FLUCH PER MAUSKLICK

Das Ganze begann an einem sonnigen Freitagnachmittag. Ich dachte mir nichts dabei, als Robin die Agentur zwei Stunden früher als sonst verließ. In letzter Zeit hatte er häufig auswärts zu tun, meist begleitet von unserer derzeitigen Praktikantin Mariella. Die glutäugige Gaststudentin aus Haiti, milchschokoladenbraun mit lackschwarzen Kräusellöckchen, schien etwas für Robin zu schwärmen. Allerdings wäre mir nicht im Traum eingefallen, dass er ihre Gefühle erwidern könnte! Das wurde mir erst klar, als ich beim Nachhausekommen meine Reisekoffer im Hausflur fand – zusammen mit einem Abschiedsbrief. Tut mir leid, aber Mariella hat mich einfach verzaubert … Ich las gar nicht erst weiter. Wenn Robin verliebt ist, wird er schwülstig.

Meine Kündigung steckte auch gleich mit in dem Umschlag. Schön dumm, sich in der gemeinsam gegründeten Firma als Angestellte führen zu lassen. Aber immerhin war die Wohnung auf meinen Namen eingetragen. Wie konnte er mich also einfach hinauswerfen?

Während ich noch überlegte, öffnete sich die Tür der Nachbarwohnung und setzte eine Art Erdbeben frei. Fido, bislang unser gemeinsamer Hund und nun offensichtlich mein Erbteil aus der Beziehung, stürzte erfreut auf mich zu. Der gewaltige gelbe Köter umkreiste mich in ungelenken Sprüngen und spritzte dabei Sabberkaskaden über den Flur. Bei meinem Anblick arbeiten seine Speicheldrüsen stets auf Hochtouren.

»Ach, Frau Langer, fahren Sie in Urlaub?«, fragte meine Nachbarin mit scheinheiligem Unterton. »Ihr Mann hat den Hund bei mir gelassen, aber das möchte er bitte nicht wieder tun. Das Tier hat die ganze Zeit geweint.«

Ich konnte es mir vorstellen. Fido neigt zu einer durchdringenden Lautäußerung, die irgendwo zwischen Tarzanschrei und verstimmter Violine anzusiedeln ist. Dabei wissen wir nicht, ob es sich hier um eine persönliche Eigenart handelt oder um eine rassetypische Stimmbanddeformation des Spanish Mastiff. Letzteres wäre eine Erklärung dafür, weshalb man diese Rasse als Kampfhund einstuft. Fido – Robins Ansicht nach ein Spanish Mastiff ohne Papiere – zeigt im Alltag keinerlei Aggressivität. Sein Gejaule prädestiniert ihn jedoch als Geheimwaffe bei Belagerungen: Zermürbung der Moral des Gegners und Mauerzerstörung durch Schallwellen.

Inzwischen äußerte er seine Freude über meine Heimkehr nur noch durch ein ausgeprägtes Ganzkörperwedeln, eine fidospezifische Bewegungsvariante, die entfernt an Bauchtanz erinnert. Schwanz, Vorder- und Mittelteil des Hundes schwingen dabei ausladend in jeweils gegensätzliche Richtungen.

Ich bedankte mich halbherzig bei Frau Krieger, murmelte etwas von »Soll nicht wieder vorkommen« und griff nach meinem Koffer. Heute Nacht würde ich erst mal ins Hotel gehen und morgen zum Anwalt.

Leider erwies sich schon die Hotelsuche mit einem Urviech wie Fido als fast aussichtslos. Schließlich schliefen wir im Hilton – mit saftigem Aufpreis für den Hund, der die letztlich entstandenen Reinigungskosten allerdings kaum gedeckt haben dürfte.

Am nächsten Tag kamen wir dann im Gartenhaus einer Freundin unter. »Vorübergehend«, bemerkte Angela, nachdem Fido die erste Sabberspur gezogen hatte.

Der Anwalt war erst am Montag zu sprechen – und hatte nicht viel Ermutigendes zu sagen. Natürlich könne ich gegen den Rausschmiss klagen. Falls ich wirklich noch mit meinem Ex in einer Firma arbeiten wolle. Und die Räumungsklage sei selbstverständlich eine sichere Sache. Aber mit sechs Monaten Verfahrensdauer müsse ich mindestens rechnen.

Immerhin fand ich sehr schnell einen neuen Job. Angela arbeitete in einer Agentur, die Produktnamen entwickelte, und ihre Chefin suchte gerade nach einer neuen Texterin. In den nächsten Wochen fungierte ich also als Taufpatin für eine Kleinwagenedition in tristen Farben, die ich »Night life« nannte, obwohl mir bei ihrem Anblick eher »Death row« einfiel. Eine Bettwäschelinie mit albtraumhaftem Design nannte ich »Dream-Kit« und eine Kaffeemaschine mit Zeitschaltuhr »Morgana« – das Flair der Zauberin in Verbindung mit dem Guten-Morgen-Feeling, wenn Sie wissen, was ich meine.

Auch als ich den Namen »Voodoo« für eine neue Duftserie vorschlug, nickte meine Chefin wohlwollend: »Grundsätzlich nicht schlecht. Ein Mysterium, verboten, gefährlich und doch verführerisch. Aber gibt’s da nicht ein gleichnamiges Raumspray?«

Im Team erntete ihr Einwand nur fragende Blicke. Außer Fido und mir verwandte hier wohl niemand Raumspray, und auch ich griff eher zu »Geruchsstopp« als zu »Voodoo«. Letzteres klang schließlich schwer nach Pheromonen, und die hätten Fidos Drüsen womöglich noch weiter stimuliert. Aber irgendwie hing ich an meiner Idee und versprach, der Sache nachzugehen.

Gleich am Nachmittag begab ich mich folglich ins Internet, startete meine Lieblingssuchmaschine und gab das Wort »Voodoo« ein.

Ergebnis: »Zu dem gesuchten Wort gibt es 19900 Seiten und Texteinträge.«

Das konnte ja heiter werden. Zu allem Überfluss sah mir nun auch noch Angela über die Schulter.

»Internetsurfen am Arbeitsplatz. Tss tss …«, bemerkte meine Freundin. »Und dann auch noch so kompromittierende Themen. Wenn ich meinen Kerl um die Ecke bringen wollte, würde ich die Anleitung zu Hause ausdrucken.«

»Hm?« Ich guckte verwundert. Klar hatte ich schon mal daran gedacht, Robin und Mariella einen Auftragskiller auf den Hals zu schicken. Aber wo um Himmels willen heuert man solche Leute an? Und wie würde es hinterher in der Wohnung aussehen? An Fidos Absonderungen hatte ich mich ja inzwischen gewöhnt, aber Blutflecken auf dem Sofa?

»Ach komm, tu nicht so, ich hab’s gesehen. Stichwort ‚Voodoo’, Hexenkunst, schwarze Magie, tödliche Flüche …« Angela linste neugierig auf den Bildschirm.

Daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Beim Thema »Voodoo« war mir bisher nur aufpeitschende Musik eingefallen – und schwülwarme afrikanische Nächte, Tanz in Ekstase, vielleicht ein bisschen Liebeszauber. Aber jetzt erinnerte ich mich auch an Blutorgien und Zombies, Voodoopuppen und Besessenheit.

An so etwas glaubte ich natürlich nicht. Aber andererseits: 19900 Einträge im Internet! Konnte das alles wirklich Blödsinn sein? Auf jeden Fall versprach die Methode rasche und saubere Entmietungserfolge.

Ich beschloss, die Angelegenheit zu Hause weiterzuverfolgen. Hier gab ich nur noch kurz das zusätzliche Stichwort »Raumspray« ein und fand lediglich eine Eintragung: Ein Esoterik-Shop verkaufte sowohl Voodoo-Kits als auch Ayurveda-Duftsprays. Ich hakte die Plagiatsgefahr also vorerst ab.

Zu Hause in meinem Briefkasten fand ich einen Bescheid des Ordnungsamtes. Fido wurde zur Wesensprüfung gemäß der neuen Hundeverordnung bestellt. Zum hundertsten Mal verfluchte ich Robin, der mir diese Suppe eingebrockt hatte, indem er Fido stolz als »Spanish Mastiff« registrieren ließ. Hätte er sich auf »Mischling« beschränkt, hätte ich nur einen Maulkorb kaufen müssen. Immerhin tröstete ich mich damit, dass dies der letzte Fluch war, den ich derart unprofessionell von mir gab. In Zukunft würde ich die Macht des Wortes voll ausschöpfen.

Ich nahm mir ein Glas Wein und schaltete den Laptop ein. Erst mal ein paar Grundinformationen:

»Voodoo entstand durch die Vermengung verschiedenster Glaubens- und Religionsformen. Die Naturreligionen der afrikanischen Sklaven vermischten sich mit dem Katholizismus, dem Hinduismus und dem Islamischen Glauben. Bei den Ritualen rufen die Gläubigen Loas als Götter und Geister an, in der Hoffnung, von einem von ihnen besessen zu werden. Es werden meist Opfer wie Ziegen oder Hühner dargebracht …«

Also doch Blut auf dem Sofa?

»Rituale bringen Glück, wehren Böses ab und besänftigen Tote. Die dunkle Seite des Voodoo offenbart sich aber auch in Ritualmorden, Kannibalismus und Zombifizierung.«

Der letzte Begriff war ganz neu in meinem Wortschatz und eröffnete mir interessante Gedankengänge. Mariella als roboterhaft herumschwankender Geist, auf meinen Befehl hin ständig mit dem Putzlappen auf Fidos Spuren … Das mochte ein Ziegenleben wert sein. Aber hatte ich nicht erst heute Nachmittag von »Ritual-Packages« gelesen, die mit der Post verschickt wurden? Ich konnte mir kaum vorstellen, dass da eine Ziege inklusive Schlachtanleitung mitgeliefert wurde.

»Ein Zombie wird erschaffen, indem dem Betroffenen ein Trunk eingeflößt wird, der ihn in einen todesähnlichen Zustand versetzt …«

Ich schrieb gedanklich das Sangria-Sonderangebot meines Supermarktes auf die Einkaufsliste. Das Zeug pflegte mir neuerdings häufig zu einem todesähnlichen Schlaf zu verhelfen. Konnte ich es Robin und Mariella unauffällig unterjubeln?

»Dann wird der klinisch Tote in die Erde versenkt und nach drei Tagen in einem grauenvollen Schwebezustand zwischen Leben und Tod wieder ausgegraben.«

Die Beschreibung des Morgens danach kam zwar hin, aber was sollte ich Frau Krieger sagen, wenn sie mich beim Herausschleifen der Körper beobachtete? Zudem hatten wir nur sehr eingeschränkte Gartenbenutzungsrechte. Fido dürfte nicht mal Knochen verbuddeln.

Ich schob die Sache mit der Zombifizierung also vorerst auf. Stattdessen surfte ich auf die praktische Esoterikseite, die unkomplizierte Lösungen versprach.

»Alle notwendigen Voodoo-Utensilien sind im Ritualset enthalten. Eine ausführliche und äußerst kostbare Geheimnisse beinhaltende Anleitung liegt den jeweiligen Zutaten bei.«

Für jeweils neunzig Euro gab es Ouangas zur Erlangung von Reichtum, Schönheit und Charisma. Für mich kamen allerdings mehr die roten Rituale infrage, die sich mit Partnerschaftsproblemen befassten. Das Gede Samdi zum Beispiel:

»Sehr hilfreich, wenn der ehemalige Partner eine neue Beziehung eingegangen ist. Besonders zu empfehlen, wenn man eine Partnerrückführung beabsichtigt.«

Oder das Baso Samdi:

»Fördert die Trennung vom Partner, wenn keine anderen Mittel mehr helfen.«

Zur Wohnungsentmietung speziell gab es keine Ouangas. Das schien in der Karibik kein drängendes Problem zu sein. Immerhin stieß ich gleich danach auf die »wohl bekannten, berüchtigten Puppenrituale«:

»Sie werden ausgeführt, um ein spezielles Problem zu lösen, um sich zu schützen, um Erfolg zu haben, um eine bestimmte Person in sich verliebt zu machen oder um einen Rivalen auszuschalten.«

Na also, das schlug gleich mehrere Fliegen mit einer Klappe und erschien mir insofern die bislang wirtschaftlichste Variante zu sein:

»Die Rituale werden jeweils als Set mit praktischer Anleitung, Personifizierungs- und Indizierungsritual und den jeweils benötigten Voodoo-Utensilien (Voodoo-Puppe, echtes Pergament, Voodoo-Öl, Nadeln usw.) geliefert.«

Mit neunzig Euro sind Sie dabei!

Ich wollte das Ganze schon in meinen Warenkorb legen, als dann doch der Geizhals in mir wach wurde. Bei fast zwanzigtausend Websites gab es vielleicht noch ein günstigeres Angebot. In der Hoffnung, die Aura meines Ex’ vielleicht auch für fünfundachtzig Euro »methodisch beeinflussen« zu können, klickte ich weiter zu »Voodoo virtuell«. Und das schien nun wirklich die Top-Adresse zu sein! Völlig umsonst und vor allem gänzlich unblutig konnte man hier per Mausklick seine Voodoo-Puppe auswählen, »personalisieren« und den Fluch per E-Mail auf den Weg schicken. Ich stellte mir das ähnlich vor wie bei den berühmten Yahoo-Grußkarten:

»Guten Tag, Robin Anrainer! Sie haben eine Verwünschung von Corinna Langer erhalten. Bitte klicken Sie innerhalb von sechs Wochen auf dieses Feld, um Ihren Fluch zu aktivieren.«

Bei dem Gedanken an Robins Gesicht musste ich kichern, obwohl das Ganze natürlich eine ernste Angelegenheit war:

»Überlegen Sie genau, wie Sie Ihre Beschwörung formulieren!«, warnte die Anweisung. »Auf jede Aktion erfolgt eine Reaktion.«

Außerdem verfluchte man natürlich auf eigene Verantwortung und hatte seine Verwünschungen möglichst auf volljährige Adressaten zu beschränken.

Nun, versuchen konnte ich es. Immer noch grinsend wählte ich eine rot gewandete Voodoo-Puppe, taufte sie virtuell auf den Namen Mariella und formulierte eine boshafte Beschwörungsformel. Dazu rammte ich eine digitale Nadel in den Kopf der Cyber-Mariella. Nützte vielleicht nichts, tat aber gut. Entschlossen klickte ich anschließend auf »Zauber aktivieren«.

So ganz traute ich der Angelegenheit jedoch nicht. Wenn das so einfach wäre, stände es längst in den Broschüren des Hauseigentümerverbands. Deshalb schaute ich noch kurz bei »schwarzemagie.net« herein und wurde dort ebenfalls fündig: »Anleitung zum Voodoo-Fluch«. Auch wieder kostenlos, allerdings war diesmal der Heimwerker gefordert:

»Nimm etwas Wachs und fertige daraus eine Figur, die dem Opfer möglichst ähnlich sieht.«

Mitleidlos zerdrückte ich eine Adventskranzkerze und begann zu modellieren. Mit kalter Objektivität konzentrierte ich mich auf Robins etwas zu lange Nase, seinen beginnenden Bierbauch und sein nicht allzu imponierend ausgefallenes Geschlechtsteil.

»Der Fluch ist unfehlbar, wenn man sich etwas Kleidung, Haare, Fingernägel oder einen Zahn des Opfers besorgen kann …«

Hier wurde es schwierig. Aber dann fiel mir das Fotoalbum ein. Dieses moosgrüne Monster mit Goldschnitt, ein Geschenk von Robins Mutter, hatte irgendwie den Weg in meine Bücherkiste gefunden. Ich weiß noch, wie sie es mir anlässlich unseres gemeinsamen Wohnungskaufes mit Tränen in den Augen überreichte: »Eine unschätzbare Erinnerung, auch später für eure Kinder. Robins ganzes Leben ist darin dokumentiert.«

Dazu zeigte sie mir ein zwischen die ersten Seiten gestopftes, mit staubigen Relikten gefülltes Plastikbeutelchen. »Robins erste Locke … sein erster Zahn …«

Ob Milchzähne noch zum Verfluchen eines Fünfunddreißigjährigen taugten? Ach was, DNS war DNS. Entschlossen entsiegelte ich das Tütchen und schmückte meine Wachspuppe mit Robins Hinterlassenschaften. Wenn das seine Mutter wüsste!

»Nun muss die Puppe benannt werden. Dazu beräuchere man sie mit Weihrauch und spreche: ‚Ich nenne dich …’«

Wo zum Loa kriegte man Weihrauch? Während ich noch darüber nachdachte, fiel mein Blick auf das original sächsische Räuchermännchen, mit dem Angela einen der Schränke im Gartenhaus dekoriert hatte. Kein Wunder, dass es bis jetzt keiner mieten wollte! Ob da Weihrauch drin war? Jedenfalls Rauch. Der Loa würde den Unterschied wahrscheinlich gar nicht merken. Ich angelte das Ding also vom Schrank, und sofort verbreitete sich der Duft jahrzehntealter Mottenkugeln.

»Ich nenne dich Robin Ferdinand Anrainer!«, erklärte ich der Puppe feierlich und hielt sie in den Rauch. Jetzt müsste Robin eigentlich einen Erstickungsanfall bekommen, wenn man Hollywoodfilmen glauben dürfte.

»Nimm einige Nadeln und stich sie tief in die Figur, während du den Zauberspruch rezitierst …«

Zauberspruch? Mit gezückter Nadel suchte ich hektisch nach dem Text. Ach ja, hier:

»Geeignet ist das Vaterunser rückwärts.«

Ich konzentrierte mich: »Amen. Ewigkeit in geschehe Wille dein, komme Reich …« Ob das so okay war? Oder musste ich auch die Wörter umkehren? Nach der ganzen Arbeit mit der Puppe wollte ich es auch richtig machen. »Nema. Tiekgiwe ni ehehcseg …« Nach einer halben Stunde war ich fertig und längst aus dem Stadium heraus, in dem ich Robin einen raschen Tod gewünscht hatte. Genüsslich rammte ich ihm die Nadel ins Rückgrat. »Das Genick sollst du dir brechen!«, murmelte ich dabei.

Nun musste das Ganze noch etwas ablagern, nachdem ich es in ein schwarzes Tuch gepackt hatte. Innerhalb von drei Tagen, so versprach mir die Anleitung, würde ich vom Unglück meines Opfers erfahren. Mit einem weiteren Glas Wein ging ich zu Bett und schlief den Schlaf der Gerechten.

Vorerst hörte ich allerdings nichts von Robin. Dafür fand Fido das Päckchen am dritten Tag, wickelte es sorgfältig aus, entfernte die Nadel und fraß die Wachspuppe. Seinem Magen hat sie nicht geschadet, aber ich dachte doch etwas schuldbewusst an Robin. Von wessen Zähnen mochte der gerade zermahlen werden?

Am Tag danach fand dann die Wesensprüfung statt. Fido sprang erfreut ins Auto und kommentierte jeden Schaltvorgang mit euphorischem Fiepen. Auf dem Hundeplatz entdeckte er eine äußerst attraktive Rottweilerdame und jaulte für sie eine Tonfolge, die jedem zeitgenössischen E-Musik-Komponisten Preise eingebracht hätte. Die Hündin schien zunächst auch durchaus interessiert zu sein. Bis ihr Frauchen ein scharfes »Platz!« von sich gab. Daraufhin ließ sie sich schuldbewusst auf ihren verführerischen Hintern plumpsen und hatte keinen Blick mehr für Fido. Ich schaute Frauchen strafend an. Wie konnte man die natürlichen Lebensregungen des Tieres nur so unterdrücken? Fido gab ein trauriges Jaulen von sich, vergaß die Sache dann aber und versank zu meinen Füßen in Tiefschlaf.

Inzwischen hatte ich Zeit, mir das Frauchen seiner Flamme näher anzusehen, und erkannte zu meiner Verwunderung Lizzie, Robins Sekretärin. Ohne die dick aufgetragene Schminke und das kurze Röckchen, das sie im Büro zu tragen pflegte, sah sie ganz anders aus. Mein aktuelles Gegenüber war ein sportliches Mädchen im Barbour-Look. Auch für Lizzie musste ich in Jeans und Friesennerz befremdlich wirken. Aber sie strahlte, als sie mich erkannte.

»Wie schön, Sie wiederzusehen, Frau Langer! Geht es Ihrer Mutter denn jetzt besser? Vielleicht können Sie ja zurück ins Büro kommen, wenn die Pflege nicht mehr ganz so aufwändig ist. Die neue Texterin ist jedenfalls ein Flop. Und seit Herr Anrainer auch noch dauernd krank ist …«

Ich brauchte etwas Zeit, um ihren Redestrom zu ordnen. Was hatte Robin da von sich gegeben? Ich sei ausgeschieden, um meine kranke Mutter zu pflegen? Die nächste Nadel würde ich ihm in die Geschlechtsteile rammen! Aber halt, hatte Lizzie da nicht was von einer Krankheit gesagt?

»Na, sein Hexenschuss. Ganz plötzlich, Dienstagabend. Hat er Ihnen das nicht erzählt? Sie haben zurzeit natürlich andere Sorgen. Irgendwie süß, dass er Sie nicht damit belasten will …«

Ich musste schlucken. Hexenschuss! Gut, das war nur ein schwacher Abklatsch der eigentlichen Verwünschung. Aber wer weiß, vielleicht hatte der Loa das mit dem falschen Weihrauch doch spitzgekriegt. Jedenfalls war die Sache mehr als unheimlich.

»Und … äh … wie geht es Mariella?«

Ich musste die Frage noch zwei Mal wiederholen, um den Krach auf dem Hundeplatz zu übertönen. Der eben geprüfte Bullterrier machte Anstalten, den die Wesensprüfung durchführenden Tierarzt zu zerreißen. Zwei andere Hunde vor uns hätten dabei gern mitgemischt. Ihre Besitzer brauchten alle Kraft, um sie zu halten.

»Fürchterlich, diese unerzogenen Tölen«, kommentierte Lizzie mit zärtlichem Blick auf ihre Hündin, die als einzige Reaktion auf den Tumult die Unterlippe hängen ließ und dabei ihre gewaltigen Reißzähne enthüllte. Fido wurde gar nicht erst wach.

»Was sagen Sie? Mariella? Ach, die ist auch seit Mittwoch krank. Migräne. Aber Montag will sie wiederkommen.«

Zum Glück wurde gerade Lizzies Nummer aufgerufen, sodass ihr mein Gesichtsausdruck hoffentlich entging. Der eine Hexenschuss, die andere Migräne … Ein Stich in den Rücken, einer in den Kopf. Das konnte kein Zufall sein! Ich versuchte, mich zu fassen, während Lizzie und ihre Hündin den Wesensprüfungsparcours vorbildlich erledigten. Die perfekt konditionierte Rottweilerin begrüßte den Tierarzt mit einstudiertem Schwanzwedeln und wanderte dann interesselos an einem Kinderwagen und anderen irritierenden Anblicken am Wegrand vorbei. Sie ließ sich von einem Radfahrer beinahe überfahren, ohne auch nur im Entferntesten Notiz von ihm zu nehmen, und erwies sich als schussfest. Zum Schluss zeigte sie auf leiseste Kommandos Sitz und Platz.

Ich fuhr zusammen, als meine Nummer aufgerufen wurde, und versuchte, Fido ins Reich der Lebenden zurückzuzerren. Erst beim dritten Ruck an der Leine wurde er langsam wach und schlenderte mit mir zum Tierarzt hinüber. Auf halbem Weg hob er noch kurz das Bein an dem Hinterrad des Fahrrads, dessen Fahrer hier auf seinen Auftritt wartete.

»Ein Spanish Mastiff«, meinte der Tierarzt. »Seltene Rasse, hatten wir hier noch nie.« Sein Gesichtsausdruck ließ erahnen, dass er das nicht sonderlich bedauerlich fand. »Darf ich ihn streicheln?«

»Sicher.«

Ich nickte, und Fido bedankte sich mit ausgiebigem Ganzkörperwedeln. Auch der Tierarzt schien den pawlowschen Reflex wachzurufen. Fido schmiegte sich an ihn und durchtränkte seine Jeans mit Geifer.

»Ja, äh … Gehen Sie einfach mit ihm den markierten Weg entlang. Er sollte möglichst auf keine der Irritationen reagieren.«

Fido träumte sich an dem Kinderwagen vorbei, der mich allerdings stark irritierte. Wann um Himmels willen hatte man das darin liegende Baby zuletzt gewickelt? Kein Wunder, dass es gellend schrie.

»Der Geruch gehört zu den Irritationen«, klärte mich die zugehörige »Mutter« auf, als ich schnüffelte. »Das Baby ist natürlich eine Puppe, und das Geschrei kommt vom Tonband. Ist auch besser so, Sie glauben gar nicht, wie viele Hunde da angreifen.«

Ich konnte es den Tieren nachfühlen. Fido ist allerdings gänzlich geruchsresistent, und sein Gehör scheint auch nicht das Beste zu sein. In der Folge ließ er sich anstandslos durch eine Stangengasse führen und hob nur an ihrem Ende das Bein. Für die nächsten Starter wurde die Aufgabe damit schwieriger, da sie nun auch einen Wassergraben zu überqueren hatten. Als der Schuss fiel, beschloss Fido, sich tot zu stellen, und legte sich quer über den Weg. Für den Radfahrer blieb kein Platz mehr.

»Tragen Sie’s einfach über ihn weg«, empfahl ich dem Jungen, als Fido auch auf sein heftigstes Klingeln nicht reagierte.

Schließlich brauchte ich vier Anläufe, um den Hund zum Weitergehen zu überreden, aber dann hatten wir es auch fast geschafft. Nur noch diese leidige Gehorsamsprüfung.

»Sitz und Platz kann er leider nicht zuverlässig«, musste ich zugeben. »Aber dafür singt er die Titelmelodie der Lindenstraße

Das hatte Robin ihm mal in einem Anfall von Dressurehrgeiz beigebracht. Auch diesmal klappte es zuverlässig. Als ich die Tonfolge ansummte und dirigierende Handbewegungen machte, fiel Fido lautstark ein. Er traf die Töne nicht ganz, aber der Tierarzt winkte sowieso gleich ab.

»Also in Bezug auf die Hundeverordnung ist er harmlos. Aber was die Lärmschutzverordnung, die Wasserschutzverordnung und die Straßenverkehrsordnung angeht, weiß ich nicht so recht«, bemerkte er abschließend.

Jedenfalls bekamen wir unsere »Green Card« für die Kampfhundehaltung und konnten abziehen. Ich atmete auf. Endlich wieder Zeit, sich mit den wesentlichen Dingen zu beschäftigen. Zum Beispiel mit Voodoo-Flüchen und ihrer Wirkung. Konnten meine Verwünschungen tatsächlich eingetroffen sein? Unmöglich. Aber wenn doch – mir wurde siedend heiß –, würden sie dann tatsächlich auf den Absender zurückschlagen? Auf dieses Risiko hatten sämtliche Anleitungen hingewiesen. Ich begann sofort, mich elend zu fühlen. Als ich nach Hause kam, hatte ich Kopfschmerzen.

»Du bist verrückt«, erklärte Angela, als ich sie um eine Aspirin-Tablette bat und bei der Gelegenheit von Lizzie erzählte. »Geh an die frische Luft und denk nicht mehr an den Blödsinn. Das mit dem Hexenschuss kann Zufall sein. Und Kopfschmerzen haben wir alle mal.«

Fido war hocherfreut über den erneuten Spaziergang. Als ich aus dem Haus trat und die Stufen zum Garten hinunterging, tobte er so ungeschickt um mich herum, dass ich über ihn stolperte. Unsanft landete ich auf dem Hintern und stieß mir den Rücken an einer der Treppenstufen.

Zufall?

Meine Alarmlichter waren jedenfalls angegangen, und in den nächsten Tagen meinte ich, überall auf Mariellas Rache zu stoßen. Das Mädchen kam immerhin aus Haiti. Sie sollte das mit den Flüchen mitbekommen haben. Und wer weiß, was sie mir gerade an den Hals hexte? Jedenfalls fuhr ich zusammen, als Fido im Park eine schmutzige Plastikpuppe anschleppte. Mein Voodoo-Abbild, irgendwo außerhalb von Frau Kriegers Einflussbereich vergraben? Ich spürte den Sand schon zwischen den Zähnen und unter den Fußnägeln. Aber immerhin hatte das Ding keine Einstiche, sondern nur einen beneidenswert wohlgeformten Busen. Vielleicht ein Teil des Van-Van-Ritual-Packages, das Schönheit verhieß? Hatte Frau Krieger es womöglich selbst verbuddelt? Wie auch immer, zur Zweitverwertung war es sicher nicht geeignet. Also überließ ich es Fido, der es umgehend wieder eingrub.

Am nächsten Tag beobachtete ich dann Robin. Zu meinem Entsetzen trat er eben aus einer Devotionalienhandlung gegenüber dem Dom. Was um aller Loas willen hatte er da gekauft? Weihrauch? Ich machte mich hoffnungslos lächerlich, indem ich nach ihm hineinging und mich nach seinen Einkäufen erkundigte. Zum Glück glaubte die Verkäuferin meinen halbherzigen Erklärungen und informierte mich bereitwillig. Eine Herde Schafe für die Weihnachtskrippe. Also kein Problem. Oder doch? Gab es auf anderen Voodoo-Seiten vielleicht virtuelle Opferrituale mit Holzschäfchen?

Als ich nach Hause kam, war ich ein Nervenbündel.

»Also, wenn du dir das so zu Herzen nimmst, solltest du einfach mal Nadeln … äh … Nägel mit Köpfen machen«, bemerkte Angela, die am Abend vorbeikam. Sie hatte mich mit einer Sangria-Flasche auf dem Sofa vorgefunden, nicht weit entfernt von der Zombifizierung. »Sprich mit irgendeinem Experten und kauf dir einen Schutzzauber. Gibt’s übrigens auch im Internet.«

Aha, Angela hatte also auch einen Blick auf »Voodoo.de« geworfen. Ich musterte prüfend ihren Busen.

»Am besten versuchst du es mit einem richtigen Voodoo-Priester. Wo du doch schon so nette Erfolge hattest …«

Wie sich herausstellte, hatte Angela unsere frühere Putzfrau auf dem Markt getroffen. Ihren Angaben zufolge kämpfte Robin immer noch mit dem Hexenschuss.

»Pack dir so einen Mambo, oder wie die heißen, und bestell eine dicke Zeremonie. Von Schutzzauber bis Entmietungsfluch.«

»Mambos sind die Zauberinnen. Die Priester heißen ‚Bokors’ oder ‚Hungans’«, berichtigte ich sie. »Und so ein Profiritual ist sicher sündhaft teuer.«

»Immer noch billiger als der Anwalt«, gab Angela zu bedenken. »Und es beschleunigt die Sache. Schließlich willst du nicht ewig in meinem Gartenhaus wohnen.«

Ich verstand die Drohung und konnte sie auch in gewisser Weise nachfühlen. Nicht nur, dass Fido pausenlos tropfte. Nach dem Genuss des neuen Hundefutters neigte er auch noch zu Blähungen.

»Also schön«, seufzte ich und öffnete das Branchenverzeichnis.

Erstaunlicherweise wurde ich gleich fündig. Der nächste Humfó, sprich Voodoo-Tempel, lag gleich in Harburg. Die Mambo Mama Laya bot hier ihre Dienste an: Beschwörungsrituale, Bindungs- und Abwehrzauber.

Am nächsten Tag rief ich sie an, wobei mir etwas mulmig zumute war. Während wir uns unterhielten, schlug im Hintergrund eine Kuckucksuhr. Ja, sicher, sie führe Beschwörungsrituale durch, die Gemeinde treffe sich jeden Dienstag. Generell würde sie vom Verfluchen aber eher abraten, das könne doch sehr schnell auf den Fluchenden zurückschlagen. Jedenfalls legte sie mir dringend nahe, meine Seele vorher in einem Pot-tét unterbringen zu lassen, um sie vor eventuellen Gegenzaubern zu schützen. Dazu müsste ich mich einer Reinigungszeremonie unterziehen, und danach würde sie aus verschiedenen Körperteilen von Mensch und Tier eine Darstellung meines Gros-bon-ange formen. Das Ganze komme dann in einen versiegelten Topf und werde im Altarraum ihres Humfó aufbewahrt. Das Eintopfen koste hundertachtzig Euro, das persönliche Schließfach weitere zwanzig im Monat.

Ich beschloss umgehend, meine Seele auch fürderhin selbst zu beaufsichtigen.

Das »große Ritual zur Einflussnahme auf die Aura eines anderen mit Aktivierung eines Baso-Samdi-Ouangas zur räumlichen Trennung« kostete fünfhundert Euro, was mich etwas schlucken ließ. Aber was sollte es, das machte man ja wahrscheinlich nur einmal im Leben. Ich sagte zu und wurde gleich für den nächsten Dienstag auf die Liste gesetzt. An dem Service sollte sich Dr. Paulus mal ein Beispiel nehmen!

Wie immer, wenn ich das Haus verließ, stand ich vor dem Problem, ob ich es mir antun sollte, Fido mitzunehmen, oder ob ich auf Angelas Langmut setzen sollte. An diesem Dienstag war meine Freundin eindeutig zu Hause, es sah aus, als erwarte sie Herrenbesuch. Wie ich sie kannte, würde sie dabei den ganzen Abend ihre Lieblings-CDs abspielen, abwechselnd Engelbert und Carpendale, beide Fidos bevorzugte Interpreten. Falls er ihre Titel mitsang, fiel Angelas Date garantiert ins Wasser, und wir standen vor dem Rausschmiss. Im Rahmen der mir bislang bekannten Voodoo-Gesänge würde Fidos Stimme dagegen nicht auffallen. Ich biss also in den sauren Apfel und griff nach seiner Leine, was er gleich mit Freudenjuchzern und der zugehörigen Flüssigkeitsproduktion honorierte.

Der Humfó sah eigentlich aus wie ein ganz normales Reihenhaus, und Mama Laya hieß mit bürgerlichem Namen Renate Hasselböhm. Ich hätte das befremdlich finden sollen, aber erstaunlicherweise beruhigte es mich eher. Auch wurde ich keineswegs von einem bleichen Zombie-Diener empfangen, sondern von einer rundlichen Frau mittleren Alters, die einen locker hängenden Kaftan trug und äußerst entspannt wirkte.

»Sie sind etwas früh«, meinte sie freundlich und kraulte Fido furchtlos den Kopf. Voodoo-Praxis schien auf den Umgang mit Ungeheuern vorzubereiten. »Aber das macht nichts, da kann ich Ihnen gleich den Humfó zeigen. Sie haben doch nicht etwa Angst, Kindchen? Keine Sorge, die Götter haben Einblick in Ihre Seele. Sie haben nichts zu befürchten.«

Dr. Paulus hätte das wahrscheinlich anders gesehen, kam ich doch mit den denkbar finstersten Absichten. Fido leckte mir beruhigend die Hand.

»Kann er … mitkommen?«, fragte ich heiser.

»Aber ja!«, erklärte Mama Laya. »Wissen Sie, wir haben häufig einen großen schwarzen Hund dabei, der sich aus dem Guinée manifestiert, meistens in meiner Schwägerin. Würde mich interessieren, wie er auf Ihren reagiert … Aber es ist ein guter Geist, keine Sorge.«

Ich schluckte ein wenig. Okay, ich hatte mich auf Ziegenopfer vorbereitet. Aber auf Besessenheit durch lang verstorbene Hunde?

»Sehen Sie, hier ist der Bagui, unser Altarraum, mit den Pot-téts meiner Schutzbefohlenen.« Mama Laya führte mich in einen Anbau, der den Garten des Reihenhauses fast vollständig ausfüllte. Ein paar kleinere Räume reihten sich um einen Innenhof, das Peristyl, wie die Mambo mir erklärte. Hier würde das Ritual stattfinden. »In den Heimatländern des Voodoo ist das Peristyl meist zum Himmel hin offen, aber hier brauchen wir einen Regenschutz. Außerdem sind wir in einem Wohngebiet, da muss man Rücksicht nehmen.«

Mama Laya zeigte auf die schallisolierten Wände. Vermutlich hatte sie nörgelnde Nachbarn, was mich an Frau Krieger erinnerte. Ob es einen sehr hohen Aufpreis kosten würde, sie gleich mit zu zombifizieren?

In der Mitte des Lichthofes waren Zeichen auf den Boden gemalt, außerdem stand hier eine Säule, die sofort Fidos Interesse weckte. In der Befürchtung, der schwarze Hund habe sich schon daran verewigt und Fido wolle nun seinen Duft hinzugeben, zerrte ich ihn weg. Verärgert verkroch er sich in einem der hundehüttenähnlichen Gelasse, die um den Hof herumgebaut waren.

»Erstaunlich, er kriecht in den Kay-myste von Papa Legba!«, wunderte sich die Mambo.

Entschuldigungen murmelnd versuchte ich, ihn wieder herauszuziehen. Aber die Mambo wehrte gütig ab.

»Nein, lassen Sie nur. Wenn der Geist ihn duldet, ist er willkommen.«

Die diversen Hütten gehörten also verschiedenen Loas. Und der Mittelbalken repräsentierte eine Achse, die in unvorstellbare Tiefen reichte, bis hinüber in die jenseitige Welt. »Guinée« nannte man die, auch »Dahomey« – Wohn- und Aufenthaltsort von Göttern, Geistern und den Seelen aller nichtzombifizierten Verstorbenen.

Inzwischen plätscherten die ersten Gläubigen herein – von ein paar exotisch gestylten Jugendlichen abgesehen ganz normale Leute. Die wären auch bei den Zeugen Jehovas nicht weiter aufgefallen.

Mama Laya begrüßte sie mit ein paar Worten und warf ein Tonband mit Anrufungs- und Klagegesängen an. Dann verabschiedete sie sich noch kurz, um das Opfertier zu holen. Mir wurde angst und bange, aber das erwies sich schnell als unbegründet. Die Mambo erschien mit einem eindeutig toten Huhn vom Schlachter und einem Beutel, der aussah wie eine angetaute Blutkonserve.

»Wir schlachten nicht selbst, weil …«

»… dies ein Wohngebiet ist«, vervollständigte ich verständnisvoll.

Die Mambo nickte strahlend. Aus dem gleichen Grund verwandte sie auch kein Holzfeuer, sondern entzündete einen Gaskocher in der Mitte des Raums. Anscheinend waren Voodoo-Geister flexibel, ich hätte mir wegen des Räuchermännchens gar nicht solche Sorgen machen müssen. Inzwischen begannen ein paar Männer Trommeln zu schlagen, und die ersten Stimmen der Voodoo-Adepten mischten sich in die Tonbandmusik. Die meisten Gemeindemitglieder zeigten sich jedoch noch etwas schüchtern.

Das legte sich, als die Mambo zunächst eine helle Flüssigkeit in eine Schale goss und anschließend die Kalebasse kreisen ließ. Ich schaute etwas misstrauisch, als das Gefäß zu mir kam. Von welchen menschlichen und tierischen Bestandteilen war gestern noch die Rede gewesen?

»Das ist Clairin, Zuckerrohrschnaps«, klärte mich meine Nachbarin auf.

Beruhigt nahm ich einen Schluck. Das Zeug schmeckte nicht übel, allerdings war es höllisch scharf. Nachdem die Flasche dreimal herumgegangen war, lösten sich die Zungen der Ritualteilnehmer. Gesang setzte ein und wurde schnell fordernder, man konnte sich seiner Wirkung kaum entziehen. Ich merkte, dass ich zunächst mitsummte, mich im Takt wiegte und dann die einfachen Silben wiederholte. Die Mambo begann nun auch zu tanzen, der Rhythmus der Trommeln zog uns alle in seinen Bann und ließ uns erstarren, als er abrupt endete. In der plötzlichen Stille klang der Schrei der Mambo umso schauerlicher. Mit geübtem Schwung ließ sie ein Messer durch die Luft sausen und schlug dem toten Huhn mit einer einzigen Bewegung den Kopf ab. Die Aktion machte erwartungsgemäß wenig Eindruck auf das Tier, aber sie schleuderte die Leiche trotzdem in unsere Mitte, als erwarte sie, das Vieh würde gleich wieder zum Leben erwachen. Einer der Adepten hob es auf und hielt es über die Schale mit dem Trankopfer. Die Mambo goss schnell das Blut aus dem Plastikbeutel dazu. Die Trommeln peitschten uns erneut auf, als sie das Gebräu umrührte und auf dem Campingkocher erhitzte. Übel riechender Rauch stieg auf, die Mambo verbrannte weitere Kräuter. Wie hatte ich danach nur eine Duftserie benennen können? Tatsächlich schrie die Situation nach einem Raumspray!

Jedenfalls tanzten und trommelten wir weiter, die Mambo schwenkte eine Rassel, und inzwischen fingen auch die ersten Tänzer an, sich ekstatisch zu winden. Eine Frau verfiel auf einer der Bodenzeichnungen in Zuckungen.

»Sei gegrüßt, Lenmba Zawo!«, freute sich die Mambo.

Ich hätte ja eher einen Arzt angerufen, aber dieses Verhalten schien bei Geistererscheinungen normal zu sein. Gleich danach nahm noch ein Loa namens Méet Kalfou Besitz von einem dicklichen Jugendlichen. Der Knabe stieß dabei schrille Schreie aus. Der schwarze Hund blieb allerdings weg. Dafür kam Fido.

Ehrlich gesagt war ich selbst schon ein bisschen high von den Dämpfen und mehr als angetrunken von dem Schnaps. Ich griff deshalb nicht gleich ein, als mein gelbes Ungetüm zielstrebig aus der Hütte von Papa Legba trottete und die Kreismitte ansteuerte.

Die Mambo hatte inzwischen angefangen, die gesamte Gemeinde mit dem Opferblut zu besprengen. Das musste Fido angelockt haben. Nun stellte sie jedoch die Schale weg, um sich um einen neuen Besessenen zu kümmern. Ein hechelnder älterer Herr bewegte sich unruhig in gefährlicher Nähe zum Campingkocher. Fido nutzte die Chance und leckte das Opfergefäß aus. Die Mischung aus Hühnerblut und Schnaps schien im bestens zu munden. Außerdem mischte sich nun seine durchdringende Stimme in das allgemeine Ritualgejaule – wobei ich zum ersten Mal das Gefühl hatte, dass sie das Gesamtklangbild verbesserte. Als die Mambo auf Fido zutanzte, reagierte er mit ekstatischem Wedeln. Der Alkohol schien ihn zu ganz neuen Bauchtanzvariationen anzuregen. Und dann wälzte er sich auch noch auf einem der Bodenbilder.

»Der Geist ist in ihm!«, schrie die Frau, in der sich vorhin Lenmba Zawo personalisiert hatte. »Papa Legba, willkommen, Papa Legba!«

Papa Legba schien im Voodoo-Bereich eine große Nummer zu sein, denn sofort hatte Fido die allgemeine Aufmerksamkeit. Der Köter – er hatte Bewunderung immer geliebt – zuckte vor Wonne. Sein Vorderteil wogte im Takt seines Jaulens, das Hinterteil zitterte, und der Schwanz fegte zuerst ein paar Kerzen vom Boden und erledigte dann den Campingkocher. Ich konnte den Ausbruch eines Brandes gerade noch verhindern, während die begeisterte Gemeinde die Opferschale wieder mit Clairin füllte. Fido leerte die Schüssel bis auf den letzten Tropfen. Wenn ich das Angela erzählte! Fünfhundert Euro dafür, dass sie mir den Hund besoffen machten!

Bevor ich mich aufraffen konnte, die Sache endlich zu beenden, erschien die Mambo neben mir.

»Jetzt, Kindchen! Jetzt ist die Zeit gekommen. Sagen Sie Papa Legba Ihre Beschwörung!«

Es war mir mehr als peinlich, mit meinem Anliegen vor den jaulenden Fido zu treten. Aber andererseits hörte der sich meine Flüche schon seit Wochen an. Was war also dabei? Und ich würde hier kaum herauskommen, bevor ich mein Ritual nicht anständig beendet hatte.

»Und achte auf deine Worte, Kind … Denk daran, dass du einen mächtigen Strahl aussendest, der deine Freunde segnen und deine Feinde töten kann …«

Ich bekam ein bisschen kalte Füße. Umbringen musste ich sie vielleicht nicht gleich … Eigentlich wollte ich hier nur noch raus, möglichst bevor Fido sich übergab.

»Also: Ich will, dass Robin Anrainer mir endlich meine Wohnung zurückgibt – und seine Agentur soll Pleite machen! Und Mariella Lefebre soll von allen bösen Voodoo-Geistern besessen werden!«

Da war es heraus. Ein paar der nächststehenden Voodoo-Adepten gaben besonders beim letzten Fluch ein paar sorgenvolle Ohs und Ähs von sich, aber ich hoffte, endlich fliehen zu können.

»Lösch noch die Kerzen, Kind. Und warte, bis der Geist den Körper verlässt.«

Das ging relativ schnell, Fido wurde müde. Als die Lichter ausgingen, fiel auch der Hund in sich zusammen. Den anderen Besessenen schien es ähnlich zu gehen, aber das war mir egal. Ich zog Fido auf die Beine und strebte zum Ausgang.

»Deine Spende, Kind«, erinnerte mich die Mambo noch sanft und verwies auf einen Korb am Eingang des Humfó.

Ich ließ meine fünfhundert Euro hineinfallen, dann war ich endlich im Freien. Da mein Kopf voller Zuckerrohrschnaps war, nahm ich ein Taxi, in dem Fido sich umgehend übergab. Der Fahrer forderte fünfzig Euro für die Reinigung. Ich schwor mir, dass dies das letzte Geld war, das ich jemals in Voodoo investieren würde.

Während der nächsten vier Wochen besuchte ich fleißig Dr. Paulus und brachte ihn dazu, endlich die Räumungsklage einzureichen. Ich begann, mit Fido auf den Hundeplatz zu gehen, um ihm vielleicht doch noch so etwas wie Manieren beizubringen. Er nutzte die Chance, seine Gene weiterzugeben – schon bei den ersten fünf Besuchen beglückte er drei Hündinnen. Beim sechsten Training traf ich schließlich Lizzie. Verwundert sprach ich sie an:

»Nanu, Sie hier, um diese Zeit?« Es war heller Vormittag; ich selbst hatte mir wegen eines Zahnarzttermins freigenommen.

»Ja, ich feiere noch Resturlaub ab«, erklärte Robins Sekretärin. »Und suche nach einem neuen Job. Die Agentur ‚Hood’ wird doch aufgelöst. Wussten Sie das etwa nicht? Ach ja, ich hörte schon, dass Herr Anrainer und Sie sich getrennt haben.«

In den nächsten Minuten erzählte sie mir von ein paar geplatzten Aufträgen und dem Ausbleiben der wichtigsten Kunden. Eine kleine Werbeagentur wie unsere war durch so etwas leicht in die Knie zu zwingen. Ein paar Misserfolge, und die Sache war gelaufen. Ich warf einen Blick auf Fido, der sich gerade ekstatisch wedelnd um Lizzies Rottweilerhündin bemühte. Beim Anblick seines Ganzkörpereinsatzes fiel mir die Voodoo-Zeremonie wieder ein, die ich inzwischen fast verdrängt hatte. Nein, das musste ein Zufall sein! Ich wünschte Lizzie viel Glück bei der Jobsuche und trennte die Hunde, bevor Fido der Hündin die Unschuld nahm.

Am Nachmittag ereilte mich dann die nächste Überraschungsmeldung. Frau Krieger rief in der Agentur an.

»Frau Langer, endlich! Es war schwer genug, Sie zu finden! Aber so kann das nicht weitergehen. Der Flur muss gewischt werden, Sie haben eine Verpflichtung. Und was Ihre Pflanzen angeht – ich trau mich da nicht mehr rein, in den Sündenpfuhl! Den müssen Sie schon selber ausräuchern. Jedenfalls würde ich mir sehr wünschen, dass Sie den Schlüssel endlich abholen!«

»Den Schlüssel … doch nicht den zu meiner Wohnung?«, stammelte ich.

»Welchen denn sonst? Ihr Mann ist vor einer Woche ausgezogen. Zustände sind das! Aber ich habe es gleich zu meiner Schwester gesagt: Diese wilden Ehen, da liegt kein Segen drin. Und dann dieses Mädchen …«

Ich hielt den Hörer ein bisschen vom Ohr weg und ließ sie zetern. Schließlich versicherte ich ihr, dass ich die Verantwortung für meine Kakteen und die Reinigung des gemeinsamen Hausflurs gleich am Abend wieder übernehmen würde. Ich schwebte durch den Rest des Nachmittags und konnte mich kaum zurückhalten, Dr. Paulus schon mal zu kündigen. Aber einige von Frau Kriegers Bemerkungen machten mich doch etwas nervös. Vielleicht würde ich den Anwalt noch brauchen …

Nach Büroschluss stürmte ich zu meinem Haus.

»Und mein Ma… Herr Anrainer, der ist einfach so gegangen?«, fragte ich Frau Krieger, als sie mir den Schlüssel übergab.

»Einfach so gegangen?« Aus Frau Kriegers Stimme klang alle Empörung der aufrechten Bürgerin. »Na, so kann man das auch nennen. Drei Mal hatten wir die Polizei hier, wegen ruhestörenden Lärms. Diese Kleine, die er da bei sich hatte, schien in der letzten Zeit Orgien zu feiern. Satanskult, meinte meine Schwester. Alles Satanisten! Lebende Hühner haben die angeschleppt, das müssen Sie sich mal vorstellen! Und die Leute, die rauskamen, hatten Blut an den Schuhen! Ich sage Ihnen, Frau Langer, da sollten Sie nicht allein reingehen … Womöglich finden Sie noch Leichen. Soll ich gerade mitkommen?«

Neugier, dein Name ist Krieger.

»Nein, lassen Sie mal, vielen Dank«, murmelte ich. »Ich habe ja den Hund dabei.«

Fido freute sich riesig, wieder zu Hause zu sein, und produzierte bereits die ersten Pfützen.

In der Wohnung fanden wir natürlich keine Leichen, dafür aber tatsächlich ein paar Blutflecken auf dem Sofa. Außerdem roch es nach Weihrauch und Zuckerrohrschnaps.

»Mariella Lefebre möge von alle bösen Voodoo-Geistern besessen werden.«

Mein Fluch! Inzwischen war kein Irrtum mehr möglich. Wie es aussah, hatte ich Mama Laya und Papa Legba einiges abzubitten. Und Fido. Ich öffnete eine Hundefutterdose und begann zu lüften.

Der Weihrauchdampf dürfte sich rasch verziehen. In Fidos Umfeld hielten sich Fremdgerüche nie sehr lange. Das Sofa würde ich allerdings auswechseln. Das war immer noch billiger als Dr. Paulus’ Honorar.

Ein paar Tage später fand ich Mariellas Anzeige unter »Verschiedenes« in der Tageszeitung:

»Die Macht des Voodoo – Original Haiti-Mambo setzt die Kräfte der Unterwelt für Sie frei. Warten Sie nicht länger, erfüllen Sie Ihre geheimsten Wünsche!«

Klassischer Fall von »Machen Sie das Beste aus Ihrem Fluch!« Mariella schien sich mit den Voodoo-Geistern prächtig arrangiert zu haben.

Ihre Geschäfte liefen auch großartig an. Jetzt, ein paar Monate später, bezeichnet Robin sich als ihren »Hunsi«. Das bedeutet »Gemahl des Geistes« und benennt den Gehilfen des Voodoo-Priesters. In Robins Fall sollte es allerdings eher »Agent« oder »Manager« heißen. Nächste Woche hat Mariella ihren ersten Fernsehauftritt.

Dr. Paulus sehe ich weiter regelmäßig, denn inzwischen führen Robin und ich einen hitzigen Sorgerechtsprozess um Fido. Seit sich herumgesprochen hat, dass Papa Legba gelegentlich in ihn fährt, ist Mariella ganz verrückt nach dem Köter. Wahrscheinlich gedenkt sie, ihn in Scheiben zu schneiden, zu pulverisieren und in Gros-bon-anges umzuformen. Aber darüber ist der letzte Fluch noch nicht gesprochen! Fido ist zwar nicht der unkomplizierteste Lebenspartner, aber treu. Und Papa Legba immer bei Fuß zu haben ist schließlich auch nicht zu verachten. Man weiß nie, wozu man so einen Loa noch braucht.