Band 2:
Kämpfe!

»I am war, I am pain, I am all you've ever slain« – Puritania, Silenoz

»Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen« – Sun Tzu

 

 

Sie waren überall am Wall. Hunderte von zerfressenen, schiefen Fratzen, die nichts anderes im Sinn hatten, als zu töten. Er konnte ihre krächzenden, geifernden Laute, die aus zahlreichen, leblosen Kehlen aufstiegen, nur schwer ertragen. Diese Zombies brachten ihn zur Raserei. Seit Monaten ging das nun so, ihr erbärmliches Kreischen hatte die ursprünglichen Geräusche der Nacht vertrieben. Er ging zum Tor und öffnete die schmalen Schlitze in der eisernen Barrikade. In der Hand hielt er eine etwa anderthalb Meter lange Eisenstange, deren eines Ende mit einem angeschweißten T-Griff versehen und deren anderes Ende angespitzt war. Die Zombies versuchten, ihre hässlichen Visagen durch die armbreiten Spalten zu drücken, doch hier erwartete sie nur der endgültige Tod in Form kalten Stahls, der ihre Schädelknochen durchbrach und sich in ihr Hirn bohrte, um dessen Funktionen endgültig zum Erliegen zu bringen.

Inzwischen hatte er gelernt, dieses Geräusch zu lieben, wenn der Schädelknochen knirschend nachgab und das Eisen schlürfend in das Weiche im Inneren drang. Das klang ein wenig wie früher, wenn er barfuß durch das Watt gelaufen war und der Schlick sich durch seine Zehenzwischenräume gequetscht hatte.

Die Kampfgefährten standen entlang der massiven Mauer aus Hochdruckstrohballen, die sie um das Refugium gezogen hatten, und überall auf ganzer Linie fielen die Untoten den Attacken der Verteidiger zum Opfer. Alle stachen und droschen auf die Schädel der Zombies ein, die sich hier im Refugium am Fleisch und Blut der Menschen laben wollten. Sogar die Jugendlichen und die Kinder waren an der Verteidigung beteiligt, sie hatten schnell gelernt, dass die Monster da draußen böse waren. Selbst jetzt, mitten in der Nacht, standen sie mit ihren Geschwistern und ihren Eltern am Wall und schossen mit starken Zwillen, die mit Kugellagerkugeln geladen waren, auf die geifernden Bestien.

Die größeren Kinder hatten jedes eine Armbrust, und überall am Wall standen Macheten bereit, die an lange Stangen geschweißt waren. Aber nur die Älteren konnten diese schweren Geräte benutzen, um einem Zombie da unten vor dem Wall den Schädel zu spalten.

An der westlichen Ecke des Frontwalls hatte einer der Supporter nicht richtig aufgepasst, und seine Machete verkeilte sich im Schädel eines fallenden Zombies. Die Wucht riss den Mann vom Wall herunter, und er fiel mitten in die untoten Bestien. Das war sein Ende. Sofort stürzten sich die Zombies auf das Frischfleisch und zerrissen den Menschen bei lebendigem Leibe. Er schrie entsetzlich, als sie sich auf ihn warfen, ihre Hände in seinen blutüberströmten Leib bohrten und die Gedärme herausrissen, um sie schmatzend und kollernd zu verspeisen. Die Erwachsenen hielten den Kleinsten die Ohren zu und drehten sie weg vom grausigen Geschehen. Das furchtbare, gottlose Mahl der Kreaturen dauerte nur wenige Minuten, dann hatten sie dem Gestürzten sämtliches Fleisch von den Knochen gerissen. Diese Zombies hier waren derart ausgehungert, dass sie sich nicht damit zufrieden gaben, das Virus, welches sie in sich trugen, durch ihre blutigen Bisse zu übertragen, sie fraßen ihre Opfer sofort und vollständig auf. Diese Opfer würde sich nicht wieder als Untoter erheben, soviel war klar.

Auf dem Wall und an den Toren ging das Hauen und Stechen weiter, Reihe um Reihe fielen die Zombies und bildeten bereits Haufen aus stinkenden Kadavern vor dem Wall. Die Bestien, die sich, getrieben von Gier und Fieber, weiter darin versuchten, an das Fleisch im Inneren des Refugiums zu gelangen, kletterten auf die wackeligen, glitschigen Haufen, fielen herunter, wurden von anderen überrannt, fielen zurück. Es war eine widerliche, konturlose Masse aus kreischenden Fratzen, die einmal Gesichter gewesen waren, was sich da wieder und wieder dem massiven Wall entgegen warf.

So viele Zombies hatten sie hier noch nie gehabt, die Gefahr, dass sie durchbrechen würden, stieg von Minute zu Minute. Frauen und Kinder wurden in den inneren Verteidigungsring gebracht, die Männer kämpften nun wie die Berserker gegen die Zombieflut. Wieder und wieder stachen, schlugen, schossen sie auf das vielmäulige Ungeheuer, das da draußen tobte, doch der Kampf wurde zunehmend aussichtsloser. Während die Menschen im Inneren der Festung müder und abgekämpfter wurde, verloren die Zombies draußen nicht an Kraft. Sicher, sie waren langsam und konnten nicht denken, aber sie waren so verdammt viele und sie wurden nicht müde. Es war wohl Zeit, in den inneren Ring zurückzuweichen, doch dort saßen sie wie in einer Mausefalle fest.

Mit einem Mal wurde alles anders. Gleißendes Licht strömte die Straße herunter, taghell wurde es plötzlich und ein Gebrüll wie von tausend Chimären donnerte durch das Dorf. Und andere Geräusche kamen dazu, ein hartes Tackern in verschiedenen Rhythmen, Zischen, Pfeifen und das Platschen von aufplatzenden Köpfen. Maschinengewehrfeuer. Und eine Stimme aus einem Lautsprecher, wie die Verkündung eines Engels donnerte sie laut und mächtig zum Wall herüber:

»Weg von der Mauer, zieht euch zurück!«

Vom Dorfeingang her, der etwas oberhalb des Refugiums lag, donnerte ein in Xenon-Licht getauchtes Stahlungeheuer heran, das Feuer, Rauch und Metall ausspie. Durch die Geschossgarben wurden die Untoten förmlich geschreddert. Die Querschläger erzeugten auf dem Asphalt sirrende Geräusche, während die Einschläge eher dumpf und abgehackt, fast wie Peitschenhiebe klangen. Aus zwei Maschinengewehren und einer Kanone mit rotierenden Läufen ergoss sich der zerstörerische Metallregen über die Zombies und zerlegte sie in Einzelteile.

Der monströse LKW hielt vor dem Haupttor und einige Leute, offensichtlich Soldaten, entstiegen dem Fahrzeug und sandten die verbliebenen Zombies mit Maschinenpistolen zu den Ahnen.

Als nach dem Beschuss ein wenig Ruhe einkehrte, schauten die Bewohner des Refugiums neugierig über den Wall. Sie wollten wissen, was das für Menschen waren, die sie gerade davor bewahrt hatten, von den Zombies überrannt zu werden. Einer der Soldaten rief hoch zu den Leuten:

»Hallo! Wir sind Soldaten der New World Streitkräfte! Wir bringen Ihnen medizinische Versorgungsgüter und Proviant. Dürfen wir reinkommen?«

»Wie viele seid ihr?«

»Sieben.«

»Hinter eurem LKW ist ein Tor, ihr könnt rückwärts 'reinfahren, das Fahrzeug kann hier nicht wenden!«

»Okay, alles klar. Wir kommen rein. Danke für eure Gastfreundschaft!«

Hinter dem LKW öffnete sich ein zweiflügeliges Tor, das aus Straßenleitplanken geschweißt war. Der Truck rollte langsam rückwärts, der Fahrer schlug die Lenkung voll ein und steuerte den Truck in einem Zug in den abgeschirmten Bereich. Zischend entleerten sich die Druckbehälter der Bremsanlage und das gewaltige Motorengeräusch erstarb. Auf der Ladefläche des sonst schwarzen Fahrzeugs stand ein grauer Vierzig-Fuß-Container, auf dem der blau-weiße Siebenstern der Maersk-Reederei prangte.

Die Lichter des Trucks erloschen und auf dem Hof flammten nun einige Neonlampen auf, die den Stellplatz ziemlich hell erleuchteten. Die Insassen waren inzwischen ausgestiegen und die Bewohner des Refugiums, ihnen voran ihr Anführer, betraten den Platz. Ängstlich versteckten sich die kleinen Kinder hinter den Erwachsenen, die ihre Waffen noch immer in Händen hielten. Zu groß war die Furcht vor Plünderern, mit der man hier zu leben gelernt hatte.

Die Insassen des Trucks versammelten sich nun auf der linken Seite der Kabine, wo ihnen die Bewohner entgegentraten. Es waren sechs Männer und eine Frau. Alle waren in Uniformen gekleidet, die an die der Bundeswehr erinnerten. Zweifelsohne handelte es sich um Soldaten, auch wenn keiner der Bewohner mit dem Begriff New World Streitkräfte etwas anfangen konnte. Aus der Gruppe Soldaten trat eine Frau auf die Bewohner zu.

»Hallo! Vielen Dank, dass Sie uns aufgenommen haben. Wir möchten Sie mit einem medizinischen Hilfsprogramm der New World Streitkräfte bekannt machen, das Ihnen das Leben hier unter Umständen enorm erleichtern wird.

Wir kommen als Freunde und würden gern mit dem Anführer ihrer Gruppe sprechen.«

Aus den Bewohnern löste sich ein mittelgroßer, beleibter Mann, grauhaarig mit langen Dreadlocks, und trat der Frau entgegen. Er steckte sein Kampfmesser wieder ein, musterte sie von oben bis unten und meinte dann:

»Ich kenne Sie, junge Frau. Der Name ist Radler. Aber ja, du bist Birte Radler.«

Sie grinste ihn breit und freundlich an.

»Da schau her. Der Wurstonkel.«

Zwei Jahre zuvor

Alv Bulvey galt als Sonderling in dem beschaulichen, kleinen Dörfchen Beldorf, das direkt am Nord-Ostsee-Kanal mitten in Schleswig-Holstein lag. Er war ein stattlicher Kerl von Mitte Vierzig, hörte oft und laut Heavy Metal Musik und hatte von Ästhetik am Bau offensichtlich eine etwas andere Auffassung als seine Nachbarn. Während die sich nämlich vorzugsweise darin ergingen, Geranienkästen zu bestücken und ihre Ligusterhecken zu trimmen, um ihr Revier zu markieren, errichtete Bulvey einen mächtigen Palisadenzaun aus Baumstämmen um sein Grundstück, das mittlerweile eher einem germanischen Feldlager glich denn einem Einfamilienhaus des einundzwanzigsten Jahrhunderts.

Bulvey hatte vor einigen Jahren auf der Kanalbrücke, nicht weit entfernt von seinem Haus, einen Imbissbetrieb im selben Stil erbaut. Die skurrile Bude des Wikingers, wie ihn viele seiner Stammgäste nannten, genoss wegen der Qualität seiner kulinarischen Erzeugnisse höchstes Ansehen bei den Freunden gepflegter Currywurst und Bratwurst. In den Fernsehberichten, die immer wieder in den Medien auftauchten, hatte man ihm auch den Spitznamen Wurstonkel verpasst, und so hatte der Bekanntheitsgrad einen guten Nutzen für ihn, nämlich ein einträgliches Salär, welches sich aus seiner Tätigkeit ergab. Sein Vermögen verjuxte der mehrfache Vater allerdings nicht einfach so, sondern er leistete sich ein Hobby, das in dieser Region eher ungewöhnlich war: Er war ein leidenschaftlicher Prepper.

Dieser Begriff leitete sich vom englischen Wortstamm preparedness ab und bezeichnete Menschen, die viel Zeit, Geld und Energie darin investierten, um auf Zivilisationsausfälle jeder Art vorbereitet zu sein. Viele der Prepper, die häufig in den USA vorkamen, bereiteten sich auf Dinge wie Revolution, Wirtschaftskrise oder Weltuntergang vor; Bulvey ging es ähnlich. Auch er erwartete den Weltuntergang seit 1999, er hatte seinen gut dotierten Beruf als IT-Spezialist aufgegeben, um hier in der Provinz ein Refugium zu schaffen, in dem er mit seinen Kindern eine Katastrophe überstehen konnte.

Er war zum anglikanischen Glauben übergetreten und fungierte in seiner nordelbischen Gemeinde mittlerweile als Bischof. Wenn er nicht gerade in seinem kleinen Imbissgeschäft stand, predigte er vom freien Willen und der Liebe und vom rechten Glauben als einen Akt wahrhaftiger Barmherzigkeit.

Das mit seiner Vorliebe für Heavy Metal-Musik in Einklang zu bringen, war eine seiner besonderen Fertigkeiten. Eine andere war, sich auf Herausforderungen und neue Situationen binnen weniger Augenblicke einstellen zu können und die Kunst des vorausschauenden Denkens zu beherrschen.

Bereits zehn Jahre zuvor hatte er begonnen, sich für die Prepper-Thematik zu interessieren.

Er hatte Bücher gelesen, Survival-Seminare besucht, und mit dem Aufkommen des Internets als Massenmedium hatte er begonnen, sich planmäßig auf einen Zivilisationsausfall vorzubereiten. Nicht, dass er einer Weltuntergangssekte angehört hätte, aber er war nie von dem Gedanken losgekommen, er müsse vorbereitet sein, wenn, wie er zu sagen pflegte, eines Morgens der ALDI nicht mehr aufmacht. Er hatte den Beruf gewechselt und seinen Wohnort aus der Stadt Rendsburg in das Umland verlegt. In dem Dörfchen Beldorf am Nord-Ostsee-Kanal hatte er ein kleines Häuschen gekauft; hier wollte er seine Ideen von der Unabhängigkeit durchsetzen. Bulvey war schon immer, Zeit seines Lebens, ein Aufmüpfiger gewesen, einer von diesen Typen, die es nicht schert, was die anderen sagen, und ein aufrechter Charakter, für den sein fester Wille das einzige Gesetz war, das er befolgte. Den neuen Wohnort hatte er mit Bedacht gewählt. Wenigstens zwanzig Meter über dem Meeresspiegel, leicht abschüssiges Gelände. Kleines Dorf mit wenigen Zugangswegen, etwas abseits der Hauptverkehrsadern. Dorfeigenes Wasserwerk und Kläranlage und landwirtschaftliche Urproduktion, stehende und fließende Gewässer in unmittelbarer Nähe, ansonsten Grün- und Ackerland, ausgiebige Waldflächen. Eine perfekte Umgebung für Prepper.

Zunächst hatte er das Grundstück mit Palisaden umgeben, schließlich ging es niemanden etwas an, was auf dem Gelände vor sich ging. Dann hatte er begonnen, die Einrichtung des Hauses zu verändern.

Zunächst wurde bereits bei er Einzugsrenovierung ein LED-Beleuchtungssystem installiert, das auf zwölf Volt Basis lief, außerdem wurde der alte Schornstein, der mitten durch das Haus führte, saniert. Im Untergeschoss hatte er alle Trennwände entfernt und in der Mitte einen elf Kilowatt leistenden Holzofen selbst gebaut. Auch im Küchenbereich war der Elektroherd einem Gasherd gewichen und zusätzlich gab es dort eine Kochstelle mit Befeuerung. Die alte Ölheizung des Hauses hatte noch anderthalbzöllige Rohre und die Brennkammer war für Festbrennstoffe geeignet. Auch die Umlaufpumpe wurde auf zwölf Volt umgestellt, und im Schuppen draußen montierte Bulvey einen Einzylinder-Dieselmotor aus einem alten LANZ-Traktor, an den ein Generator angeschlossen war, der bei gerade mal einhundertzwanzig Umdrehungen pro Minute satte vier Kilowatt für zweihundertzwanzig Volt lieferte, dazu noch einmal eintausend Watt für zwölf Volt. Auf dem Dach des Hauses gab es einfache, selbst gebaute Solarwärmetauscher für die Brauchwassererwärmung und durchdachte Auffang- und Filteranlagen für die Regenwasserspeicher, die bis zu zwanzigtausend Liter aufnehmen konnten.

Jetzt, zehn Jahre nach Beginn der Planungen, war sein Prepper-Home fast fertig, die technischen Arbeiten waren abgeschlossen. Im Anbau gab es eine komplette Tischlerwerkstatt nebst Schlosserei und einen großen Raum zum Trocknen und Zubereiten von Früchten, Gemüse und Kräutern.

Es gab im Wohntrakt eine ca. fünfzigtausend Seiten umfassende Bibliothek mit grundlegenden Werken zur Nahrungserzeugung, Verarbeitung und Konservierung, Medizin und Kräuterkunde, Techniken der Holz-, Metall- und Steinbearbeitung, Herstellung und Benutzung von Waffen und so weiter und so fort. Dabei handelte es sich um Bücher und meterlange Regale voll mit Ordnern, die Ausdrucke von Dateien beinhalteten, die Bulvey zur Thematik aus dem Internet gezogen hatte.

Nun ging es daran, die nötigen Vorräte einzulagern. Bulvey wandte einen großen Teil seines Einkommens dafür auf, um Nahrungsmittel zu kaufen und zu horten. Bei jedem Einkauf, den er für sich und seine Familie tätigte, gab er dieselbe Summe noch einmal für Vorräte aus. Essentielle streufähige Lebensmittel wie Mehl, Reis, Nudeln, Trockenobst und -gemüse, Eipulver, sowie Zucker, Salz, Kaffee, Tee, Milch- und Getränkepulver wurden zur Sicherheit noch einmal in Plastikfolie vakuumverschweißt, nummeriert und – mit Einlagerungsdatum versehen – im Keller ordentlich in die Regale verbracht. Sortiert wurde nach der FIFO-Methode (First-In-First-Out) in modular angeordneten Lagerkisten. Konserven wurden ebenfalls mit Datumsetiketten versehen; hier achtete Bulvey darauf, möglichst lang haltbare Konserven zu besorgen, so waren Eintöpfe, Gemüse, Fisch, Fleischzubereitungen und Fertiggerichte die erste Wahl.

Außerdem bestellte er regelmäßig über das Internet günstig diese amerikanische Armeeverpflegung, selbsterhitzende Mahlzeiten, die ohne Kochstelle zubereitet werden konnten. Für Prepper wie Bulvey waren solche Produkte ideal. Inzwischen hatte er auch mit seinen Kindern und anderen Familienmitgliedern bestimmte Pläne ausgearbeitet, wie man im Falle einer Krise oder Katastrophe verfahren wollte. Ziel war es, bei Zivilisationsausfall dafür zu sorgen, dass die ganze Familie zusammenkam um den Schutz des Refugiums zu nutzen.

Neben Werkzeugen und Vorräten legte Bulvey auch größten Wert auf andere Dinge, die zur Selbstversorgung wichtig waren. Es gab Bögen und Armbruste, denn von Schusswaffen, die vorgefertigte Munition brauchten, hielt Bulvey nicht viel. Zur Selbstverteidigung waren Gewehre sicher brauchbar, aber problematisch wurde es, wenn die Munition zur Neige ging. Außerdem hatte er keinen Waffenschein, und man beäugte ihn in der Umgebung sowieso schon misstrauisch. Eine Kiste voller Schusswaffen im Keller war da unter Umständen äußerst kontraproduktiv. Munition für Armbrust und Bogen ließ sich gut selbst herstellen, seine Werkstatt war dafür bestens gerüstet.

Jahr Null. 13. Juli, Nachmittag

Alv Bulvey hatte die letzten Tage sehr genossen. Die kleineren Kinder hatten Sommerferien und besuchten ihn, und sogar der Älteste war ein paar Tage im Urlaub bei seinem Vater. Nur eine seiner älteren Töchter lebte dauernd in seinem Hause, die andern Kinder wohnten immer mal wieder für eine Weile bei ihm. Insgesamt hatte er acht Kinder und zwei Enkelkinder, was ihn, wie er selbst zu sagen pflegte, zu einem reichen Mann machte. Reich an Kindern, arm am Beutel. Seine Kinder Benny, Rhea, Feline, Sally, Cara, Aaron, Angus und Arnie waren immer gern bei ihrem etwas sonderbaren Dad in dessen Haus, denn der Kühlschrank war immer voll und man konnte hier hervorragend das Überleben üben. Ob groß oder klein, alle Kids liebten die Survival-Trips in die Umgebung mit Camping, Jagd und Abenteuer. Sie wussten auch, dass ihr Vater das nicht nur zum Spaß tat, sondern dass er versuchte, sie auf etwas Schlimmes vorzubereiten. Er sprach nie viel darüber, nur die älteren Kinder wussten, womit er rechnete. Alle hofften insgeheim, dass diese Szenarien nie eintreten würden.

Am Nachmittag, während die beiden kleinen Jungs, sie waren elf und zwölf Jahre alt, draußen spielten, saß Alv am Computer und surfte im Internet auf der Suche nach brauchbarem Material. Mit einem Mal kam Unruhe auf im Netz. Twitter, Google+, Facebook … überall erhöhte sich schlagartig der Traffic.

In Rendsburg, also unweit von Alvs Wohnort, hatte es einen unerklärlichen Zwischenfall gegeben. Es hieß, das städtische Krankenhaus sei vom Militär umstellt und es würden Schüsse fallen. Jetzt waren auch die ersten Smartphone-Videos hochgeladen worden, und als Alv diese betrachtete, wurde sein Mund trocken.

Die Videos zeigten, wie Menschen in dem Krankenhaus aus den Fenstern riefen, sie schrien um Hilfe. Draußen wurde eine Phalanx aus bewaffneten Soldaten gebildet, diese umstellten das Gebäude und schossen in die Luft. Stark verzerrt konnte man bei diesen Handyvideos Lautsprecherdurchsagen vernehmen; es wurde den Menschen im Krankenhaus bei Todesstrafe untersagt, das Gebäude zu verlassen. Einige wollten trotzdem fliehen und wurden auf dem Rasen vor dem Gebäude erschossen. Bulvey traute seinen Augen nicht, als einige der Erschossenen sich kurz darauf wieder erhoben und auf die Soldaten zuwankten, grässlich schreiend, fauchend, sabbernd. Erst, als die Soldaten sie mit gezielten Kopfschüssen niederstreckten, blieben sie liegen. Binnen kürzester Zeit lagen überall um das Gebäude herum Leichen auf dem Rasen, und inzwischen konnte man auf den verwackelten Amateuraufnahmen sehen, dass Männer mit Schutzanzügen sich dem Gebäude näherten. Nach einer guten halben Stunde, in der er auf vier Monitoren alles an Inhalten aufrief, was das Netz dazu hergab, war es für Alv Bulvey klar. Heute war der Tag X.

Er tätigte einige Anrufe.

Zuerst verständigte er seine Ex-Frau, die etwas weiter weg wohnte. Er wies sie an, nur das Allernötigste einzupacken und sich sofort in den nächsten Bus zu setzen, um zum Refugium zu kommen. Ja, den Kindern ginge es gut, versicherte er ihr. Sandy war ziemlich aufgelöst.

»Was ist los? Ist es nun soweit?«

»Ja.«

»Geht die Welt unter?«

»Ich weiß es noch nicht, aber es sieht ernst aus. Ich habe das Gefühl, es geht jetzt los. Sieh zu, dass du hierher kommst, morgen könnte es zu spät sein. Beeil dich.«

»Bist du bei den Jungs? Ist Feline auch bei dir?«

»Ja, alle Kinder sind hier.«

»Wer kommt noch?«

»Ein paar Freunde aus Berlin. Mit Waffen. Wer weiß, wie lange diese Situation andauert. Wir richten uns auf eine längere Phase ein.«

»Aber ich muss doch morgen zur Arbeit.«

»Nein. Das musst du nicht. Komm her. Sie riegeln bereits den Verkehr ab. Nimm den nächsten Bus! Fahr bis nach Wrohm, dort holt Thorsten dich dann ab. Entweder er ist schon da, wenn du kommst, oder du wartest, bis er dich holt, okay?«

»Also gut. In einer guten Stunde geht ein Bus. Ich komme zu euch.«

Sofort rief er seine älteste Tochter Rhea an, die wohnte in Rendsburg mit ihrem Mann Thorsten und dem kleinen Eliot, seinem Enkel.

Thorsten ging an den Apparat.

»Hier ist Alv. Wie sieht es aus, was ist bei euch los?«

»Hallo, Schwiegervater. Na ja, überall Sirenen, Kameraden rücken aus. Ich muss wohl auch nachher los zur Kaserne.«

»Hör zu, Junge. Ich sag dir jetzt mal, was du musst: Du packst jetzt deine Frau und den Kleinen ins Auto, nimmst Klamotten und das Nötigste mit, und dann kommt ihr sofort hierher. Ohne Umweg.«

»Das hat Rhea auch schon gemeint. Aber ich hab Bereitschaft, und wenn ich Bescheid bekomme, muss ich raus zur Kaserne. Außerdem fangen die eh schon an, die Gegend abzuriegeln.«

Alv dachte kurz nach. Dann meinte er:

»Du lädst das Nötigste in den Kombi. Deine Frau und dein Sohn legen sich zwischen die Sachen hinten im Auto, und du deckst sie zu. Schmeiß ein paar Uniformklamotten drüber. Zieh deine Uniform an und leg deinen Militärausweis und irgendwie wichtig aussehendes Bundeswehr-Papierzeugs vorn auf die Ablage. Wenn du eine Dienstwaffe im Haus hast, leg sie auf den Beifahrersitz. Dann fährst du Richtung Fockbek raus, wenn du angehalten wirst, gibst du an, du musst zum Flugplatz nach Hohn, eure Maschinen müssen in die Luft. Fuchtel mit dem Ausweis rum und mach ein todernstes Gesicht. Dann werden die dich durchlassen.

Hinter dem Ortsschild biegst du dann links ab, fährst über die B203 nach Wrohm, dort wartest du an der Bushaltestelle auf Sandy, die ist mit dem Bus unterwegs. Dann siehst du zu, dass du in Grünental über die Hochbrücke kommst.«

»Aber ich kann doch nicht einfach abhauen. Ich bin doch kein Deserteur.«

»Willst du, dass deine Familie stirbt, Thorsten?«

»Nein, natürlich nicht.«

»Dann fahr los. Jetzt!«

Alv drückte auf seinem Apparat den Knopf zum Beenden des Gesprächs. Dann rief Alv Eckhardt an, der in Berlin lebte. Der hatte beschlossen, sich gemeinsam mit einigen Freunden und Verwandten nach Norden durchzuschlagen und wollte unterwegs noch ein paar nützliche Dinge klarmachen, wie er es nannte. Diese Truppe, insgesamt acht Leute, würde bald zu ihnen stoßen. Alv hatte so eine Ahnung, dass sie den ehemaligen Feldwebel und seine Leute gebrauchen konnten. Nun war es also soweit. Der Moment, vor dem Bulvey immer gewarnt und dessen Eintreten Eckhardt gefürchtet hatte, war gekommen.

Nach etwas mehr als einer Stunde hielt der Wagen seines Schwiegersohnes vor der Einfahrt. Er, seine Frau und der kleine Eliot stiegen unversehrt aus, ebenso Sandy. Bulvey berief den Familienrat ein. Der erste Zählappell ergab, dass sie zur Zeit zwölf Personen waren, davon drei Kinder unter sechzehn Jahren.

Sie versammelten sich im großen Raum im Erdgeschoss. Die großen Mädels hatten Kaffee gemacht und belegte Brote. Die Kinder setzten sie vor einen Fernseher, an den Bulvey eine alte Playstation-Konsole angeschlossen hatte.

Als der Raum vom Kaffeeduft erfüllt war, alle gegessen hatten und Spongebob mit ulkigem Gekicher von den Jungs über den Bildschirm gehetzt wurde, räusperte Alv sich und begann zu sprechen.

»Ich bin Gott dankbar dafür, dass ihr alle wohlbehalten hier angekommen seid. Benny, wie sieht es bei dir aus? Ist deine Exfrau mit eurem Sohn in Sicherheit?«

Sein ältester Sohn, der in Süddeutschland lebte, zuckte mit den Schultern und machte ein verkniffenes Gesicht.

»Ich habe sie angerufen. Sie meint, das sei wieder so eine Spinnerei. Schätze, ich sollte runterfahren und bei meinem Kleinen sein.«

»Das ist natürlich deine Entscheidung, Benny«, meinte Alv. »Aber ich befürchte, du würdest es nicht bis da unten schaffen. Der letzte Stand von eben war, dass alle Reiseverbindungen unterbrochen sind. Bahn, Flugzeug, Autobahn – alles gesperrt. Die Regierung hat verlauten lassen, eine Seuche sei ausgebrochen und es herrscht Quarantäne. Ich schätze, du bleibst besser hier. Vielleicht finden wir in ein, zwei Tagen einen Weg, dich runter zu schaffen.«

»Verdammt. Ich hoffe, sie hört wenigstens auf mich und verschwindet aus der Stadt.«

Feline sah zu ihrem Vater hinüber.

»Wollte dein Freund Eckhardt nicht noch kommen, Paps?«

»Die sind unterwegs und müssten in zwei bis drei Stunden hier sein. Sie fahren einen Militärlaster und tragen Uniformen. Sie werden durchkommen.«

Alv stand auf und legte seinem ältesten Sohn eine Hand auf die Schulter.

»Du kannst jetzt nichts tun, Mann. Versuche, hier mit uns auszuharren, bis die Krise vorbei ist. Dann sorgen wir sofort dafür, dass du runter kommst und deinen Sohn siehst. Noch haben wir Telefon und Internet, da ist noch nichts beschränkt worden. Halte die Verbindung und sag deiner Ex, sie soll zusehen, dass sie aus der Stadt rauskommt.«

Benny sah ihn an und nickte. Er stellte die Frage, die allen auf der Seele brannte.

»Was ist da draußen überhaupt los?«

Alv Bulvey sah in die Runde. Aus der Küche keckerte Spongebob Schwammkopf. Alle sahen den Vater an.

»Zombies. Es sind Zombies.«

»Wie jetzt?«, fragte die zwanzigjährige Sally, »Zombies … so wie Zombies

»Exakt.«

Der Vater drehte einen der Monitore auf seinem Schreibtisch so, dass jeder daraufsehen konnte. Er klickte mit der Maus, und auf dem Bildschirm erschien eines der vielen Videos aus Rendsburg, die im Netz kursierten. Er hielt die Wiedergabe mit einem Standbild an.

Mit einem Kugelschreiber zeigte er auf eine Figur auf dem Rasen vor dem Krankenhaus.

»Schaut genau hin!«

Er ließ das Video weiterlaufen, allerdings nur mit stark verminderter Geschwindigkeit. Die weibliche Person war aus einem Fenster im Erdgeschoss gesprungen und lief nun über den Rasen. Man konnte deutlich sehen, dass sie von mindestens fünf Gewehrkugeln getroffen wurde; von der Wucht der Einschläge wurde sie hin und her geschleudert, man konnte erkennen, wie drei der Treffer ihren Oberkörper durchschlugen und in blutigen Fontänen am Rücken wieder austraten. Die Person ging zu Boden und blieb liegen. Sie war offensichtlich tot. Inzwischen hatte der Filmer die Handycam etwas gedreht, um ein anderes Ereignis in unmittelbarer Nähe aufzunehmen, die Erschossene lag am linken Bildrand auf dem Rücken.

Der Stift deutete wieder auf diese Person.

»Schaut genau hin!«

Mit einem Mal begann die Leiche zu ruckeln und zu zucken, sie bäumte sich wie in einem epileptischen Anfall auf, krümmte und verbog sich völlig unnatürlich. Dann schnellte der Körper hoch, ging geschmeidig in die Hocke, und das zu einer grausamen Fratze verzerrte Gesicht schnüffelte umher wie ein Hund. Dann riss sie den Mund auf und begann zu schreien, so laut, dass das Mikrofon der Kamera übersteuerte. Die Frau, beziehungsweise das, was einmal eine Frau gewesen war, sprang auf und lief brüllend in Richtung Straße. Wieder wurde der Körper von zahlreichen Geschossen getroffen und herumgewirbelt, aber keiner der Schüsse war tödlich. Beine, Arme, Oberkörper und Bauch wurden sichtbar getroffen und übel zugerichtet, doch die wandelnde Leiche lief einfach weiter. Erst, als einer der Soldaten höher zielte und ihr in den Kopf schoss, verstummte sie und sackte zusammen. Nun blieb sie endgültig liegen.

»Wow, guckt ihr einen Zombiefilm?«

Keiner hatte bemerkt, dass Arnie, der Jüngste, aus der Küche herübergekommen war und ebenfalls auf den Monitor starrte. Seine Mutter sprang auf und ging mit ihm zurück in die Küche. Alv stoppte die Wiedergabe und drehte den Bildschirm zurück. Seine achtzehnjährige Tochter Cara fand zuerst Worte.

»Das ist mal echt krass. Heißt das, da in Rendsburg rennen überall Zombies rum jetzt?«

»Wie es aussieht, mein Kind, nicht nur da. Ich habe im Netz Nachrichten gefunden, dass es überall in Deutschland ausbricht, wie eine Seuche. Deshalb wird alles abgeriegelt. Quarantäne.«

»Und was sollen wir jetzt machen?«

»Wir werden folgendes machen: Dieses Haus und die angrenzenden umliegenden Grundstücke werden wir in eine Festung verwandeln. Nach Süden sind vier Grundstücke mit drei Häusern verfügbar, nach Norden drei Grundstücke mit einem Haus.

Die Nachbarn aus Nummer zweiundzwanzig und vierundzwanzig sind informiert, sie wollen dabei sein. Wir sind dann sechzehn Erwachsene, ein Jugendlicher und drei Kinder, zwanzig Personen also. Wir haben etwa dreihundertfünfzig Quadratmeter Wohnraum und fast fünftausend Quadratmeter Grundstück. Unsere Vorräte, Wasser und Energie reichen ungefähr für drei Monate, wenn Bruder Eckhardt und seine Leute hier eintreffen.«

»Wie lange meinst du, müssen wir aushalten, Dad?«, fragte Benny.

»Zunächst mal auf unbestimmte Zeit. Die Zombies werden nicht sofort hierher kommen, zuerst werden die Städte fallen, denke ich. Das gibt uns ein paar Tage Zeit, die nötigen Vorkehrungen für eine mögliche Belagerung zu treffen. Noch heute verbarrikadieren wir unser Grundstück hier, ab morgen geht es raus, die angrenzenden Grundstücke sichern.«

»Wie machen wir das?«

»Unser Grundstück ist mit einem drei Meter hohen Palisadenzaun komplett umgeben. Obendrauf ziehen wir Nato-Draht, der liegt in der alten Garage. Ich hab da mal 'ne LKW Ladung günstig bei Ebay geschossen.«

»Na klar, Dad«, warf Rhea lachend ein, »sag uns lieber, was fehlt, die Liste ist kürzer.« Sie drückte ihren Sohn an sich und kniff den Mund zu. Alv ging zu ihr hinüber und hockte sich vor ihr hin. Er legte seine Hände auf ihren Unterarm.

»Ich weiß, das ist nicht leicht zu begreifen, Kind. Aber die Welt von gestern gibt es nicht mehr. Wenn morgen die Sonne wieder aufgeht, werden wir uns im Krieg befinden, und wie es aussieht, werden unsere Gegner zahlreich sein. Es wird sie nicht interessieren, ob uns diese neue Welt gefällt. Und wie es auf den Videos aussieht, sind sie äußerst aggressiv. Wir können froh sein, dass wir diesen Ort haben, an dem wir uns verteidigen können. Vielen Menschen da draußen geht es nicht so. Sie werden ihre Kinder nicht beschützen können.«

Er streichelte sanft über den Kopf seines Enkels; der sah ihn dabei an.

»Opa Alv, kämpfst du mit Papa jetzt gegen Monster?«

»Ja, mein Kleiner, dein Papa und ich werden gegen Monster kämpfen, damit Mama und den Anderen nichts passiert. Ist das okay?«

»Ja. Find ich gut. Ich pass' auf Mama auf, wenn du mit Papa gegen die Monster kämpfst, Opa.«

»Das ist eine sehr gute Idee.«

Alv stand wieder auf, und sein Ältester fragte:

»Okay, gehen wir es an. Wie willst du die anderen Grundstücke sichern? Meinst du, Nato-Draht reicht aus?«

»Nein, der reicht keinesfalls. Wenn ich das richtig gesehen habe, sind die Zombies flink und aggressiv, wir brauchen also etwas, das sie aufhält.«

Er holte aus einer Schreibtischschublade einen Geländeplan der Gemeinde und breitete ihn auf dem Wohnzimmertisch aus.

Das zu sichernde Gebiet war rot markiert.

»Das wird unser Areal, unser Refugium. Ein langgezogenes Dreieck. Maße hier: zweihundertdreiunddreißig Meter, da zweihundertachtundvierzig Meter und an der Basis im Norden fünfundvierzig Meter, macht 526 Meter Umfang. Knappe einhundert Meter sind schon befestigt. Den Rest werden wir mit Strohballen sichern.«

»Mit Strohballen. Nicht dein Ernst, oder?« Benny lachte gekünstelt.

»Das ist sehr wohl mein Ernst. In unserer unmittelbaren Umgebung lagern tausende von Hochdruckballen, nicht so kleine Klötzchen, wie ihr sie da unten in Bayern habt.«

Alv lächelte, dann fuhr er fort: »Hochdruckballen sind zwei Meter mal einszwanzig mal ein dreiviertel Meter, ungefähr, und wiegen um die dreihundert Kilo. Wir brauchen zweihundert Ballen pro Lage, also knapp 800 Ballen insgesamt. Wenn wir mit zwei LKW mit Auflieger fahren, können wir pro Tour ungefähr einhundertfünfzig Ballen holen. Wir besorgen uns morgen zwei Laster, Eckhardt und einer seiner Männer sind gute LKW-Fahrer, die waren früher bei der NVA und sind mit sowas bestens vertraut. Zum Laden nehmen wir Schlepper mit Frontlader. Einen haben wir hier auf den Hof stehen, einen müssen wir besorgen. Mit etwas Glück haben wir binnen einer Woche unser Camp umbaut. Die Laster und andere Autos stellen wir zur Straße hin innen noch gegen den Wall zur Stabilisierung, hinten haben fast alle Grundstücke dichten Bewuchs, das stabilisiert die Ballen dort. Glaub mir, Sohn, wenn wir es schaffen, diesen Ring dichtzubekommen, dann kommt hier so schnell kein Zombie rein.«

Aus einer Ecke des Raumes kam Felines Stimme: »Ja, so kennen wir Daddy. Keine halben Sachen. Du hast das alles schon geplant? Seit wann?«

»Seit 1999. Der Herr sprach zu mir wie einst zu Noah. Nur sagte er mir nicht, ich solle ein Schiff bauen. Er sagte: Wähle dir eine Insel. Befestige sie. Dünge sie mit Kriegsgerät.«

Felines Mutter stand auf, ging zu Alv hinüber und gab ihm einen Kuss.

»Weißt du, manchmal bist du ein echtes Scheusal. Aber heute bin ich froh, dass du der Vater unserer Kinder bist, und nicht irgendein verblödeter Yuppie.«

Er wirkte etwas irritiert, lächelte aber. Er führte seine Pläne weiter aus.

»Für den Anfang schlage ich vor, dass wir eine klassische Rollenverteilung wählen. Die Jungs und Männer bauen an unseren Anlagen, Sandy, Rhea, Cara kümmern sich um Verpflegung und so weiter, Feline und Sally kümmern sich um den Garten, Karsten und Elfie, unsere Nachbarn, unterstützen sie dabei. Wir wollen versuchen, soviel Lebensmittel wie möglich hier zu erzeugen. Wenn der Wall steht, werden die Männer ausrücken, um weitere Vorräte zu besorgen. Unser Nachbar Karl, Thorsten, Aaron, Benny und ich werden mit Eckhardt und seinen Leuten nachts umschichtig in Dreiergruppen Wache halten, am Tage können das auch die Frauen zwischendrin machen. Soweit erst einmal der Plan, den wir im Laufe der nächsten Wochen natürlich an die Situation anpassen müssen. Jetzt würde ich vorschlagen, wir gehen alle zusammen raus und verschaffen uns einen Überblick über das Gelände. Es ist wichtig, dass jeder hier weiß, was wo genau liegt. Wir treffen unsere Nachbarn noch und erörtern die Lage, und in etwa einer Stunde treffen die Berliner ein. Dann machen wir gemeinsam Pläne für unseren Tagesablauf. Noch Fragen?«

Keiner sagte etwas. Die Informationen waren für alle so überraschend und dicht gepackt gekommen, dass sie alle erst einmal die Lage erfassen mussten. Noch gestern war die Welt ein warmer Sommer mit Familie, Wohnung, Beruf, Internet und Smartphone gewesen, und jetzt befanden sie sich mitten in einer Apokalypse der dunkelsten Art. Alv wusste, dass dieser Tag vor seinem Ende noch einige Zusammenbrüche bringen würde.

Jahr Null. 13. Juli, früher Abend

Kurz nach achtzehn Uhr traf der Berliner Treck ein. An der Spitze fuhr ein »Eisenschwein«, so wurde der hervorragend gepanzerte Truppentransporter vom Typ Bronjetransporter BTR-152 genannt. Ihm folgte ein Ural 4320, ein dieselfressendes, nahezu unverwüstliches Ungetüm auf Rädern. Die Fahrzeuge waren ziemlich verdreckt, die Fahrt hatte also nicht nur auf der Autobahn stattgefunden. Alv winkte die Trucks auf das Nachbargrundstück, hier stand ein kleines Ferienhaus und es verfügte über eine breite, mit Flusskieseln ausgelegte Auffahrt. Knirschend gruben sich die gewaltigen Räder der russischen Fahrzeuge in den Kies, bis sie zum Stehen kamen. Der Motor des Eisenschweins schüttelte sich merklich und lief aus. Als sich die Fahrertür des stählernen Monstrums öffnete, grinste Alv Bulvey erfreut über das ganze Gesicht. Sein alter Freund Eckhardt Zinner, wie er selbst ein Mann von raumgreifender Erscheinung, entstieg der Kabine, in Militärkleidung gewandet und mit frisch rasierter Glatze. Die beiden Männer umarmten sich herzlich und klopften sich gegenseitig ausgiebig auf den Rücken.

»Alv, mein Freund, wir haben uns lange nicht gesehen!«, donnerte die Stimme des Berliners über den Platz.

»Dafür telefonieren sie manchmal vier Stunden am Stück«, raunte Sally ihrem großen Bruder zu. Die Kinder waren mittlerweile alle zum Parkplatz gekommen, auch Alvs Exfrau Sandy. Sie ging zum LKW und drückte dem Ankömmling die Hand. Ihre zarte Hand verschwand in der Pranke des Anderen.

»Eckhardt. Wir haben uns lange nicht gesehen, über zehn Jahre, oder? Willkommen.«

»Hallo, Sandy. Na ja, ich konnte euch ja hier nicht allein lassen.«

»Du bist jetzt Hauptmann?« Schmunzelnd deutete Alv auf die Schulterklappen der Fantasieuniform aus NVA-Felddienstjacke, Bundeswehr-Cargohose und Doc-Martens-Stiefeln, die Eckhardt trug, ergänzt um seine Orden aus der NVA-Zeit, die in der Sonne auf der Jacke strahlten.

»Na ja, das Gute an der Situation ist, dass man gewisse Dinge einfach neu definieren kann. Und sich selbst einen LKW-Führerschein zuerkennen darf. Gibt ja bald nicht mehr viele, die widersprechen könnten«, sagte Eckhardt breit grinsend.

Inzwischen waren die anderen Mitreisenden aus dem BTR geklettert und vom LKW abgestiegen und standen hinter Eckhardt.

»Das sind Holger, Gernot, Gertrud und ihre Tochter Maria, und Wolfgang, mein Bruder, seine Frau Anita und die beiden Jungs«, stellte er sie kurz vor, »Holger hatte damals auch in der NVA gedient. Den Ural habe ich mir bei einer Kommune in Kreuzberg, nun ja, ausgeliehen. Die hatten das Ding auf dem Hof stehen und die Hippies sahen eh nicht mehr so aus, als hätten sie noch Verwendung dafür.«

Er klopfte auf den Kotflügel.

»Du hattest Recht, Alv, die Fahrt war die Hölle. Zuerst ging es auf der A9 bis Leipzig, um die Family einzuladen, zum Glück wohnten sie am Stadtrand. Von dort aus dann ein Abstecher über die Landstraße nach Torgau, ein Bekannter aus der NVA-Zeit hatte mal erzählt, dass das alte Militärlager immer noch existiert. In Torgau war schon der Teufel los, völliges Chaos, deshalb kamen wir ohne Probleme in das Lager, ich wusste ja, wo es ist. Wir haben uns geschnappt, was wir in die Finger bekamen, ich weiß gar nicht, was wir da alles geladen haben, wir müssen nachher erst mal Inventur machen. Allerdings stellten wir fest, dass die Ladefläche so vollgepackt war, dass der Personentransport, besonders für die Kids, unzumutbar war. Also haben wir uns noch den BTR-152 ausgeborgt. Da stehen noch massenhaft von den Dingern rum, obwohl die damals behauptet haben, die wären alle verschrottet worden. Na, jedenfalls hatten wir dann die Wahl zwischen Pest und Cholera, entweder Landstraßen, aber durch Wittenberg und Magdeburg, oder zurück auf die A9, auf der A10 an Berlin vorbeischleichen und dann ohne Rücksicht auf Verluste die A24 hochdonnern. Weil wir es so schnell wie möglich hinter uns bringen wollten, haben wir uns für letztere Variante entschieden. Durch Hamburg haben wir uns aber nicht getraut, wir sind bei Schwarzenbek von der Autobahn runter und dann die Landstraße um Bad Segeberg und Neumünster herum geschlichen. Mit dem letzten Tropfen Sprit sind wir hier angekommen, die Tanks sind so leer wie unsere Mägen. Gibt's Essen?«

»Na klar, Bruder. Würde sagen, wir laden den Truck ab und schaffen die Sachen in den Carport unters Dach, dann Essen fassen. Die Frauen haben einen sehr guten Eintopf gezaubert, Tee und Kaffee steht bereit. Willkommen im Refugium.«

Jahr Null. 13. Juli, früher Abend

In Rendsburg war die Hölle los, im wahrsten Sinne des Wortes. Das Krankenhaus, das von Soldaten umstellt gewesen war, galt als Ausbruchstelle. Von hier aus hatte sich die Epidemie wie Wundbrand ausgebreitet, niemand konnte sie aufhalten. Die Verantwortlichen im eilends gebildeten Krisenstab mussten mitansehen, wie die Menschen im Krankenhaus und der Umgebung infiziert wurden, und das in einem Tempo, das niemand überhaupt für möglich gehalten hätte. Im Kellergeschoss gab es keinen lebenden Menschen mehr, hier hatten die Zombies bereits jedes menschliche Leben ausgelöscht. Alles hatte mit einem Patienten begonnen, der an einem Herzstillstand gestorben war. Er lag in der Quarantäne, weil man vermutete, er habe sich mit Maul- und Klauenseuche infiziert. Doch irgendetwas war schiefgelaufen. Der Tote war in die Pathologie gebracht worden, und dort hatte er sich einfach vom Obduktionstisch erhoben, nachdem der Pathologe bereits begonnen hatte, ihn aufzuschneiden. Der lebende Tote hatte sich wie wild gebärdet und wahllos das Personal gebissen, wie ein tollwütiger Hund. Trotz unverzüglich eingeleiteter Maßnahmen hatte der grausam entstellte Tote aus eigener Kraft entkommen können und das Kellergeschoss verlassen. Die Soldaten eines Einsatzkommandos, die gerade eingetroffen waren, wurden ebenso von ihm gebissen wie Ärzte, Schwestern und Pfleger. Dann hatte er sich in den höher gelegenen Bereichen des Krankenhauses über Patienten und Besucher hergemacht, die völlig verschreckt an den Fenstern standen, um zu sehen, warum draußen das Militär aufmarschierte.

Nun wütete der Zombie unter den Patienten, von denen viele bettlägerig waren, wie eine Bestie. Alle Menschen, die von ihm gebissen wurden, verwandelten sich binnen kürzester Zeit ebenfalls in blutgierige Zombies und infizierten weitere Personen. Im Krankenhaus spielten sich grauenvolle Szenen ab. Im Erdgeschoss hatten sich frisch Infizierte über die gebärenden Frauen im Kreißsaal hergemacht, eine der werdenden Mütter wankte durch den Gang, ihr Neugeborenes in einer blutigen Spur an der Nabelschnur hinter sich her schleifend. Sie hatte keinerlei Sinn mehr für das werdende Leben, das ein paar Türen weiter ein anderer Zombie an sich riss und mit widerlich schmatzenden Lauten mehr oder weniger lebendig verspeiste.

Die Panik im Haus nahm immer mehr zu, als den Internierten klar wurde, dass man sie hier mit Monstern zusammengesperrt hatte, denen der Sinn nach frischem, warmem Menschenfleisch stand. Mittlerweile bissen die Zombies nicht nur einfach um sich, sie begannen auch, das Fleisch der Menschen gierig in ihre grotesk verzerrten Fratzen zu stopfen. Patienten mit frischen, aufgebrochenen OP-Wunden wankten herum, ihre Innereien fielen heraus und andere Zombies griffen danach, um sie zu fressen. Diese furchtbar widernatürlichen Handlungen fanden in einer Atmosphäre statt, die von irrem Kreischen und panischem Geschrei erfüllt wurde, überall im Haus gab es üppige Blutspuren und auch jede Menge andere Körperflüssigkeiten ließen den Boden glitschig werden. Viele Zombies rutschen auf Fleisch, Blut und Organen aus und fielen hin. Knochen brachen, zersplitterte Gebeine drangen durch das tote Fleisch und schlitzten die Extremitäten förmlich auf, doch das schien diese Abnormitäten nicht zu interessieren. Rasselnder, röchelnder Schein-Atem, vermischt mit grausamen Schreien und abartigen Gutturallauten bildete eine Kakophonie übelsten Horrors. Selbst wer dies nur hörte, konnte ad hoc den Verstand verlieren. Mittlerweile wurden die Patienten, das Personal und die Besucher im Minutentakt von dem Virus in Zombies verwandelt, lebende Tote, die nichts anderes im Sinn hatten, als andere zu infizieren, zu töten und zu fressen.

Die Absperrungen um das Krankenhaus konnten den Infektionsherd nicht länger eindämmen. Wie eine Flut, ausgespuckt aus den Tiefen der Hölle, ergoss sich die Masse der Untoten aus dem Haus. Die Soldaten schossen und schossen, und bis sie verstanden hatten, dass man den Zombies in den Kopf schießen musste, um sie zu erledigen, war es schon zu spät, dutzende von den Untoten hatten den Blockadering durchbrochen und verschwanden in den verwinkelten Gassen der Altstadt, wo in zunehmendem Maße grässliche Schreie davon kündeten, dass diese Monster ihre Zahl exponentiell erhöhten. Die Stadt Rendsburg sollte binnen vierundzwanzig Stunden fallen.

Jahr Null. 13. Juli, Abend

Kurze Zeit später saßen in Beldorf alle an einem großen Tisch, der im Carport aufgebaut war. Der Abend war sommerlich warm, Grillen zirpten, es duftete nach deftigem Essen und frischem Kaffee unter dem Dach.

Der Eintopf, den die Frauen gezaubert hatten, schmeckte vorzüglich, und nach dem Essen gingen die Mädels mit den Kindern etwas in den Garten hinter Alvs Haus.

Die Erwachsenen blieben am Tisch sitzen, tranken Kaffee und Tee, einige rauchten. Nach einer Weile ergriff Alv das Wort.

»Mein lieber Bruder Eckhardt, du weißt, wie froh ich bin, dass ihr es geschafft habt, euch hierher durchzuschlagen. Ohne euch hätten wir schlechte Überlebenschancen, glaube ich. Du hast die Videos sicherlich gesehen, die im Netz kursieren, das ist keine Sommergrippe, die da grassiert, hier geht es auf das Ende zu. Ich denke, wir sollten uns darauf vorbereiten, dass wir hier eine ganze Weile aushalten müssen, und dass die Sache nicht friedlich abläuft.«

Der bärige Berliner schwieg einen Moment, dann meinte er:

»Besser hier im Kampf sterben, als in einer Berliner Mietwohnung. Den Berichten nach zu urteilen, die man so mitbekommt, geht die Sache unheimlich schnell. Wir haben es unterwegs erlebt, in Berlin war schon die Hölle los, außerdem hatten die ersten Gangs schon ihren eigenen Krieg eröffnet. In Leipzig und Torgau sah es nicht besser aus, nur auf dem Land schien es noch friedlich zu sein. Ist nur eine Frage der Zeit, bis die Infrastruktur ausfällt, und irgendwann in den nächsten Tagen sollten wir mit der ersten Angriffswelle rechnen. Wir werden nicht allzu viel Zeit haben, es uns gemütlich zu machen. Wie sieht der Status hier aus?«

»Wir haben jetzt vierundzwanzig Personen hier, drei Nachbarn, die Familie und ihr. Davon sind sechs Kinder, das heißt, achtzehn Personen sind wehrfähig. Mein Schwiegersohn ist Soldat, alle anderen haben keine Waffenerfahrung. An Waffen haben wir zehn Sportbögen mit reichlich Pfeilen, zehnmal Armbrust mit Stahlbolzen, ausreichend Hieb- und Stichwaffen.

Mein Grundstück ist gesichert, wir verfügen über fünftausend Quadratmeter, wenn wir eine Festung bauen. Wir verfügen über fast eine halbe Million Kalorien an Vorräten, zehn Kubikmeter Wasser, unser Wasserwerk liegt dreihundert Meter weg.

Dreitausend Liter Dieselöl, sechshundert Liter Benzin, an Fahrzeugen vier PKW, ein Transporter, ein Schlepper mit Anhänger, dazu euer Ural und der gepanzerte Truppentransporter.

Ein Generator für vier Kilowatt, Solarelemente für Heißwasser. Die Gärten sind ganz gut bestückt, Obst, Gemüse, Kräuter. Soweit der Stand. Wir können ja gleich mal herumgehen. Was habt ihr mitgebracht?«

Holger, der andere NVA Veteran, lächelte.

»Na ja, meiner Inventur zufolge haben wir fünfundzwanzig AK47, jeweils mit Bajonett und Magazintasche. Wir hatten Glück und haben gleich die Variante MPi KMS gefunden, wie die Dinger damals offiziell hießen. Das sind die mit der seitlich abklappbaren Schulterstütze. Dazu passend fünfzig Kisten Munition Kaliber siebenzweiundsechzig, das sind mehr als hunderttausend Schuss, und weil es so schön war, haben wir noch dreihundert Handgranaten mitgenommen, etwa die Hälfte davon Sprenggranaten F-1 für die ganz hartnäckigen Fälle, der Rest das Damenmodell, die RGD-5.

Ist zwar etwas betagt, hat sich aber in zahllosen Bürgerkriegen bewährt, ebenso wie die hundert Minen MON-50, das Ding ist baugleich mit der amerikanischen Claymore.

Außerdem haben wir noch etwas Kleinkram mitgehen lassen, fünfzehn Pistolen Makarow PM neun Millimeter mit etwa zehntausend Schuss, jede Menge Verbandsmaterial, ein bisschen Schnickschnack zum Sprengen, Nachtsichtgeräte, Ferngläser und Laserpointer. So Zeug halt. Ach ja – und eine Kiste Snickers.«

Eckhardt machte ein nachdenkliches Gesicht.

»Also, wir müssen den Wachmannschaften das Schießen beibringen, unbedingt. Und ein paar andere nützliche Sachen. Training gleich ab morgen früh. Stellst du die Wachmannschaften auf? Und was war das mit dem Festungsbau?«

Alv erläuterte Eckhardt seinen Plan, den halben Straßenzug mittels riesiger Strohballen in eine Art Fort zu verwandeln, in dem alle vierundzwanzig Anwesenden genug Platz zum Überleben haben würden, und eventuell ein paar mehr.

»Nehmen wir Flüchtlinge auf?«, fragte der alte Soldat abschließend.

»Das ist eine gute Frage. Darüber habe ich, ehrlich gesagt, noch gar nicht nachgedacht. Mein Herz sagt natürlich: ja, aber der Verstand sagt: warte mal … Hm, was meinst du?«

»Na ja, ich würde sagen, wenn wir weitere Vorräte besorgen können, dann verträgt das Gelände, das du im Auge hast, nochmal zwanzig Leute.

Es hat aber schlichtweg wenig Sinn, Leute aufzunehmen, die alt und gebrechlich sind. Zu viele Kinder ist auch nicht gut, Anwesende natürlich ausgeschlossen.« Er grinste.

»Also, bis auf die sechs Kleinen wird hier jede und jeder das Refugium verteidigen, Bruder. Sie brauchen noch ein paar Tage, bis sie die Situation vollends realisiert haben, aber ich schätze, nach den ersten Angriffen werden alle über fünfzehn Jahren hier erwachsen sein. Ich finde es gut, wenn du mit Holger und Thorsten zusammen die anderen trainierst, grundsätzlich erstmal. Aber mit der Herumballerei hab ich so meine Zweifel. Hast du dir die Videos vom Krankenhaus in Rendsburg mal genau angesehen?«

»Ja, schon, wieso?«

»Mir ist an den Videos aufgefallen, dass die Zombies extrem auf Geräusche reagierten. Lautes Geschrei, Schüsse, Scheibenklirren und so weiter … das schien sie förmlich anzulocken und erst richtig heiß zu machen. Vielleicht sollten wir auch in Anbetracht der Munitionsvorräte nur schießen, wenn es wirklich nötig ist.

Bogen und Armbrust sind wirksame Waffen, und die Munition können wir hier selbst herstellen. Aber du hast natürlich recht, wenn du meinst, unsere Wachposten müssen alle Waffen beherrschen. Ich werde an deinem Training auch teilnehmen.«

Alle Anderen, die noch am Tisch saßen, folgten dem Gespräch der beiden aufmerksam. Die Älteren kannten Eckhardt noch von früher, als er und der Vater in die anglikanische Gemeinschaft eingetreten waren und über den göttlichen Willen in den Menschen gepredigt hatten.

Und wie sie gemeinsam im Internet ihre Botschaft vom Willen als höchste Form der Schöpfung verbreitet hatten und sich mit Sektierern, der Kurie und zweifelhaften Ablasshändlern angelegt hatten.

Und nun standen die beiden alten Herren hier zusammen, um sie, die Kinder, gegen die Ausgeburten der Hölle zu verteidigen.

Alv und Eckhardt erhoben sich und machten einen Rundgang über das Grundstück.

Eckhardt staunte.

»Seit ich das letzte Mal hier war, hat sich aber einiges verändert. Waren hier hinten nicht überall Schuppen?«

Alv zeigte seinem Freund die Neuerungen, die es seit seinem letzten Besuch hier gegeben hatte.

»Die habe ich alle weggerissen, da sind jetzt Kartoffelbeete, Beerensträucher … und da links ist der Hühnerstall. Das Gewächshaus hier gab es auch schon vor zehn Jahren, letztes Jahr habe ich eine massive Terrasse darüber gebaut, brachte nochmal fünfzig Quadratmeter extra. Da oben bauen wir in Brotkisten Gemüse an, schau mal da hoch. Sally und ich haben die Kisten in Regale gestellt, mit Vlies ausgelegt und mit Kompost befüllt. So habe ich ein modulares System, das ich beliebig verändern kann. Und wenn die Ernte drin ist, dann kommt das Substrat wieder auf den Kompost, wird untergemengt und im nächsten Gang wieder eingesetzt. Salat, Gurken, Paprika, Kohlrabi, Bohnen, Küchenkräuter. Über das Dach des kleinen Anbaus und den Carport hab ich ein Netz gehängt, darin ziehen wir dann Erbsen und Stangenbohnen. Zucchini, Kohlsorten, Mangold, Spinat, Kartoffeln, Lauch und Sellerie ziehen wir in den Beeten an den Zäunen hier unten. Dort unter der Terrasse ist der Generatorraum, da züchten wir auf Strohballen Champignons. Im Moment nutzen wir nur etwa ein Viertel der Kapazitäten, aber ab sofort geben die Mädels im Garten richtig Gas.«

»Das ist dein Ding, nicht wahr? Ich hab früher immer ein bisschen gewitzelt, wenn du davon gesprochen hast, und als du damals das Haus übernahmst und wir hier zusammen aufgeräumt haben, wollte ich nicht recht glauben, dass du die Insel-Prophezeiung hier verwirklichen würdest.«

»Tja, siehste, und nun bist du ein Teil davon. Und darüber bin ich verdammt froh.«

Die beiden inspizierten noch den Rest des Grundstücks, das Haus, die Vorratsräume, und sprachen kurz mit den Bewohnern der beiden Nachbarhäuser, die in das Areal mit einbezogen werden sollten. Zwei Grundstücke weiter in südlicher Richtung lebte Karl, ein sechzigjähriger Frührentner, der erstaunlich rege und fit war, er hatte in Alvs Plan sofort eingewilligt und sehr brauchbare Vorschläge eingebracht. Ein Haus weiter wohnten Karsten und Elfie, beide Anfang fünfzig, ein sehr zurückhaltendes und schüchternes Ehepaar, die auch zugestimmt hatten, nachdem sie die Nachrichten verfolgt hatten. Das große Haus im Norden stand leer, darin waren drei Wohnungen, das Grundstück maß fast eintausend Quadratmeter. Dieses Haus wollten sie als Lager und eventuell für hinzukommende Bewohner nutzen. Das kleine Ferienhaus neben Alvs Wohnhaus sollte Kommandozentrum werden, der innere Palisadenzaun sollte um das kleine Gebäude herum erweitert werden, wenn der große Wall fertig war. Dann gab es noch insgesamt drei leere Grundstücke, hier wollten die Bewohner des Refugiums weitere Anbauflächen für Gemüse hinzufügen.

Als sie ihre Inspektion beendet hatten, wurde der erste Wachdienstplan erstellt, man saß noch eine Weile im dämmernden Licht beieinander und verfolgte auf den Laptops die aktuellen Nachrichten, bevor es ins Bett ging. Die News und Stories, die sie im Netz verfolgen konnten, verhießen weiß Gott nichts Gutes.

Jahr Null. 14. Juli, Morgen

Die Epidemie war unaufhaltsam ausgebrochen. Mittlerweile hatten die Infizierten das abgesperrte Areal verlassen, die Militäreinheiten waren längst nicht mehr Herren der Lage. Die Innenstadt war bereits von Zombies verseucht, ein Übel, das niemand auch nur anzunehmen wagte, hatte sich manifestiert. Zwar gab es in örtlichen und überregionalen Krisenstäben Pläne für Epidemien, aber nicht für eine Zombie-Invasion. Überall in der Stadt liefen Infizierte herum und griffen Passanten an, diese Z-Seuche breitete sich wie ein Buschfeuer aus. Polizei und Militär hatten Anweisung, offensichtlich infizierte Personen an Ort und Stelle durch gezielte Kopfschüsse zu eliminieren, aber viele Beamte fürchteten sich davor und wurden selbst zu Opfern.

In der Nacht war es einigermaßen ruhig geblieben, doch nun brachen alle Dämme. Aus der Innenstadt zogen marodierende Horden von Untoten am Eider-Ufer entlang zur Parksiedlung, einer ausgedehnten Wohnanlage für Senioren und Familien. Auf ihrem Weg dorthin scherte eine Horde aus und erklomm den Hügel in der Nähe der Stadtwerke, dort lagen die großen Villen Besserverdienender, hier saß man noch beim Frühstück beisammen und rätselte, was das wohl für Aufruhr in den Wohngebieten des Prekariats sei, von denen berichtet wurde. Sehr schnell erfuhren die Herrschaften, worum es im Grunde ging, nämlich um das Sterben und, was schlimmer war, das Wiedererwachen. Die erste Villa, die hier fiel, war die des Schiffsmaklers Radler, die Zombies rotteten fast die ganze Familie binnen weniger Minuten aus. Nur eine junge Frau überlebte das Massaker in ihrem Haus, weil sie klug genug gewesen war, sich gut zu verstecken, als die Horde angriff.

Die widerlichen Kreaturen dachten nicht, sie wurden von einem unstillbaren Durst nach Blut und dem Hunger nach Menschenfleisch getrieben. Ihre toten Körperzellen wurden von den Ausscheidungen winziger Viren gesteuert, die Kontrolle über das Limbische System und das ZNS übernommen hatten. Die Körper waren kalt, in den Zellen wurde kein Sauerstoff verbrannt, und obschon es schien, als würden sie atmen, diente dies nur der Erzeugung der furchtbaren Schreie und Geräusche, die diese Bestien ausstießen. Es war nicht so, dass die Zombies gezielt kommunizierten, ihr Gekreische diente der Rudelbildung, denn das Virus in ihren Zellen war programmiert, Rudel, Horden und Herden zu bilden, um bei der Jagd erfolgreicher agieren zu können. Man konnte dieses Verhalten nicht als intelligent bezeichnen, denn viele Zombies rannten in ihrer Rage in tödliche Fallen wie Stacheldraht, spitze Gegenstände und vor die Autos Flüchtender, viele von ihnen fielen am Kai der Binneneider auch ins Wasser, wo sie einfach versanken und nicht wieder auftauchten.

Diese Kreaturen verfügten über keinerlei Erinnerung der Personen, die sie einmal gewesen waren, selbst rudimentäre Dinge wie einfache Gefahrenabwendung waren ihnen offensichtlich fremd. Man hätte dieser Plage gewiss Herr werden können, wären es nicht binnen kürzester Zeit so viele gewesen.

Die Gegend um den Rendsburger Stadtsee wimmelte bereits von Zombies, überall waren sie und rannten schreiend herum, um Beute zu machen. Menschen versuchten zu flüchten, Autos verstopften die Innenstadttangente, und schnell hatten die Zombies dieses Futterplätzchen ausgemacht. In Rotten fielen sie über die Fahrzeuge her, die nicht vor und nicht zurück konnten, in ihrer Raserei zertrümmerten sie Windschutzscheiben und Seitenfenster, krochen halb in die Fahrzeuge und labten sich am Fleisch hysterisch schreiender Familien. Während die Biester anfangs noch große, blutige Stücke aus ihren Opfern heraus bissen und gierig schmatzend verschlangen, so gingen sie später dazu über, ihre Opfer nur noch durch Bisse grausam zuzurichten, um die Programmierung des Virus auf Vermehrung zu erfüllen. Gegen Mittag kam die Blechlawine in der Stadt vollends zum Erliegen, obwohl die Motoren der Autos noch liefen. Zahlreiche Hupen ertönten in der Schlange, wo Fahrer über ihrem Lenkrad zusammengebrochen waren. Doch dieses Geräusch ließ mit der Zeit nach, denn die Infizierten erwachten zu neuem, widernatürlichem Leben, das ihnen das Zombievirus eingehaucht hatte.

Über der Stadt kreisten mittlerweile Hubschrauber des Militärs und feuerten in die Menge, denn lebende Menschen waren hier nicht mehr auszumachen. Aus Jagel kamen Kampfflugzeuge der Luftwaffe und bombardierten die dicht besiedelten Bereiche im Norden der Stadt, die Wohnblocks dort wurden mit Hellfire-Raketen beschossen und zerstört. Binnen weniger Stunden sah es in der ehemals blühenden Metropole in der Mitte des Nordens aus wie in Bagdad.

Am frühen Nachmittag musste der Krisenstab Rendsburg aufgeben, auch die angrenzenden Städte und Gemeinden waren bereits von Infizierten durchsetzt. Das Militär evakuierte letzte Mitglieder der eigenen Streitkräfte, auf dem Militärflugplatz in Hohn wurde ein Basislager errichtet, in dem die Evakuierten untersucht und sondiert wurden. Wer nur geringste Anzeichen einer Infektion aufwies, wie erhöhte Temperatur, stark geweitete Pupillen oder offene Wunden jeder Art, der wurde nicht auf das Gelände gelassen. Bestimmte Personen mit VIP-Status wurden stündlich mit Transall-Maschinen ausgeflogen, niemand wusste wohin.

Jahr Null. 14. Juli, Vormittag

Nach dem gemeinsamen Frühstück gingen Alv und Eckhardt zum Nachbargrundstück, um das kleine Ferienhaus dort zur Kommandozentrale umzubauen. Holger, Gernot, Wolfgang und Anita waren unterwegs, um zwei Aufliegertrucks zu organisieren, die Truppe wollte noch am selben Tag mit der Errichtung des Walls beginnen.

Am morgigen Tag sollten dann vier Mann damit beginnen, die Einsatzzentrale zusätzlich mit einer Palisadenwand zu umgeben, um sie zum inneren Verteidigungsring hinzuzufügen.

Ausreichend Holz und Werkzeug waren vorhanden, außerdem gab es oben im Dorf eine Baustelle, wo mehrere große Stapel an Eisengeflechtmatten nur darauf warteten, Teil der neuen Befestigungsanlage werden zu dürfen.

Sobald die ersten Strohballen aus den umliegenden Ackerlagern herantransportiert werden würden, sollte die erste Wand daraus auf dem Gehsteig errichtet werden, ein Zugangstor sollte aus zusammengeschweißten Weidengattern gebaut werden, die mit Blechplatten blickdicht gemacht werden sollten. Zwischen dem äußeren Wall und den Zäunen bzw. Hecken der Grundstücke waren jeweils noch zwei bis drei Meter Platz, hier wollte Eckhardt zur Verstärkung LKW, Traktoren und anderes schweres Gerät parken, um einem möglichen Ansturm durch Zombies standhalten zu können.

Alv und Eckhardt betraten das kleine Ferienhaus, das über einen zentralen Raum mit Ofenheizung verfügte, außerdem im Erdgeschoss ein Schlafzimmer und Bad sowie Pantry-Küche hatte, und im Dach noch einen kleinen Schlafraum. Alv sah sich um und meinte:

»Was denkst du? Hier unten richten wir die Zentrale ein, du kannst oben schlafen. Im Haus ist es einfach zu eng, ich hab schon Probleme, meine Kids da unterzubringen.

Deine Leute können in Nummer 34 einziehen, vom Obergeschoss dort hat man einen sehr guten Überblick, da könnten wir den Ausguck einrichten.«

Eckhardt sah sich in Ruhe um, schaute ins Bad, nickte.

»Bauen wir hier einen Kartentisch. Ich hab ausreichend offline-Kartenmaterial in guter Auflösung für die Rechner dabei, am besten ist aber, wir besorgen uns noch Papierkarten.

Wer weiß, wie lange wir noch Internet zur Verfügung haben. Hast du ausreichend Netzkram gebunkert?«

»Ich hab drei Terabyte reines Datenmaterial rumliegen, schätze, da ist das meiste bei, was wir benötigen. Saft für die Rechner haben wir auch erst einmal reichlich, wir müssen nur demnächst mal zusehen, ob wir irgendwo ein paar Heizöltanks leerpumpen können für euren Laster, das Teil sieht durstig aus.«

»Ja, so knappe vierzig Liter nimmt der auf hundert Kilometer, das Eisenschwein schluckt fast fünfundvierzig Liter, aber sie sind absolut zuverlässig.

Russische Wertarbeit für echte Krieger eben, nicht so ein Zeug mit Polstersesselchen und voller Elektroscheiß wie der NATO-Kram.« Er grinste. Alv lachte.

»Das hätte ich jetzt auch nicht anders erwartet, Herr Hauptfeldwebel …«

»Mann! Hauptmann bitte, ja? Soviel Zeit muss sein, Towarisch!«

Alv knuffte den Bruder spielerisch. Dann meinte er:

»Die Mädels haben vorhin im Fressebuch nachgesehen, in Hademarschen breitet sich bereits Unruhe aus wegen der aktuellen Nachrichten. Beim ALDI ist der erste Run los, schätze, es wird im Laufe des Tages unruhiger.«

»Dann sollten wir schnell reagieren. Wir könnten deinen Schwiegersohn, den Soldaten, und deinen Ältesten mitnehmen und eventuell Aaron und diesen Nachbarn, Karl, zum Schleppen.

Kannst du mit der AK47 umgehen?«

»Ja, klar, krieg ich hin.«

»Und deine Jungs?«

»Nicht.«

»Gut, dann weise ich den Großen und deinen Schwiegersohn in die Waffe ein. Dann sind wir vier Bewaffnete, das sollte reichen, die anderen beiden brauchen keine Schusswaffe. Wir geben uns als Militärkommando aus, falls da irgendwo die Bullen auftauchen, obwohl ich fast annehme, dass die Besseres zu tun haben.«

»Okay. Wo fangen wir an?«

»Hm … Also, die verschreckten Bürgerlein werden zuerst Tiefkühlpizza und Alk und Kippen abgreifen, denke ich mal.

Wir sollten unsere Schwerpunkte anders setzen. In Hademarschen gibt es bestimmt 'ne Apotheke?«

»Zwei, ja.«

»Gut, dann fangen wir da an. Zu Futtern können wir uns immer noch besorgen, wichtig sind aber Medikamente, Verbandszeug und so weiter. Gibt es da auch 'nen Baumarkt oder so?«

»Werkzeugläden, zwei. Und einen ambulanten Pflegedienst, die haben bestimmt auch jede Menge Sanitätskram.«

»Gut, dann machen wir jetzt eben einen Crashkurs in Waffengebrauch, wobei ich allerdings nicht glaube, dass wir die Waffen wirklich einsetzen müssen.

Wir haben für alle Uniformzeug, da nässen die sich schon ein, wenn wir reinkommen. Sag du eben den Jungs Bescheid, ich hole die Waffen und Munition.

Treffen hier in dreißig Minuten.«

Kurze Zeit später standen die vier in Uniform beim Ural-Laster. Die Uniformen waren nicht authentisch, ungeübten Menschen würde das jedoch nicht auffallen, meinte Eckhardt.

Während Aaron und Karl Kisten, Kästen und Säcke auf die Ladefläche verfrachteten, wies Eckhardt die beiden Jüngeren kurz in den Gebrauch der Waffe ein. Sein Ton war sachlich, militärisch und ließ erkennen, dass dies nicht der Ort für Diskussionen, sondern für Gehorsam war.

»Dies ist die Awtomat Kalaschnikowa, obrasza 47, ein zuverlässiges Sturmgewehr russischer Herkunft. Es verschießt Munition vom Kaliber 7.62 und verfügt in unserem Fall über Magazine à 30 Schuss.

Jeweils drei Magazine kleben wir mit Tape um hundertachtzig Grad versetzt zusammen, so haben wir neunzig Schuss binnen kürzester Zeit zur Verfügung. Außerdem habt ihr eine Magazintasche mit vier Magazinen am Koppel.«

Er drehte sich seitwärts und zeigte, wie man das Magazin einsetzte. Dann klappte er die Schulterstütze aus, setzte die Waffe gegen seine Schulter und nahm eine Schussposition ein.

»Wichtig im Umgang mit dieser Waffe ist zu wissen, dass der Rückstoß nicht unerheblich ist. Ihr haltet die Waffe mit der rechten Hand am Griffstück, den Zeigefinger ausgestreckt an die Abzugseinrichtung gelegt. Mit der linken Hand haltet ihr sie am Handschutz.

Nicht verkrampfen, sondern den Handschutz in die Hand legen und die Waffe stabilisieren.

Nun müsst ihr die Waffe in die rechte Schulter einziehen und dabei den rechten Ellenbogen waagerecht auswinkeln, das schafft Luft zwischen Schlüsselbein und Schultergelenk. Wie ich sagte: die Waffe einziehen, nicht pressen, keinesfalls locker gegen das Schultergelenk stellen und nicht den Ellenbogen gegen den Körper pressen. Es sei denn, ihr habt Lust, euch nach dem ersten Schuss die Schulter wieder einkugeln zu lassen.

Das ist schmerzhaft und sollte tunlichst vermieden werden. So haltet ihr die Waffe beim Schießen richtig. Nachmachen!«

Er demonstrierte noch einmal die Schusshaltung und ließ jeden diese Position vorführen. Er korrigierte noch ein paar kleinere Haltungsfehler, dann fuhr er in seinem Kommiss-Ton fort.

»Die Waffe ist konzipiert für Einzel- und Dauerfeuer. Im Einzelfeuermodus löst jeder Durchzug des Abzuges einen Schuss aus, bei Dauerfeuer wird automatisch nachgeladen und gefeuert, solange der Abzug durchgedrückt gehalten wird. Der Modus wird am Sicherungshebel eingestellt, hier. Gesichert, Einzel- und Dauerfeuer.

Beim Magazinwechsel das Magazin leicht in Richtung Mündung gekippt am Magazinschacht ansetzen und nach hinten ziehen, bis es einrastet. Dann entsichern, durchladen, indem ihr den Verschluss am Hebel zurückzieht und zurückschnappen lasst, danach sofort wieder sichern.

Beim Schießen zunächst grundsätzlich auf Einzelfeuer stellen, nur in Feuergefechten stellt ihr auf meinen Befehl auf Dauerfeuer und gebt kurze Salven von zwei bis vier Schuss ab.

Richtet niemals die Waffe auf eure Kameraden.

Mit dem Gurt geschultert wird die Waffe mit dem Lauf nach oben, im Einsatz wird der Lauf schräg nach unten gesenkt.

Solange ihr noch keine Übung habt, bleibt die Waffe mit ausgeklappter Schulterstütze gesichert und wird erst auf meinen Befehl hin entsichert.

Wenn die Waffen nach dem Einsatz abgegeben werden, sind sie zu entladen. Waffe sichern, Magazin entnehmen, entsichern, Verschluss zurückziehen.

Die im Lauf befindliche Patrone wird ausgeworfen, Verschluss zurückschnellen lassen, Waffe schräg nach oben in die Luft halten und zum Entspannen Abzug durchziehen. Dann sichern. Noch Fragen?«

Da es keine Fragen gab, ging Eckhardt zum nächsten Punkt über.

»Da wir etwas unter Zeitdruck stehen – und auch in Ermangelung eines richtigen Schießplatzes –, werden wir die Schießübung etwas verkürzen.

Ich hoffe sowieso, dass der Gebrauch unserer Waffen am heutigen Tage nicht nötig sein wird. Wir drehen uns also nach rechts, laden durch, entsichern auf Einzelschuss und heben die Waffe in Schussposition.

In der Reihenfolge geben wir jeder einen Schuss ab, ich beginne. Und nicht vergessen: Schulter innen, fest andrücken.«

Alle machten es Eckhardt nach, luden durch, hoben die Waffen und zielten auf den Acker hinter dem Grundstück.

Zuerst schoss Eckhardt, dann Alv, dann Thorsten und zum Schluss Benny. Die beiden letzten wurden vom Rückschlag fast umgeworfen, Thorsten, weil er von eher zarter Statur war und Benny, weil er das Führen einer Waffe nicht gewohnt war. Mit strengem Blick wandte sich Eckhardt an Thorsten.

»Junger Mann, ich denke, du bist Soldat? Mal ein bisschen Standhaftigkeit zeigen hier.«

Thorsten schaute ein wenig bedröppelt.

»Na ja, in der Grundausbildung gab es zwar Schießübungen, aber eher weniger. Und später brauchte ich ja nie 'ne Waffe.«

»Hauptsache, wenn es drauf an kommt, bist du dabei. Ich gebe für jeden sieben Magazine Munition aus, mehr brauchen wir nicht.«

»Waren Sie bei der Bundeswehr?«, fragte Thorsten den brummigen Eckhardt.

»Wo bitte? Bei der Bundeswehr? Du meinst die Firma Ypsilon-Reisen? Selbstfindung mit sozialpädagogischer Betreuung beim Campen in der Eifel mit Grill und Joint zum Feierabendbier? Und jeden Freitag pünktlich dreizehn Uhr schließt der Letzte die Kaserne ab? Nein, ich habe in einer Armee gedient. Ich war in der Nationalen Volksarmee bei der Artillerie, 122-Millimeter-Haubitze, da gab's Blut, Schweiß und Tränen, wenn wir mit den Russen im Feld lagen, statt Seelenmassage und Erdnussbutterbrötchen wie bei euch. Nix mit Platzpatronen, uns sind da die Granaten um die Ohren geflogen, dass es nur so gekracht hat. Außerdem kannst du mich ruhig duzen, Thorsten. Wir sind hier ja nicht bei der Bundeswehr.«

Alv konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Der Crashkurs war nun mehr oder weniger beendet und Aaron und Karl hatten den LKW beladen. Sie kamen dazu.

Alv erläuterte den Plan:

»Also, Freunde. Wir werden mit unserem Einsatzfahrzeug ins Dorf fahren, und dort sind wir eine Einheit der Schnell-Einsatz-Gruppe SEG 31 und haben den Auftrag, Material zu requirieren. Das Reden übernimmt Eckhardt, er ist Herr Hauptmann, ich werde im LKW sitzen bleiben, weil man mein Gesicht hier kennt. Ihr beiden seid Gefreite und kommentiert nichts, macht einfach, was man euch sagt, egal, was es ist. Aaron und Karl sind freiwillige Helfer der zivilen Reserve. Alles klar soweit?«

Alle nickten.

»Dann mal los, Aufsitzen! Hauptmann, Sie fahren. Abmarsch!«

Eckhardt lachte, als sie die Fahrerkabine des Dieselungetüms erklommen. Die vier anderen kletterten auf die Ladefläche.

Eckhardt startete die Maschine und das Aggregat brüllte auf, als hätte er einen Panzer gestartet. Er wies Alv noch kurz in die Bedienelemente der pneumatischen Niveauregulierung ein, falls es nötig würde, querfeldein zu fahren.

Dann nämlich konnte der Beifahrer mittels Stellrädern den Reifendruck absenken, um im morastigen Gelände die Aufstandsfläche zu vergrößern und damit mehr Drehmoment und Grip zu erzeugen. Dann legte er krachend den Gang ein, und unter Abgabe einer düsteren Rauchwolke setzte sich der Koloss in Bewegung.

Jahr Null. 14. Juli, Mittag

Eckhardt fuhr über die Hauptstraße in das verschlafene Örtchen Hademarschen bergab, nach einer Rechtskurve wies Alv ihn an, links abzubiegen.

In einer Seitenstraße lag der Hintereingang einer Apotheke, an den Eckhardt rückwärts heranfuhr und das Fahrzeug stoppte. Den Motor ließ er laufen und Alv rutschte auf den Fahrersitz rüber.

Eckhardt und die anderen gingen mit geschulterten Waffen in die Apotheke.

»Mahlzeit!«, donnerte Eckhardts gewaltige Stimme im besten Kommiss-Ton durch den Raum, in dem sich drei Mitarbeiterinnen befanden, die angesichts der militärischen Intervention mit schreckgeweiteten Augen dastanden.

»Zinner, mein Name. SEG 31. Hätte gern den Geschäftsführer gesprochen.«

Nach einer Sekunde fügte er hinzu:

»Heute noch, wenn's geht.«

Eine junge Dame verschwand im hinteren Bereich, und nach kurzer Zeit kam eine etwas ältere blonde Frau an den Tresen.

»Der Chef ist gerade nicht da, was kann ich für Sie tun? Und was sollen diese Waffen hier?«

»Auf Befehl der Bereichsleitung Nord SEG 31 ist dieses Geschäft beschlagnahmt. Sie sind gemäß Notstandsverordnung Neunundvierzig verpflichtet, kooperativ zu sein und uns den gesamten Warenbestand für die militärische Verwendung im Rahmen der unmittelbaren Gefahrenabwehr im Katastrophenfall herauszugeben. Ich habe Anweisung, Ihren Warenbestand an das Krisenzentrum in Rendsburg zu überführen.«

Die Mitarbeiterinnen waren völlig verdattert, und die leitende Angestellte hatte nicht die geringste Ahnung, wie sie reagieren sollte. Sie stammelte und stotterte:

»Also … äh … ich … ich weiß nicht. Ich kann doch nicht … Haben Sie eine Befugnis? Ich meine, Sie können doch nicht einfach … das muss der Chef entscheiden.«

Der Eindringling zeigte sich völlig unbeeindruckt.

»Sie scheinen zu glauben, das wäre ein Vorschlag oder so. Ich weise Sie darauf hin, dass ich vom Oberkommando dazu autorisiert bin, jede notwendige Maßnahme zu ergreifen, die zur Ausführung der Order unerlässlich ist. Sie haben also zwei Möglichkeiten. Entweder Sie kooperieren und wir bringen das jetzt hinter uns, oder ich muss meinen Befehl mit Gewalt ausführen, was ich nur ungern tun würde. Haben Sie das verstanden?«

»Ja sicher, aber …«

»Dann treten Sie bitte beiseite und lassen Sie mich meine Arbeit machen. Gefreiter Meier, Gefreiter Schmidt, je ein ziviler Helfer wird mit Ihnen die Beladung des Einsatzfahrzeuges durchführen.«

Die mit falschen Namen Angesprochenen reagierten prompt und begannen, die Inhalte der Schubläden im Verkaufsbereich in große Aluminiumkisten zu schütten, die sie von der Ladefläche des LKW geholt hatten. Ladung um Ladung verschwand in den großen Behältern, die im Minutentakt gegen leere ausgetauscht wurden. Nach etwa fünfzehn Minuten ordnete der Hauptmann an, die beiden zivilen Helfer sollten mit einer Angestellten nach hinten gehen, weitere Lagerbestände requirieren, insbesondere den Giftschrank sollten sie sicherstellen. Die Soldaten ließ er im Kassenbereich antreten.

»Meier, Sie sichern die Tür, Fronteingang. Beziehen Sie hinter dem Schrank dort Position. Schmidt nach links, hinter dem Aufsteller dort. Schätze, wir bekommen bald Besuch. Durchladen und entsichern. Vortreten und Feuern auf mein Kommando.«

Kurz darauf hielt auf der Hauptstraße ein Fahrzeug, ein silberner Transporter. Jemand aus der Apotheke hatte also die Polizei gerufen. Eckhardt konnte sehen, dass zwei Beamte mit gezogenen Waffen auf das Gebäude zu stürmten. Mit vorgehaltener Waffe drangen sie in den Verkaufsraum ein. Anfänger, dachte Eckhardt.

»Hände hoch! Polizei! Lassen Sie die Waffe fallen!«

Ah, die schlauen Dorfsheriffs hatten bemerkt, dass ein Sturmgewehr auf Sie gerichtet war. Eckhardt stand mit erhobener Waffe nur zwei Meter von ihnen entfernt.

»Sie sollten jetzt ganz entspannt bleiben, Polizeiobermeister«, meinte er mit fester, ruhiger Stimme. »Im Moment sind drei Schnellfeuerwaffen auf Sie gerichtet. Tun Sie sich selbst und Ihrem Kollegen einen Gefallen und versuchen Sie jetzt keine Heldentaten. Gefreite Schmidt, Meier, vortreten.«

Thorsten und Benny kamen aus ihrer Deckung und bauten sich schräg hinter den Polizisten auf, die Mündungen der Waffen zeigten auf die Polizisten. Eckhardt fuhr ruhig und gelassen fort.

»Wie Sie vielleicht bemerkt haben, gibt es eine nationale Krise, was auch der Grund dafür sein dürfte, dass man Ihnen den Einsatz eines MEK verweigert hat.«

Geraten, aber voll ins Schwarze getroffen. Die Besatzung des Dorfreviers war von der Rendsburger Einsatzleitung nach dem Notruf aus der Apotheke informiert worden, dass keinerlei Kräfte abkömmlich waren und dass sie auf sich allein gestellt waren. Der Dienststellenleiter in Hademarschen hatte daraufhin beschlossen, in Rambo-Manier die vermeintlichen Plünderer zu überwältigen. Dass hier schwer bewaffnete Militärs standen, verunsicherte die Beamten zusehends.

»Ich würde also vorschlagen, Sie senken Ihre Waffen, entladen sie, leeren den Lauf und sichern. Sie übergeben mir Ihre Magazine und wenden sich wieder Ihrer sonstigen dienstlichen Tätigkeit zu.

Sie haben sicher noch etwas am Schreibtisch zu erledigen. Für den Fall, dass Sie das nicht verstanden haben, werde ich meine Männer in fünf Sekunden anweisen, das Feuer zu eröffnen. Wir befolgen hier unsere Befehle und eine Order lautet, Widerstand nicht zu dulden. Sie dürfen mir glauben, dass ich bereit und in der Lage bin, meinen Befehlen unbedingt Folge zu leisten. Vielleicht möchten Sie für ein paar Schachteln Aspirin sterben, vielleicht nicht. Ihre Entscheidung.«

Er sah dem Polizisten, der unmittelbar vor ihm stand, fest in die Augen, blinzelte nicht und atmete ruhig, während sein Finger am Druckpunkt lag. Plötzlich hob der Beamte den Lauf seiner Waffe demonstrativ nach oben, ließ das Magazin in seine linke Hand gleiten, zog den Schlitten durch und sicherte die Pistole. Sein Partner tat dasselbe, und beide legten ihre Magazine auf den Kassentresen. Eckhardt kommentierte es ruhig und besonnen.

»Gute Entscheidung. Angesichts dessen, was in den nächsten Tagen auf uns zukommt, werden Sie noch ausreichend Gelegenheit bekommen, Ihr Leben zu beenden. Wenn ich Ihnen einen Rat geben darf, bringen Sie Ihre Liebsten und sich selbst in Sicherheit, denn hier wird es bald zu einer Katastrophe kommen, die Sie sich nicht vorstellen können. Noch nicht. Das gilt übrigens auch für Sie, meine Damen«, sagte er zu den Angestellten gewandt.

»Ach, noch etwas, Herr Polizeiobermeister. Wir beabsichtigen, auch das Material der zweiten Hademarscher Apotheke zu beschlagnahmen. Ich würde es als sehr entgegenkommend betrachten, wenn Sie da nicht wieder so einen Auftritt wie hier inszenieren. Wir möchten nicht, dass Zivilisten zu Schaden kommen. Haben Sie das verstanden?«

Der Polizist sah ihn grimmig an.

»Ich werde mich bei meinen Vorgesetzten über Sie erkundigen.«

»Tun Sie das bitte. Und derweil lassen Sie uns hier einfach unsere Arbeit machen. Ach, und … es wäre überaus freundlich, wenn Sie uns nicht für dumm zu verkaufen suchen. Meine Männer haben Schießbefehl. Wenn wir fertig sind, werden wir dafür sorgen, dass Sie Ihre Magazine zurück bekommen, Sie werden sie nämlich brauchen. Ein Tipp noch: Wenn es losgeht, vergessen Sie Ihre Ausbildung. Schießen Sie ohne Ansprache direkt in den Kopf, sonst sind Sie es, der stirbt.«

Die beiden Polizisten drehten sich um und verließen den Laden. Man konnte sehen, dass sie im Dienstfahrzeug kommunizierten, doch offensichtlich ohne Ergebnis. Sie zogen ab. Mittlerweile hatten Aaron und Karl ununterbrochen hinten im Laden weiter gepackt und die Kisten waren fertig zum Abtransport. Sie verluden die Kisten auf den LKW und das Kommando zog sich aus den Räumen zurück. Eckhardt wandte sich im Gehen an die Angestellte, die hier offensichtlich das Sagen hatte.

»Sie können diese beiden Magazine und die beiden Patronen, die da irgendwo am Boden liegen, in einer Stunde zur Polizeiwache bringen, falls die Beamten bis dahin noch nicht wieder da waren. Ich bedaure, Ihnen Unannehmlichkeiten bereitet zu haben, aber es hat Sie ja schließlich auch niemand aufgefordert, die Polizei zu rufen, nicht wahr? Sie haben mit dieser Verzögerung Ihren Mitmenschen keinen besonders großen Dienst erwiesen.«

Sie sah ihn aus großen, runden Augen an, der Schweiß lief an ihrer Schläfe herunter.

»Bitte … von was für einer Katastrophe haben Sie da gesprochen? Hat das mit dieser Seuche in Rendsburg zu tun?«

»Ja, mit der Seuche.«

»Aber was ist das? Sie wissen doch bestimmt etwas!«

»Es sind Zombies.«

Damit verließ er ohne ein weiteres Wort die Räumlichkeit. Als der LKW laut röhrend anfuhr, brach die Angestellte in der Apotheke in einem erschütternden Heulkrampf zusammen.

Auf eine ähnliche Weise wurde die zweite Apotheke an der Hauptstraße geleert, und auf dem Rückweg hielt das Kommando noch an einem Eisenwarenmarkt an einer Kreuzung beim Ortsausgang. Dort war geschlossen, was die Sache vereinfachte. Alv setzte den Laster rückwärts in das große Schaufenster, und für die Magazine des Refugiums kamen noch ein dutzend Motorsägen, Äxte, Beile, Eisenstangen, Schweißelektroden, Schrauben, Nägel, Loch- und Winkelbleche und diverses anderes Befestigungsmaterial dazu, außerdem Drahtrollen, Wildzaun, Obstbaumnetze, Seile, Ketten und viele andere Gegenstände, bis der LKW gut ausgelastet war. Die Rückfahrt nach Beldorf über Feldwege verlief ereignislos.

Als die Truppe vom LKW absaß und begann, das Fahrzeug zu entladen, merkte man, wie von den Akteuren die Last abfiel. Besonders Aaron, der ja erst sechzehn war, wirkte sichtlich verstört. Er zitterte und seine Augenlider zuckten nervös. Die Anspannung der Situation in der Apotheke war sichtlich zu viel gewesen für ihn. Er ging zu Eckhardt, der am vorderen Kotflügel stand und rauchte, hinüber und fragte:

»Mal im Ernst jetzt. Wenn die Bullen nicht nachgegeben hätten, hättest du wirklich geschossen?«

»Aber natürlich, Junge. Falls du es noch nicht bemerkt hast: Wir befinden uns jetzt im Krieg. Unsere Priorität ist es, diesen Ort und seine Bewohner, die zum Teil deine Geschwister sind, zu beschützen.

Und wir werden alles tun, was dafür nötig ist. Ganz sicher werden wir Zombies töten müssen, um zu überleben. Aber vielleicht müssen wir auch Menschen töten, die unserem Ziel im Weg stehen.

Und wenn wir alle hier das länger als ein paar Tage überleben wollen, dann wirst du lernen müssen, ebenso zu denken.«

»Was ist mit den Leuten in Hademarschen?«

»Die werden in ein paar Tagen tot sein.«

»Alle?«

»Wahrscheinlich.«

Aaron verzog angewidert das Gesicht und wandte sich ab, er ging zum Haus hinüber. Alv kam um das Fahrzeug herum und gesellte sich zu Eckhardt.

Der nahm einen Zug von seiner Zigarette und meinte im Ausatmen: »War ich zu direkt?«

»Nein. Ist Realität.«

»Na, ich hatte den Eindruck, dass das den Jungen doch ziemlich belastet.«

»Seine Freundin wohnt in Hademarschen.«

»Oh. Na ja. Sollen wir das Mädel holen?«

»Nein. Wir können nicht alle retten.«

Die beiden gingen zum Haus, wo im Carport auf dem großen Tisch die Ware sortiert wurde. Nachbar Karl führte eine Liste, auf der alle Wareneingänge erfasst wurden, die anderen Bewohner brachten die Sachen in die vorgesehenen Lager. Eine gute Stunde später kamen die beiden LKW-Teams mit den ersten Ladungen Strohballen, und der Bau der Festung begann.

Jahr Null. 14. Juli, Nachmittag

Der Nachmittag war sonnendurchflutet, ruhig lag die Holtenauer Schleusenanlage da, es wurden nicht viele Schiffe erwartet. Zum Ausschleusen war gegen sechzehn Uhr ein griechischer Tanker vorgesehen, die Byzantion, die derzeit noch auf Ostkurs beim Kanalkilometer 73 mit knappen acht Knoten Fahrt machte. Gerade öffnete sich die große Nordkammer seewärts, um einen am Nord-Ostsee-Kanal besonders gern gesehenen Gast zu empfangen. Am Friedrichsorter Leuchtturm drehte das luxuriöse Kreuzfahrtschiff Europa gerade nach Steuerbord, um in die Schleuse einzufahren. Majestätisch glitt der zweihundert Meter messende, von den orange-blauen Hapag-Lloyd-Streifen geteilte, ansonsten aber rein weiße Rumpf in das Schleusenbecken und kam kurz vor dem Binnentor zum Stillstand. Das nervige ring-ring-ring des sich schließenden Seetores zerriss ein wenig die Sommeridylle, selbst der Kieler Stadtverkehr war heute weniger laut als sonst. Singvögel zwitscherten, Möwen schrien, es roch nach Seetang in der Luft, alle Gäste an Bord des Luxusliners waren bester Stimmung. Sehr viele Passagiere waren an Deck, denn die Fahrt durch den Kiel Canal galt als eines der Highlights einer Kreuzfahrt im Norden. Das Bellevuedeck und auch die darunterliegenden Außenbereiche waren gut besetzt mit schaulustigen Gästen, die ihre Digitalkameras in die Höhe reckten.

Die Schleusenarbeiter nahmen es gelassen hin, dass sie oftmals unfreiwillig für Touristen Modell stehen durften, einige Männer aus der Truppe hatten sogar sichtlich ihren Spaß daran. Ab und zu sah man von Land aus auch einige fotografierende Passagiere, die ihre Tablets emporhoben, wie einst Moses am Berge Sinai die Gebotstafeln. Einige andere hingegen hielten es offenbar für angebracht, im strahlenden Sonnenschein mit Blitzlicht gegen die Sonne zu knipsen.

Knappe dreihundert Meter weiter jedoch, auf den Kanalbrücken, standen die Profis: Fotografen, deren Ausrüstung mehr kostete, als die Reise in der Penthouse Suite der Europa, richteten ihre Objektive, die aussahen wie Raketenwerfer, mit der Sonne auf das Traumschiff in der Schleuse. Vierhundert Millimeter Brennweite, ISO einhundert, Fünfhundertstel Sekunde Belichtung bei einer zweiundzwanziger Blendenöffnung, und schon lachte das Herz des Shipspotters. Heute war ein guter Tag für hervorragende Aufnahmen in Wandtapetengröße, einige der Schiffsjäger folgten den Cruisern üblicherweise fast den ganzen Kanal entlang, zumindest aber bis zur Mitte des Kanals etwas westlich von Rendsburg. Allerdings gab es heute in den Nachrichten besorgniserregende Meldungen aus dem Gebiet um Rendsburg wegen einer merkwürdigen Epidemie, ein Gerücht von einer Zombie-Krankheit machte die Runde. Heute würden die Begleitfahrten der Schiffsfreunde wohl vor den Toren Rendsburgs abgebrochen werden.

Das Schiff wurde in der Schleuse festgemacht und die armdicken Leinen spannten sich knarrend. Es gab großes Hallo hüben wie drüben, und mit dem Lotsen und dem Kanalsteurer ging auch eine Feuerwehrmusikkapelle an Bord. Ein Ritual auf verschiedenen Kreuzfahrtschiffen war es, die Gäste an Bord während der gut achtstündigen Kanalpassage mit Blasmusik zu unterhalten. In all dem sommerlichen Trubel merkte niemand, dass einige ziemlich zerzaust wirkende Möwen auf der Reling des Bellevuedecks Platz gefunden hatten. Sie krächzten und schrien, und erst, als sie einige Passagiere attackierten und zum Teil verletzten, griffen die Mitglieder der Crew ein und verscheuchten die Tiere mit Minigolfschlägern. Eine der getroffenen Möwen landete mit gebrochenen Flügeln auf dem Deck, sie konnte nicht mehr fliegen. Dennoch krächzte und fiepte sie, aus ihrem Schnabel rann Blut und mit den zerfetzten Flügeln schlug sie flappend umher.

Drei Passagiere waren von den spitzen Schnäbeln der Angreifer verletzt worden, sie hatten blutende Platzwunden auf dem Kopf. Schnell wurden sie ohne großes Aufheben nach unten auf Deck A verfrachtet, wo der Schiffsarzt keine ernst zu nehmenden Verletzungen attestierte. Die Wunden wurden behandelt, hier und da genäht und als Trostpflaster gab es sogleich einen Reisegutschein der Reederei.

Von der Aktion hatten nur die wenigsten Passagiere etwas mitbekommen, und so setzte das Schiff nach einer guten dreiviertel Stunde seine Fahrt fort.

Als die Europa später auf ihrem Weg nach Westen in der Kanalweiche Schwartenbeck den Tanker Byzantion passierte, fühlte Ernst Milbrecht, einer der verletzten Passagiere, sich etwas unwohl in seiner Suite 535 auf Deck C. Aufsteigende Hitze machte ihm zu schaffen, er hatte einen seltsam metallischen Geschmack im Mund und große Schwierigkeiten beim Atmen. Außerdem quälten ihn gewisse Aussetzer in seinem Erinnerungsvermögen. So konnte er sich beim besten Willen nicht daran erinnern, warum seine Frau Hilda in einer riesigen Blutlache am Boden der Kabine lag und warum ihm das nicht im Geringsten etwas ausmachte. Ihm war es auch egal, dass er selbst und seine Kleidung völlig blutverschmiert war, und dass er zusehends unruhiger wurde.

Mittlerweile wurde in den Restaurants auf dem Europa- und dem Lidodeck das Abendessen vorbereitet, in der Küche herrschte Hochbetrieb, um den luxusverwöhnten vierhundert Passagieren wieder einmal das Feinste vom Feinen zu kredenzen. Nicht umsonst galt die Europa seit Jahren als das vorzüglichste Kreuzfahrtschiff der Welt, ausgezeichnet mit fünf Sternen. Nach und nach füllte sich das Europa-Restaurant auf Deck B mit Gästen, die in exklusiver Abendgarderobe zum Diner erschienen. Mit einer Ausnahme.

Als die Gäste sich gerade zur Vorspeise an den Tischen niedergelassen hatten, stürmte ein völlig zerzauster, grotesk entstellter Mann grunzend und brüllend das Restaurant und stürzte sich wahllos auf die Anwesenden. Einer älteren Dame, die kreischend in der Nähe des Eingangs saß, biss der Verwirrte ein Ohr ab und schluckte es vor aller Augen gierig herunter.

Ein starker Blutschwall ergoss sich aus der Wunde der Dame, ihre Perlenkette riss und die kleinen Preziosen kullerten über den gemusterten Boden.

Schlagartig brach Panik aus.

Die Gäste sprangen auf, Stühle kippten, Geschirr ging zu Bruch, Menschen versuchten, den Raum fluchtartig zu verlassen, hysterisches Geschrei erfüllte den Raum. Da sich die Leute jedoch gegenseitig im Weg standen, die Eingänge verstopften und in blinder Panik durcheinander liefen, hatte der Angreifer reichlich Zeit und Auswahl, die er auch ausgiebig nutzte.

Binnen weniger Minuten hatte er mehreren Dutzend Gästen blutende Bisswunden zugefügt, der Lebenssaft entfloss den Attackierten in Strömen, die sich wie verzweigte Arme eines purpurnen Flusses über das Edelholzparkett der Gänge ergossen.

Einige Crewmitglieder versuchten vergeblich, den vermeintlichen Amokläufer niederzuringen, auch sie zogen sich ernste Verletzungen zu.

Mit größtem Entsetzen sahen die Anwesenden, dass der Wahnsinnige die blutigen Fleischstücke, die er aus seinen Opfern herausbiss, auch auffraß. Statt Homárd a la Termidor gab es heute Menschenleber englisch für den Zombie.

Ein besonders mutiger männlicher Gast griff nach einem großen Tranchiermesser von einem der Beistelltische und griff den wütenden Kannibalen damit an. Kräftig rammte er ihm das Messer in den Brustkorb an der Stelle, an der er das Herz vermutete. Die starke, dreißig Zentimeter lange Klinge drang bis zum Griff in den Körper ein, doch der Stich erzielte keinerlei Wirkung. Die Abscheulichkeit rannte einfach völlig unbeeindruckt weiter und attackierte weitere Menschen. Einige von ihnen fielen geschockt um, es gab unter den älteren Gästen wohl einige Herzinfarkte, doch standen die Dahingeschiedenen kurze Zeit später wieder auf und gebärdeten sich ebenso aggressiv wie der erste Angreifer. Und so gab es in den unteren Decks ein Beißen und Fressen, das sich nach und nach über das gesamte Schiff ausbreitete. Diner-Zeit an Bord der Europa …

Inzwischen passierte das Schiff Rendsburg, die Sonne schickte sich an, im Westen hinter dem Horizont zu verschwinden, und Kapitän Roman Obrist nahm die Berichte aus dem Schiff mit größter Sorge entgegen. Es war überall zu Aufruhr gekommen, es gab Verletzte, so etwas hatte es an Bord seines Schiffes noch nie gegeben. Es gab keinen Feueralarm, auch keinen bewaffneten Überfall, was angesichts der momentanen Position auch wirklich nicht zu erwarten gewesen wäre, immerhin bewegte sich das Schiff gerade mitten durch eine norddeutsche Stadt und nicht am Horn von Afrika. Allerdings war ihm von der Brücke aus im Vorbeifahren aufgefallen, dass die Schiffsbegrüßungsanlage in Rendsburg offensichtlich nicht wie sonst immer mit Hymne und Flagge den Cruiser begrüßte, sondern dass auch dort tumultartige Zustände geherrscht hatten.

Gerade, als er sich fragte, ob es da einen Zusammenhang gäbe, flog die Tür zum Brückendeck auf und ein blutüberströmter Offizier taumelte gurgelnd und grunzend herein. Er griff einen Crewman an, der gerade Kaffee hereingebracht hatte und biss diesem in den Hals, während der schreiend versuchte, sich diesem Angriff zu widersetzen. Obrist hatte für Notfälle immer eine geladene Pistole auf der Brücke, er griff in die Waffenschublade und feuerte auf den Angreifer. Erst der dritte Schuss, der ihn in den Kopf traf, streckte dieses durchgedrehte Etwas, das einmal ein Schiffsoffizier gewesen war, nieder.

Der Lotse und der Kanalsteurer, die sich schon auf den unmittelbar bevorstehenden Lotsenwechsel in der Kanalmitte vorbereitet hatten, sahen sich schockiert an. Der Lotse funkte die Verkehrslenkung des Kanals an und bekam Order, unverzüglich die Kanalweiche in Schülp unweit der Lotsenstation anzulaufen und dort Anker zu werfen.

Als die Kanalverbreiterung, die dem Ausweichen größerer Schiffe diente, in Sicht kam, nahm der Steurer Fahrt weg, drehte die Pod-Antriebe auf Gegenschub und der Anker fiel.

An Bord herrschten Chaos und Anarchie.

Mitglieder der feinen Gesellschaft und Upper Class fielen in blutrünstiger Manier übereinander her, verletzten sich, bissen sich gegenseitig blutig und rannten kreischend und geifernd über die Decks. Verletzte und einige, die offensichtlich noch verschont geblieben waren, stürzten sich in die Fluten, um dem Horror zu entkommen.

Die Pilot Boats der Lotsenstation Rüsterbergen kamen mit Höchstgeschwindigkeit angefahren, um Hilfe zu leisten, viele der von Bord Gesprungenen versanken jedoch ohne Anzeichen von Schwimmbewegungen einfach im Kanalwasser. Sie sanken, mit nassen, schweren Kleidungsstücken behangen, auf den Grund und wurden vom Schlamm und Schlick des Kanalgrunds verschluckt. In zig-tausend Jahren würde man vielleicht bei Ausgrabungen ihre Leichen entdecken und sie als Kuriositäten in Museen ausstellen. Wenn es dann noch Museen geben würde.

Ein gutes Dutzend schwimmender Verletzter wurde von den Lotsen aus dem Wasser geborgen, doch zum Dank dafür stürzten die Geretteten sich auf die Losten und bissen sie zu Tode. Führerlos dümpelten die orangen Versetzboote im Kanal, und auch das Kreuzfahrtschiff begann, sich quer zur Fahrrinne zu legen. Inzwischen hatten die Zombies auch die Brücke überrannt, das grausame Zerrbild einer Pensionärin im Seidenabendkleid kauerte über dem Kapitän und fraß sich an seinen Eingeweiden satt.

Binnen kürzester Zeit waren sämtliche Passagiere und Crewmitglieder infiziert, in der Küche brach Feuer aus, das den Rumpf des eben noch stolzen Luxusliners mit rußigen Schlieren schwarz einfärbte. Ganze vier Stunden hatte die Kanalpassage jetzt gedauert und das Schiff vom Fünf-Sterne-Plus-Erlebnis in eine Hölle aus Tod und Verderben verwandelt. Die MS Europa war ein Geisterschiff, dessen Besatzung und Passagiere nur noch aus lebenden Toten bestanden. Antriebslos dümpelte der schwimmende Sarkophag an der Ankerkette im Fahrwasser des Kanals, an und unter Deck wandelten die Toten umher, auf der Suche nach frischem, warmem Fleisch. Durch das Wasser, das sie nicht überwinden konnten, weil sie keine Ahnung hatten, dass es so etwas wie Schwimmen gab, waren sie vom Festland abgeschnitten und wanderten ziellos durch das Schiffsinnere, nicht wissend, wo sie waren.

Jahr Null. 14. Juli, Nachmittag

Im Refugium hatten die Arbeiten am Schutzwall begonnen. Die beiden Teams, die Alv und Eckhardt ausgesandt hatten, waren erfolgreich. Sie hatten zwei MAN- Tieflader und einen Traktor bei einem landwirtschaftlichen Lohnunternehmer requiriert und die großflächigen Anhänger im Umland mit den riesigen Quaderballen beladen.

Über einhundert Stück kamen in der ersten Ladung an, als die Trucks zischend auf der Hauptstraße hielten. Alv und Eckhardt begrüßten die Fahrer, und Alv begann sofort, den Nachbarn Karsten, der den Hofschlepper hier vor Ort bediente, einzuweisen.

»Also, Karsten. Wir fangen bei meiner Einfahrt an, von da aus legst du die erste Lage quer direkt auf den Bürgersteig, da liegen sie sicher und einigermaßen trocken. Dicht an dicht und direkt am Bordstein ausrichten. du legst sie zuerst bis zur Südostecke deines Grundstückes. Hier bei Nummer sechsundzwanzig lässt du drei Ballen aus, da bauen wir unser Haupttor. Danach weiter nach unten, bis da hinten zum Ende von Nummer 36, da bauen wir um die Ecke. Bei dir die Südseite, dann nach Westen bei dir, Karl, und bei mir reicht es, wenn wir den starken Bewuchs mit Baustahlmatten verstärken, da kommt kein Schwein durch. Nach Westen dann bei 26, 28 und 32 bis 34 wieder Strohballen. Vier Lagen hoch, verzahnt gelegt. Okay? Dann los!«

Er drehte sich um und dirigierte die Trucks zu den Abladestellen

»Okay, den ersten Zug hierher, der zweite weiter unten. Löst die Transportgurte!«

Holger, der einen der Trucks gefahren hatte, rührte sich nicht und schaute missmutig zu Alv hinüber, was dieser auch bemerkte. Er ging zu dem LKW rüber und fragte den Mann mit der Kurzhaarfrisur gerade heraus.

»Was ist? Gibt es für dich ein Problem? Du kannst dich mir gern anvertrauen.«

Eckhardt stand seitlich hinter seinem alten Armeekumpel und sagte nichts. Dafür presste Holger aber einige Worte durch seine zusammengebissenen Zähne.

»Seit wann muss ich mir von einem, der nicht gedient hat, was sagen lassen …«

Alv stand in lässiger Haltung vor ihm und zog die Augenbrauen hoch.

»Seit wann? Nun, offenbar seit heute. Hör mal gut zu, mein Lieber, ich werde mich nämlich nicht wiederholen.«

Alv zeigte auf sein Haus.

»Das da ist mein Land. Das gehört mir. Dort lebt meine Familie. Und sie wird das hier überleben. Und Eckhardt ist mein Freund. Ich will, dass er das hier auch überlebt. Wir haben hier zusammengefunden, um einer tödlichen Bedrohung standzuhalten, die in wenigen Stunden oder Tagen vor unserer Tür stehen wird. Diejenigen, die hier eine Gruppe bilden, werden das nur überleben, wenn sie zusammenhalten, einander vertrauen und bereit sind, füreinander einzustehen. Ich vertraue diesen Leuten hier. Ich vertraue auch dir. Vielleicht solltest du langsam damit anfangen, mir auch zu vertrauen.

Wenn du das nicht kannst oder nicht willst, Holger, dann werde ich dich hier nicht aufhalten. Du kannst deine Waffen nehmen und dich auf den Weg machen. Ich schätze, du wirst dann in ein, zwei Tagen irgendwo bei Albersdorf da hinten als wandelnder Toter dein Dasein fristen. Triff deine Entscheidung jetzt. Bleib hier und akzeptiere, dass ich die Gruppe leite, oder mach dich auf den Weg und stirb. Deine Wahl.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, drehte Alv sich um und ging hinüber zu Karsten, der auf dem Trecker saß und sich bislang nicht getraut hatte, die Maschine zu starten. Alv sah ihn an.

Hinter sich hörte er, wie Holger den MAN anließ und die Feststellbremse zischend löste. Alv hatte seine Antwort.

»Also, Karsten, was ist? Wartest du auf die Kaffeezeit? Kekse gibt es erst, wenn die LKW leer sind!«

Alv klatschte in die Hände. Der Tieflader wurde von Holger in Position gebracht, Wolfgang fuhr den zweiten Laster ein Stück die Straße runter und löste dort die Transportgurte.

Karsten begann, vom ersten Truck die Ballen mit der Frontladergabel aufzuspießen und setzte die Blöcke aneinandergereiht auf den Boden, wie Legosteinchen. Wie verdammt große Legosteinchen …

Eckhardt kam zu Alv herüber, der darüber wachte, dass alle Blöcke gerade und bündig gesetzt wurden.

Er setzte sich auf einen der platzierten Strohballen und steckte sich eine Zigarette an. Mit einem Mal fuhr er hoch, drehte sich um und starrte auf seine Kippe.

»Verdammt. Ich hab ja gar nicht daran gedacht, dass wir hier mit Stroh bauen.«

Er wollte die Zigarette schon austreten, Alv hielt ihn jedoch davon ab.

»Entspann dich mal, Alter. Diese Strohballen sind dermaßen fest gepresst, die kriegst du auch mit einem Feuerzeug nicht angesteckt. Rauch ruhig weiter.«

Die beiden setzten sich auf den Strohballen und schauten nach Westen, wo die milde Sommersonne ihre wärmenden Strahlen über den Kanal schickte.

Eckhardt rauchte, tat ein paar Züge, dann meinte er: »Nimm es Holger nicht übel. Er ist halt ein ziemlicher Militärfreak und ein bisserl eigenbrötlerisch. Im Grunde ist er aber ein guter Kerl.«

»Ich nehme ihm das nicht übel. Aber ich meinte es ernst. Wenn wir hier keine vernünftige Struktur zum Laufen bringen, dann ist der erste Angriff unser letzter. Rendsburg ist schon gefallen, in Kiel grassiert die Zombie-Seuche massiv, und der Krisenstab hat offiziell bekannt gegeben, dass es sogar Tiere befällt: Ratten, Mäuse, Vögel und so weiter.

Zum Glück verrecken die Viecher relativ fix, aber das bedeutet auch, dass hier niemand mehr mit einfachen Halbschuhen rumrennt, wir müssen den Gasbewuchs extrem kurz halten, keiner geht ins Gebüsch und wir hängen bei den Häusern unsere Tarnnetze und diese Obstbaumnetze auf, um uns zu schützen.

Ich hab den großen Jungs schon Bescheid gegeben, dass sie den Hühnerstall und die Kaninchenställe absichern, auch die Gemüsebeete werden mit den feinen Netzen überdacht.

Ich will nicht, dass irgendwann mal so ein halbverreckter Zombievogel in unserem Salat landet.«

»Gute Idee. Na ja, und was Holger angeht, das wird schon. Der ist hart im Nehmen.«

»Da mache ich mir gar keine Sorgen, Eckhardt. Ich dachte sowieso, dass du aufgrund deiner Eignung die Leitung unserer militärischen Operationen übernimmst, und dir wird er ohne zu Murren gehorchen. Er muss halt nur schnallen, dass ich hier auf dem Gelände das Sagen habe.

Und wenn er meint, ich sei ein ungedientes Weichei, dann soll er mal abwarten, bis unsere komischen Kannibalenfreunde hier vor der Türe stehen, dann kann er sich eine Meinung bilden.

Apropos … fängst du morgen mit der regulären Ausbildung unserer Leute an?«

»Ja, das hatte ich mir so vorgestellt. Je eher, desto besser.«

»Okay. Heute brauchen wir noch etwas, um uns hier alle zurecht zu finden, aber ab morgen können wir durchaus mit ersten Angriffen rechnen, denke ich mal. Bis der Wall steht und dicht ist, lassen wir Frauen und Kinder wenn möglich im inneren Verteidigungsring. Ich würde vorschlagen, wir arbeiten heute solange es geht am Wall. Ich werde mit Karl gleich anfangen, das Haupttor zusammenzuschweißen, damit wir es spätestens morgen stellen können. Ein paar Säcke Fertigbeton hat Karl noch in der Garage liegen, oben am Feldweg liegen große Eisenrohre, die nehmen wir als Pfeiler und betonieren sie ein. Meine Einfahrt stellen wir komplett zu, nur bei Nummer vierunddreißig bauen wir noch ein vorhandenes Tor aus. So haben wir nach Osten zur Hauptstraße zwei gesicherte Zugänge. Ich habe mir überlegt, den Ural und zwei PKW hinten am Westwall außerhalb zu parken, gut verschlossen. Wir können am Südostzipfel unseres Walls reinfahren, da geht es zum Wasserwerk. Da können wir auf den Acker fahren, der im Westen an die Grundstücke grenzt. So haben wir für alle Fälle eine Fluchtmöglichkeit nach hinten.«

»Wasserwerk? Ihr habt hier ein eigenes Wasserwerk?«

»Ja, da hinter Karstens Haus ist das Dorfwasserwerk.

Nun, ich dachte, dahin legen wir eines unserer Generatorenkabel und verrammeln das Teil dann ordentlich. Ist ein fensterloser Bau mit verschlossener Holztür, ich hab schon einen Nachschlüssel. Wir hauen ein Gitter vor die Türe und sichern damit unsere Wasserversorgung.«

Eckhardt lachte.

»Das ist ja 'ne richtige Luxusherberge hier. Und wie sieht es mit der Kanalisation aus? Wie viele Toiletten haben wir im Refugium? Du weißt ja, ich scheiße so ungern in die Büsche.«

»Na ja, das Gute ist, dass wir hier im Oberdorf liegen, Abwasser läuft also runter zu den Klärteichen. Da sehe ich keine Probleme. Und da du als Einziger im Holzhaus wohnst, hast du sogar ein Klo fast für dich allein, mein Lieber.«

Die beiden Männer lachten rau und herzlich, was ihnen einige verwunderte Blicke der Strohballenjongleure einbrachte. Die Baumaßnahmen der kleinen Kampfgemeinschaft blieben im Ort nicht unbemerkt. Kurze Zeit später erschien eine Abordnung besorgter Bürger auf der Baustelle, dabei handelte es sich um den fünfköpfigen Gemeinderat nebst Bürgermeister, wie sich schnell herausstellte. Der ergriff auch sogleich das Wort, welches er an Alv richtete:

»Sach ma, Bulvey, wat wird dat denn? Bist du nu völlich irre? Du kannst doch hier nich den Gehsteig vollstellen mit Stroh. Wat soll der Scheiß?«

Einer der anderen Neugierigen, ein beleibter Landwirt aus dem Unterdorf fügte hinzu:

»Ich hoff ma, dass dat nich meine Ballen sind, sieht verdammt so aus, dammich!«

Alv baute sich vor der Truppe auf und entgegnete:

»Ich weiß ja nicht, ob ihr es schon mitbekommen habt, verehrte Mitdörfler. Aber wie es aussieht, tobt in unserem wunderhübschen Urlaubsländchen gerade eine Zombie-Epidemie, und die Wahrscheinlichkeit, dass dieses ausgesucht schöne Fleckchen Erde hier verschont bleibt, dürfte gegen Null tendieren. Also, statt hier vor unserer Tür herumzuhängen und dummtüch zu schnacken, solltet ihr lieber zusehen, dass ihr eure Lieben ebenfalls einigermaßen sicher unterbringt.«

Er wandte sich an den Landwirt.

»Im übrigen: Ja, Peters, das sind deine Ballen. Beziehungsweise das waren deine.«

»Du kunns mi doch ni eenfach beklauen, du …«, weiter kam der aufgebrachte Bauer, dessen Gesicht vom Bluthochdruck bereits schweinchen-rosa angelaufen war, nicht. Er hatte, wie auch die anderen, bemerkt, dass sich hinter Alv Leute in Uniform aufgebaut hatten, und die waren nicht mit Mistgabeln oder Schrotflinten bewaffnet, sondern mit Pistolen und Sturmgewehren. Die Gemeinderatsmitglieder blickten sich unsicher an. Alv redete weiter:

»Wir bilden hier auf diesen unseren Grundstücken zweiundzwanzig bis sechsunddreißig eine Überlebensgemeinschaft. Alle hier verwendeten Fahrzeuge, Vorräte und Baumaterialien betrachten wir als unser Eigentum und werden es entsprechend verteidigen. Auch das Wasserwerk verteidigen wir und sorgen dafür, dass es notfalls bei Stromausfall weiterläuft. Wenn wir hier angegriffen werden, dann solltet ihr froh sein, dass hier ein paar Leute stehen, die mit 'ner Kalschnikow umgehen können. Ich schlage vor, dass wir hier kooperieren, statt zu konkurrieren. Das erhöht die Überlebenschancen für alle im Dorf.«

Offensichtlich konnte der Bürgermeister mit solch einer Idee nichts anfangen. Er erwiderte erbost:

»Du spinnst doch, Bulvey. Du warst schon immer so ein Irrer! Ich werd die Polizei rufen, das werd ich tun, jawoll.«

»Okay. Tu das. Ich werde dir sagen, was passiert. Wenn überhaupt jemand ans Telefon geht, dann wird man dir sagen, dass man für solchen Pillepalle-Kram keine Zeit hat und man wird dir vielleicht sogar raten, es genauso zu machen wie wir. Vierundzwanzig Stunden noch, dann geht der Zauber hier los. Wie gesagt, richtet euch ein. Noch eins zum Schluss: Wenn jemand auf die Idee kommt, unsere Arbeiten hier in irgendeiner Weise zu behindern, lasse ich ihn erschießen. Ich hoffe, ich konnte mich verständlich machen. Und, wie gesagt, für Kooperation sind wir offen, ansonsten: Ich habe zu tun.«

Die irritierten Anwohner scharten sich um den Bürgermeister. Der zückte im Weggehen sein Handy, steckte es dann aber offensichtlich genervt wieder ein.

»Meinst du, er hat die Bullen erreicht?«, meinte Eckhardt.

»Kein Netz«, antwortete Alv, »nicht in diesem Dorf.« Er grinste.

Ohne weitere Störung arbeiteten alle, die mit anpacken konnten, am Frontwall, der tatsächlich bis Mitternacht fertiggestellt war. Als die Straßenlaternen wie in jeder Nacht erloschen, gingen alle zu Bett, um fit für den nächsten Tag zu sein.

Jahr Null. 14. Juli, Nacht

Diese Nacht war eine der schlimmsten, die dem Norden Deutschlands je widerfahren war. Die Zombie-Seuche breitete sich rasant aus.

Die großen Städte wie Rendsburg, Kiel, Neumünster, Itzehoe, Heide, Schleswig, Flensburg und den Speckgürtel um Hamburg hatte es bereits erwischt, und die Infektionsrate steigerte sich exponentiell. Der Flächenbrand war nicht mehr aufzuhalten. Panikmeldungen flackerten abends durch die Nachrichten- und Sondersendungen, niemand wusste etwas Genaues, aber alle wussten Bescheid. Mittlerweile hatten sich hunderte weiterer Infektionsherde aufgetan, überall in Deutschland und im angrenzenden europäischen Ausland brach diese seltsame Krankheit, die Menschen in Bestien verwandelte, aus. Im Krisenzentrum in Berlin war es unglaublich hektisch.

Die Bundeskanzlerin hatte den Heeres-Generalmajor August Klingner, einen hochdekorierten und fähigen Truppenführer mit Kampferfahrung, beauftragt, binnen einer Woche eine funktionierende Infrastruktur zu erstellen und Deutschland regierbar zu halten. Ihm zur Seite stand sein militärischer Stab und eine Arbeitsgruppe aus der Abteilung IV des Gesundheitsministeriums, zuständig für Seuchen, Pandemien und Terroranschläge mit biologischen Kampfmitteln. Priorität hatte die Klärung der Frage, ob es sich um einen Terroranschlag handelte, und wenn ja, wer in der Lage wäre, einen solchen Anschlag zu planen und durchzuführen. Am Nachmittag war der Krisenstab das erste Mal zusammengetreten, nun waren die Techniker immer noch dabei, die technischen Mittel zur Kommunikation entsprechend den Zielvorgaben zu installieren und zu vernetzen. In einem improvisierten Büro saß Klingner vor einem Großbildschirm, auf dem das Gesicht der Bundeskanzlerin zu sehen war. Der Major erhob sich und grüßte militärisch.

»Ich grüße Sie, Frau Bundeskanzlerin. Generalmajor Klingner bereit für Tagesbericht.«

Die Regierungschefin saß an einem Schreibtisch, hinter dem die Bundesflagge hing, man konnte hören, dass in dem Raum, in dem sie sich aufhielt, geschäftiges Treiben herrschte.

Offenbar war sie im Bunker unter dem Kanzleramt und hatte im Lage-Raum Platz genommen, dem Nervenzentrum der Regierung im Krisenfall. Sie wirkte angespannt und führte die Fingerspitzen in einer für sie typischen Geste zusammen.

»Ich grüße Sie, Herr Generalmajor. Was können Sie mir sagen? Wie steht es um Deutschland?«

Gott, ist die Frau hässlich, dachte Klingner, der seiner Vorgesetzten noch nie so nah gekommen war, wie die Kamera und der große Bildschirm es hier suggerierten. Aber es stand ihm nicht zu, sich über ästhetische Fragen Gedanken zu machen, und so beschränkte er sich auf pflichtbewusstes, dienstliches Auftreten.

»Nun, mit Verlaub, es sieht schlecht aus, Frau Bundeskanzlerin. Derzeitige Voraussagen deuten auf ein exponentielles Ausbreitungsmuster eines unbekannten Virenstammes hin, unsere Topwissenschaftler analysieren dieses Virus zur Zeit noch. Wir haben den Verdacht, dass es ein MKS-Klon ist, können aber noch nichts mit Bestimmtheit sagen.«

»Ich brauche aber etwas mit Bestimmtheit, Herr Generalmajor. Ich muss unseren Bürgern etwas sagen. Was also schlagen Sie vor?«

Klingner räusperte sich kaum merklich. Ach ja, er sollte etwas erfinden, damit die Mutti der Nation ihren Bürgern etwas Beruhigendes zum Nachtgebet auf den Fernsehbildschirm sprechen konnte? Toll. Sollte die Trulla sich doch irgendetwas aus den Fingern saugen, verdammt, das schaffte sie doch sonst auch, wenn es darum ging, ihr Wahlvolk zu verschaukeln. Seine Antwort fiel etwas weniger drastisch aus.

»Bedaure, aber in derart kurzer Zeit können selbst die besten Virologen hier nur Mutmaßungen anstellen. Mein bisheriger Kenntnisstand ist der, dass es sich um eine schnell verlaufende Infektion handelt, die scheintodartige Zustände bei den Infizierten hervorruft und eine stark gesteigerte Aggression zur Folge hat. Die Infektion scheint über Körperflüssigkeiten zu erfolgen. Offensichtlich sind nicht nur Menschen betroffen, wir erhalten zunehmend auch Berichte, dass Haustiere ein zum Krankheitsbild passendes Verhalten zeigen.

Ich würde daher empfehlen, die WHO einzuschalten und Pandemiealarm der Stufe sechs auszurufen. Die Menschen sollten nach Möglichkeit in ihren Wohnungen bleiben und keine unnötigen Kontakte zu anderen Personen pflegen. Wir verfügen derzeit nicht über ein wirksames Gegenmittel, und wie es aussieht, wirken handelsübliche Antivirenmittel nicht oder nur marginal. Weiter empfehle ich, weiträumig Bundeswehreinheiten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und zum Schutz der Infrastruktur einzusetzen, Frau Bundeskanzlerin.«

»Also gut, Herr Generalmajor, ich nehme Ihre Vorschläge zur Kenntnis und werde sie erwägen. Die WHO-Zentrale wurde durch das Gesundheitsministerium bereits in Kenntnis gesetzt und um Hilfe gebeten. Sie werden von dort auch binnen vierundzwanzig Stunden Experten für Ihren Krisenstab bekommen, man hat uns zugesagt, dass diese bald hier eintreffen. Ich möchte Sie bitten, Ihr Möglichstes zu tun, um diese Krise einzudämmen. Ihr Krisenstab hat vom Kabinett höchste Prioritäten und Befugnisse eingeräumt bekommen, die Bundesminister der Verteidigung und des Inneren sitzen hier bei mir und werden entsprechende Notfallprotokolle initiieren. Das wäre es dann für das Erste, ich danke Ihnen.«

»Gern, Frau …«, setzte Klingner an, doch das Bild war bereits weg. Er schaltete seine Anlage ab und ging hinüber in den Situationsraum, wo die Mitglieder seines Stabes hektisch und betriebsam arbeiteten. An Schlaf war heute Nacht nicht zu denken.

Eine gute Stunde später erschien das Bild der Bundeskanzlerin auf allen Bildschirmen, die zu dieser Zeit noch angeschaltet waren. Sie saß mit der Kanzlerinnen-Rautengeste am selben Schreibtisch wie vorhin im Gespräch mit dem Leiter ihres Krisenstabes und wirkte gefasst und beherrscht. Ihre Ansprache zur aktuellen Lage der Nation war seit Stunden angekündigt, die Einschaltquoten waren traumhaft.

»Liebe Bürgerinnen und Bürger, verehrte Zuschauer aller Nationalitäten, die Sie uns jetzt zusehen. Sie alle werden bemerkt haben, das es in Ihrer Nachbarschaft oder der näheren Umgebung zu unerklärlichen Krankheitsfällen gekommen ist, und dass die Erkrankten zu unberechenbaren Gewaltausbrüchen neigen. Es ist meine traurige Pflicht, Ihnen allen mitzuteilen, dass gegen diese furchtbare Krankheit derzeit noch kein Heilmittel existiert. Unsere besten Wissenschaftler arbeiten daran, ein solches Heilmittel zu entwickeln und wir sind zuversichtlich, dass uns dies gelingt. Deutschland erlebt seine dunkelste Stunde seit Bestehen der Bundesrepublik, und ich möchte Sie alle bitten …«

Im Hintergrund waren Geräusche zu vernehmen, es schepperte und krachte, offensichtlich war ein Scheinwerfer zu Bruch gegangen.

Das Licht veränderte sich, Schatten fielen ins Bild, und die Kanzlerin schaute irritiert zur Seite.

Urplötzlich wurde sie von einer männlichen Person im dunklen Anzug angefallen und in die Schulter gebissen, sie schrie erbärmlich, es wurde laut, Schüsse fielen, dann waren Bild und Ton weg, ein Störbildschirm wurde gezeigt.

Wegen einer technischen Panne …

Tatsächlich war die Regierungschefin eines der einflussreichsten Länder der Welt soeben vor laufender Kamera im atombombensicheren Bunker des Kanzleramtes Opfer eines Zombieattentats geworden.

Eine Minute später wurde ein Sprecher eingeblendet, der offensichtlich in einem anderen Studio saß. Er nestelte an einem Stück Papier herum, von dem er seinen Text hastig ablas.

»Sehr verehrte Zuschauer, die Bundeskanzlerin, wurde eben während eines technischen Zwischenfalls im Kanzleramt von herabfallenden Teilen getroffen. Dabei wurde sie verletzt, ist jedoch wohlauf. Ein Sicherheitsbeamter konnte das Schlimmste verhindern, indem er sich schützend über die Kanzlerin warf. Die Verletzungen, die die Bundeskanzlerin erlitt, sind nicht lebensbedrohend. Sie wird in diesen Minuten in ein Krankenhaus gebracht. Unser aller Wünsche und Gebete sind derzeit bei der Kanzlerin.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.«

Der Sprecher wurde ausgeblendet, und die Sendeanstalten gingen zurück ins reguläre Programm.

Generalmajor Klingner schaltete seinen Apparat ab und lehnte sich zurück. Er sah seinen Adjutanten an, der neben ihm stand.

»Na, Gerhards, was denken Sie?«

»Ich glaube, ich wäre jetzt nicht gern im Regierungsbunker, Herr Generalmajor.«

Das Telefon läutete. Genau genommen piepte es. Klingner hob ab.

»Ja. Klingner hier, ja. Autorisierung Bravo-Lima-Hotel-Noveniner-Kartefour-Oktoeight-Kilo-Fourty-November.

Ich höre. Ja. Ja. Verstanden. Höchste Priorität. Verstehe. Ende.«

Er legte auf und schnaufte. Mit aschfahlem Gesicht sah er Gerhards an.

»Die Kanzlerin und das halbe Kabinett sind tot. Der Bundestagspräsident und der Bundespräsident wurden informiert. Deutschland untersteht nun dem Kriegsrecht. Gott steh' uns bei.«

Im Internet war derweil die Hölle los, die Server der Newsfeed-Agenturen und der sozialen Netzwerke gingen in die Knie, das Handynetz brach zusammen.

Jahr Null. 15. Juli, Morgen

Alv saß draußen unter dem Dach des Carports und genoss den frisch aufgebrühten Kaffee, den die Frauen gemacht hatten. Die Sonne war gerade aufgegangen, und in einer halben Stunde würden die Trucks wieder auf Tour gehen.

Alle hatten die Vorfälle des gestrigen Abends live im Stream mitbekommen und jeder, der hier am Tisch saß, wusste, dass es sich wohl kaum um einen Unfall gehandelt hatte im Studio. Für acht Uhr war auf allen Kanälen eine weitere offizielle Verlautbarung angekündigt worden.

Eckhardt hatte einen Laptop mit WLAN-Verbindung mit nach draußen gebracht und die Seite eines großen Online-Nachrichtenmagazins aufgerufen, hier war der Stream angekündigt.

Er rauchte eine Zigarette, Alv nippte am Kaffee, und außer den sechs kleinen Jungs und Mädchen, die noch in den Betten lagen, saßen alle um den Tisch herum, um zu erfahren, was los war.

Die Feeds berichteten von einer gewaltigen Infektionswelle, und auch in den Medien tauchte nun immer häufiger das Wort Zombie auf.

Pünktlich um acht Uhr wurde der Livestream eingeblendet. Zu sehen war das ernste Gesicht des Bundespräsidenten. Hinter ihm auf einem Großbildmonitor hing die Deutschlandfahne auf Halbmast.

»Liebe Bürgerinnen und Bürger, verehrte Zuschauer. Ich spreche zu Ihnen in einer schweren Stunde, die uns allen jede Kraft abverlangen wird, die wir zu geben bereit sind. Die Bundeskanzlerin, sowie unser Außenminister, der Verteidigungsminister, der Innenminister und der Kanzleramtsminister wurden gestern beim Einsturz eines Gebäudes im Regierungsbezirk so schwer verletzt, dass sie noch in der Nacht ihren Verletzungen erlegen sind. Wir trauern mit ihren Angehörigen.

Wie inzwischen bekannt geworden ist, besteht die Wahrscheinlichkeit, dass unser Land mit biologischen Waffen angegriffen wurde. Mit Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des gemeinsamen Ausschusses von Bundestag und Bundesrat stelle ich daher gemäß Artikel 115a des Grundgesetzes den Verteidigungsfall fest. Der Bundestagspräsident, der Bundesratspräsident und der Präsident des Bundesverfassungsgerichts haben dieser Feststellung zugestimmt. Gemäß Artikel 87a des Grundgesetzes wird die Polizeigewalt nunmehr durch die Kräfte der Bundeswehr gemeinsam mit Bundes- und Landespolizei ausgeübt. Die Führung der Streitkräfte obliegt zur Zeit dem Generalinspekteur der Bundeswehr, die Polizeiorgane sind ihm unterstellt. Den Anordnungen des Militärs ist unbedingt Folge zu leisten, auch wenn hierdurch staatsbürgerliche Rechte eingeschränkt werden sollten. Ich bitte Sie alle, an der Bewältigung dieser noch nie dagewesenen Krise mitzuwirken. Bitte bleiben Sie nach Möglichkeit in Ihren Wohnungen. Wenn Sie keine Vorräte im Haus haben, hängen Sie bitte Bettlaken oder ähnliche Stoffe aus Ihrem Fenster, Sie werden dann Hilfe bekommen. Verlassen Sie nicht Ihre geschlossenen Räumlichkeiten. In der Zeit von achtzehn Uhr abends bis sechs Uhr morgens gilt eine absolute Ausgangssperre. Von der Ausgangssperre befreit sind Mitglieder der Streitkräfte, der Polizei, des THW, des DRK und anderer Hilfsorganisationen; diese werden über ihre Einsatzleitungen detailliert informiert.

Verfolgen Sie bitte die Verlautbarungen in den verfügbaren Medien und achten Sie auf Lautsprecherdurchsagen in Ihrem Wohngebiet. Mit Gottes Hilfe werden wir als Nation diese furchtbare Krise überstehen, liebe Mitbürger.«

Das Bild des Bundespräsidenten erlosch, die Staatsflagge wurde gezeigt und die Nationalhymne erklang.

Alv schenkte sich Kaffee nach.

»Ausmachen?«, meinte Eckhardt.

»Jo, lohnt eh nicht, weiter zu schauen, die Leute scheißen jetzt sowieso das Netz zu.«

Holger schnitt sich ein großes Stück von der Katenrauchmettwurst auf dem Tisch ab, hüllte es in ein Stück Brot und stürzte den Kaffee runter. Er erhob sich vom Tisch, nahm die Schlüssel für einen der Tieflader und sein Brot und meinte:

»Schätze, es wird Zeit, dass wir unseren Job durchziehen, bald wimmelt es auf den Straßen nur so von Bullen und Soldaten.«

Alv sah ihn an und nickte.

»Ja, du hast Recht. Lasst uns zusehen, dass wir das Material ranschaffen. Je eher, desto besser. Am besten, ihr karrt so viel ran pro Fahrt, wie geht. Scheiß auf Ladehöhe. Hier vor Ort schmeißen wir die Ballen erst mal auf der anderen Straßenseite ab, damit ihr sofort wieder los könnt.«

Holger und Wolfgang nickten, ihre Beifahrer erhoben sich ebenfalls, und der Tag begann. Auch dieser Tag würde lang werden, soviel war klar.

Ein gutes Drittel des Walls stand bereits, heute Vormittag sollte das Haupttor gestellt werden, und mit etwas Glück konnten sie am Nachmittag den Westwall stellen.

Das Feld hinter den Grundstücken war trocken und gut zu befahren, dort stand Weizen. Karl sollte gleich nach hinten fahren und eine Trasse für die LKW mit dem Schlepper vorverdichten und einebnen. Dazu sollte er oben vom Bahnhof Gleisbettschotter und gehobelten Teerschotter holen und auf den Acker fahren, es würde noch gute drei Stunden dauern, bis die erste Fuhre kam und sie den Frontlader zum Ballensetzen brauchten.

Bis dahin konnte er auf dem Acker eine brauchbare Piste hergestellt haben. Die Arbeiten waren gut verteilt, sinnvoll in eine vernünftige Ordnung gebracht, und jeder wusste, was er zu tun hatte. Alle, die nicht mit anderen Aufgaben am Haupthaus betraut waren, sollten draußen mit anpacken.

Während Eckhardts Leute mit der Materialbeschaffung befasst waren, begannen Eckhardt und Alv mit der Ausbildung der Jüngeren. Außer Eliot, dem Nesthäkchen der Familie, sollten alle lernen, sich selbst zu verteidigen. Auf dem mittleren Grundstück, das noch komplett leer war, weil dort vorher eine Pferdeweide gewesen war, hatte Eckhardt einen Schießstand für die Pistolen und AK47 aufgebaut, hier unterwies er die Erwachsenen im Umgang mit Feuerwaffen. Er neigte etwas dazu, in dieser Ausbildung seinen alten NVA-Ton wieder anzuschlagen, allerdings nahm ihm das niemand übel, denn es war wichtig, dass alle, die in der Lage waren, eine Schusswaffe zu halten, auch damit umgehen konnten.

»Die Waffe ist unser Freund. Sie hilft uns, zu überleben. Ihr dürft keine Angst vor der Waffe haben und keine Angst davor, sie zu benutzen. Heute schießen wir hier nur auf ein paar Strohballen, morgen könnte das schon ganz anders aussehen. Ihr müsst daran denken, das sind keine Menschen, die euch da angreifen werden, es sind Monster. Ihr beschützt euch selbst, eure Familie und eure Freunde. Seid nicht zaghaft, seid mutig.«

Dann unterwies er die Sechsergruppe, die er zusammengeholt hatte, von Grund auf im Umgang mit Waffen und Munition. Er ließ die jungen Leute probeschießen, korrigierte Körperhaltung, Anschlag und Verhalten am Abzug. Er ließ seine Schüler die Waffen auseinandernehmen, reinigen und wieder zusammensetzen, erneut schießen und das Ganze wieder von vorn.

Alv hatte sich mit Sandy und den beiden kleinen Jungs, Angus und Arnie, in einer Ecke des Gartens hingesetzt, wo bereits die Strohwand stand. Sandy sah ihn an und meinte sorgenvoll:

»Meinst du wirklich, dass das nötig ist? Sie sind doch noch Kinder.«

»Ja, sie sind noch Kinder, das stimmt. Aber damit ein Teil von ihnen das noch bleiben kann, muss ein anderer Teil von ihnen noch heute erwachsen werden. Wenn hier diese Zombies aufschlagen, werden sie kein Erbarmen haben. Die wollen uns alle töten. Und sie werden uns töten, wenn wir ihnen nicht zuvorkommen.«

Der Kleine, Arnie, er war gerade mal elf Jahre alt, fragte:

»Papa, zeigst du uns, wie man die Monster tötet? Angus hat gesagt, dass die Zombies uns angreifen, wie auf der Playstation. Wir machen die fertig, oder?«

Alv sah seinen älteren Sohn streng an.

»Hast du deinem Bruder Angst gemacht?«

»Ja.« Angus sah betreten zu Boden.

»Hör zu, Junge. Das hier ist kein Videospiel. Wir sind nicht von der Umbrella Corporation und es gibt keine Unlimited Life Cheats. Was uns hier in der nächsten Zeit erwartet, ist Wirklichkeit. Wer Fehler macht, stirbt. Und es gibt keine neues Spiel. Hast du das begriffen?«

»Ja. Es tut mir leid.«

Alv sah den kleinen Arnie an.

»Weißt du, Sohn, diese Monster sind ziemlich fies.«

»Ich weiß, das sind Zombies. Die wollen töten und fressen.«

»Ja. Zombies. Mama, all die anderen hier und ich versuchen, dich und deinen Bruder zu beschützen. Ich möchte, dass ihr zwei immer zusammen bleibt. Ihr verlasst niemals das Grundstück, wo unser Haus steht. Okay? Ihr geht so wenig wie möglich raus. Wenn ihr in den Garten geht, dann tragt ihr immer Stiefel. Niemals barfuß. Es sind nicht nur Menschen, die zu Zombies werden, auch Tiere. Wichtig ist: leise sein. Immer leise sein. Wenn draußen die Zombies rumlaufen, könnten sie euch hören, dann kommen mehr und mehr von denen. Auch wenn ihr euch erschreckt, leise sein. Nicht schreien. Das ist das Allerwichtigste! Verstanden?«

Die beiden Jungs nickten. Alvs Herz wurde schwer. Als er seine Prepper-Sache begonnen hatte, gingen seine Vermutungen für Krisenzeiten in Richtung Wirtschaftskrise, Geldentwertung oder Naturkatastrophen. Niemals hätte er sich ausmalen können und wollen, seine kleinen Kinder darin zu unterrichten, wie man zielgerichtet Menschen tötet bzw. Wesen, die einmal Menschen waren. Zombieapokalypse. Wie grotesk!

Er nahm zwei Geräte, die er gestern gebastelt hatte. Das eine war ein Metallspieß, an dessen Ende ein T-Griff angeschweißt war. Das andere war ein Stiel, ebenfalls mit T-Griff, nur am anderen Ende sah es aus wie eine Art Harke. Es war ein Stück Bandeisen, an das ein gutes Dutzend Nägel angeschweißt war. Alv hielt das erste Gerät mit der Rechten am T-Griff und mit der Linken ein Stück weiter vorn. Die Spitze ragte etwas mehr als einen halben Meter aus seiner linken Hand hervor.

»Okay, Jungs. Wenn ihr euch verteidigen müsst, nehmt ihr den Spieß hier. Um einen Zombie auszuschalten, muss man ihm in den Kopf stechen. Ihr müsst ganz viel Wucht in den Stoß legen, um das Biest zu zerstören. Ich zeige es euch.«

Er stieß die Harpune mehrmals in einen Strohballen und trat beim Herausziehen immer dagegen, um den Spieß besser herausziehen zu können.

»Gesehen? Und jetzt ihr.«

Die Jungs gaben ihr Bestes bei der Kampfübung, und bereits nach kurzer Zeit machten sie es schon ganz gut. Dann nahm Alv das andere Gerät in beide Hände, er hielt es wie einen Spaten, die Dornen zeigten nach unten.

»Das hier ist der Mäusekiller. Es kann sein, dass am Boden Zombietiere lauern. Mäuse, Ratten, vielleicht Vögel. Dann hebt ihr den Mäusekiller und rammt ihn nach unten. Achtet auch hier darauf, dass ihr den Kopf erwischt. Getötete Tiere fasst ihr nur mit euren Handschuhen an und werft sie in diese rote Plastiktonne da. Wenn ihr raus geht, immer zu zweit.

Arnie nimmt den Mäusekiller, Angus nimmt zwei Harpunen mit. Ihr greift Zombies nicht an, wenn kein Erwachsener da ist. Wenn ihr euch aus irgendeinem Grund gegen Zombies verteidigen müsst, dann rennt nicht weg, sondern steht füreinander ein. Ich weiß, dass das unglaublich schwer ist und dass ich unheimlich viel Mut von euch verlange. Aber jeder von uns hier, auch alle Erwachsenen, müssen mehr Mut aufbringen, als sie selbst jemals gedacht hätten. Ich weiß, ihr zwei könnt das schaffen. Okay?«

»Okay, Papa!«, kam es unisono zurück.

»Gut, dann übt ihr jetzt hier noch ein bisschen, bis wir nachher Kaffee trinken, Männer!«

Die beiden Jungs begannen ohne Verzögerung, mit ihren Waffen zu hantieren, und man sah, dass sie zusehends sicherer wurden. Sandy sah ihnen zu und begann zu weinen. Der jüngere der beiden ging zu ihr hinüber, setzte sich neben sie und lehnte sich an seine Mutter.

»Du musst nicht traurig sein, Mama. Angus und ich beschützen dich. Wir sind jetzt Zombiekrieger.«

»Ja, mein Kleiner. Okay. Das macht ihr. Ich weiß.«

Sie wischte sich ihre Tränen ab und Angus kam ebenfalls zu ihr. Die drei umarmten sich.

Dann stand Sandy auf und wies die Jungs an, ruhig noch etwas zu üben. Ein wenig abseits stand Alv auf dem Wall und beobachtete das rasche Voranschreiten der Bauarbeiten. Als er Sandy unten sah, kletterte er zu ihr herunter.

»Ich weiß, es ist schwer. Glaub mir, das fällt mir auch nicht leicht. Aber so haben sie wenigstens eine Chance, sich zu verteidigen.«

»Ist das wirklich nötig? Ich wünschte, es wäre einfach bald vorbei.«

»Was willst du tun? Erst die Kinder erschießen, dann dich selbst, und das war es? Sie haben ein Recht zu leben, und sie haben ein Recht, dafür zu kämpfen. Es ist die Natur des Menschen, zu kämpfen. Und wir haben durchaus eine Chance, die Scheiße zu überleben. Wenn wir das hier durchstehen, wartet eine neue Welt auf uns. Gott ist mit den Mutigen, nicht mit den Verzagten.«

Sie sah ihn verdattert an.

»Ist das dein Ernst?«

»Das ist mein voller Ernst. Sieh dich hier um. Wir haben Nahrung, Waffen, Krieger. Alles, was nötig ist, um zu überleben. Ich denke, Gott will, dass wir leben.«

»… sprach der Herr Bischof mit der Knarre in der Hand. Dein Gott hat einen merkwürdigen Humor.«

»Lass uns kämpfen, nicht aufgeben.«

Sie sah hinüber zu ihren gemeinsamen Kindern und nickte.

»Also gut. Für die Kinder.«

»Okay, wenn diese Angriffe losgehen, wird es sicherlich Phasen geben, in denen es nicht allzu hoch hergeht. Ich halte es für richtig, wenn die Jungs ab und zu mit auf dem Wehrgang der Holzpalisade stehen und sehen, wie die Zombies getötet werden. Sie müssen sich an den Anblick gewöhnen und lernen, das es keine Menschen sind, die wir töten, sondern Monster. Wenn es soweit ist, sag ich dir Bescheid, dann gehen wir mit ihnen zusammen auf die Barrikade, okay?«

Seine Ex-Frau nickte und ging zurück zu den Jungs. Alv ging wieder rüber zur Baustelle, dort wurde gerade der vordere Wall komplett fertiggestellt.

Die Pfeiler für das Haupttor waren auch bereits eingegossen und wurden noch von einer Hilfskonstruktion gestützt.

Links und rechts von den Pfeilern standen die beiden Halbtore, die aus massiven Eisenrohren geschweißt waren, ein stabiles Gitter mit Verstärkungsstreben hatten und zudem noch mit Tarnnetzen innen wie außen abgehängt waren. Von der ehemaligen Pferdekoppel schallten Eckhardts Offizierskommandos herüber, sein Drill war unerbittlich, aber gut. Es war abgesprochen worden, dass dreimal in der Woche solche Übungen anstanden, wenn die aktuelle Lage es zuließ.

Mittlerweile war es früher Nachmittag und die großen Mädels machten sich daran, Kaffee, Tee und Gebäck vorzubereiten, denn der Materialtrupp würde in etwa einer halben Stunde wiederkommen und dann wollten alle zusammen Kaffee trinken.

Alv ging zu Eckhardt hinüber, der das Exerzieren gerade beendet hatte.

»Na, wie sieht es aus? Kommst du voran?«

»Ja, die jungen Leute sind natürlich noch etwas ungeschickt, aber sie gewöhnen sich langsam an die Waffen.«

»Mir wäre es wichtig, dass sie auch im Umgang mit den anderen Waffen geschult werden. Bogen, Armbrust, Hieb- und Stichwaffen. Je leiser wir am Wall agieren, desto weniger bekommen wir zu tun. Und wir sparen Munition. Nach dem Kaffee lass uns mal alle zusammen zusehen, dass wir den Wall dichtkriegen. Diese Ausgangssperre gefällt mir überhaupt nicht. Wenn hier irgendwelche Ordnungsmächte auftauchen, würde ich denen gern den Stinkefinger vom Wall aus zeigen. Sollen wir nochmal einen Rundgang machen?«

Eckhardt nickte und zog sich eine filterlose Zigarette aus der Schachtel. Er steckte sie an und die beiden marschierten gegen den Uhrzeigersinn einmal um das Gelände. Im nordöstlichen Bereich, der in Richtung Unterdorf lag, wollte Alv den Wall gern von innen mit Fahrzeugkarossen verstärken, um einem etwaigen Ansturm genug Gegengewicht entgegenzustellen. Eckhardt notierte sich alle Punkte, die ihnen beiden noch auffielen, in ein kleines Notizbuch. Er meinte:

»Sinnvoll wären hier ja Auflieger mit offener Ladefläche, oder?«

»Nee, mir wären Tautliner lieber. Erstens haben die ein Dach auf dem Auflieger, und zweitens können wir die Plane zum Wall hin abmontieren, die Plane, die nach innen zeigt, aber dran lassen.

Wenn wir uns acht bis zehn Auflieger besorgen und die direkt hinter die Ballen stellen, dicht an dicht und über Eck, haben wir einen überdachten Wehrgang.

Mit zwei Zugmaschinen können wir die Teile in vier Touren besorgen. Entweder wir ziehen die von der Autobahn direkt, oder von Speditionen in der Umgebung. Und wer weiß, vielleicht finden wir ja auch noch interessante Ladung.«

»Ja, das leuchtet ein. Wir sollten vielleicht morgen nochmal eine Tour zum örtlichen Supermarkt machen, ich wette, da sind noch brauchbare Sachen drin.«

»Ich dachte eigentlich, das machen wir heute nacht, Bruder. Ziehen wir nochmal die Militärnummer durch, die Leute haben das im Fernsehen gesehen, die werden uns nicht in die Quere kommen. So, wie es aussieht, verbreitet sich diese Seuche recht fix, und wir sollten zusehen, dass wir uns einbunkern. Viel Schonzeit werden wir nicht mehr haben, fürchte ich.«

»Okay, ich stelle nachher ein Team zusammen. Wann willst du abrücken?«

»Dachte so gegen zehn, wenn wir bis dahin hier fertig sind. Dann beginnt die Ausgangssperre und wir können etwas Druck machen.«

»Das ist plausibel, ja. Okay. Zweiundzwanzig-Hundert. Wir fahren mit 8 Mann, um schnell agieren zu können. Fahrer, zwei Mann Wache, der Rest räumt aus und verlädt.«

Am Horizont sahen sie in einiger Entfernung schwarze Rauchwolken aufsteigen. Eckhardt deutete auf den Qualm.

»Es geht los.«

»Yep. Rendsburg. Da dürfte jetzt die Hölle los sein. Lass uns Kaffee trinken.«

Sie gingen zum Haupthaus hinüber, wo die Mädels im Carport den großen Tisch gedeckt hatten. Tee, Kaffee und leckere Kekse standen bereit, für die Kleinen gab es Limonade.

Jahr Null. 15. Juli, Mittags

Walter McDogherty verließ das Büro des deutschen Krisenstableiters. Dieser Generalmajor Klingner war ein typischer Soldat, fand er. Ein ehrlicher Typ, grobschlächtig, kantig, ein Haudegen, aber keinerlei Gespür für intelligent verities. Das jedoch war McDoghertys Geschäft. Wahrheiten mussten smart sein, gut verdaulich, nicht immer vollumfänglich.

Man hatte ihn aus New York hierher nach Berlin beordert, weil es eine Krise gab, die eine Reaktion der WHO erforderte. Die höchste internationale Gesundheitsbehörde stand seit der Geschichte mit H5N1 nicht im besten Licht, er durfte sich also keine Fehler erlauben.

Direktorin Margaret Chan persönlich hatte ihn mit höchsten Vollmachten ausgestattet, um dafür zu sorgen, dass dieses PR-Debakel sich nicht wiederholen würde. Damals hatte die WHO extra neue Warnstufen eingeführt, damit sich ein paar fette Pharma-Lobbyisten mit den Impfstoffen gegen Vogelgrippe eine goldene Nase verdienen konnten.

Doch die große Epidemie war ausgeblieben, Millionen Dosen nutzloser Impfstoffe gammelten jetzt in den Lagern vor sich hin. Anfänglich gab es die begrenzte und etwas krude Hoffnung, ein aktueller Vogelgrippe-Virenstamm könnte Auslöser der merkwürdigen Vorfälle hier in Deutschland sein, dann hätte man flugs die Impfstoffe aus den Lagern hervorzaubern können mit dem süffisanten Kommentar: Wir haben es euch ja gesagt. Es hätte ein paar Millionen Piekser gegeben, die Hersteller hätten dieselbe Menge Impfstoff noch einmal verhökern können, und alles wäre wunderbar gewesen. Nur, das war es leider nicht.

Dieses Virus, das hatten die Virologen schnell herausgefunden, war definitiv nicht mit der Vogelgrippe verwandt. Man hatte das Virus V1Z31 genannt, erst vorgestern hatte sein WHO-Team erste Proben erhalten.

Es waren sogenannte heiße Proben, nur wenige Stunden alt, aus einem Krankenhaus in Norddeutschland. Der Stamm wies eine gewisse architektonische Ähnlichkeit mit dem Maul- und Klauenseuchevirus auf, doch sein Infektionsverhalten unterschied sich immanent von den Mustern aller bisher bekannten Viren. Es war zu quantitativ höchster Reproduktionsrate fähig, seine Letalität war in der medizinischen Welt unübertroffen.

Die polymorphen Virionen in Form ikosaedrischer Kapside waren in der Lage, in jede Zelle, die sie berührten, einzudringen und dort eine spezifische Temperenz zu erzeugen.

Dabei wurde das Genom des Virus in das des Wirtes komplett integriert und seine sämtlichen Körperzellen reproduzierten dann das Virus in einer rasenden Geschwindigkeit. Man hatte ihm erklärt, dass dieses Virus in seiner Wirkung sich zu Ebola so verhielt, wie eine Atombombe zur Handgranate.

Diesmal war es definitiv kein Fehlalarm, das hatte McDogherty bereits gemerkt, als er in Berlin angekommen war. Er war von Beamten des Staatsschutzes direkt vom Flughafen mit Eskorte zum Lagezentrum gebracht worden, wie es hieß, gab es bereits eine Regierungskrise. Gerüchte besagten, dass hochrangige Mitglieder der deutschen Regierung dem Virus zum Opfer gefallen waren. In dem ersten Gespräch, das er mit Generalmajor Klingner geführt hatte, wurden diese Gerüchte indirekt bestätigt.

McDogherty ging in sein Büro, hängte seine Satellitenantenne aus dem Fenster und etablierte eine abhörsichere Videoschaltung ins WHO-Hauptquartier nach Genf, wo die Direktorin bereits auf seinen Bericht wartete. Auf dem Bildschirm seines Laptops erschien das WHO-Emblem, ein weißer Globus, lorbeerumkränzt, mit einem Aeskulap-Stab in der Mitte. Ein Passwortfeld erschien, und McDogherty gab sein persönliches Kennwort whoisdoctorwho ein.

Er fand das unheimlich witzig. Der Sysad, der das Passwort eingepflegt hatte, nicht. Zu weich hatte der gemeint, aber McDogherty interessierte das nicht, er brauchte Zugangsdaten, die er sich merken konnte.

Auf das Fingerabdruckfeld, das jetzt leuchtete, drückte er seinen rechten Zeigefinger und sagte seinen Namen in das Mikrofon. Dann erlosch der WHO-Bildschirm, und das Gesicht seiner Vorgesetzten erschien.

»Ich grüße Sie, McDogherty. Ich bin gespannt auf Ihren Bericht.«

Der Sonderbeauftragte gab ihr einen kurzen Überblick und sandte die Result Files der virologischen Untersuchungen als Datei zu ihr hinüber. Sie sichtete einige der Sheets und wandte sich wieder an McDogherty:

»Das sieht nicht gut aus. Ich fürchte, das wird mehr als eine Pandemie. Ich werde unverzüglich die UN-Gremien unterrichten.

Wir müssen einen global shutdown in Betracht ziehen. Bleiben Sie dran, McDogherty, ich erwarte dreimal täglich Ihre Updates.«

Bevor er etwas erwidern konnte, brach die Verbindung ab und das WHO-Logo füllte wieder den Bildschirm.

Nachdenklich fuhr er den Rechner herunter, verstaute das Gerät in seiner Umhängetasche und begab sich erneut in den Gebäudetrakt, in dem Generalmajor Klingner sein zentrales Büro hatte.

Dort war es inzwischen hektischer geworden. Überall rannten Offiziere umher, Kisten wurden gepackt, mit Geräten und Akten vollgestopft und versiegelt, Soldaten transportierten diese ab.

Als McDogherty das Büro des Generalmajors betrat, telefonierte dieser auf zwei Apparaten gleichzeitig. Er wies ihn mit einer laschen Geste an, sich zu setzen. Als er aufgelegt hatte, wandte er sich an den Sonderbeauftragten.

»Gut, dass Sie da sind, Mister McDogherty. Sie haben es sicher schon gehört, unsere Bundeskanzlerin ist verstorben. Ebenso führende Mitglieder des Kabinetts und der Parlamente auf Bundes- und Länderebene. Ein heilloses Chaos zieht da draußen auf.«

»Ja, das habe ich mitbekommen. Wer regiert Ihr Land jetzt?«

»Der Bundespräsident ist noch am Leben, einige Parlamentarier auch. Die Notstandsverordnungen wurden in Kraft gesetzt, das Militär ist jetzt höchste Ordnungsmacht im Staate.

Der Generalinspekteur der Bundeswehr hat mich angewiesen, den Krisenstab in eine Militärbasis zu verlegen, um das Funktionieren unserer Infrastruktur zu gewährleisten.«

»Wohin geht es?«

»Das ist geheim.«

»Rungholt?«

»Was soll das sein?«

»Ich bitte Sie, Herr Generalmajor. Die Feste Rungholt ist längst nicht so geheim, wie Sie es gerne hätten.«

Klingner sah ihn von der Seite her an und kniff die Augen zusammen.

»Wer sind Sie, Mister McDogherty? ISR? NGA? NRO?«

»Das ist geheim.«

»Dachte ich mir. Nun, wie dem auch sei, unsere Wege trennen sich hier jedenfalls wieder.

Meine Leute werden Sie zu einem sicheren Ort Ihrer Wahl bringen. Wohin soll es gehen?«

»Es reicht, wenn Sie mir ein Taxi zum Pariser Platz besorgen, Herr Generalmajor.«

»Zur US-Botschaft? Na, wer hätte das gedacht. In Ordnung. Unsere Fahrbereitschaft wird Sie eskortiert dorthin befördern. War nett, mit Ihnen zu plaudern.«

Klingner erhob sich und reichte dem Jüngeren die Hand. Nach der Verabschiedung wurde McDogherty durch das Gebäude zu einer Tiefgarage geführt, in der drei Mercedes Geländewagen startbereit mit laufenden Motoren standen.

McDogherty stieg in den mittleren, und sofort setzte sich der kleine Konvoi in Bewegung. Mit Blaulicht auf den Dächern und hoher Geschwindigkeit ging es durch das Regierungsviertel. Zwar waren die Scheiben getönt und die Fahrzeuge fuhren im Grunde nur einige hundert Meter, doch McDogherty konnte erkennen, dass mitten in der deutschen Hauptstadt Zustände herrschten, wie wohl zuletzt 1945.

Überall standen Autos kreuz und quer, einige brannten, Sirenen und Alarmanlagen heulten. Verwirrte Passanten, Zombies, wandelten durch die Straßen, einige waren äußerst behende unterwegs, Menschen wurden von anderen angefallen und verletzt.

Löbe-Allee, Ecke Marschall-Brücke, Wilhelmstraße, von überall her waren hysterische Schreie zu vernehmen, die trotz des eingeschalteten Martinshorns des Führungsfahrzeuges im Innern des Autos gut zu hören waren. McDogherty liefen kalte Schauer über den Rücken.

Als sein Konvoi am Pariser Platz vor dem Brandenburger Tor ankam, standen dort bereits vier US Armeehubschrauber, die von Marines beschützt wurden, vor dem Botschaftsgebäude auf der Rasenfläche. Die Soldaten schossen immer wieder gezielt auf die Köpfe einzelner Individuen, die sich aus der umherziehenden Menge lösten, um die Menschen anzugreifen. Auf der Straße Unter den Linden versammelten sich immer mehr Infizierte, sie rotteten sich zusammen, und die Marines begannen, diese Pulks mit Gewehrgranaten zu beschießen. Ein Kiosk in der Straßenmitte explodierte, als eine der 50-Millimeter-Granaten einschlug, und immer wieder hörte man das Tackern der Schnellfeuergewehre. Berlin befand sich im Krieg, und es sah nicht so aus, als würden die Menschen diesen Kampf für sich entscheiden können.

Am Gebäude der Commerzbank hielten die Fahrzeuge vor einer Reihe von Pylonen, und ein Kommando des US-Militärs nahm McDogherty in Empfang. Aus dem Botschaftsgebäude kamen weitere VIPs und wurden in die Hubschrauber verfrachtet, die Piloten starteten sofort die Rotoren. Binnen einer Minuten waren die Maschinen der Helikopter hochgefahren und die Marines erweiterten den Ring um den Startplatz. Als die Hubschrauber mit lautem Getöse schließlich abhoben, konnte McDogherty aus dem Seitenfenster sehen, dass der gesamte Pariser Platz von aggressiven und schnellen Zombies nur so wimmelte. Die Marines schossen, was die Waffen hergaben, doch das reichte nicht. Der fleischgierige Mob überrannte sie förmlich, ohne dass sich seine Geschwindigkeit wesentlich verringerte. Nur eine Minute später wären die Helikopter nicht mehr vom Boden hochgekommen.

Wobei, einer der vier Hubschrauber schien in Schwierigkeiten zu kommen. Er hatte etwas später abgehoben als die anderen drei, und an seinen Kufen hing eine Traube von Zombies, die jede Sekunde größer wurde. Und schwerer, dutzende, fast schon hunderte von Zombies hingen gierig an den Kufen, andere hingen an den ersten, weitere hängten sich daran, wieder andere kletterten flink an der Menschentraube hoch, um an das Frischfleisch zu gelangen, das da zu entkommen versuchte.

Der Hubschrauber geriet wegen der Überladung ins Trudeln, taumelte, kippte zur Seite und schlug hart auf den Boden auf, mitten in die riesige Menge Zombies, die sich auf dem Platz versammelt hatte. Die Masse aus zuckenden, verrenkten Leibern schlug kreischend über dem Helikopter zusammen, viele wurden von der Maschine zerstückelt oder zermalmt, aber hunderte dieser gefräßigen Bestien stürzten sich in Wellen auf die Beute. McDogherty meinte zu sich selbst murmelnd:

»Shit. Dosenfutter.«

»Die Familie des Botschafters«, meinte sein Sitznachbar, der die Uniform eines Konteradmirals trug, und sah ihn verächtlich an.

McDogherty bekam Kopfschmerzen.

Jahr Null. 15. Juli, Abend

Die Arbeiten am Wall waren weitestgehend abgeschlossen. Holger und Wolfgang hatten noch insgesamt sechs Trailer vom nächsten Autobahnparkplatz besorgen können, dort standen dutzende verlassene LKW, deren Fahrer versuchten, sich nach Hause durchzuschlagen. Die Auflieger wurden zunächst einmal in die vorgesehenen Positionen manövriert, am morgigen Tag wollten Alv und Eckhardt die Ladepapiere durchgehen und die Ladungen von den Ladeflächen holen beziehungsweise sie dort so umpacken, dass die Trailer als Wehrgang wie geplant genutzt werden konnten. Die Festung stand, es waren nur noch Verbesserungsarbeiten durchzuführen. Ab acht Uhr abends begannen die ersten Wachen, von nun an würde der Wall keine Minute mehr unbeobachtet bleiben. Zu jeder Zeit waren drei Mann auf dem Wall und patrouillierten im Wehrgang oder direkt auf der obersten Schicht Strohballen. Die Festung trug den Namen Refugium und würde für die Bewohner auf unabsehbare Zeit der letzte Schutz vor den Bestien sein. Beim Abendessen verkündete Alv den Beginn der Verteidigungsbereitschaft.

»Mal herhören, alle bitte. Ihr habt in den letzten beiden Tagen wirklich hervorragende Arbeit geleistet, jeder von euch. Ihr habt Dinge vollbracht, zu denen viele, viele andere Menschen nicht fähig sind oder waren. Wenn wir alle so weitermachen, dann haben wir gute Chancen, diese Katastrophe zu überleben. Der Wall ist fertig und relativ sicher. Natürlich müssen wir in der Zukunft noch daran arbeiten, ihn zu verbessern. Wir werden auch noch vorgelagerte Verteidigungsanlagen bauen, um möglichst viele Zombies abzufangen, bevor sie ins Dorf gelangen. Am heutigen Abend werden Eckhardt, Benny, Wolfgang, Gernot, Karsten, Karl und ich mit dem Ural noch einmal aufbrechen, um in Hademarschen den Rest aus den Regalen bei ALDI herauszuholen, allerdings könnten die Zombies den Ort bereits erreicht haben. Ab morgen rechnen wir definitiv mit Feindkontakt hier im Dorf. Ich möchte, dass ihr wisst, dass Eckhardt sich größte Mühe gegeben hat, uns hier Dinge beizubringen, die Sicherheit bedeuten. Dennoch: Wenn die ersten Zombies hier aufmarschieren, wird es anders sein, als wir alle es uns vorstellen. Von heute an werden wir kämpfen müssen. Eckhardt, du wolltest noch ein paar Dinge sagen?«

Der Angesprochene erhob sich und blätterte in einigen Zetteln herum.

»Ja, ich danke dir. Alsooo … Alv und ich haben den vorläufigen Wachtplan ausgearbeitet. Wir führen fünf Schichten ein. Die erste Wache, Tagwache, geht acht Stunden, von Null-Acht-Hundert bis Sechzehn-Hundert, danach im Vierstundentakt. Wir haben folgende Teams eingeteilt. Team Eins: Ich, Getrud, Benny. Team Zwei: Alv, Wolfgang, Sally. Team Drei: Holger, Anita, Thorsten. Team Vier: Karl, Karsten, Feline. Team Fünf: Gernot, Sandy, Cara. Team Sechs: Elfie, Rhea, Aaron. Waffenübergabe findet jeweils zum Wachwechsel an der Position statt. Jeder Wachposten bekommt ein Funkgerät, Alv und ich sind zu jeder Zeit erreichbar. Wenn Zombies oder andere Personen oder Gruppen im Anmarsch sind, wird nicht laut Alarm geschlagen, sondern per Funk leise Meldung gegeben. Den genauen Schichtplan arbeiten wir morgen beim Frühstück noch exakt aus, selbstverständlich könnt ihr auch untereinander nach Bedarf tauschen. Ihr werdet bemerkt haben, dass es fünf Schichten, aber sechs Teams gibt. Das sechste Team wird während der Tagwache Patrouillengänge in der näheren Umgebung vornehmen. Wer keine Wache hat, schläft oder macht sich nützlich, wo es geht und wo es nötig ist. Die ersten Wachen heute Nacht übernehmen bis dahin die Teams Drei, Eins und Zwei. Ich habe das Ganze hier noch einmal ausgedruckt, wir hängen das in jedem Haus auf. Die Waffenkammer befindet sich in der OPS, das ist das kleine Holzhaus in der Mitte des Refugiums. Wenn also Alarm ausgerufen wird, kommen ausnahmslos alle wehrfähigen Erwachsenen hierher, Rhea und Sandy versorgen im Haupthaus die Kleinen. Während der ersten Wachen gehen Alv und ich immer mal wieder Kontrolle, ihr könnt jederzeit Fragen stellen, und wir werden zwischendurch immer wieder Waffenübungen abhalten. Das wäre es fürs Erste.«

Als er sich setzte, begann Alv, als Zeichen der Zustimmung auf den Tisch zu klopfen, was ihm, einer nach dem anderen, alle nachtaten. Als das Abendmahl beendet war, wiesen Eckhardt und Holger das erste Wachteam ein. Die dreieckige Form des Refugiums machte es möglich, die gesamte Anlage mit drei Personen zu überblicken. Es lagen auf jedem Posten Ferngläser bereit und zusätzlich Nachtsichtgeräte, in deren Gebrauch die Wachmannschaften allerdings noch eingewiesen werden mussten. Als dies gegen einundzwanzig Uhr erledigt war, wurde der Ural-LKW betankt und das Team kleidete sich ein. Eckhardt und Alv liefen sowieso immer in Armeeklamotten herum, aber der Rest des Teams musste noch ausstaffiert werden.

Dann bekam jeder eine AK47, Eckhardt und Alv in der Rolle der Offiziere bekamen noch jeder eine Pistole, die sie von diesem Tag an stets tragen würden. Ersatzmagazine wurden ausgegeben und leere Transportkisten auf den LKW verladen.

Gegen halb zehn rollte der schwere LKW auf der Dorfstraße in Richtung Bahnhof hoch, Gernot war als Fahrer eingesetzt, Alv und Eckhardt saßen vorn auf der Beifahrersitzbank, die so großzügig bemessen war, dass selbst die beiden nicht eben schlanken Männer dort bequem Platz fanden. Als sie den Bahnübergang am Ortseingang langsam passierten, meinte Alv zu seinem Sitznachbarn:

»Sieh mal, ich dachte, hier oben bauen wir eine Barrikade, beweglich, aber mit viel NATO-Draht und reichlich Spitzen. Und links und rechts können wir auf den Gleisen die erledigten Zombies ablegen. Wenn die verfaulen, hält der Gestank ja vielleicht die anderen Zombies ein wenig ab, was meinst du?«

»Ja, die Idee ist gut. Aber eine einfache Barrikade hält die Zombies sicher nicht lange auf.«

»Stimmt natürlich. Ich meine auch kein Bollwerk, nur etwas, dass es den Burschen unbequemer macht, ins Dorf runterzukommen. Da an den Seiten können wir was Festeres bauen und Kadaverhaufen machen, vielleicht entschließen sich ja einige, lieber woanders zu futtern.«

»Hehe, Wall of Death.«

»Blödmann.«

Sie lachten.

Nach wenigen Minuten kam der Truck auf die Hauptstraße, sie bogen nach links ab und fuhren in Richtung Hademarschen. Auf halbem Wege kam ihnen der Streifenwagen entgegen, dem sie schon einmal begegnet waren.

Alv sah in den Rückspiegel. Eckhardt fragte:

»Und? Kommen sie zurück?«

»Nö. Die haben wohl noch immer keine Lust auf 'ne Schießerei mit uns.«

Gernot trat aufs Gas und der bullige Lastwagen beschleunigte auf fast 80 km/h.

Kurz darauf überquerten sie die Gemeindegrenze und fuhren die Bergstraße herunter in das Dorf. Der Ort war nicht, wie sie erwartet hatten, vollständig leergefegt, hier und da waren Gestalten zu sehen, die sich um Ecken drückten und scheinbar witternd herumstanden.

»Gesehen?«, meinte Alv.

»Yep«, entgegnete Eckhardt knapp.

»Dann lass uns bloß zusehen, dass wir unseren Einkaufsbummel erledigt kriegen.«

Gernot fragte dazwischen:

»Wo muss ich hin?«

»Da vorne, gegenüber von dem Imbiss da rechts hoch. Auf dem Parkplatz rechts halten, da kommen wir zur Laderampe. Ich halte es für besser, wenn wir von hinten 'rangehen.«

Gernot schaltete zwei Gänge herunter, und der Laster quälte sich schnaufend den Berg hoch. Auf dem Parkplatz des ALDI-Marktes bog er rechts ab, fuhr bis zum Ende und setzte dann zurück, um an die hinter dem Gebäude verborgene Laderampe zu manövrieren. Als der Laster mit zischenden Bremsen hielt, stiegen Alv und Eckhardt aus, die hintere Ladeklappe öffnete sich und alle Mann standen flugs auf der Rampe. Eckhardt gab die Kommandos aus, zwei Mann mit entsicherter Waffe sollten den laufenden Truck bewachen, der Fahrer blieb sitzen.

Mit fünf Mann näherten sie sich der hinteren Tür, die schnell geknackt war. Eine Alarmanlage sprang nicht an, offenbar gab es hier nicht mehr allzu viel zu bewachen. Das Tageslicht fiel nur spärlich in den Lagerraum, also zückten sie ihre Stablampen. Als Eckhardt seine Lampe einschaltete, stand auf einmal jemand im Lichtkegel nicht weit von ihm entfernt. Es war der Filialleiter, man konnte ihn gut am weißen Kittel erkennen. Er wirkte zerzaust, desorientiert und aus seinem Mundwinkel troff Speichel. Seiner Kehle entstieg ein tiefes Kollern, bevor er zum Sprung ansetzte, um sich auf Eckhardt zu stürzen. In diesem Moment explodierte sein Kopf zur Seite und er fiel einfach um. An dem Ort, wo eben noch der Zombie gestanden hatte, stand Alv mit ausgestrecktem rechtem Arm, in seiner Hand eine Pistole. Im Schein der Taschenlampe konnte man den Pulverdampf erkennen, der die Waffe umgab.

»Okay, sichern!«, rief Eckhardt. »Benny und Karl, ihr übernehmt die Waren, Alv und ich sichern die Umgebung.«

Zunächst untersuchten sie das Lager. Hier gab es noch je eine Palette Toilettenpapier und Küchenpapier, außerdem Spülmittel und Körperpflegeartikel. Benny begann, die Paletten mit dem elektrischen Palettenhubwagen raus zu fahren. Karsten hatte bereits eine Eisenplatte von der Rampe zum Laster hinüber gelegt, so dass das Verladen zügig von der Hand ging. Wolfgang ging derweil vor dem Laster Streife. Palette um Palette verfrachteten sie in den Laderaum, im Lager fanden sich auch noch kartonweise Batterien, Waschmittel und Nudeln, Reis, sowie Margarine und Öl. Alv und Eckhardt begaben sich in den Verkaufsraum, dort gab es erwartungsgemäß nicht mehr viel zu holen. Die gestrigen Panikkäufe hatten den Laden fast vollständig geleert. Überall lagen leere Kartons, aufgerissene und zerplatzte Nahrungspackungen und Dinge, die achtlos weggeworfen worden waren. Ein Regal war fast unangetastet, darin befanden sich verschiedene Kräutertees, Naturarzneimittel und Vitaminpräparate. Eckhardt wies Karl an, diese Dinge in die mitgebrachten Transportkisten zu verpacken.

»Okay, zwei Kisten kriege ich noch rein, dann ist Schluss. Wir müssen ja schließlich auch noch mit zurück.«

Eckhardt nickte und sah sich nach Alv um. Der stand am Non-Food-Regal und war gerade dabei, einen Bananenkarton mit Spielzeugautos vollzupacken, als er plötzlich sein Sturmgewehr hoch riss und eine Salve in Richtung des Kühlregals feuerte. Eckhardt war sofort bei ihm, denn dort rappelten sich gerade ein halbes Dutzend Gestalten auf, um die beiden anzugreifen. Sie waren zum Glück langsam, behäbig und wirkten in ihren ruckenden Bewegungen ziemlich grotesk.

Kurze Feuerstöße aus den Sturmgewehren beendeten ihre Existenzen. Die beiden packten den Karton und liefen zurück ins Lager.

Auf ihrem Weg konnten sie durch die Glasfront des Geschäftes sehen, dass eine Gruppe von vielleicht zwanzig Zombies sich die Auffahrt hinaufschob. Draußen am LKW wurde geschossen. Alv und Eckhardt beeilten sich, zur Laderampe zu kommen.

»Aufsitzen! Wolfgang, Karsten, nach vorn. Benny und Karl nach hinten! Ladeklappe sichern!«, brüllte Eckhardt.

Er selbst und Alv hechteten in den Laderaum des anrollenden LKW und machten ihre Waffen erneut schussbereit. Benny und Karl taten es ihnen nach und eine Sekunde später zeigten vier Läufe aus dem Heck des Ural nach hinten. Gernot gab ordentlich Gas, aber der russische Laster war nun mal kein Ferrari, und so holten die schnelleren unter den Zombies, die aus der Richtung des Sky-Marktes angerannt kamen, schnell auf. Doch die Kugeln aus den Sturmgewehren stoppten sie recht schnell. Gernot überfuhr einfach alles, was sich dem mächtigen Fahrzeug in den Weg stellte, die riesigen Reifen ließen Knochen brechen, Schädel bersten und Bäuche platzen. Der Diesel röhrte, die Gewehre knatterten und spien Blei, und der LKW fand fast von allein den Weg nach Hause. Gegen halb Zwölf war das Team wieder in Beldorf, und Gernot fuhr den Ural durch das kleinere Nordtor auf den Pferdeacker, der zwischen den Häusern 30 und 34 lag. Sofort begannen alle mit dem Ausladen, die Waren wurden im Haus Nummer 34 verstaut, dort war noch reichlich Platz. Alv brachte den Karton mit Spielzeug zu seinem Haus, wo sich die drei kleinen Jungs über die Abwechslung freuten. Zum Wachwechsel um Mitternacht ging er noch zum Südposten, wo Eckhardt jetzt an der Reihe war. Er stand auf dem etwas erhöhten Posten und rauchte.

»Na? Noch fit für die Wache?«

»Na klar. Bei der NVA damals hatten wir manchmal sechsunddreißig Stunden Wache. Das hier ist ein Klacks.«

»Okay. Ich löse dich nachher ab, um vier. Wie es aussieht, ist Hademarschen bereits infiziert. Dann werden diese Zombies auch hierher kommen, soviel ist klar.«

»Wie hat sich das so schnell ausgebreitet? Selbst durch Tröpfcheninfektion oder die Luft hätte das doch länger dauern müssen.«

»Die Tiere. Vögel sind infiziert. Wohl nicht alle Arten, aber einige. In den Nachrichten war auch die Rede davon, dass Rendsburg nicht der einzige Infektionsherd war, es soll über tausend weitere gegeben haben.«

»Scheiße, Mann.«

»Jo. Scheiße. Na ja, ich leg mich 'nen Moment hin. Bis später dann. Gute Wache.«

»Ja, bis später.« Eckhardt nahm einen tiefen Zug von der Filterlosen.

Jahr Null. 16. Juli, Morgen

Generalmajor Klingner hatte seinen Schreibtisch geräumt, alle Sachen waren in wasserdichte Aluminiumkisten verpackt und auf den LKW verladen worden. Draußen in der Stadt tobte die Hölle. Berlin versank im Chaos. Draußen auf den Straßen trieben unübersichtliche Horden von Zombies ihr Unwesen und griffen alles an, was sich bewegte. Man berichtete davon, dass diese schnelleren Exemplare, sie wurden inzwischen als Jäger-Zeds bezeichnet, sogar über die ungelenken, langsameren Zombies herfielen.

Offenbar reagierten die Menschen völlig unterschiedlich auf die Infektion mit dem Z1V31-Virus. Einige entwickelten sich zu Zombies, also Untoten, wie man sie aus klassischen Filmen kannte. Verstörte, wirre Gestalten, die sich mit unkoordinierten, ruckenden Bewegungen voran schoben, geifernd und sabbernd mit jammerndem Stöhnen den Lebendigen hinterherhinkend. Sie infizierten auch andere, aber hauptsächlich fraßen sie an ihren Opfern, lutschen deren Gedärme wie Lakritz-Schlangen und stopften alles an Fleisch in sich hinein, was sie von einem Menschenkörper mit Händen und Zähnen abreißen konnten. Aber dann gab es da diese anderen: Jäger-Zeds, deren Vitalfunktionen durch das Virus oftmals um ein Vielfaches gesteigert wurden. Sie waren nach dem Erwachen schneller, kräftiger und wesentlich aggressiver als die anderen Zombies, sie bissen um sich, nur um des Beißens willen, wie in Rage. Aber es schien, als würde ihre Batterie schneller leer, sie brauchten Unmengen an Nahrung, sie schreckten nicht einmal davor zurück, ihre eigenen Artgenossen, wenn man diese Ausgeburten der Hölle so nennen wollte, anzugreifen und sich an deren totem Fleisch zu laben.

Klingner begab sich nach unten in die Tiefgarage und bestieg einen der LKW, die zur Abfahrt bereit standen. Es waren insgesamt 12 Armeelaster, die das Material und Personal aus dem Berliner Krisenzentrum abtransportieren sollten, um es zum Flughafen zu bringen, wo Transall-Maschinen den Weitertransport zur geheimen Basis Rungholt übernehmen sollten. Die Basis lag in der Nordsee, im Felsen der Insel Helgoland, dorthin hatte der Generalinspekteur die Kommandoebene der Truppen verlegt. Den Konvoi sollten vier sogenannte Wolf-Geländewagen mit schwerbewaffneten Soldaten begleiten, alle Fahrzeuge waren mit schweren MG und MP ausgerüstet, die Männer auf den Ladeflächen der LKW waren ebenfalls gut bewaffnet. In jedem Fahrzeug stand zudem eine Kiste mit Handgranaten bereit.

Die Fahrer warfen die Motoren an und steuerten den Geleitzug aus der Tiefgarage. Über die Straße des 17. Juni sollte es zur A 100 gehen und dann nach Tegel, wo die Maschinen Fracht und Personal aufnehmen sollten. Die Kolonne passierte relativ unbehelligt den Bezirk Tiergarten, doch am Ernst-Reuter-Platz passierte es dann.

Aus allen Richtungen stürmten ganze Heerscharen von Zombies heran.

Aus Marchstraße, Otto-Suhr-Allee, Bismarck- und Hardenbergstraße stürmten die Zeds sternförmig heran, jede der Herden wurde angeführt von einer Horde Jäger-Zeds. Es mussten tausende sein, wie ein Malstrom des Schreckens wälzten sich die zuckenden, gierigen Fressmaschinen durch die Straßen, die sie in voller Breite ausfüllten. Sie schubsten, drängelten, kletterten übereinander, ihr Geschrei, das Knurren und Kollern donnerte durch die Häuserschluchten.

Klingner war ein dekorierter und altgedienter Soldat. Er war auf dem Balkan, im Kongo und in Afghanistan gewesen, hatte Krieg und Gewalt erlebt, war zweimal verwundet worden. Aber was er hier zu sehen bekam, ließ sein Blut in den Adern förmlich gefrieren.

Er hatte immer Respekt gehabt vor seinem Gegner. Niemals den Feind unterschätzen, auf das Unerwartete vorbereitet sein, das war seine Devise im Kampf gewesen. Aber was er hier erblickte, verursachte eine grauenhafte Furcht in ihm, die das Blut aus seinem Gesicht trieb und es aschfahl werden ließ.

Er konnte spüren, wie die Gefäße in den oberen Hautschichten sich zusammenzogen und das Blut ins Körperinnere pressten. Der Verdauungstrakt kontrahierte, in seinem Magen verdichtete sich das Frühstück zu einem schwarzen Loch.

»Oh, mein Gott …«

Das war alles, was der Sprachapparat des ansonsten nicht besonders gottesfürchtigen Offiziers noch abzusondern in der Lage war. In der nächsten Sekunde brandete die Körpermasse der Zombies gegen sein Fahrzeug, das sich ziemlich in der Mitte der Kolonne befand. Wie eine Flutwelle umspülte die Menge den LKW und brachte ihn gefährlich ins Wanken. Von überall her war Dauerfeuer zu hören, aber auch bestialische Schreie von Kameraden, die Opfer der Bestien wurden.

Durch die Scheiben konnte Klingner die entstellten, teilweise zerfetzten Grimassen der Zombies deutlich erkennen, zermatschte Gesichter hinterließen schlierige Spuren auf dem Glas, wenn sie davon abglitten. Der Fahrer gab Gas, er trat das Pedal voll durch, doch das Fahrzeug kam nicht mehr von der Stelle. Der Truck hatte etliche dutzend Zombies überrollt und rutschte nun mit hochtouriger Maschine und durchdrehenden Reifen auf einem undefinierbaren Brei aus Knochen, Fleisch und stinkenden Körpersäften herum. Das Heck rutschte nach links und rechts weg, der LKW bewegte sich wie eine fette, hawaiianische Hula-Tänzerin hin und her.

Klingner griff an seinen Gürtel, um die Waffe zu ziehen, doch seine Pistole verkantete sich in der Enge des Sitzes. Er wusste, dass er nicht genug Zombies erschießen konnte, um zu überleben, deshalb wollte er die Waffe gegen sich selbst richten. Kopfschuss, um dem zu entgehen, was hier unweigerlich auf ihn zu kam. Doch es war zu spät. Die Frontscheibe barst und unzählige Arme reckten sich in die Kabine. Die drei Insassen wehrten sich mit Händen und Füßen, aber es gab kein Entkommen.

Klingner spürte, wie es ihn aus dem Sitz riss, seine Füße verhedderten sich im Gurt. Der Zug der Meute war jedoch so stark, dass seine Fußgelenke mit lautem Krachen zersplitterten, und lose an den Sehnen baumelten.

Brachialer Schmerz schoss in seinen Nervenbahnen empor, nur, um sogleich von noch weit schlimmeren Schmerzwellen überlappt zu werden, als sich zahlreiche Zähne an vielen Stellen in Kopf, Schultern und Oberkörper schnitten, um ihm das Fleisch von den Knochen zu reißen.

Wie in einer extremen Zeitlupenaufnahme zogen die Ereignisse der wenigen Sekunden, die er noch lebte, an Klingner vorüber, orchestriert von unzähligen Schmerzsignalen, die seine Nervenstränge zum Klingen brachten.

Er konnte sogar hören, wie seine Muskeln rissen, mit einem Geräusch wie zerreißender Leinenstoff trennte rohe Gewalt Fleisch und Knochen.

Sein Blut spritzte in alle Richtungen, warmer Saft des vergehenden Lebens rann über sein Gesicht.

In einer furchtbaren Schmerzeruption trennte sich die behaarte Haut von seinem Schädel, sie wurde einfach heruntergerissen und verschwand im Schlund irgendeiner Obszönität, die einmal ein Mensch gewesen war.

Zahlreiche zu Klauen mutierte Hände mit zersplitterten Nägeln, teilweise mit bis auf die Knochen abgenagten Fingern, griffen nach ihm und rissen seine Bauchdecke auf, um an die warmen, durchbluteten Innereien zu kommen.

Klingner konnte sehen, wie diese Kreaturen seine Gedärme und das Herz, das bereits aufgehört hatte zu schlagen, aus seiner Leibeshöhle rissen und sich grunzend und kreischend daran labten. Dies sah er aus einer Position, die senkrecht über seinem geschundenen Körper lag. Und dann war da ein Licht …

Jahr Null. 16. Juli, Mittag

Generalmajor Thilo Gärtner rückte seine Uniform zurecht, bevor er den Videobildschirm in seinem Büro aktivierte. Sein oberster Dienstvorgesetzter, der Generalinspekteur, hatte eine Liveschalte angekündigt.

Nachdem die Regierung offenbar tot oder anderweitig handlungsunfähig war, hatte der Generalinspekteur das Kommando über die Streitkräfte übernommen.

Gärtner hatte weisungsgemäß seine Führungsoffiziere um sich versammelt, als das Bild des Vorgesetzten auf dem Schirm erschien.

»Aaaachtung!«

Gärtners Kommando ließ alle Anwesenden Haltung annehmen und grüßen.

»Stehen Sie bequem, meine Herren.«

Das Gesicht des Generalinspekteurs Wieker zeigte tiefe Sorgenfalten. Er trug seine graue Uniformjacke mit den Rangabzeichen eines Generals des Heeres und seine silbergrauen Haare im Kurzschnitt glänzten im künstlichen Licht der Neonlampen im Kommandobunker. Er kam ohne Umschweife zur Sache. »Generalmajor Gärtner, wie es aussieht, sind alle Kommandostrukturen der Streitkräfte gefallen – beziehungsweise zerschlagen. Wir können die Sicherheit des Volkes nicht mehr gewährleisten. Es ist nur eine Frage von Minuten oder Stunden, bis unser Kommandostand hier überrannt wird. Ihre Einrichtung ist die letzte Bastion.«

Und tatsächlich konnte man im Hintergrund Schreie, Schüsse und undefinierbaren Lärm hören. Sie waren dort also schon im Gebäude. Wieker blickte sich kurz gehetzt um und fuhr dann fort:

»Es ergeht daher von mir folgender letzter Befehl an Sie: Sie übernehmen ab sofort das Kommando über die Streitkräfte des Heeres, der Marine und der Luftwaffe. Ich statte Sie hier vor Zeugen mit den Befugnissen des Generalinspekteurs der Bundeswehr aus.

Halten Sie um jeden Preis die Feste Rungholt, und nehmen Sie so viele gesunde Menschen auf, wie Ihnen möglich ist.

Ihre Anlage ist ab sofort als Schutzzone NORD geführt, wir verlegen alle noch mobilen Einheiten zu Ihnen raus. Sie sind von nun an auf sich gestellt. Viel Glück, Generalmajor.«

Er salutierte, ebenso Gärtner und seine Offiziere. Der Generalinspekteur nahm seine Dienstwaffe, lud durch, entsicherte und setzte sie an sein Kinn. Einen Moment später war er tot und sein Gehirn über die Wand hinter ihm verspritzt.

Dann verschwand das Bild. Stille herrschte im Raum.

Gärtner drehte sich langsam um und sah seine Führungsoffiziere an. Generalleutnant Harders von der Heeresgruppe West setzte zu sprechen an, doch Gärtner schnitt ihm das Wort ab.

»Der erste, der mir zur Beförderung gratuliert, wird erschossen. Mein Ernst.«

Harders schluckte, was immer er sagen wollte, herunter.

»Weisen Sie Ihre Stäbe an, nach restlichen Truppen zu suchen, funken Sie auf allen Kanälen und beordern Sie alle Einheiten hierher. An den Zugangspunkten werden strikte Kontrollen durchgeführt. Wer infiziert ist, wird sofort erschossen, ohne Ausnahme. Exekution durch Kopfschuss. Räumkommandos durchkämmen die Insel nach Überlebenden und Infizierten. Da auch Tiere betroffen sein können, sind alle Tiere zu eliminieren. Unsere Festung muss Zed Null Status erlangen, damit wir überleben können. Wegtreten.«

Nachdem Gärtner die Offiziersversammlung beendet hatte, ging er zu seinem Schreibtisch und aktivierte die Sprechanlage, die er für die gesamte Einrichtung freischaltete.

Er räusperte sich und drückte auf den Sprechknopf.

»Achtung. An alle. Hier spricht der Kommandant. Soeben wurde mir vom Generalinspekteur der Bundeswehr als Oberbefehlshaber mitgeteilt, dass unsere militärischen Verbände der Bedrohung durch die Untoten nicht gewachsen sind. Deutschland ist verloren.

Mir wurde das Kommando über unsere verbliebenen Streitkräfte übergeben, und die Festung darf als letzter Rückzugspunkt betrachtet werden. Mit dem letzten Befehl hat das Oberkommando uns angewiesen, gesunde Flüchtlinge aufzunehmen, sowie versprengte Einheiten unserer Streitkräfte zusammenzuführen.

Alle Stationen bereiten sich darauf vor. Ende der Durchsage.«

Er schaltete die Anlage aus und setzte sich. Das war ein Hammer. Deutschland war untergegangen, und das binnen achtundvierzig Stunden. Verdammt, in Zeiten des Kalten Krieges hätte die Republik wenigstens drei Tage gegen die Truppen des Warschauer Paktes bestehen sollen, doch dieser Feind war übermächtig. Er verfügte über keinerlei Waffen, aber über achtzig Millionen Fußsoldaten. Und da dieser Effekt nicht auf Deutschland beschränkt bleiben würde, wären es dann bald fast sieben Milliarden Soldaten.

Gärtner stand auf, ging zur Hausbar, die in einen seiner Aktenschränke integriert war, und goss sich einen ordentlich Schluck Single Malt in ein schweres Kristallglas. Dann nahm er sich eine der dunklen, kubanischen Zigarren, die er in einem Humidor verwahrte, schnitt sie an und entzündete sie. Der würzige, torfige Qualm prickelte auf seiner Zunge, und der erste Schluck Whisky, den er langsam genoss, rundete das Geschmackserlebnis ab. Er setzte sich an den Schreibtisch und lehnte sich zurück.

Die Festung Rungholt, die er kommandierte, lag in den felsigen Eingeweiden der Insel Helgoland, sie war nur einem sehr engen Personenkreis bekannt und bestens bewacht.

In Regelzeiten arbeitete hier eine eingeschworene Rumpfbesatzung von etwa fünfhundert Soldaten, dazu kamen Techniker, Wissenschaftler und Servicepersonal. Zur Zeit waren hier gut eintausend Personen untergebracht, bis zu fünftausend Personen konnten hier bequem arbeiten und leben. Die Meldungen hatten ergeben, dass auf Befehl des Generalinspekteurs zur Zeit in etwa zweitausend Personen, Militärangehörige, VIPs und Wissenschaftler hierher auf dem Weg waren, zu Wasser und in der Luft. U 34 war auf dem Weg hierher, ebenso zwei Fregatten sowie etliche Schnell- und Minenjagdboote und Tender, dazu Hilfsschiffe und zivile Wasserfahrzeuge. Die neu errichtete Landebahn zwischen den beiden Inseln bot den Transall-Maschinen der Luftwaffe sowie allen Helikoptern Raum für Start und Landung. Es war wichtig, im Hafengebiet eine Quarantänezone einzurichten, um den Flüchtlingsstrom anständig selektieren zu können. Wenn das los ging, würde es ziemlich unruhig werden auf der Insel, soviel war Gärtner klar, aber anders ging es nicht.

Der Kommandant ordnete an, an der schmalsten Stelle der Hauptinsel, im Verlauf der Straße Am Kringel zwischen Wassersturzbecken und Hafenstraße eine Mauer zu errichten. Damit würde das gesamte Hafenbecken mit den unteren Gemeindeteilen als Durchgangslager genutzt werden können.

In der etwas höher gelegenen Paracelsus-Klinik wollte Gärtner das Testzentrum einrichten, die Bluttests dauerten in der Regel nur eine gute Stunde. Auf der Hafenstraße und dem sogenannten Invasorenpfad sollte ein vollständig vergitterter Tunnel errichtet werden, an dessen Ende die gesunden Menschen ins Oberdorf gelangten, die Infizierten ausgesondert und nach nochmaliger Überprüfung durch die Ärzte erschossen würden. Gärtner war nicht wohl dabei, zu sehr erinnerte ihn diese Selektion an grausame Bilder aus Auschwitz und anderen Lagern. Aber sein Befehl war eindeutig. Es galt, die Gesunden zu schützen. Um jeden Preis.

Später dann, wenn der Zustrom weniger würde, sollte lediglich die Außenmole als Zugang genutzt werden, um das Unterdorf wieder auf Status Zed Null zu bringen und vollumfänglich nutzen zu können. Alles in allem konnte die Insel nebst Festung insgesamt zehntausend Personen aufnehmen, vorausgesetzt, die Versorgungslage ließ das zu.

Dazu kämen noch Kontingente auf Schiffen mit annähernder Selbstversorgung, denn im Hafengebiet konnte man durchaus eine schwimmende Stadt zusammenlegen. Einzig für das Militär vorbehalten blieb der Bereich Helgoland Buhne und die unterirdischen Bereiche, die zudem zum Teil den VIPs und Wissenschaftlern offen standen. Aber eine solch große Anzahl an Flüchtlingen konnte nur für sehr begrenzte Zeit mit den Ressourcen der Basis versorgt werden.

Aus diesem Grunde wurden frühzeitig Planungsstäbe für die Requirierung von Vorräten, Brennstoffen und Versorgungsgütern gebildet. Auch die Stationierung einer eigenen Fischereiflotte erwog der Kommandant.

Während Generalmajor Gärtner nachdenklich seine Zigarre rauchte und über mögliche Zukunftsszenarien sinnierte, wurde der gesamte Führungsstab der Bundeswehr auf dem Festland von marodierenden Zombiehorden ausgelöscht beziehungsweise in mordgierige Bestien verwandelt.

Jahr Null. 16. Juli, Nachmittag

»Sie kommen!«

Entgegen der eigentlich unzweideutigen Order quakte Elfie, die an der Südspitze des Refugiums in ihrem eigenen Garten Wache schob, los wie von der Tarantel gestochen.

Aus ihrem Funkgerät kam die Ermahnung Eckhardts, sich an die Befehle zu halten, und sie besann sich eines Besseren.

Hektisch hantierte sie mit dem Apparat, versuchte, ihn in Gang zu bringen, doch Alv und Eckhardt waren schon bei ihr.

Letzterer bemerkte lapidar, man müsse wohl noch etwas an den Verfahrensvorschriften arbeiten, was Elfie angesichts ihrer furchtsamen Erregung zusätzlich erröten ließ.

Alv blickte durch das Fernglas und machte einen Trupp von vielleicht zwanzig Individuen aus, die sich im gemächlich zappelnden Fortbewegungsstil der lahmen Zombies voranschoben.

Ohne erkennbares Ziel torkelten und taumelten sie über den Bahnübergang am Dorfeingang Richtung Unterdorf. Eckhardt lud die Sturmgewehre durch, doch Alv hielt ihn zunächst zurück.

»Lass mich und die Jungs mal mit der Armbrust ran. Wenn es heiß wird, können wir immer noch feuern. Ich schlage vor, du gehst mit zwei, drei Leuten hier auf der Südostflanke in Stellung, wir gehen auf die Holzpalisade. Die anderen gehen verschärft Wache auf dem Wall und besonders an den Zäunen hinten. Ich will keine Überraschung erleben.«

Eckhardt nickte.

»Okay, ein bisschen Übungsschießen mit der Armbrust tut den Jungs gut, schätze ich mal. Sie müssen sich auch erst mal dran gewöhnen, Zombies umzunieten. Für alle Fälle bleiben Holger, Gertrud, Wolfgang und ich hier vorn, Gernot und Anita gehen nach hinten, und die Nachbarn setzen wir als Springer ein.«

Alv ging mit Thorsten, Benny und Aaron zum Haupthaus und holte die Armbruste. Sie hatten zwei Varianten, nämlich Bolzenschuss- und Kugelschnäpperarmbrust.

Die Bolzenschussgeräte waren klassische Exkalibur-Armbruste Model Exomax mit Spannhilfe und einer Zugkraft von über einhundert Kilogramm, sie verschossen sowohl Pfeile als auch spezielle Metallbolzen.

Dazu gab es etwas kleinere Kugelschnäpperarmbrust, die mit sechzig Metern pro Sekunde zehn Millimeter Stahlkugeln verschossen, genug Kraft also, um einen Schädel zu durchbrechen.

Alv verteilte die Waffen an seine Söhne und den Schwiegersohn, und sie bezogen ihre Stellung auf dem Palisadenzaun, der unter den Kirschbäumen und Seidenkiefern von Alvs Grundstück verlief. Sie waren bestens getarnt und lugten durch die Schießscharten.

Sandy war mit den Kleinen zu Alv gekommen, der am nördlichen Ende des Palisadenzaunes stand. Er sah seine beiden Jüngsten an und meinte ernst:

»Hört zu, Jungs. Da oben vom Bahnhof kommen jetzt einige Zombies. Wenn sie tatsächlich herkommen, werden wir sie töten. Das wird kein sehr schöner Anblick sein, aber ich will, dass ihr euch das anseht. Wie ich gestern schon gesagt habe: Für uns alle ist es eine Frage des Überlebens, ob wir es hinkriegen, die Zombies auszuschalten, schaffen wir das nicht, töten sie uns.«

Der elfjährige Arnie antwortete ihm ruhiger, als er es erwartet hätte:

»Mama hat uns das auch erzählt, Papa. Für mich ist das okay, denn das sind Monster. Ich will nicht von den Monstern gefressen werden, Papa. Dann sollen die lieber sterben.«

Angus, der von wesentlich kräftigerer Statur war als sein Bruder, nickte und klopfte seinem Vater auf die Schulter.

»Mach sie fertig, Paps!«

Die Jungs taten Alv wirklich leid. Ihre Kindheit hatte vor wenigen Tagen abrupt geendet. Jetzt waren sie gezwungen, erwachsen zu sein. Er nickte ihnen zu und sah Sandy an, die ihm ebenfalls zunickte.

»Wenn es zu hart wird, geh mit ihnen runter, okay?«

»Ja, mach ich.«

Alv drehte sich zur Straße und spannte seine Armbrust. Für die Kurzdistanz hatte er die zwölfmal zweihundert Millimeter Metallbolzen gewählt, die eine unglaublich hohe Durchschlagskraft entwickelten und von denen in der Anlage tausende in Kisten bereit lagen.

Er aktivierte sein Zielfernrohr mit Laserführung und wartete. Inzwischen hatten die Zombies das alte Kriegerdenkmal passiert und erreichten die Südostspitze des Walls. Sie wurden unruhig, schnüffelten in alle Richtungen, ihre Geräuschkulisse wurde intensiver, wie bei einer Schimpansenhorde, wenn Gefahr drohte.

Ihr Beuteinstinkt sagte ihnen, dass es hier irgendwo etwas zu Fressen gab, doch sie konnten nichts sehen, das verwirrte sie.

An der Spitze des Walls wanderte eine Handvoll von ihnen nach Nordwesten ab, in Richtung des Wasserwerks, dort würden sie nach etwa zwanzig Metern durch Zaun und Bewuchs sehen können.

In diesem Bereich stand keine Strohwand, aber dort hielt sich auch niemand auf.

Die Hauptgruppe wanderte auf der Hauptstraße weiter dorfabwärts, vorbei am großen Tor, das sie mangels Geräuschentwicklung zunächst nicht beachteten.

Einer der ersten Zombies, die an den Palisadenzaun kamen, schrie heiser auf und reckte seinen Kopf hoch, schnüffelnd.

Eine Sekunde später drang aus kurzer Distanz eine Stahlkugel in seinen Schädel ein und ließ den Knochen bersten. Wie ein gefällter Baum fiel der Zombie um, seine Artgenossen interessierten sich nicht für ihn.

Weitere Exemplare fielen rechts und links neben ihm, nun hatte die Meute begriffen, dass da etwas war, Fleisch, Nahrung. Sie gerieten in Ekstase und schüttelten ihre fahlen, von tiefen Wunden durchzogenen Grimassen hin und her.

Speichel oder irgendein anderes ähnliches Sekret troff aus ihren Kopföffnungen, die einmal Münder gewesen waren.

Lippenlose Mäuler, aus denen das Fleisch heraus faulte und deren Zähne bis zum Kiefer offen lagen, fauchten und knirschten mit den braunen Zahnreihen, die Wesen schrien und kollerten, gurgelten und knurrten, um ihrer Gier nach Menschenfleisch irgendeine kranke Form von Ausdruck zu verleihen.

Das Viererteam mit den Armbrusten hatte sich eingespielt, stets schossen zwei Mann, während die anderen spannten und nachluden.

Salve um Salve schleuderten sie den Untoten entgegen, Körpertreffer waren völlig wirkungslos, aber die Kopfschüsse waren ebenso gut wie die Wirkung bei den Sturmgewehren.

Mit einem Mal ratterten am Südende die Kalaschnikows los. Alv nahm das Funkgerät vom Gürtel und fragte bei Eckhardt nach.

»Da kommen noch mehr, so an die fünfzig. Von Osten, aus dem Feldweg da!«, kam es rauschend aus dem Lautsprecher. Alv bestätigte und beorderte Rhea und Feline mit auf die Palisade, um ihre Brüder zu schützen. Auch die Mädchen kamen mit der Armbrust gut klar, so dass Alv sich eine AK47 nehmen konnte, um Eckhardt fünfzig Meter weiter auf dem Wall zu unterstützen. Hier waren die Zombies alles andere als lahm, es waren Jäger-Zombies, die hier angriffen. Sie rochen Fleisch. Köstliches, nahrhaftes Fleisch und waren völlig außer Rand und Band. Mit kurzen Feuerstößen schickten die Verteidiger des Walls sie endgültig in die ewigen Jagdgründe.

Einige der Zombies rüttelten am Tor und zerrten am Maschendraht.

Unten standen Gernot und Anita mit den langen Stangen und trieben das spitze Eisen durch die Schädelplatten der Zombies. Diese brachen gleich am Tor zusammen und blieben dort liegen.

Mit einem Mal tauchte Angus dort auf. Der Dreizehnjährige ging zu Anita, nahm ihr ohne ein Wort den Metallspieß aus der Hand und ging zum Tor hinüber. Sandy stand auf der Palisade und hielt sich den Mund zu, über ihre Wangen kullerten Tränen, Arnie drückte sich an seine Mutter.

Gernot sah zum Wall hoch zu Alv und wollte Angus in den Weg treten, aber Alv schüttelte den Kopf. Der letzte Zombie aus der Angreifertruppe drückte sich an den Zaun und wollte in das Innere der Anlage gelangen. Angus hob den Spieß, fasste an das T-förmige Ende und sah den Zombie an.

Dieser geiferte und schleuderte dem Jungen seinen fauligen Atem entgegen. Er fauchte und wedelte mit den Armen durch den Draht. Angus stieß, ohne eine weitere Regung zu zeigen, plötzlich den Spieß nach vorn und rammte ihn mit aller Kraft in den Kopf des Untoten. Dessen Geräusche erstarben abrupt und er brach draußen zusammen.

Angus zog den schmierigen Spieß aus dem Kopf des nun endgültig Toten und steckte ihn in die Grasnarbe. Alv, der inzwischen vom Wall heruntergekommen war, ging zu seinem Sohn und nahm ihn in die Arme.

Angus löste sich aus der Umarmung und sah ihn an, Alv nickte wortlos. Dann ging der Junge zu seiner Mutter und zu seinem Bruder zurück. Alv stand auf und sah in die Runde.

»Okay, Leute. Die Feuerprobe ist bestanden. Ihr habt super gekämpft. Nun lasst uns zusehen, dass wir draußen die Sauerei wegräumen. Gernot, hol bitte den Trecker. Eckhardt, hilfst du mir beim Tor?«

Gernot verschwand hinter dem Holzhaus, und kurz darauf hörte man den anlaufenden Motor des alten Hofschleppers. Eckhardt kam zu Alv herunter, und sie öffneten die Flügel des Tores nach innen. Eckhardt meinte:

»Ich denke, das Tor müssen wir stabiler machen. Wenn da hundert oder mehr Zombies stehen, reicht der Draht nicht.«

»Wir haben hinten noch ein paar Meter Leitplanke liegen, die können wir vorschweißen. Dann hält das Tor.«

»Gute Idee. Vielleicht kann Holger das machen.«

Alle zogen ihre kunststoffbeschichteten Arbeitshandschuhe an und Gernot fuhr den Schlepper nach draußen. Dort schichteten sie die Kadaver der Zombies auf die Frontladergabel, pro Fuhre bekamen sie immerhin um die zehn Leichen mit. Alv stellte sich hinten auf die Ackerschiene und wies Gernot an, zum Bahnhof hochzufahren.

Die Bezeichnung Bahnhof war im Grunde irreführend. Eigentlich handelte es sich um einen primitiven Bahnsteig entlang der eingleisigen Ost-West-Verbindung der Regionalbahn, das Ganze hatte eher Ähnlichkeit mit einer Bushaltestelle.

Alv dirigierte Gernot nach links auf den Schienenstrang, und der Schlepper holperte über das Gleisbett bis zum Ende des Bahnsteigs, der etwa einen Meter hoch war. Auf der linken Seite der Gleise begann ein Knick aus armdicken Haselnusstrieben. Alv ließ Gernot seine faulige Fracht abkippen und meinte:

»So werden wir alle Zombies abladen, die bei uns getötet werden. Mach den Haufen so hoch wie es geht und dann kommst du langsam immer weiter zurück. Auf der anderen Seite fängst du da hinten an, am Ende der alten Viehverladerampe.

So bauen wir uns aus den Kadavern hier eine Mauer und in der Mitte am Bahnübergang setzen wir 'ne Barrikade, die wir aus zwei Traktoren bauen. So können hier wenigstens keine Zombiehorden wild herunter stürmen, sie müssen langsamer kommen. Das gibt uns Zeit, zu reagieren.«

Gernot nickte.

»Dasselbe machen wir an dem Feldweg, wo die anderen herkamen. Nach ungefähr zweihundert Metern hat der Weg eine Kurve, da sind drei Knicks, die aufeinander treffen. Da machst du auch einen Haufen.«

»Na ja, dafür brauchen wir aber ganz schön viele Kadaver …«, meinte Gernot nachdenklich.

»Die wirst du bekommen, ganz sicher. Sieh du man zu, dass du mit dem Wegschaffen hinterher kommst. Und nun lass uns runter fahren.«

Gernot startete den Schlepper wieder, und die beiden tuckerten zum Refugium hinunter, wo die nächste Fuhre totes Fleisch schon bereitlag.

Aufräumen war ein mieser Job, aber die Kadaver mussten weg. Zum einen, um kein Ungeziefer anzulocken, zum anderen, um den Gestank der verwesenden Zombies nicht direkt vor der Haustür zu haben.

Jetzt im Sommer mit annähernd dreißig Grad tagsüber wäre das wohl nicht auszuhalten. Außerdem wollte Alv die Kadaver möglichst weit weg vom Wasserwerk haben, das ja immerhin das Grundwasser hochpumpte, er wollte da lieber kein Risiko eingehen. Und die ganzen Leichen würden auch einen hübschen, glitschigen Verteidigungswall abgeben, dachte sich Alv.

Eine knappe Stunde später war die Straße geräumt, auch die Zombies, die an der Westgrenze des Refugiums ihr Glück versucht hatten, waren eliminiert und deportiert worden. Zu Alvs großer Freude war Holger sogar schon darangegangen, die Verstärkungen für das Tor anzubringen, Trennjäger und Schweißgerät, das waren Werkzeuge, mit denen der alte Soldat hervorragend umgehen konnte. Eckhardt unterwies bereits wieder die Wachen in der Kunst des lautlosen Alarms, der kleine Fehlstart von vorhin ließ ihm keine Ruhe. Als Alv in seinem Haus in die Küche kam, reicht Sandy ihm einen Becher Kaffee. Er nahm ihn, setzte sich auf die Küchenbank und fragte:

»Wo sind die Jungs?«

»Draußen, im Gemüsegarten. Sie jäten mit Feline, Rhea und Eliot Unkraut.«

»Ist Angus okay?«

»Ja, ich denke schon.«

»Bist du okay?«

»Weißt du …«, sie setzte sich zu ihm auf die Bank, »es war furchtbar, mit ansehen zu müssen, wie Angus einen Menschen tötet.«

»Das war kein Mensch, Sandy.«

»Ja, ich weiß. Aber trotzdem. Es ist … so verdammt schwer. Weißt du, vorgestern war ich noch eine flippige, nette alleinerziehende Mutter, deren größtes Problem der Elternsprechtag war. Und jetzt bin ich in einem Kriegslager. Das macht mich fertig, ehrlich gesagt. Ich glaube, die Jungs stecken das besser weg als ich.«

»Na ja, aber immerhin sind wir am Leben, oder nicht? Ich wünsche mir nicht, dass unsere Kinder so da draußen rumlaufen wie die Gestalten, die hier heute am Wall standen.«

Sie sah ihn an.

»Natürlich, du hast Recht. Und ich weiß jetzt, wo ich all das hier sehe, was für Entbehrungen du all die Jahre auf dich genommen hast, um das hier zu schaffen. Damals, als wir uns trennten, hab ich wirklich gedacht, du spinnst, und das tut mir leid. Ehrlich.«

Er sah nachdenklich in seinen Kaffeebecher.

»Ach, weißt du, ich habe dir das nicht übel genommen. Immerhin hat Gott ja mit mir geredet, nicht mit dir. Ich hätte wohl nie erwarten dürfen, dass du das alles verstehst. Ich habe es ja anfänglich selbst nicht verstanden. Ich hab dir nie einen Vorwurf daraus gemacht, dass du in die Stadt zurückgegangen bist.«

»Aber …«, sie zögerte etwas, »… es kann nicht wieder so sein, wie es war, Alv. Zuviel ist seitdem passiert …«

»Da mach dir mal keine Gedanken«, unterbrach er sie, »du bist die Mutter meiner Kinder. Und die Kleinen brauchen ihre Mutter hier. Das allein zählt. Alles andere ist nicht wichtig.«

»Danke, Alv.«

»Schon okay.«

Er hatte seinen Kaffee ausgetrunken und stellte die Tasse weg.

»Ich geh mal schauen, was die Jungs so treiben. Nicht, dass die uns die Salatsetzlinge rausreißen.«

Er stand auf und verließ die Küche. Sandy nahm sich eine Zigarette und setzte sich draußen auf die Stufen. Während sie rauchte, liefen Tränen über ihre Wangen.