9. Kapitel

 

 

Wieder waren drei Tage vergangen, in denen sie Alex aus dem Weg gehen konnte. Er hatte zwar versucht, sie zu erreichen, doch hatte sie alle Gesprächsversuche und Einladungskarten abgeblockt. Doch nun hielt sie es nicht länger aus, sie musste mit Alex über die Nacht im Theater sprechen.

Bevor sie dies tat, dachte sie, wie schon die letzten Tage, immer wieder an Elijah Bennett. Sie fand sehr schön, dass sie mit ihm sprechen und lachen konnte. In den letzten drei Tagen hatte sie ihn noch zweimal getroffen – zum Boule-Spielen. Sie hatte beide Male gewonnen und herzlich lachen müssen, über den betrübten Elijah. Gespräche über ihre Vergangenheit ließen sie vorerst bleiben.

 

Lily setzte sich an den kleinen Schreibtisch in ihrer Kabine. Sie nahm ein Blatt Papier, auf dem das Logo der Lady Charlotte aufgedruckt war, zur Hand und einen Kugelschreiber. Sie schrieb eine kurze Nachricht an Alex.

 

Alex,

bitte entschuldige, dass ich deine Versuche, mich in den letzten Tagen zu erreichen, alle unbeantwortet gelassen habe. Ich brauchte Zeit, die beiden Nächte mit dir zu verarbeiten. Jetzt bin ich soweit, dass ich mit dir über das alles reden kann. Ich bin heute Abend im American Restaurant und warte auf dich.

Lily

 

Lily steckte den Brief in ein Kuvert, machte sich auf den Weg zu Alex Luxussuite und schob den Brief unter der Tür durch. Sie würde heute Abend auf ihn warten.

 

Lily hatte das lachsfarbene Seidenkleid an, das sie am ersten Abend getragen hatte, und die passenden High Heels dazu. An diesem Abend hatte sie auch das erste Mal Alexander Willoughby gesehen. Damals hatte sie gedacht, was das für ein eingebildeter, aber gut aussehender Mann wäre. Und dazu noch unermesslich reich. Nun saß sie wieder hier im Restaurant und wartete auf ihn, nachdem sie zwei erregende erotische Erlebnisse mit ihm hatte. Sie konnte selbst nicht glauben, was die Reise auf der Lady Charlotte bisher für sie bereitgehalten hatte.

»Lily, sehe ich dich nach so vielen Tagen auch mal wieder«, sagte Sofia Quinn.

Ganz schlechtes Timing, Sofia, dachte Lily.

Sofia Quinn hatte ihre blonden Haare hochgesteckt und ein lavendelfarbenes, knielanges Kleid an. Dazu farblich passende hohe Sandaletten.

»Sofia, hallo. Hast du dich von dem Bahamas-Schock wieder erholt

»Mittlerweile ja. Darf ich mich zu dir setzen? Mein Mann ist noch beim Sport, er wird heute Abend wohl nichts mehr essen wollen

»Das ist jetzt nicht ganz so gut, Sofia«, sagte Lily vorsichtig.

»Wieso, fragte Sofia überrascht.

»Ich erwarte jemanden

»Wen?«

»Alexander Willoughby

»Nein!«

»Doch.«

»Bist du die Nächste auf seiner Liste

»Nein, so ist das nicht Sofia

»Wie ist es dann

»Nicht so einfach.«

Lily versuchte, nicht deutlicher zu werden. Sie wollte Sofia nichts verraten, sie aber auch nicht abweisen. Aber Lilys Gesichtsausdruck verriet, dass es nun besser wäre, wenn Sofia ginge.

»Ich gehe ja schon. Aber du musst mir noch mehr erzählen

»Später. Und danke

Sofia Quinn stolzierte zu einem anderen Tisch und setzte sich zu drei Männern und einer Frau.

Dann dauerte es nicht mehr lange. Auftritt: Alexander Willoughby.

Er trug einen schwarzen Anzug, ein roséfarbenes Hemd und auch heute keine Krawatte.

»Lily, schön, dich endlich wiederzusehen«, sagte er mit einem charmanten Lächeln. »Ich habe mich über deine Nachricht sehr gefreut

Alex zog einen der noch freien drei Stühle vom runden Tisch weg und setzte sich zu ihr.

»Entschuldige, dass ich so lange gebraucht habe, aber du hast mich in etwas hineingezogen, das für mich ganz und gar nicht normal ist

»Das hoffe ich doch, sonst wärst du nicht die Frau, für die ich dich halte

»Für was für eine Frau hältst du mich denn

»Du bist nicht nur eine wunderschöne Frau, sondern hast auch einen starken Charakter und vermittelst Ehrlichkeit und Standhaftigkeit

Lily musste an James Richards denken. Ähnliche Worte hatte dieser vor Jahren auch zu ihr gesagt. Was daraus wurde, war ein unschönes Kapitel ihres Lebens.

»Wow. Das siehst du in mir, Alex

»Ich habe, so denke ich, eine gute Menschenkenntnis. Und ja, das sehe ich in dir«, sagte Alex vollkommen überzeugt von seiner Aussage.

»Dann bedanke ich mich und hoffe, dass ich das wirklich erfüllen kann

»Sei einfach immer du, dann passiert das ganz automatisch

Wie machte das Alex nur? Er wählte fast immer die richtigen Worte. Er konnte mit ein paar Sätzen ein Knistern in ihr erzeugen, das einfach nicht gut war. Sie musste versuchen, dagegen anzukämpfen.

Der Kellner brachte beiden eine Flasche Wasser. Die Gläser dazu standen schon auf dem Tisch. Alex bestellte für sie beide einen edlen, trockenen Weißwein und ein Fischgericht mit Gemüse.

»Du bekommst wohl immer was du möchtest, fragte Lily.

»Das ist der Vorteil, wenn einem das Schiff gehört«, sagte er mit einem Lächeln.

Lily merkte, dass viele Frauen von den anderen Tischen zu ihnen herüberstarrten. Sie konnte in ihren Gesichtern Neid und Bewunderung sehen.

»Was hast du denn heute gemacht, fragte Lily. Sie wollte die erotischen Erlebnisse ausklammern.

»Bei einer meiner Firmen gab es heute ein kleines Problem. Daher musste ich viel telefonieren, um den Schaden so gering wie möglich zu halten

»Das hört sich ja nicht gut an. Was gab es denn für ein Problem

»Das interessiert dich sicher nicht

»Doch.«

Alex wirkte überrascht. War er es nicht gewohnt, dass man seine Aussage in Frage stellte oder einfach noch mal nachfragte? Vor allem als Frau.

»Okay, wenn es dich interessiert. Eine meiner Firmen stellt Turbinen für Passagierflugzeuge her. Dort ging heute das Schreiben des Anwalts einer großen Fluggesellschaft ein, dass wir in einigen Turbinen minderwertige Materialen verwendet hätten und sie dadurch immer wieder Ersatzteile von uns kaufen oder wir die Turbinen reparieren müssten und hierfür überhöhte Rechnungen ausstellen würden

In Alex’ Gesicht war abzulesen, dass er glaubte, Lily zu offen über seine Geschäfte erzählt zu haben.

»Das sind ja sehr schwerwiegende Anschuldigungen

»Ja, sind es. Daher musste ich den ganzen Tag mit den Verantwortlichen meiner Firma sprechen, mit unseren Anwälten, mit den Anwälten der Gegenseite, denn ich kenne einen der Partner dieser Kanzlei. Daher bin ich nun geschafft und will eigentlich nicht weiter über Geschäfte sprechen

Lily aber wollte noch viel mehr darüber erfahren. Ihr fielen unzählige Fragen ein, die sie Alex zu diesem Thema stellen wollte. Aber das würde sie dann auf einen späteren Zeitpunkt verschieben. Doch das passte irgendwie zu den Sätzen, die Lily auf den Bahamas im Wald aufgeschnappt hatte. Gefährlich … unmöglich hier … wie rankommen … bleibt nur, ihn zu töten. Oder zu den Fragen, die ein Reporter der New York Times gestellt hatte: Ging in dem Konzern von Alexander Willoughby alles mit rechten Dingen zu?

Wer war der Mann, der ihr hier gegenübersaß? Ein ausgezeichneter Liebhaber, davon konnte er sie schon überzeugen. Aber war er auch ein Wirtschaftsverbrecher und vielleicht sogar ein Mörder?