Ein Parkplatz für Ameisen-Farmer

 

Handelnd von unsrer älteren Schwester jenseits des Ozeans, die uns so großzügig unterstützt und die wir trotzdem nicht hassen. - Wiedersehen mit Onkel Harry. - Macht nichts, alles ist versichert. - Wie ich zum General befördert wurde. - Ein Konsulat ist kein Eigenheim. - Ich versuche, einen Gebrauchtwagen zu kaufen, aber der Gebrauchtwagenhändler »Smiling Joe« vereitelt meinen Plan. - Beginn des ParkraumZeitalters. - Ich besuche Captain Bernie und schlachte ihn beinahe. Amerika, die letzte Zufluchtsstätte der Kündigungs-Freiheit. - Benzin, Ameisen und Konzert-Flügel. - Über den eher labilen Seelenzustand des Amerikaners, mit zahlreichen Beispielen aus dem praktischen Leben. - Meine Zukunft als Mormone. - Ich brauche einen Agenten. - Keine Wege führen von Las Vegas nach New Orleans.

 

Wir verließen Europa, die knarrende Wiege der westlichen Kultur, und strebten unsrem letzten Reiseziel entgegen: Amerika.

Man kann ruhig sagen, daß zwischen den Vereinigten Staaten und Israel eine geradezu familiäre Bindung besteht. Jeder Israeli hat in Amerika mindestens je einen Onkel und eine Tante. Das ist der unerläßliche Befähigungsnachweis, den die israelische Regierung von ihren Bürgern verlangt. Er steht in einem gewissen Zusammenhang mit den Geldaufbringungen des »United Jewish Appeal«, der heutigen Form des Manna, das uns vor rund dreitausend Jahren in der Wüste genährt hat.

Das Verhältnis Israels zu Amerika weist auch noch andere Besonderheiten auf. Man muß es sogar als einzigartig bezeichnen, wenn man bedenkt, daß jeder halbwegs unabhängige Staat, der über ein Minimum an Selbstachtung verfügt, in seinem Verhältnis zu Amerika mit absoluter Sicherheit folgende Phasen durchmacht:

1.                         Die Phase des Ressentiments: »Alle rückständigen Länder bekommen Geld von Amerika, nur wir nicht. Was ist los? Sind wir vielleicht nicht rückständig genug?«

2.                       Die Phase des verletzten Stolzes, nachdem Amerika gezahlt hat: »Unerhört! Die halten uns wohl für Bettler?«

3.                       Die Phase der bitteren Enttäuschung, nachdem Amerika seine Finanzhilfe eingestellt hat: »Diese elenden Geldsäcke. Und geizig sind sie auch noch. Da sieht man's wieder!«

4.                        Die Phase der verächtlichen Ablehnung, nachdem Amerika seine Finanzhilfe wieder aufgenommen und sogar gesteigert hat: »Na wenn schon. Sie sollen sich nur ja nichts einbilden. Wer braucht sie überhaupt?« Das neu angefachte Ressentiment äußert sich zuerst in vereinzelten Überfällen auf amerikanische Touristen und schließlich in spontanen Massendemonstrationen. Die Schaufenster der Amerika-Häuser werden zertrümmert, die amerikanischen Büchereien gehen in Flammen auf.

Demgegenüber legen wir Israelis eine bemerkenswerte Zurückhaltung an den Tag. Nicht nur machen wir den Amerikanern keinen Vorwurf daraus, daß sie immer nur ans Geld denken - wir haben sogar eine Art nachsichtiger Sympathie für ihr sonderbares Bedürfnis, uns zu helfen und uns allerlei nützliche Dinge zu schicken, Nahrungsmittel und Konsumgüter und Maschinen und Geld und alles mögliche. Unsre Toleranz geht so weit, daß wir ihnen den Reichtum, den sie solcherart demonstrieren, nicht einmal übelnehmen. Wir drücken ein Auge zu und gehen über den Affront hinweg.

Nur wenn wir an ihre Schriftsteller denken, steigt uns die Galle hoch.

Ich halte es für meine Ehrenpflicht, die Weltöffentlichkeit hiermit auf die unglaublichen Erniedrigungen hinzuweisen, denen die amerikanischen Schriftsteller ausgesetzt sind. Wenn in Amerika gesprächsweise der Name eines angesehenen Autors fällt, so werden nicht etwa die literarischen Qualitäten des CEuvres hervorgehoben, nicht etwa seine geschliffene Sprache, seine meisterhafte Gestaltungskraft, seine Fabulierkunst. Nein, man weiß ihm kein höheres Lob als die Feststellung: »Er macht 500 000 Dollar im Jahr!«

Was soll das? Ist das eine Art? Gehört es sich, einen Künstler so zu behandeln? Ihm eine halbe Million Dollar an den Kopf zu werfen, und Schluß?

»Der Mensch lebt nicht von Brot allein«, hat ein alter Diätfachmann schon in der Bibel festgestellt. An dem Rang, den ein Volk seiner Literatur einräumt, erweist sich seine Reife. Die Geschichte kennt zahllose Beispiele dafür, daß Völker, die ihren Schriftstellern den nötigen Respekt vorenthalten, unweigerlich zugrunde gehen. Man braucht sich nur an die Behandlung zu erinnern, die Sokrates seitens der Griechen erfuhr. Und was ist von ihnen übriggeblieben? Ruinen und Schmetterlinge.

Wie anders in Israel! Welch ein erquickender Kontrast! Wahrlich, man kann den hebräischen Dichter nur beneiden um die erhabene Rolle, die er in seinem Heimatland spielt. Kein schnöder Mammon wird ihm aufgezwungen, keine schäbigen materiellen Lockungen kommen an ihn heran, keine hübschen kleinen Villen und keine häßlichen großen Autos verstellen ihm den Blick. Niemand in Israel würde es wagen, einem Meister der Feder auch nur das geringste Interesse für so oberflächliche Dinge zu unterstellen. Ihm winken die wahren, die höchsten Güter des Lebens: Ruhm und Ehre!

Gewiß, wir fühlen uns der westlichen Kultur zugehörig. Aber in diesem einen Punkt, daran glauben wir und dazu sind wir fest entschlossen, werden unsere großen Freunde von jenseits des Ozeans niemals Einfluß auf uns gewinnen. Mag Amerika seine Schriftsteller mit Geld verwöhnen - wir in Israel verwöhnen sie mit Ehrerbietung. Das ist das richtige Wort.

Der Teufel soll es holen.

Nach einem Flug, der fast ausschließlich aus Luftlöchern bestand und uns lebhaft an unsere Kanalüberquerung erinnerte, landeten wir in New York. Onkel Harry und Tante Trude erwarteten uns am Flughafen und fielen uns gerührt um den Hals.

»Wie war der Flug?« fragte Tante Trude.

»Frag mich nicht«, antwortete meine Frau. »Über dem Ozean sind wir in ein fürchterliches Unwetter geraten. Wir dachten schon, daß wir's nicht überleben.«

»Moment«, sagte Onkel Harry. »Habt ihr eine Lebensversicherung?«

»Ja.«

»Also. Wozu die Aufregung?«

Dazu muß man wissen, daß Onkel Harry, seit er die amerikanische Staatsbürgerschaft erworben hat, ein Musteramerikaner geworden ist und alles versichert, was sich irgend versichern läßt. Buchstäblich alles. Hier liegt das Geheimnis seines sicheren Auftretens, seiner inneren Spannkraft, seiner Vitalität. Er ist jetzt 59 Jahre alt, der Onkel Harry - aber wenn man ihn so sieht, mit seinem lebhaft bemusterten Sportjackett, seiner farbenfrohen Krawatte und seinem blitzenden Gebiß: Man würde ihn höchstens für 65 halten.

»Wovor soll ich mich noch fürchten?« fragte Onkel Harry.

»Ich habe eine Lebensversicherung auf 200000 Dollar abgeschlossen, die alles einschließt: natürlichen Tod, gewaltsamen Tod, Tod durch Selbstmord, tödlicher Unfall, Wahnsinn, Entführung, Kerker. Also?«

Stolz führte er uns durch sein Häuschen in einem der uniformen Villen-Vororte New Yorks. Die Zentralheizung hatte ihn 15 000 Dollar gekostet, die Garage mit der Gleittüre, die sich automatisch öffnet und schließt, 5000 Dollar. Wieviel ihn die Möbel gekostet haben, weiß ich nicht mehr. An den Wänden hingen ein paar alte niederländische Holzschnitte, sehr schöne Stücke aus der 2000-Dollar-Schule; sie waren auf 12 000 Dollar gegen die etwaige Entdeckung versichert, daß es sich um Fälschungen handelte. Auch die Bibliothek erfreute sich einer kostspieligen Versicherung gegen Feuer, Vergilbung, Stockflecke und Lektüre. Die Versicherung des atemraubenden Ausblicks vom Fenster bezog sich auf Erdbeben, Tornados und fliehende Büffelherden. Und die Vöglein im Garten konnten fröhlich zwitschern, weil sie wußten, daß sie gegen Rinderpest, Papageienkrankheit und Jagdfalken versichert waren.

»Meine Frau hab' ich auf 100000 Dollar versichert«, flüsterte Onkel Harry mir ins Ohr. »Anders war's nicht rentabel gewesen. Ich mußte ja schon 30000 Dollar in die Scheidung von ihrem ersten Mann investieren...«

Sollten sich unter den geneigten Lesern dieses Buchs auch Kenner Amerikas (oder gar Amerikaner) befinden, dann ergeht an sie die höfliche Bitte, sich nicht darüber zu ärgern, daß die vorstehenden Mitteilungen in keiner Weise typisch für Amerika sind. Onkel Harry lebt in New York - und New York ist bekanntlich nicht Amerika. Immer wieder wurde uns der Unterschied zwischen Amerika und New York eingeschärft. Amerika: Das ist die Inkarnation alles Guten und Schönen, alles Reinen und Edlen. New York hingegen ist ein wildgewordenes Stadt-Konglomerat unter jüdischer Oberhoheit. Und es läßt sich ja wirklich nicht leugnen, daß in New York mehr Juden leben als in ganz Israel. Es läßt sich nicht einmal leugnen, daß sie besser leben.

Diese unleugbare Tatsache hat der gesamten amerikanischen Judenschaft einen unleugbaren Stempel aufgedrückt. Die amerikanischen Juden können sich den hohen Lebensstandard, den sie ihren heroischen Brüdern in Israel voraushaben, nicht verzeihen - und suchen ihre Gewissensbisse dadurch zu betäuben, daß sie jeden israelischen Besucher mit Pomp und Gepränge empfangen, als hätte er soeben sämtliche arabischen Armeen in die Flucht geschlagen oder eigenhändig die Wüste fruchtbar gemacht. Noch im kleinsten Provinznest, dessen Einwohnerzahl kaum über die Million hinausgeht, werden dem Besucher aus Israel die höchsten Ehren zuteil.

Wenn er zum Beispiel Kishon heißt, schallt ihm sofort nach

Verlassen des Flugzeugs aus mindestens vier Lautsprechern eine schnarrende Stimme entgegen: »Mr. Kitschen wird dringend gebeten, sich beim Informationsschalter einzufinden.« Daraufhin läßt Mr. Kitschen seine Frau auf das Gepäck warten und findet sich dringend beim Informationsschalter ein. Wer eilt ihm dort entgegen? Er hat keine Ahnung. Ein älterer Herr, den er noch nie im Leben gesehen hat, schließt ihn in die Arme und sagt mit einer feierlichen, von innerer Bewegung tremolierenden Stimme: »Kishon? Kishon! Freitagabend sind Sie zum Dinner bei uns. Okay, General?«

»Okay«, lautet die Antwort. »Aber ich bin kein General. Ich bin Fähnrich der Reserve.«

Hiervon völlig ungerührt, stellt sich der ältere Herr als Vorsitzender der »Gesellschaft jüdischer Chorvereinigungen« vor, verstaut den Gast samt Gattin und Gepäck in seinem geräumigen Cadillac und startet stadtwärts. Unterwegs kichert er zufrieden in sich hinein, und es braucht einige Zeit, ehe der Gast die Ursache dieses permanenten Frohlockens entdeckt: Der Wagen wird nämlich an jeder Ecke von fanatischen Zionistenführern angehalten, die aber nicht zu Wort kommen, sondern mit der triumphal am Lenkrad erklingenden Mitteilung abgespeist werden: »Bedaure - für Freitagabend hab' schon ich eine Option auf den General!«

Die jüdische Einwohnerschaft bedenkt den Vorsitzenden mit mißgünstigen Blicken und bucht den Gast für nächsten Freitag. Auf die Frage: »Na, General? Wie gefällt Ihnen Amerika?« antwortet er wahrheitsgemäß: »Ich habe so etwas noch nie im Leben gesehn!« Im Hotel angekommen, winkt er der wogenden Menge seiner Bewunderer noch einmal zu, zieht sich in sein Zimmer zurück und hängt eine Tafel mit folgender Inschrift an die Türe:

»Alle Freitagabende ausverkauft. Einige Dienstage und Donnerstage noch verfügbar. Gesuche sind an den Adjutanten zu richten. Der General.«

Die Großzügigkeit unserer amerikanischen Vettern beschränkt sich nicht auf Dinner-Einladungen für Freitagabend.

Sie öffnen überdies in der generösesten Weise ihre Brieftaschen, finanzieren die Aufnahme neuer Einwanderer in Israel samt den dazugehörigen Wohnbauprojekten, und achten sogar darauf, daß unsere diplomatischen Vertreter in Amerika würdig untergebracht werden, in repräsentativen Gebäuden mit eindrucksvollen Adressen.

Daraus ergeben sich ungeahnte Komplikationen.

Werfen wir einen Blick auf das Israelische Konsulat in New York.

Von außen sieht das Haus nicht anders aus als die schmalen, vornehmen Privathäuser, die es umgeben. Nur vor dem Eingang steht ein lebensechter amerikanischer Polizeimann und knurrt »hier wird nicht geparkt!« Ich antwortete in meinem klangvollsten Sabbat-Hebräisch: »Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde.« Das leuchtete ihm ein, und er ließ mich parken.

Erhobenen Hauptes betrat ich das Gebäude und vermied im letzten Augenblick einen komplizierten Schienbeinbruch: Gleich hinter der Eingangstüre stolperte ich über einige Kalkbottiche, die mir den Weg verstellten. Zum Glück fingen die Sandsäcke meinen Sturz auf.

Während ich nach dem Informationsbüro Ausschau hielt, erschien mein alter Freund Sulzbaum, der zweite Sekretär des Konsulats, vielleicht auch der dritte.

»Ich muß mich für dieses Durcheinander entschuldigen«, entschuldigte sich Sulzbaum. »Die Paßabteilung übersiedelt gerade ins Parterre, und wir müssen zwei Schlafzimmer neu für sie herrichten.«

Sulzbaums Worte warfen ein grelles Licht auf die Lage: Ein gutherziger jüdischer Einwohner New Yorks hatte der israelischen Regierung sein Haus geschenkt, das sich zwar ganz vorzüglich für Wohnzwecke eignete, aber ohne jede Rücksicht auf spätere Verwendungsmöglichkeiten als Konsulat erbaut worden war.

»Wir leiden unter Raumschwierigkeiten«, gestand mir Sulzbaum auf dem Zickzackweg zur Paßabteilung. »Unser Stab wird ständig größer, und wir haben im ganzen Haus für keinen Angestellten mehr Platz, nicht einmal für einen Liliputaner. Die erste Beamtenschicht hat alle brauchbaren Zimmer und Hallen belegt. Für die Nachzügler blieben nur noch die Badezimmer und dergleichen. Ich selbst bin erst vor vierzehn Tagen hergekommen und wurde in einen eingebauten Wäscheschrank gestopft.«

Wir erwischten den Aufzug. Er bietet zwei hageren Personen Platz, und selbst das nur am Sonntag, Dienstag und Donnerstag, wenn der Leiter des Informationsbüros sich in Washington aufhält. An den übrigen Tagen der Woche empfängt er im Aufzug seine Besucher.

Unterwegs zu dem für Paßfragen zuständigen Vizekonsul stießen wir in regelmäßigen Abständen auf kleinere und größere Arbeitertrupps mit Äxten, Sägen, Eimern und Pinseln.

»Sie haben ununterbrochen zu tun«, erläuterte Sulzbaum. »Entweder müssen sie irgendwo die Wand zwischen zwei Kinderzimmern niederreißen oder in eine neue Wand eine Türe einbauen oder eine Toilette in eine Kochnische verwandeln oder umgekehrt. Der Sekretär unserer Devisenabteilung amtiert noch immer auf dem Dach und kann nur mit Strickleitern erreicht werden.«

Sulzbaum hielt vor dem Büro des Vizekonsuls an, hob den schweren roten Teppich und leerte in ein darunter verborgenes Abflußrohr mehrere Aschenbecher.

»Hier war nämlich früher eine Küche«, klärte er mich auf.

»Bitte bücken Sie sich, sonst stoßen Sie mit dem Kopf gegen die Leitungsrohre.«

Dann lenkte er meine Aufmerksamkeit auf die zahlreichen Gemälde, die regellos über die Wände verteilt waren, um die hastig gelegten Telefon- und Lichtleitungen zu kaschieren.

Endlich fanden wir den Vizekonsul, in viele warme Decken verpackt und trotzdem fröstelnd. Die Klimaanlage seines Zimmers war größer als das Zimmer selbst, das in früheren Zeiten einem glücklichen Haushalt als Tiefkühlanlage gedient hatte.

»Ich kann heute nicht arbeiten«, sagte der Vizekonsul mit klappernden Zähnen. »Gehen Sie zu meinem Vertreter, eine Etage höher. Ich habe ihm gestern eine halbe Küche eingeräumt und erinnere mich deutlich, ein Detachement Maurer auf dem Wege dorthin gesehen zu haben.«

Damit sank er in seine Depression zurück, als ob etwas Schweres auf ihm gelastet hätte. Vielleicht war es der riesige Wasserspeicher über seinem Kopf.

Wir erklommen das nächste Stockwerk, wobei wir uns den Weg durch alle möglichen Kalk- und Zementbehälter, Stangen, Leitern und sonstige Baubehelfe freiholzen mußten, und fragten einen emsig werkenden Arbeitsmann nach dem Stellvertreter des Vizekonsuls.

»Er muß hier irgendwo in der Nähe sein«, brüllte der Befragte durch das Getöse einer soeben angelaufenen Maschine. »Machen Sie, daß Sie wegkommen. In einer Minute sprengen wir den Tunnel zum Halbstock.«

Wir rannten, was uns die Füße trugen, hantelten uns am Treppengeländer hinab und nahmen Deckung hinter einer noch unvermörtelten Wand. Plötzlich glaubten wir erstickte Rufe zu hören.

»Um Himmels willen!« stöhnte Sulzbaum. »Da haben Sie schon wieder jemanden eingemauert.«

Wie er mir anschließend erzählte, hatte man vor einigen Monaten das Kellergewölbe neu parzelliert, um Raum für die israelische UNO-Delegation zu schaffen, und hatte bei dieser Gelegenheit hinter einer schon früher vermauerten Türe das Skelett des vermißten Kulturattachés gefunden, die Knochenhand noch um das Papiermesser gekrampft, mit dem er sich zur Außenwelt durchgraben wollte... Wir verließen unsere Deckung, setzten in bestem »Sprungauf-Marsch«-Stil über eine Metallschneise, erreichten die Feuerleiter und turnten durchs Fenster ins Informationsbüro. Dort wartete ein älterer, sichtlich wohlsituierter Herr im Sabbat-Gewände. Seine Augen leuchteten auf, als er uns sah. Er war Besitzer eines kleinen Hauses, das er der israelischen Regierung schenken wollte.

»Sie haben Glück«, sagte Sulzbaum. »Das fällt in meine Kompetenz. Bitte folgen Sie mir.«

Der alte Herr verließ mit Sulzbaum das Zimmer. Man hat ihn nie wieder gesehen.

Es wird dem geneigten Leser aufgefallen sein, daß bisher ausschließlich von Juden die Rede war, und er wird sich vielleicht fragen, ob es denn in Amerika gar keine Nichtjuden gibt. Nun, gegen Statistiken soll man nicht ankämpfen. Es gibt welche. Aber die verschiedenen Produkte des amerikanischen Schmelztiegel-Prozesses sind voneinander kaum zu unterscheiden. Der eine heißt Abraham nach seinem biblischen Vorvater, der andere nach Lincoln - und beide fahren den gleichen feuerroten Cadillac. Denn nur auf diesen kommt es an.

Autos... Autos... Autos...

Ich spreche aus der Erfahrung einer nicht unbeträchtlichen Kilometerzahl auf den amerikanischen Autostraßen: Das Auto ist für den Amerikaner kein Verkehrsmittel, sondern eine fixe Idee. Zuerst hatten wir den Eindruck, daß buchstäblich jeder Amerikaner ein Auto besäße, aber das stimmt natürlich nicht. Jeder Amerikaner hat mindestens zwei Autos: eines für sich, ein erstes anderes für seine Frau und ein zweites anderes für die Kinder, die Kleinchen, die »kids«. Ausmaße und Herstellungsjahr des Wagens bestimmen die soziale Position seines Eigentümers, seine Kreditfähigkeit, seine Heiratsaussichten, seinen Klub und die Spitalrechnung.

Ein Amerikaner ohne Auto ist wie ein Pfau ohne Federn. Oder wie Federn ohne Pfau. Mit anderen Worten: Einen Amerikaner ohne Auto gibt es nicht.

Es kam, wie es kommen mußte. Eines katastrophalen Morgens entschloß ich mich, mir eine soziale Gebraucht-Position anzuschaffen und ging zu einem Gebrauchtwagenhändler namens »Smiling Joe« (was mit »Lächelnder Josef« durchaus unzureichend übersetzt wäre). Smiling Joe nahm in den Zeitungen täglich einige Quadratkilometer Inseratenraum in Anspruch, auf denen er seine sechshundert Gebrauchtwagen begeistert anpries. Er war ein kräftiger, gutgelaunter, temperamentvoller junger Mann, und als er hörte, daß ich aus Israel kam, kannte seine Begeisterung keine Grenzen. Er selbst, wie er ausdrücklich betonte, war zwar kein Jude, aber er hatte einen Freund, der Finkelstein oder so ähnlich hieß, und das genügte.

Smiling Joe zeigte mir persönlich seine zwanzig Gebrauchtwagen und pries jeden einzelnen von ihnen begeistert an. Als ich mich nach den restlichen 580 erkundigte, raunte er mir vertraulich zu, daß sie für prominente Gäste aus dem Nahen Osten — also zum Beispiel für mich oder König Ibn Saud - auf einem Geheimgelände bereitgehalten würden.

»Es ist nur fünf Minuten von hier«, sagte Smiling Joe.

»Fahren wir los.« Und er lud mich in seinen eigenen Wagen ein.

Nach ungefähr eineinhalb Stunden flotter Fahrt fragte ich ihn, was eigentlich mit den fünf Minuten los wäre. Smiling Joe gestand mir unter dröhnendem Gelächter, daß er dabei an ein Überschallflugzeug gedacht hätte. Aber jetzt würde es wirklich nur noch zehn Minuten dauern.

Dämmerung sank herab. Die Wüste, die wir durchführen, zeigte alle Merkmale subtropischer Vegetation. Immerhin waren wir noch vor Einbruch der völligen Dunkelheit in Arizona. Auf dem geheimen Gelände standen, leicht überschaubar, neun Gebrauchtwagen.

»Ist das alles?« fragte ich. »Wo sind die anderen?«

»Verkauft«, grinste Smiling Joe. »Die Dinger gehen weg wie die warmen Semmeln. Am Morgen hatte ich noch fünfhundert Wagen hier. Wenn ich's mir recht überlege, bin ich gar nicht scharf drauf, den Rest zu verkaufen. Ich kann mit dem Geld sowieso nichts anfangen.«

Unwillkürlich drängte sich die Frage auf meine Lippen, warum er mich dann überhaupt hergeführt habe.

Smiling Joe grinste abermals. Geld bedeute ihm nichts, meinte er. Viel wichtiger sei der gute Ruf »Fairneß und Ehrlichkeit« lautete die Devise.

Ich hatte währenddessen den rudimentären Wagenpark besichtigt und zu meiner Freude einen verhältnismäßig gut erhaltenen Chevrolet entdeckt, der laut kreidiger Aufschrift auf der Windschutzscheibe nur 299,99 Dollar kosten sollte. »Der Wagen gefällt mir«, sagte ich. »Den will ich haben.«

»Junge, Junge!« Smiling Joe hieb mir anerkennend seine Pranke auf die Schulter. »Das nenne ich ein sicheres Auge! Schaut hin - und hat auch schon mein bestes Stück! Der Wagen ist zwar verkauft, an den Gouverneur dieses aufstrebenden Staates -, aber wenn ich Sie damit glücklich machen kann, dann blättern Sie vierhundert Dollar auf den Tisch des Hauses und der Chevy gehört Ihnen.«

»Wieso vierhundert? Da steht doch ganz deutlich 299,99?«

»Listenpreis, mein Junge. Ohne Räder. Wenn Sie für 299,99 einen Wagen ohne Räder kaufen wollen - ich habe nichts dagegen. Aber vergessen Sie nicht, daß Chevrolet eine der teuersten Automarken Amerikas ist.«

Ich zeigte wortlos auf die Neonlicht-Reklame am Eingang, die in großen Blinklichtern besagte:

»Chevrolet - der preisgünstigste Wagen Amerikas!«

Smiling Joe büßte weder seine Ruhe noch sein Grinsen sein:

»Wer kümmert sich heute noch um Neonlichter? Längst überholt!«

Ich hatte den Wagen mittlerweile von allen Seiten geprüft und fand ihn immer mehr nach meinem Geschmack.

»Okay«, sagte ich. »Ich nehme ihn.«

»Großartig!« Smiling Joe schüttelte begeistert meine Hände. »Sie sind ein Glückspilz! Machen Sie, daß sie 'rauskommen, bevor ich's mir überlege! Sie werden diesen Wagen mit fünfhundert Dollar Profit verkaufen.«

»Selber Glückspilz«, gab ich zurück. »Wo sind die Schlüssel?«

»Schon was von automatischer Kupplung gehört?« grinste Smiling Joe, während er mir die Schlüssel einhändigte. »Und das Lenkrad können Sie mit dem Finger ganz herumdrehen.«

Ich versuchte das Lenkrad mit dem Finger ganz herumzudrehen, hörte aber sofort auf, als es in zwei Hälften zu zerbrechen drohte.

»Sehen Sie«, triumphierte Smiling Joe. »Es rührt sich nicht. Solide wie Stahl. Und erst der Zehnzylindermotor! Jungejunge!«

Ich öffnete die Haube und zählte knapp sechs Zylinder.

»Eben!« Smiling Joe überschlug sich vor Begeistung.

»Was das nur für eine Benzinersparnis bedeutet! Und die automatische Vorzündung!«

Ich demonstrierte ihm mühelos, daß die Vorzündung in keiner Weise automatisch war, sondern mühsam mit der Hand bedient werden mußte. Smiling Joe beglückwünschte mich aufs neue zu meinem Fang. Die automatische Vorzündung sei ohnehin nichts wert gewesen und werde zu den neuesten Modellen nicht mehr geliefert.

»Glauben Sie, ich würde Ihnen einen schlechten Wagen verkaufen, he? Ich Ihnen? Ein Jude dem anderen? Sie werden sich in diesem Wagen wie ein König vorkommen! Und wenn Sie Musik hören wollen, brauchen Sie nur das Radio anzudrehen.«

Smiling Joe zeigte mir den Knopf und drehte ihn an. Sofort setzten sich die Scheibenwischer in Betrieb.

»Wer zum Teufel braucht ein Radio?« fragte Smiling Joe beseligt. »Was bekommt man da schon zu hören? Den ganzen Tag lang Schallplatten. Vollkommen überflüssig. Viel wichtiger ist, daß Sie einen phantastischen Führersitz haben, den Sie sogar verschieben können.«

Ich versuchte den Sitz zu verschieben - und er verschob sich. Ich versuchte es noch einmal - und er verschob sich wieder. Warum hatte Smiling Joe dann aber gesagt, daß sich der Sitz verschieben ließ? Das war verdächtig. Ich nahm eine gründliche Untersuchung des Wagens vor - er war so gut wie neu.

»Er ist so gut wie neu«, grinste Smiling Joe. »Er hat nicht mehr drauf als 17 000 Meilen.«

Das konnte nicht wahr sein. Ich warf einen Blick auf den Zähler. Er zeigte 3000 Meilen. Mein Mißtrauen wuchs:

»Wieso zeigt er nur 3000?«

»Leicht zu erklären. Der frühere Besitzer war ein Leuchtturmwärter, der immer nur um seinen Leuchtturm herumfahren konnte.«

Jetzt hatte ich genug. Wenn ich Smiling Joes Verkaufstechnik richtig interpretierte, mußte der Wagen spätestens nach hundert Metern auseinanderfallen.

»Schön«, sagte ich. »Dann werden wir leider kein Geschäft miteinander machen. Ich lasse mich nicht zum Narren halten.

»Ganz wie Sie wünschen.«

Zum ersten Mal verlor sich das Grinsen auf Smiling Joes Gesicht.

»Wie komme ich nach Hause?«

»Per Auto?«

»Nein. Zu Fuß.«

»Immer nach Osten, mein Freund, immer nach Osten...«

Ich überlegte: wenn Smiling Joe »Osten« sagte, wäre »Westen« vermutlich das Richtige. Aber da man sich bei ihm nicht einmal auf das Gegenteil seiner Aussagen verlassen kann, ging ich wohl am besten nach Süden.

Auf meinem Weg in nördlicher Richtung kam ich durch fruchtbares Ackerland, durch schattige Wälder mit Bächen und Wasserfallen - und trotzdem nach Hause. Unser Nachbar stützte mich die Stiegen hinauf und informierte mich (leider zu spät), daß man in Amerika zum Ankauf eines Gebrauchtwagens unbedingt mit dem eigenen Wagen vorfahren müsse. Ich erzählte ihm, was ich mit Smiling Joe erlebt hatte.

»Ja, ja«, sagte mein Nachbar nicht ohne Bewunderung. »Smiling Joe ist ein wahres Verkaufsgenie. Der verkauft noch einmal Kühlschränke an Eskimos!«

Ich pries mich glücklich, daß ich kein Eskimo war, und brach erschöpft zusammen.

Auf den Ankauf eines Gebrauchtwagens habe ich für die Dauer meines Aufenthalts in Amerika verzichtet. Statt dessen streckte ich vorsichtige Fühler nach Onkel Harry aus: Ob er mir gelegentlich seinen Wagen borgen würde? Zu meiner Überraschung war Onkel Harry sofort einverstanden: »Selbstverständlich«, sagte er. »Er ist ja versichert.«

Im übrigen kann ich mir besser als je zuvor die erste Begegnung ausmalen, die Kolumbus nach seiner Landung in Amerika mit einem Eingeborenen hatte:

»Sei gegrüßt, Big Chief«, sagte Kolumbus. »Vor dir steht der Gesandte des glorreichen Throns von Spanien.«

»Bedaure«, sagte der Eingeborene. »Dienstag und Donnerstag darf nur auf der pazifischen Seite geparkt werden.«

Eines Morgens erwachte ich mit Zahnschmerzen. Mit ganz gewöhnlichen, ungemein schmerzhaften Zahnschmerzen. Irgend etwas in meinem linken Unterkiefer war nicht in Ordnung, schwoll an und schmerzte.

Ich fragte Tante Trude, ob es hier in der Gegend einen guten Zahnarzt gäbe. Tante Trude kannte ihrer drei, alle in nächster Nähe, was in New York ungefähr soviel bedeutet wie 25 Kilometer Luftlinie.

Ich wollte wissen, welcher von den drei Zahnärzten der beste sei. Tante Trude sann lange vor sich hin:

»Das hängt davon ab. Der erste hat seine Ordination in der Wall Street. Dort wimmelt es von Zeitungsreportern, und wenn jemand einen Parkplatz findet, wird er sofort von ihnen interviewt. Ich weiß nicht, ob du das mit deinen Zahnschmerzen riskieren willst. Der zweite hat eine direkte Autobusverbindung von seinem Haus zum nächsten bewachten Parkplatz, aber er ist kein sehr angenehmer Arzt. Ich würde dir zu Dr. Blumenfeld raten. Er wohnt in einem ähnlichen Cottage- Viertel wie wir und hebt in seinen Annoncen immer hervor, daß man dort manchmal in einer nicht allzu weit entfernten Seitenstraße Platz zum Parken findet.« Das war entscheidend. Und mein Unterkiefer war um diese Zeit schon so angeschwollen, daß es keine Zeit mehr zu verlieren gab. Ich nahm Onkel Harrys Wagen und sauste los. Es dauerte nicht lange, bis ich Dr. Blumenfelds Haus gefunden hatte. Auch die im Inserat angekündigten Seitenstraßen waren da, nicht aber der im Inserat angekündigte Platz zum Parken. An beiden Straßenseiten standen die geparkten Wagen so dicht hintereinander, daß nicht einmal die berühmte Stecknadel hätte zu Boden fallen können; sie wäre auf den fugenlos aneinandergereihten Stoßstangen liegengeblieben.

Eine Zeitlang kreuzte ich durch die Gegend wie ein von seiner Flugbahn abgekommener Satellit.

Dann geschah ein Wunder. Ich sah es. Das heißt, ich sah ein Wunder im Anfangsstadium. Ich sah einen amerikanischen Bürger, der sich an der Tür seines geparkten Wagens zu schaffen machte. Schon hielt ich an seiner Seite:

»Fahren Sie weg?«

»Ob ich - was? Ob ich wegfahre?« Er wollte seinen Ohren nicht trauen. »Herr, ich habe auf diesen Parkplatz zwei Jahre lang gewartet und habe ihn erst im vorigen Herbst erobert. Damals nach dem Hurrikan, der alle hier geparkten Wagen weggefegt hat...«

Jetzt fiel mir auf, daß das Dach seines Wagens, genau wie das der anderen, mit einer dicken Staubschicht bedeckt war. Da gab es also nichts zu hoffen.

Wo ich denn möglicherweise einen Parkplatz finden könnte, fragte ich.

Die Antwort, nach längerem Nachdenken und Hinterkopfkratzen erteilt, verhieß wenig Gutes:

»Einen Parkplatz finden... Sie meinen: einen freien Parkplatz? In Texas soll es angeblich noch einige geben. Vergessen sie nicht, daß sich die Zahl der Autos jedes Jahr um ungefähr fünfzehn Millionen vermehrt. Und die Länge der Autos jedes Jahr um ungefähr zehn Inch. Der letzte Gallup-Poll hat ergeben, daß dreiundachtzig Prozent der Bevölkerung das Parkproblem für die gefährlichste Bedrohung ihres Lebens halten. Nur elf Prozent haben Angst vor dem Atomkrieg.«

Mit diesen Worten zog er einen Roller aus dem Fond seines Wagens, stieg mit einem Fuß darauf und ließ den Wagen unverschlossen stehen.

»He! Sie haben nicht abgesperrt!« rief ich ihm nach.

»Wozu?« rief er zurück. »Niemand stiehlt mehr ein Auto. Wo sollte er es denn parken?«

Mein Zahn trieb mich weiter. Aber es war ganz offenbar sinnlos. Wohin man blickte, stand geparktes Auto an geparktem Auto, und wo kein Auto stand, stand ein Pfosten mit einer Tafel, und auf der Tafel stand die Inschrift: »Von Anfang Juli bis Ende Juni Parken verboten«, oder »Parkverbot von 0 bis 24 Uhr, Sonn- und Feiertage von 24 bis 0 Uhr.« War aber irgendwo kein Wagen und keine Tafel zu sehen, so stand dort todsicher ein Feuerhydrant, dem man in Amerika unter Androhung schwerster Geld- und Freiheitsstrafen nicht in die Nähe kommen darf, nicht einmal wenn es brennt.

In einer schon etwas weiter entfernten Straße fand ich eine Affiche, aus der hervorging, daß hier am 7. August zwischen 3 und 4 Uhr nachmittags geparkt werden durfte. Ich erwog ernsthaft, so lange zu warten, aber mein Zahn war dagegen.

Endlich schien mir das Glück zu lächeln. Vor einem großen Gebäude sah ich einen leeren, deutlich für Parkzwecke reservierten Raum mit der Aufschrift: »Kostenloses Parken für unsere Kunden.«

Rasch wie der Blitz hatte ich meinen Wagen abgestellt, stieg aus, fand mich im nächsten Augenblick von hinten an beiden Schultern gepackt und im übernächsten auf den Stuhl gedrückt, der im Büro einer Versicherungsgesellschaft stand.

»Guten Morgen, mein Herr«, begrüßte mich der Mann hinterm Schreibtisch.

»Wie lange?«

»Ungefähr eineinhalb Stunden.«

Der Versicherungsagent blätterte in seiner Tarifliste:

»Das Minimum für neunzig Minuten ist eine Feuer- und Hagelversicherung auf 103000 Dollar.«

Ich erklärte ihm, daß der Wagen bereits versichert war.

»Das sagen alle. Darauf können wir keine Rücksicht nehmen.«

»Und ich kann keine Versicherung auf 10000 Dollar nehmen.«

»Dann müssen Sie eben wegfahren.«

»Dann werde ich eben wegfahren.«

Gegenüber dem Versicherungsgebäude befand sich ein Kino. Hinter dem Kino befand sich ein großer Parkplatz. Auf dem großen Parkplatz befanden sich viele große Wagen. Vor den Wagen befanden sich Parkuhren, die sechzig Minuten Maximalzeit vorschrieben. Aus dem Kino kamen fast pausenlos Leute herausgeeilt, warfen Münzen in die Parkuhren und eilten zurück.

Bei Einbruch der Dunkelheit ging mir das Benzin aus. Ich fuhr zu einer Tankstation, und während der Tank gefüllt wurde, fragte ich nach der Toilette. Dort erkletterte ich das Fenster, durchkroch eine Art Schacht, gelangte ins Magazin, stahl mich durch die Hintertüre hinaus und befand mich in einem engen, dunklen, nach Leder riechenden Raum. Es war mein Wagen, den die erfahrenen Tankstellenwärter dort abgestellt hatten.

Ihr hämisches Grinsen reizte meinen tief verwundeten orientalischen Stolz.

»Was können Sie sonst noch mit dem Wagen machen?« fragte ich. »Lassen Sie hören!«

Das Offert kam prompt und sachlich.

»Ölwechsel - zehn Minuten. Überholen - eine halbe Stunde. Lackieren - eine Stunde.«

»Lackieren Sie ihn grasgrün und wechseln Sie das Öl.«

Ungesäumt startete ich in Richtung Blumenfeld. Ich schlug ein scharfes Tempo an, denn der Zettel, den man mir an der Tankstelle in die Hand gedrückt hatte, trug folgenden eindeutig präzisierten Text: »Wenn Sie nicht pünktlich nach der vereinbarten Zeit von 1.10 h (das war handschriftlich eingetragen) Ihren Wagen holen, wird er in unserem eigens hierfür konstruierten Parkofen verbrannt.«

Da ich schon lange nicht trainiert hatte, geriet ich leider sehr bald außer Atem. Ich bestieg einen Bus und nahm an der Endstation ein Taxi zu Dr. Blumenfeld. Als ich dort anlangte, waren 42 Minuten vergangen, so daß ich sofort umkehren mußte. Ich kam gerade zurecht, als die Tankstellenwärter sich anschickten, die erste Kanne Kerosin über meinen grasgrünen Wagen zu schütten.

Jetzt gab es nur noch eine Möglichkeit, und ich war entschlossen, sie auszunützen: Ich fuhr mit meinem eigenen Wagen vor Dr. Blumenfelds Haus und ließ ihn krachend auf einen Laternenpfahl aufprallen. Erlöst entstieg ich dem Blechschaden und begab mich in die Ordination. Gerade als Dr. Blumenfeld mit der Behandlung fertig war, ertönte von unten zorniges Hupen. Durchs Fenster sah ich, daß es von einem Wagen kam, der dicht hinter dem meinen stand. Ich sauste hinunter. Ein anderer von Dr. Blumenfelds Patienten empfing mich zornschnaubend:

»Was bilden Sie sich eigentlich ein, Sie? Glauben Sie, diese Laterne gehört nur Ihnen?«

Ich mußte ihm recht geben. Selbst in Amerika können sich nur die Reichsten der Reichen den Luxus einer eigenen Parklaterne leisten.

Wie man aus den amerikanischen Filmen zur Genüge weiß, sind alle jungen Amerikaner hochgewachsen und wohlproportioniert. Diese begrüßenswerte Entwicklung ist ohne Zweifel dem Auto zu verdanken. Die Väter und Großväter der heutigen Amerikaner waren jämmerliche Schwächlinge mit weichen Muskeln, die gerade noch ausreichten, um den Anforderungen des Reitens, des Überlandverkehrs im Plachenwagen und später der Untergrundbahn gewachsen zu sein. Heute, da jedermann sein eigenes Auto besitzt, haben die Amerikaner wieder das Marschieren gelernt und legen zwischen Parkplatz und Arbeitsstelle täglich mindestens eine Meile zu Fuß zurück. Die Muskeln entwickeln sich normal, die Blutzirkulation wird gefördert, der Rücken wird straff, der Gang federnd. Eine neue, gesunde, sportgestählte Generation wächst heran.

Als ich die Familie Rosenblatt besuchen wollte, die in Forest Hills lebt, sagte Tante Trude:

»Nimm den Wagen. Ein kleiner Spaziergang wird dir gut tun.«

Auch die Einladung zu den Rosenblatts nahm sportlichen Charakter an. Wir hatten das liebenswürdige Ehepaar im Brooklyn-Zoo getroffen, dessen Besuch, wie sie uns gestanden, ein alter Traum von ihnen war. Aber sie konnten ihn erst jetzt verwirklichen, weil ihr Sohn Bernie seine Ferien in einem Sommer-Camp verbrachte. Bernie, so berichteten sie weiter, interessierte sich nicht für den Zoo und überhaupt für nichts außer Baseball. Rosenblatt senior interessierte sich gleichfalls für Baseball, aber nur von seinem Lehnsessel aus, beim Fernsehen. Rosenblatt junior hingegen war der Captain seiner Baseballmannschaft, die zu den besten der Kindergarten-Liga gehörte. An dieser Stelle ihres Berichts luden uns die Rosenblatts für Freitagabend zum Dinner ein. Offenbar hatte unser verständnisvolles Zuhören einen günstigen Eindruck auf sie gemacht. In Amerika wird man nicht so mir nichts dir nichts zum Essen eingeladen, es sei denn aus Geschäftsgründen. Mehrere Stadien - beginnend mit der nichtssagenden Phrase: »Lassen Sie uns einmal Lunch zusammen haben« - müssen durchlaufen werde, ehe es zu einer wirklichen Einladung kommt. Und selbst dann wird es meist nur eine Einladung ins Restaurant. Aber zu Hause, im Familienkreis, und am Freitagabend: Das ist das Wahre. Noch dazu war es der Freitag, an dem Captain Bernie aus dem Sommer-Camp zurückkam.

Leider begann Mr. Rosenblatt jeden Satz seiner ohnedies eintönigen Konversation mit den Worten: »Wir vom Mittelstand«, und leider sprach er ununterbrochen von seinem Sohn, wobei der jede einzelne der zahllosen hervorragenden Eigenschaften des jungen Tausendsassas mit Fotos belegte, auf denen man Junior von allen Seiten bewundern konnte, wie er gerade den Baseballschläger schwang oder einen ändern Beweis seiner enormen physischen Leistungsfähigkeit lieferte.

Das alles hatte unsere Kinderliebe auf eine Probe gestellt, der sich die beste Ehefrau von allen kein zweites Mal aussetzen wollte. Und da in unserer Ehe immer das geschieht, worauf wir uns einigen, einigten wir uns darauf, daß ich allein zu den Rosenblatts gehen und meine Frau mit einer kleinen Grippe entschuldigen würde.

Die Rosenblatts bedauerten, daß ich ohne meine Gattin gekommen war, und wünschten ihr baldige Besserung. Sodann diskutierten wir die Probleme des Mittelstandes und warteten auf Bernie. Um mir die Wartezeit zu verkürzen, breitete Mrs. Rosenblatt eine Unzahl von Fotografien vor mir aus, die ich der Reihe nach und sehr genau betrachten mußte.

Während ich noch damit beschäftigt war, betrat ein etwas dicklicher, sommersprossiger Knabe das Zimmer: Bernie selbst. Trotzdem bestand Mrs. Rosenblatt darauf, daß ich die Besichtigung der Fotos beendete. Sie wären viel ähnlicher, sagte sie.

Als ich fertig war, erhob Mr. Rosenblatt ein strahlendes Vatergesicht zu seinem neben ihm stehenden Sohn:

»Bernie, begrüße unsern Gast!«

»Hey«, sagte Bernie. »Gehen Sie mit dem Messer auf mich los!«

»Wie bitte?« Ich wandte mich ungläubig an die Eltern.

»Was will der Junge von mir?«

Beide Rosenblatts platzten vor Stolz:

»Folgen Sie ihm nur ruhig«, ermunterte mich der Papa.

»Gehen Sie mit dem Messer auf ihn los!«

»Aber warum? Er hat mir doch nichts getan?«

Jetzt schaltete sich Mrs. Rosenblatt ein: Bernie hätte im Camp einen Judo-Kurs absolviert und könnte jeden Erwachsenen, der ihn anzugreifen wagte, sofort kampfunfähig machen. Und ich sollte ihm doch den kleinen Spaß nicht verderben.

Ich berief mich nachdrücklich auf meinen vollkommenen Mangel an Erfahrung in solchen Dingen. Es sei nicht meine Art, sagte ich, auf Kinder mit dem Messer loszugehen, besonders im Ausland.

Da verlor Mr. Rosenblatt die Geduld. Begierig, das Schauspiel beginnen und seine Sohn triumphieren zu sehen, ergriff er von einem nahen Teller ein Obstmesser, drückte es mir in die Hand und schob mich vor Bernie hin. Was jetzt geschah, war fürchterlich. Der lebfrische junge Rosenblatt trat mich sofort ins linke Schienbein, und zwar mit solcher Wucht, daß ich mich vor Schmerzen krümmte. Als ich aber sah, daß er sich auch noch über mein rechtes Schienbein hermachen wollte, wurde es mir zu bunt. Mein Gesicht verzerrte sich. Besinnungslos vor Wut stürzte ich auf ihn los.

Bernie stieß einen spitzen Angstschrei aus, machte kehrt und entfloh. Ich sauste ihm mit geschwungenem Messer nach. Jetzt wollte ich es ganz genau wissen. Hatte er von mir verlangt, mit dem Messer auf ihn loszugehen, oder hatte er es nicht verlangt?

Am Ende der Treppe erwischte ich ihn und hielt ihn fest, wie sehr er auch jaulte und strampelte. Aber gerade als ich das Messer ansetzte, um ihn zu schlachten, rutschte er aus dem Hemd und rannte weiter. Mittlerweile kamen die besorgten Eltern schreiend die Treppe heruntergeeilt und fragten, was ich denn eigentlich täte?

»Ich gehe mit dem Messer auf ihn los,« antwortete ich.

»Warum fragen Sie?«

Und das Messer noch immer in der Hand, jagte ich Bernie durch den Garten.

Er muß in diesen Minuten ein anderer Mensch geworden sein, obwohl ich ihn nicht mehr zu fassen bekam. Der Inhaber des nahe liegenden Friseurladens, ein ehemaliger Cowboy, fing mich mit dem Lasso, als ich dem schrill kreischenden Judo-Kämpfer über den Zaun nachsetzen wollte. Ich leistete keinen Widerstand und ließ mich entwaffnen. Auch nächstes Jahr gibt es ein Sommer-Camp, dachte ich, und Bernie kann noch lernen. Aber wenn mich nicht alles täuscht, liegt seine Zukunft weniger im Judo als im Langstreckenlauf.

Das sozialistische Lager verwendet hämische Anführungszeichen, wenn es vom »Paradies« - Amerika spricht. Den Amerikanern selbst liegt nichts ferner. Sie fühlen sich in ihrem Land paradiesisch wohl. Und es geht ihnen ja auch wirklich großartig.

Damit meinen sie nicht so sehr den materiellen Wohlstand, die Wirtschaftskonjunktur, die überladenen Büffets, die 17 Fernsehkanäle oder die 32 verschiedenen Fruchteis-Sorten, die von Mr. Howard Jones feilgeboten werden. Was wir meinen und was uns vor Neid erblassen läßt, ist ein höchst ungewöhnliches Privileg, das die amerikanischen Geschäftsleute genießen. Er steht ihnen nämlich das Recht zu, ihre Angestellten zu entlassen. Man denke: zu entlassen, zu kündigen, hinauszufeuern. Den Buchhalter, den Portier, den Abteilungsleiter, wen immer. Sie können ihn, bildlich gesprochen, die Stiegen hinunterwerfen. Sie sagen ganz einfach. »Hinaus!« - und draußen ist er.

Es ist kaum zu glauben. Es ist wie im Märchen. Der Boß ist in Amerika noch der Boß.

Wir Israelis sind in diesem Punkt besonders empfindlich. Bei uns gibt es kein Kündigungsproblem, denn wir sind ein sozialistisch regierter Staat. Unsere Regierungspartei ist eine Arbeiter-Partei. Unsere Fabriken werden von Arbeiter-Komitees geleitet, und wenn es zu Meinungsverschiedenheiten mit dem Boß kommt, wird ein Schiedsgericht eingesetzt. Das Schiedsgericht besteht aus drei Vertretern des Arbeiter-Komitees, zwei Gewerkschaftsvertretern und dem Boß als Beisitzer ohne Stimme. Die letzte in Israel erfolgte Kündigung wurde im Jahre 1952 registriert, als ein Zitruspacker namens Sprotzek den Besitzer der Plantage im Verlauf eines Wortwechsels halb totgeschlagen hatte. Das Schiedsgericht sprach sich zwar gegen die Entlassung Sprotzeks aus, wich dann aber vor einem persönlichen Machtwort des Ministerpräsidenten zurück.

Seither ist nichts mehr dergleichen geschehen.

Was Wunder, daß wir die Amerikaner beneiden, die ihr elementares Recht auf Kündigung in der Unabhängigkeitserklärung von 1776 verankert haben!

Mein Onkel Harry zum Beispiel erschien eines Tages in seiner Bürstenfabrik und wollte den Vorarbeiter sehen, sah ihn aber nicht, weil er nicht da war. Wo denn der Vorarbeiter wäre, fragte Onkel Harry einen der Bürstenmacher. Der Bürstenmacher konnte es ihm nicht sagen.

Er fragte einen ändern, der es ihm auch nicht sagen konnte.

Schließlich fand er einen Arbeiter, der es ihm sagte.

»Boß«, sagte der Arbeiter, »der Vorarbeiter ist ein Bier trinken gegangen.«

»Okay«, sagte Onkel Harry. »Sie sind entlassen.«

Der Vorarbeiter war nämlich eine hochqualifizierte Kraft und schwer zu ersetzen. Irgend jemand aber mußte entlassen werden - das ist ein althergebrachter und sehr vernünftiger Brauch. Wir wissen aus zahlreichen historischen Filmen, daß der König regelmäßig den Boten köpfen läßt, der ihm die Nachricht von der Niederlage seiner Heere bringt. Diese psychologisch durchaus verständliche Reaktion degenerierte im Laufe der Zeit zum sogenannten Entlassungsbetrieb, der immer noch sein Gutes hat. Den vom Entlassungsbetrieb Bedrohten bleibt gar nichts andres übrig, als tüchtig zu sein. Sonst werden sie entlassen.

Daß diese Tüchtigkeit mitunter erschreckende Dimensionen annimmt, versteht sich von selbst.

Was sich nicht von selbst verstand, war die erste Frage jenes Tankstellenwärters, bei dem wir auf der Fahrt nach New Haven Benzin nahmen und der zweifellos die Schwergewichtsmeisterschaft in Verkaufstechnik gewonnen hatte. Seine erste Frage lautete:

»Brauchen Sie Ameisen?«

Es war, wie man zugeben wird, eine verwirrende Frage. So sehr wir diese kleinen emsigen Tierchen respektieren - wenn sie nicht gerade in unsere Küche eindringen, haben wir weiter keine Beziehungen zu ihnen. Was sollten wir jetzt und hier, auf einer Autostraße 64 Meilen nördlich von New York, mit Ameisen anfangen?

Infolgedessen beugte ich mich zu dem ruhig wartenden Benzinverschleißer vor und sagte:

»Entschuldigen Sie - ich verstehe nicht?«

»Ich hab' noch ein paar Schachteln übrig«, präzisierte er und spülte zum Zeichen seines guten Willens unsre Windschutzscheibe ab. »Ist jetzt groß in Mode. Jeder will eine Ameisenfarm haben. Riesenspaß für die ganze Familie. Besonders die Kinder sind verrückt danach. Schauen stundenlang durch den Glasdeckel, wie die Ameisen Straßen bauen. Oder Brücken. Oder Untergrundbahnen. Alles zusammen zwei Dollar. Ameisen gratis. In der Stadt zahlen Sie mindestens drei.«

»Danke«, antwortete ich, noch immer ein wenig verwirrt.

»Im Augenblick brauche ich keine Ameisen. Ich bin nicht von hier, wissen Sie. Ich bin Ausländer. Nur zu Besuch.«

»Ausländer? Sofort!« Er schnalzte mit den Fingern, verschwand im Stationsladen und kam mit einem Dutzend überdimensionaler Faltkarten zurück, die er auf der Kühlerhaube vor uns ausbreitete.

»Dem Wagen fehlt Pflege«, bemerkte er nebenbei und begann mit einer Nylonbürste die Sitze zu säubern. »Bei mir bekommen Sie die schönsten Nylonbürsten. In allen Farben.«

»Vielen Dank. Mein Onkel ist in der Bürstenbranche.«

»Wir haben einen Onkel im Land? Den müssen wir mit einem netten kleinen Geschenk überraschen! Eine Blumenvase? Einen Lampenschirm? Eine Ziehharmonika? Rasierseife? Papagei?«

»So viel ist mir mein Onkel nicht wert. Ich mag ihn eigentlich nicht.«

»Ganz recht!« Um seine Zustimmung zu unterstreichen, begann er mir mit einem Miniatur-Staubsauger über den Anzug zu fahren. »Man soll nie von seinen Verwandten abhängen. Hoffentlich wohnen Sie nicht bei ihm. Mein Wohnungsvermittlungsbüro -«

»Ich bin fast immer unterwegs.«

»Welche Zeitung wollen Sie abonnieren?«

»Keine.«

»Nehmen Sie Tanzunterricht!«

»Ich kann tanzen.«

»Ölaktien?«

»Davon verstehe ich nichts.«

»Also gut. Einsfünfzig.«

»Was?«

»Die Ameisenfarm.«

»Ich sagte Ihnen doch schon, daß ich derzeit keine Verwendung für Ameisen habe.«

»Ja, aber - was wollen Sie kaufen?« Er seufzte, zog einen Kamm hervor und frisierte mich kunstgerecht. Mir fiel ein, daß ich doch nur zum Tanken hierhergekommen war und daß ich dieses unwiderstehliche Verkaufsgenie nun endlich loswerden müßte.

»Eigentlich«, sagte ich unentschlossen vor mich hin, »trage ich mich mit dem Gedanken, einen Konzertflügel zu kaufen...«

Ein Leuchten ging über des Tankwarts Gesicht. Er verschwand und war in Sekundenschnelle mit einem Bündel von Prospekten zur Stelle:

»Für 1200 Dollar liefere ich Ihnen einen erstklassigen Flügel. Deutsches Fabrikat. Ich schaffe ihn direkt in Ihre Wohnung.«

»Und was, wenn Sie ihn auf der Stiege fallen lassen?«

»Kann mir nicht passieren. Mir nicht. Aber um Sie zu beruhigen: Gegen eine Aufzahlung von nur zwölf Dollar bekommen Sie von mir eine komplette Sachschaden-Versicherung. Ich bin der solideste Versicherungsagent im Umkreis. Spielen Sie selbst Klavier? Oder die Gattin?«

»Weder - noch. Wir haben nur immer davon geträumt, daß unser Sohn -«

»Wunderbar! Ich verschaffe Ihnen einen staatlich geprüften Klavierlehrer! Acht Stunden im Monat für 18,50!«

»Wer weiß - vielleicht will aber der Kleine gar nicht lernen?«

»75 Dollar in drei Raten - und Sie haben den besten Kinderpsychologen von ganz Amerika! Der wird den Balg schon hinkriegen!«

»Hm. Bleibt immer noch ein Haken: Wir sind kinderlos.«

»Kopf hoch! Eine einmalige, garantiert erfolgreiche Beratung durch einen anerkannten Fachmann kostet Sie nicht mehr als -«

»Halt!« fuhr ich dazwischen, denn mir war plötzlich der erlösende Gedanke gekommen. »Übernehmen Sie auch das Verfassung von Reisebüchern?«

»Selbstverständlich. 1500 Dollar für 220 Manuskriptseiten, zweizeilig, 65 Anschläge pro Zeile.«

»Aber es muß lustig sein!«

»Kein Problem. Macht 15 Dollar Zuschlag für jeden Druckbogen... «

Und so geschah es, daß dieses Buch - wie der geneigte Leser wohl schon längst geargwöhnt hat - von einem Tankstellenwärter im Staate New Haven geschrieben wurde. Amerika gilt ganz allgemein als restlos durchtechnisiertes, vollautomatisch betriebenes Land, dessen Bewohner ein nach bestimmten Schablonen vorgestanztes Leben führen, das von genau festgelegten, ebenso konventionellen wie konformistischen Regeln bestimmt wird. In Wahrheit sind die Amerikaner im Höchsten Grad individualistisch und absonderlich, viel absonderlicher als jedes andere Volk, weil sie von ihren Absonderlichkeiten nichts wissen und sie für völlig normal halten. Der Amerikaner findet alles, was er tut und was ihm geschieht, in Ordnung. Er wundert sich nicht im geringsten, wenn ihm ein Tankstellenwärter ameisenhaltige Konzertflügel zum Kauf anbietet. Er glaubt fest daran, daß Gott das Fernsehen erfunden hat, auf daß die natürliche Dreiteilung des Tages gewahrt werde: acht Stunden Schlaf, sechs Stunden Arbeit und zwölf Stunden vor dem Bildschirm. Er ist davon durchdrungen, daß ein erstklassiger Baseballspieler mit Recht so viel Geld verdient wie der Präsident der Vereinigten Staaten oder sogar wie Elvis Presley; daß man die Zukunft planen und Geld sparen muß für den Tag, an dem die Atombomben zu fallen beginnen; daß eine amerikanische Ehe ohne zwei amerikanische Kinder - einen amerikanischen Knaben und ein amerikanisches Mädchen im Alter von elf beziehungsweise neun Jahren - keine amerikanische Ehe ist; daß es nur in Amerika Steaks gibt; daß man aus

Broschüren alles erlernen kann, auch »Wie man Präsident wird, in zehn leichtfaßlichen Lektionen«; und daß Gott die Amerikaner liebt, ohne Rücksicht auf Rasse oder Religion, aber mit Berücksichtigung ihres sozialen Status.

Ungeachtet dieser vielfältigen Voraussetzungen herrscht in allen Staaten der Union die gleiche Strenge von Gesetz und Recht.

Im Staate Alabama ist es zum Beispiel verboten, während eines Schaltjahrs Popcorn zu verkaufen. Im nahe gelegenen Staate Mississippi dürfen Kinder unter acht Jahren nur in Gegenwart eines Notars »Mama und Papa« spielen. Nebraska weist alle Junggesellen über dreißig aus (nur Piloten, Polizisten und Rollschuhläufer werden hiervon nicht betroffen). Colorado untersagt das Stricken von Wolljacken. Oregon stellt nur Briefträger an, die eine Taucherprüfung abgelegt haben. In Ohio darf sich eine Frau auf der Bühne nicht entkleiden, in New York darf sie, in Nevada muß sie.

Und wo das Gesetz nicht ausreicht, nehmen es die Menschen selbst in die Hand.

Mein Onkel Harry zum Beispiel ist Mitglied der Vegetarier-Loge der Freimaurer und haßt die Mitglieder der Fisch- und Krustentier-Loge aus ganzer Seele. Außerdem gehört er dem »Weltverband zur Verbreitung und Förderung des Monotheismus« an, einer hochangesehenen Organisation, in deren Reihen sowohl Juden zu finden sind, die an Jesus glauben, als auch Christen mosaischen Bekenntnisses. Ferner ist Onkel Harry Vizepräsident der Hadassa-Bezirksorganisation und hat seine Bridgepartie im »Rekonstruktions-Cercle«, wo man mit Geistern und Fliegenden Untertassen verkehrt. Onkel Harry belehrte mich auch über die Quäker, die sich während ihrer wortlosen Gebete ekstatisch hin- und herwiegen, jede Form des Eides verabscheuen und die Abschaffung von Sklaverei und Militärdienst sowie die Einführung gleicher Rechte für die Frau betreiben. Andererseits wird Utah von den Mormonen beherrscht, einer Sekte, die immerhin so zahlreich ist wie die israelischen Juden. Die Mormonen sind anständige, rechtlich gesinnte Leute. Sie rauchen nicht, sie trinken weder Alkohol noch Tee noch Kaffee, und sie begnügen sich mit dem, was übrigbleibt, also mit zwei oder mehr Frauen.

»Wie war das, bitte?« unterbrach ich Onkel Harry. »Sagtest du: zwei oder mehr Frauen?«

»Ursprünglich war das so.« Onkel Harrys Blicke schweiften wehmütig in Richtung Utah, kamen aber nur bis Illinois. »Heute haben auch sie sich zur Monogamie bekehrt.«

»Warum, um Himmels willen?«

»Sie hatten keine Wahl.«

Das Problem begann mich zu interessierten.

»Hm«, brummte ich am nächsten Tag beim Frühstück vor mich hin. »Hm, hm, hm. Merkwürdig.«

Meine Gattin kniff fragend die Augen zusammen:

»Was ist merkwürdig?«

»Was Onkel Harry mir gestern über die Mormonen und ihre Vielweiberei erzählt hat.«

»Wieso ist das merkwürdig? Besser in aller Offenheit eine zweite Frau als ein heimliches Verhältnis. Findest du nicht?«

Ich staunte. Ich hatte erwartet, daß meine Gattin zu toben begänne: über die barbarischen Sitten einer exzentrischen Sekte, über die Benachteiligung der Frauen, über den Egoismus der Männer und über alles, was ihr sonst gerade in den Sinn käme. Statt dessen...

»Du magst recht haben«, nahm ich vorsichtig den Faden wieder auf. »Eigentlich ist es für die Mormonen ein sehr natürlicher Ausweg, den ihre Religion ihnen da bietet.«

»Wieso ist das nur für die Mormonen natürlich? Wieso, zum Beispiel, nicht für dich?«

»Weil den Juden, zum Beispiel die Polygamie schon von Rabbi Gerschom verboten wurde.«

»Wann hat Rabbi Gerschon gelebt?«

»Im elften Jahrhundert.«

»Und da richtet man sich noch immer nach ihm? Ein mittelalterliches Verbot kann doch heute nicht mehr gelten!«

Ich muß gestehen, daß meine kleine, kluge Frau einen ganz neuen Aspekt des Problems aufgedeckt hatte. Nach unseren eigenen, biblischen, altehrwürdigen, man könnte geradezu sagen, ewigen Gesetzen, ist es uns nicht nur gestattet, mehrere Frauen zu haben, sondern es wird uns geradezu empfohlen. Genau wie den Mormonen.

»Tatsächlich«, bestätigte ich. »Unsere Vorväter waren vernünftiger als wird. Sie wußten, daß auch eine gute Ehe - und ich wiederhole: eine gute Ehe - mit der Zeit in die Brüche gehen kann, wenn der Mann... du verstehst...«

»Ich verstehe. Es ist ja nur natürlich.«

Ich bewunderte sie immer mehr. Und das ganze Problem wurde mir immer klarer. Warum wäre es denn eine Sünde, wenn ein normaler Mann, sozusagen der Mormone von der Straße, sich zu mehreren Frauen hingezogen fühlt? Herrscht nicht auch in der Tierwelt, die den reinen unverwässerten Naturgesetzen gehorchte, Polygamie? Eigentlich ist das Ganze nur eine Frage der Einstellung, der Erziehung, der folkloristischen Gegebenheiten. Und vergessen wir nicht, daß wir Israelis im Orient zu Hause sind, wo die Institution des Harems ihren sicherlich nicht zufälligen Ursprung hat...

»Wie man's nimmt«, äußerte ich unverbindlich. »Im Grunde hängt es von der Intelligenz der Beteiligten ab.«

»Ganz richtig. Ich bin sicher, daß du dich nicht mit irgendeinem primitiven Weibchen abgeben würdest.«

»Niemals. Das würde ich dir niemals antun. Schließlich müßtest du ja mit ihr unter einem Dach leben.«

»Allerdings. Deshalb käme mir auch ein gewisses Mitspracherecht zu. Es dürfte also keine Rothaarige sein.«

»Warum?«

»Rothaarige machen immer soviel Lärm.«

»Nicht immer. Das ist ein dummes Vorurteil. Aber bitte, wenn du unter gar keinen Umständen eine Rothaarige haben willst, dann eben nicht. Die Harmonie im Heim geht mir über alles.«

»Ich habe auch nichts anderes von dir erwartet. Und mit ein wenig gegenseitigem Verständnis läßt sich alles regeln. Ich stehe am Morgen auf und kümmere mich ums Frühstück, während sie die Wohnung in Ordnung bringt und dir ein heißes Bad vorbereitet.«

»Ein lauwarmes, Liebste. Im Sommer bade ich lauwarm.«

»Schön, das ist dann ihre Sache. Ich will ihr nicht ins Handwerk pfuschen. Ich werde alles tun, um mit Clarisse gut auszukommen.«

»Clarisse?«

»Ich möchte gern, daß sie Clarisse heißt.«

»Ist das nicht eine kleine Erpressung?«

»Bitte sehr. Ich bestehe nicht darauf. Du bist der Herr im Haus. Wir teilen dich unter uns auf.«

Das klang vielversprechend. Wieder einmal zeigte sich, daß ein überlegener Intellekt, der mir ja glücklicherweise gegeben ist, immer den richtigen Weg zu finden weiß... Und ich mußte meiner Frau das Zeugnis ausstellen, daß sie auf diesen Weg einging.

»Liebling«, sagte ich und streichelte ihre Hand. »Damit hier kein Mißverständnis entsteht: Du bleibst natürlich die Favoritin. Du bleibst meine wirkliche und eigentliche Frau.«

»Ach, darauf kommt's doch gar nicht an!«

»Doch, doch. Wie kannst du so etwas sagen? Innerhalb der Familie gibt es eine festgelegte Hierarchie. Auch bei den Mormonen. Die zweite Frau muß sich klar darüber sein, daß sie nicht die erste Geige spielt, selbst wenn sie noch so jung und schön ist. Du wirst ihr ja auch im Alter voraus sein, nicht wahr?«

»Das findet sich. Das ergeben die Umstände. Auf jeden Fall hat ein solches Arrangement viele Vorteile.«

»Was für Vorteile?«

»Zum Beispiel brauchen wir keinen Babysitter!«

»Stimmt! Das erspart uns eine große Sorge. Und Geld. Wir werden abwechselnd bei den Kindern zu Hause bleiben...«

Noch während ich sprach, kam mir das Neuartige der Situation zum Bewußtsein. »Die Kinder«, murmelte ich.

»Welche... wessen Kinder...«

»Deine. Warum?«

»Ich dachte nur... da entstehen ja ganz neue Komplikationen... bezüglich... betreffend... die Kinder...«

»Laß doch. Darüber werden wir nicht streiten.«

Ich war sprachlos. So viel Lebensklugheit, so viel Souveränität hätte ich von meiner Frau nicht erwartet. Wären alle Amerikaner mit solchen Juwelen von Gattinnen gesegnet gewesen - nie hätten die Mormonen die Vielweiberei aufgeben müssen! Denn soviel steht fest: Man kann ein musterhafter, treuer Ehemann sein und trotzdem ab und zu für ein junges, gut aussehendes Geschöpfchen etwas übrig haben. Pedanten mögen das als »Polygamie« bezeichnen. Ich nenne es »erweiterte Monogamie«. So einfach liegen die scheinbar schwierigsten Probleme, so natürlich lösen sie sich, wenn man nur den guten Willen dazu hat... Und mit fröhlicher Stimme holte ich aus: »Dann ist ja alles in Ordnung!

Und dann kann ich dir ja auch sagen, daß ich schon die längste Zeit an eine ganz bestimmte Frau denke, die -«

»Was?! An wen?!« Das klang mit einemmal ganz spitz und scharf.

Verwirrt suchte ich den Blick meiner Frau und fand statt dessen zwei wild rollende Augenbälle.

»Ja, aber Liebste...«

»Schweig! Und sag mir sofort, ob du am Ende gar im Ernst gesprochen hast?«

»Ich? Im Ernst? Das kann nicht dein Ernst sein. Hast du plötzlich deinen Humor verloren? Hehehe... Da bist du mir aber schön hereingefallen...«

Und damit war meine Zukunft als Mormone beendet, noch ehe sie begonnen hatte.

Ich habe noch von einer weiteren Zukunftsvision zu berichten, mit der ich gleichfalls scheiterte. Oder zumindest nahm sie andere Formen an, als ich geplant hatte. Ich hatte geplant, in Hollywood nach meiner Karriere zu sehen. Die Richtung, in die sich das entwickelte, erinnerte mich irgendwie an das Ende meiner Begegnung mit dem Tankstellenwärter aus New Haven.

Mein Sitznachbar im Flugzeug nach Hollywood war ein guterhaltener, wohlgenährter Fünfziger, der die meiste Zeit in klangreichem Schlummer verbrachte. Über Chicago hatte ich genug davon und rüttelte ihn wach:

»Entschuldigen Sie - wann kommen wir in Hollywood an?«

»Keine Ahnung.«

»Leben Sie denn nicht in Hollywood?«

»Nein.«

»Warum fliegen Sie dann hin?«

»Wie soll ich das wissen? Fragen Sie meinen Agenten.«

Nach ein paar weiteren Sätzen besaß Mr. Maxwell - dies sein Name - volle Klarheit darüber, daß ich ein ahnungsloser Ausländer war, ein Neuling, ein Greenhorn ohne die mindeste Kenntnis amerikanischer Lebensgewohnheiten. Als ich ihm vollends auf die Frage, wer mein Agent sei, wahrheitsgemäß antworten mußte, daß ich keinen hätte, fiel er beinahe vom Sitz: »Um Himmels willen - wie wollen Sie ohne Agenten leben? Wer kümmert sich um Ihre Angelegenheiten? Wer sorgt für Sie?«

»Vielleicht der liebe Gott«, murmelte ich zaghaft.

Maxwell schüttelte ungläubig den Kopf, sagte aber nichts, weil ihm in diesem Augenblick - wir überflogen gerade Texas - ein Kabel eingehändigt wurde, in das er mir lässig Einblick gewährte:

»wetter in hollywood unsicher empfehle grauen pullover 20.45 dinner mit praesidenten paramount gruß - moe.«

»Da sehen Sie's« nickte Maxwell. »Alles, was Sie brauchen, ist ein guter Agent.«

Und er begann mir klarzumachen, daß der Agent die wichtigste nationale Institution Amerikas sei. Selbstverständlich, so sagte er mir, beschränkten sich die Aufgaben des Agenten nicht auf die Wahl der Pulloverfarben; sie liegen vielmehr auf dem Gebiet der Publicity, der öffentlichen Geltung, des beruflichen Aufstiegs. Ein guter Agent hat nichts andres im Sinn, als die einmaligen, die einzigartigen Fähigkeiten seines Klienten zu rühmen, zu verherrlichen und zu lobpreisen, laut und pausenlos, zu Lande, zu Wasser und in der Luft, bis zum letzten Atemzug, bis zu letzten Scheck, in Ewigkeit, Amen.

Maxwells hymnische Worte beeindruckten mich tief. Als er eine kurze Pause machte, fragte ich ihn nach seinem Beruf.

»Ich bin Agent«, antwortete er. »Warum?«

»Ja, aber - wenn Sie selbst Agent sind, wozu brauchen Sie dann einen Agenten?«

Maxwell lächelte nachsichtig.

»Ich gehöre zur höchsten Rangklasse. Zur allerersten Garnitur. Soll ich mich vielleicht selbst als den größten Agenten der Welt vorstellen? Das geht nicht. Das muß jemand anderer für mich machen. Und dazu brauche ich einen Agenten.«

Meine neidvolle Bewunderung für Maxwell stieg bei der Landung in Los Angeles sprunghaft an. Noch während wir das Flugzeug verließen, kam aus vier Lautsprechern die mehrfach wiederholte Durchsage:

»Mr. Maxwell wird gebeten, zum blauen Cadillac vor der Ankunftshalle zu kommen... wird gebeten... blauer Cadillac... Mr. Maxwell... blauer Cadillac...«

In der Ankunftshalle begrüßte ihn ein strahlender Managertyp mit einem großen Blumenstrauß. Kein Zweifel: Es war der treue Moe, der ihm den grauen Pullover ins Flugzeug gekabelt hatte.

Ich hingegen stand allein und verlassen bei meinen Koffern, ein armes Waisenkind ohne Adresse, ohne Hoffnung, ohne Brücke zur Welt, ohne Agenten. Schlotternd näherte ich mich der Prinzessin hinterm Informationsschalter:

»Bitte, können Sie mir ein gutes Hotel nennen?«

Die Prinzessin ließ ihre exquisiten langen Wimpern flattern:

»Hat denn Ihr Agent kein Zimmer für Sie bestellt?«

Ich wagte nicht, ihr die Wahrheit zu sagen, und senkte nur stumm den Kopf.

Da sie mir kein gutes Hotel nennen konnte, sondern nur die Adresse von zwei Agenten, versuchte ich es selbst und rief im Beverly Hills Hotel an.

»Bedaure, Mr. Kitschen, wir sind komplett«, antwortete der Empfang. Das war das ganze Gespräch.

Ich schleppte meinen müden Körper und meine drei bleischweren Koffer an den Taxistand und begehrte zu einem Hotel gefahren zu werden.

»Zu welchem Hotel, Mister?«

»Zu irgendeinem.«

Der Fahrer wandte sich um und sah mich an.

»Nein«, sagte ich. »Ich habe keinen Agenten. Fahren Sie trotzdem los.«

Als wir am Beverly Hills Hotel vorbeikamen, sah ich den blauen Cadillac vor dem Eingang stehen, und vor dem blauen Cadillac stand Moe.

Es war ein Wink des Himmels. Ich ließ halten und stürzte auf Moe zu: »Moe«, stammelte ich atemlos. »Sie müssen mich nehmen, Moe!«

Moe maß mich prüfend von oben bis unter. Nachdem ich seinem Blick etwa eine Minute standgehalten hatte, zog er ein kleines Notizbuch aus der Tasche und zückte seinen goldenen Füllbleistift:

»Morgen um halb zehn haben Sie ein Fernseh-Interview bei der CBS, Studio F. Um viertel eins treffen Sie Hedda Hopper. Um dreiviertel zwei lunchen Sie mit dem Produktionsleiter der Paramount. Um drei kommen die Fotografen. Vergessen Sie Ihre Gitarre nicht.«

»Aber ich bin kein Pop-Sänger, ich-«

»Wollen Sie das gefälligst mir überlassen«, brauste Moe auf. »Und jetzt gehen Sie auf Ihr Zimmer. Nummer 2003. Frühstück um acht. Zwei weichgekochte Eier. Das ist gut für Ihre Stimme. Unterschreiben Sie hier.«

Er hielt mir ein eng bedrucktes Formular hin, dem ich schon beim ersten Überfliegen entnahm, daß ich von meinen sämtlichen Einkünften - auf dem Gebiet der Vereinigten Staaten, des Britischen Weltreichs innerhalb der Grenzen von 1939 und überall sonst - 20 % an meinen Agenten abzugeben hätte, gleichgültig wie diese Einkünfte zustande kommen, ob durch Arbeit, Erbschaft oder Glücksspiel.

»Ist das ein Vertrag auf Lebensdauer, Moe?« hieß eine innere Stimme mich fragen.

»Selbstverständlich«, antwortete Moe.

»Dann kann ich nicht unterschreiben«, stieß ich hervor, packte meine Koffer und rannte durch die Hotelhalle zum Empfangsbüro. Moe rief hinter mir her, daß ich mich nicht anstrengen sollte, hier gäbe es keine Zimmer. Aber jetzt ließ ich mich nicht mehr beirren. Ich hatte den Trick durchschaut.

Schon stand ich vor dem Empfangschef:

»Mein Name ist Hyman Schwartz. Ich bin Mr. Kitschens Agent, literarischer Berater des Pentagon und Verfasser von Tolstojs Krieg und Frieden. Ich brauche ein Doppelzimmer mit Bad, und zwar sofort.«

Von meinem Doppelzimmer rief ich Hedda Hopper an: »Hedda darling«, flötete ich. »Weißt du, für wen ich jetzt arbeite? Du wirst es nicht glauben: für Kitschen. Ja, ganz richtig. Ein phantastischer Kerl, nicht wahr. Und du stirbst natürlich vor Neugier, zu hören, was er vorhat...«

Dem Präsidenten der Paramount kündigte ich für Mittwoch meinen Besuch an und versprach ihm die Weltrechte einer neuen, sensationellen Story von Kitschen. Schon nach wenigen Tagen hatte ich für diesen unfähigen Schwachkopf die besten Verbindungen hergestellt und seine Karriere auf Jahre hinaus gesichert.

Mit mir wollte kein einziger meiner Verhandlungspartner sprechen. Alle zogen es vor, direkt mit meinem Agenten zu verhandeln. Ich war überflüssig. Wer braucht einen Schriftsteller? Was ich brauche, ist ein guter Agent.

»Wer in Hollywood ist und nicht nach Las Vegas fährt«, sagt ein altes mohammedanisches Sprichwort, »der ist entweder nicht normal, oder er war schon dort.«

Las Vegas im Staate Nevada gilt mit Recht als das Monte

Carlo der USA. In ganz Nordamerika sind Glücksspiele verboten, ausgenommen die Börse und ausgenommen Nevada, das sich um die Gesetze der übrigen amerikanischen Staaten nicht kümmert. Übrigens ist Nevada von allen amerikanischen Staaten der ärmste. Besser gesagt: Es war der ärmste, bevor meine Frau und ich hinkamen.

Natürlich wußten wir ganz genau, was uns dort erwartet. Wir würden, so sprachen wir darum zu uns selbst, wir würden 10 Dollar am Roulette riskieren, keinen Cent mehr, 10 Dollar und Schluß.

Als wir mitten in der nevadensischen Wüste dem Flugzeug entstiegen, hatte ich überdies schon die Tickets in meiner Tasche, die uns vier Stunden später nach New Orleans bringen würden. Jedes Risiko war ausgeschlossen.

Las Vegas besteht aus einer grandiosen Hauptstraße und keinen wie immer gearteten Nebenstraßen. Die Hauptstraße besteht aus Hunderten von Casinos und Tausenden von Glücksrittern. Eines dieser Casinos betraten wir. Es hieß »Sand's«, und das verursachte uns ein anheimelndes Gefühl. Wir fühlten uns an den Negev erinnert.

Eine unübersehbare Menge Irrsinniger staute sich in der großen Halle, drängte sich um die Slotmaschinen, spielte Karten und natürlich Roulette. Die Slotmaschinen faszinierten uns ganz besonders. Man wirft mit der linken Hand eine Münze ein und betätigt mit der rechten einen Hebel, worauf hinter einer gläsernen Querleiste drei mit verschiedenen Früchten geschmückte Zylinder wild zu rotieren beginnen. Nach einer Zeit bleiben sie stehen, und wenn dann alle drei die gleichen Früchte zeigen, ergießt sich aus Fortunas Füllhorn ein Regen kleiner und großer Münzen in die Taschen des Gewinners. Man muß nur wissen, wie man den Hebel am besten niederdrückt und wann man ihn am besten losläßt. Oft dauert es stunden- oder tagelang, ehe man dahinterkommt. Aber wenn man das weiß, versteht man auch, warum es in Nevada so viele traurige Menschen mit überentwickelten rechten Armmuskeln gibt.

Zugegeben: Das Spiel ist nicht sehr intelligent. Es nahm uns auch nicht länger als drei Minuten in Anspruch. Wir sind ja keine kleinen Kinder.

Mit den verbliebenen fünf Dollar begaben wir uns an einen Roulettetisch und erstanden 10 Chips im Wert von je 50 Cents.

»Spielen wir nach der todsicheren Methode«, schlug ich vor. »Schultheiß hat damit vor ein paar Jahren fünfzehnhundert Dollar gewonnen. Man muß immer dieselbe Farbe setzen. Gewinnt man, ist es gut. Wenn nicht, verdoppelt man den Einsatz. Verliert man wieder, verdoppelt man ihn noch einmal. Man verdoppelt ihn so lange, bis man gewinnt. Und einmal muß man doch gewinnen.« Niemand wird bestreiten, daß das ganz einfach und überzeugend klingt, beinahe wissenschaftlich.

Wir setzen 50 Cents auf Schwarz. Ich wollte auf Rot setzen, aber die beste Ehefrau von allen blieb standhaft. Rot kam. Das schadete nichts. Wir verdoppelten den Einsatz, wie es die todsichere Methode vorschrieb.

Rot kam. Jetzt betrug unser Einsatz auf Schwarz bereits zwei Dollar. Es kam Rot.

»Ich hab' dir doch gesagt, daß wir auf Rot setzen sollen«, zischte ich meiner Gattin zu. »Wie kann man von allen Farben ausgerechnet auf Schwarz verfallen?«

Wir kauften vom Croupier zehn Ein-Dollar-Chips und zweigten sofort vier Dollar für den nächsten Einsatz ab, diesmal auf Rot. Schwarz kam.

Jetzt erst zischte meine Gattin zurück.

»Idiot!« zischte sie. »Seit wann wechselt man mitten im Spiel die Farbe?«

Die nächsten 10 Ein-Dollar-Chips, die wir gekauft hatten, setzen wir brav und folgsam auf Schwarz. Rot kam. Schultheiß kann was erleben, wenn ich ihn nächstens treffe.

16 Dollar auf Schwarz. Und was kam? Allerdings.

Kalter Schweiß stand mir auf der Stirn. Was meine Frau betraf, so war ihr Gesichtsausdruck eine pikante Mischung aus Blässe, Schrecken und mühsam zurückgedämmtem Haß.

Eine Verbrecherhöhle. Wir waren unter Verbrecher geraten. Besonders dieser Croupier mit dem unbeweglichen Gesicht. Er muß bis vor wenigen Tagen der Boß einer Gangsterbande gewesen sein. Wahrscheinlich ist er es noch. Verbrecher, wohin das Auge blickt. Das ist Amerika. Nichts als Dekadenz und Opium für die Massen. Pfui Teufel.

Ich kaufte Chips für 32 Dollar und setzte den ganzen Haufen auf Schwarz. Der Croupier drehte das Rad und ließ die Kugel rollen. Und plötzlich wußte ich, mit einer über jeden Zweifel erhabenen Sicherheit wußte ich, daß jetzt Rot kommen würde. Dieses unfehlbare Gefühl läßt sich nicht erklären. Du hast es, oder du hast es nicht. Es ist, als wären die Schuppen von diesem inneren Auge gefallen und als hätte eine innere Stimme das Wörtchen »Rot« in dein inneres Ohr geflüstert. Ich schob die Chips auf Rot.

»Nein!« kreischte die beste Ehefrau von allen und ergriff die Chips. Schon lagen sie wieder auf Schwarz.

Ein stummer, verzweifelter Kampf begann. Ich bin der Mann. Ich blieb Sieger. In der letzten Sekunde erreichten unsere Chips das rote Feld.

»Zu spät!« schnarrte der Croupier und schob das ganze Geld auf Schwarz zurück.

Das hätte er nicht tun sollen. Schwarz kam und brachte uns 64 Dollar. Roulette ist ein großartiges Spiel. Es ist nicht nur anregend und entspannend, sondern wirft auch reichen Lohn für den instinktsicheren Spieler ab, der das Glück zu meistern versteht.

Ich nickte dem Croupier, einem ungewöhnlich sympathischen jungen Menschen, freundlich zu und berechnete, wieviel wir bisher gewonnen hatten.

Wir hatten einen Dollar gewonnen.

Aber wir besaßen immerhin 64 Ein-Dollar-Chips.

»Dieses blöde Einsatz-Verdoppeln geht mir zu langsam«, äußerte die beste Ehefrau von allen. »Ich spiele Nummern.«

Es gibt 36 Nummern auf dem Rad, und wenn die gesetzte Nummer kommt, bringt sie 36faches Geld. Einer an der Wand hängenden Ehrentafel konnte man entnehmen, daß im Jahre 1956 ein Cowboy die Bank dieses Casinos gesprengt und Las Vegas mit 680000 Dollar in der Tasche verlassen hatte. Was ein Cowboy kann, müßten auch wir können.

Meine Frau setzte einen Dollar auf 25. Blinde Wut überkam mich. Warum gerade 25?

»Du bist verrückt! Setz auf 19! Ich garantiere für 19!«

Jetzt gab sie sich keine Mühe mehr, ihren Haß zu verbergen:

»Du verdirbst mir alles. Ich hätte dich nicht mitnehmen sollen. Ich hätte dich nicht heiraten sollen. Alles verdirbst du mir.«

Da sie die Chips verwaltete, unternahm ich nichts weiter und überließ sie ihrem Schicksal. Wollen sehen, was sie aufsteckt.

Ich meinerseits kaufte Chips für 5 Dollar und setzte sie auf die klar zutage liegende Nummer 19. Die Spannung war unerträglich. Mit angehaltenem Atem folgten wir dem Lauf der Kugel. Endlich fiel sie.

Sie fiel auf 25. Ich verstehe bis heute nicht, wie das geschehen konnte. Meine Frau strich 36 Dollar ein. Seit frühester Kindheit habe ich mich nicht mehr so erniedrigt gefühlt. Eine Säule von runden Chips türmte sich vor ihr auf, und vor mir war alles leer. Sie aber warf auch noch einen Dollar »pour les employes« hin. Ich haßte sie.

»Hast du keine bessere Verwendung für dein Geld?« fragte ich mit vornehmer Zurückhaltung.

»Rutsch mir den Buckel herunter«, lautete ihre weit weniger vornehme Antwort. »Mit meinem Geld kann ich machen, was ich will. Und verschwind schon endlich! Es ist eine alte Regel, daß man keinen Schlemihl in seiner Nähe haben soll, wenn die Glückssträhne einsetzt.«

Ich entfernte mich tief betroffen und in der unerschütterlichen Überzeugung, daß 19 die richtige Nummer und 25 nur durch einen Zufall gekommen war.

Beim Baccarat-Tisch blieb ich stehen, entnahm meiner Brieftasche eine 20-Dollar-Note und legte sie irgendwohin. Ich wußte weder wohin, noch warum. Ich kannte das Spiel nicht.

Der Bankier gab mir zwei Karten und sich selbst ebenfalls zwei. Dann deckte er die seinen auf. Dann deckte ich die meinen auf. Dann hatte ich verloren, und er raffte mein Geld an sich.

Ich ging zum Roulette zurück und fand meine Frau einer Ohnmacht nahe, so aufgeregt war sie: Berge von Chips lagen vor ihr auf dem Tisch, richtige kleine Berge. Vor freudiger Überraschung blieb mir der Mund offen. Jetzt würden wir mindestens drei Wochen in New Orleans bleiben können. Was für eine prächtige Gefährtin habe ich doch! Ihre rosigen Wangen glühten und ihre mandelförmigen Augen blitzten, während ihre wundervoll graziösen Hände über die Beute strichen. Möge sie leben und gesund sein bis 120...

»Putzili«, girrte ich. »Sag, wie hast du das gemacht?«

»Frag nicht so blöd«, antwortete sie mit heiserer Stimme. »Ich hab' mir für hundert Dollar Chips gekauft.«

Ein Blick auf ihr verzerrtes Gesicht bestätigte mir die fürchterliche Wahrheit ihrer Worte. Ich hatte ja gewußt, daß dieses Monstrum alles verlieren würde, Gott helfe mir. Wie sie nur dasaß! Die Augen stier an die Kugel geheftet, die Finger gierig um die Geldbörse gekrallt - wahrhaftig, sie sah kaum noch menschlich aus. Und in der Geldbörse war unser ganzes Geld. Sie warf es in frivolem Leichtsinn hinaus, sie opferte die mühsam erworbenen, im Schweiß unsres Angesichtes zum offiziellen Kurs eingewechselten Dollar dem Spielteufel. Kein Zweifel: Sie war verrückt geworden. Wann hat man je gehört, daß ein vernünftiger Mensch auf 5 setzt? Oder gar auf 3, wie sie es jetzt tat?

Das Häufchen Chips vor ihr wurde kleiner und kleiner. Eine flüchtige, eher nach unten abgerundete Berechnung ergab eine Verlustquote von 2 Dollar pro Minute.

Ich sah nach der Uhr. In anderthalb Stunden ging unser Flugzeug nach New Orleans. Wie die Dinge lagen, konnten wir dort höchstens noch drei Tage verbringen.

Und jetzt hat sie wieder auf 25 gesetzt. Werden Frauen denn nie aus ihren Fehlern lernen?

Etwas mußte geschehen. Ich kann unmöglich tatenlos mit ansehen, wie unsere Zukunft mit einer Minutengeschwindigkeit von 2 Dollar ruiniert wird.

»Liebste«, flüsterte ich, »laß uns einkaufen gehen.«

»Geh allein!«

»Eine Handtasche. Wir kaufen eine schöne Handtasche für dich.«

Der Laden, so spekulierte ich, ist 5 Minuten entfernt, das sind 10 Minuten hin und zurück, das ergibt netto 20 Dollar, und das ist selbst nach Abzug des Handtaschenpreises noch immer ein ganz hübscher Reingewinn. So leicht bin ich schon lange nicht zu Geld gekommen. Genauer: wäre ich zu Geld gekommen - wenn meine Frau drauf eingegangen wäre. Statt dessen hat sie beim Croupier schon wieder einen Berg von Chips gekauft.

Und keine innere Stimme, die mir zuraunt, welche Nummer jetzt kommen wird. Sie raunt nur immer wieder: »Leb wohl, New Orleans, leb wohl... «

Ich bringe meiner Gattin ein Glas Tee. Eine Minute gewonnen. Macht 2 Dollar abzüglich Getränkesteuer.

Nächster Versuch: »Gehen wir zu den Slotmaschinen.«

Dort nämlich kostet die Minute höchstens einen Dollar. Sie will nicht. Sie will Roulette spielen. Sie setzt - und zwar gleichzeitig - 8, 9, 10, die Transversale 4-6, Zero, Rot, erstes Dutzend. Es kommt 22, Schwarz, zweites Dutzend. Wenn wenigstens die Nummer 19 gekommen wäre, auf die ich von Zeit zu Zeit 10 Dollar setze...

Aber die Kugel ist rund, und endlich scheint's, als wollte das Glück uns lächeln. Ein sichtlich nervöser Spieler schreit meine Frau an, weil sie immer dieselben Nummern setzt wie er und ihn dadurch um alle Chancen bringt.

Meine Frau schreit zurück: Im Gegenteil, er bringe sie um alle Chancen, weil er immer knapp vor ihr seine Chips auf die Nummern setzt, die sie spielen will. Ein lautstarkes Wortgefecht bricht aus, das Rad steht volle acht Minuten still (16 Dollar). Da meine eigene Frau in den Streit verwickelt ist, muß ich Partei ergreifen. Ich trete auf einen der bewaffneten

Saalwächter zu und ersuche ihn, die schreiende Weibsperson dort am Tisch aus dem Casino zu weisen. Der Gangster zuckt die Achseln: Schreien sei kein Ausweisungsgrund. Schade. Das hätte zwei Tage in New Orleans bedeuten können.

Der geistige Verfall meiner Gattin macht rasende Fortschritte. Sie setzt gleichzeitig 18, Ungerade, Schwarz, 25, 2, die Transversale 4-6, das dritte Dutzend, das zweite Dutzend, 6, Zero, 7, 9 und 13. Und Rot. Und das erste Dutzend. Und 8.

In wilder Panik stürze ich zu einer der Telefonzellen und rufe aus dem Casino das Casino an:

»Bitte lassen Sie sofort Mrs. Kitschen ans Telefon holen. Sie sitzt am zweiten Tisch von links. Es ist dringend.«

»Um was handelt sich's?« »Um einen Schlaganfall in der Familie.«

Zum Glück ist der Tisch ziemlich weit von der Zelle entfernt, und obwohl Mrs. Kitschen in scharfem Tempo angerannt kommt, vergehen 4 Dollar.

»Hallo?«

»Mrs. Kitschen«, sage ich in fließendem Englisch, »die Direktion möchte Ihnen zur Kenntnis bringen, daß nach den Gesetzen des Staates Nevada kein Casinogast länger als zwei Stunden ununterbrochen Roulette spielen darf. Da Sie leider schon-«

»Halt den Mund, Idiot! Glaubst du wirklich, daß ich dich nicht erkannt habe?«

Und schon saust sie an den Tisch zurück. Immerhin: 9 kostbare Minuten sind gewonnen, fast ein ganzer Tag in New Orleans. Und in einer halben Stunde, der Himmel sei bedankt, müssen wir am Flughafen sein.

Ich schleppe unser Gepäck zur Tür und locke durch heftige Winksignale meine Gattin herbei.

»Um Himmels willen!« Ihre Stimme bebt vor jähem Entsetzen. »Wo ist meine schwarze Handtasche?!«

Ich habe keine Ahnung. In der schwarzen Handtasche befinden sich unter anderem die kosmetischen Utensilien meiner Frau. Eine Suche im Wert von mindestens 20 Dollar beginnt.

Endlich wird die Handtasche gefunden. Irgend jemand hat sie hinter der Türe versteckt. Ich reiße die Tasche an mich und öffne sie, um das verbliebene Geld zu zählen.

Es ist kein Geld verblieben. Es gibt nichts zu zählen. Meine Frau hat 230 Dollar verloren. 230 Dollar sind ihr durch die Finger geglitten, für nichts und wieder nichts. Wenn sie wenigstens auf 19 gesetzt hätte, so wie ich meine 350 Dollar. Aber vielleicht können wir trotz allem noch zwei Tage in New Orleans verbringen.

Auf dem Flugplatz teilt man uns mit, daß sich der Abflug um eine halbe Stunde verzögern wird. Warum? Bald haben wir die Ursache entdeckt. Im Warteraum stehen 20 Slotmaschinen. Man braucht nur eine Münze einzuwerfen... und den Hebel zu betätigen... es ist ganz einfach. Wie singt der Dichter?

»Meine rechte Hand verdorre, könnt' ich jemals dein vergessen, o Las Vegas in Nevada.«

Übrigens: Kennen Sie New Orleans? Ich nicht.