ROAD TRIP

// Die erfolgloseste Band der Welt geht auf Tour // Ein Roman

Copyright © 2013 by David Conrad Umschlagsgestaltung: Marc Herling // Artcore Graphics Foto: David Conrad
Printed in Germany

Für Andreas Schneider.

Inhalt:

PROLOG // „Ein grauer August findet seine beschissene Krone“
1. Am Telefon
2. Benni
3. Cola
4. Ein Sturm zieht auf
5. Rock im Regen
6. Backstage
7. Heimweg
HAUPTTEIL // „Erinnerungen an einen Sommer ohne Erfolg“
8. Am Telefon, 3 Monate früher
9. Proberaum
10. Tour
11. Coconut Titts
12. Headliner
13. Emil Bulls
14. Zwei Wochen in Utero
15. Prinz ohne Schlafsack
16. Probe vs. Feeling
17. Willkommen auf Tour
18. Juz
19. Soundcheck
20. Kajal, Edding und Korn 21. In zehn Minuten
22. Im Abstellraum
23. Auftritt im Juz
24. Toni
25. Good Mourning
26. Wall of Fame
27. Baden
28. Laacher See
29. Pit
30. Techniker
31. In der Sitzecke
32. Nur mit Kondom
33. Auftritt im Pit‘s
34. Schönen Gruß und auf Wiedersehen
35. Beim Hirsch
36. Himmelbett und Fanta
37. Hippie-Festival
38. Erdnuss-Dipp und Knoblauchsoße
39. Eddie
40. Ziemlich fertig, übermotiviert und unschuldig
41. Lina
EPILOG // „Zurück in die Zukunft“

42. In Benni‘s Auto, drei Monate später „Mit ner Flasche Absolut sitz ich im Fotoautomat. Das ist lustig und traurig, genau wie ich es mag.“

- Muff Potter PROLOG
„Ein grauer August findet seine beschissene Krone“

1. Am Telefon

„Ja?“

„Hey.“

„Hey. Wasn los?“

„Ich... Ich kann den Gig heute nicht spielen.“

„Was?!“

„Ich kann den scheiß Gig heute nicht spielen, man!“

„Wie du kannst den Gig nicht spielen?!“

„Ich hab mir den Fuß gebrochen.“

„Wie, du hast dir den Fuß gebrochen?!“

„Ja ich hab mir halt den scheiß Fuß gebrochen, man...“

„Wie hast du dir denn den beschissenen Fuß gebrochen?!“

„Beim Aufstehen.“

„Beim Aufstehen?!?“

„Ja.“

„Wie kann man denn so behindert sein, dass man sich beim Aufstehen

den scheiß Fuß bricht?!“

„So was passiert! Meint der Arzt auch. Wenn man halt so richtig scheiße

auftritt. Ist so ein ganz feiner Riss wohl.“ „Und wieso willst du dann den scheiß Gig nicht spielen?“

„Wer sagt denn wollen?! Ich kann nicht! Hörst du mir überhaupt zu? Ich

hab mir den verdammten Fuß gebrochen! Tut übrigens beschissen weh,

danke der Nachfrage.“

„Ich versteh einfach nicht, was das mit dem scheiß Gig zu tun hat. Wenn

ich dabei bin, spielst du Gitarre nämlich immer mit deinen

beschissenen Händen und nicht mit deinem Fuß!“

„Und wenn mein Arzt das sieht, wie ich spiele?! Zwei Stunden nach dem

er mir gesagt hat , dass ich mal so locker vier bis sechs Wochen das

Bein hochlegen soll?!“

„Als ob dein scheiß Arzt zu unserem Gig kommen würde.“

„Und Zeitung?!“

„Willst du mich verarschen, Alter?! Wann warst du mal in der Zeitung?!?“

„Stimmt.“

„Also.“

„Ne, ich kann das nicht bringen, Alex. Das tut wirklich scheiß weh alles.

Ich kann nicht mal stehen. Ich hab Krücken und den ganzen Mist.“

„Ja dann sitzt du halt!“

„Sitzen?!“ „Ja, sitzen. Wieso nicht. Benni sitzt doch auch.“

„Benni ist ja auch ein verdammter Schlagzeuger. Ich sitz doch nicht,

man. Gitarristen sitzen nicht. Nicht mal Jazz-Gitarristen sitzen. Glaube

ich. Erst recht keine Rockgitarristen. Keiner sitzt da.“

„Die sind aber auch nicht zu beschissen doof um sich nicht die Beine zu

brechen wenn sie aufstehen!“

Touché.

„Nein, man. Absolut keinen Bock. Da käme ich mir dämlich vor. Und

wenn das dann mein Arzt doch noch irgendwie sieht... „

„Alter das kannst du mir unmöglich antun. Das ist Rock am Teich, man!

Das kann man nicht einfach so absagen. 2002 haben da die Donots

gespielt! Die waren nicht mal Headliner! Heute gehen die ab wie

bekloppt, Rock am Ring und alles. Willst du das nicht, oder wie?!“

„Ja doch. Aber nur weil die scheiß Donots da mal gespielt haben, heißt

das ja noch lange nicht, das danach auch nur irgendwas geht. Weißt du

wie viele kack belanglose Bands seit 2002 bei Rock am Teich gespielt

haben, für die sich keine Sau je interessiert hat?! Die Hälfte von denen

hat sich wahrscheinlich schon lange aufgelöst. Das ist echt mal kein

Argument!“ Stille.

„Willst du nicht mehr in der scheiß Band spielen oder was?“

„Hä?“

„Ob du keinen Bock mehr hast, sag doch einfach.“

„Das ist doch jetzt schon wieder Bullshit.“

„Kein Bullshit. Wenn du Bock hast, dann ziehst du das auch durch...“

„...Ich hab den Fuß...“

„... egal was kommt. Glaubst du den beschissenen Jupiter Jones ist

immer alles einfach so zugeflogen? Glaubst du, da war immer alles

einfach nur geil?! Wenn du jeden beschissenen Gig absagst, weil du

verdammt noch mal Dünnschiss hast, kannst du es gleich bleiben

lassen.“

„Ich hab aber keinen beschissenen Dünnschiss.“

„Und Campino?“

„Hä?“

„Ja, Campino halt! Wann hatte der den Fuß gebrochen, 2008?! Das war

dem so was von scheißegal. Stell dir mal vor, der hätte dann vor Rock

am Ring gesagt ‘Ne komm, lass mal stecken, das tut auch ein bisschen

weh und mein Arzt findet das auch nicht so geil...’, was dann, hm?! Irgendwie spontane Notlösung?! H-Blockx als Headliner oder so?! Die

Leute hätten gekotzt und Campino dafür gehasst. Aber er ist sogar

noch das scheiß Bühnengerüst hochgeklettert. Das ist 50 Meter hoch,

man!“

„Ja aber das ist doch auch total frisch alles bei mir. Ich mein, das ist

doch heute morgen erst passiert!“

Wieder Stille. Andere Stille. Alex hat aufgelegt. Ich fühle mich schlecht.

Wenn dir etwas so beschissen weh tut, hast du zu nichts Bock und

gleichzeitig Bock auf alles. Und du kannst gar nichts. Und im Prinzip

hat er ja Recht. Alles nur weil ich zu scheiße bin, um wie ein normaler

Mensch aufzustehen. Das Telefon. Wieder Alex.

„Mark?“

„Ja?“

„Hast du jetzt Bock in der verdammten Band zu spielen, oder was?!“

„Halts Maul, ja.“

„Benni holt dich um vier ab.“

„Ok.“

Scheiße. „Ich ruf auch noch mal beim Veranstalter an, ob die nen beschissenen

Stuhl für dich haben, ok?“

„Halt einfach dein Maul.“

„Bis gleich, ich freu mich!“

„Du kannst mich mal.“ 2. Benni

Um Punkt zwanzig nach vier steht Benni in seinem ekligen, alten

Mistauto vor der Tür und hupt. Ich kämpfe mich mit den Krücken vom

Tisch hoch an dem ich seit 25 Minuten sitze und meinen Gips anstarre.

Er hupt wieder. Und wieder. Als ich durch den Flur Richtung Tür hinke,

klingelt mein Handy. Krücken an die Wand, Gleichgewicht auf einem

Bein auspendeln, Handy in Hosentasche suchen. Es ist - Benni.

„Ja?!?“

„Ich steh vor der Tür.“

„Ich weiß!“

„Wie?!“

„Du hast bestimmt schon acht mal gehupt, du Arschloch. Gleich kommt

der Nazinachbar mit dem Knüppel und haut dich kaputt!“

„Ja wieso kommst du denn dann nicht?!“

„Ich komme doch. Ich brauch halt grad ein bisschen. Du müsstest eh

mal kurz hoch kommen und die Gitarren mit rausnehmen.“

„Bin ich dein beschissener Sklave, oder was?!“

„Ich hab mir den Fuß gebrochen, du Arschloch!“

„Wie?!“ „Hat Alex nichts gesagt?!“

„Ne. Wie willst du denn dann den Gig spielen?!“

„Halt einfach dein Maul und komm hoch.“

Ich lege auf. Draußen höre ich es ein weiteres Mal hupen. Ich verübele

es ihm nicht. Benni schafft es so gut wie nie, sich aus seiner Karre zu

hieven, ohne mindestens einmal mit seinem wirklich mächtigen Bauch

auf der Hupe zu landen.

Als er vor zwei Jahren von zuhause ausgezogen ist, hat er sich

‘Freedom’ in einem Halbkreis über den Bauchnabel tätowieren lassen.

Kein Witz. Alex und ich waren schockiert und hatten Mühe, unser

Unverständnis in die passenden Worte zu kleiden, als er uns seine

Neuanschaffung zum ersten Mal leicht verschüchtert aber auch mit

unverkennbarem Stolz präsentierte.

„Alter... du weißt schon, wie fett du bist, oder?!“

„Und du bist auch total blass.“

„Und das ist nichts persönliches jetzt, aber du bist halt auch nicht so

schön fett, sondern... „

„... eher so unförmig fett.“

„Ja. So schwabbelig.“ „Blass und ganz komisch fett. Und jetzt mit dem Tattoo noch drüber...“

„Weiß ich auch nicht, ob das jetzt jemand geil finden könnte.“

Seine Antwort war entwaffnend ehrlich:

„Aber ich dachte mir, wenn ich nackt eh schon total beschissen

aussehe, kann ich mir genauso gut was drüber tätowieren lassen!“

Damals akzeptierten wir diese einleuchtende Argumentation mit

zustimmenden Kopfnicken. Mittlerweile hat sein Tattoo Kultstatus

innerhalb der Band und es gab weit mehr als nur einen Auftritt von uns,

bei dem wir Bennis nacktem Bauch den einzigen Szenenapplaus des

Abends zu verdanken hatten. Der Auszug hat ihm wirklich gut getan.

Sein Vater hatte ihn schon immer gehasst wegen seiner Fettleibigkeit

und später wegen seiner ständigen stillen Rebellion gegen dessen

konservatives Weltbild. Benni war ruhig, aber nicht dumm. Er musste

nicht jedem sofort seine Meinung sagen.

„Na du fettes Schwein!“

„Halt‘s Maul, Mark. Wie geht‘s?!“

„Naja beschissen. Siehste ja.“

„Wie ist das passiert?!“

„Beim Aufstehen, total unglücklich.“ Lange Stille.

„Achso. Und wo sind die Gitarren?“

„Flur runter, links!“

Benni schnieft und stöhnt an mir vorbei. Die zehn Treppen vorm Haus

waren ihm eigentlich schon zu viel.

Anfangs haben Alex und ich uns immer furchtbare Sorgen gemacht,

dass Benni irgendwann zusammenklappt hinterm Schlagzeug. Aber

irgendwie funktioniert das für ihn. Er ist zwar schon zur Mitte des

ersten Songs meistens knallrot in der Fresse und geschwitzt wie ein

Schwein, aber irgendwie zieht er immer durch.

Klar, er ist nicht der beste Musiker, aber das sind wir alle nicht. Nie

gewesen. Daran soll es aber bestimmt nicht scheitern. 3. Cola

In Bennis Auto riecht es grundsätzlich nach McDonald‘s. Immer.

Hauptsächlich liegt das wohl daran, dass jahrelanger Essensverzehr

innerhalb des Autos sich einfach irgendwann festgesetzt hat, teilweise

sicher aber auch daran, dass man bis zu den Knien in McDonald‘s

Tüten und oft sogar Essensresten versinkt, wenn man das Auto

besteigt. Eigentlich erst mal nicht so der Grund zur Beschwerde. Es gibt

Sachen, die riechen schlimmer. Unbequem ist es aber grundsätzlich,

beim Schlagzeuger mitzufahren. Der hat nämlich immer das ganze

scheiß Auto voll mit Schlagzeug und für einen selbst bleibt kaum Platz.

Sänger müsste man sein. Einfach nur Sänger.

„Du musst die Gitarren irgendwie zwischen die Beine nehmen.“

„Beide?!“

„Sorry, hinten ist echt dicht.“

„Fuck. Das geht nicht. Weißt du wie scheiße weh das tut?! Das drückt

alles total. Das ist voll gequetscht.“

„Was soll ich denn machen, man?!“

„Fuck, ey. Dann tu wenigstens die eine Gitarre wieder hoch. Hilft ja

nichts.“ „Und pass im Fußraum ein bisschen auf, da müsste noch ne Cola von

mir stehen.“

„Ne Flasche?!“

„Ne.“

„Fuck.“

Benni wackelt wieder die Treppe hoch. Ich drücke irgendwie die Gitarre

zwischen meine Beine. Dabei verkanten sich die Krücken total

unglücklich, die Gitarre sackt runter und voll auf den Fuß. Als ich vor

Schmerz zurückzucke stoße ich gegen Bennis Cola-Becher. Ich höre,

wie der erste Schwall sich in den Fußraum ergießt, kann aber nichts

dagegen tun. Bin total eingeklemmt. Die Arme umschließen hilflos den

Gitarrenkoffer. Ist das ein beschissener Tag. Schon wieder.

Benni schwabbelt die Treppe runter und drückt sich hinters Lenkrad.

Ich schrecke hoch, als die Hupe aufschrillt.

„Sorry.“

„Wieso kann dein scheiß Auto hupen, wenn nicht mal der Motor läuft?!“

„Keine Ahnung. War wohl früher so.“

„Hm.“

„Hast du meine Cola gefunden?!“ „Ja.“

„Kannst du... ach scheiße, du Arschloch. Die liegt doch da quer!“

„Ach komm, das war doch eh schon alles total versifft.“

„Ich hab aber verdammten Durst, man.“

„Dann stell deine beschissene Cola nicht in den Fußraum wo sich ein

verdammter Krüppel hinsetzen muss!“

„Weiß ich ja nicht, dass du auf ein mal behindert bist.“

„Trotzdem. Da kann man auch mal nachdenken.“

Benni schaut mir in die Augen. Relativ lange.

„Halt die Fresse, Mark.“

„Halt einfach selbst die Fresse, ok?“

Als wir losfahren, muss ich grinsen. 4. Ein Sturm zieht auf

„Jetzt pisst das auch noch.“

„Ja geil, genau was wir brauchen bei nem Open Air.“

„Ist doch eh noch keiner da so früh.“

„Meinste?“

„Ne.“

„Wann spielen wir denn genau?“

„17.30 Uhr.“

„Schon?! Ach du Scheiße. Ich dachte um sieben?!“

„Ja, haben die verschoben. Hat irgendwas nicht gepasst.“

„Wie nicht gepasst?! Die können das doch nicht einfach so ändern!“

„Doch, können die.“

„Aber das steht doch im Vertrag oder nicht?! Die Spielzeit?!“

„Gibt keinen Vertrag. Hat Alex ohne gemacht. Der kennt ja da den

Andi.“

„Scheiße. Das wird ganz schön eng, oder?!“

„Wird schon.“

„Hm. Wie kommt eigentlich Alex?“

„Keine Ahnung. Hat er nicht gesagt.“ „Also mit Sarah?“

„Wahrscheinlich.“

„Oh man.“

„Tja.“

Mittlerweile regnete es so stark, dass es schwer war die Straße zu

erkennen. Bennis Scheibenwischer waren nicht die Besten, aber es lag

nicht nur daran. Es regnete wirklich heftig. Generell war es ein echt

grauer August gewesen, aber das hier setzte dem ganzen die

beschissene Krone auf.

„Halt‘s Maul ist das beschissen.“

„Da kannst du einen drauf lassen.“

Da ließ Benni dann auch wirklich einen drauf. Auch nicht schlimm. Roch

nur noch mehr nach McDonald‘s. Ich spürte, wie die süße Cola langsam

in meinen Gips sickerte.

„Wir sind fast da!“ 5. Rock im Regen

Als wir ankommen, bietet sich uns ein Anblick des Schreckens. Wir

hatten noch nie so richtig gute Auftritte gespielt, aber das hier sieht

wirklich mal komplett beschissen aus. Es stürmt. Der Rasen, auf dem

sich eigentlich die Festivalbesucher drängeln sollten, ist aufgeweicht

und leer. Eine einsame Hölle aus Schlamm und Erfolglosigkeit.

Auf der Bühne steht tatsächlich eine Band. Ich empfinde grundsätzlich

Mitleid für alle wenigen Bands, die in einem Festival-Line-Up vor uns

gelistet sind, aber heute ist es besonders schlimm.

Der Regen peitscht seitlich unter der Bühnenverkleidung her und dem

Sänger ins Gesicht, der die Augen zugekniffen hat und tapfer weiter zu

singen scheint. Niemand kann ihn hören, der Wind ist zu laut. Der

Tonmann hatte sich, genau wie die Securities und alle sonstigen Helfer

und Veranstalter, sowieso schon lange unter einen kleinen

einsturzgefährdeten Pavillon gequetscht, der sich bei genauerem

Hinsehen als Backstage-Bereich entpumpt.

„Ist das mal eine Scheiße“, stöhnt Benni. Er versucht so nah wie möglich an das Backstage-Zelt heranzufahren,

was nicht wirklich gelingt. Ungefähr 100 Meter entfernt fahren sich

seine Reifen in dem zähen Matsch der Wiese fest.

„Fuck.“

„Ja, aber hallo fuck.“

„Dann lass halt rennen.“

„Benni?“

„Ja?“

„Ich hab den verschissenen Fuß gebrochen, du Arschloch. Kann das mal

jemand ernst nehmen?!“

„Ich bin ja auch nicht so schnell. Zur Not kann ich halt die Gitarre

nehmen.“

„Und wer nimmt dann deine beschissenen Schlagzeugteile mit?! Die

ganze Karre ist voll!“

„Brauch ich eh alles nicht.“

„Wie?“

„Schlagzeug wird komplett gestellt. Hatte das nur noch alles im Auto,

war zu faul das noch rauszuräumen.“

„Benni?!“ „Ja?“

„Ich hasse dich.“

„Halt‘s Maul und gib mir die Gitarre.“

Unter nun kaum noch hörbarem Gehupe quetscht Benni sich aus dem

Auto, während ich vollkommen überfordert versuche die Krücken und

meine Beine irgendwie aus der Müllpresse zu ziehen, die wohl

irgendwann mal ein Fußraum gewesen sein muss.

Benni wackelt schon unbeholfen Richtung Zelt. Sein Hintern guckt ein

bisschen raus. Noch während ich deshalb leicht kichern muss, verliere

ich das Gleichgewicht und trete mit dem gebrochenen Fuß auf. Der

Schmerz schießt durch mich hindurch wie eine Flamme und ich sacke

auf die Knie. Alles ist voll mit Schlamm. Der Regen prasselt mir kalt auf

den Nacken. Ich habe nur ein T-Shirt an und beginne zu frieren. Ich bin

mir ziemlich sicher, dass ich in diesem Moment ein paar Tränen

vergieße, genau lässt sich das aber nicht sagen. Alles ist durchnässt. Ich

zwinge mich wieder hoch, stütze mich auf die Krücken und stolpere

unter Schmerzen Richtung Zelt. Was für eine Scheiße. 6. Backstage

Im Zelt werde ich von eisernem Schweigen empfangen. Alle sind

beschissen drauf. Es ist kalt. Zwei der sechs Bands sind gar nicht erst

gekommen. Wer will es ihnen verübeln. Aufgeweichte Plakate der Rock

Am Teich-Veranstaltungen des letzten Jahrzehnts hängen an den

Wänden.

Alex sitzt auf dem einzigen Tisch neben einem nicht angeschlossenen

Würstchenerhitzer und hält mir grinsend eine kalte Wurst hin:

„Na? Das is ma Punkrock hier, oder?!“

„Halt die Fresse, Alex. Das ist total der Beschiss hier.“

Ich schlage ihm das Würstchen aus der Hand, wobei ich fast schon

wieder das Gleichgewicht verliere.

„Du siehst echt scheiße aus. Blass und so. Was ist los, Marky?!“

Alex konnte wirklich ein Arschloch sein.

Neben mir entdeckt Benni das Würstchen und hebt es vom Boden auf:

„Ihr Arschlöcher, die haben doch hier sonst nichts mehr.“

„Nichts mehr?! Wir haben 17 Uhr!!“ Da drängelt sich ein verloren wirkender Junge mit langen, fettigen und

zum Pferdeschwanz gebundenen Haaren und leichter Akne zwischen

uns. Alex grinst und hält ihm die Hand hin:

„Hey, Andi! Alles klar?!“

Augenblick mal, Andi?!

„Du bist der beschissene Veranstalter?!“

„Ja.“

„Wie alt bist du, 15?!“

„Ich bin 18. Und du brauchst hier gar nicht so das Maul aufzureissen.“

„Wie das Maul aufzureissen?! Hast du mal rausgeguckt? Auf deinem

Festival sind grob null Leute!“

„Liegt wohl an den beschissenen Bands!“

Bei den letzten Worten wird er erheblich lauter. Seine Akne fängt leicht

an zu glühen und er starrt mir über die Ränder seiner Brille so tief in

die Augen, dass ich zu perplex bin um eine geeignete Antwort zu

finden.

„Ist eh scheissegal, Festival ist abgeblasen. Viel zu gefährlich sagt der

Techniker. Das kann da alles in die Luft gehen, so wie das da

reinregnet.“ Ich drehe mich zur Bühne um. Immer noch kreischt der Sänger der

ersten Band dem Aussehen nach zu urteilen mit voller Gewalt gegen

die Naturgewalten an, die ihm entgegenschlagen. Zu hören ist davon

nichts. Neben dem lauten Wind haben sich im Zelt mittlerweile auch

verschiedenste Gespräche zwischen Technikern, Securities und

Bühnenhelfern entwickelt, die sich größtenteils darum drehen, wie

beschissen hier alles organisiert sei und wie stark die diversen Festivals

des vergangenen Sommers ja gewesen waren.

Im Hintergrund höre ich Alex und Benni darüber streiten, ob Benni

Spritgeld für Hin- und Rückfahrt bekommen wird. Alex lässt ihn wissen,

dass er zwar kein Geld bekommen könne, da wir für den ausgefallenen

Gig wegen fehlendem Vertrag keine Kohle kriegen, er jedoch gerne sein

letztes Grafensteiner Pils mit ihm teilen könne. Sei auch gar nicht mehr

so warm. Mein Blick haftet jedoch weiter auf der Bühne.

Das Bild der beharrlich durchhaltenden Band, die Wind und Wetter

trotzt und bereit ist, auch ohne Publikum alles zu geben - war das nicht

Rock‘n‘Roll? Den Jungs ist es scheißegal, dass sich kein Schwein für

ihren Auftritt interessiert. Ist das nicht Leidenschaft?! Ist das nicht

überhaupt die Essenz von Musik - Leidenschaft? Und wenn die geizigen Veranstalter wieder nur kalte Würstchen anbieten oder die Securities

irgendwelche asozialen Hools sind, denen es scheißegal ist, ob sie grad

bei einem Konzert der Queens of the Stone Age arbeiten, im Puff oder

in der nächsten beschissenen Dorfdisko, weil an ihren blank polierten

Birnen eh alles vorbei geht - sollte man nicht einfach glücklich sein,

dass man seine Songs spielen darf? Dass man seine Gefühle, die

inneren Kämpfe, alles was sich im Alltag an Frustration aufbaut,

verstärkt durch 10.000 Watt in die Welt hinaus brüllen darf?!

Ich habe das Gefühl, dass sich mir die wahre Definition von Rock durch

den Anblick dieser ungezügelten Band von pubertären

Nachwuchsmusikern neu erschließt.

„Ach du scheiße!“

Ein Raunen geht durch das Zelt. Der Gitarrist der Band hatte im Refrain

zur wahrscheinlich schiefen Zweitstimme angesetzt, als es ihn erwischt.

Stromschlag. Kein Wunder, die Mikrofonkabel liegen jetzt seit über

einer halben Stunde teilweise komplett unter Wasser. Er fliegt satte 2

Meter zurück, knallt mit dem Rücken auf den Bühnenboden und bleibt

liegen. Der Rest der Band spielt noch knapp 30 Sekunden weiter, ohne

den Verlust zu bemerken. Erst als erste Helfer die Bühne stürmen um den Puls des Gitarristen zu fühlen, bemerken auch die anderen

Bandmitglieder, dass sie den Kampf gegen den Sturm verloren haben.

„Lass fahren, Mark. Das ist doch scheiße.“

Benni reicht mir die Krücken, die ich beim Knall des Stromschlags vor

Schreck fallen gelassen habe.

Wir verabschieden uns von Alex, der das Spektakel auf der Bühne

weiter beobachtet, und ich humpele zurück zu Bennis festgefahrener

Karre.

„Kannst du grad anschieben, Mark?“

„Alter?! ich hab den Fuß...“

„War nur ein Spaß, Alter. Der Wagen packt das schon, keine Sorge. Steig

ein.“

Im Wagen merke ich erst wie furchtbar ich mich fühle. Der Gips ist voll

mit Schlamm und von innen klebt die Cola an meinem Fuß, den ich

wahrscheinlich in vier bis sechs Wochen erst wieder waschen kann.

„Bock auf McDonald‘s aufm Rückweg?!“

„Fahr mich bitte einfach nach Hause, Benni. Mir geht‘s echt beschissen.“

„McDrive?“

„Lass mich bitte einfach zuhause raus. Ich muss echt pennen.“ „Hast doch noch gar nichts geschafft heute!“

„Doch. Hab mir den Fuß gebrochen. 7. Heimweg

Mittlerweile ist es richtig dunkel geworden. Der Regen ist weniger stark,

prasselt aber immer noch auf die Windschutzscheibe, hinter der man

die langgezogene Landstraße kaum noch erkennen kann. Aus Bennis

schrottigen Boxen tönt irgendwas ganz altes von Metallica. Benni ist

der einzige Mensch, den ich kenne, der echt noch Kassetten besitzt. Er

besitzt allerdings auch das einzige Auto, das ich kenne, das keinen CD-

Spieler besitzt. Aber wenn alte Metallica, dann im Auto von Kassette.

Sonst wirkt das nicht. Die Heizung, die glücklicherweise noch

funktioniert, bollert auf höchster Stufe und mir wird langsam wieder

warm. Bennie schweigt, wie fast immer wenn er Auto fährt, und ich

drücke meine Stirn an die kalte Fensterscheibe und starre nach

draußen in die Dunkelheit.

Klar, es war ein beschissener Tag. Wir haben nicht ein mal gespielt. Mir

tut alles weh. Und doch war der Moment ein besonderer.

Das Auto ist randvoll mit Equipment, wir hören Musik in schrecklicher

Tonqualität und alles stinkt nach Essen. Seltsam künstlichem Essen. So

was findest du sonst nirgends. Nur mit deinem Kumpel im Auto. On the

Road. Benni und ich sitzen nebeneinander und teilen ein Schweigen, dass

angenehmer ist als jede Konversation. Man mag das auf den ersten

Blick vielleicht gar nicht so wahr nehmen, aber wir teilen so viel.

Freundschaft, zusammengeschweißt durch die gemeinsame Sache.

Zusammengeschweißt durch die Musik.

Ein rasanter Trip auf dem dreckigen Pfad der Erfolglosigkeit. HAUPTTEIL

„Erinnerungen an einen Sommer ohne Erfolg“ 8. Am Telefon, 3 Monate früher

„Hä?!“

„Alter, biste wach?!“

„Hm...“

„Alter, werd mal wach, man!“

„Boah, was ist denn los, du Spasti?! Wir haben irgendwie... Was haben

wir? Halb 9?! Samstags! Bist du noch dicht, oder wie?!“

„Das kann nicht warten, man - das ist der Hammer!“

„Was denn?“

„Kann ich dir nicht sagen!“

„Hä?!“

„Ja kann ich dir so nicht sagen... !“

„Alter, fick dich doch einfach. Was soll die Scheiße?! Rufst du jetzt

Samstags mitten in der Nacht an, um mir nichts zu sagen?!“

„Ja, doch! Aber nicht am Telefon! Und nicht ohne Benni!“

„Alex? Du bist total das Arschloch. Sag einfach was los ist.“

„Ne, lass uns treffen!“

„Wie treffen?!“

„Ja treffen! Proberaum!“ „Wann denn?!“

„Jetzt am besten!“

„Du hast Drogen genommen, oder?“

„Ne! Alter, wirklich! Du weißt ja gar nicht was hier abgeht, echt jetzt!“

„Aber doch nicht jetzt. Ich will pennen.“

„Ok, Mark. Wann bist du wach?!“

„Hab ich doch keine Ahnung. Um 11?! Kann ich dich nicht einfach heute

Mittag anrufen?!“

„Ne. Lass uns um 12 am Proberaum treffen!“

„Um 12?!“

„Ja willst du den ganzen Tag pennen oder was?!“

„Schlecht wär‘s nicht... und Benni?!“

„Den ruf ich an. 12 Uhr am Proberaum! Das packst du. Benni holt dich!“

„Weiß Benni da schon von?“

„Noch nicht. Bis gleich! Du wirst umkippen, Alter!“

„Lass mich einfach pennen, Alex. Bitte.“ 9. Proberaum

Als wir am Proberaum ankommen, winkt Alex uns schon vom Eingang

her zu. Wir proben im Keller eines leerstehenden Hauses, das in einem

leerstehenden Dorf nicht weit von uns steht. Hier können wir

niemanden stören. Wahrscheinlich könnte man in diesem Dorf

stundenlang nackt über den Marktplatz rennen und dabei „Heil Satan!“

brüllen bis man vor Heiserkeit keinen Ton mehr raus kriegt, es würde

niemanden jucken. Die Leute, die hier noch leben, sind innen schon tot.

Das Haus hat eine raue und seltsam blasse, braune Fassade. Wilder

Efeu klettert die Wände hinauf und in den oberen Geschossen durch die

zerbrochenen Fensterscheiben hinein in die seit Jahren leerstehenden

Räume. Dass wir im Keller Strom haben ist ein Wunder. Das Haus

gehört Alex Tante. Sie würde es verkaufen, wenn sie könnte, aber hier

kauft niemand. Jedes zweite Haus steht leer, nicht zuletzt weil ständig

irgendwer stirbt. Nachfrage und Angebot im fatalen Ungleichgewicht.

Alex sitzt auf der rissigen Treppe zur Tür und grinst über beide Ohren.

In der Hand hält er eine Flasche Astra Rotlicht.

„Na, Jungs!“

„Hey, Alex.“ „Freut ihr euch?“

„Wir wissen ja nicht worauf.“ brummele ich und Benni ergänzt:

„Wenn das jetzt irgendeine Scheiße ist, trete ich dir in die Fresse, Alex!

Kein Witz.“

Alex dreht sich um und winkt uns hinter sich her in das dunkle

Treppenhaus in Richtung Keller. Als er im Proberaum auf den

Lichtschalter drückt, flackert gelbliches Licht auf und beleuchtet die

vereinzelten hier zusammengetragenen Poster von Less Than Jake, den

Foo Fighters und Billy Talent, für die damals in den Kinderzimmern kein

Platz mehr gewesen war. Gegenüber der Tür hängt eine Dartscheibe,

die niemand benutzt, darunter steht ein Fernseher, der nicht

funktioniert. Drumherum ein Meer von unterschiedlichstem Leergut.

Links davon unser dürftiges Equipment, rechts unsere Sitzecke,

bestehend aus einem Sofa und zwei Sesseln. Allesamt im Stil der frühen

60er und übersät mit größeren und kleineren Brandflecken. Alex wirft

sich in einen der Sessel und fischt zwei weitere Flaschen aus einer

neben dem Sessel stehenden Kiste.

„Setzt euch!“ Wir setzen uns und schauen ihn an. Er grinst noch immer, öffnet unsere

Flaschen und schiebt sie über den Tisch zwischen uns hinüber, vorbei

an mehreren leeren Kippenschachteln und weiterem undefinierbarem

Müll.

„Prost!“

„Was ist los, Alex? Echt jetzt.“

„Jetzt proste doch erst mal wenn ich Prost sage, ich sag‘s euch doch

gleich!“

„Jetzt tu nicht so als hättest du voll die Sensation am Start, das ist doch

total lächerlich.“

„Jetzt halt doch erst mal dein Maul, Mark! Verdammt noch mal ihr seid

echt Arschlöcher, ich will das doch nur genügend zelebrieren hier!“

Wir prosten ihm wiederwillig zu. Das Bier ist warm. Es ist viel zu früh für

warmes Bier. Ich muss mich schütteln.

„Also, Alex,“ sagt Benni, „was geht?“

Alex steht auf, springt auf seinen Sessel und breitet seine schlanken,

fast sehnigen Arme über uns aus. Wie ein Jesus für Asoziale.

„Benni? Mark?“ Alex setzt zu einer theatralischen Pause an, die Benni wirsch

unterbricht:

„Alter... !“

Alex schaut ihn kurz gespielt mürrisch an, hebt dann seinen Blick

Richtung Zimmerdecke, an der, wie im restlichen Proberaum auch,

undefinierbare Flecken prangen, und eröffnet mit jeglichem ihm

möglichen Pathos:

„Wir gehen...“

Kunstpause.

„Alter, ich geh gleich nach Hause, Alex. Und vorher hau ich dir die

Fresse ein!“

„... AUF TOUR!“ 10. Tour

„Hä? Wie, auf Tour?!“

„Ja, wir gehen auf Tour, man!“

„Mit der Band?“

„Ja womit denn bitte sonst?!“

„Mit unserer Band?“

„Alter, bist du doof? Klar, mit unserer Band! Ist das ein Hammer, oder

was?!“

„Ich check‘s wirklich nicht, Alex“, sagt Benni während er die Bierflasche

gedankenverloren zwischen seinen wurstigen Fingern hin- und her

reibt. „Ich meine... uns kennt doch gar keiner! Wir haben in den letzten

zwei Jahren Original fünf Auftritte gehabt! Vier davon in der Sternhütte.

Und das war echt scheiße. Ob das Ding bei Karl aufm Geburtstag

überhaupt als Auftritt zählt, kann ich grad gar nicht sagen!“

„Ja und?! Jede Band hat mal klein angefangen. Papa Roach wollte 10

Jahre lang keiner mit dem Arsch angucken, dann ein Hit und Boom. Nur

noch auf Tour. Der Sänger ist außerdem gar nicht mehr fett.“

„Was hat das denn jetzt auf einmal mit fett sein zu tun?!“, entrüstet sich

Benni. „Gar nichts“ beruhigt ihn Alex. „Ich mein ja nur, ein mal ist immer das

erste Mal, ist doch ganz normal!“

„Ja aber wir haben doch auch noch überhaupt gar keine Platten

verkauft, wer ist denn so im Hirn kaputt, dass er uns freiwillig bucht?!

Wir haben eine EP bis jetzt. Die hat keiner gekauft! Zehn Leute

vielleicht. Nicht mal unsere Kumpels fanden das so richtig geil!“,

beanstande ich.

„Ja aber deshalb geht man doch auf Tour! Damit einen die Leute

kennen lernen. Wenn einen keiner kennt kann man auch keine Platten

verkaufen, das geht ja wohl auf, oder nicht?!“

„Da hat er Recht“, brummelt Benni.

„Trotzdem“, entgegne ich wiederwillig. „Wann soll das denn überhaupt

sein? Und wo?!“

„17-19 Juni.“

Alex hört gar nicht mehr auf zu grinsen und nippt an seinem zweiten

Bier.

„Juni?! Das ist... in zwei Wochen!“

„Ja! Geil, oder?!“ „Geht so. Haben wir überhaupt genug Songs?! Außerdem weiß ich gar

nicht ob ich da kann. Das ist doch total beschissen, Alex. Warum muss

die Kacke denn so spontan sein?!“

„Ich wollte euch überraschen! Und vorher musste ich das alles dingfest

machen.“

„Und wenn wir nicht können?!“

„Alter,“ Alex zieht die Augenbrauen hoch, setzt sich endlich wieder hin

und schaut Benni nach vorne gelehnt in die Augen, „wann hast du das

letzte Mal am Wochenende was gemacht außer hier im scheiß Bunker

gehockt und mit uns gesoffen?“

„Stimmt schon. Aber trotzdem, du kannst echt mal fragen.“

„Aber so ist doch viel geiler! Komm, da trinken wir jetzt eins drauf.“

Alex lässt seine leere Flasche unter lautem Scheppern in die Kiste

zurückfallen und holt drei neue hinaus. Ich hab immer noch keine

Ahnung, was die ganze Aktion zu bedeuten hat, aber in meinem Magen

breitet sich ein Kribbeln aus, das sich gut anfühlt. Wahrscheinlich ist es

rational gesehen keine gute Idee mit einer eher bescheiden guten Band

auf Tour zu gehen, die in ihrer Karriere bisher ungefähr zehn EPs

verkauft hat. Auf der anderen Seite hatte Alex aber Recht. Ich hab ewig nichts mehr erlebt am Wochenende. Die Sternhütte ist total asozial

geworden. Da gehen immer noch viele hin, die ich kenne, aber es

passiert nichts mehr. Nicht, dass ich glaube, dort sei früher viel mehr

passiert, aber früher war es wenigstens noch spannend. Alkohol war ein

neuer aufregender Freund, der einen am Wochenende an der Hand

genommen und in eine andere, aufregende Parallelwelt geführt hat.

Dort war alles bunt, aufregend, laut und schnell. Alles was es bei uns in

der Gegend normal nicht gab. Aber wie jede andere Bekanntschaft auch

wurde der anfangs aufregende Freund Alkohol mit der Zeit immer

langweiliger. Nicht, dass man ihn nicht mehr mochte, man verstand

sich immer noch gut und hing ja auch immer wieder mit ihm ab, aber

das aufregende und unberechenbare war irgendwann

unwiederbringlich fort und würde, im Gegensatz zu den ständig

wiederkehrenden wohligen Erinnerungen an die gemeinsame

Anfangszeit, nicht mehr wiederkommen. Viele der Leute, die noch

immer wöchentlich in der Sternhütte abhängen, scheinen das aber zu

verdrängen. Sie verdrängen sowieso fast alles. Dass sie in einer

beschissenen Gemeinde leben, in der alles immer grauer und fader

wird. Dass jeder schon mal mit jedem was hatte, so dass es mit der Zeit immer ekelhafter wurde. Und dass die umliegenden Dörfer zusammen

mit ihren elenden Einwohnern aussterben, ohne dass irgendjemand um

sie trauert.

Deshalb gehe ich nicht mehr in die Sternhütte.

Und Alternativen gibt es keine. Also hängen wir ständig im Proberaum

ab. Eigentlich jedes Wochenende. Manchmal Freitags, Samstags und

Sonntags. Das heißt nicht unbedingt, dass wir dort auch proben.

Meistens lungern wir dort einfach herum, hören Musik und unterhalten

uns über Musik. Neuerdings auch ab und zu übers älter werden. Aber

meistens über Musik. Dabei betrinken wir uns. Wenn Benni noch fahren

kann, fährt er mich nach Hause. Wenn nicht, fährt er meistens trotzdem.

Und sonst pennen wir einfach dort. Warum also nicht auf Tour gehen?!

Scheißegal, ob uns irgendjemand sehen will! Die Hauptsache ist doch,

dass wir aus unserem scheiß Loch rauskommen! Ob es den Leuten da

draußen gefällt oder nicht.

Wenn Alex mit so einer Scheiße um die Ecke kommt, soll das an mir

nicht scheitern. 11. Coconut Titts

„Wo denn überhaupt?“

„Hm?“

„Ja, wo wir spielen!?“

Wieder grinsend holt Alex einen zerknitterten Zettel aus der Tasche.

„Freitag geht‘s in die Eifel.“

„In die Eifel?!“

„Ganz genau, Benni. Da spielen wir im Jugendzentrum in Wittlich.“

„Ok... und was ist das da?“

„Richtig geiles Konzert, man! Headliner sind die Coconut Titts.“

„Was ist das denn bitte für ein scheiß Name jetzt? Denkst du dir die

Scheiße grad aus, oder was?!“

„Ne, man. Das ist echt so.“

„Das ist der beschissenste Name, den ich je gehört hab. Echt jetzt.“

„Ach halt doch mal deine Fresse, Mark. Was bist du denn so scheiß

negativ die ganze Zeit? Ist doch geil! Das sind total die Lokalmatadoren

da hat der Veranstalter gesagt! Da kommen bestimmt 200 Leute oder

so!“

„Ok...“ „Außerdem, Itchy Poopzkid ist auch total der beschissene Name und

die hörst du dir doch auch an, oder nicht?!“

„Ja schon, aber die sind wenigstens bekannt.“

„Die Coconut Titts doch auch! Ich hab mir das mal angeguckt, die

haben mehr als 1000 Klicks bei Facebook!“

„Das klingt wirklich ok. Und wir sind dann Vorband, oder was?“

„Eher Vorvorband. Das Konzert war ja schon gebucht eigentlich. Aber

ich hab halt trotzdem mal angerufen und gefragt ob da was gehen

würde. Da meinte der Veranstalter, das würde schon irgendwie passen.

Wir spielen dann halt schon gegen halb 8.“

„Und Kohle?“

„Hm. Nicht so richtig.“

„Wie, nicht so richtig?“

„Also wenn‘s gut läuft kriegen wir halt Spritkohle. Kann er aber nicht

versprechen. Aber Freibier gibt‘s, hat er gesagt. Und pennen können wir

Backstage, wenn wir wollen.“

„Können wir nicht auch einfach nach Hause fahren? So weit ist das doch

gar nicht.“ „Alter! Wir gehen auf Tour! Da pennt man doch nicht zuhause, dann ist

das doch überhaupt kein Feeling!“

„Ja, stimmt.“

„Außerdem kostet das ja auch alles Sprit“, meint Benni.

„Ja, hört sich eigentlich gar nicht so schlecht an, Alex. Wenn da echt so

viele Leute sind, könnte das ne coole Sache werden. Und Bier umsonst

ist auch geil. So viel wir wollen?“

„Hab ich nicht gefragt, glaub aber schon.“

„Und wer ist die dritte Band?“

„Hab ich vergessen. Irgendwas mit Project und dann ne Zahl. 54? 53?

Irgendwie so was.“

„Hab ich glaub ich sogar mal von gehört!“

„Na siehste!“

Ich trinke einen tiefen Schluck aus meiner Flasche. Der Plan gefällt mir

immer besser. Auf Tour mit meiner Band. Davon habe ich oft geträumt.

Meistens habe ich mir dafür vorgestellt, in einer Band zu spielen, die

besser ist als unsere. Und die Maßstäbe waren ungleich größer als das

Jugendzentrum in Wittlich. Aber vom Prinzip her ist es doch egal. Tour

ist Tour. On the Road sein. Mit seiner Gang, der Band. Keiner weiß, was als nächstes passiert. Niemand weiß, wen man kennen lernen wird.

Läuft der Gig gut oder schlecht? Kommen Leute?! Finden die uns gut?!

Alles aufregender als in der Heimat zu sitzen. Mit denselben Leuten wie

immer. Außerdem gibt es Bier umsonst. Und das ist echt mal ein

Argument. Außerdem die Chance, Mädchen kennen zu lernen. Alleine

bei dem Gedanken hüpft mein Herz. Hier bei uns gibt es natürlich auch

ein paar hübsche Mädchen, aber die kenne ich fast alle zu gut um sie

mögen zu können. Und bei den meisten habe ich schon die ein oder

andere Beziehung oder Affäre scheitern sehen, das macht auch nicht

unbedingt Lust auf mehr. Und dann das Dorfgeschwätz. Eine der

traurigsten Traditionen dörflicher Gemeinschaft. Hinter jedem Rücken

wird geredet. Auf der anderen Seite will ich es ihnen auch nicht

verübeln. Es gibt ja sonst nichts. Auf Tour ist das anders. Wenn jemand

über dich und über das, was du getan haben könntest, redet, dann am

nächsten Tag. Und da bist du schon in der nächsten Stadt. Und lernst

neue Leute kennen. Heute hier, morgen dort. Bin kaum da muss ich fort.

Ich will auch so leben. Und Alex öffnet mir scheinbar eine Tür in diese

Welt, die ich nur aus den Tour-Dokumentationen meiner

Lieblingsbands kenne. „Danke, Alex.“

„Hm?“

„Danke. Find ich geil, dass du dich kümmerst!“

„Achso!“, Alex strahlt, „Kein Ding, man.“ 12. Headliner

„Was‘n dann?“, fragt Benni.

„Hm?!“

„Was ist Samstag und Sonntag?! Oder sind das zwei Day-Offs, bevor es

wieder nach Hause geht?“

Ich muss grinsen.

„Nein, man! Kommt ja alles noch geiler! Samstag - haltet euch fest - sind

wir Headliner!“

„Wie, Headliner?“

„Na Headliner! Wir sind am Samstag einfach die Band des Abends!“

„Wie jetzt?“

„Wir sind halt einfach die einzige Band.“

„Und wie kommt das, bitte?“

„Naja ich fand das halt so geil, dass das mit dem Gig am Freitag

hingehauen hat, da hab ich mich hingesetzt und mal gecheckt was es

sonst so gibt im Umkreis von 200 Kilometern. Also Konzerte, Festivals

und so. Aber auch einfach Musikkneipen. Und da war eine dabei, das ist

anscheinend total die Punkrock-Kneipe! Und der Typ meinte sofort

Konzerte wären immer geil. Und dann hat der uns für Samstag gebucht! Zwei Kisten Bier im Backstage und 100€ obendrauf! Ist das geil? Da ist

der Sprit für‘s Wochenende quasi schon gedeckt!“

„Aber der kennt uns doch gar nicht?“

„Ja er hat halt gefragt, was wir machen, und das hat ihm dann gereicht!“

„Und was hast du ihm gesagt, was wir machen?“

„Ja, Punkrock halt!“

„Aber... keine Ahnung. Wenn das jetzt total der Punk ist?! Ich mein. Wir

sind ja keine Punks oder so. Und wenn dann da alle nen Iro haben und

Sicherheitsnadeln in der Backe?! Dann ist aber kacke.“

„Das ist doch scheiß jetzt. So Punks gibt‘s da nicht. Und wenn schon. Ich

mein, solange das laut genug ist, finden die das dann doch bestimmt

auch geil.“

„Weiß nicht. Die meisten Punks sind doch voll die Nazis.“

„Hä?“

„Ist egal. Klingt ja auch geil eigentlich. Und 100€ ist ne Menge Kohle.

Aber müssen wir die ganze Scheiße da dann selbst aufbauen, oder

was?“

„Ne. Ich meinte halt wir haben nicht viel Platz im Auto. Und er hat wohl

ein Schlagzeug da. Das ist wohl nicht so geil, aber wird schon funktionieren. Und er hat auch ne Anlage. Er meint, er wollte sich schon

lange ne neue besorgen, aber die alte würd‘s wohl auch noch tun.“

„Und schlechter als unsere wird sie kaum sein.“

„Genau.“

„Und mit welchem scheiß Auto willst du fahren?!“, fragt Benni. Alex

guckt ihn lange an.

„Ach Scheiße, Alex.“

„Was denn, du bist halt der einzige, der ne Karre hat!“

„Ja aber das ist doch kacke, wenn ihr immer davon ausgeht, dass das

einfach funktioniert mit meiner Karre. Weißt du wie viel die runter hat?!

Und wenn da dann noch unser ganzer Scheiß rein kommt... die hängt

doch dann total durch!“

„Willst du ne Karre mieten, oder was?! Klar ist das scheiße, aber geht

halt nicht anders.“

„Ist ja auch ok. Ich mein nur. Nächstes Mal kannst du echt mal fragen.“

„Wir haben aber nur acht Songs...“

„Hm?!“ „Na wir haben doch nur acht Songs, Alex! Hast du ihm das gesagt?! Ich

meine... wenn wir die einzige Band sind, ist das doch ein bisschen

knapp, oder?!“

„Keine Ahnung. Ihm war das irgendwie scheißegal. Er meinte halt, wir

sollen nachmittags kommen, den Krempel aufbauen und zocken. Mehr

war da eigentlich nicht.“

Lange Stille. Dann Benni:

„Ja ist doch total geil!“

Alex grinst wieder. 13. Emil Bulls

„Und Sonntag?“, meint Benni.

„Genau, was soll denn bitte an nem Sonntag gehen?!“

„Dafür müsst ihr euch jetzt aber noch mal ganz neu anschnallen!“, freut

sich Alex, „Bierchen?“

„Klar!“

Mittlerweile ist mir die Uhrzeit egal. Das hier ist aufregend, schön und

neu. Und wenn irgendetwas aufregend, schön und neu ist, dann ist ein

gewisser Alkoholpegel ein guter Freund. Weil dann alles noch viel

aufregender wird. Alex reicht uns zwei Bier rüber. Euphorisiert trinke

ich einen großen Schluck und muss mich wieder schütteln. Wir sollten

uns dringend mal einen Kühlschrank besorgen.

„Also. Was‘n jetzt?!“ grunzt Benni.

„Sonntag...“

Kunstpause.

„...ist Festival.“

Alex lehnt sich in seinen alten, knautschigen und mit Flecken

übersäten Sessel zurück, schaut uns selbstzufrieden an und nimmt

einen Schluck aus seiner Flasche. „Aha. Und was soll das für ein Festival sein?!“, frage ich.

„Na ein richtig dickes. Und ratet mal wer da Headliner ist!“

„Ach jetzt hör doch mit der Scheiße auf, als ob wir jetzt raten könnten,

welche scheiß Band...“

„Emil Bulls!“, platzt es aus Alex heraus.

„Emil Bulls?!“, fragt Benni.

„Krass! Das sind doch die mit dem ’Take on me‘ Cover, oder?!“, sage ich.

„Genau! Aber das ist ja schon ewig her. Die machen jetzt echt starke

Sachen, total die geile auf-die-Fresse Musik und die sind auch immer

noch ziemlich groß.“

„Also ich hab damals immer ’Take on me‘ im Fernsehen gesehen und

das fand ich eigentlich auch schon immer ziemlich geil. War ich aber

auch noch ganz schön klein.“

„Und die spielen dann nach uns oder wie?“, fragt Benni.

„Ne, die spielen vor uns.“

„Wie vor uns?!“

„Na die spielen an dem Freitag schon.“

„Ahso“, meine ich.

„Hm“, meint Benni. „Ja Leute das ist doch mal scheißegal. Das ist ein Festival, das drei Tage

dauert. Freitag spielen die Emil Bulls, Samstag sicher auch ein paar

dicke Bands und Sonntag dann wir! Das ist dasselbe Festival! Ist doch

total geil, oder nicht?! Ich meine... wir spielen auf derselben Bühne wie

die!“

„Echt?!“

„Ja klar! Glaubst du, die bauen da ne neue Bühne hin für den Sonntag,

oder wie?!“

„Stimmt. Wäre ja Unsinn.“

„Also.“

„Ja, dann find ich das glaub ich auch geil!“, meine ich.

„Auf Tour, Headliner und dickes Festival. Alles an einem Wochenende.

Das klingt echt ganz schön stark. Respekt, Alex!“

Benni hält seine Bierflasche in unsere Mitte und wir stoßen an.

„Auf die Tour!“

„Auf uns!“

„Auf dicke Titten!“

Es war ein toller Moment. Wir saßen in unserem stickigen Proberaum,

umringt von Müll und leeren Pfandflaschen und ich hatte das Gefühl, dass wir einen kleinen Schritt in die große Welt des Rock‘n‘Rolls taten.

Hier, in unserem kleinen ganz persönlichen Universum begann etwas,

dass uns von all den Dorfnasen da draußen unterschied. Wir würden in

die Welt ziehen. Mit Instrumenten. Wer weiß ob wir überhaupt wieder

kommen. Wie wir wieder kommen. Mit was für Erfahrungen wir wieder

kommen. Mit welchen Kontakten. Alles war möglich da draußen. Und

wir waren die ersten hier, die sich hinauswagten. Zusammen mit

unserer Musik. Und wir waren nicht allein. Wir waren eine Gemeinschaft,

eine Gruppe. Eine Band.

Ich ahnte ja nicht, was mir bevorstand. 14. Zwei Wochen in Utero

Es war seltsam. Die Zeit war wie im Flug vergangen und hatte sich doch

unendlich gezogen. Der Alltag wurde gleichzeitig noch unerträglicher

als sonst, weil er zwischen mir und diesem großen unbekannten Etwas

stand, dass mir nachts keine Ruhe mehr ließ, und auf der anderen Seite

doch viel erträglicher, weil ich wusste, dass ich etwas gegen ihn in der

Hand hatte. Du kannst mich mal, Alltag! Heute magst du mich in der

Hand haben und morgen noch niederkämpfen, aber bald kommen

Tage, an denen du keine Macht über mich haben wirst. Du wirst

verzweifelt die Arme nach mir ausstrecken, doch ich werde so weit von

dir entfernt sein, dass du mich nicht ein mal mehr siehst. Du kannst

schreien und wüten, für mich wirst du nur eine dunkle Erinnerung sein.

Alltag, you shall not pass.

In meiner Vorstellung zucken immer wieder undefinierte Bilder auf. Ein

heißer, lauter Club. In einer Ecke eine kleine, schmierige Bühne. Ich

glaube, dass viele Leute da sind, ich weiß es aber nicht genau. Alles

sehen, fühlen und schmecken wird übertönt von einer berauschenden

Lautstärke, die alles und jeden im Raum durchzogen hat und mich voll

gefangen hält. Ich liege mit meiner Gitarre auf dem Rücken und suhle mich auf dem vom vielen verschütteten Bier komplett nassen

Bühnenboden. Es ist mir egal. Ich bin sowieso schweißgetränkt. Alles ist

nass und heiß und stickig. Die Luftfeuchtigkeit ist atemberaubend und

es tropft von der Decke. Ich drücke meine Hüfte nach oben durch, wie

ich es so bei so vielen Rockstars im Fernsehen gesehen habe und spiele

ein unglaubliches Gitarrensolo. Vollkommen intuitiv. Aus dem Bauch

heraus. So etwas kann man nicht einstudieren, so etwas fühlt man.

Vereinzelt fallen Leute auf die niedrige Bühne und auf mich drauf. Es

muss wohl doch ziemlich voll sein, sie werden von hinten gedrückt.

Meine Ekstase hat den kompletten Raum erfasst und die, die hinten

stehen, wollen auch daran teil haben. Mir ist das alles egal, ich kriege es

kaum mit. Ich habe die Augen fest zugedrückt und fühle jeden

einzelnen verzerrten Ton, den ich spiele, mit jeder einzelnen Zelle

meines Körpers. Die Zuschauer sind begeistert. Sie spüren, dass ich

nicht wegen ihnen hier bin oder wegen dem Geld. Ich bin hier wegen

der Musik, sie ist das einzige, was mich am Leben hält. Wer nicht dabei

gewesen ist, versteht das nicht. Als Soundtrack für diese

Traumvorstellung, die mich in den zwei Wochen des Wartens auf die

Tour begleitet wie das Versprechen auf die Erlösung vom Alltag, spielt mein Kopf keinen Song von meiner eigenen Band ab. Es ist auch kein

spezieller Song, der diese Vorstellung unterlegt. Es ist irgendetwas

lautes, ungestümes und chaotisches. Ich bin mir nicht sicher, ob

jemand singt. Ich glaube ab und zu schreit jemand ins Mikrofon. Ein

wehleidiges Kreischen, das aus dem Bauch heraus kommt und keinen

Umweg über das Gehirn macht, das doch nur rationale Einwände gegen

den Sinn dieser Geräusche haben würde. Wenn Hollywood meinen

Traum verfilmen würde, wäre es wahrscheinlich irgendein Lied von

Nirvana. Aber aus der Phase, in der Cobain den Mainstream schon zu

hassen gelernt hatte. Vielleicht etwas von ’In Utero’. Und so ähnlich

fühlt sich dieser Traum auch an. Wie in der Gebärmutter. Man hat keine

Ahnung, was um einen herum passiert und keine Vorstellung von

gestern oder morgen. Man weiß nur, dass es sich gut anfühlt und man

glaubt vergebens, dass es nie aufhören würde. 15. Prinz ohne Schlafsack

Die Hupe hatte Benni schon angekündigt bevor er bei mir klingeln

konnte:

„Na, Fettsack!“

„Halt die Fresse, Mark.“

Wir schlagen ein und umarmen uns. Irgendwann hatten wir uns das

Umarmen bandintern angewöhnt. Ich finde es immer noch seltsam,

aber auch schön. Wir waren ja schließlich mehr als nur Kumpels. Wir

waren mehr als nur drei Typen. Zusammen waren wir die Band. Und die

Band war unser Fels in der Brandung. Ein kleiner, unscheinbarer Fels,

der den wütenden Wellen der Eintönigkeit voller Trotz widerstand.

Alleine konnte man so ein Fels nicht sein, dafür brauchten wir einander.

Wenn man das Musik machen mit so viel Pathos belegt, wie ich es

manchmal tat, war so eine Umarmung zur Begrüßung eigentlich eine

ganz natürliche Schlussfolgerung.

„Du bist echt noch fetter geworden, oder Benni?“

„Halt dein Maul, Mark. Ich kann abnehmen, dann seh ich aus wie ein

Prinz. Du müsstest mit deiner Hackfresse schon echt verdammt

glücklich auf was hartes fallen, damit du nach was aussiehst.“ „Ach, halt die Fresse!“, ich muss lachen.

„Was ist das denn alles für ne Scheiße?“ fragt Benni und zeigt auf den

Krempel, den ich mit rausgenommen habe.

„Naja Gitarre halt, paar Klamotten und Zahnbürste im Koffer und

Schlafsack.“

„Schlafsack?!“

„Klar. Glaubst du wir pennen im Hotel oder was?“, grinse ich.

„Fuck, man. Keine Ahnung! Da hab ich irgendwie gar nicht drüber

nachgedacht!“

„Aber jetzt noch mal zu dir zurück würde knapp werden, oder?!“

„Ich hab eh keinen Schlafsack. Hab ich noch nie gebraucht!“

„Hm. Naja ist ja warm.“

„Ja. Passt schon. Sonst hab ich auch glaub ich noch ne Decke im Auto.“

„Na siehste.“

Wir steigen ein. Wie immer zucke ich in Panik zusammen, als Bennis

Wampe die Hupe drei Sekunden lang durchdrückt.

„Sorry!“

„Schon ok. Du, Benni?“

„Hm?“ „Du bist echt der fetteste Prinz der lebt, oder?!“

„Halt‘s Maul.“

Benni grinst und fährt los. 16. Probe vs. Feeling

Wir fahren von mir über die Landstraße zum Proberaum, wo wir unser

restliches Zeug und Alex einladen wollen. Es ist Mitte Juni, aber nicht so

richtig schöner Sommer. Es ist relativ warm und schwül, während der

Fahrt setzt leichter Nieselregen ein.

„Meinste nicht, wir hätten noch mal proben sollen?“, frage ich.

„Hm?!“

„Naja noch mal proben halt. Ich meine, wir spielen drei Gigs. Da muss

doch alles sitzen, oder nicht?“

„Sitzt doch alles.“

„Ja trotzdem. Ich mein, geschadet hätte es ja wohl nicht.“

„Ne. Aber war halt eng mit der Arbeit. Und du hast doch auch genug zu

tun gehabt, oder nicht?!“

„Klar, trotzdem. So ne Stunde hätten wir uns echt mal organisieren

können.“

„Außerdem hätte ich eh keinen Bock gehabt.“

„Hm?!“

„Ja keine Ahnung. Wir proben quasi seit zwei Jahren. Ich will jetzt live

spielen und nicht proben.“ „Ja, haste ja auch Recht.“

„Also.“

„Und was meinste sonst?“, frage ich.

„Wie was meinste sonst?“

„Was haste fürn Gefühl für das Wochenende?“

„Keine Ahnung.“ Benni schweigt kurz. „Ich bin schon ziemlich aufgeregt

muss ich zugeben. Ich mein, wir haben ja auch irgendwie keine Ahnung

wie das alles wird, oder? Alex hat ja nicht viel gesagt.“

„Der weiß ja selbst fast nichts.“

„Ist ja jetzt auch nicht gerade ein professioneller Booker.“

„Ne, nicht wirklich.“

Wir biegen in die Einfahrt vor unserem Proberaum ein.

„Fuck.“

„Wasn los?“

„Alex hat auch nen Schlafsack.“

„Klar hat der auch nen Schlafsack, du Idiot!“, ich muss lachen.

„Na ihr Penner, alles klar?“ begrüßt uns Alex.

„Alles gut, aber Benni hat keinen Schlafsack dabei.“

„Du bist so doof wie du fett bist, Benni!“, lacht Alex und umarmt ihn. „Und sonst?“

„Mark meint, wir hätten noch mal proben sollen“, grummelt Benni.

„Hm?“

„Ja finde ich schon. Zur Sicherheit!“

„Das ist doch Quatsch, Mark!“ Alex schaut gespielt entrüstet:

„Blink 182 haben auch nie geprobt!“

„Wie jetzt?“

„Ja klar, hab ich im Interview gelesen. Die haben nie geprobt vor ner

Tour. Die haben sich immer fest vorgenommen, dass sie bei jeder Tour,

die sie spielen, noch schlechter sind, als bei der Tour davor!“

„Wo hast du das denn gelesen, in der Bravo?“

Alex zuckt mit den Schultern:

„Kann schon sein.“

„Wie, kann schon sein?!“

„Kann sein, dass das in der Bravo war, ist lange her. Meine Schwester

hatte die früher immer und wenn was cooles drin stand hab ich‘s halt

gelesen. Ist das jetzt schlimm, oder was?!“

„Also brauchen wir nicht proben, weil du vor zehn Jahren in der Bravo

gelesen hast, dass Blink 182 das auch nicht machen?“ „So mein ich das doch gar nicht. Aber wir können doch die Songs.

Außerdem sollte man auch wirklich nicht zu viel proben, sonst wirkt

das irgendwann alles viel zu einstudiert. Da geht das ganze Feeling

verloren, das merken die Leute dann und finden das scheiße.“

„Na wenn ihr meint. Ist ja eh zu spät jetzt. Lass mal einpacken die

ganze Scheiße.“ 17. Willkommen auf Tour

„Das ist jetzt aber echt mal extrem scheiße!“

Ich muss im Laufe der Vorbereitungen für die Fahrt irgendeine

grunddemokratische Abstimmung verpasst haben, denn ich sitze

hinten.

Naja, Benni muss halt fahren und Alex behauptet, er müsse vorne

sitzen, um die Navigation zu koordinieren, aber so ganz zufrieden bin

ich damit trotzdem nicht. Ich versuche ja immer alles so gut zu finden

wie es nur geht, aber die Situation ist wirklich grenzwertig. Obwohl wir

weder eine eigene Anlage noch Bennis Schlagzeug mitnehmen müssen,

hat sich ganz schön was angesammelt:

Gitarrenbox und Verstärker, Alex Basscombo, eine Gitarre und der Bass.

Ersatzgitarren hatten wir ziemlich früh aussortiert. Dazu Gepäck für

drei Leute, ein Karton mit Exemplaren unserer EP und zwei Kisten Bier.

Gott sei Dank hat Benni wenigstens seinen Schlafsack vergessen.

„Wieso nehmen wir eigentlich zwei beschissene Kisten Bier mit? ich

dachte wir kriegen überall Bier umsonst? Das ist doch total behindert!“

„Ja Mensch ich will doch aufm Weg was trinken. Sonst ist das doch

überhaupt kein Tour-Feeling, überhaupt kein Rock‘n‘Roll!“, sagt Alex und langt nach hinten, um sich ein Bier aus der Kiste zu fischen, die auf

meinem Schoß steht.

„Aber das drückt hier von der Seite alles total. Das tut echt weh. Das ist

so scheiß eng, ich kann meinen Arm überhaupt nicht bewegen.

Ernsthaft, ich krieg hier hinten Platzangst so beschissen ist das! Und

was ist, wenn Benni bremsen muss?! Hast du mal nach hinten geguckt

wie das gepackt ist?! Das knallt mir in den Nacken wie ne Rakete! Da

bin ich Brei! Das haut mir die Birne weich und dann knall ich auch noch

in deine beschissene Kiste mit meinem Gesicht!“

„Schlimmer kann‘s ja kaum werden mit deinem Gesicht“, sagt Alex und

Benni muss laut lachen.

„Ach halt die Fresse, Alex. Ich mein das ernst, ich find das scheiße hier.“

„Jetzt reg dich halt mal ab“, murmelt Benni.

„Genau“, ergänzt Alex, „reg dich nicht so auf. Ist halt mit der Tour-

Planung ein bisschen scheiße gelaufen, dass der beschissene Luxus-

Nightliner grad in der Wartung ist.“

„Und mit den Beinen hier das kann auch nicht sein“, grummele ich.

Weil die zweite Kiste Bier beim besten Willen nicht mehr ins Auto

gepasst hat, hatte Alex die einzelnen Flaschen in meinen Fußraum gelegt, so dass ich die Beine so sehr anziehen muss, dass mir meine

Knie die Kiste auf meinem Schoß fast ins Gesicht drücken.

„Kannst du denn echt nicht noch ein bisschen von der Scheiße nach

vorne nehmen?!“

„Ne, geht echt nicht. Ich hab den Sitz schon ganz vorne und aufn Schoß

geht auch nichts, da muss ich das Navi halten. Halterung ist ja im

Arsch. Also geil ist es hier vorne auch nicht, kannste mir glauben.“

„Ist das beschissen. Und stinken tut‘s auch. Hättest du nicht wenigstens

ein bisschen aufräumen können, Benni?! Hier stinkt‘s wie in der Fritöse

nachdem jemand rein gekotzt hat. Wie kannst du‘s hier drin überhaupt

aushalten, Benni? Ernsthaft!“

Benni schaut mich durch den Rückspiegel an. Ich kann ihn kaum sehen,

weil die Halterung der Innenbeleuchtung gebrochen ist und die

Verkleidung der Lampe zwischen Fahrer- und Beifahrersitz hin und her

baumelt.

„Hör mal zu, Mark“, meint Benni ruhig, „dass hier ist ne Scheißkarre. Und

die stinkt. Und das weiß ich. Aber es ist ne Karre und die gehört mir.

Weil ich sie mir gekauft habe. Und zwar von Geld, dass ich verdient

habe. Wenn du irgendwann mal ne Karre hast, kannst du die Tag und Nacht aufräumen. Immer wenn du willst. Und du kannst literweise

beschissenes Parfum in die scheiß Lüftung kippen. Aber bis es so weit

ist, kannst du froh sein, dass ich ne beschissene und nach Kotze

stinkende Scheißkarre hab, weil du nämlich sonst grad in deiner

Scheißbude oder in nem beschissenen Zug sitzen würdest. Und das

respektierst du jetzt oder ich hau dir auf die Schnauze bis du weinst.

Klar?!“

Alex schaut grinsend aus dem Beifahrerfenster und Benni schaut mit

selbstzufriedenem Blick wieder auf die Straße. Auch ich merke, wie

mein Ärger langsam wieder verfliegt. Klar ist das beschissen hier aber

die zwei können da ja auch nichts für. Außerdem sind wir jetzt

tatsächlich auf Tour! Bestimmt gibt es die ein oder andere Band, die

schon gemütlicher gereist ist als wir, aber Gemütlichkeit ist im

Rock‘n‘Roll ja sowieso nicht gerade das wichtigste. Also entspanne ich

mich ein wenig. Hauptsache auf der Straße. Und Freiheit. Wenn schon

nicht körperlich, dann wenigstens im Kopf.

„Ok, ich halt ja schon mein Maul. Aber Alex?“

„Ja?“

„Kannst du mir mal ein Bier anreichen?!“ „Hm?“

„Ich komm da echt nicht dran.“

Alex dreht sich zu mir um und schaut über die Lehne seines Sitzes.

„Verarscht du mich?“

„Ernsthaft, guck!“

Ich zeige ihm, dass ich tatsächlich weder mit dem linken noch mit dem

rechten Arm in die Kiste auf meinem Schoß oder in den Fußraum

greifen kann, weil ich dafür einfach viel zu eingequetscht bin. Alex

prustet los.

„Du hast echt die Arschkarte, das ist ja der Hammer!“

Auch Benni muss lachen, als er im Rückspiegel sieht, wie verzweifelt ich

versuche an das Bier ran zu kommen. Alex nimmt eine Flasche, öffnet

sie, reicht sie mir in die verkrampfte Hand und stößt an. Wenn ich den

Kopf hinunterbeuge, schaffe ich es gerade so, kleine Schlücke zu

trinken.

„Wie weit ist denn eigentlich heute?“, fragt Benni.

Alex schaut auf das alte Navigationsgerät in seinem Schoß:

„Knapp 200 Kilometer. Ich schätze mal in gut zwei Stunden sind wir da.

Morgen wird länger, dass kann ich euch versprechen!“ Ich stöhne auf.

„Und Sonntag?“

„Ähm...“, Alex blättert in ein paar Zetteln mit handgeschriebenen

Notizen hin und her. „Sonntag wird dann noch ein mal ein klein

bisschen beschissener. Das werden gut drei Stunden.“

„Fuck.“

„Aber Mark?“

„Hm?“

„Bis dahin ist das Bier alle und die Flaschen weg!“

Alex hat sich wieder umgedreht und grinst mir entgegen.

„Prost!“ sage ich und hebe meine Flasche unter Anstrengung um ein

paar Zentimeter.

„Willkommen auf Tour, Mark!“, sagt Alex grinsend und dreht sich

wieder nach vorne.

Willkommen auf Tour, Mark. Kann ja nur noch besser werden. Oder? 18. Juz

Wir kommen schon um halb vier in Wittlich an, was eine halbe Stunde

früher ist, als die abgemachte Ankunftszeit. Da Alex und das Navi sich

aber nicht einig darüber sind, wo genau das Jugendzentrum sein soll,

kommen wir genau dort erst eine geschlagene Stunden später, um halb

fünf an. Gut für die Stimmung ist so was nicht.

„Dann schau halt einfach auf die beschissenen Pfeile und sag Benni, ob

er rechts oder links abbiegen soll, dass kann ja wohl echt nicht so

schwer sein!“

„Ja aber das ist hier total beschissen gemacht! Das zeigt immer schon

nach rechts, wenn man noch drei Abfahrten warten soll. Außerdem hat

der Typ vom Jugendzentrum mir das am Telefon eh ganz anders

beschrieben. Das müsste mehr so im Osten liegen.“

„Als ob du ne Ahnung hättest wo Osten ist!“

„Was reißt du dahinten eigentlich so dein Maul auf?! Das macht es echt

nicht besser.“

„Haltet einfach beide eure Schnauze, ich fahr jetzt eh nur noch nach

Schildern“, grummelt Benni. Kurz nachdem er damit begonnen hatte,

waren wir dann auch da. „Hier ist ja schon mal mega was los“, sage ich und schaue auf das

verlassen da stehende Gebäude, das aussieht, als hätte es seit vierzig

Jahren niemand mehr betreten.

„Na aber steht Juz dran, ist schon richtig! Die Leute kommen schon

noch! Der meinte da passen so 200 rein. Selbst wenn das nur halb voll

wird, ist das geil!“

Ich brauche ewig bis ich mich aus dem Wagen herausgeschält habe. Mir

tut alles weh. Und noch nie hat es so gut getan sich auszustrecken. Ich

strecke mich so sehr, dass ich beinahe das Gleichgewicht verliere und

zurück gegen das Auto taumele. Ich setze mich wieder rein. Beide Beine

eingeschlafen. Hab ich während des Sitzens gar nicht gemerkt. Wenn

man sich nicht bewegen kann, merkt man auch nicht, dass die Beine

eingeschlafen sind. Tückisch. Jetzt wird mir ein bisschen schlecht.

„Komm, wir gehen mal rein!“, ruft Alex, der schon fast an der Tür steht. 19. Soundcheck

Drinnen sieht es gar nicht so schlimm aus. Es ist sogar ein bisschen

größer, als der Laden, den ich in meiner Phantasie immer bespiele.

Gegenüber vom Eingangsbereich steht die niedrige Bühne, auf der

schon ein Schlagzeug und sogar eine Bass- und Gitarrenbox so wie

zwei Mikrofone stehen. Rechts von mir sehe ich eine Theke, dahinter

scheint so etwas wie eine Küche zu sein. Gar nicht schlecht eigentlich.

Aus der Küche kommt ein dicker Typ mit zusammengebundenen,

braunen Haaren und ungepflegtem, vom Zigarettenrauch verfärbten

Vollbart:

„Was seid denn ihr für Vögel?!“

„Hm?“

„Na was macht ihr hier?!“

Er beißt in ein Brötchen mit Salami, das er mit beiden Händen

umklammert hält. Der Typ ist wohl so um die 30, ein Slayer-T-Shirt

spannt sich um seinen Bauch.

„Wir... Wir sind die Band! Also die Vorband! Also... die Vorvorband. Also

die Band vor der Vor...“, stottert Alex unsicher.

„Wasn für ne Vorvorband?!“ „Na halt die erste Band!“

„Weiß ich nichts von.“

„Ich hab mit Michael telefoniert. So vor drei Wochen. Und der meinte,

wir können spielen.“

„Michael?! Der kleine Scheißer. Ich weiß da nichts von.“

„Ist aber so. Er meinte wir sollen um vier hier sein, dann ist Soundcheck.

Und Stagetime dann um acht. Für 40 Minuten.“

„Soundcheck um vier also! Wir haben aber halb fünf, Jungs!“

„Ja, das war ein bisschen Scheiße mit dem Navi...“

Der Typ beißt wieder ab. Einen größeren Bissen diesmal. An seiner

Unterlippe bleibt ein Stück Butter hängen, das auf und ab wippt, als er

mit noch halb vollem Mund wieder anfängt zu sprechen:

„Passt mal auf, Jungs. Soundcheck kriegt ihr nicht. Ich wusste nichts von

ner dritten Band, das habt ihr jetzt davon. Um fünf kommt die

eigentliche Vorband, die werden gecheckt. Das muss reichen. Ich hab

nämlich grad Pause. Ihr seid eh nur drei, oder nicht? Dann passt das.

Stellt euren Scheiß auf die Bühne und haut ab nach oben, da ist

Backstage. Da müsste auch irgendwo der Micha rumspringen. Bei dem

könnt ihr euch dann beschweren wenn ihr Lust habt, aber ich arbeite hier bestimmt nicht mehr als ich muss! Schon gar nicht für so

dahergelaufene Landeier wie euch.“

Er schüttelt den Kopf und beißt wieder in sein Brötchen.

„Aber...“, beginnt Alex einen vorsichtigen Protest.

„Ihr kommt um kurz vor acht hier runter, steckt eure Gitarren ein und

legt los. Hat bis jetzt immer funktioniert.“

Er muss niesen und schmiert seinen Handrücken danach an seinem T-

Shirt ab. Dann dreht er sich um und verschwindet zurück in die Küche

ohne ein weiteres Wort zu sagen.

Ich hatte mir das Tourleben nie besonders glamourös vorgestellt, aber

dieser Einstand untertrifft dann tatsächlich doch noch meine niedrigen

Erwartungen. 20. Kajal, Edding und Korn

„Das ist doch total geil, oder?!“, strahlt Alex nachdem wir unsere

Gitarren und Bennis Schlagzeugkram zur Bühne gebracht haben und

auf dem Weg in den Backstage-Bereich sind.

„Wie? Was isn jetzt daran total geil gewesen?!“, frage ich.

„Na, kein Soundcheck! Megaentspannt alles! Backstage abhängen, dann

Zack auf die Bühne und Rock‘n‘Roll. Nichts mit Arbeit. Genau wie die

Großen!“

„Na so kann man das natürlich auch sehen“, sagt Benni und grinst

während er sich schnaufend die Treppe hoch schleppt.

„Was haste denn eigentlich in dem komischen Koffer?!“, frage ich Alex.

Wir sind nun in der ersten Etage in einem kleinen Raum angekommen,

an dessen Tür ein Zettel mit der handbeschriebenen Aufschrift

‘Backstage’ hängt. Irgendjemand hat das ‘age’ in Backstage

durchgestrichen und durch ‘ube’ ersetzt, so dass nun ‘Backstube’ zu

lesen ist. Irgendwie nicht lustig. Drinnen steht zentral ein kleiner Tisch,

links an der Wand ein paar etwas höhere Schultische, und rechts ein Sofa. Auch hier ist niemand. Komisch. Ich dachte bei so Auftritten ist ab

Mittags immer schon die Hölle los.

„In dem Koffer? Zeig ich dir. Nur gutes Zeug!“

Alex grinst und wirft den kleinen Alu-Koffer auf den Tisch in der Mitte.

„Das ist mein kleiner Koffer des Glücks!“

„Hm.“, macht Benni und wirft sich aufs Sofa.

Alex öffnet den Koffer und holt eine Flasche Schnaps und drei Pinnchen

heraus.

„Was ist das denn jetzt für ne Scheiße?!“, frage ich.

„Das ist keine Scheiße, das ist echter Nordhäuser!“

„Bah.“

„Nichts bah, den hab ich bei meiner Tante abgezogen. Der kostet im

Laden mehr als zehn Euro! Da gibt‘s wirklich schlimmeren Fusel!“

„Aber du willst das doch jetzt nicht saufen?!“

„Na klar wollen wir das jetzt saufen!“, antwortet Alex und schüttet in die

Pinnchen ein.

„Wir spielen in drei Stunden, dann sind wir doch total dicht. Das können

wir doch nicht bringen!“ „Alter! Bin ich hier in ner beschissen Schule gelandet?! Klar können wir

das bringen, ist doch geil ein bisschen einen drin zu haben. Das ist

Rock‘n‘Roll, Mark! Schon mal von gehört?!“

„Hm.“

„Weißt du eigentlich wie dicht die alle immer sind?! Die gehen doch

nicht nüchtern auf die Bühne! Johnny Cash konnte sich an 70% seiner

Auftritte überhaupt nicht mehr erinnern! Ernsthaft, der ist einfach

irgendwann aufgewacht und wusste nicht, ob er jetzt einen Gig gespielt

hatte oder nicht. Und du willst jetzt nicht sagen, dass Johnny Cash

scheiße ist, oder wie?!“

„Ne, natürlich nicht. Trotzdem.“

„Alle sind besoffen, das gehört dazu! Überleg doch mal. Dann wird‘s

doch auch geiler! My Chemical Romance, die Toten Hosen, Nofx... alle

dicht. Und geiles Entertainment für die Zuschauer. Dann passiert

wenigstens mal was auf der Bühne. Außerdem sind die im Publikum ja

meistens selbst total dicht. Selbst im Musikantenstadl! Mein Onkel hat

da mal gearbeitet beim Bühnenaufbau, die knallen sich da mittags

schon...“

„Ja ich hab‘s ja verstanden. Mach halt voll. Ich mein ja nur.“ Alex reicht uns die Pinnchen, wir stoßen an und stürzen den Korn

runter. Ich schüttele mich am ganzen Körper.

„Ist das scheiße!“, sage ich mit verzogenem Gesicht und stelle das Glas

auf den Tisch zurück.

„Der wird mit der Zeit erst richtig gut!“, sagt Alex und schüttet wieder

ein.

„Und was ist das hier für ne Scheiße? Ist das Schminke?!“, fragt Benni

und holt eine kleine Box aus Alex Koffer.

„Das ist keine Schminke, das ist Kajal!“

„Ich denke Kajal ist Schminke oder nicht?!“, sage ich.

„Ja schon. Ist aber cool! Halt ein bisschen schwarz um die Augen, das

sieht überhaupt nicht aus wie Schminke wenn man das richtig macht!

Mehr so wie Augenringe oder so.“

„Das ist schwul, Alex. Ich würd das nicht machen“, sage ich.

„Klar! Machen doch alle. Hast du eigentlich gar keine Ahnung, oder

wie?! Ich mein, sogar Green Day haben so was.“

„Ich kenn das nur von so Emo-Kindern. Und die sind meistens peinlich.“

„Ja, die haben so was auch. Aber ich bin ja kein Emo, sieht man ja. Und

wenn ein Punkrocker das auf der Bühne hat, dann kommt das geil.“ „Vielleicht wenn Green Day das machen. Aber die sind auch Rockstars!“

„Ich finde, das ist ne gute Idee“, schaltet Benni sich plötzlich ein.

„Wie?“

„Ja, ich find das gut. Hebt uns ab. Ich mein, wie viele Bands hast du in

deinem Leben schon live gesehen und wieder vergessen weil‘s einfach

langweilig war? Tausende. Und das ist das Problem. Wenn man sich mal

ein bisschen was traut, dann polarisiert das eben. Dann finden das ein

paar Leute behindert und ein paar finden das mutig und geil. So oder

so ist das besser als langweilig und belanglos zu sein.“

„Siehste?“, raunzt Alex.

„Machste mir noch einen?“, fragt Benni und schiebt Alex sein Pinnchen

zu. Der macht wieder alle drei voll und verteilt sie.

Benni stürzt seinen Korn runter ohne mit der Wimper zu zucken:

„Auf jeden Fall find ich das gut mit dem Kajal. Und deswegen hab ich

auch den hier mit.“

Benni kramt sich umständlich einen Edding aus der Hosentasche und

legt ihn neben Alex Koffer.

„Nen Edding?!“, frage ich.

„Jup, nen Edding.“ „Wieso?“

„Damit malt ihr mich gleich an. Überall.“ 21. In zehn Minuten

Um halb acht torkele ich die Treppe hinunter. Unter meinem Arm habe

ich den kleinen Karton mit unseren EPs. Ich will versuchen den beim

Merchandise von den anderen Bands unterzubringen, weil wir selbst

niemanden dabei haben, der während unserem Auftritt verkaufen kann.

Ich bin echt besoffen, der beschissene Korn knallt wie Sau.

Nach der Kajal-Diskussion war irgendwann auch Michael, der

Veranstalter, mit einer großen Schüssel Nudelsalat im Backstage-Raum

aufgetaucht.

„Ach ne! Ihr seid echt gekommen?! Ist ja krass!“, war die Begrüßung, die

er uns lachend entgegenbrachte.

„Ich hatte gar nichts mehr von euch gehört, da war ich mir gar nicht

mehr so sicher ob ihr überhaupt noch Bock habt!“

Später hatte er nicht mehr so viel gelacht. Als Alex und ich, ersterer

mittlerweile geschminkt wie Johnny Depp in einem Tim Burton-Film,

anfingen den fetten Benni am gesamten Oberkörper mit ‘Sex Sells’

Schriftzügen zu verzieren, setzte er sich einfach schweigend aufs Sofa

und schaute uns voller Erstaunen bei der Arbeit zu. Auch andere Leute kamen und gingen, brachten Essen und Trinken für das Catering vorbei

und die anderen Bands schauten sicher auch dann und wann rein.

Ich hatte das alles gar nicht mehr so richtig realisiert. Ich war echt

besoffen. Und bei den anderen war es nicht besser, eher im Gegenteil.

Irgendwann als es schon zu spät war, ist mir auch aufgefallen, dass ich

den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Dafür war ich viel zu

aufgeregt gewesen.

Und jetzt die Treppe runter. Ach du scheiße.

„Na! Alles klar für gleich?“

„Hm?!“

Michael steht mir gegenüber und grinst.

„Ob alles klar ist bei euch?! Wäre gut, wenn ihr inner Viertelstunde auf

die Bühne geht, dann kriegen wir keine Probleme mit der Zeit.“

„Is ok, denkich!“, lalle ich.

„Super! Ich bin echt gespannt! Ihr macht so was ja echt nicht zum

ersten Mal, oder?!“

„Hä?“

„Naja, wie ihr da oben abgeht, meine ich. Ihr seid euch eurer Sache ja

ziemlich sicher! Auch mit eurem Schlagzeuger und dem Edding und so. Traut sich nicht jeder! Und mit dem Schnaps“, er haut mir mit der Hand

auf die Schulter, „ihr müsst echt routiniert sein, so locker wie ihr euch

das Zeug reinballert! Komisch, dass ich von euch noch nichts gehört

hatte. Die meisten sind ja so Anfängerbands, merkt man ja sofort. Die

sitzen oben rum, scheißen sich ein, gucken alle zwei Minuten, ob schon

Leute da sind und nerven wegen jedem kleinsten Detail, wegen der

Technik und so!“

„Hmh.“

Ich sehe ihn jetzt doppelt, was irgendwie unangenehm ist. Ich darf

nichts mehr trinken bis zum Auftritt! Aber irgendwie ist das grad auch

Rock‘n‘Roll, hat Alex schon Recht.

„Wiesndas?! Midn Leuden?!“

„Wie meinste?!“

„Sin Leude da?!“

„Ja, also ist noch recht übersichtlich. Wird aber sicher mehr gleich. Am

Anfang sind die auch immer noch ein bisschen reserviert, aber das

kriegt ihr schon hin! Soll ich das mitnehmen?!“

„Hm?“ „Die Platten! Kann ich zu dem Kram von den Coconuts stellen, die

machen das dann mit.“

„Oh. Cool. Hmh.“

„Dann bis gleich, ich freu mich! Macht mal so, ähm“, er schaut auf die

Uhr, „Macht mal so, dass ihr in zehn Minuten anfangt. Super!“

„Hmh. Hm. Cool.“

In zehn Minuten?! Ach du Scheiße. Das ist das erste Mal, dass wir nicht

zuhause spielen! In zehn Minuten! Und es sind schon Leute da, meint

er! Und Benni zieht das echt durch mit dem oben ohne sein?! Ist das

nicht doch irgendwie schräg?!? Und mit dem Kajal! Und wir haben nicht

geprobt! Wie fängt noch mal der erste Song an?! Und wer hat die

Setlisten?!? Haben wir überhaupt Setlisten? Hatte Alex da was gesagt?!

Mir ist schlecht.

Ich renne, so schnell ich in meinem Zustand kann, die Treppe hoch und

lege mich mindestens drei mal fast aufs Maul. Zehn Minuten! Scheiße. 22. Im Abstellraum

„Ey! Leute! Zehn Minuten hat der Michael gesagt!“

„Hm?!“

Alex und Benni sitzen auf dem Sofa, jeder ein Glas mit Cola und Korn in

der Hand. Darauf waren wir nach den ersten drei oder vier Pinnchen

umgestiegen.

„In zehn Minuten sollen wir auf die Bühne! Scheiße, Leute! ich bin echt

total besoffen!“

„Alter ist doch geil!“

Alex springt auf und packt mich an den Schultern.

„Endlich Stagetime, Alter! Da warten wir lange genug drauf, oder? Auf

geht‘s, Leute!“

Er schnappt sich drei Biere aus dem Kasten, den Michael irgendwann

reingetragen hatte und kramt sich ein Bandana aus der Tasche.

„Axl Rose, oder was?“

„Ne. Rock‘n‘Roll, Alter!“, antwortet er und bindet es sich etwas schief um

den Kopf.

Wir stolpern die Treppe runter und sammeln uns in dem kleinen

Abstellraum, der sich direkt hinter der Bühne befindet. „Sind Leute da?!“, fragt Alex.

„Keine Ahnung. Michael meint ja, aber nicht so viele.“

Alex öffnet die Tür zur Bühne einen Spalt breit und linst nach draußen.

Ich versuche auch etwas zu sehen. Mein Herz schlägt.

„Ist doch total geil!“, ruft Alex.

„Hä? Das sind vielleicht 20 Leute, oder guck ich jetzt scheiße?!“

„Ach, das sind mindestens 50. Und das ist doch geil, oder nicht? Ich

meine wir sind in Wittlich, hier kennt uns doch keine Sau. Dafür ist das

geil!“

„Na wenn du meinst.“

„Könnt ihr mir kurz helfen, Jungs?“ Benni steht hinter uns und kämpft

mit seinem Shirt. Er hat es schon ein Stück weit hochgezogen, die

Wampe hängt schon raus und sein ‘Freedom’Tattoo ist fast komplett

sichtbar. Aber danach klemmt es.

„Das ist weil ich oben so geschwitzt hab, das klebt alles am Rücken“,

nuschelt er durch sein T-Shirt, „Könnt ihr mal ziehen irgendwie?!

Scheiße.“

„Verdammt, Benni! Das ist echt ekelhaft!“, lacht Alex und betrachtet

Bennis Rücken. „Uuuuh... das ist ja echt ganz nass hinten!“, bestätige ich.

„Das ist weil ich mich angelehnt hab! Als ob ihr nie schwitzen würdet

im Sommer. Ihr beschissenen Arschlöcher! Und jetzt steht nicht so

scheiße rum sondern helft mir!“

Während ich vorne ziehe und reiße, versucht Alex hinten sein bestes

und irgendwann kriegen wir das Shirt tatsächlich über seinen dicken

Kopf.

„Danke, Jungs!“

Er packt sich an seine feuchten Brüste:

„Also ich wär dann eigentlich soweit!“

„Alles klar bei euch?!“ Michael ist zu uns gekommen und schaut uns

erwartungsvoll an.

„Klar!“, sagt Alex und klatscht in die Hände.

„Gut! Super! Ich sag dem Tonmann Bescheid!“

„Und wie läuft das mit dem Verstärker und alles?!“, frage ich. Scheiße,

sind wir unorganisiert. Mein Herz schlägt immer noch beängstigend

schnell.

„Die Coconut Titts haben euch das glaube ich schon alles gemacht. Die

haben ja gemerkt, dass ihr da nicht so hinterher seid. Also Verstärker sind an, Kabel stecken. Im Prinzip kann das losgehen“, sagt er und

verschwindet.

„Scheiße, wie gehen wir raus?!“, ich bin ein bisschen panisch.

Da legt Benni mir seinen mit Edding beschmierten Arm um die Schulter

und zieht auch Alex zu uns rüber.

„Mark? Du bleibst jetzt mal locker. Alex?! Denk dran zwischendurch

Bier an der Theke zu bestellen. Und dann wird gerockt. Und zwar

ordentlich. Alles klar, ihr Penner?!“

„Klar“, antworten wir.

„Dann ist ja gut. Auf geht die Scheiße!“, ruft Benni und läuft zur Tür und

auf die Bühne. Mit den Armen in Siegerpose gen Himmel gestreckt

spaziert er zu seinem Schlagzeug. Die vom Schweiß leicht verwischten

‘Sex Sells’Schriftzüge prangen auf seinem glänzenden Rücken. Ich bin

fasziniert mit welcher Selbstverständlichkeit er sich präsentiert. Wo

holt der denn plötzlich das ganze Selbstbewusstsein her?! Sonst ist er

in der Kneipe bald zu schüchtern um ein Mädchen nur zurück zu

grüßen wenn es ihm Hallo sagt.

„Ist Benni einfach mal ne geile Sau!“, ruft Alex stolz aus und läuft hinter

ihm her. Auch ich setze mich in Bewegung. Mein Herz schlägt so schnell und

pocht so laut in meiner Brust, dass ich das Gefühl habe, dass es vorläuft

und mich nur wie unnötigen Ballast hinter sich herzieht.

Ich trete durch die Tür und werde von den Scheinwerfern geblendet. 23. Auftritt im Juz

„War doch eigentlich ganz ok, oder?“

Alex sitzt neben mir auf der Treppe, die sich vor dem Hinterausgang

des Jugendzentrums befindet und raucht. Benni steht vor uns und

trocknet seinen schweißnassen Körper ab.

„Hmh. War nicht verkehrt. So als Auftakt halt.“

„Hmh. Find ich auch.“

Wir sitzen schweigend da. Alex raucht gemächlich und vor uns wackelt

Bennis Bauch hin und her. Überall hat er schmierige schwarze Flecken

von dem Edding.

Eigentlich war der Auftritt wirklich ok gelaufen. Aber irgendwie war es

für mich trotzdem eine Enttäuschung gewesen. Dabei kann ich gar

nicht genau sagen, warum. Wir hatten wirklich Glück, dass die

Instrumente alle relativ schnell funktioniert haben. Der Sound auf der

Bühne war auch in Ordnung gewesen, ich hab alles irgendwie grob

hören können. Zugegeben, das Licht war ziemlich beschissen gewesen.

Jeweils eine Reihe gleißender Scheinwerfer an der linken und an der

rechten Seite, die ununterbrochen auf uns eingebrannt haben. Das war

zum einen schlimm, weil es auf der Bühne unglaublich heiß wurde, vor allen Dingen aber, weil man sich vorkam wie auf dem Präsentierteller.

Alles war durchgehend hell ausgeleuchtet. So dürfen Konzerte nicht

sein. Es muss atmosphärisch sein. Einzelne Scheinwerfer in

unterschiedlichen Farben, die ständig in Bewegung sind. Manchmal

heller, manchmal dunkler. Und wenn ein Song endet, darf es auch ruhig

mal dunkel werden. In dem hellen Scheinwerferlicht habe ich die Augen

der vereinzelten Zuschauer förmlich auf meinem Körper und auf

meinem Instrument spüren können. Zusammen mit der auf der Bühne

langsam wieder einsetzenden Nüchternheit und der angekündigten

Reserviertheit der überschaubaren Menge der im Halbkreis stehenden

Zuschauer erzeugte dies ein immer weiter wachsendes Unbehagen und

Unwohlsein. Ich fing an beim Spielen nachzudenken. Ich will hier nicht

sein. Es fühlt sich nicht gut an. Ich überlegte vor jedem Schritt, den ich

tat, ganz genau, wie ich ihn ausführen könnte ohne bescheuert

auszusehen. Bei jedem Hüpfen und bei jeder Geste kam ich mir

dämlich vor. Warum war das so? Ich sollte doch in meinem Element

sein! Mich auf dem Boden wälzen und Gitarrensoli improvisieren! Alles

um mich rum sollte mir egal sein, ich hätte die Umgebung gar nicht wahr nehmen dürfen. Alles hätte in einem lauten Chaos verschwimmen

sollen. Warum war das nicht passiert?!

„Das mit den EPs war scheiße“, sagt Benni plötzlich.

„Was meinste?!“, fragt Alex.

„Na als du gesagt hast, heute wäre uns alles scheißegal und die Leute

könnten die EP fürn Euro mitnehmen. Da ist keine Sau hingegangen.

Keiner. Das war echt beschissen. Hab ich genau gesehen.“

„Hm.“

„Und als du dann gesagt hast, die Leute können sie auch so

mitnehmen“, Bennis dicker Hintern macht ein platschendes Geräusch

auf dem Beton der Treppe, als er sich neben uns setzt, „da hat sie

immer noch keiner mitgenommen.“

„Doch, ein paar waren da. Glaube ich. Oder? Ich meine ich hätte

mindestens einen Typ gesehen“, sagt Alex.

„Ja stimmt. Einer hat sich eine genommen“, bestätige ich.

„Na siehste. Immerhin einer fand uns ganz geil“, lacht Benni.

„Ist ja auch ok. Ich mein, so richtig weggeblasen haben wir den Laden ja

heute auch nicht wirklich, oder?“, frage ich.

„Geht so“, antwortet Alex. „Ich hab mich irgendwie unwohl gefühlt. Dabei hatte ich am Anfang

echt noch mega einen drin. Bescheuert. Vielleicht fehlt da die Routine“,

sage ich.

„Aber Routine ist doch auch beschissen. Routine klingt ja schon so

langweilig.“

„Hm.“

Neben uns fängt Benni langsam an vor sich hin zu kichern.

„Wasn los?“

Aus dem Kichern wird ein Lachen, das immer lauter wird.

„Alter, was denn?!?“

Benni schüttelt den Kopf und lacht immer weiter. Irgendwann dreht er

sich zu uns um und ich kann sehen, dass ihm vor lauter Lachen

einzelne Tränen über die Wangen laufen.

„Was ist, Benni?!“

„Alter, wir haben unsere EP verschenkt - und keine Sau wollte sie haben!

Wenn das nicht einfach lustig ist! Das ist doch noch nie einem passiert,

oder?!“

Wir schauen ihn an. Er muss schon wieder ein Lachen unterdrücken. Da

höre ich Alex neben mir sagen: „Die Leute nehmen alles geschenkt. Sogar beschissene Kugelschreiber

von der FDP! Wie schlecht sind wir denn, dass niemand sich die Mühe

macht, 2 Meter zu dem beschissenen Merchandise zu gehen und die

Drecks-EP mitzunehmen?!“

Ich muss schmunzeln.

„Hätten die nicht wenigstens die Pappschuber mitnehmen können, um

damit ihren Kamin anzufeuern?!“, murmele ich weiter schmunzelnd vor

mich hin.

„Oder um im Winter die scheiß Scheiben frei zu kratzen?!“

„Die hätten auch einfach ne Platte mitnehmen können um gegen ihre

unerzogenen Kinder was in der Hand zu haben: ‘Macht sofort eure

beschissenen Hausaufgaben oder ihr müsst 2 Stunden lang diesen

Dreck anhören!’“

Jetzt lachen wir alle drei.

„Wenn die unsere EP bei Amazon hätten, würden sie die gratis bei

Mülleimern mitliefern lassen, damit die Leute direkt was zum rein

schmeissen haben“, johlt Benni. Ich lache immer lauter.

„Irgendwann buchen die uns im Knast. Dann müssen wir vor den

Gefängnismauern spielen, damit keiner mehr ausbrechen will.“ „Scheiße, man!“, auch Alex hält sich mittlerweile den Bauch vor lachen.

Ich muss mir Tränen von den Wangen wischen.

„Fuck, man. So schlecht sind wir doch auch wieder nicht, oder?!“, frage

ich.

„Naja. Wir sind halt auch nicht besonders gut, schätze ich“, antwortet

Benni und reicht mir ein Bier.

„Fair enough“, sage ich und wir stoßen an. 24. Toni

„Tut mir echt leid, Jungs. Aber habt ihr ja selbst gesehen. Das waren am

Ende vielleicht 75 zahlende Besucher, da bleibt echt nichts übrig. Das

meiste bleibt an den Coconuts und dem Techniker hängen, das reicht

dann gerade noch so für ein bisschen Sprit für Project 54.“

Michael zuckt entschuldigend mit den Schultern. Wir stehen im

mittlerweile komplett leeren Auftrittsraum zwischen Bierpfützen und

Konfetti, das von einem lang vergangenen Auftritt zu sein scheint, so

schmutzig und zertreten wie es aussieht.

„Hier pennen geht auf jeden Fall klar. Ich würde sagen, ihr räumt euren

Scheiß zusammen, damit das hier morgen früh direkt geputzt werden

kann und dann schmeißt ihr eure Schlafsäcke oben hin. Einer kann ja

aufs Sofa, die anderen müssen halt auf den Boden. Isomatte habt ihr ja

bestimmt.“

Alex und ich wechseln Blicke. Fuck, Isomatte. Wer denkt denn an so

was?! Und Benni hat eh nichts dabei.

„Ich hau dann gleich ab. Aber Toni, der Hausmeister, ist die ganze

Nacht da, der wohnt hier. Ich hab euch auch noch ne Kiste Bier in die

Küche gestellt, da war noch ein bisschen was übrig.“ „Ja ist doch super, machen wir so“, sagt Alex und schlägt mit Michael

ein.

„Sehr gut! Dann sag ich schon mal danke fürs Kommen und sorry noch

mal wegen dem Publikum. Hier in der Eifel heißt das nicht, dass die

einen scheiße finden wenn die nichts machen. Die klatschen einfach

ungern manchmal.“

„Hmh.“

„Ok. Ich bin morgen so um elf Uhr wieder hier und schau nach dem

Rechten. Frühstück ist leider nicht drin. Könnt ja sonst gucken ob oben

noch was rumsteht.“

„Alles klar, Micha. Hau rein.“

Er verschwindet durch den Vordereingang und wir hören ihn davon

fahren.

„Fuck, keine Kohle“, sage ich.

„Ist doch scheißegal“, meint Alex, „Morgen kriegen wir 100€ auf die

Hand, das reicht dicke um auf null zu kommen. Alles kein Problem!“

Er rollt seine Kabel zusammen und packt seinen Bass ein.

ROAD TRIP // Die erfolgloseste Band der Welt geht auf Tour
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