„Kram ins Auto, Bierchen trinken und dann pennen gehen!“ „Klingt gut“, sage ich und kümmere mich um meine spärlichen

Effektgeräte und die Gitarre. Das meiste von dem anderen Kram ist

schon weg.

Nachdem wir die Sachen ins Auto verladen haben, gehen wir zurück,

um in der Küche nach dem Bier zu schauen, von dem Michael geredet

hat.

„Na, ihr Küken!“

In der Küche sitzt ein extrem dünner und sehr alt aussehender Mann

mit verstrubbelten grauen Haaren und stumpfem Blick.

„Dann holt euch ma euern Lohn ab, wah?“

„Hallo. Ähm. Wir sind die Band.“

„Na weiß ich doch, weiß ich doch. Ich bin Toni. Setzt euch.“

Wir setzen uns um den schmuddeligen Küchentisch herum, auf dem

eine Kiste Oettinger steht. Das war also Toni, der Hausmeister. Er hatte

einen stechenden Blick, den ich nicht einordnen konnte. Irgendwie

schaute er einen zu lange an. Er schaute einem so lange in die Augen,

bis man weggucken musste. Hatte man das getan, hatte er sich

meistens schon das nächste Opfer gesucht. „Fand ich gar nicht schlecht was ihr gemacht habt. Frisches Zeug und

so. Gut, gut.“

„Hmh. Danke.“

„Hab auch eure Platte. Hat son Typ an der Theke liegen lassen.“

„Ah. Ok.“

„Ich hab früher auch viel Rockmusik gemacht.“

„Aha. Und... wie hieß die Band?“

„Viele Bands, viele Bands. Rockmusik. War ne gute Zeit. Ich war Roadie.“

„Ok. Cool.“

„Macht‘s euch gemütlich. Bin gleich wieder da!“

Toni schlurft aus dem Raum. Er läuft leicht gebückt und obwohl seine

Füße sich kaum vom Boden heben, läuft er beinahe geräuschlos. Als er

den Raum verlassen hat, flüstert Alex uns zu:

„Seltsamer Typ, oder?“

„Hmh.“

„Irgendwas stimmt mit dem nicht“, meine ich.

„Der guckt ganz komisch“, ergänzt Benni. „Naja, Hauptsache es gibt noch Bierchen, oder?!“, grinst Alex und wir

stoßen an. Kurz darauf kommt Toni wieder und setzt sich an den Tisch.

„Wollen sie nicht auch eins trinken?“, fragt Alex.

„Ne ne, mein Junge. Ne, ne. Alkohol hab ich nie getrunken. Macht

dumm!“, sagt er und tippt sich dabei an die Stirn. Danach starrt er Alex

lange an.

„Hmh. Ok.“

Wir schauen auf den Tisch und nippen an unserem Bier. Als ich wieder

aufschaue, hat Toni einen Ledergurt um seinen linken Oberarm

gespannt und eine kleine Box auf den Tisch gelegt.

„Dann wollen wir mal ein bisschen feiern, oder?“, sagt er und grinst,

wobei er fleckige, tiefbraune Zähne entblößt. Er holt eine Spritze aus

der Box und rammt sie sich in den Arm.

„Ach du Scheiße!“, schreit Benni und stürzt fast, als er von seinem Platz

aufspringt. Auch Alex und ich sind aufgestanden und starren den Alten

fassungslos an.

„Wasn los, Jungs?! Ihr macht euch doch jetzt nicht nass oder wie?!“

Er drückt die durchsichtige Flüssigkeit in die Vene, schließt die Augen

und seufzt. „Ach du Scheiße!“, höre ich nun auch mich selbst flüstern. Alex packt

mich an der Schulter und schiebt mich in Richtung der Tür.

„Lass uns abhauen, Alter!“

„Was ist das für ne kranke Scheiße?!“, stöhnt Benni.

Wir laufen zum Vorderausgang. Abgeschlossen.

„Scheiße, man! Die war doch grade noch offen, oder nicht?! Hat der Alte

die dicht gemacht?! Was hat denn der vor?!?“, winselt Alex mit Panik in

den Augen.

„Jetzt lass uns doch mal Party machen, Jungs! Macht doch nichts!“,

hören wir Toni rufen.

„Scheiße, man! Ich will hier raus, das ist zu krass!“

Auch Benni ist sichtlich mitgenommen.

„Der Hinterausgang! Oder?!“, sage ich.

„Scheiße!“

„Was denn?!“

„Na ich hab meinen Koffer noch oben! Da ist mein ganzer Kram drin!“,

sagt Alex mit aufgerissenen Augen.

„Fuck. Ja dann lauf schnell hoch. Wir warten an der Küche und schauen,

dass der Typ keinen Scheiß baut.“ In dem Moment hören wir Glas klirren. Es hört sich an, als hätte Toni in

der Küche eine der Bierflaschen gegen die Wand geschmissen. Dabei

singt er ein Lied über eine alte Frau, die gerne tanzen möchte.

„Das ist doch Wahnsinn. Das kann doch echt nicht sein!“, flüstere ich

geschockt. Zum zweiten Mal schlägt mein Herz am heutigen Tag so

schnell, dass es mir fast den Atem nimmt.

„Ich renn jetzt hoch! Ihr bleibt an der Küche, dass er mir ja nicht nach

oben hinterherkommt und dann nichts wie raus“, raunt Skinny.

„Und wenn da auch dicht ist?!“, fragt Benni.

„Hm?“

„Die Hintertür! Was wenn da auch dicht ist?!“

„Der war doch grad nur ganz kurz weg, da hat er bestimmt nicht dran

gedacht! Oder?! Uns sonst brechen wir die scheiß Tür auf. Oder durch‘s

Fenster. Irgendwie muss das klappen, ich bleib bestimmt nicht hier!“,

antwortet Alex.

„Shit. Dann gib Gas, Alter.“

Alex rennt an der Küchentür vorbei in den kurzen Flur, an dessen Ende

die Treppe liegt, die nach oben führt. Ich gehe vorsichtig zur Küche und

schrecke zurück als Toni mir entgegenkommt. Er muss mindestens 65 Jahre alt sein, tanzt aber mit erstaunlichem Hüftschwung auf mich zu

und an mir vorbei, als ich vor ihm zurückweiche.

„Seid ihr müde oder was, ich dachte wir feiern?!“

Er tanzt in Richtung der Bühne und reibt dort seine Hüfte an einen der

übrig gebliebenen Mikrofonständer während er mit undefinierten

Lauten anfängt in ein imaginäres Mikrofon zu jauchzen.

„So ne kranke Scheiße hab ich in meinem ganzen Leben noch nicht

gesehen“, flüstert Benni mir zu und ich nicke.

„HIER IST AUF, GEBT GAS IHR PENNER!“

Alex ruft aus Richtung des Hinterausgangs und wir spurten los.

Als ich hinter mich blicke, sehe ich, dass der Alte die Verfolgung

aufgenommen hat und dichter hinter mir ist, als ich befürchtet hatte.

„Scheiße Benni, gib Gas, man!“

Wir rennen durch die offene Tür nach draußen und Richtung Auto.

„Hey Jungs! Ich dachte ihr wollt hier pennen, was isn los jetzt?!“, ruft der

Alte hinter mir.

„Scheiße, Leute! Das packen wir nicht bis zum Auto, der ist total

schnell!“, keuche ich schon ziemlich außer Puste. Das Auto ist noch mindestens 100 Meter entfernt, auf dem Parkplatz, der auf der anderen

Straßenseite liegt.

„Ich mach doch nichts, lass uns doch einfach n bisschen reden!“, höre

ich den Alten noch ein Stück näher an mir dran rufen. Ich fühle mich

wie in einem Horrorfilm. Plötzlich bleibt Benni vor mir stehen. Er schaut

an mir vorbei in Richtung des Hausmeisters und ich sehe tiefe

Entschlossenheit in seinen Augen. Hinter ihm bremse ich ab.

„Alter, was isn los, jetzt komm!“, rufe ich.

Der Alte läuft ungebremst weiter auf Benni zu und fängt an zu grinsen.

„Na also! Ihr trinkt noch ein paar Bierchen und dann machen wir uns

oben ein schönes Matratzenlager und erzählen...“

Weiter kommt er nicht, weil Benni ihm mit der Faust ins Gesicht schlägt.

Toni bleibt kurz benommen stehen, kippt dann nach hinten um und

bleibt im Kies des Parkplatzes liegen.

„Fuck!“, murmele ich.

Alex ist zu uns gekommen und schaut über meine Schulter.

„Fuck! Benni, was war das denn?!“

„Weiß ich doch nicht! Mark hat gesagt wir packen das nicht. Alter, ich

lass mich doch nicht von so nem Freak anfassen!“ „Aber du kannst den doch nicht umhauen!“, meint Alex.

„Ich wollte das ja auch gar nicht so fest, der ist mir in die Faust rein

gerannt... wie ein Irrer!“

„Der war ja auch irre, man! Der ist 100 Jahre alt und haut sich Heroin

rein!“

„Scheiße.“

Wir starren den nun eher harmlos aussehenden, vor uns liegenden

alten Mann an.

Plötzlich regt er sich wieder.

„Hmlgrpf...“

„Scheiße, man! Der wacht auf!“

„Alter, lass uns fahren. Lass uns schnell fahren, Benni! Bitte!“, rufe ich

und stolpere rückwärts Richtung Auto.

„Alles klar, wir hauen ab. Wir hauen ab! Schnell“

Benni dreht sich um und läuft mit wabernden Hüften und wackelndem

Hintern zu seinem Auto.

„Scheiße, der steht schon wieder auf!“, rufe ich, als ich beim

Zurückschauen sehe, wie der Alte sich langsam wieder aufrappelt. „Nichts wie rein!“, ruft Benni und quält sich auf den Fahrersitz. Ich

zucke zusammen, als seine Hupe die ansonsten totenstille Nacht

zerreißt und werfe mich auf den vollgemüllten Rücksitz. Noch bevor

Alex die Beifahrertür zuknallen kann, fährt Benni mit durchdrehenden

Reifen und brüllendem Motor los. Hinter uns fliegen einzelne

Kieselsteine durch die Luft und durch mein Fenster sehe ich, wie Toni

mit blutender Nase und erhobener Faust unverständliche Drohungen

brüllt und langsam aus unserer Sichtweite verschwindet. 25. Good Mourning

Ich wache auf und muss blinzeln. Die Sonne blendet. Mir ist kalt. Wo bin

ich?! Scheiße, ich kann mich nicht bewegen. Ich bin gelähmt! Was ist

hier los? Wieder blinzele ich und kann die Augen nun einen winzigen

Schlitz weit aufbehalten, ohne dass die Sonne zu sehr sticht. Scheiße,

Bennis Karre. Der Auftritt im Juz! Der bekloppte Alte! Ist das echt

passiert?! Ich versuche den Mund zu öffnen und ekele mich vor mir

selbst. Total verklebt alles und riechen tut es auch ziemlich übel. Ich

schmatze zwei, drei Mal vor mich hin und versuche mich ein wenig zu

strecken. Mein Rücken knackt laut. So laut, dass ich vor Schreck

zusammenzucke. „Fuck.“

Alex dreht sich mit halb geschlossenen Augen zu mir um und nickt mir

zu.

Benni fängt mit noch geschlossenen Augen an zu reden:

„Alter. Ist das echt passiert?“

„Hmh. Glaub schon“, antwortet Alex.

Stille.

„Scheiße“, sagt Benni. Wieder versuche ich mich ein Stückchen zu bewegen und scheitere. Ist

das beschissen eng hier hinten. Dann muss ich kurz auflachen:

„Alter, Benni. Du hast nen heroinabhängigen Rentner verprügelt!“

Ich sehe ihn im Rückspiegel grinsen, die Augen hat er weiter

geschlossen.

„Halt dein Maul, Mark. Ich hab dir dein beschissenes Leben gerettet.

Und deine Jungfräulichkeit gleich mit dazu!“

Jetzt grinst auch Alex.

„Du hast nem pädophilen Junkie-Opa deftig das Maul poliert, Benni. Da

gibt‘s keine Ausreden.“

„Es erfüllt mich mit der reinsten Freude, dass ihr meine Heldentat

ausreichend zu würdigen wisst! Aber nun haltet ein, meine

Prinzessinnen. Langsam beschämet ihr mich mit eurer unterwürfigen

Dankbarkeit... !“

Benni hat noch immer die Augen geschlossen und redet mit gehobenen

Augenbrauen. Alex und ich müssen lachen.

„Ist das mein Schlafsack, Alex?“, frage ich. „Scheiße man! Ich frier mir hier den Arsch ab! Wieso hast du meinen

scheiß Schlafsack?!“

„Ich hab meinen im Juz liegen lassen, ich hatte den schon oben. Naja

und du bist ja einfach so eingepennt, da hab ich mir den ausm

Kofferraum geholt.“

„Scheiße. Wieso isn das so scheiß kalt, ich denke wir haben Juni!“

„Ist ja noch früh. Acht Uhr.“

„Hm.“

„Zurück fahr ich aber sicher nicht mehr, Alex!“, meint Benni.

„Ne, muss auch nicht. Am besten nie wieder.“

„Hmh.“

„Wo sind wir eigentlich?!“, frage ich.

Gestern hatte ich nichts mehr mitbekommen. Ich war nach dem ganzen

Chaos relativ schnell in einen komatösen Tiefschlaf gefallen.

„Ein Dorf weiter. Waldrand. Hat wohl keiner mitgekriegt“, sagt Benni.

„Meinste der Alte hat die Polizei geholt?!“, fragt Alex.

„Ne, glaube ich nicht. Der hatte Heroin in der Birne. Da holt man doch

nicht die Bullen.“ „Außerdem war das bestimmt nicht das erste Mal, dass der auf die

Fresse gekriegt hat, so wie der drauf war“, ergänzt Benni.

„Stimmt.“

„Alter, lass mich bitte raus. Ich spür hier hinten schon wieder nichts

mehr. Und mein Maul klebt wie Sau, ich muss mir die Zähne putzen.

Das ist total die Gülle da drin.“

„Danach aber frühstücken, oder?!“, fragt Benni.

„Machen wir.“

Ich klettere aus dem Auto und strecke alle Gliedmaßen von mir,

während die Sonne wärmend auf mich einstrahlt. Geiles Gefühl.

Jetzt noch den Siff aus meinem Mund und Tourtag zwei kann losgehen.

Segel setzen und auf ins Gefecht.

Kann ja nur besser werden.

Oder?! 26. Wall of Fame

Es war eine lange Diskussion gewesen, ob man für das Frühstück den

nächsten McDonald‘s oder doch lieber Burger King aufsuchen sollte.

Bennis Entscheidung konnte man leicht am Fußboden und am

Armaturenbrett seines Autos ablesen: McDonald‘s.

Alex und ich beschlossen nach einer erregten Debatte, dass man zwar

prinzipiell Burger King den Vortritt lassen sollte, man zum Frühstück

aber gerne auch mal zu McDonald‘s gehen könne. Passiert ja eh nicht

all zu oft, dass man schon vor halb elf die Gelegenheit hat, irgendwo

auswärts zu essen. Und danach gibt‘s bei McDonalds nur noch

ekelhafte Pappburger. Frühstück dort kann aber ganz geil sein.

Allgemein würde ich mich natürlich in jeder öffentlichen Diskussion

von beiden Fast-Food-Ketten distanzieren. Ich bin politisiert genug um

zu wissen, dass man beides scheiße finden muss um nicht in

irgendeiner Form als Asozialer abgestempelt zu werden. Aber wenn

man mit seinen besten Kumpels on the road ist, stellt sich nicht die

Frage „ob“ sondern nur „entweder oder“. Und das ist auch ok so.

Als ich bei McDonald‘s auf die Toilette gehe, ärgere ich mich, dass wir

keine Sticker von unserer Band haben. Das wäre der perfekte Ort. Auf dem Scheisshaus von McDonald‘s. Hier gehen so viele Leute rein und

raus und das jeden Tag. Vor allen Dingen in Filialen an

Autobahnraststätten. Das ist doch total interessant! Wer weiß schon,

was hier für geile Bands Pause gemacht haben?! Ich meine, die müssen

ja auch irgendwann was essen. Und wenn es bei denen so läuft wie bei

uns, dann landen die doch auch ständig bei McDonald‘s! Oder halt

Burger King. Und da könnte man dann als Restaurant ja auch stolz sein.

Das wäre doch sowieso die Idee. Das jeweilige Fast-Food-Unternehmen

lässt in jeder Filiale, also mal mindestens an allen Autobahn-

Raststätten-Filialen, eine Tafel installieren, auf der jede Band, die vorbei

kommt, ihren Sticker kleben darf. Das wird dann irgendwann ne

richtige Attraktion für die Leute. Dann steht der Papa, der gerade mit

seinem kleinen Torsten auf dem Weg nach Magdeburg ist, um dort

Großtante Ursel zu besuchen, bei McDonald‘s vorm Scheisshaus und

sagt:

„Guck mal, Torsten! Hier waren 1987 BAP auch aufm Scheisshaus!“

Und nicht nur BAP. Vielleicht ja auch AC/DC. Also wirklich, die essen

doch nicht nur in ihren Nightlinern, das wird doch auch irgendwann

langweilig. Farin Urlaub hat sicher immer ein Tofu-Brötchen mit im Gepäck, aber alle anderen?! So Slayer zum Beispiel. Die brauchen hier

und da sicher mal ihren McRib. Dass muss man sich mal vorstellen,

wenn aufm Scheisshaus von McDonald‘s auf einmal ein signierter

Slayer-Sticker klebt. Das wird doch sofort das totale Mekka für alle

Metal- und Gewaltfans! Und man brauch auch nicht glauben, dass Farin

Urlaub nie Pause machen würde, wenn er mit Band unterwegs ist. Der

war mal auf großer „Krachgarten“Tour vor ein paar Jahren. Sicher kein

Zufall, dass der Rastplatz „Krachgarten“ auf der A5 liegt, oder?

Man müsste natürlich klar machen, dass da nicht jeder Heini

irgendwelche Sticker drauf kleben darf. Das ‘Jede Band klebt selbst‘

Gesetz muss heilig sein. Je mehr ich drüber nachdenke, desto

großartiger finde ich meine Idee. Vielleicht schreib ich demnächst mal

an McDonald‘s Deutschland. Oder Burger King. Oder beide. Der

Höchstbietende kriegt das Patentrecht auf meine... wie nenne ich sie

denn mal. Auf meine ‘Wall of Fame’.

Ich stelle mir das super vor. Man geht zu McDonald‘s, man ist gefrustet

vom Stau, gefrustet vom Reiseziel, gefrustet von den Mitreisenden.

Doch dann erhellt sich das Gemüt, denn plötzlich steht man vor zwei Quadratmetern voll bunten und aufregenden kleinen Vierecken.

Darüber prangt in stolzen Lettern:

‘Die große McDonald‘s // Rastplatz Siegerland-Süd Wall of Fame’

Darunter dann Sticker. Ohne Ende. Die Schlange vor der Wall of Fame

ist größer als vor der Theke! Wahnsinn.

Aber da müsste ich sicher vorher selbst erst mal Patent drauf

anmelden. Und ich hab keine Ahnung wie das funktioniert. Ist bestimmt

total aufwendig. Und wenn die das dann bei McDonald‘s einfach so

installieren, ohne meine Erlaubnis, muss ich Anwälte bezahlen um doch

noch mein Recht durchzusetzen. Und dann haben die die besseren

Anwälte. Und dann bin ich pleite statt reich. Und jedes Mal wenn ich

dann in einen McDonald‘s gehe, lacht mich die dort installierte ‘Wall of

Fame’ höhnisch aus. Das wäre nicht so schön.

Und außerdem ist die Idee ja vielleicht doch nicht so gut. 27. Baden

„Was hältst du von baden gehen?!“

„Hm? Wie baden?“

Alex und Benni sitzen am Tisch, der schon komplett mit riesigen

Papiertüten und mit vom Fett durchsichtig gewordenen Servietten

bedeckt ist.

„Baden gehen!“, sagt Benni, „Wir haben grad mal halb zehn und müssen

erst heute Nachmittag in Laasphe sein. Da fahren wir so ungefähr drei

Stunden hin, also kann man mal mindestens noch zwei bis drei

Stunden an nen See und schwimmen und pennen und so.“

„Klingt eigentlich geil! Aber wo? Und ich hab auch gar keine Sachen.“

Ich setze mich an den Tisch, packe meinen ‘McMuffin Bacon & Egg’ aus

und beiße hinein. Schade. Sieht geil aus, schmeckt aber irgendwie

scheiße.

„Sachen sind doch mal scheissegal. Und Alex kennt hier wohl was in der

Ecke.“

„Ich glaube, meine Tante hat mich hier früher manchmal hingeschleppt

in die Nähe. Laacher See oder so was , guck ich gleich mal am Navi. Ist

glaub ich bei Koblenz, da müssen wir eh durch.“ „Wetter wird auch noch geil, glaube ich!“, sage ich und schaue hinaus

auf den immer sonniger werdenden Rastplatz. In meinem Bauch

kribbelt es. Geiles Wetter und unterwegs sein. Ein gutes Gefühl. Der

verrückte Junkie von heute Nacht ist fast schon vergessen, mehr ein

seltsamer Traum als Realität.

„Dann ab an den See, oder?!“

„Jap!“, sagt Benni und wirft die zerknüllten, auf dem Tisch verteilt

liegenden Verpackungen auf sein Tablett, „Ich geh noch mal ne gute

Viertelstunde zur Toilette und dann ist Abfahrt.“

„Fändste das eigentlich geil, wenn die da ne Wand hätten mit

Bandstickern?“

„Wie, ne Wand?!“

„Ja, extra für Sticker!“

„Hm. Weiß ich jetzt grad nicht. Versteh ich den Sinn irgendwie nicht.“

„Hm. Naja ist auch nicht so wichtig.“

„Hmh.“

Benni verschwindet zur Toilette und Alex schaut mich kopfschüttelnd

an während er auf seinem Rührei kaut:

„In deinem Kopf ist auch immer nur schräges Geballer, oder?“ 28. Laacher See

„Ist das ein mal geil, oder was?!“, ruft Alex und breitet die Arme aus.

Es ist wirklich verdammt schön. Deutschland ist manchmal schöner als

ich es mir immer denke, wenn ich zuhause in meinem Kaff sitze. Ich bin

richtig überrascht, als wir an einem idyllischen Minigolfplatz vorbei

fahren und sich vor uns der See auftut. Ziemlich groß und echt blaues

Wasser. Links von uns eine riesige Rasenfläche und dahinter ein

majestätisches Kloster, bestimmt um die 1000 Jahre alt.

Benni fährt mit krachendem Auspuff quer auf den Rasen, ungefähr

zehn Meter vom Wasser entfernt und bleibt quer zwischen Kloster und

Wasser stehen. Sonst ist hier keine Menschenseele zu sehen, perfekt.

Dann dreht er das Radio lauter und steigt aus. Ich mache mir zwar

Sorgen, ob man das alles einfach so darf, aber will auch nicht immer

der Spießer der Gruppe sein und sage nichts. Außerdem läuft Bennis

aktuelle Lieblingsplatte von ‘Feine Sahne Fischfilet’, die er vor der Tour

laut Eigenaussage extra noch auf Kassette überspielt hat. Und wenn die

die ganze Zeit davon singen, dass man sich nicht ständig vor dem Staat

bücken soll, dann will ich mir auch mal keine Sorgen darüber machen,

ob man jetzt auf dem Rasen parken darf oder nicht. Allerdings erscheint der Schlachtruf ‘Deutschland ist Scheiße, Deutschland ist

Dreck’ vor dieser Kulisse doch eher ironisch.

„Bier?!“

Alex hält mir eine Flasche hin.

„Ne, danke. Ich will das heute mal ohne probieren, das war mir gestern

irgendwie nichts mit dem vorher schon besoffen sein.“

Außerdem wird mir ein bisschen schlecht, wenn ich mir vorstelle jetzt

ein warmes Bier zu trinken. Kaltes Wasser mit Kohlensäure wäre mal

geil, aber so was haben wir natürlich nicht im Gepäck.

„Wie du willst“, sagt Alex und trinkt die Flasche selbst. Dann zieht er

sich die Schuhe aus und geht runter zum See, was Benni und ich ihm

nachmachen.

Dort liegen wir fast eine Stunde lang ohne ein Wort zu reden. Alex

scheint zu schlafen, Benni schaut verträumt in den Himmel und summt

die Lieder mit, die wir leise aus seiner Anlage scheppern hören. Ich bin

weiter fasziniert von der traumhaften Kulisse und schaue ewig über

den See hinweg und auf die endlosen Waldlandschaften, die in der

einsetzenden Mittagssonne im strahlenden Grün erleuchten. Im Laufe

der Zeit tauchen ein paar Surfer auf, die ihr Lager wohl an der anderen Seite des Sees haben. Auch zwei bis drei Familien kommen zur

Mittagszeit auf unsere Wiese und gehen mit gebührendem Abstand

und kopfschüttelnd an Bennis rostiger Karre vorbei, aus der jetzt ‘Less

Than Jake’ ertönen, weil Benni nach dem zweiten Durchlauf von ‘Feine

Sahne Fischfilet’ auf meinen Wunsch hin murrend die Kassette

gewechselt hatte.

„Wir müssen gleich weiter, oder?“, sage ich um 13 Uhr, „Wenn wir drei

Stunden fahren müssen?!“

„Hmh. Stimmt schon. Aber nass werden will ich eigentlich schon noch“,

murmelt Benni mit geschlossenen Augen.

„Mit Boxershort oder wie?“

„Hab nur eine.“

„Och, Benni. Aber doch bitte nicht nackt. Hier sind Kinder!“

„Guckt doch keiner.“

„Guckt keiner?! Ich glaube schon, dass da einer guckt, wenn du jetzt

nackt in den See rennst!“

„Ist doch lustig“, mischt sich Alex murmelnd ein.

„Ich mach auch ganz schnell, nur ein mal rein!“, sagt Benni und steht

auf. Das T-Shirt und seine Schuhe hatte er eh schon ausgezogen. Bevor ich

meinen Blick abwenden kann fällt auch die Hose und er rennt los. Alex

setzt sich lachend auf und fängt an zu jubeln:

„Sauber, Benni! Arschbombe!“.

Benni rennt in den See und lässt sich nach ein paar Metern unter

lautem Platschen ins seichte Wasser fallen.

Es sieht wirklich sehr witzig aus. Benni schwimmt ein paar Meter und

als er untertaucht schaut kurz sein blasser, riesengroßer Arsch aus

dem Wasser und wird von der Sonne gleißend hell beleuchtet.

„Ein beschissener Wal, man!“, johlt Alex und ich muss lachen.

„Sagt mal, spinnt ihr?!“

Von etwas weiter weg kommt ein wütender Familienvater angelaufen.

„Hier sind Kinder, ihr Idioten! Hier kann man doch nicht einfach nackt

baden!“

„Wir sind vom Kloster“, ruft Alex ihm zu, „das ist ne heilige Badung!“

„Hä?!“

„Das ist Bruder Benni, der muss ein mal im Jahr eine heilige Badung

nehmen, gegen sein Lepra!“

„Gegen sein was?!“ „Lepra! Deswegen ist sein Schwanz auch so klein, der ist schon halb

abgefallen!“, sagt Alex im todernsten Ton und faltet dabei die Hände

wie ein Priester.

„Ihr Chaoten! Ich hol die Polizei!“, antwortet der Typ und schaut leicht

angewidert zu Benni rüber, der gerade wieder langsam aus dem Wasser

hinaus trottet.

„Lass uns abhauen, Benni! Der Nazi hier holt die Bullen!“, ruft ihm Alex

zu.

„Nazi?! Ich bin doch kein... was fällt dir ein, du kleiner Drecksack?!“

Benni läuft zu uns zurück, streift sich schnell seine Hose über und wir

laufen zum Auto.

Benni startet den Motor und drückt das Gas durch, während Alex dem

Typen durch das offene Beifahrerfenster grinsend seinen Mittelfinger

zeigt. Als wir mit quietschenden Reifen abhauen, hinterlassen wir mit

Sicherheit eine dicke Furche im sonst so schön gepflegten Rasen.

Das tut mir ein bisschen leid. Wegen der Mönche, die das dann sicher

wieder sähen müssen. Aber nicht wegen dem Typ. Der ist glaub ich

wirklich ein beschissener Spießernazi, wie er da steht mit hochrotem

Kopf und dem alten Nokia an seinem Ohr, dass er vorher hastig aus seiner am Gürtel befestigten Handytasche gefischt hat. Ein paar

hundert Meter weiter meine ich seine recht hübsche Frau ein wenig

grinsen zu sehen, während sie ihrem kleinen Sohn die Augen zu hält.

Ich kann mich aber auch täuschen. 29. Pit

„Alter, bist du sicher?!“

„Keine Ahnung. Eigentlich schon. Steht ja sogar ’Pit‘s Kneipe’ dran, da

wird‘s in Bad Laasphe nicht so viele von geben, oder?!“

„Und du bist sicher, dass der Gig stattfinden soll?!“

„Klar, man! Ich hab zweimal mit dem Typ telefoniert. Der war da total

begeistert von.“

„Ich weiß ja nicht. Ist schon komisch!“

Wir stehen seit zehn Minuten mit dem Auto vor ‘Pit‘s Kneipe’ in Bad

Laasphe. Grund der Diskussion ist eine Kreidetafel, die dort vor der Tür

steht und mit folgender Aufschrift versehen ist:

„ Live Punk in Pit‘s Kneipe Das Beste von
The Clash, Sex Pistols und den Ramones Sa, 18. Juni, 21 Uhr
Eintritt 4€“

„Wir haben keinen einzigen Coversong, Alex. Haste dem das nicht

gesagt, oder was?!“, fragt Benni.

„Keine Ahnung. Ne. Also ich hab gar nichts gesagt.“ „Wie gar nichts? Der wird doch gefragt haben, was für Mucke wir

machen!“

„Ja der hat halt gefragt ob wir Punk spielen. Und da hab ich ja gesagt.

Ich wollte halt den Gig an Land ziehen und so ein bisschen Punk ist das

ja was wir machen! Irgendwie. Oder?“

„Ja schon, aber wir haben halt keine beschissenen Cover. Und erst Recht

nicht von den Sex Pistols!“

„Ja weiß ich doch auch! Aber was soll ich denn da jetzt bitte dran

machen, hm?!“

Die Tür der Kneipe geht auf und ein schlaksiger Typ um die 30 oder 40

kommt heraus. Er trägt einen kurzen grün gefärbten Irokesen, ein

schwarzes Nasenpiercing und einen langen Mantel im Bundeswehr-

Look. Mitten im Sommer. Dazu trägt er eine enge, gebleichte orange-

schwarze Jeans und schwarze Springerstiefel mit roten Schnürsenkeln.

Gott, wie plakativ. Ich frage mich, ob er auf dem Rücken wohl den

Aufnäher mit dem großen Mittelfinger, das durchgestrichene

Hakenkreuz oder doch etwa das ein wenig knalligere rote Anarchie-

Zeichen hat. „Na, Jungs! Ihr seid die Band, oder nicht?!“, fragt er durch Alex offenes

Beifahrerfenster.

„Jawoll, sind wir. Ich bin Alex.“

„Alex! Dann haben wir telefoniert, ich bin der Pit!“

Er reicht ihm durch das Fenster die Hand.

„Dann parkt doch am besten Mal direkt mit dem Kofferraum vor der

Tür, dann könnt ihr den ganzen Scheiß gleich reintragen. Ich fixier die

mal, dass die offen bleibt!“

„Alles klar, machen wir so.“

Er zeigt uns den gehobenen Daumen und verzieht sich wieder in

Richtung Kneipe. Auf seinem Rücken prangt ein großer Aufnäher, auf

dem ein Strichmännchen gerade ein Hakenkreuz in einem Mülleimer

versenkt. Klar, wie konnte ich das vergessen. Die Nummer vier der

Aufnäher-Must-Haves im Punk-Milieu.

„Ist doch ganz nett, oder?!“, fragt Alex.

„Hm“, meint Benni.

„Keine Ahnung“, sage ich. 30. Techniker

„Wann kommtn der Techniker?“

„Hm?!“

Wir haben unser Zeug ausgeladen und auf die kleine Bühne am Ende

der Kneipe getragen. Eigentlich alles ganz schön hier. Der Raum ist

ziemlich verwinkelt, relativ urig, und alles ist aus Holz gemacht. Vor der

Bühne ist ein wenig Platz um stehen zu können, ansonsten gibt es

überall Sitzecken. Die große Theke ist wenn man rein kommt links

zwischen Eingang und Bühne gelegen und beachtlich groß, mit einer

tollen verzierten Zapfanlage. An den Wänden hängen gerahmte Bilder

der Sex Pistols und vom nackten, sehnigen Iggy Pop, der sich

unmenschlich weit nach hinten beugt und dabei ins Mikrofon kreischt.

„Wann der Techniker kommt!“, wiederholt Alex seine Frage.

„Achso. Habt ihr gar keinen dabei, oder wie?“

Pit zieht mit überraschter Miene die Augenbrauen hoch.

„Ne.“

„Ok. Ne, Techniker hab ich jetzt gar keinen gebucht. Weiß ich auch

nicht, ob ich da jetzt noch einen kriege! Sonst haben die Bands meisten

wen dabei...“ „Wir aber halt nicht.“

„Ja, schon klar. Ja dann pass mal auf, Alex, ist ja alles kein Problem. Ich

kann mal schauen, ob ich da jetzt noch wen bekomme. Das müsste ich

euch dann aber vom Geld abziehen. Und 100€ kostet der spontan auf

jeden Fall.“

„Was? Aber 100€ war doch abgemacht! Dann kriegen wir gar nichts

oder wie?!“, meint Benni.

„Klar, klar. Haben wir abgemacht. Aber da hat euer Kumpel mir ja auch

noch nicht gesagt, dass ich euch nen Techniker besorgen muss!“

„Aber das kostet hier doch vier Euro heute, oder nicht?! Die 100€ hast

du doch mit 25 Leuten schon wieder drin!“

„Hmh. Ja. Ja, hast du Recht. Hmh.“

Pit lehnt sich mit den Ellenbogen auf seine Theke und legt eine

nachdenkliche Miene auf.

„Hm.“

Dann richtet er sich auf.

„Passt auf, Jungs, wir machen das so: Ihr baut das jetzt erst mal alles

schön auf hier und dann schauen wir mal mit dem Sound, das kriegen wir schon hin. Ihr macht mal alles schön laut und dann gucken wir

weiter. Ok?“

„Hmh.“

„Super. Ihr macht das schon.“

„Hm.“ 31. In der Sitzecke

Später sitzen wir, mit jeweils einem Bier vor uns, an einem Tisch in

einer der Sitzecken. Wir haben halb acht, der Einlass beginnt offiziell

erst in einer Stunde.

„Wollen wir ihm nicht sagen, dass wir nichts covern können?“, raunt

Benni uns zu.

„Ne lass mal“, antwortet Alex, „kann man doch jetzt eh nichts dran

ändern. Und vielleicht isses ja dann gar nicht so schlimm.“

„Und dass wir nur ne Stunde spielen?! Höchstens? Der meinte doch

vorhin, dass wir nicht länger machen sollen als zwölf, wegen Lärm und

so! Alter, bis zwölf! Und wir fangen um neun Uhr an! Der will bestimmt

nicht, dass wir um kurz vor zehn schon fertig sind!“

„Das kommt drauf an wie schlecht wir sind“, werfe ich schmunzelnd ein.

„Das wird schon irgendwie passen. Wir können ja ein paar Songs

doppelt spielen“, meint Alex.

„Doppelt? Das ist doch total beschissen.“

„Ja, was willste denn machen?! Merkt doch eh keine Sau, die kennen die

Lieder doch eh nicht!“

„Hm.“ Der Bühnensound würde wohl ziemlich erbärmlich sein. Wir hatten

zwar unser bestes versucht, aber unser bestes war in technischen

Belangen einfach nicht besonders viel. Einen Techniker zu bezahlen

kam allerdings auch nicht in Frage, da wir ohne die 100€ dieses

Wochenende überhaupt keine Kohle reinkriegen würden und den Sprit

komplett selbst bezahlen müssten, was keiner von uns wollte.

Auf einem Schrank neben der Bühne hatten wir ein kleines Mischpult

vorgefunden, das mit den kleinen Boxen von Pit‘s Anlage gekoppelt

war. Dort hatten wir das Kabel des einzigen Mikrofon‘s hinein gesteckt

und bis zum Anschlag aufgedreht. Der Gesang würde sich nur schwer

gegen das Schlagzeug durchsetzen können, aber ohne eine andere

Anlage hätte da selbst ein professioneller Techniker nicht viel

anrichten können. Da der Raum nicht besonders groß war, schepperte

das olle Kneipen-Schlagzeug auch ohne Mikrofonierung ordentlich rein,

unsere Verstärker drehten wir einfach komplett auf, so dass auch dort

keine zusätzlichen Mikrofone nötig gewesen waren. Alex Basscombo

war zwar eher für den Hausgebrauch als für die große Bühne bestimmt

und knarzte bei den tieferen Tönen ziemlich schwachbrüstig vor sich

hin, aber wenn Pit uns alles selbst stellen ließ, musste er damit leben. Während unserem improvisierten Soundcheck war er sowieso

verschwunden, das Bier auf unserem Tisch haben wir selbst gezapft.

Jetzt kommt er mit zwei Kisten Grafensteiner Pils wieder zur Tür herein.

„Na, Jungs! Läuft alles?!“

„Hmh.“

„Wo habt ihr denn... ?! Leute! Ihr wollt mich doch nicht arm machen,

oder?!“ Er nimmt uns die halbvollen Biergläser vom Tisch, schüttet sie

hinter der Theke aus und spült sie durch.

„Hab euch doch extra was mitgebracht!“

Er kommt zurück und deutet auf die zwei Kisten.

„Kommt, ich zeig euch mal eure Ecke.“

Neben der Bühne öffnet er eine kleine, unscheinbare Tür, hinter der

sich ein erstaunlich großer, komplett betonierter Raum befindet, in

dem sich verstaubte Biertischgarnituren und ein paar weitere Tische

und Stühle im Stil der Kneipeneinrichtung stapeln.

„So, hier könnt ihr es euch bequem machen.“

Er räumt drei Stühle vom einem Tisch runter und stellt sie neben die

zwei Bierkisten. „Ich mach jetzt den Laden auf. Wenn was ist, einfach melden. Und sonst

fangt ihr einfach so gegen neun Uhr an, alles klar?!“

„Jup, alles klar“, sage ich und Pit zeigt wieder den erhobenen Daumen:

„Dann bis gleich!“

Wir sitzen da und schauen uns an.

„Und jetzt?“, frage ich.

„Keine Ahnung“, meint Benni.

„Bierchen?!“, fragt Alex.

„Hm“, sage ich.

„Warum nicht“, sagt Benni.

Ich gucke auf die Uhr. Noch eine Stunde. 32. Nur mit Kondom

„Alter, da ist richtig was los! Gar nicht schlecht!“

Alex lugt aus der Tür hinaus in die Kneipe. Ich bin gerade damit

beschäftigt Benni mit Edding einen überdimensionalen Penis auf den

Rücken zu malen. ‘Hauptsache ich seh scheiße aus!‘ war seine

Anweisung gewesen und ich war bereit ihm seinen Wunsch zu erfüllen.

Seine Brustwarzen hatte ich mit vielen schwarzen Kreisen umrandet,

auf seinen Armen stand das bereits erprobe ‘Sex sells‘ und bei dem

großen ‘Freedom‘Tattoo, das quer über seinen Bauch prangte, hatte ich

das ‘Free‘ durchgestrichen und darüber in krakeliger Schrift ‘Nur mit

Kon-’ geschrieben.

„Was solln das eigentlich heißen?!“, fragt Alex als er wiederkommt.

„Na, kann man doch sehen, oder nicht?! ‘Nur mit Kon-’ und dann ‘dom’.

Nur mit Kondom!“

„Das ist echt total scheiße“, sagt Benni und muss grinsen.

„So wie die da draußen aussehen, ist das genau ihr Humor. Wobei ich

nicht sicher bin, ob die wissen, was Kondome überhaupt sind. Sind echt

ein paar abgefuckte Gestalten dabei.“ „Sei du froh, dass deine Eltern damals noch nicht wussten was

Kondome sind!“, antworte ich.

„Halt dein Maul, Mark. Du Arschloch.“

Ich muss grinsen.

Alex zieht sich sein Bandana um den Kopf und verwuschelt sich die

Haare, die darüber hinausschauen. Dann malt er unbeholfen mit dem

Kajalstift um seine Augen herum.

„Sieht eigentlich wirklich gar nicht so scheiße aus mit dem Bandana“,

sage ich.

„Danke“, antwortet Alex, „aber glaub nicht, dass du wegen dem

bisschen schleimen jetzt auf ein mal kein Arschloch mehr bist!“

Jetzt grinsen wir beide.

„Bist fertig, Benni. Und was soll ich sagen - auch du bist wunderschön!“

„Danke“, antwortet er und patscht sich auf die Wampe, die danach noch

mindestens drei Sekunden in Bewegung ist, „dann kann‘s von mir aus

losgehen!“ 33. Auftritt im Pit‘s

Als wir auf die Bühne kommen wird tatsächlich geklatscht, und ich

glaube, dass ein Typ sogar kurz zu johlen anfängt. Applaus war in

unserer Bandkarriere bisher ein eher spärlich gestreutes Luxusgut und

ermutigt mich in diesem Moment ungemein. Ich werde trotz

Nüchternheit ein wenig lockerer als gestern. Auch das Licht ist nicht

ganz so einschüchternd hell. So weit so gut.

Hinter der Theke dreht Pit seine Musikanlage aus, auf der gerade etwas

von ‘Slime’ oder ‘Wilde Zeiten’ oder irgend so einer deutschen

Punkband läuft. Unsere Verstärker surren sowieso schon seit über einer

Stunde auf Stand-By, die Anlage hatten wir seit dem Soundcheck

angelassen. Sicher ist sicher.

„Moin, moin! Wir sind abgefuckt, angesoffen und eure heutige

Liveunterhaltung! Viel Spaß!“, brüllt Alex ins Mikrofon. Ohne

Umschweife haut Benni vier Takte auf der Snare vor und wir ballern

unseren ersten Song raus, meinen Lieblingssong, weil er relativ

kompromisslos nach vorne geht.

Im Publikum wird mitgewippt, zwei Typen in der zweiten oder dritten

Reihe sehe ich sogar headbangen. Das läuft doch ganz gut. Ich konzentriere mich auf meine Gitarre und bewege mich mit Bennis Beat.

Könnte das heute meinem Traum nahe kommen?! Wird das heute der

Abend, an dem wir unsere zukünftigen Gigs würden messen müssen?

Als ich gegen Ende des Songs aufblicke, sehe ich kritische

Gesichtsausdrücke. Ich sehe ein paar Leute, die sich gegenseitig ins

Ohr brüllen, kann aber nicht hören, was sie sagen. Mitwippen tut

jedenfalls niemand mehr.

„Vielen Dank, Bad Laasphe!“, brüllt Alex in den letzten ausklingenden

Akkord.

„Der nächste Song...“

„Ey, spielt mal was von den Pistols!“ brüllt jemand von ganz hinten.

„Ja, man! Oder the Clash!“, ein Typ mit zerrissenem T-Shirt in der ersten

Reihe, in dessen grau-blauen Augen ein wildes Funkeln zu erkennen ist.

„SHEENA IS A PUNKROCKER!!!“, wieder von weiter hinten.

„Ähm...“

Alex guckt zu mir rüber und ich zucke mit den Schultern.

„Ja, man! Sheena is a punkrocker wär geil“, wieder der Typ aus der

ersten Reihe, der mich mit seinen Augen fixiert hält, bis ich wegschaue.

„Also...“, beginnt Alex, „... wir covern eigentlich gar nicht.“ „Hä?!“, ein anderer Typ aus der ersten Reihe. Dahinter aufgeregtes

Gemurmel.

„Naja, also... wir haben halt eigentlich keine Cover im Programm. Wir

spielen eigene Songs!“

„Hier sind immer Cover!“, ruft der Typ mit dem zerrissenen Shirt

wütend. Neben ihm steht ein ziemlich hübsches Mädchen, dass

theatralisch mit den Augen rollt, den Kopf schüttelt, sich dann umdreht

und geht.

„Ja, also... wir spielen heute nur eigene Songs! Aber zu denen kann man

auch geil tanzen, also alles halb so wild! Oder?! Also. Der nächste Song

heißt ‘I hate all your friends and you‘re just not worth it’, viel Spaß!“

Ich sehe, dass von Seiten des Publikums durchaus noch

Diskussionspotential besteht und sich viele weiterhin aufgeregt

unterhalten, fange aber trotzdem den Song an, der mit einer

Akkordfolge auf der Gitarre beginnt.

In dem Moment, in dem Benni und Alex mit Schlagzeug und Bass

einsetzen, fliegt ein Glas mit Bier haarscharf an Alex Kopf vorbei und

zerplatzt an der Rückwand. Ich höre ein paar laute Buh-Rufe und Pfiffe

aus dem Publikum und sehe, wie jemand zur Theke geht und Pit irgendetwas zubrüllt. Während dem Song gehen viel zurück in ihre

Sitzecken. Die 15 bis 20 Leute, die vor der Bühne stehen geblieben sind,

schauen uns irgendwie feindselig an. In dem Moment, in dem der Typ

mit dem zerrissenen T-Shirt und den gruseligen Augen plötzlich auf

die Bühne springt und Alex vom Mikrofon wegschubst, setzt das

Schlagzeug aus und auch ich breche den Song ab.

Ich drehe mich um und sehe, dass Benni einen Bilderrahmen von der

Wand nimmt, in dem ein Bild von einem rauchenden und glücklichen

Che Guevera eingefasst ist.

Er stürmt nach vorne und zieht dem Typ das Bild samt Rahmen von

rechts kommend quer durch das Gesicht. Das Bild zerbricht, Che

Guevera baumelt, immer noch glücklich, aus dem Rahmen und der Typ

fällt rücklings von der Bühne und auf den Rücken.

„Wage es noch ein mal meinen Kumpel anzupacken, du dreckiges

Arschloch!“, knurrt Benni und spuckt neben dem Typ auf den Boden.

Der guckt verdattert, hält sich die Wange und rutscht auf seinem

Hintern vor Benni weg, der leicht verschwitzt zwischen den

Scheinwerfern steht. Seine bemalten Brüste zittern leicht, seinem

Gesicht ist aber keine Angst anzusehen. Im Raum ist es nun totenstill, die meisten schauen verschreckt Richtung Bühne, niemand sagt ein

Wort. Verdammt, das ‘Freedom’Tattoo würde jetzt echt besser passen

als das krakelige ’Nur mit Kondom’. Benni starrt dem Typen hinterher,

der sich jetzt aufrappelt, umdreht und aus der Tür rennt.

„Ähm...“, ich bin zu Alex Mikrofon gegangen und schaue unsicher ins

Publikum, „... wir machen dann mal ne kurze Pause. Trinkt euch ein

Bierchen oder so. Äh. Bis gleich!“

Meine Stimme überschlägt sich während des Satzes mehrfach und ist

kaum mehr als ein leises und verschrecktes Krächzen, nur hörbar, weil

es in dem Raum so ruhig ist...

Ein Mädchen in einer Sitzecke, das mich leicht apathisch anstarrt, fängt

leise an zu klatschen und hört eingeschüchtert wieder damit auf, als sie

merkt, dass sonst niemand mitmacht.

Ich schnappe mir Alex und Benni und ziehe sie zurück in den Raum

neben der Bühne. 34. Schönen Gruß und auf Wiedersehen

„Was war das denn bitte für ne Scheiße?!“

Pit steht mit leicht errötetem Gesicht in der Tür und starrt uns wütend

an.

Benni kontert gereizt:

„Der wollte dem Alex auf‘s Maul hauen!“

„Hä?!“

„Ja, der hätte dem aufs Maul gehauen, das kann ja wohl nicht sein! Ist ja

wohl klar, dass der dann einen drüber kriegt!“

„Das mein ich doch gar nicht, das ist doch jetzt mal scheißegal! Aber

was spielt ihr denn für kack Songs?! Die Leute sind hier um Hits zu

hören!“

„Ja Hits ham wir aber nicht!“, murmelt Alex.

„Die sind hier, weil ich verdammt noch mal Werbung für ne Coverband

gemacht hab! Du hast doch gesagt, dass ihr covert!?! Was soll denn die

ganze Scheiße?!“

„Ich hab nicht gesagt, dass wir covern! Ich hab gesagt, dass wir Punk

machen, mehr nicht. Das heißt ja nicht, dass wir ne verdammte Coverband sind, was ist das denn für ne bescheuerte Annahme

überhaupt?“

Pit setzt sich und schüttelt den Kopf.

„Scheiße, Leute. Ich glaube am besten ihr verpisst euch einfach.“

„Wie, verpissen?!“

„Ja, ihr könnt ja wohl schlecht weiter spielen. Ich mein, die Leute haben

beim zweiten Song schon mit Zeug geschmissen, die nehmen mir den

Laden doch komplett auseinander! Außerdem kommt Mickie bestimmt

gleich wieder. Und sicher nicht alleine.“

„Wer isn jetzt Mickie?!“

„Na, der Kollege, den euer Fettsack hier fast k.o. geschlagen hat! Der ist

eh schon immer direkt auf 180. Keine Ahnung was da jetzt passiert, ich

hab noch nie gesehen, dass der so eine gezimmert kriegt.“

„Scheiße.“

„Ganz genau, scheiße.“

„Und die Kohle?“, fragt Alex.

„Alter, wasn für Kohle?!“ „Na, die 100€! Deal ist Deal! Wir sind gekommen, haben unser scheiß

Zeug aufgebaut und gespielt. Und jetzt kriegen wir unsere scheiß

Kohle!“

„Alter, ihr könnt froh sein, wenn ihr nicht auf die Schnauze bekommt,

ihr kriegt doch nicht auch noch Geld! Der halbe Laden ist voll mit

Stammkunden! Weißt du wie die mich grad alle fertig machen?! Die

fanden das nur scheiße, was da grad abgegangen ist. Und ganz

ehrlich?! Ich kann‘s ihnen nachempfinden, das war echt beschissen.“

Wir schauen auf den Boden. Und ich dachte gestern echt, es könnte

nicht noch schlimmer werden.

„Verpisst euch einfach. Und verkauft euch bitte nicht mehr als

Punkband, das kann ja wohl echt nicht sein. Löst euch auf, sucht euch

Jobs. Scheiße.“

„Halt doch endlich mal die Fresse jetzt, du Spasti“, grummelt Benni.

„Willst du mir sonst auch noch auf‘s Maul hauen, oder was?!“

Er schaut den immer noch nackten, verschwitzten und schwer

atmenden Benni gereizt an. „Zieh dir bitte einfach was an, bevor du raus gehst“, sagt er resigniert

und geht wieder zurück in den Kneipenraum, in dem mittlerweile

wieder Musik läuft.

Benni schaut ihm kopfschüttelnd hinterher.

„Scheiße, man“, murmele ich, „das ist echt mal eskaliert“.

„Hm“, macht Benni.

Dann schweigen wir wieder.

„Alter! Heulst du, oder was?“

Ich schaue auf. Benni packt Alex auf die Schulter. Der hat wirklich

Tränen in den Augen und dreht sich von uns weg.

„Alter, was ist denn los? Jetzt heul doch mal nicht!?“, sage ich, „ist doch

jetzt echt kein Weltuntergang!“

„Alter, ich heul ja gar nicht. Aber das war echt mal beschissen, oder

nicht?!“, er schluchzt kurz auf. „Ich meine, der Penner hat mit nem Glas

auf mich geworfen! Der wollte mich treffen! Stell dir mal vor ich hätte

das in die Fresse bekommen!“

„Komm, Alter“, Benni tätschelt ihm den Arm, „wir hauen ab. Und wenn

uns irgendein Wichser quer kommt, dann hauen wir dem halt auch

noch auf die Fresse.“ Alex wischt sich mit dem Arm über die Augen.

„Erzählt keinem, dass ich geheult hab, klar?!“

„Ne, Alter. Auf keinen Fall. Ist doch klar“, murmele ich.

Alex nimmt sich das Bandana vom Kopf, Benni zieht sich ein T-Shirt

über und wir gehen zurück in den Kneipenraum.

Hier ist alles schon wieder wesentlich ruhiger, als ich befürchtet hatte.

Als wir auf die Bühne kommen, werden wir kaum beachtet. Pit hat an

die Tafel in seinem Rücken ‘Punkrock-Special: Jägermeister 1€’

geschrieben, was die Gemüter wohl fürs Erste beruhigt hat.

Auch als wir unser Equipment aus dem Raum und ins Auto tragen,

werden wir weder von den Leuten, die an den Tischen sitzen, noch von

Pit besonders beachtet. Es gibt wenige flüchtige Blicke, die aber nie

lange an uns haften bleiben. Irgendwie scheint die Situation für beide

Seiten extrem unangenehm zu sein.

Die meisten hier hatten uns wahrscheinlich gar nichts böses gewollt, es

hatte nur einfach nicht gepasst. Die wollten Hits, wir hatten keine. Ein

Missverständnis durch schlechte Organisation und unzureichende

Absprachen. Dass das ganze so eskaliert war, lag an ein bis zwei

Vollidioten, die überreagiert hatten. Die Arschlöcher, die Alex beworfen und ihn angemacht hatten. Ohne die wäre es wahrscheinlich ein ganz

normales, wenn auch total beschissenes Konzert geworden. Sowohl wir

als auch das Publikum wären zwar enttäuscht, aber wenigstens

unverletzt ins Bett gegangen. Als wir unseren Kram zusammen haben,

setzen wir uns ins Auto, das auf dem Parkplatz vorm Pit‘s steht und

schweigen.

„Langsam gewöhn ich mich dran hier drin zu pennen! Zuhause in

meinem Bett kann ich bestimmt überhaupt nicht mehr einschlafen, viel

zu viel Platz!“, sage ich und Benni und Alex müssen kichern.

„Was isn das Gegenteil von Platzangst?! Demnächst bin ich hier so

angepasst, das ich Panik kriege, wenn ich meinen Arm mehr als zwei

Zentimeter bewegen kann!“

Jetzt müssen wir alle lachen.

„Halt die Fresse, Mark“, schmunzelt Benni, „ist bei dir alles klar, Alex?“

„Ja, alles klar. Danke, man.“

„Wofür?!“

„Dass du dem Wichser auf die Schnauze gehauen hast. Ich hätte

überhaupt nicht gewusst, was ich machen soll. Ich hatte echt Schiss.“

„Ist doch kein Ding, man. Echt nicht. Sind doch Freunde.“ „Stimmt. Trotzdem danke.“

„Hoffentlich kommt der Wichser nicht wieder! Wenn der echt so

aggressiv ist, wie der Pit meint?!“, sage ich.

„Scheiße, stimmt. Lass uns lieber mal fahren“, antwortet Benni und

startet den Motor.

„Wohin soll‘s denn gehen?“

„Keine Ahnung“, meine ich.

„Also ich finde...“, Alex dreht sich zu mir um, damit er uns beide im Blick

hat, „... ich finde, dass wir jetzt richtig einen saufen! Oder?! Und zwar

richtig. Nach dem ganzen Scheiß! Und wisst ihr was? Ich geb einen aus.

Heute gibt‘s nen Schnaps eurer Wahl.“

„Also keinen Nordhäuser!“, sage ich und Benni lacht.

„Von mir aus sogar etwas noch feineres als der gute Nordhäuser von

meiner Tante!“

„Das ist doch mal ein Wort!“, jubele ich, wenn auch weitestgehend

regungslos aufgrund meiner Platzverhältnisse.

„Alles klar, dann auf zur nächsten Tanke, will ich mal meinen!“, sagt

Benni und startet den Motor. 35. Beim Hirsch

„Jetzt hast du an zwei Tagen hintereinander jemandem die Schnauze

poliert! Nicht schlecht, Benni! Nicht schlecht.“

„Ja ist ja nicht so als wäre das jetzt der Plan gewesen.“

„Aber heute das war echt der Hammer. Ich dachte, ich seh nicht richtig!

Das Bild war total zerfleddert danach! Das war wie ne Ohrfeige, aber

halt mit nem dicken Holzrahmen!“

„Ja, aber er hätte Alex doch sonst eine gegeben! Oder?“

„Ja schon. Trotzdem hammerstark. Mit nem Bild!“

Schluck.

„Wieso eigentlich Che Guevara?!“

„Hm?“

„Auf dem Bild, da war doch Che Guevera!“, sage ich.

„Na hat doch gepasst, das war doch heute auch ein rebellischer Akt. Wir

können uns doch nicht alles gefallen lassen. Freiheitskampf im

Kleinformat.“

„Und der hat seine Ziele zur Not doch auch gewaltsam durchgesetzt,

oder?!“ „Ich glaube nicht, dass der seine politischen Gegner mit Bilderrahmen

verprügelt hat...“

„Vielleicht hatte er nie die Gelegenheit.“

„Stimmt. Außerdem wissen wir es nicht.“

„Genau, vielleicht hatte er ja so nen kranken, geheimen Folterkeller. Da

hatte er ne Auswahl an Portraits von Marx mit gemeinen kantigen

Stahlrahmen und hat ausgeteilt ohne Ende.“

„Stell dir das mal vor!“

Schluck.

„Also der war schon bekloppt soweit ich weiß. Ausschließen würde ich

das auf keinen Fall.“

„Ne, unmöglich ist das nicht.“

„Fandst du das eigentlich auch irgendwie geil dem eine zu zimmern,

Benni? Müssen wir uns Sorgen machen?!“

„Alter, ich hatte den totalen Schiss! Ich hatte Panik, dass der auf mich

los geht. Da hätte ich dann auch nicht gewusst was ich machen soll!“

„Na so hast du aber nicht ausgesehen!“

„Überhaupt nicht! Alter, du sahst aus wie ein beschissener Gladiator

oder so. Und wie du geguckt hast!“ „Du hattest ja sogar Kriegsbemalung!“

„Gabs früher bestimmt auch schon, dass die sich Schwänze auf den

Körper gemalt haben, wenn die in die Schlacht gezogen sind.“

„Wie jetzt?!“

„Ja klar. So als Symbol der Männlichkeit und so.“

„Das ist doch jetzt Scheiß!“

„Ne ehrlich! Haben die gemacht in manchen Kulturen! Früher hatten die

teilweise auch Bilder von Schwänzen auf ihren Schilden und so, damit

die Gegner direkt wussten, da kommt jetzt total der Hengst.“

„Woher willste das denn jetzt wissen?!“

„Ja ist halt so. Kann ich dir mal zeigen.“

„Also ich weiß da nichts von.“

„Ja im beschissenen Asterix & Obelix wirst du das auch nicht finden!“

„Ey! Asterix & Obelix ist ja wohl geil!“

„Ja klar. Aber trotzdem.“

Schluck.

An der Tanke hatten Benni und ich feierlich überlegt, was es denn nun

für ein Schnaps werden soll und uns am Ende für eine Literflasche

Absolut Vodka entschieden. Schmeckt zwar nicht wirklich geil, aber knallt wie bekloppt. Außerdem singt Nagel von Muff Potter da in einem

Lied von und ich liebe die Zeile. Irgendwas mit lustig und traurig

gleichzeitig, und dass das eigentlich gar nicht so schlimm sei. Und so

fühlt sich das grad an. Ich glaube zumindest, dass er ein ähnliches

Gefühl meint, genau wissen tut man das ja nie. Und besser als

Nordhäuser schmeckt sowieso so ziemlich alles. Sogar Vodka. Wir

legten Alex dann aber doch noch jeweils einen fünfer dabei, weil er uns

ein bisschen leid tat. Erstens weil er sowieso nie Kohle hatte und auch

weil er so verdammt bemitleidenswert aussah. Sein Kajal war von den

Tränen total verwischt worden und ihm über die Wangen bis zum Kinn

gelaufen. Kein Emo-Mädchen würde das so geil hinbekommen, egal wie

lange sie vorm Spiegel hängt.

„Wenns nicht so krass homo wäre, würd‘s echt fast gut aussehen, Alex!“

„Ach halt doch dein Maul.“

„Ne ehrlich, das sollte jetzt eigentlich so ne Art Kompliment werden.

Glaube ich.“

„Ist mir jetzt auch scheißegal. Ich wurde nach nicht mal zehn Minuten

Auftritt mit nem vollen Bierglas beworfen und mir wollte einer auf die Schnauze hauen. Da kann ich ruhig noch aussehen wie ein Mädchen,

das macht mir gar nichts mehr.“

Schluck.

Nachdem wir an der Tanke waren, hatten wir an einem Aussichtspunkt

geparkt, der etwas außerhalb der Stadt liegt und nun sitzen wir auf

einer Bank direkt zwischen Bennis Karre und einem Denkmal von

einem riesigen Hirsch und schauen auf die beleuchteten Häuser und

Straßen hinunter. Ich frage mich, was der Hirsch leisten musste, um

solch ein phänomenales Denkmal zu bekommen, aber obwohl ich es

irgendwie bescheuert finde, finde ich es auch schön. Warum ich das so

schön finde, kann ich rational nicht beantworten. Manchmal fühlen

fremde und neue Dinge sich einfach gut an und manchmal nicht. Und

der Hirsch und der Platz um mich rum fühlen sich gut an. Vielleicht

liegt das aber auch nur am Absolut. Das kann auch sein. Sehr

wahrscheinlich liegt es am Absolut.

Die Nacht ist angenehm warm. Wir haben nur T-Shirts an und frieren

trotzdem nicht. Benni hat diesmal keine Musik angemacht und auch die

Stille fühlt sich gut und richtig an. Alex hatte in seinem Koffer noch die

drei Pinnchen, die er für den Nordhäuser mitgebracht hatte und wir schenken uns immer wieder Vodka nach. Die Flasche ist schon halb

leer. Trotzdem fühle ich mich nicht aufgekratzt betrunken, sondern

eher angenehm benommen. Mein Kopf ist schwer, und der Schnaps

brennt sich warm durch meine Eingeweide.

„Ich weiß nicht, ob ich noch Bock auf morgen hab.“

„Hm?“

„Der Auftritt morgen“, sagt Benni, „ich weiß nicht ob ich da so Bock

drauf hab.“

„Weiß ich auch nicht.“

„Kann doch nur besser werden, oder?“

„Hab ich gestern auch gedacht. Und guck, was draus geworden ist.“

„Hm. Haste auch wieder Recht.“

„Kriegen wir da Geld?“

„Ne. Ist irgendwie eh alles ehrenamtlich und die nehmen Sonntag auch

keinen Eintritt.“

„Hm.“

„Ja aber wir können doch jetzt nicht abbrechen, oder? Ist doch auch

scheiße.“ „Ja ne, mein ich ja auch gar nicht. Ich sag nur, dass ich irgendwie nicht

so Bock hab.“

„Wir fahren da mal hin und dann wird das schon.“

„Wir müssen auch tanken.“

„Hm.“

„Ich glaub ich hab noch 20 Euro im Portemonnaie“, meine ich.

„Bei mir ist grad alles für den Vodka draufgegangen.“

„Ich hab noch...“, Benni kramt in seinen Taschen, „... ich hab noch 15

Euro. Das reicht. Das wird am Ende ein bisschen knapp, aber das reicht.“

„Schon doof.“

„Hm?“

„Ja, dass wir das selbst zahlen müssen.“

„Klar, schon. Aber ist halt oft so. Damit so ne Tour finanziell lohnt

musst du schon richtig groß sein. Die verdienen da alle nicht so viel.“

„Aber ich denke, die verdienen jetzt alle mit Auftritten, seit keiner mehr

die CDs kauft?“

„Hm. Ja schon. Aber viel ist das alles nicht. Wie gesagt, außer man ist so

richtig groß. Dann kriegt man ja auch von der Gema immer noch was

dazu.“ „Gema kapier ich sowieso nicht so richtig.“

„Ich auch nicht.“

Schluck.

„Schon beschissen.“

„Klar, total beschissen. Aber kann man nichts dran machen.“

Ich schütte Vodka nach.

Schluck.

„Irgendwie geiler als ich das in Erinnerung hab, das Zeug.“

„Hast du damit nicht das letzte Mal das ganze Klo in der Sternhütte voll

gekotzt?!“

„Hmh.“

„Kein Wunder, dass du das so scheiße in Erinnerung hast.“

„Hm.“

„Pass auf, dass du dir nicht noch in die eigene Karre kotzt.“

„Nene. Alles im Griff, alles super.“

„Außerdem würd‘s dadurch wohl kaum noch schlimmer riechen dadrin.“

„Mark, halt‘s Maul!“

„Ja, ist ja gut. Aber ist doch so.“

„Wo isn das morgen noch mal?“ „Karlstadt.“

„Karlstadt?!“

„Hmh.“

„Wo isn das?!“

„Weiß ich auch nicht so richtig. Irgendwo bei Würzburg.“

„Ach du scheiße. Das ist doch total weit oder nicht?!“

„Dachte ich auch, geht aber eigentlich. Navi sagt irgendwie drei

Stunden oder so. Ist fast nur Autobahn.“

„Hm. Ok.“

„Und wir sollen halt Folkmusik spielen.“

„Hä?!“

„Folkmusik haben die sich gewünscht. Neu interpretiert im

Metalgewand. Mit mehrstimmigem Gesang, möglichst hoch. Kriegst

auchn Mikro, Benni.“

„Alter, halt dein Maul, Alex!“

Ich muss lachen, die anderen steigen mit ein.

„Also viel schlimmer als heute geht‘s eigentlich echt nicht, von daher

mach ich mir da keine großen Sorgen. Ich glaub ich bin langsam

abgehärtet.“ „Das war ja heute auch von Anfang an beschissen“, meine ich, „der Pit

hat mir überhaupt nicht gefallen. Das war son richtiger Nazipunk.“

„Was isn jetzt ein Nazipunk?!“

„Ja halt so Typen wie der. Komplett im Punk-Dresscode. Allein schon

diese kack Militärjacke. Da könnte ich kotzen. So was verkaufen die in

den beschissen Punk Online Shops für 80 Euro! Das ist doch absurd.

Oder nicht?! Und alle sehen sie gleich aus wenn sie am scheiß Bahnhof

sitzen und saufen. Das ist ja bald strikter als in der Hitlerjugend! Wenn

du keine Nieten auf den Schultern hast bist du raus. Dann bist du nicht

cool genug, um Punk zu sein. Die rebellieren ja nicht mal. Die saufen

nur. Also die Kleinen. Und so Typen wie der Pit sind doch noch

schlimmer. Tun total liberal und weltoffen und sind in Wahrheit

intoleranter als die meisten beschissenen Dorfschützenvereine.

Und habt ihr das mit der Kohle gemerkt, wie garstig der war?! Der hätte

uns doch sowieso nichts gegeben, der wollte sich doch nur die scheiß

Taschen voll machen mit dem Eintritt. Und dann gegen die Kapitalisten

sein, weil die ja alles kaputt machen. Tut mir leid, das kann man doch

echt nicht mehr ernst nehmen. Oder?!“ Die anderen schauen weiter schweigend und mit leicht benebeltem

Blick runter ins Dorf.

„Also ich find das beschissen. Obwohl ich Punk ja eigentlich geil finde.

Also die Grundidee. Das ist einfach gedacht als ne Nische, für die man

nichts können muss und nichts haben brauch. So vom Grundkonzept.

Man sagt man ist Punk und dann ist man Punk. Und wenn jemand

kommt, der glaubt, dass er Macht über dich hat, weil er was besseres

ist, dann rebellierst du. Und dann gibt dir die Idee des Punk den Mut zu

sagen, dass du dich nicht ständig bücken brauchst. Und dass man nicht

vor jedem Arschloch gleich kriechen brauch, nur weil er älter, reicher

oder mächtiger ist als du. Das war ja auch mal anders. Aber dieses

Grundkonzept von Punk, das ja eigentlich ganz geil ist, wird von den

selbsternannten richtigen Punks ja komplett über den Haufen

geworfen. Ich meine, wenn du deinen Job als Bankkaufmann geil findest

und glücklich damit bist, weil auch deine Kollegen geil sind und so,

dann ist das doch geil. Aber deswegen bist du doch kein Spießer. Dann

kannst du immer noch mehr Punk sein als so ein Arschloch wie der Pit.

Du bist ja nicht automatisch Punk, nur weil du beschissene

Springerstiefel und nen Iro hast.“ Benni hat nachgeschüttet und wir kippen den Inhalt unserer Pinnchen

hinunter.

„Im Gegenteil, wenn du die beschissenen Punkstiefel gekauft hast, weil

Google sie dir vorgeschlagen hat, als du ‘Wie ziehe ich mich als Punk

an?’ gegoogelt hast, dann bist du kein Punk sondern ein Vollidiot. Und

wenn du dann im Park sitzt zwischen den ganzen anderen Vollidioten

mit ihren überteuerten, beschissenen Stiefeln und sagst Green Day

seien kein Punk mehr, weil die jetzt neuerdings in irgendwelchen

beschissenen Talkshows sitzen, dann bist du intolerant und stumpf

und bescheuert und populistisch. Und damit dann von der

Argumentationsstruktur her gar nicht mehr so weit entfernt von deinen

ausgewählten Erzfeinden, den beschissenen Neonazis. Die sind als

Gegner doch auch nur noch Vorwand um irgendwem schön auf die

Fresse hauen zu können, oder?! Das ist doch teilweise überhaupt nicht

mehr politisch. Da geht‘s mehr ums Prügeln als um die

Ausländerfeindlichkeit. Oder habt ihr heute in dem scheiß Laden auch

nur einen gesehen, der irgendwie ausländisch aussah?! Das ist doch

komisch, oder nicht? Wenn die ganzen Straßenpunks doch die geilsten

Kumpels von den Migranten sind und Tag und Nacht nur für die kämpfen, warum hab ich dann noch nie einen Punk gesehen, der mit

seinem indischen Kumpel abhängt? Hm?!“

„Keine Ahnung, man. Kann ja schon sein“, sagt Alex.

„Punk kannst du auch im Nadelstreifenanzug sein. Finde ich. Du musst

nur geil drauf sein. Das ist alles.“

„Kannst dich trotzdem wieder abregen, Mark“, murmelt Benni mit

mittlerweile geschlossenen Augen.

„Hm?“

„Irgendwie hast du schon recht. So auf der einen Seite. Auf der anderen

Seite sind Punks ja auch nicht alles Arschlöcher. Ich mein, so lange sie

doch damit glücklich sind. Und ist doch auch gut, dass es wen gibt, der

dafür sorgt, dass die Nazis hin und wieder aufs Maul kriegen. Ist ja

dann auch egal wie politisch die das meinen.“

„Ja ist ja auch ok. Find ich ja auch. Aber ich find halt Intoleranz so

scheiße. Und das einzige was schlimmer ist als Intoleranz, ist, wenn

einer so tut als wäre er total tolerant und ist in Wahrheit ein

verklemmtes Arschloch, das andere Lebensstile als seinen eigenen

grundsätzlich verurteilt. Da ist mir so ein Nazi-Opa echt lieber. Der

steht wenigstens dazu, dass er ein Arschloch ist.“ „So hab ich das noch nie gesehen“, meint Alex.

„Ja ist aber so, oder nicht?!“

„Keine Ahnung, Mark. Weiß ich echt nicht. Ich bin auch echt besoffen

mittlerweile, ich weiß schon gar nicht mehr was du jetzt alles genau

gesagt hast.“

„Ist ja auch nicht so schlimm. Meinte ich halt nur wegen Pit jetzt.“

„Ich glaub ich geh pennen“, sagt Benni und steht auf.

„Hmh.“

„Kannst auch deinen Schlafsack wieder haben“, grinst Alex.

„Ja geil. Jetzt wo 1000 Grad ist. Echt selbstlos.“

„Musste ja nicht nehmen.“

„Doch, gib mal lieber. Aber lass mich das kurz noch hinten alles mal

umstellen, so wie gestern kann ich unmöglich noch mal pennen.“

„Ich muss auch eh noch mal pissen“, sagt Alex.

„Aber piss nicht gegen den Hirsch.“

„Hä?“

„Piss mal nicht gegen den Hirsch.“

„Wieso das denn jetzt nicht?!“ „Wer weiß was der alles geschafft hat, dass der hier so en Denkmal

kriegt! Da pisst man doch nicht einfach gegen dann!“

„Du bist echt bescheuert, Mark.“

„Ja ich weiß.“ 36. Himmelbett und Fanta

„Alter, jetzt wach doch mal endlich auf!“

„Hä?!“

Alex rüttelt an mir.

„Boah, Alter! Hör mal auf so zu rütteln, fuck.“

Mir ist schlecht. Oh Gott. Mir ist so schlecht. Und mein Kopf. Tut weh.

Scheiße. Ich mache die Augen auf.

„Was ist denn das jetzt hier für ne scheiße.“

Ich liege nur knapp fünf Zentimeter unter dem Autodach. Alles dreht

sich leicht. Und es ist so beschissen heiss! Wieso ist das denn jetzt

schon so heiss?!?

„Komm, Alex. Wir müssen echt los langsam. Und so beschissen wie du

da liegst kann ich echt nicht fahren, da seh ich ja echt gar nichts mehr.“

„Alter... wie lieg ich denn überhaupt?!“

„Du hast dir das doch gestern noch umgestellt. Das du nicht im Sitzen

pennen musst. Fandest das gestern noch total die geile Idee.“

„Ist auch geil. Eigentlich. Scheiße, haben wir Wasser irgendwie?!“

„Ne, nicht wirklich. Aber hier ist nochn kleiner Schluck drin.“ Alex wedelt mit der Absolut-Flasche vor meinem Gesicht rum und

grinst.

„Alter, verpiss dich damit!“

„Ich hab auch noch Fanta von Freitag. Hab ich mitgehen lassen bevor

der Alte ausgerastet ist.“

„Fanta?! Das ist geil, gib mal bitte.“

Ich quäle mich aus dem Auto. Ich erinnere mich dunkel, dass ich Alex‘

Basscombo und meine Gitarrenbox quer auf die Rückbank gelegt und

mich darüber dann auf meinen Schlafsack gelegt hatte. Mir geht‘s zwar

relativ beschissen, aber im Vergleich zur Nacht gestern war das ein

richtiges Himmelbett.

Die Fanta ist warm, aber besser als gar nichts.

„Am Laacher See kommen wir nicht zufällig noch mal vorbei, oder?!“

„Kannste knicken. See gibt‘s heute nicht. Wir haben halb elf und spielen

schon um 15.30 Uhr! Navi sagt drei Stunden und ein paar Minuten, da

müssen wir echt durch fahren.“

„Und tanken.“

„Oh ja, dann hol ich mir ein geiles, kaltes Wasser.“

„Dann los.“ „Aber kann ich nicht erst mal fünf Minuten klar kommen?! Das dreht

sich hier grad alles noch, kein Mist.“

„Klar kommen kannste auf der Fahrt.“

„Und wenn mir schlecht wird?“

„Fenster auf.“

„Das Fenster hier hinten kann man nicht auf machen!“

„Dann behalt ja deinen Mund zu.“

„Scheiße.“ 37. Hippie-Festival

Im Laufe der Fahrt ging es mir zum Glück immer besser. Das Aufstehen

war echt ein Schock gewesen, aber jetzt war mir kaum noch schlecht.

An der Tanke hatte ich mir irgendein viel zu teures Wasser mit

irgendeinem künstlichen Geschmack und ganz viel Kohlensäure und

ein Brötchen geholt. Das Wasser tat echt gut. Das Brötchen nicht so

ganz, musste aber sein. Ich hatte das ganze Wochenende lang fast noch

nichts gegessen. Wir reden kaum und Bennis Radio spielt ’No Control’

von Bad Religion. Eine Original-Kassette, die Benni wohl mal auf

irgendeinem Flohmarkt aufgetrieben hatte. Wir hören sie auf der Fahrt

mindestens viermal komplett durch, was aber überhaupt nicht schlimm

ist. Draussen scheint die Sonne und auf der Autobahn ist kaum was los.

Schließlich ist es Sonntagmittag. Die Leute sind bei ihren Familien oder

in der Kirche. Nur wir nicht. Könnte ich mich dran gewöhnen.

Nach nur knapp drei Stunden kommen wir am Festivalgelände an.

Schon wieder ziemlich schön alles. Wer sagt eigentlich immer, dass

Deutschland so hässlich wäre?! Oder glaube ich nur, dass das immer

alle sagen? Eine Entdeckung macht mir aber besondere Freude, als Benni von dem

engen, ungepflasterten Weg in Richtung Bühne abbiegt:

„Alter, das isn Fluss, oder?!“

„Glaub schon!“

„Das ist ja der Hammer! Ein Fluss! Wie geil! Da spring ich rein, sofort!“

Ich hatte seit Freitagmittag nicht mehr geduscht und war echt im Eimer.

Das wichtigste ist Zähne putzen, aber so nach drei Tagen darf es auch

mal ein bisschen mehr sein.

Als wir aussteigen sehen wir eine Frau um die 30 auf uns zu kommen.

Sie hat ein weites Gewand an, ist barfuß und winkt uns schon von

weitem zu.

„Ach du scheiße, was ist das jetzt für ne Hippiebraut?!“, raunt Alex

während er ihr zurück winkt.

„Jetzt warte doch erst mal ab. Nur weil die barfuß ist, oder was?“

Alex zuckt mit den Schultern.

„Hallo Jungs! Schön, dass ihr da seid!“

Sie gibt uns der Reihe nach die Hand und scheint sich wirklich zu

freuen, dass wir da sind. Sie strahlt über das ganze Gesicht. „Ich bin die Johanna. Eigentlich ist hier ja Sonntags nichts mehr mit

Musik, aber grad heute passt das doch wirklich super. Bei dem schönen

Wetter!“

Sie schaut blinzelnd nach oben in den Himmel, stemmt die Arme in ihre

zierliche Hüfte und atmet tief ein.

„Ihr habt sicher Hunger, oder?! Wir haben jede Menge zu essen für

euch. Seht ihr hinten die Stände?“

Ich schaue an der kleinen, schwarz verkleideten Bühne vorbei über die

grüne Wiese.

Rechts von uns befindet sich eine riesige, knallbunte Hüpfburg auf der

ungefähr ein Dutzend Kinder herumspringen, links sitzen ein paar

rauchende Teenager und vereinzelt Familien auf Picknickdecken und

uns gegenüber sehe ich die drei weiß lackierten Stände, die Johanna

meint. Dahinter tut sich eine Art Hippie-Markt mit vielen verschiedenen

Ständen auf, um die sich Besucher tummeln, die das selbst

geschnitztes Holzspielzeug und die bunten Stoffe und Tücher

begutachten.

„Ja! Cool, alles klar.“ „Da gibt‘s echt jede Menge verschiedenes Zeug. Ihr geht einfach dahin

und sagt, dass ihr von der Band seid, das ist hier dann alles kein

Problem.“

„Ok, super.“

„Ähm, wegen dem Fluss. Kann man da reinspringen einfach? Geht das?!“

„Tu dir keinen Zwang an. Da bist du bestimmt nicht der erste dieses

Wochenende.“

„Super!“

„Ich muss jetzt noch mal los. Ich bin meistens da hinten in dem grauen

Zelt, da sitzen wir ganzen Organisatoren. Da gibt‘s auch Kaffee und so.

Wenn ihr mich sucht dann fragt einfach nach Johanna, wobei der Ingo

und die anderen euch sicher auch helfen können. Wir haben jetzt...

knapp zwei Uhr. Am besten geht ihr erst mal essen oder springt ins

Wasser und dann könnt ihr euch ja gegen drei mit Eddi treffen. Das ist

unser Techniker, der ist wahrscheinlich auch im Zelt. Viel habt ihr auch

glaub ich nicht zu tun, das meiste müsste da noch von gestern stehen.

Und dann fangt ihr einfach an wenn ihr Lust habt.“

„Super, danke.“

„Nichts zu danken, Jungs. Viel Spaß bei uns!“ „Danke!“

Mit wehendem Kostüm verschwindet Johanna wieder in Richtung des

Marktes.

„Die ist aber echt ein bisschen Öko, oder?!“

„Die war doch voll nett!“

„Ja, trotzdem.“

„Ich mach mir eher Sorgen wegen dem Publikum. Hier sind voll viel

Kinder und so, da passen wir doch überhaupt nicht rein!“

„Ja schon. Aber ist doch trotzdem geil. Draussen bei dem Wetter und

so?! Stell ich mir ganz geil vor.“

„Außerdem haben die hier Plastikbecher. Falls wieder einer wirft ist

keine Verletzungsgefahr!“

„Halts Maul, Benni.“

„Ja ist doch so! Außerdem gibt‘s hier bestimmt was geiles zu essen! Ich

hab total den Kohldampf!“

„Wetten die haben hier nur Tofu und so nen Scheiß?!“

„Ach, Alex. Jetzt sei mal nicht so negativ immer. Ist doch alles voll gut.

Und ich spring jetzt erst mal ins Wasser. Ich fühl mich nämlich ein bisschen wie mit Klebstoff eingeschmiert, mittlerweile ist das echt nicht

mehr schön.“

„Mit Klebstoff eingeschmiert?!“

„Ja, ich bin halt voll am stinken und alles.“

„Mit Klebstoff eingeschmiert hab ich auch noch nicht gehört.“

„Ja ihr wisst doch was ich meine.“

„Jetzt geh halt endlich ins Wasser und halt deine Schnauze. Wir gehen

schon mal und gucken bei dem Essen!“

„Alles klar! Bis gleich.“

Die zwei verschwinden in Richtung der Stände und ich gehe durch das

niedrige Gebüsch, das zwischen Festivalgelände und Fluss liegt, ziehe

mein T-Shirt, die Schuhe und meine Hose aus, wate ein paar Meter zur

Mitte des Flusses und springe dann mit meinen Boxershorts hinein.

Mit einem Schlag fallen der Schmutz, die Hitze und die leicht vor sich

hin grummelnden Kopfschmerzen von mir ab und ich versinke für eine

kurze Ewigkeit in der kalten Stille des Wassers. Als ich wieder auftauche

muss ich tief Luft holen. Während ich leichte, kreisende Bewegungen

mit meinen Armen mache um nicht unterzugehen, muss ich grinsen. Es

ist Sonntagmittag und ich bade in meinen Boxershorts in einem Fluss in Karlstadt bei Würzburg und kriege gleich an drei verschiedenen

Essensständen alles umsonst was ich will. Die Sonne scheint angenehm

auf meine nackten, nassen Schultern und außerdem spiele ich gleich

mit meiner Band einen Auftritt. Und keiner erwartet Hits. Hoffentlich.

Gar nicht so schlecht eigentlich. Oder?

Nein, gar nicht so schlecht. 38. Erdnuss-Dipp und Knoblauchsoße

„Und, ist geil?!“

Ich hab mich mit meinem alten T-Shirt abgetrocknet, mir frische

Klamotten angezogen und komme gerade zu den anderen, die vor den

Ständen sitzen und sich mit verschiedenstem köstlich aussehendem

Zeug voll stopfen. Ich hab es Johanna nachgemacht und bin nun auch

barfuß. Ich fühle mich pudelwohl.

„Total geil! Zieh dir das einfach mal rein hier, das ist der Wahnsinn. Das

hier sind so Chicken-Dinger mit so ner selbst gemachten Knoblauch-

Soße. Und davor hatte ich so Spieße. Ich weiß gar nicht genau was das

war. Auf jeden Fall paniert und mit so nem komischen Erdnuß-Dipp.

Das klingt jetzt vielleicht ein bisschen scheiße, aber das war auch total

lecker!“, sagt Benni.

Alex sitzt daneben und strahlt mich mit vollgestopftem Mund an.

„Das hört sich eigentlich überhaupt nicht scheiße an! Und sogar nicht

nur Tofu, obwohl das hier ja alles total die Öko-Freaks sind!“

Ich zwinkere Alex zu.

„Hab ich doch nur so gesagt, weil die so komische Sachen angehabt

hat. Brauchst du mir ja jetzt nicht ewig vorhalten, oder?“ „Ist ja nicht schlimm. Mein ja nur.“

„Nimmste mir noch ne Cola mit?!“

„Klar.“

„Danke.“

„Meinste eigentlich du musst heute wieder wem aufs Maul hauen?“

„Glaub ich nicht. Aber sag niemals nie. Wer weiß wer sich heute wieder

von deinem ekligen Gesicht provoziert fühlt und uns im Fluss

versenken will.“

„Halts Maul, Benni.“

„Denk an die Cola.“

„Jup, mach ich.“ 39. Eddie

Um kurz vor drei bin auch ich vollgestopft und wir schlendern zu

einem kleinen schwarzen Zelt, in dem wir den Tontechniker Eddie

vermuten. Der sitzt in der Ecke des Zeltes im Schatten, hat die Beine

hochgelegt und pafft gerade an einem ziemlich großen Joint.

„Na Jungs!“

„Hey! Eddie?!“

„Jawoll, stets zu euren Diensten.“

Er rappelt sich auf und gibt uns die Hand. Für seine kräftige Statur hat

er einen erstaunlich leichten Händedruck und ein verschmitztes,

jungenhaftes Grinsen in seinem bärtigen Gesicht.

„Alles klar bei euch?“

„Alles gut. Wir sind wegen dem Sound hier. Wir sollen gleich spielen.“

„Weiß ich doch, weiß ich doch. Das kriegen wir hin. Alles kein Problem.

Habt ihr denn Bock?“

„Hm?“

„Na ob ihr Bock habt!“

„Wie jetzt Bock?!“

„Na ob ihr Bock habt zu spielen!“ „Ähm. Eigentlich schon. Klar. Warum nicht?“

„Ich frag ja nur. Ist ja wichtig ob einer Bock hat oder nicht. Oder?“

Statt auf eine Antwort zu warten zwinkert er uns zu und dreht sich

Richtung Bühne.

„Ich hab da hinten eigentlich schon alles fertig. Der Sound von den

Mikros ist eingestellt und die Anlage ist ne ganz feine. Schlagzeug

haben wir auch da, das wolltet ihr ja soweit ich weiß auch benutzen,

dann fehlt eigentlich nur noch die Gitarrenbox. Bass könnt ihr was

eigenes nehmen oder meine kleine ’Sweet 16’. Das ist nur ne Combo,

aber die haben gestern auch ein paar andere Bands genommen, das

ging total klar. Ich zieh die dann ja auf der Anlage noch genug hoch.“

„Äh. Ja, ok. Geil. Dann holen wir die Box hoch und dann checken wir

noch mal kurz durch?“

„Genau so. Und kein Stress, Jungs! Heute ist Sonntag, wisst ihr ja.“

Er zwinkert uns wieder zu und bückt sich, um an seinem Schienbein zu

kratzen. Auch er ist barfuß.

„Mikros sind schon an. Wenn ihr so weit seid, gebt mir einfach ein

Zeichen.“

„Cool, danke!“ „Nichts zu danken, Jungs. Überhaupt nichts zu danken.“ 40. Ziemlich fertig, übermotiviert und unschuldig

Der Soundcheck verläuft wirklich stressfrei. Alles klingt von Anfang an

super. Der große Platz vor uns erstrahlt im hellen Sonnenschein, der

Himmel ist wolkenfrei und die Bühne steht so, dass wir nicht geblendet

werden und trotzdem in der Sonne spielen. Während Alex den Bass

checkt, ziehe ich mein T-Shirt aus und der Gitarrengurt reibt angenehm

auf meiner Schulter, die von einem leichten Wind gestreichelt wird. Ein

bisschen wie Urlaub. Auch die Bühne fühlt sich gut an unter meinen

nackten Füßen. Typischer Bühnenboden ist immer leicht flexibel und

aus ganz glattem Material, so dass man drauf herum springen und

rutschen kann, ohne dass es weh tut. Eigentlich mag ich Musiker nicht,

die barfuß auf die Bühne gehen. Ich finde das immer ein bisschen

pseudo-spirituell. Und mit diesem ‘Ich fühle die Musik und stehe mit

geschlossenen Augen auf der Bühne und spiele meinen

experimentellen Grunge-Rock während meine langen braun-gelockten

Haare, auf die die Mädchen so stehen, lässig in mein Gesicht fallen’

konnte ich nie was anfangen. Aber die unbeschwerte Laune von diesem

Festival steckte an. Und auch die Sonne fühlt sich richtig gut an auf

meiner aufgewärmten Haut. „Wollt ihr irgendwie noch ein Intro abspielen oder so? Ich hab da nichts

bekommen, oder?!“, fragt uns Eddie, der in seinem Zelt ein kleines

Mikrofon stehen hat, durch die Monitorboxen.

„Ne, haben wir nicht. Wir würden einfach so anfangen, glaub ich. Oder?“

Alex dreht sich unsicher zu uns um.

„Klar, fangen wir an! Ich bin heiß, man!“, grinst Benni und spielt einen

kurzen Wirbel auf seiner Snare-Drum. Auch ich nicke Alex zu.

„Ja, wir fangen einfach an“

„Sauber. Intros sind eh überbewertet. Ich mach euch jetzt nach außen

laut, Jungs. Viel Spaß!“

Ich sehe, wie Eddie sich hinter seinem Mischpult einen neuen Joint

anzündet und danach unsere Regler hochzieht. Was für ein geiler Typ,

denke ich, und drehe meine Gitarre auf.

Auch Alex dreht an seinem Bass und geht dann ans Mikro:

„Hallo Umsonst&Draussen-Festival in Karlstadt! Wir sind ziemlich fertig,

übermotiviert und vor allen Dingen unschuldig. Außerdem sind wir in

der nächsten Stunde eure Live-Unterhaltung!“

Während Alex redet, drehe ich meine Gitarre so auf den Rücken, dass

eine immer lauter werdende Rückkopplung aus den Boxen schwillt, deren Lautstärke ich gekonnt kontrolliere. Ich schaue zu Alex herüber.

Auch er hat sich vor dem Auftritt sein T-Shirt und die Schuhe

ausgezogen und wie er da steht, mit dem lilanen Bassgurt um den

türkisen Bass und der Sonne hinter sich, und wie er sich ein wenig zu

seinem tief stehenden Mikrofon bücken muss, in das er selbstbewusst

hinein brüllt, sieht er so sehr aus wie ein verdammter Rockstar, dass ich

eine Gänsehaut bekomme.

„Ich glaube Eddie hat uns ganz schön laut aufgedreht, also findet euch

besser schon mal mit uns ab, so leicht entkommt ihr uns nämlich nicht!

Der nächste Song heißt ‘Your brother breaks my leg if I break your

heart, so I will love you til death will tear us apart’. Viel Spaß damit!“

Noch während die versprenkelt auf dem Rasen sitzenden Teenager und

Familien zum Applaus ansetzen, startet Alex den Basslauf, der den

Song einleitet und ich sehe, dass Eddie mit verschränkten Armen hinter

seinem Mischpult steht und grinsend nickt. Auch ich muss grinsen und

starte mit einem Sprung in die krachende erste Strophe des Songs, bei

dem ich meine angewinkelten Beine so zu Seite hochziehe, wie ich es

von den tausenden Konzerten meiner vielen Vorbilder kenne, die ich mir zuhause in meinem kleinen Zimmer auf meinem kleinen Fernseher

angeschaut habe.

Ich mache mir keine Sorgen darüber, ob ich dabei scheiße aussehe oder

nicht. 41. Lina

Nach dem Auftritt sitze ich alleine am Flussufer und schaue übers

Wasser hinaus auf das malerische Dorf, das ruhig unter der nun etwas

tiefer stehenden Sonne liegt. Alex und Benni schlendern irgendwo

hinter mir über den Markt.

Wir hatten die Instrumente nach dem Auftritt auf der Bühne stehen

lassen und lagen uns dann erst ein mal lachend in den Armen. Dieses

Mal war alles unverkrampft gewesen. Niemand hatte Alex beworfen,

Benni musste niemandem die Fresse polieren. Ein paar Kinder waren

während dem Auftritt vor der Bühne herumgesprungen, die Teenies

hatten geklatscht und bei Alex bescheuerten Ansagen gelacht und

sogar von den Marktbesuchern waren einige stehen geblieben und

hatten uns von weitem, mit dem Kopf nickend, zugeschaut. Selbst ich

fand unsere Songs plötzlich richtig stark. So gut wie über Eddies

Anlage hatten sie noch nie geklungen, nicht mal unsere EP-Aufnahmen

waren so kräftig und sauber wie der Bühnensound von heute.

Die EP hatte zwar wieder niemand gekauft, aber das konnte unsere

gute Laune heute auch nicht mehr trüben. Sie war auch wirklich nicht

besonders gut. Das wussten wir selbst. Ich sitze mit über meinen angewinkelten Beinen verschränkten Armen

am Ufer und habe den Kopf auf den Armen abgestützt als ich hinter

mir etwas rascheln höre.

„Hey!“

„Hm?!“

Neben mir taucht ein Mädchen in einem rot-weiß kariertem

Sommerkleid auf. Sie hat blonde Haare, die sie zu einem Zopf

geflochten hat und strahlt mich mit kräftigen, grünen Augen an.

„Darf ich mich setzen?“

„Oh. Äh. Klar, setz dich.“

Sie zieht ihr Kleid gerade und setzt sich im Schneidersitz neben mich.

„Hat Spaß gemacht euch zuzugucken.“

„Dankeschön.“

„Gerne.“

„Ich... dich hab ich gar nicht gesehen. Oder?“

„Ne, das kann sein. Ich war ganz außen auf der Wiese. Da wo die Blumen

sind, siehst du?“

Sie zeigt in eine Richtung rechts hinter mir. Als ich in die Richtung

schauen will, in die sie zeigt, bleibt mein Blick an ihrem Gesicht hängen. Sie hat leichte Sommersprossen auf ihrer Nase und auf ihren Wangen

und ihre Augen haben ein so tiefes grün, wie ich es noch nie zuvor in

meinem Leben gesehen habe.

„Ahso. Hmh.“

Ich starre sie immer noch wie hypnotisiert an, als sie ihren Kopf wieder

zu mir zurück dreht. Erschrocken drehe ich mich zurück und blicke

leicht verschämt wieder auf den Fluss.

Ich höre sie neben mir kichern.

„Ich bin Lina.“

„Hey Lina!“

Ich drehe mich wieder zu ihr um. Sie grinst mich mit leichten Grübchen

in den Wangen an und senkt kurz den Blick bevor ihre grünen Augen

mich wieder ins Visier nehmen.

„Ich... ich bin Mark“, stammele ich unbeholfen.

„Schön, dich kennen zu lernen, Mark!“

Sie grinst wieder und ich höre mein Herz klopfen.

Ich weiß nicht, wie lange wir uns so anschauen. Wahrscheinlich sind es

nur ein oder zwei Sekunden, aber ich schrecke auf, als ich Alex ein paar

Meter hinter mir rufen höre: „Mark! Hey, Mark! Mach dich mal fertig, wir wollen los! Benni will nicht

im Dunkeln fahren, sonst pennt der uns noch ein, der dicke Spasti! Hast

du gehört? Mark?!“

Ich schaue zu ihm hoch und wieder zurück zu Lina. Sie wühlt in ihrer

Handtasche und holt einen Stift und einen kleinen Zettel hinaus.

Als sie kurz darauf aufsteht, gibt sie mir die Hand.

„Vielleicht sehen wir uns ja noch mal?“

„Äh. Ich. Ähm.“

Sie grinst.

„Machs gut, Mark.“

Dann geht sie vorsichtig durch das Gebüsch, hüpft leichtfüßig über das

letzte Stück hinweg und läuft über die Wiese zurück in Richtung des

Marktes.

„Tschüss... Lina“, murmele ich und schaue ihr hinterher während sie in

der Dämmerung verschwindet. EPILOG

„Zurück in die Zukunft“ 42. In Benni‘s Auto, drei Monate später

„Was machst du?“

„Hm?“

Ich halte den Zettel in der Hand, auf den mir Lina damals ihre Nummer

geschrieben hat und schaue gedankenverloren aus dem Fenster.

„Wodran denkst du?“

„Ach, nichts. Hab nur noch mal an die Tour gedacht.“

Benni grinst und auch ich muss schmunzeln.

„Haste eigentlich noch mal was gehört wegen dem Junkie? Oder wegen

diesem Mickie aus Laasphe?“, frage ich.

„Ne, gar nicht.“

„Hm.“

„Noch mal Glück gehabt.“

„Ja. Aber war ja Notwehr, von daher.“

„Hmh.“

Benni guckt auf den Zettel, mit dem ich auf meinem Schoß herumspiele.

„Kommt sie eigentlich nächste Woche?“

„Hm?“

„Lina. Kommt die Freitag?“ „Hmh.“

„Aufgeregt?“

„Wie am ersten Tag.“

„Hm. Schon krass, oder?“

„Was denn?“

„Naja, dass ihr zusammen seid. Wie lange ist das mit dem Zug?“

„Vier Stunden.“

„Krass.“

„Vielleicht, ja.“

„Meinste eigentlich, dass Alex wirklich mit Sarah mit geht?“

„Nach Wien?“

„Hmh.“

„Keine Ahnung. Aber mit Band wär‘s dann wohl vorbei.“

„Denk ich auch. Ich versteh echt nicht, wieso er so auf sie abfährt.“

„Tja. Ist halt seine Sache, denke ich.“

„Schon.“

„Und besonders rational hat Alex ja sowieso noch nie gehandelt.

Überleg mal, der hat uns die scheiß Tour doch damals an Land

gezogen!“ „Stimmt.“

Benni und ich müssen lachen.

„Der Spinner.“

„Hmh.“

„Aber weißte was Benni?“

„Wasn?“

„Ich find das geil.“

„Was findest du geil?“

„Na das mit der Band. Also, ich meine wenn das jetzt alles vorbei ist,

dann find ich das trotzdem geil so wie es gelaufen ist. Wegen dem

ganzen Scheiß, den wir erlebt haben und so. Stell dir mal vor wir wären

im Juni zuhause geblieben, weil wir die Idee mit der Tour scheiße

gefunden hätten. Ich wette, ich hätte von dem Wochenende keine

Erinnerung mehr.“

„Hmh. Stimmt.“

Ich muss grinsen und schaue schweigend auf die Landstraße, deren

Mittelstreifen im Scheinwerferlicht an uns vorbei rasen. Als ich merke,

dass Benni auch nichts mehr sagt, lehne ich meine Stirn wieder zurück

an die kalte Fensterscheibe und schließe die Augen.

„Music is not there to save the world, music is there to save your life.“
- Tony Parson

Danksagung

Ich bedanke mich von ganzem Herzen bei meiner Familie für ihre

Unterstützung. Außerdem bedanke ich mich bei meinen Freunden und

bei meiner Band, meiner Gruppe, meiner Gang.

Der Roman ist fiktiv, nicht autobiographisch. Nichts von Marks, Alex

und Bennis Erlebnissen habe ich genau so erlebt, wie sie es erlebt

haben. Aber fast alle Orte, die sie besuchen, alle Menschen, denen sie

begegnen und alle Gespräche, die sie führen, hätte ich ohne unseren

gemeinsamen Weg nicht fühlen, sehen oder erdenken können.

Auch wenn Mark und ich in vielen Dingen verschieden sind, so haben

wir doch eines ganz sicher gemeinsam: Wir sind beide stolz und froh

über den Weg, den wir gegangen sind und würden wohl alles genau so

wieder tun. Vielen Dank an André, Peter, Christian, Christoph und

Philipp. Und natürlich an Tim. Ganz schön verrückt, dass wir das alles

jetzt schon so lange durchziehen.

Außerdem bedanke ich mich bei Marc, dem alten Flaschenkürbis, der

dafür gesorgt hat, dass dieses Buch eine schönere Verpackung

bekommen hat, als ich es mir hätte erträumen können. Natürlich bedanke ich mich auch bei Dylus, Fabian, Köhler, Büde und

Nils. So was wie euch hat meine erdachte Band nicht. Und wenn meine

reale Band euch nicht hätte, wäre das ein fataler Verlust. Gut, dass es

euch gibt.

Weiteren Dank an die vielen Bands, die ich im Laufe der Jahre kennen

lernen durfte, die mich inspiriert haben und mir Anekdoten geliefert

haben. Das bedeutet nicht, dass ich euch für besonders erfolglos halte.

Und wenn doch, dann hat meine kleine Geschichte hoffentlich gezeigt,

dass es gar nicht so sehr darauf ankommt, dass man viele Platten oder

Tickets verkauft. Es zählt das, was in unseren Köpfen und in unseren

Herzen ist, so kitschig das auch klingen mag.

Und wenn man dann doch plötzlich viele Platten verkaufen sollte, ist

das natürlich auch nicht schlimm und ganz bestimmt kein Ausverkauf.

Because punk is where your heart is. Kontakt:

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ROAD TRIP // Die erfolgloseste Band der Welt geht auf Tour
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