir vertrauen Ihnen und Ihren Medikern voll und ganz. Ich bin sicher, das Mrs. Arminos bei Ihnen in den besten Händen ist!“

Zu liebenswürdig, Mr....?“

Oh, entschuldigen Sie. Mein Name ist Teniate“, holte Nomo die versäumte Vorstellung rasch nach. „Und bei meiner Begleiterin handelt es sich um TESECO-Spezialistin Mrs. James. Apropos Spezialisten … ich hätte da noch ein kleine Frage, Mr. Tzu.“

Ich höre?“

Man hat uns einen Ersatzmann für unsere erkrankte Kollegin avisiert. Können Sie uns sagen, wo wir diesen finden werden?“

Aber selbstverständlich, Mr. Teniate“, antwortete der stellvertretende Direktor zuvorkommend.

Er wartet nur wenige Räume von hier entfernt, im Abflugwartebereich für diesen Stationssektor. Ich habe mir erlaubt, ihn dorthin zu bitten. Es ist Ihnen doch recht?“

Harriet und Nomo nickte beide wie auf ein geheimes Kommando hin.

Das ist wirklich ausgezeichnet, Mr. Tzu“, sagte die Kybernetikerin erfreut. „Dann können wir ihn ja gleich abholen und schnellsten wieder aufbrechen. Zeit genug haben wir ja bereits verloren. Und da unsere Kollegin bereits von Ihren Leuten betreut wird ...“

Tzu Kai-Ten nickte, machte dabei aber einen leicht betrübten Eindruck.

Ich verstehe Ihre Eile. Allerdings hätte ich auch gerne noch eine kleine Führung für Sie durch unser neues und modernes Transitterminal hier veranstaltet“, sagte er mit einem Unterton des Bedauerns in seiner Stimme. „Aber dann darf ich Sie wenigstens noch zum Wartebereich führen, bevor ich mich von Ihnen verabschiede.“

Wofür wir uns in Namen der ganzen PRINCESS II-Besatzung auf das Herzlichste bei Ihnen bedanken“, sagte Nomo und meinte es auch so herzlich, wie es über seine Lippen kam.

Mr. Tzu nickte den beiden lächelnd zu, dann wandte er sich um und strebte der Personenschleuse des Hangars zu. Harriet und Nomo folgten dem schmächtigen, schwarzhaarigen Asiaten bis zu einer rot gekennzeichneten Sicherheitstür. Dort verabschiedete sich der stellvertretende Stationsdirektor von den beiden, bevor er im Gewirr der vielen Gänge wieder verschwand.

Die beiden TESECO-Spezialisten wandten sich nun der Tür zu und betraten den dahinter liegenden Raum. Als sie eintraten, erhob sich ein Mann, der bis dato in den bequemen Lederpolstern einer großen Couchgarnitur gesessen hatte. Mit ausdruckslosen Augen und ohne ein Wort zu sagen, blickte er den beiden Crewmitgliedern der PRINCESS II entgegen. Er besaß ein kantiges, nichtssagendes Gesicht von fahler Blässe. Seine Augen schimmerten grünlich, doch es fehlte ihnen der gewisse Glanz und erschienen irgendwie wässrig. Ein dünner, schwarzer Oberlippenbart saß über einem schmalen, zusammengepresst wirkenden Mund mir nahezu blutleeren Lippen. Das schwarze Haupthaar schien früher einmal lockig gewesen zu sein. Jetzt wirkte es jedoch ungepflegt und strähnig, so, als läge der Besitzer der Haare keinen besonderen Wert auf deren Pflege.

Die Kleidung, die um die gut 180 cm große Gestalt schlotterte, machte den Eindruck, als hätte er schon mehrere Nächte darin verbracht. Alles in allem war der erste Eindruck des Mannes auf Nomo und Harriet wahrlich nicht der allerbeste.

Mr. Hiiol?“, fragte Hanne und Nomo merkte ihr dabei an, wie sehr sie sich beherrschen musste, um ihre unangenehme Überraschung nicht allzu deutlich werden zu lassen. 

Sind Sie Gareth Hiiol, der Astronavigationsspezialist, der uns vom HQ- TESECO zum Mitflug auf der PRINCESS II avisiert worden ist?“

Der Mann von der Sitzecke zuckte bei der Nennung des Schiffsnamens kaum merklich zusammen. Das war aber auch schon die einzig nennenswerte Reaktion, die er an den Tag legte.

Ja … Ja ...ich bin ...bin Hiiol. Gareth Hiiol“, antwortete er dann so langsam und zögernd, als müsste er sich jedes Wort einzeln überlegen.

Sein Blick blieb dabei wie in weite Ferne gerichtet. Er schien Nomo und Harriet irgendwie überhaupt nicht richtig wahrzunehmen.

Die beiden tauschten dafür umso bedeutungsvollere Blicke miteinander aus, mit denen sie beide zum stummen Ausdruck brachten, dass sie da wohl ja einen ganz besonderen Fang gemacht hatten. Schließlich zuckte Nomo mit seinen Schultern.

Irgendwas müssen die sich im Hauptquartier ja gedacht haben, als sie uns diesen Kerl zuteilten“, flüsterte er leise seiner Kollegin ins Ohr.

Na, dann wollen wir mal an Bord unserer SILVERJET gehen“, sagte er dann etwas lauter zu dem Fremden vor sich. „Wenn Sie die Güte hätten, uns zu folgen? Ach ja, ich vergaß, uns vorzustellen ...“

Er deutete mit der Hand auf Harriet neben sich.

Hier wäre zum einen unsere Harriet James, TESECO-Spezialistin für kybernetische Systeme. Und mein Name lautet Nomo Teniate. Ich bin der Defenser an Bord der PRINCESS II.“

Doch auch jetzt ergab sich bei Hiiol keine nennenswerte Reaktion. Er nickte beiden nur noch einmal kurz zu, enthielt sich aber nach wie vor jeglichen Kommentars. Ebenso wortlos folgte er Nomo und Harriet, als diese sich umwandten und zum Hangar der Schleuse 23 zurückzukehren. Dort betrat er gemeinsam mit den beiden PRINCESS-Besatzungsmitglieder die Kanzel des Beibootes, wo er sich kurz umschaute, um sich anschließend sogleich auf einem der Nebensitze niederzulassen und die breiten Sicherheitsgurte vor seiner Brust zu verschließen.

Harriet, die neben Nomo vor den Steuerkontrollen des Raumbootes Platz genommen hatte, zog den schwarzhäutigen Afrikaner zu sich heran.

Du, Nomo ...“, raunte sie ihm leise ins Ohr, „... das ist aber eine ausgesprochene komische Type!“

Das kannst du singen, teuerste Kollegin“, erwiderte der Defenser ebenso leise. „Und ich für meinen Teil glaube kaum, dass ich mit dem Kerl gut auskommen werde!“

Was macht dich da so sicher?“

Er hat einen ganz entscheidenden Fehler!“

Das Geheimnis der Pflanzenwelt
titlepage.xhtml
part0000.html
part0001.html