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Als sich die Tür hin­ter mir ge­schlos­sen hat­te, blieb ich auf der obers­ten der drei Stu­fen ste­hen, die nach un­ten führ­ten, um zu über­le­gen, was ich als nächs­tes tun konn­te. Es war mir schon so oft ge­lun­gen, ir­gend­wel­che end­gül­ti­gen Ent­schei­dun­gen zu um­ge­hen oder zu un­ter­lau­fen, daß ich nicht be­reit war, die Flin­te ins Korn zu wer­fen. Ir­gend­wo muß­te es ein Hin­ter­tür­chen ge­ben, einen Durch­schlupf, einen Spalt, einen Riß in der Wand, wo ich hin­durch konn­te. Ich schau­te wie­der zum Of­fi­zier­spark­platz hin­über, wo die Luft­wa­gen dicht ne­ben­ein­an­der stan­den.

Und dann wur­de mir schlag­ar­tig al­les klar. All die klei­nen Bruch­teil­chen füg­ten sich plötz­lich zu ei­nem kom­plet­ten Bild zu­sam­men, und ich ver­setz­te mir im Geis­te ei­ne Ohr­fei­ge, daß ich die­se Mög­lich­keit nicht frü­her er­kannt hat­te.

Da war ers­tens die­se auf merk­wür­di­ge Art ver­trau­te Ge­stalt des Ad­ju­tan­ten, der ge­kom­men war, um den Strah­len­den von dem Emp­fang für Do­nal Grae­me ab­zu­ru­fen. Zwei­tens der has­ti­ge Auf­bruch des Strah­len­den nach dem Auf­tau­chen sei­nes Ad­ju­tan­ten. Drit­tens die un­ge­wöhn­li­che Lee­re im Be­reich des Haupt­quar­tiers trotz der vie­len Wa­gen, die auf dem Park­platz stan­den, die lee­ren Bü­ros in­ner­halb des Ge­bäu­des, und vier­tens die Wei­ge­rung des Wach­ha­ben­den, den Of­fi­zier vom Dienst her­bei­zu­ru­fen.

Der Strah­len­de selbst oder sei­ne An­we­sen­heit im Kampf­ge­biet muß­te wohl ir­gend­ei­nen Spe­zi­al­plan mi­li­tä­ri­scher Ak­tio­nen sei­tens der Quä­ker-Söld­ner aus­ge­löst ha­ben, viel­leicht ei­ne Art Über­ra­schungs­an­griff, der die Streit­kräf­te der Cas­si­da­ner auf­rei­ben und den Krieg schlag­ar­tig be­en­den könn­te – ne­ben­bei ei­ne aus­ge­zeich­ne­te Pu­bli­ci­ty für den Äl­tes­ten Strah­len­den, um sei­ne Söld­ner­kom­man­dos trotz al­ler Ab­nei­gung, die ih­nen auf den an­de­ren Wel­ten we­gen ih­rer fa­na­ti­schen Ein­stel­lung ent­ge­gen­ge­bracht wur­de, meist­bie­tend zu ver­kau­fen.

Ich hat­te mir sa­gen las­sen, daß man nicht al­le Quä­ker über einen Kamm sche­ren soll­te. Doch nach­dem ich die­sen Pfört­ner er­lebt hat­te, wur­de mir klar, daß ein paar Ty­pen die­ser Art durch­aus Grund bo­ten, die­se schwarz­ge­klei­de­ten Sol­da­ten in Bausch und Bo­gen ab­zu­leh­nen.

Ich hät­te um mei­nen Kopf ge­wet­tet, daß sich der Strah­len­de jetzt mit sei­nem Stab im Haus be­fand und ir­gend­ei­ne mi­li­tä­ri­sche Ak­ti­on vor­be­rei­te­te, um die Cas­si­da­ner durch einen Über­ra­schungs­an­griff zu über­rum­peln. Dann muß­te aber auch sein Ad­ju­tant bei ihm sein, der ihn vom Emp­fang für Do­nal Grae­me ab­be­ru­fen hat­te – und wenn mich mein ge­schul­tes Ge­dächt­nis nicht täusch­te, hat­te ich zu­min­dest ei­ne Ah­nung, um wen es sich bei die­sem Ad­ju­tan­ten han­deln konn­te.

Ich ging rasch zu mei­nem Wa­gen zu­rück, stieg ein und stell­te das Fern­sprech­ge­rät an. Die Zen­tra­le in Con­t­re­va­le mel­de­te sich prompt auf dem Bild­schirm in Ge­stalt ei­nes hüb­schen, blon­den jun­gen Mäd­chens.

Ich gab ihr die Num­mer mei­nes Wa­gens, bei dem es sich na­tür­lich um einen Leih­wa­gen han­del­te.

„Ich möch­te einen ge­wis­sen Ja­me­thon Black spre­chen“, sag­te ich, „einen Of­fi­zier der Quä­ker-Ar­mee. Ich neh­me an, daß er sich ge­ra­de im Haupt­quar­tier bei Con­t­re­va­le be­fin­det. Sei­nen ge­nau­en Rang ken­ne ich nicht – zu­min­dest Grup­pen­füh­rer, wenn nicht Leut­nant. Der Fall ist drin­gend, ei­ne Art Not­fall. Wenn Sie ihn er­rei­chen, wür­den Sie ihn dann bit­te mit die­sem Wa­gen ver­bin­den?“

„Ja­wohl, Sir“, sag­te das Mäd­chen in der Zen­tra­le. „Bit­te blei­ben Sie am Ap­pa­rat. Ich mel­de mich so­fort wie­der.“ Der Bild­schirm ver­blaß­te, und die Stim­me wur­de durch einen lei­sen Summ­ton er­setzt, ein Zei­chen da­für, daß die Ver­bin­dung auf­recht­er­hal­ten blieb.

Ich lehn­te mich in die Pols­ter zu­rück und war­te­te. Kei­ne vier­zig Se­kun­den spä­ter er­schi­en das Ge­sicht wie­der.

„Ich ha­be den Teil­neh­mer er­reicht, und Sie wer­den so­fort Ih­ren An­schluß ha­ben. Blei­ben Sie bit­te dran.“

„Si­cher“, er­wi­der­te ich.

„Dan­ke, Sir.“ Das Ge­sicht ver­schwand. Der Ap­pa­rat summ­te noch ein paar Se­kun­den. Dann leuch­te­te der Bild­schirm wie­der auf. Dies­mal war es das Ge­sicht von Ja­me­thon.

„Hal­lo, Grup­pen­füh­rer Black?“ sag­te ich. „Viel­leicht kön­nen Sie sich nicht mehr an mich er­in­nern. Ich bin der Jour­na­list Tam Olyn. Sie ha­ben mei­ne Schwes­ter Ei­leen Olyn ge­kannt.“

Sein Blick hat­te mir be­reits ver­ra­ten, daß er sich sehr wohl an mich er­in­ner­te. Of­fen­sicht­lich hat­te ich mich nicht so sehr ver­än­dert, wie ich an­nahm, oder er ver­füg­te über ein aus­ge­zeich­ne­tes Ge­dächt­nis. Er hat­te sich zwar eben­falls ver­än­dert, aber nicht so sehr, daß man ihn nicht wie­der­er­ken­nen konn­te. Er trug im­mer noch die glei­chen Epau­let­ten auf sei­ner Uni­form, und sei­ne Zü­ge wa­ren mar­kan­ter ge­wor­den. Aber es war im­mer noch das glei­che stil­le, ru­hi­ge Ge­sicht, das ich von je­nem Tag in der Bi­blio­thek mei­nes On­kels kann­te. Nur – auch er war na­tür­lich äl­ter ge­wor­den.

Ich weiß noch, wie ich sei­ner­zeit über ihn ge­dacht hat­te. Ich hielt ihn für einen grü­nen Jun­gen. Was aus ihm aber auch im­mer ge­wor­den war – er war kein Kind mehr und wür­de es auch nie wie­der sein.

„Was kann ich für Sie tun, Mr. Olyn?“ frag­te er. Sei­ne Stim­me hör­te sich gleich­mä­ßig und ru­hig an, al­ler­dings et­was tiefer, als ich sie in Er­in­ne­rung hat­te. „Mir wur­de ge­sagt, daß es sich um einen Not­fall han­delt.“

„In ge­wis­ser Wei­se ja“, ver­setz­te ich und leg­te dann ei­ne Kunst­pau­se ein. „Ich möch­te Sie kei­nes­wegs bei ir­gend­ei­ner wich­ti­gen Be­schäf­ti­gung stö­ren. Aber ich be­fin­de mich hier auf dem Ge­län­de des Haupt­quar­tiers auf dem Of­fi­zier­spark­platz di­rekt vor dem Ge­bäu­de. Wenn Sie nicht zu weit weg sind, wür­de ich es be­grü­ßen, wenn Sie zu mir kom­men und mich einen Mo­ment spre­chen könn­ten.“ Ich zö­ger­te er­neut. „Wenn Sie na­tür­lich im Au­gen­blick un­ab­kömm­lich sind …“

„Ich könn­te Ih­nen ein paar Mi­nu­ten wid­men“, mein­te er. „Sie ste­hen al­so auf dem Park­platz vor dem Haus?“

„Ich sit­ze in ei­nem grü­nen Leih­wa­gen mit Klar­sicht­dach.“

„Mr. Olyn, ich bin gleich bei Ih­nen.“

Der Bild­schirm er­losch.

Ich war­te­te. We­ni­ge Mi­nu­ten spä­ter ging die Tür auf, durch die ich das Ge­bäu­de be­tre­ten hat­te, um nach­her mit dem Wach­ha­ben­den zu spre­chen. Ei­ne dunkle, schlan­ke Ge­stalt hob sich kurz wie ei­ne Sil­hou­et­te von dem hel­len Hin­ter­grund ab und stieg dann die drei Trep­pen zum Park­platz her­un­ter.

Ich öff­ne­te den Wa­gen­schlag und glitt auf den Ne­ben­sitz, so daß er ein­stei­gen und Platz neh­men konn­te.

„Mr. Olyn?“ sag­te er, in­dem er den Kopf in den Wa­gen steck­te.

„Ja, ich bin’s. Set­zen Sie sich zu mir.“

„Dan­ke.“

Er stieg ein und setz­te sich, wo­bei er den Wa­gen­schlag hin­ter sich of­fen ließ. Es war ei­ne laue Früh­lings­nacht, mild für die Jah­res­zeit und für die­sen Brei­ten­grad auf Neu­er­de, und das lei­se Rau­schen der Bäu­me und Grä­ser drang über ihn hin­weg an mein Ohr.

„Was ist das für ein Not­fall?“ frag­te er.

„Ich ha­be einen As­sis­ten­ten und brau­che einen Paß für ihn.“ Ich er­klär­te ihm die Si­tua­ti­on, wo­bei ich al­ler­dings sorg­fäl­tig ver­schwieg, daß Da­ve Ei­leens Mann war.

Als ich ge­en­det hat­te, saß er einen Au­gen­blick schweig­sam da, ei­ne Sil­hou­et­te, die sich von den Lich­tern des Park­plat­zes und vom Kom­man­do­ge­bäu­de ab­hob, wäh­rend ihn der lei­se Nacht­wind um­fä­chel­te.

„Wenn Ihr As­sis­tent kein Be­richt­er­stat­ter ist, Mr. Olyn“, sag­te er schließ­lich mit sei­ner sanf­ten Stim­me, „se­he ich kei­ne Mög­lich­keit, sein Kom­men und Ge­hen zwi­schen und hin­ter un­se­ren Li­ni­en zu recht­fer­ti­gen.“

„Er ist Be­richt­er­stat­ter, zu­min­dest so­weit es die­se Kämp­fe hier be­trifft.“ Ich sag­te es mit Nach­druck. „Ich bin für ihn ver­ant­wort­lich, eben­so wie es die Gil­de für mich ist. Das ist bei je­dem Nach­rich­ten­dienst­mit­ar­bei­ter so. Un­se­re Neu­tra­li­tät zwi­schen den Ster­nen ist ga­ran­tiert, und sie gilt selbst­ver­ständ­lich auch für mei­nen As­sis­ten­ten.“

Er schüt­tel­te lei­se den Kopf in der Dun­kel­heit.

„Es wür­de Ih­nen nicht schwer­fal­len, ihn zu ver­leug­nen, wenn er ein Spi­on wä­re. Sie könn­ten oh­ne wei­te­res be­haup­ten, daß er Ih­nen in Un­kennt­nis der Sach­la­ge un­ter­ge­scho­ben wur­de.“

Ich dreh­te den Kopf, um ihn trotz der Fins­ter­nis ein­ge­hend ins Au­ge zu fas­sen. Das war der Grund, warum ich ihn wäh­rend un­se­rer Un­ter­hal­tung bis an die­sen Punkt her­an­ge­führt hat­te.

„So ein­fach ist das nicht“, mein­te ich. „Er wur­de mir nicht ein­fach un­ter­scho­ben. Im Ge­gen­teil, ich hat­te so man­che Schwie­rig­keit zu über­win­den, um ihn zu be­kom­men. Er ist mein Schwa­ger, der jun­ge Mann, den Ei­leen schließ­lich ge­hei­ra­tet hat. Und in­dem ich ihn als As­sis­ten­ten ein­stel­le, kann ich ihn von der Front fern­hal­ten, wo er al­ler Wahr­schein­lich­keit nach um­kom­men wür­de.“ Ich leg­te ei­ne Pau­se ein, um ihm Ge­le­gen­heit zu ge­ben, das zu ver­dau­en. „Ich ver­su­che, sein Le­ben für Ei­leen zu ret­ten und bit­te Sie, mir bei die­sem Ver­such zu hel­fen.“

Er rühr­te sich nicht, und er ant­wor­te­te auch nicht so­fort. In der Dun­kel­heit konn­te ich kei­ne Ver­än­de­rung sei­ner Zü­ge er­ken­nen. Doch selbst bei Licht ge­se­hen hät­te ich kaum ei­ne Ver­än­de­rung an ihm fest­stel­len kön­nen. Er war das Pro­dukt sei­ner ei­ge­nen spar­ta­ni­schen Kul­tur, und ich hat­te ihm so­eben einen Tief­schlag ver­setzt.

Denn das ist, wie Sie be­reits ge­se­hen ha­ben, mei­ne Art, mit Män­nern um­zu­ge­hen – und mit Frau­en. Tief im In­nern je­des in­tel­li­gen­ten Le­be­we­sens gibt es Din­ge, die zu groß, zu ge­heim oder zu ge­fähr­lich sind, um da­nach zu fra­gen: Glau­be, Lie­be, Haß, Angst oder Schuld­ge­füh­le. Ich muß­te le­dig­lich all die­se Din­ge ent­de­cken und dann mei­ne Ar­gu­men­te für die Ant­wort, die ich hö­ren woll­te, in ei­ner die­ser tie­fen Schich­ten der Psy­che ver­an­kern, da­mit der Be­tref­fen­de auch die­se ver­bor­ge­ne Stel­le in sei­ner See­le auf­su­chen konn­te, um die Rich­tig­keit mei­ner Ar­gu­men­te nach­zu­prü­fen.

In Ja­me­thon Blacks Fall hat­te ich mei­ne An­gel so­wohl in je­nem Be­reich aus­ge­wor­fen, der zur Lie­be zu Ei­leen fä­hig war, als auch in je­nem See­len­be­reich al­ler stol­zen und hoch­mü­ti­gen Men­schen (Stolz und Hoch­mut war aber das Kern­stück der Re­li­gi­on die­ser Quä­ker), der ihn da­zu an­hielt, sei­ne lang­ge­heg­ten Res­sen­ti­ments zu über­win­den, was ei­ne frü­he­re und (so­weit er wuß­te) faire Nie­der­la­ge be­traf.

Wenn er jetzt, nach­dem ich auf mei­ne Art zu ihm ge­spro­chen hat­te, den Paß für Da­ve ver­wei­ger­te, so be­deu­te­te dies, Da­ve be­wußt in den si­che­ren Tod zu schi­cken. Und wer konn­te glau­ben, daß dies sei­nen Idea­len ent­sprach, jetzt, wo ich Ja­me­thon je­ne emo­tio­nel­len Fä­den auf­ge­zeigt hat­te, die zu sei­nem Stolz und zu sei­ner ver­lo­re­nen Lie­be führ­ten?

Ja­me­thon rutsch­te auf sei­nem Sitz hin und her.

„Ge­ben Sie mir den Paß, Mr. Olyn“, sag­te er. „Ich will se­hen, was sich tun läßt.“

Ich gab ihm den Paß, und er ver­ließ mich.

Schon nach we­ni­gen Mi­nu­ten war er zu­rück. Dies­mal stieg er nicht ein, son­dern beug­te sich zur of­fe­nen Tür her­ein und reich­te mir den Paß.

„Sie ha­ben mir nicht ge­sagt“, mein­te er mit sei­ner ru­hi­gen Stim­me, „daß Sie be­reits einen Paß be­an­tragt ha­ben und ab­ge­wie­sen wur­den.“

Ich hielt den Atem an, den Paß in der Hand, und schau­te zu ihm auf.

„Bei wem? Bei dem Mann dort drin­nen?“ sag­te ich. „Das ist doch nur ein Un­ter­of­fi­zier. Sie aber sind nicht nur Of­fi­zier, son­dern auch Ad­ju­tant.“

„Trotz­dem“, sag­te er, „Ihr An­trag wur­de ab­ge­lehnt. Und ich bin nicht in der La­ge, ei­ne Ab­leh­nung rück­gän­gig zu ma­chen. Es tut mir leid. Wir kön­nen für Ih­ren Schwa­ger kei­nen Paß aus­stel­len.“

Erst jetzt merk­te ich, daß der Paß, den er mir zu­rück­ge­ge­ben hat­te, nicht un­ter­schrie­ben war. Ich starr­te auf das Pa­pier, als woll­te ich ver­su­chen, es im Dun­keln zu le­sen und un­be­dingt ei­ne Un­ter­schrift dar­auf ent­de­cken, wo kei­ne vor­han­den war. Dann, schlag­ar­tig, stie­gen Zorn und Wut in mir hoch, de­rer ich nicht mehr Herr wer­den konn­te. Ich hob den Blick vom Pa­pier und schau­te durch den of­fe­nen Wa­gen­schlag zu Ja­me­thon Black auf.

„So wol­len Sie sich al­so aus der Af­fä­re zie­hen!“ sag­te ich. „Das ist der Vor­wand, un­ter dem Sie Ei­leens Mann in den Tod schi­cken! Glau­ben Sie ja nicht, Black, daß ich Sie nicht durch­schaue!“

Da er mit dem Rücken zum Licht stand und sein Ge­sicht in Schat­ten gehüllt war, konn­te ich sein Mie­nen­spiel nicht er­ken­nen. Den­noch konn­te ich ei­ne leich­te Re­ak­ti­on wahr­neh­men, einen Hauch von Trau­rig­keit, der mich streif­te. Und er ant­wor­te­te im ge­wohn­ten ru­hi­gen Ton­fall.

„Sie se­hen nur den Men­schen, Mr. Olyn“, sag­te er, „nicht aber das Ge­fäß des Herrn. Mei­ne Pflicht ruft. Gu­ten Mor­gen.“

Er ließ den Wa­gen­schlag ins Schloß fal­len, wand­te sich ab und ging quer über den Park­platz da­von. Ich saß da und schau­te ihm nach, in­ner­lich ko­chend, so­bald ich über die schein­hei­li­gen Wor­te nach­dach­te, die er mir ent­ge­gen­ge­schleu­dert hat­te und die ich als Ent­schul­di­gung ent­ge­gen­neh­men soll­te. Dann fiel mir aber ein, daß ich noch so man­ches zu er­le­di­gen hat­te. Als sich die Tür des Kom­man­do­ge­bäu­des öff­ne­te, hob sich sei­ne dunkle Ge­stalt für einen Au­gen­blick vom hel­len Hin­ter­grund ab. Dann ver­schwand er und mit ihm das Licht, wäh­rend sich die Tür hin­ter ihm schloß. Ich star­te­te mei­nen Wa­gen, wen­de­te und ver­ließ die mi­li­tä­ri­sche Zo­ne.

Als ich das Tor pas­sier­te, wur­de ge­ra­de die Wa­che ab­ge­löst. Die ab­ge­lös­ten Wach­leu­te aber, ein dunk­ler Hau­fen, im­mer noch be­waff­net, ab­sol­vier­ten ein be­son­de­res Ri­tu­al, das bei die­sen Leu­ten wohl gang und gä­be war.

Sie stimm­ten ein Lied an, als ich an ih­nen vor­bei­fuhr, ein Lied, das sich eher wie Sprech­ge­sang an­hör­te. Ich ach­te­te zwar nicht auf den Text, doch die ers­ten drei Wor­te dran­gen den­noch an mein Ohr. „Frag nicht, Sol­dat …“ lau­te­ten sie, und spä­ter er­fuhr ich, daß es sich um ihr Kampf­lied han­del­te, ein Lied, daß sie stets san­gen, wenn es einen be­son­de­ren An­laß da­für gab, wenn die Stun­de es er­for­der­te.

„Frag nicht, Sol­dat …“ klang es mir im­mer noch im Ohr, wäh­rend ich da­von­fuhr, Da­ves im­mer noch nicht be­stä­tig­ten Paß in der Ta­sche. Und wie­der ein­mal stieg die Wut in mir hoch, und ich schwor mir, daß Da­ve kei­nen Paß brau­chen wür­de. Ich wür­de nicht zu­las­sen, daß er wäh­rend der nächs­ten Ta­ge zwi­schen den Li­ni­en von mei­ner Sei­te wich. In mei­ner Ge­gen­wart aber wür­de er je­nen Schutz und je­ne Si­cher­heit be­kom­men, die er brauch­te.