Dave Barry

Die Achse des

Blöden

Eine politische

Evolutionstheorie der

USA

s&c by unknown

Kaum zu glauben, aber nach Umfragen seriöser Meinungsforschungsinstitute halten mehr als 54 % aller Amerikaner die United States Constitution für ein

- erfolgloses - Eishockey-Team. Mit anderen Worten: Kaum ein Amerikaner hat seine Verfassung je gelesen. Und das, obwohl sie ihm doch unter anderem ausdrücklich das Recht einräumt unwichtige Post ungeöffnet wegzuschmeißen.

ISBN 3-8218-0933-7

Originaltitel: Dave Barry Hits Below the Beltway

Aus dem amerikanischen Englisch von Edith Beleites

Eichborn AG, Frankfurt am Main, 2003

Umschlaggestaltung: Moni Port unter Verwendung einer Illustration von Christopher Fellehner

Dieses E-Book ist nicht zum Verkauf bestimmt!!!

Buch

Dave Barry hat die Verfassung gelesen. Und nicht nur das - er erklärt uns auch, was es mit der amerikanischen Politik insgesamt auf sich hat. Worum es bei der »Boston Tea Party« in Wahrheit ging, wie man sich als Kandidat für Senat und Repräsentantenhaus qualifiziert, was in Washington einen

»Chief Secretary«, einen »Chief Chief Secretary« und einen

»Chief Secretary Secretary« unterscheidet, wie man Präsident wird und vor allem: was die Geschicke der amerikanischen Nation wirklich bestimmt.

»Dave Barry - der komischste Mann Amerikas.«!

New York Times

Für Rob und Sophie, hauptsächlich, weil ich sie

mehr liebe, als ich sagen kann, aber auch, weil sie eines Tages meine Sozialversicherung zahlen müssen.

Danksagung

Zuerst und vor allem danke ich der US-Regierung dafür, daß sie so ein närrischer, urkomischer Verein ist. Mir ist längst klar, daß der Gegenwert der Zillionen Dollar, die sie uns kostet, in dem hochkarätigen Entertainment besteht, das wir fast täglich geboten bekommen - und zwar mit Zinsen.

Ich danke auch meinen erstklassigen Washingtoner

Informanten, besonders Gene Weingarten, Tom Shroder, Joel Achenbach, Chuck Smith und Russ Beland. Irgendwie bin ich nicht dazu gekommen, sie zu befragen. Aber hätte ich es getan, wären die Informationen nur so aus ihnen herausgesprudelt. Da bin ich mir ganz sicher, und dafür bin ich dankbar.

Ich danke den vielen Journalisten, die wahre Geschichten über die US-Regierung ans Licht bringen und mich auf diese Weise mit Informationen füttern. Besonders danke ich den Journalisten der Washington Post und meiner eigenen Zeitung, des Miami Herald, die trotz permanenter Anmache von Erbsenzählern und anderen Feiglingen Tacheles reden, wann immer es nötig ist.

Ich danke meinem Rechercheapparat, Judi Smith, für ihren ebenso endlosen wie aussichtslosen Kampf um die Korrektheit der Sachen, die ich so schreibe. Zumindest sorgt sie dafür, daß alles ein bißchen weniger inkorrekt ist. Sie beweist große Charakterstärke, denn bislang hat sie sich nicht in die Welt der Drogen geflüchtet. Jedenfalls weiß ich davon nichts.

Und schließlich danke ich meinem Verleger Sam Vaughan

und meinem Agenten Al Hart. Ohne die beiden müßte ich mir einen anständigen Job suchen und arbeiten gehen.

Inhalt

Einführung .......................................................................................................... 6

1. KAPITEL:

Über die Ursprünge von Regierungen

Oder: Wie sich der Mensch vor fleischfressenden Pflanzen schützt ...... 11

2. KAPITEL:

Die Geburtsstunde der USA

Oder: Der Geist der Freiheit erwacht und hütet Jungkühe....................... 28

3. KAPITEL:

Unsere Regierung heute

Oder: Wie der Verbraucher vor irreführenden Bezeichnungen für

Trockenfrüchte geschützt wird ...................................................................... 48

4. KAPITEL:

Eine Wanderung durch Washington DC

Oder: Die wunderbare Welt der Gänge und Korridore ............................. 67

5. KAPITEL:

Das Prozedere der Präsidentenwahlen

Oder: Muppets in Maßanzügen..................................................................... 93

6. KAPITEL:

Ein moderner amerikanischer Wahlkampf

Oder: Sieben Wochen Wahrheit und Werbung........................................114

7. KAPITEL:

Das Jahr 2000 - Ein Präsident wird gemacht

Oder: Wir geben Florida den Spaniern & zurück! (vorausgesetzt

Spanien spielt mit).........................................................................................121

8. KAPITEL:

Das Jahr 2000 - Ein Präsident wird gemacht (Fortsetzung)

Oder: Anwälte außer Rand und Band ........................................................160

SCHLUSS.......................................................................................................176

Einführung

Um ein auch nur halbwegs anständiges Buch über etwas

derart Komplexes wie die US-Regierung zu schreiben, muß man sich sehr lange in Washington DC aufhalten. Also beschloß ich gleich zu Beginn der Arbeit an diesem Buch, daß es kein auch nur halbwegs anständiges werden sollte.

Ich faßte diesen Beschluß, weil ich mich in Washington nicht wohl fühle. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Washington ist eine schöne Stadt mit reichlich Statuen, Gebäuden und viel Kultur in Form von thailändischen Restaurants. Aber immer wenn ich dort bin, komme ich mir vor wie der einzige Mensch in der Stadt, der nie fürs Studentenparlament kandidiert hat.

Dieses Gefühl hatte ich zum ersten Mal 1967, als ich, noch ein College-Student, bei den Vierteljahresheften des Kongresses ein Praktikum machte. Dabei handelt es sich um eine Illustrierte, die, wie der Name schon andeutet, wöchentlich erscheint.

Ich hatte keine Ahnung, was in Washington zählt. Ich kam aus einem rein männlichen College. Welches Ansehen jemand genoß, hing ab von Faktoren wie:

- Ist er ein guter Kumpel?

- Leiht er mir seinen Wagen?

- Bleibt er mein Freund, auch wenn meine Freundin seinen Wagen vollkotzt?

Als ich nach Washington kam, stellte ich jedoch fest, daß es sogar unter jungen Leuten überhaupt keine Rolle spielte, ob jemand ein guter Kumpel war. Was hier zählte, war einzig und allein, in welcher Höhe am Washingtoner Totempfahl der Rangordnung man angesiedelt war. Ganz oben an diesem

Totempfahl rangiert der Präsident, ganz unten, noch unter der Erde, die Öffentlichkeit. Dazwischen bilden Regierungsbeamte,

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Journalisten, Lobbyisten, Anwälte und andere Machtmenschen eine extrem komplexe Hierarchie mit Tausenden von auf das feinste abgestuften Rangunterschieden mit extrem subtilen Nuancen und Unterscheidungen, die nur der Washingtoner als solcher wahrnimmt und versteht.

Ein Washingtoner weiß zum Beispiel, ob ein »Erster

Stellvertretender Untersekretär« höher oder tiefer rangiert als ein

»Beigeordneter Hauptstellvertreter des Sekretärsassistenten«

oder etwa ein »Erster Stellvertreter des Stellvertretenden Sekretärsassistenten« oder womöglich ein »Stellvertreter des Stellvertretenden Sekretärs« oder auch ein »Erster Assistent des Stellvertretenden Untersekretärs« oder ein »Assistierender Personalleiter des Sekretärsassistenten«. (Alles real existierende Stellen der Bundesbehörden.)

Jedermann in Washington scheint jederzeit ganz genau zu wissen, welchen Status jemand besitzt. Ich habe keine Ahnung, wie sie das machen. Vielleicht treffen sie sich in regelmäßigen Abständen an einem geheimen Ort und beschnuppern sich

gegenseitig am Hinterteil. Ich weiß nur: Als ich 1967 während meines Praktikums auf Parties ging, waren sie ganz anders als die College-Parties, die ich gewohnt war. Für mich waren Parties die Regel, bei denen es ganz normal war, zu

vorgerückter Stunde seinen Bourbon aus einem Schuh zu

trinken; es mußte noch nicht mal der eigene Schuh sein. Die Parties in Washington hingegen waren durchweg seriös. Zu Anfang waren alle total damit beschäftigt, ganz genau

rauszukriegen, an welcher Stelle des Totempfahls alle anderen rangierten, und den restlichen Abend verbrachte man damit, sich bei jemandem einzuschleimen, der einen höheren Status hatte als man selbst. Ich habe es gehaßt. Vor allem weil sich nie jemand bei mir einschleimen wollte, denn Praktikanten

rangieren natürlich fast so weit unten wie die Öffentlichkeit.1

1 Bitte fügen Sie an dieser Stelle einen Monica Lewinsky-Witz ein!

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Heute habe ich viele gute Freunde in Washington, und ich weiß, daß nicht alle, die dort wohnen, statusbesessene Arschkriecher sind. Aber trotzdem gibt es dort einfach viel zu viele Leute, die pausenlos darüber nachdenken, wie wichtig sie sind. Wollen Sie wissen, warum diese Leute so wichtig sind?

Weil sie in der Politik mitmischen. Überall sonst in Amerika gilt In-der-Politik-Mitmischen als institutionalisierte

Selbstbefriedigung; für die Washingtoner hingegen ist Politik produktive Arbeit. Sie lieben die Politik. Sie können gar nicht genug davon kriegen. Alles und jedes können sie zum

Gegenstand von Politik machen, zum Beispiel auch die

gesetzlich festgelegte Größe von Löchern im Schweizer Käse.2

Einen guten Einblick in die Weltsicht des Washingtoners gibt die erfolgreiche Fernsehserie Der Westflügel. Verstehen Sie mich nicht falsch. Ich finde diese Serie gut geschrieben, gut gespielt, flott und unterhaltsam. Aber mal ehrlich: Ist es nicht unerträglich, wie die Figuren nur um sich selbst kreisen, gar nicht fassen können, wie wichtig sie sind? Sie sind so wichtig, daß sie sich nicht mal hinsetzen können. Unentwegt hasten sie im Laufschritt durchs Weiße Haus, hasten und hasten, und bei jedem Schritt machen sie Politik. Man sieht nie irgendwo Toiletten, aber ich bin mir ganz sicher, daß einige der Figuren auch im Laufschritt pinkeln.

Natürlich haben sie praktisch gar keine Zeit, auf die Toilette zu gehen, denn im Westflügel herrscht immer gerade Krise.

2 In den letzten Tagen der Clinton-Administration setzte das Landwirtschaftsministerium die Standardgröße für Löcher im Schweizer Käse neu fest und reduzierte sie auf 3/8 Inch. Die alte Standardgröße lag bei einem Durchmesser zwischen 11/16 und 13/16 Inch. Wir sind uns sicher alle einig, daß durch diese mutige Neuregelung ein bedeutender Schritt zur Verbesserung der Welt gelungen ist.

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Einmal habe ich eine Folge gesehen, in der alle Beteiligten eine Stunde lang hitzig über die Frage debattierten, ob der Präsident eine Gruppe von Umweltschützern dafür tadeln sollte, daß sie den Öko-Terrorismus nicht öffentlich verdammte. Mit anderen Worten: Es ging nur um Worte - darum, ob der Präsident scharfe Worte gegenüber dieser Gruppe verwenden sollte, weil sie keine scharfen Worte gegenüber einer anderen Gruppe verwendet hatte. An keiner Stelle war die Rede davon, daß irgend jemand irgend etwas tun sollte.

Aber für die Figuren von Westflügel war es eine wahnsinnig dramatische Situation. Sie waren alle ganz fertig, wenn auch im Laufschritt. Die Zuschauer wurden in das Drama voll

einbezogehen und fieberten mit: Sollte der Präsident tadeln?

Sollte er nicht tadeln? Welchen politischen Erdrutsch würde dieser Tadel auslösen? Sollte der Präsident im Laufschritt tadeln?

Man vergißt so leicht, daß sich die große Mehrheit der amerikanischen Steuerzahler außerhalb Washingtons für solche Fragen im Grunde nicht interessiert. Diese Tadel-Frage ist genau die Sorte heiße Luft, Klugscheißerei und Insiderdenken, die in Washington und für vier Leute von der New York Times wichtig ist, während der durchschnittliche amerikanische Steuerzahler sie instinktiv für unwichtig hält. Man vergißt das aus einem ganz bestimmten Grund so leicht: Der durchschnittliche

amerikanische Steuerzahler kommt in Fernsehserien wie Der Westflügel nicht vor. Wahrscheinlich hängt er irgendwo rum und beschäftigt sich mit etwas so Langweiligem, Undramatischem und Politikfernem wie etwa Arbeiten.

Was ich sagen wollte, war: Obwohl es in diesem Buch

hauptsächlich um die US-Regierung geht, habe ich kaum Zeit mit Recherche in Washington oder sonstwo verbracht. Ich habe mich einfach hingesetzt und mir alles ausgedacht. Falls Sie also befürchteten, in diesem Buch mit endlosen Fakten und

Informationen konfrontiert zu werden: Entspannen Sie sich! Es

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kommen fast keine darin vor. Um den Mangel an Informationen wieder wettzumachen, habe ich das Buch mit einer Menge spöttischer Bemerkungen gespickt.3

Das heißt aber nicht, daß dieses Buch nutzlos wäre. Ganz im Gegenteil. Sie werden sogar feststellen, daß dieses Buch -

anders als alle anderen Bücher über die US-Regierung und das politische System der USA - unglaublich viele Illustrationen mit Zucchinis enthält. Und vielleicht... vielleicht finden Sie sogar irgendwo in diesem Buch irgend etwas, das Sie tatsächlich über irgend etwas informiert und das Ihnen hilft, ein besserer Staatsbürger zu werden.

Sollte das der Fall sein, lassen Sie es mich bitte wissen, damit ich diese Kleinigkeit aus der nächsten Auflage streichen kann.

3 Wenn Sie ein Buch über die Regierung suchen, das sowohl Fakten als auch Spott enthält, empfehle ich Ihnen das ausgezeichnete »Parliament of Whores« von P. J. O'Rourke

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1. KAPITEL:

Über die Ursprünge von Regierungen

Oder: Wie sich der Mensch vor

fleischfressenden Pflanzen schützt

Warum gibt es Regierungen?

Eine schwierige Frage. Und wie bei so vielen schwierigen Fragen fällt die Antwort ganz leicht, wenn man an Ameisen denkt. Wenn Sie auf Ihrem Küchenfußboden eine Ameise

entdecken, kommt sie Ihnen wie ein unbedeutendes Insekt vor, das ziellos herumkrabbelt. Also treten Sie drauf und verwischen den Fleck, ohne einen weiteren Gedanken daran zu

verschwenden.

Wenn Sie sich aber, statt die Ameise zu zertreten, auf Hände und Knie niederließen und das Tier verfolgten, würde etwas Faszinierendes passieren: Sie würden mit dem Kopf an die Wand knallen, wenn die Ameise in ein Loch krabbelt. Aber ich will Ihnen sagen, wohin sie verschwunden ist: Sie hat sich in ihr Nest begeben, in dem eine ganze Ameisenkolonie lebt, die genauso komplex und geordnet ist wie die menschliche

Gesellschaft. Sie ist sogar bedeutend geordneter, weil es dort keine Teenager gibt.

Ja, sogar Ameisen - winzige Kreaturen mit kleinen Hirnen, nicht größer als das eines durchgeknallten Anrufers bei einer Hotline - haben eine Regierung. Die Ameisenregierung basiert auf dem von Politikwissenschaftlern so genannten

»Geruchsprinzip«, was bedeutet: Welche Rolle jemand in der Gesellschaft spielt, hängt davon ab, welche Chemikalien er

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ausscheidet. An der Spitze der Hierarchie steht die Königin, die von den anderen Ameisen nach einem sehr kurzen Wahlkampf -

während sie aus dem Ei schlüpft - einstimmig gewählt wird.

»Hey!« sagen die anderen Ameisen. »Die riecht wie eine Königin.«

Die meisten anderen Ameisen riechen wie Arbeiter. Sie

verbringen ihr Leben damit, durch die Gegend zu krabbeln und Nahrung zu suchen. Dabei tauschen sie mit anderen Ameisen wichtige chemische Informationen (»Ich bin eine Ameise!« -

»Na, sowas! Ich auch!«). Es gibt auch fliegende Ameisen. Ihre Aufgabe besteht darin, durchs Haus zu fliegen, so zu tun, als seien sie Termiten, und so die Menschen zu ängstigen. (Das ist das einzige Vergnügen, das sich Ameisen leisten können.) Ameisen sind nicht die einzigen staatenbildenden Tiere.

Ähnliche Organisationsstrukturen finden sich überall in der Natur: Affen leben in Herden zusammen, Vögel in Schwärmen, Fische in Schulen, Würmer in Wurmknäueln, Darmparasiten in Anwaltsbüros und so weiter. Mit anderen Worten: Staaten und somit Regierungen sind etwas ganz Natürliches, im Tierreich wie bei den Menschen. Auf gewisse Weise sind wir wie die Ameisen, die über unseren Küchenfußboden krabbeln: Wir führen Futter (Steuergelder) an den Staat (Regierung) ab, und im Gegenzug schenkt uns der Staat Sicherheit (etwa durch die Bundesprüfstelle für Gesunde Avocados).

Natürlich sind Menschen den Tieren weit überlegen: Wir wählen den Präsidenten der Vereinigten Staaten nicht wegen seines Geruchs. Als vernunftbegabte Wesen interessieren wir uns für ganz andere Qualitäten unseres Präsidenten und beurteilen ihn zum Beispiel danach, wie groß er ist. Folglich haben wir in den Vereinigten Staaten ein seriöses, komplexes Regierungssystem auf drei Kompetenzebenen entwickelt.4 (Von den anderen Tierarten kennen nur die Spechte ein stärker 4 Exekutive, Legislative und Verstorbene

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verzweigtes System.)

In diesem Buch wird nun die moderne US-Regierung einer eingehenden Betrachtung unterzogen - woher sie kommt, was sie tut, wer für sie arbeitet, von welchem Planeten ihre Mitarbeiter stammen und so weiter. Um aber wirklich zu begreifen, wie die Regierung im Amerika des

einundzwanzigsten Jahrhunderts funktioniert, müssen wir einige Millionen Jahre zurückblicken und folgendes untersuchen: Regierungsformen der frühen Menschheit

Die ersten Menschen waren kleine, behaarte Kreaturen, die auf Bäumen hausten und große Ähnlichkeit mit Danny deVito hatten. Wie ihre nächsten genetischen Verwandten, die Affen, entwickelten sie Daumen und lernten so, etwas festzuhalten.

Was den Menschen, nachdem er einige Millionen Jahre in Bäumen herumgesessen und sich gelegentlich mal gekratzt hatte, jedoch vom Affen unterschied, war die wichtigste Entdeckung, die je gemacht wurde, eine Entdeckung, die den Menschen über alle anderen Tiere erheben sollte: Er entdeckte, wie man das Okay-Zeichen formt.

Die Entdeckung dieses Okay- Zeichens verschaffte den

Menschen eine enorme strategische Überlegenheit gegenüber den Affen, die nur ein vages Schulterzucken beherrschten.

Das bedeutete: Wenn ein kluger Affe eine gute Idee hatte und beispielsweise das Rad erfand, konnten die anderen Affen - auch wenn sie wirklich beeindruckt waren - nur mit der Schulter zucken, und dann dachte der kluge Affe: »Vergiß es!«

Die ersten Menschen hingegen benutzten das Okay-Zeichen als Antwort auf praktisch alles, was jemand anders machte. So ermutigten sie sich gegenseitig zu immer neuen Fortschritten.

Und an jenem historischen Tag, als ein Mensch auf die Idee kam, seinen Baum zu verlassen und stattdessen auf der Erde umherzuwandeln, machten die anderen wieder das Okay-

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Zeichen.

Das stärkte sein Selbstbewußtsein, und der mutige Forscher betrat den Erdboden. Ein großer Schritt für die Menschheit, vergleichbar dem Moment, als der Astronaut Neil Armstrong zum ersten Mal den Mond betrat. Aber statt zu sagen: »Ein kleiner Schritt für einen Mensehen, ein großer Schritt für die Menschheit«, sagte der mutige Forscher: »Örk«, weil ein vorüberziehendes Mastodon auf ihn trat. Die anderen Menschen beobachteten das, machten das Okay-Zeichen und blieben auf den Bäumen, wo sie beschlossen, zu ihrem Schutz eine

Regierung zu bilden.

Das System, für das sie sich entschieden, die erste

Regierungsform der Menschheit überhaupt, war das

Stammessystem. Der Stammesführer wurde durch folgendes Ritual bestimmt:

1. Der Stamm hielt eine Versammlung ab und ernannte einen Heiligen Rat, der aus allen männlichen Erwachsenen des Stammes bestand. Sie setzten sich in einen Kreis, den

sogenannten Kreis der Entscheidung, und entschieden nach dem Konsensprinzip, wer der weiseste, vertrauenswürdigste und mutigste unter ihnen war. Dieses Ratsmitglied galt dann als nominiert.

2. Der Nominierte hob einen dicken Stock auf, den

sogenannten Behördenstab, hielt ihn hoch und erflehte von den Göttern Erleuchtung.

3. An einem bestimmten Punkt der Zeremonie schlug der

Große Dicke Stein der Schwere dem Nominierten den Schädel ein, ge führt von der Hand des Mannes Mit Den stärksten Muskeln. Dieser wurde dann einstimmig zum Stammesführer gewählt.

Die ersten Menschen brauchten ein starkes

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Regierungsoberhaupt, denn ihr Leben war rauh. Sie waren Jäger und Sammler. Das heißt: Die Männer zogen aus und jagten wilde Tiere, und die Frauen zogen hinterher und sammelten die Körperteile der Männer ein, denn die Tiere in jener Zeit waren wirklich wild.

Wenn es den Menschen einmal gelang, ein Tier zu töten, mußten sie es roh essen. Das blieb für mehrere Äonen so, bis eines glücklichen Tages ein primitiver Mensch, nennen wir ihn Urg5, zufällig gerade ein Stück Mammutfleisch in der Hand hielt, als er im Freien von einem Gewitter überrascht und vom Blitz getroffen wurde. Nachdem sich der Rauch verzogen hatte, probierten die anderen Menschen das nun geröstete

Mammutfleisch und stellten fest, daß es viel besser schmeckte als rohes. Sie stellten auch fest, daß Urg ganz köstlich schmeckte.

Diese Entdeckung mündete in die von Archäologen so genannte Grillsaison. Wenn der Stamm ein Tier tötete, ernannte der Stammesführer irgendeine bedauerndwerte Person zum Fleischhalter. Diese Person mußte bei Gewitter im Freien stehen und das Fleisch an einem Stock in die Luft halten, während die anderen Stammesmitglieder in der sicheren Höhle warteten, bis ein Blitz einschlug. Dann wußten sie, daß das Essen fertig war.

Dieses krude System wurde aufgegeben, als die Menschen entdeckten, daß sie selbst Feuer machen konnten, indem sie ganz einfach ein paar Stöckchen aneinander rieben. So hatten sie es schön hell und warm in ihren Höhlen, während sie darauf warteten, daß der Blitz den Fleischhalter traf.

Die Grillsaison währte 1,2 Millionen Jahre. In dieser Periode entwickelten die Menschen einen starken Jieper auf Beilagen.

Das wiederum führte zur Entwicklung der Landwirtschaft.

Die frühe Landwirtschaft war sehr arbeitsintensiv: Endlos schufteten die Menschen mit bloßen Händen und holten sich 5 Name aus rechtlichen Gründen geändert.

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Rückenschäden beim Roden und Beackern6 der Felder. Dann wurde in bangen Monaten um Regen gebetet, gegen die Pest gekämpft und auf die Felder gestarrt, immer in der Hoffnung, daß alles gut gedeihen möge - was jedoch immer wieder zu bitteren Enttäuschungen führte. Das ging 285.000 Jahre so, bis jemand auf die Idee kam, zuerst Saat auszusäen.

Das war der Durchbruch, und er brachte Gutes wie

Schlechtes:

- Gut war, daß die Saat keimte.

- Schlecht war, daß es sich um Zucchinisaat handelte

Innerhalb weniger Stunden schössen gigantische

prähistorische Zucchinis aus dem Boden, das Stück bis zu neunhundert Pfund schwer. Die primitiven Menschen waren gezwungen, auf andere Kontinente auszuweichen, wodurch sich die menschliche Rasse auf dem ganzen Erdball ausbreitete.

Primitiver Mensch auf der Flucht vor einer Herde Gigantischer Prähistorischer Zucchinis - Künstlerentwurf

6 Was immer »Beackern« auch bedeuten mag.

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Nach und nach lernten die Menschen, weniger feindselige Früchte anzubauen, z.B. Mais und Alfalfa.7 Sie lernten auch, einfache Werkzeuge anzufertigen, wie den Pflug, die Axt und den Faustkeil.8 Einige Stämme begannen, Tiere zu zähmen, obwohl das bisweilen recht ungesunde Ergebnisse zeitigte, wie etwa an den übel zernagten Überresten eines Stammes zu erkennen ist, der offenbar versucht hatte, seine Pflüge von Eichhörnchengespannen ziehen zu lassen. Die ersten Tiere, die man erfolgreich dome stizierte, waren Hunde. Das war eine große Hilfe, denn sie bellten die ganze Nacht und apportierten Stöckchen und nahmen dem Menschen diese ebenso mühseligen wie notwendigen Arbeiten ab.

Der nächste Meilenstein der technologischen Entwicklung war die Entdeckung des Eisens. Die Eisenzeit begann. Ihr folgte nach etwa sechs Monaten die Rostzeit. Das Vorhandensein von Metall begründete die Große Kampfzeit, denn die Stämme, die nun über Pfeile und Speere aus solidem Metall verfügten, konnten plötzlich ganz leicht andere Stämme besiegen, deren Waffen aus Pappe bestanden und nur mit Alufolie umwickelt waren.

Als die kampfstärkeren Stämme die anderen erobert und

große Landstriche unter ihre Kontrolle gebracht hatten, entwickelte sich die Zivilisation. Zuerst in Ägypten, wo eine riesige Nation entstand und dann wieder unterging.

Die ägyptischen Regierungen wurden von Pharaonen9 geführt, die wie Götter verehrt wurden. Sie besaßen die absolute Macht und konnten tun und lassen, was sie wollten. Es bedarf wohl keiner besonderen Erwähnung, daß sie extrem viele

7 Alfalfa wird heute noch angebaut, obwohl der Grund dafür in Vergessenheit geraten ist.

8 Ursprünglich eigentlich nur ein platter Stein, den man benutzte, um auf Dinge oder Menschen einzuschlagen, bis sie ebenfalls platt waren.

9 Ein Wort, das immer aussieht, als sei es falsch geschrieben.

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Praktikantinnen beschäftigten.

Wenn die Pharaonen starben, wurden sie zu Mumien und

stellten eine große Bedrohung dar: Sie geisterten nachts umher und jagten den Leuten so viel Angst ein, daß diese sich in die Hosen machten. Um diesem Spuk ein Ende zu bereiten,

begruben die Ägypter die Mumien tief im Inneren von

Pyramiden: die erste Arbeitsbeschaffungsmaßnahme der

Geschichte.

Wenn wir heute diese gigantischen Konstruktionen

betrachten, fragen wir uns verblüfft: Wie, zum Teufel, haben die Ägypter das hingekriegt? Wie konnte eine antike Zivilisation -

ohne auch nur über rudimentäre Bulldozer zu verfügen - diese massiven Steinblöcke derart aufeinanderstapeln?

Die Antwort lautet: Mathematik. Obwohl die Ägypter

Tausende von Jahren vor Einführung des schulischen

Eignungstests lebten, waren sie ausgezeichnete Mathematiker, die etwas von Geometrie, Trigonometrie, Division, Cosinus und Trinkgeldberechnung verstanden. Mit diesem Wissen machten sie sich die Hebelgesetze zunutze. Wenn sie einen massiven Stein anheben wollten, berechneten sie einfach die

verschiedenen Kräfte und Winkel, schnitzten kräftige Stöcke aus Baumstämmen, hauten sie ihren Sklaven auf den Kopf und schrien: »Hebt diesen Stein hoch!«

Es liegt auf der Hand, daß man für dermaßen praktisch

angewandte Mathematik ein großes Heer von Sklaven brauchte.

Tatsächlich lagen Sklaven um diese Zeit voll im Trend. Kaum ein Regierungssystem mochte auf sie verzichten. Diese Mode hielt sich bis zur Erfindung des Steuerzahlers.

Jedenfalls erlebte die ägyptische Zivilisation nach einigen Jahrhunderten einen rapiden Niedergang, weil der Sand alles zudeckte. Die nächste große Zivilisation entwickelten die Alten Griechen, die sich ein ganz neues und sehr spannendes

Regierungskonzept ausdachten, die sogenannte »Demokratie« -

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ein Begriff, der sich aus den griechischen Wörtern dem (»alle dürfen wählen«) und okratie (»außer natürlich Frauen, Sklaven und Arme«) zusammensetzt.

Die Alten Griechen brachten große Denker hervor, zum

Beispiel Sokrates, Zorbas und Plato (ein brillanter Lehrer, der die einflußreichste Schule der Alten Welt gründete10). Platos bester Schüler war Aristoteles. Er erfand die Logik, und zum ersten Mal wurde es möglich, Dinge zu beweisen, und zwar durch den simplen Trick des »Syllogismus«. Dabei trifft man zwei Aussagen und zieht daraus einen Schluß, etwa so:

1. Manche Kröten sind giftig.

2. Marion Brando sieht aus wie eine Kröte.

3. Deshalb sollte man Marion Brando lieber nicht essen.

Mit diesem machtvollen Instrument und unter Führung ihres legendären militärischen Genies, Alexander »der Große«

Onassis, stiegen die Griechen zur Weltmacht auf. Sie machten es sich zur Gewohnheit, in fremde Länder einzumarschieren und Streit mit Fremden anzufangen, die nicht über den Syllogismus verfügten und daher leicht besiegbar waren. Aber im Jahre 432

vor Christus wandte sich das Schicksal gegen die Griechen, als ihre Feinde, die Spartaner, den Sarkasmus erfanden. Er erwies sich als grausame Waffe. Die Griechen machten ihre Aussagen und zogen ihre Schlüsse daraus, und die Spartaner sagten dann einfach: »Alles klar.« Binnen weniger Stunden kollabierte das griechische Imperium und hinterließ eine Lücke, die schon bald durch das größte, mächtigste, gefürchtetste und einflußreichste Imperium gefüllt werden sollte, das die Welt je gesehen hatte: das der New York Yankees.

Nein, Verzeihung, ich greife vor. Das nächste große Imperium war natürlich das der Römer, die ihren Hauptsitz in Rom, Italien, hatten. Die Römer waren ein erstaunliches Volk.

10 Harvard

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Irgendwie hatten sie es geschafft, Latein zu lernen, und sie

erfanden viele wichtige Abkürzungen, die heute noch

gebräuchlich sind, unter anderem »etc.«, »ibid.«, »OK« und »u.

A. w. g.«.

Sie verfügten auch über eine große, streitkräftige, hochgradig disziplinierte Armee mit einheitlichen Uniformen aus Sandalen,

Röcken und Helmen mit Bürsten obendrauf. Wenn die

römischen Soldaten in fremdes Territorium einmarschierten und sich die Einheimischen vor Lachen im Dreck wälzten und höhnische Bemerkungen absonderten wie »Bitte, bitte, tu mir nicht weh, Mister Bürstenhelm!«, durchbohrten die Römer sie kurzerhand mit ihren Speeren. Auf diese Art eroberten sie den größten Teil Europas und vertrieben die letzten Restbestände der Gigantischen Prähistorischen Zucchini.

Die pax romana11 wurde geschaffen, die mehrere Jahrhunderte andauerte. In dieser Zeit perfektionierten die Römer die innovative Technik des Sklaven- mit-Speeren-Durchlöcherns, bauten Straßen, Einkaufszentren etc. Das damalige Regierungssystem wird mit dem terminus technicus

»Fette-Typenin- Bettlaken-System« bezeichnet. Es handelte sich dabei um ein quid pro qu o12-Arrangement und funktionierte so: Die Einwohner der besetzten Gebiete überwiesen den größten Teil ihres Besitzes nach Rom, wo er von fetten Typen in Bettlaken verpraßt wurde.

Als Gegenleistung schickte Rom den Einwohnern der

besetzten Gebiete noch mehr fette Typen in Bettlaken.

Schließlich und endlich mußte Rom fallen, allein schon wegen der römischen Zahlen, denn kein Mensch konnte sich 11 Wörtlich übersetzt: »Periode, die mehrere Jahrhunderte andauerte«.

12 Das bedeutet praktisch gar nichts.

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merken, wofür »L« stand.13 Deshalb verschwendeten die Römer viel Zeit mit Herumstehen und Feilschen. Während sie damit beschäftigt waren, überrannten barbarische Stämme wie die Hunnen, die Goten, die Westgoten und die Ostrogoten von Norden her in großen Horden das Land und trieben das

Römische Reich trotz der tapferen Gegenwehr römischer

Soldaten in den Untergang.

Damit war die Zivilisation zerstört, und die Menschheit versank in der Dunklen Zeit. Es war eine schlimme Zeit, und sie währte etwa tausend Jahre. In dieser Zeit wurden kaum Bücher gelesen, und Unwissenheit breitete sich aus. Es war fast so wie heute, nur ohne Fernsehen.

Das Regierungssystem der Dunklen Zeit war der

»Fehdalismus«, denn es basierte auf Fehden. Die größte Fehde war die zwischen Christen und Moslems um das Heilige Land.

Immer wieder organisierten Gruppen von Christen Kreuzzüge, machten sich auf ins Heilige Land, das sie für sich

beanspruchten. Nach zirka fünf Jahren kehrten die Kreuzritter fix und fertig zurück und schrien herum: »Wir haben es! Wir haben das Heilige Land!« Dann scharten sich die

daheimgebliebenen Christen um sie und wollten auch mal gucken, und die Kreuzritter zeigten ihnen eine Kiste voll Dreck.

Die anderen Christen sagten: »Das bißchen Dreck soll das Heilige Land sein?« Und die Kreuzritter ant worteten ganz beleidigt: »Hey, du kannst ja selbst losziehen und sehen, wieviel Heiliges Land du quer über den ganzen Kontinent schleppen kannst!«

Dann stellten sie das Heilige Land in Schaukästen aus, aber nach wenigen Monaten war davon praktisch nichts mehr übrig, was ja nicht weiter verwunderlich ist, wenn man das ganz normale Wegrieseln und die Souvenirgeilheit der Leute bedenkt.

Ein neuer Kreuzzug mußte organisiert werden. Dafür brauchte 13 Bei »C« waren sie sich auch nicht sicher.

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man natürlich viel Geld. Das beschaffte man über ein

Wertabschöpfungssystem, das von Leibeigenen getragen wurde.

Diese Leibeigenen beackerten14 das Land, und als

Gegenleistung wurden ihnen weder Arme noch Beine

abgeschlagen. Dieses System wurde von einer

Verwaltungshierarchie organisiert, an deren Spitze ein König

stand, wie der beigefügten Auflistung zu entnehmen ist.

Die mittelalterliche Gesellschaftshierarchie

König

Königin

Bube

Graf

Viscount

Discount

Herzog

Earl

Earl Grey Vasall15

Stellvertretender Vasall

Stellvertretender Assistenzvasall

Beigeordneter Vasall des Ersten Stellvertretenden

Assistenzvasallen

Ritter

Pferd

Kuh

Schwein

Ente

14 Siehe Fußnote 6

15 Diese Gruppe war nicht beliebt.

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Laus

Kieselstein

Leibeigener

Das Land war in sogenannte Lehensgüter aufgeteilt. Jedes Lehensgut maß soundsoviel16 Hektar pro Viertelmorgen Elle. Im Zentrum jedes Lehensguts stand ein Schloß. Um das Schloß zog sich ein Schloßgraben mit einer Zugbrücke, die hochgezogen wurde, wenn ein Schiff passieren wollte.

Manchmal befehdeten sich zwei Lehensgüter, und Soldaten des einen marschierten rüber zum Schloß des anderen und belagerten es. Es gab verschiedene Techniken, die

Schloßbewohner zum Aufgeben zu zwingen, etwa das

Abschießen von Brandpfeilen, das pausenlose Gröhlen von Trinkliedern17 oder man klopfte einfach an die Schloßtür und behauptete, man sei der Pizzaservice.

Wenn diese Techniken versagten, griffen die Belagerer

bisweilen zum Katapult und bombardierten das feindliche Schloß mit Steinen, toten Kühen oder - diese Waffe wird von Historikern gern als »die Wasserstoffbombe des Mittelalters«

bezeichnet - Gigantischen Prähistorischen Zucchinis.

Die Dunkle Zeit war wirklich schlimm, aber glücklicherweise endete sie, als im Jahre 1483 ein berühmter Italiener, Leonardo da Vinci, die Renaissance erfand. Sie läutete eine Epoche ein, in der die Menschheit langsam aus dem unruhigen Schlaf der Unwissenheit erwachte, sich den schleimigen, übel

schmeckenden Belag der Ignoranz von den Zähnen bürstete, die Schadstoffe der Intoleranz aus der Blase drückte und die Scheuklappen des Antiintellektualismus ablegte.

Innerhalb weniger Stunden bildeten sich Nationalstaaten, 16 Meist 614.

17 Das älteste überlieferte Beispiel für Open-Air-Konzerte.

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hauptsächlich England, Frankreich, Holland, Großbritannien, Spanien, die Niederlande, Portugal und das Osmanische Reich.

Diese Nationalstaaten konzentrierten sich auf den Handel mit dem Ausland, damit sie an Gewürze herankamen, die damals sehr begehrt waren und von Historikern oft als »die

Internetbörse des fünfzehnten Jahrhunderts« bezeichnet werden.

Dann kam das Zeitalter der Großen Entdeckungen, in dem gestandene Seemänner mit winzigen Schiffchen in See stachen, um den Rest der Welt zu entdecken. Das erforderte einen ungeheuren Mut, denn wenn wir »winzige Schiffchen« sagen, übertreiben wir keineswegs, wie die folgende Illustration belegt: Frühes Segelschiff Abbildung in Originalgröße

Kaum setzten diese gestandenen Seemänner einen Fuß auf eines dieser Schiffchen, versanken sie auch schon wie ein Stein im Meer und wurden zu leichter Beute für Haie und Gigantische Seetüchtige Zucchinis.18

Irgendwann kam man auf die Idee, größere Schiffe zu bauen, und erst dann konnte man den Orient erreichen, jede Menge Gewürze laden und sich auf die anstrengende Heimreise

begeben. Solche gefahrvollen Reisen dauerten manchmal Jahre, 18 Sie dachten, wir hätten langsam genug von Zucchiniwitzen? Keineswegs!

-24-

und am Ende kehrten die Seemänner mit großem Triumph in den Heimathafen zurück, wo sie am Kai von wütenden

Landratten empfangen wurden mit Rufen wie: »Ihr habt Muskat mitgebracht? Im Rezept steht aber ausdrücklich Oregano, ihr Idioten!«

Dennoch häuften die Handelsnationen großen Reichtum an.

Die typische Nation jener Zeit bevorzugte als Regierungssystem die Monarchie. Das bedeutet: Der ganze Reichtum, abzüglich

Spesen, wurde gleichmäßig aufgeteilt und dann dem König übergeben. Der König benutzte diesen Reichtum, um der Nation die fundamentalen Grundpfeiler einer Regierung zu bieten: einen Palast, einen Sommerpalast, einen Winterpalast, einen Gästepalast, ein Jagdschloß, Palastmöbel, Königsporträts und eine der damals üblichen Hinrichtungstechniken.

Natürlich hatte jede Nation auch eine große Armee, denn in jenen Tagen verwickelten sich die Könige aus Neid häufig in ausufernde Kriege. Ein gutes Beispiel dafür ist der

Hundertjährige Krieg, den England und Frankreich über ein Jahrhundert führten. Es ging dabei um die Handelshoheit über Flandern. Erst als die meisten Soldaten auf beiden Seiten gefallen waren, stellte sich heraus, daß kein Mensch wußte, wo (oder was) »Flandern« eigentlich war.19 Man kann sich gut vorstellen, wie herzlich beide Könige hinterher über diesen Schwachsinn gelacht haben.

Als die Nationen Westeuropas erstarkten, kam der Gedanke auf, daß es finanziell viel vorteilhafter wäre, andere Kontinente zu besitzen, statt nur mit ihnen zu handeln. Folglich brachten sie Afrika, Nord- und Südamerika an sich. Zwar stellte sich heraus, daß dort bereits Menschen lebten, aber es handelte sich nur um Primitive, die nicht einmal englisch sprachen und ihr Land gern hergaben, dazu ihre Rohstoffe und ihre Freiheit. Als

Gegenleistung schenkte man ihnen die Zivilisation, zumindest 19 Später stellte sich heraus, dass so etwas gar nicht existierte.

-25-

denjenigen, die nicht umgebracht wurden.

Zuerst waren die Europäer hauptsächlich daran interessiert, alles Wertvolle aus den Kolonien rauszuschaffen, vor allem Gold und Silber, was damals sehr teuer war. Historiker sprechen deshalb auch von »den Pokemonkarten des fünfzehnten und sechzehnten Jahrhunderts«, wenn sie Gold und Silber meinen.

Nach und nach ließen sich die Europäer jedoch in den Kolonien nieder. Eine dieser Siedlergruppen waren die Pilgerväter, die in England nicht sehr beliebt waren, weil sie an einen strengen, unbeugsamen Gott glaubten, der ihnen befahl, Hüte zu tragen, die wie Baustellenmarkierungen aussahe n. 1620 segelten sie von England nach Massachusetts, und noch während der langen, schwierigen und stürmischen Ozeanüberquerung schrieben und unterzeichneten sie das historische Mayflower Compact20, in dem es heißt: »Mann, ist uns übel!«

Das Mayflower Compact sah auch ein neues

Regierungskonzept vor. Danach sollten die Kolonisten selbst entscheiden, statt sich der Autorität eines in der Ferne residierenden Königs zu unterwerfen, und als freie Menschen ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen. Die meisten von ihnen waren schon im folgenden Frühjahr tot. Aber diejenigen, die überlebten, konnten mit Hilfe der freundlichen Eingeborenen genug anbauen, um den nächsten Winter zu überstehen. Noch im Herbst jenes Jahres zelebrierten sie zum ersten Mal Thanksgiving, indem sie sich ein Footballspiel ansahen und die reiche Ernte feierten.

20 Ihr Schiff trug den Namen »Compact«.

-26-

Das erste Thanksgiving Quelle: Annie Leibovitz Ja, es sah gut aus für die Pilgerväter. Aber große

Veränderungen warfen ihre Schatten voraus. Die Kolonisten hatten es nämlich gewagt, an der Tube der Unabhängigkeit zu drücken, und heraus kam die Paste der Selbstbestimmung, und die konnte nichts und niemand in die Tube zurückbefördern. Die Kulisse für einen neuen Akt der Weltgeschichte war geschaffen.

In dieser Neuen Welt sollte eine ganz neue Regierungsform ausprobiert werden ein mutiges und ehrenvolles Experiment im Hexenkessel der menschlichen Koexistenz. Es mündete in die Gründung der gewaltigsten Großmacht, die je existierte: Microsoft. Im folgenden Kapitel untersuchen wir die Ursprünge dieser Großmacht und die ihres Heimatlandes, der Vereinigten Staaten von Amerika. Es ist eine faszinierende Geschichte und eine, in der hoffentlich keine Zucchinis vorkommen. 21

21 Darauf würden wir aber nicht wetten.

-27-

2. KAPITEL:

Die Geburtsstunde der USA

Oder: Der Geist der Freiheit erwacht und

hütet Jungkühe

Nachdem die Pilgerväter im letzten Kapitel in der Neuen Welt gelandet waren, gab es etliche historisch bedeutsame Ereignisse, und ehe man sich's versah, schrieb man das Jahr 1765. Zu diesem Zeitpunkt bestanden die späteren Vereinigten Staaten aus dreizehn Kolonien - oder wie es damals voller Stolz in verschiedenen Werbebroschüren hieß: »Den Dreizehn

Ursprünglichen Kolonien«.

Wie muß man sich nun das Leben in diesen Kolonien

vorstellen? Das treffendste Wort dafür ist wohl »kolonial«. Etwa 83 Prozent der Bevölkerung lebte auf Farmen. 22 Folglich begann der Tag einer typischen vierköpfigen Familie morgens um 4:30

Uhr, wenn der Hahn krähte. Sich den Schlaf aus den Augen reibend kletterte Pa aus dem Bett, schleppte sich zur Tür und feuerte - genau wie Generationen von Farmern vor ihm - einen Schuß auf den Hahn ab. Leider waren die Feuerwaffen in jenen Tagen noch sehr ungenau, und so traf Pa meist statt des Hahns eine Kuh. Das panische Muhen, das daraufhin ertönte, weckte auch den Rest der Familie. Der Tag der Farmer hatte begonnen!

Während Pa nach draußen rannte und mit der Mistforke den 22 Massachusetts, Pennsylvania, Virginia, West Virginia, Maryland, die Kolonie neben Maryland, New York, Upper New York, Brooklyn, Queens, Alaska, Hawaii und die Niederlande.

-28-

Hahn jagte, weckte Ma die Kinder, Johnny und Sarah Jane, und

alle begannen ihr Tagwerk, während Ma - wohl wissend, daß der ganze Haushalt von ihrem Fleiß und Geschick abhing -

zurück ins Bett schlich, wo sie ihren gegorenen Löwenzahnsaft hortete. Johnny ging raus, um die Kuh zu melken, nicht so einfach, wenn die Kuh wieder mal tot war, und das war sie ja oft. Derweilen schürte Sarah Jane das Herdfeuer und brutzelte ein herzhaftes Farmerfrühstück, bestehend aus Eiern, Speck, Wurst, Hafergrütze, Zwieback, Innereien, Pfannkuchen,

Haferbrei, Maiskuchen, Schweinekoteletts, Eichhörnchenfilet und kalorienreduziertem Eisbein - alles für sich allein. (Sarah Jane wog 375 Pfund.)

Inzwischen war die Sonne aufgegangen und der

anstrengendere Teil der Farmarbeit fällig. Pa legte dem alten Dobbin23 das Pferdegeschirr an, machte sich auf zum hinteren Teil des Grundstücks und begann, Steine und Wurzeln aus dem Boden zu ziehen - eine Aufgabe ohne jede Erfolgsaussichten. Es war Schwerstarbeit, aber Pa nahm sie Tag für Tag trotz glühender Hitze auf sich, denn er hatte einen Traum. In diesem Traum verwandelte sich der steinige, von Baumstrünken

durchsetzte Boden in ein üppiges, fruchtbares Feld, auf dem er Mais und Weizen und Zierkürbisse anbaute, die ihm schönes Geld einbrachten. Mit dem Geld würde er sich ein besseres Gewehr oder vielleicht sogar eine Kanone kaufen, damit er endlich diesen verdammten Hahn abknallen konnte. Es war derselbe Traum, den auch die anderen Farmer in den Kolonien träumten, unter anderem Pas Nachbar, der (was Pa aber nicht wußte) der tatsächliche Besitzer des hinteren Grundstücks war.

Pa gehörte das vordere, aber er hatte den Pachtvertrag nicht richtig gelesen. Und der Nachbar hatte nicht vor, Pa über den Irrtum aufzuklären, bevor dieser die letzten Steine und Wurzeln beseitigt hatte.

23 Der Familiensklave.

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Während Pa also den Boden bearbeitete, ging Johnny auf die Weide und trieb die Jungkühe zusammen. Dann stand er den Rest des Tages auf der Weide herum, mal auf dem einen, mal auf dem anderen Bein, denn Pa hatte ihm nicht gesagt, was er mit den Jungkühen eigentlich tun sollte, und Johnny traute sich nicht zu fragen. Mittlerweile hatte sich Sarah Jane ans Spinnrad gesetzt, und der Hocker war unter ihr zusammengebrochen, sodaß ihr nichts anderes übrig blieb, als zum Herdfeuer zurückzuwatscheln und sich einen herzhaften Farmerlunch zu brutzeln.

Wenn es Abend wurde, versammelte sich die ganze Familie in der Küche, um den Tag gemeinsam ausklingen zu lassen. Da saßen sie dann alle, außer Ma, die mit Kopfschmerzen im Bett blieb, und Johnny, der immer noch bei den Jungkühen auf der Weide stand, und Pa, der mit einer Axt draußen im Gebüsch hockte und Laute von sich gab, die, wie er hoffte, das Gegacker einer paarungsbereiten Henne täuschend echt imitierten. Daher fiel die Aufgabe, das herzhafte Farmerabendbrot zu vertilgen, ganz allein Sarah Jane zu, die abends manchmal vollkommen erschöpft einschlief, während ihr Kopf noch im Butterfaß steckte.

Ja, das koloniale Leben war hart und erbarmungslos, und viel zu oft fand es durch Unfälle oder Jungkühe ein vorzeitiges Ende.

Aber es war ein Leben, das zupackende, unabhängige,

selbstbewußte Menschen hervorbrachte, die mit

hochgestochener Vornehmtuerei nicht s im Sinn hatten.

Das wiederum bedeutete Ärger. Denn die Dreizehn

Ursprünglichen Kolonien gehörten, rechtlich gesehen, zu England, und England war zu der Zeit eine Hochburg der hochgestochenen Vornehmtuerei. Es wurde von einem König regiert, der sich den Spitznamen »König Georg III.« zugelegt hatte. Er hielt sich für etwas Besseres, und machte daraus auch

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keinen Hehl.24

Aber die wirkliche Macht in Großbritannien lag in den

Händen des Parlaments, dem House of Lords und dem House of Lord Lights. Beide Häuser bestanden aus dekadenten Reichen, die Strumpfhosen trugen, ihr Geld geerbt hatten und nicht in der Lage waren, eine Jungkuh zu erkennen, wenn sie morgens neben einer aufwachten (was oft der Fall war).

1765 verabschiedete das Parlament die Stempelakte - ein Dokument, von dem jeder amerikanische Schüler weiß, daß es irgendwas mit Stempeln zu tun hatte. Warum die Kolonisten das unmöglich fanden, läßt sich leicht nachvollziehen. Lieber wollten sie zur Hölle fahren, als sich von ein paar Jungkuh-Liebhabern in Strumpfhosen irgendwo da drüben in England vorschreiben zu lassen, was sie mit ihren Stempeln tun sollten.

Also schlössen sich einige von ihnen zu einem Geheimbund zusammen, nannten sich die Söhne Der Freiheit und hielten konspirative Versammlungen ab, wo sie gegen die Stempelakte protestierten. Nach etlichen Monaten wurde ihnen klar, daß kein Mensch etwas von ihrem Protest mitbekam, solange sie nur heimlich protestierten.

Also gingen sie dazu über, ihre Versammlungen in aller Öffentlichkeit abzuhalten, und die Stempelakte wurde

schließlich wieder aufgehoben. Sie wurde allerdings sofort durch die Townshendakte ersetzt, die nicht nur schwieriger zu buchstabieren war, sondern auch eine Teesteuer einführte. Nun wurden die Kolonisten richtig sauer. Heute kann man sich gar nicht mehr recht vorstellen, daß sich Amerikaner derartig über Tee aufregten. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß zu jener Zeit - wo es weder Cola noch Wasser in Flaschen noch andere Getränke in Dosen gab - »Tee« ein anderes Wort für Marihuana war.

24 Weiß eigentlich irgend jemand, was dieser Ausdruck

bedeutet?

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So geschah es, daß sich in der Nacht des 16. Dezember 1773

ein Trupp mutiger Männer als Indianer verkleidete, zum Hafen von Boston schlich und die drei britischen Teeschiffe, die dort ankerten, in einem todesmutigen Befreiungsschlag mit

Gigantischen Zucchinis bombardierte.

Das trieb das Parlament auf die Barrikaden. Als

Vergeltungsschlag verabschiedete es eine Reihe sehr

unpopulärer Gesetze, die sogenannten Sehr Unpopulären Gesetze. So wurden den Kolonisten beispielsweise Haftstrafen angedroht, wenn sie die Herstelleretiketten von ihren Klamotten entfernten oder ihre Uhren nicht mindestens zweimal pro Jahr umstellten - und all das ohne jegliche einleuchtende

Begründung.

Das war, um es einmal mit einem Wort des großen Dichters und Philosophen Thomas Paine auszudrücken, »schlecht«. Am 19. März 1775, als die Stimmung den Siedepunkt erreicht hatte, setzten sich britische Truppen von Boston in Richtung

Lexington und Concord in Bewegung, wo sie sich einem

militärischen Desaster gegenübersahen, das auf dem Gong der Geschichte noch ewig nachhallen wird. Sie stellten nämlich fest, daß die Schlachten von Lexington und Concord erst am 19.

April 1775 fällig waren. Also marschierten sie wieder nach Boston zurück; einen Monat später begann der

Unabhängigkeitskrieg.

Anschließend ereignete sich dann Diverses, bis die

Gründungsväter am 4. Juli 1776 den 4. Juli feierten, indem sie die Unabhängigkeitserklärung unterzeichneten, ein heiliges Dokument, das praktisch rund um die Uhr in einem sicheren, vollklimatisierten Tresor im Nationalarchiv verwahrt wird -

außer die Clinton-Administration erlaubt ihren Finanziers auf Wahlkampfparties, das Teil zu einem komischen Hut

zusammenzufalten und aufzusetzen. Wir Amerikaner halten die Unabhängigkeitserklärung in Ehren, weil sie in der zeitlosen Prosa ihres Autors, Francis »Scott« Key, die Ideale benennt, auf

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die sich diese große Nation gründet:

Während es uns, dem Volke, im Jammertal des menschlichen Daseins nicht geziemt zu fragen: »Was tut dieses Scheißland eigentlich für mich?«, sondern ganz im Gegenteil, obzwar wir nichts zu fürchten haben als die Furcht selbst, aufdaß die Regierung des Volkes, vom Volke und für das Volk, möge eine einig Nation sein, vor Gott, der da wohnt im Himmel, da auch wir vergeben den Unbefugten, und schwören, die Wahrheit zu sagen, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit, bis daß der Tod uns scheide, auf Lebenszeit oder nach 75.000 Meilen, je nachdem welcher Schadensfall zuerst eintritt, Amen.

Noch heute sind wir wie vom Donner gerührt, wenn wir diese bedeutungsschwangeren Worte lesen. Was die Gründungsväter damit sagen wollten, war schlicht und einfach dieses: »Warum sollen wir zulassen, daß uns irgendwelche Leute da drüben in England eine inkompetente Regierung und sinnlose Gesetze aufhalsen? Das können wir alles selbst!«

Aber zuerst mußten sie noch den Unabhängigkeitskrieg zu Ende bringen, einen langen, bitteren und eher unübersichtlichen Kampf, auf den wir hier nicht weiter eingehen wollen, weil das doch einiger Recherche bedürfte. Der Punkt ist: Als sich die Briten 1781 nach der Schlacht von Gettysburg endlich

geschlagen gaben, konnten die Kolonisten eine neue Nation gründen, die sie die »Vereinigten Staaten von Amerika«

nannten, da der Name »Luxemburg« bereits vergeben war.

Ihre nächste Aufgabe bestand darin, ein Regierungssystem auszutüfteln. Zuerst wurde von 1781 bis 1787 ein System ausprobiert, das man »Konföderation« nannte und - um es mit einem Wort des weisen und wortgewaltigen Benjamin Franklin auszudrücken - »vergessen« konnte. Das Problem dieser Konföderation war ihre Schwäche; so bestand beispielsweise die US-Armee nur aus einem Hund namens Jasper. Feindliche

Mächte kamen schnell dahinter, daß sie die Vereinigten Staaten niedermachen konnten, indem sie einfach »Hol Stöckchen!«

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riefen.

Also beschlossen die Gründungsväter, sich etwas Besseres auszudenken. 1787 trafen sie sich in Philadelphia und

erarbeiteten in endlosen Debatten ein Dokument, das der ideelle Gesamtentwurf für unsere heutige Nation wurde. Es heißt Moby Dick.

Nein, mal im Ernst: Sie entwarfen die Verfassung der

Vereinigten Staaten von Amerika. Dieses erstaunliche

Dokument ist die Grundlage aller fundamentalen Rechte, die wir Amerikaner heute genießen; dazu gehört auch das Recht, Postwurfsendungen ungeöffnet wegzuwerfen. Dennoch haben, obwohl das wirklich nicht zu fassen ist, die meisten Amerikaner diese Verfassung nie gelesen. Viele Amerikaner wissen nicht einmal, was diese Verfassung, auch Konstitution genannt, ist, wie erst kürzlich durch eine Gallup-Umfrage herauskam. 54%

der Befragten meinten, es handle sich dabei »womöglich um ein Hockeyteam«.

Wie kann das angehen? Wie kann es angehen, daß die

Amerikaner so wenig über das wahrscheinlich wichtigste politische Dokument wissen, das je verfaßt wurde? Ein Grund ist natürlich, daß viele Amerikaner ziemlich blöd sind. Sonst würden sie nicht massenweise auf Werbung reinfallen.

Aber ein weiterer Grund dafür, daß viele Amerikaner diese

»Konstitution« nie gelesen haben, ist dieser: Sie ist ihnen nie in übersichtlicher, lesbarer Form präsentiert worden. Also aufgepaßt, Amerikaner, hier kommt sie nun, die Konstitution, im kompletten Wortlaut, inklusive der selten beachteten Fußnoten.

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Die Konstitution der Vereinigten Staaten von Amerika Präambel

Wir, das Volk der Vereinigten Staaten, streben nach größerer Eintracht, einer funktionierenden Justiz, häuslichem Frieden und freier Benutzung des Wortes »Bezug« in all seinen

Konnotationen. Zur Erreichung dieser Ziele formulieren wir nunmehr und hiermit ein Dokument, auf das im folgenden als Konstitution der Vereinigten Staaten von Amerika Bezug genommen wird.

ARTIKEL I

Abschnitt l

Die Legislative soll aus einem Kongreß bestehen, der

wiederum aus einem Senat und einem Repräsentantenhaus

bestehen soll, damit sich beide Häuser gegenseitig blockieren können.

Abschnitt 2

Das Repräsentantenhaus soll sich aus Mitgliedern

zusammensetzen, die mindestens zwei dunkle Anzüge besitzen und nicht vor kurzem wegen irgend etwas verurteilt worden sind. Sie sollen alle zwei Jahre nach Abschluß eines

zweijährigen Wahlkampfes gewählt werden und dürfen so lange wieder kandidieren, wie sie ihren Wahlkreisen massenhaft unnütze Autobahnen verschaffen, die von Steuerzahlern aus anderen Wahlkreisen bezahlt werden.

Abschnitt 3

-35-

Der Senat soll aus Mitgliedern bestehen, die Präsident werden wollen und mit Hilfe von mindestens drei Medienberatern eine Vision Für Amerika entwickelt haben.

Abschnitt 4

Wenn irgendwo auf der Welt etwas passiert, egal wo und egal was, soll jedes Mitglied beider Häuser innerhalb von zwei Minuten eine Pressemitteilung zu dem Thema herausgeben.

Anschließend soll es dazu Anhörungen geben.

Abschnitt 5

Ein Gesetz soll erst dann verabschiedet und rechtskräftig werden, wenn beide Häuser massenhaft unnütze Autobahnen hinzugefügt haben. Der Präsident unterzeichnet das neue Gesetz im Rahmen einer bombastischen Zeremonie im Weißen Haus.

Dabei soll jeder Anwesende klar zum Ausdruck bringen, daß alles Positive, was der menschlichen Rasse je widerfahren ist, auch die Erfindung des Feuers, sein persönliches Verdienst is t.

Abschnitt 6

Der Kongreß soll ein Steuerpaket schnüren, das schwerer ist als das schwerste Mitglied des Repräsentantenhauses und des Senats und ein durchschnittlicher Moschusochse zusammen.

Abschnitt 7

Sollte der Kongreß feststellen, daß ein normaler Mensch auch nur einen einzigen Satz dieses Steuergesetzes verstehen kann, wird dieser Satz umgehend zur Neuformulierung an den

Gemeinsamen Ausschuß für Bezüge rücküberwiesen.

Abschnitt 8

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Abschnitt 8 wird bewußt offen gehalten.

Abschnitt 9

Wird ein Kongreßmitglied bei Diebstahl, Mord oder

ohnmächtig neben einem Stripper in der Rotunde des Kapitols erwischt, so soll dieses Kongreßmitglied den politischen Gegner der Vetternwirtschaft bezichtigen.

Abschnitt 10

Der Kongreß ist befugt, Piraterie auf hoher See zu bestrafen.

Abschnitt 11

Piraterie in flachen Gewässern ist in Ordnung.

ARTIKEL II

Abschnitt l

Es soll eine Exekutive geben, die aus dem Präsidenten und der First Lady der Vereinigten Staaten besteht. Der Präsident soll ein groß gewachsener Mann sein, und die First Lady soll mit dem Präsidenten verheiratet sein; ihr sollen die Belange von Kindern am Herzen liegen, und sie soll viel Haarspray benutzen.

Es soll auch einen Vizepräsidenten geben, aber die

Konstitution nennt keine Gründe dafür.

Der Präsident wird alle vier Jahre gewählt. Das Prozedere ist folgendermaßen:

(a) Im tiefsten Winter versammeln sich alle Kanditaten und ihr Troß sowie auch Vertreter der nationalen Presse mit phantastischen Spesenkonten in Iowa und New Hampshire, falls keine anderen Staaten gefunden werden, die im Winter noch trostloser sind.

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(b) Die Kandidaten sollen den Einwohnern dieser Staaten die

Hände schütteln und leidendschaftliches Interesse an den

örtlichen Problemen, Kindern, Schulen, Schweinen etc.

bekunden. Sie tun das solange, bis sie jedem Einwohner wenigstens zweimal die Hand geschüttelt haben und sich insgeheim wünschen, daß gewaltige Vulkanausbrüche in Des Moines und Manchester beide Staaten unter einer meterdicken Lavaschicht begraben.

(c) Während dieser Zeit soll sic h niemand in den übrigen Teilen der Vereinigten Staaten - ausgenommen Washington DC

und Umgebung - einen feuchten Keks um den ganzen

Wahlscheiß kümmern.

(d) Sobald die Einwohner von Iowa und New Hampshire

durch all das Händeschütteln mit den scheinbar so wahnsinnig an ihnen interessierten Kandidaten akute Streß-Symptome zeigen, sollen sogenannte Vorwahlen25 abgehalten werden.

Während die Stimmen ausgezählt werden, sollen die

Kandidaten, ihr Troß und die Pressevertreter die beiden Staaten in Windeseile verlassen.

(e) Inzwischen hat sich in allen großen Parteien ein

Spitzenkandidat herauskristallisiert, der die Wahl

höchstwahrscheinlich gewinnen wird. Parallel dazu soll es einen Gegenkandidaten geben, der die Wahl höchstwahrscheinlich nicht gewinnt, bei der Presse jedoch große Beachtung findet, weil die Journalisten ohne Kandidatengerangel keinen Grund hätten, auf Spesen kreuz und quer durchs Land zu reisen. Die Kandidaten und Gegenkandidaten werden während der

Folgemonate Wahlkampagnen führen, in denen sie

1.

jegliche Abhängigkeit vor irgendwelchen Lobbies strikt leugnen,

2.

2. bei eben jenen Lobbies Millionen locker machen.

25 Wir haben keine Ahnung, was Vorwahlen sind, obwohl wir die Konstitution selbst verfaßt haben.

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(f) Während der Hundstage in Hochsommer, wenn in der

Gluthitze der Städte die Feuerhydranten schmelzen, werden die großen Parteien in gigantischen Tagungszentren und unter massivem Polizeischutz Parteitage abhalten. Gleichzeitig werden durchgeknallte Demonstranten sich vor diesen

Tagungszentren für so abstruse Dinge stark machen wie das Wahlrecht für Einzeller. Auf diesen Parteitagen wird jeder eine Rede halten, der in der Politik irgendwann schon einmal irgendwas gemacht oder gesagt hat. Diese Shows werden

niedrigere Einschaltquoten haben als eine Infomercialsendung über eigenhändige Beschneidungen26. Die Delegierten werden einen Spitzenkandidaten nominieren, der dann vom

Gegenkandidaten herzlich umarmt wird, obwohl dieser während der vergangenen sechs Monate immer wieder öffentlich erklärt hat, neben diesem Spitzenkanditaten wirke Hitler wie Mutter Theresa.

Im Herbst wird es eine Wahlkampagne geben, in der jeder Kanditat

1. seinen Gegenkandidaten dazu aufrufen wird, »persönliche Angriffe unterhalb der Gürtellinie« zu unterlassen und stattdessen über »die Sachfragen« zu sprechen.

2. Wahlwerbung im Fernsehen macht, bei der der Gegner als korrupter und perverser Krimineller dargestellt wird, der Sozialhilfeempfänger am liebsten erschießen würde.

(h) Während im Baseball die World Series ausgetragen wird, soll der eine oder andere Wähler allmählich Verdacht schöpfen, daß sich in der Politik irgendwas tut. »Hey«, werden sie zueinander sagen, »ist demnächst Wahl, oder was?«

(i) Am ersten Dienstag im November sollen diejenigen

Wähler, die der Wahlkampf nicht ernstlich krank gemacht hat, zur Wahl gehen und dem Kandidaten ihre Stimme geben, der 26 mit dem Ronco-Wichsomaten.

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ihrer Meinung nach größer ist.27

(j) Alle Spiele der World Series sollen tagsüber stattfinden. So will es die Konstitution, und jeder, der dagegen verstößt, wird ohne Prozeß hingerichtet.

(k) Bitte beachten Sie auch, daß hier von einer sogenannten Wahlmännerversammlung an keiner Stelle die Rede ist.

Abschnitt 2

Der Präsident soll der Oberbefehlshaber der amerikanischen Streitkräfte sein und jedesmal, wenn er den Hubschrauber besteigt oder verläßt, schneidig salutieren. Wenn der Präsident nicht weiß, wie man schneidig salutiert, weil sich seine militärische Erfahrung auf den ehemaligen Besitz einer GI Joe-Figur beschränkt, soll er vor dem Spiegel üben.

Abschnitt 3

Der Präsident wird überall - auch wenn er nur zum Eisessen geht - eine Limousine von der Länge Chiles benutzen.

Abschnitt 4

Wenn eine Football-, Baseball- oder Basketballmannschaft die Meisterschaft gewinnt, wird der Präsident sie zu einer Runde Händeschütteln Unter Männern ins Weiße Haus einladen.

Abschnitt 5

Alle sechs Monate schickt der Präsident Delegationen aus Israel und einem Nachbarland Israels in irgendein verschlafenes Nest in Maryland oder West Virginia, wo es kein anständiges Restaurant gibt, und er wird dafür sorgen, daß sie so lange dort bleiben, bis sie ein Historisches

Friedensabkommen

27 Ein, zwei Zentimeter genügen.

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unterzeichnen, dessen Lebensdauer dem einer Ente in einer Schrottpresse entspricht.

Abschnitt 6

Bei großen Naturkatastrophen, etwa einer Dürre oder einer Überschwemmung, soll der Präsident ein Polohemd anziehen und mit seinem Hubschrauber über das zerstörte Gebiet fliegen.

Dabei soll er ein besorgtes Gesicht machen. Anschließend soll er einige der Betroffenen umarmen und sagen, daß ganz

offensichtlich eine Katastrophe passiert ist. Sollte der Präsident bei einer solchen Gelegenheit einmal sagen: »Hey, sieht doch gar nicht so schlimm aus!«, wäre das natürlich ziemlich komisch. Das aber wird der Präsident nicht tun.

Abschnitt 7

Der Präsident wird Praktikanten beschäftigen, für den Fall, daß er mal eine Pizza oder dergleichen braucht.

ARTIKEL III

Abschnitt l

Der oberste Gerichtshof soll Oberster Gerichtshof heißen. Er besteht aus neun Richtern, die noch ein Fünkchen Leben in sich haben und aufwachen, wenn man sie beispielsweise mit einer Hutnadel piekst.

Abschnitt 2

Von Zeit zu Zeit soll sich der Oberste Gerichtshof mit der Frage der Schwangerschaftsunterbrechung befassen, sie

anschließend aber gleich wieder vergessen.

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Abschnitt 3

Die Mitglieder des Obersten Gerichtshofes sollen unter ihren Roben splitterfasernackt sein.

ARTIKEL IV

Abschnitt l

Es gibt mehrere Bundesstaaten.

Abschnitt 2

Jeder Bundesstaat wird von einem Gouverneur regiert, der gern Präsident wäre. Die Legislative der Bundesstaaten ist aus Individuen zusammengesetzt, die zu bedeutungslos sind, um Kongreßmitglieder zu werden.

Abschnitt 3

Jeder Bundesstaat soll ein Motto oder Symbol haben, etwa ein Lied, einen Baum, eine Blume, einen Vogel, ein Mineral, ein Reptil, einen Parasiten oder ein Barbecue-Rezept. Auch soll er sich einen den Tourismus fördernden Slogan ausdenken, wie etwa »Arkansas - Der Direkte Weg Von Mississippi Nach Oklahoma«.

Abschnitt 4

Alljährlich wird jeder Bundesstaat eine Teilnehmerin für die amerikanischen Mißwahlen bestimmen. Die Teilnehmerin soll ein Abendkleid, einen Badeanzug, Talent, ein soziales Gewissen und ein männermordendes Lächeln besitzen.

Abschnitt 5

Jedesmal, wenn der Name New Jersey ausgesprochen wird,

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bricht schallendes Gelächter aus. Die Konstitution weiß nicht genau, warum.

ARTIKEL V

Abschnitt l

Es soll eine Nationalhymne mit etlichen unverständlichen Wörtern geben. Darin kommt ein so hoher Ton vor, daß normale Menschen ihn nicht treffen können, ohne sich einen

Leistenbruch zuzuziehen.

Abschnitt 2

Zu Beginn jeder größeren Sportveranstaltung soll von einem professionellen Entertainer die Nationalhymne gesungen werden. Er soll sie so langziehen wie das Musical Cats, und er soll den Text nicht können.

Abschnitt 3

Die Zuschauer werden am Anfang ein paar Töne

mitbrummeln, dann weiter ihr Bier trinken.

ARTIKEL VI

Die Konstitution enthält die Abbildung einer Gigantischen Zucchini.

Zusatzartikel zur Konstitution

Zusatzartikel I

Der Kongreß wird kein Gesetz verabschieden, das den

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Wasserverbrauch von Toiletten regelt.

Zusatzartikel II

Die Bürger der Vereinigten Staaten werden das metrische System nicht übernehmen. Nicht ums Verrecken.

Zusatzartikel III

Wenn einem Bürger - aus welchen Gründen auch immer

etwas Unangenehmes widerfährt, etwa wenn er absichtlich den Finger in einen automatischen Bleistiftspitzer steckt, so soll dieser Bürger das Recht haben, jede beliebige Person zu verklagen, die ihm oder seinem Anwalt einfällt.

Zusatzartikel IV

Wenn ein Bürger oder eine Bürgerin bei seiner oder ihrer Verhaftung versucht, sein oder ihr Gesicht vor Journalisten oder Fotografen zu verbergen, so gilt er oder sie als schuldig.

Zusatzartikel V

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Wenn ein Bürger auf dem Postamt einen Stift klaut, soll dieser Bürger Ärger bekommen.

Zusatzartikel VI

Das Limit für die Schnellkasse im Supermarkt soll zehn Teile betragen, und das bedeutet zehn Teile. Ferner darf ein Bürger, der eine Kundennummer für die Fleisch- oder Käsetheke

gezogen hat und dann nicht aufpaßt, wenn seine Nummer

aufgerufen wird, weil er gerade völlig überfordert vor dem Regal mit Frühstücksflocken steht, nicht auf Mitleid hoffen.

Zusatzartikel VII

Bürger, die glauben, sie dürften im Kino Plätze für ihre Freunde freihalten, können uns mal!

Zusatzartikel VIII

Die Bestimmungen der Konstitution gelten nicht für

alkoholfreies Bier.

Zusatzartikel IX

Trinkgelder sollen bei zufriedenstellendem Service 15%

betragen. Bürger, die das nicht in den Schädel kriegen, sollen zu Hause bleiben.

Zusatzartikel X

Jeder Bürger hat das Recht, eine Extraportion Salat-Dressing zu verlangen. Die Konstitution würde jedoch gerne wissen, warum.

Zusatzartikel XI

Bürger, die laut in ihre Handys sprechen, müssen sich darüber

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im klaren sein, daß alle anderen Bürger sie hassen.

Zusatzartikel XII

Bürger unter 21 dürfen keine alkoholischen Getränke kaufen, ohne einen gefälschten Ausweis vorzulegen.

Zusatzartikel XIII

Möchte ein Bürger aus sportlichen Gründen einen Wagen fahren, der an Gewicht, Spritverbrauch und Straßenlage dem Lincoln Memorial gleicht, so darf dieser Bürger nicht daran gehindert werden, auch nicht, wenn er Rentner ist. Denn dies, verdammt noch mal, ist Amerika.

Zusatzartikel XIV

Aus Sicherheitsgründen soll das Tempolimit auf Interstate Highways 65 Meilen pro Stunde betragen. (Kleiner

konstitutioneller Scherz.)

Zusatzartikel XV

Unbefugten ist das Kopieren von Leihvideos bei Todesstrafe untersagt.

Zusatzartikel XVI

Die Version der Isley Brothers von »Twist and Shout« ist besser als die der Beatles. Das soll fürderhin nicht in Frage gestellt werden.

Zusatzartikel XVII

Alle Bürger - auch solche, die im Koma liegen - sollen pro Tag mindestens einen Anruf erhalten, bei dem jemand aggressiv und penetrant versucht, ihnen günstige Telefontarife

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aufzuschwatzen.

Zusatzartikel XVIII

Wenn die Lieblingsmannschaft eines Bürgers in einer Play-Off-Runde am Gewinnen ist und die Mannschaft dann plötzlich nur noch derart defensiv spielt, daß die gegnerische Mannschaft mehr Punkte macht als Brad Pitt in einem Frauengefängnis, so darf dieser Bürger mit einer Feuerwaffe auf seinen Fernseher schießen. Der Besitz von Feuerwaffen soll schon allein deshalb jedem Bürger erlaubt sein, weil das Land unter Umständen eines Tages eine gut ausgerüstete Miliz braucht.

Zusatzartikel XIX

Wenn ein Bürger einen Arzttermin hat und länger als eine Stunde warten muß, so ist es diesem Bürger gestattet, den Arzt zu erschießen.

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3. KAPITEL: Unsere Regierung heute

Oder: Wie der Verbraucher vor

irreführenden Bezeichnungen für

Trockenfrüchte geschützt wird

Als im letzten Kapitel die Regierung der Vereinigten Staaten erdacht wurde, war, ehrlich gesagt, nicht viel mit ihr los:

- Was heute der Kongreß ist, war ursprünglich eine kleine Gruppe von Männern, die sich im Freien trafen, per

Rülpszeichen abstimmten und oft Sitzungen vertagen mußten, weil Bären in der Nähe waren.

- Der Oberste Gerichtshof verfügte über nur eine Perücke, die immer weitergereicht wurde, damit derjenige Richter sie aufsetzen konnte, der gerade das Wort ergriff.

- Was wir heute das Lincoln Memorial nennen, war nur vier Fuß hoch und trug keinen Bart.

Die Exekutive bestand aus dem Präsidenten (George

Washington), der First Lady (Dolley Madison) und dem

Vizepräsidenten (dessen Namen werde ich noch vor Erscheinen des Buches recherchieren - versprochen, lieber Lektor!). Es gab nur drei Kabinettsposten: den des Schatzmeisters (er trug das gesamte Staatsvermögen mit sich herum), den des

Kriegsministers (er hatte dafür zu sorgen, daß beide Kanonen auf England gerichtet waren) und den des Steigbügelhalters (er half dem Präsidenten aufs und vom Pferd).

Die Anfänge unserer Bundesregierung waren also recht

bescheiden. Das erinnert an den Werdegang einer unscheinbaren Eichel, die zunächst einfach klein und hilflos herumliegt und sich vor Eichhörnchen fürchtet. Wenn diese unscheinbare Eichel

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aber auf fruchtbaren Boden fällt, wächst sie und wächst, bis sie zu einer mächtigen Eiche mit ausladenden Ästen und

aggressiven Wurzeln wird, die einem die Abwasserleitungen zerstört.

So ähnlich war es auch mit unserer Regierung. Das folgende Schaubild verdeutlicht diesen Prozeß; es zeigt die Entwicklung des Bundeshaushalts, bereinigt um die Inflationsrate.

Die Entwicklung der Bundesregierung

Quelle: Alan Greenspan

Wieso wurde die Regierung so groß? Weil sie den

Bedürfnissen der Bevölkerung Rechnung trug. 1862 zum

Beispiel lebten die meisten Amerikaner noch auf Farmen. Den Bedürfnissen der damaligen Bevölkerung entsprechend und um für genügend Nahrungsmittel zu sorgen, gründete die Regierung das Landwirtschaftsministerium. Mit der wachsenden Anzahl

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von Farmen und der wachsenden Menge von Nahrungsmitteln ist dann auch dieses Ministerium gewachsen.

Im Zuge von Urbanisierung und Industrialisierung wurde die Landwirtschaft zu Big Busineß. Es wurden viel mehr

Nahrungsmittel produziert, als die Amerikaner je verzehren konnten. Die Anzahl der Farmen nahm ab, und nach einer Weile nahm sie noch drastischer ab. Heute sind weniger als zwei Prozent der Gesamtbevölkerung Farmer. Entsprechend

verkleinerte sich nach und nach auch das

Landwirtschaftsministerium, bis nur noch eine unbedeutende Behörde mit sehr kleinem Budget übrigblieb.

Den letzten Satz kann natürlich nur jemand glauben, dessen Hirn so groß ist wie ein Olivenkern. Selbstverständlich ist das Landwirtschaftsministerium gigantisch. Es gibt jährlich über 50

Milliarden Dollar aus. Fünfzig Milliarden Dollar. Das bedeutet: Statt das Landwirtschaftsministerium zu erhalten, könnten wir jedes Jahr die fünfzigtausend ärmsten Farmerfamilien ermitteln und jeder von ihnen eine Million Dollar geben. Mit dem Geld könnten sie nach Las Vegas ziehen und brauchten keine Kuh mehr zu sehen.

Aber das werden wir natürlich nicht tun, denn dann hätten wir kein Landwirtschaftsministerium mehr, das eine ganze Reihe nützlicher Aufgaben erfüllt, indem es beispielsweise einer Unmenge von Regierungsbeamten Arbeitsplätze bietet.

Offiziellen Angaben zufolge handelt es sich hier um »das drittgrößte nichtmilitärische Ministerium der US-Regierung mit einer Reihe von angegliederten Behörden, regierungsnahen Institutionen und anderen Einrichtungen, in denen an über 15.000 Orten, verteilt auf alle 50 Bundesstaaten und 80 andere Länder, insgesamt über 100.000 Menschen beschäftigt sind«.

Womit beschäftigen sich all diese Menschen? Ich will Ihnen ein Beispiel nennen: Sie haben ein Auge auf den Weltmarkt für

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Ölfrüchte28. Die Leute, die für dieses spezielle Segment der Landwirtschaft zuständig sind, arbeiten im Amt für den Anbau von Ölfrüchten, das – zusammen mit dem Amt für Saatgut, Baumwoll- und Tabakprodukte - das Amt für Baumwolle,

Ölfrüchte, Tabak und Saatgut bildet, das wiederum - zusammen mit dem Amt für Dienstleistungsbetriebe im Agrarexport, dem Amt für Molkereiprodukte, Rinder und Geflügel, dem Amt für Forst- und Fischereiprodukte, dem Amt für Feld- und

Tropenfrüchte und dem Amt für Getreideanbau - die Handels-und Marktprogramme der Behörde für Agrarhandel bestimmt, die wiederum - zusammen mit der Behörde für Farmwirtschaft, der Behörde für Risikomanagement und der Gesellschaft für Handelskredite - die Behörde für Farmwirtschaft und

Agrarhandel bildet, die zusammen mit der Behörde für die Entwicklung Ländlicher Regionen, der Behörde für

Lebensmittel, Ernährung und Verbraucherschutz, der Behörde für Lebensmittelkontrolle, der Behörde für Natürliche

Resourcen und Umweltschutz, der Wissenschafts-, Bildungs-und Wirtschaftsbehörde, den Marketing- und

Regulierungsprogrammen - die »sieben Säulen« des in

offiziellen Regierungspublikationen als »stromlinienförmig verschlankt« bezeichneten Landwirtschaftsministeriums bildet.

Mir ist klar, daß das für den normalen Steuerzahler kaum zu verstehen ist. Vielleicht ist diese Information graphisch einfacher zu verarbeiten:

Aber hier soll nicht nur von Landwirtschaft die Rede sein. Ein weiteres Bedürfnis des amerikanischen Volkes, dem Rechnung getragen werden muß, betrifft das Bildungswesen. Dafür gibt es das Bildungsministerium, das jährlich etwa 40 Milliarden Dollar ausgibt und Tausende von Mitarbeitern beschäftigt, die mit raffinierten Taktiken den Bildungsstandard verbessern, indem sie z.B. Aufgabenprofile verfassen und veröffentlichen. Ein 28 Fragen Sie nicht, was Ölfrüchte sind. Das spielt keine Rolle.

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Aufgabenprofil ist ein kompaktes Wörterpaket, von einer Organisation produziert, die nachweisen muß, daß ihre

Mitarbeiter nicht bloß den ganzen Tag in ihren Büros rumsitzen und sich Pornos aus dem Internet runterladen. Zur

Verdeutlichung hier ein Zitat aus einem Aufgabenprofil des Bildungsministeriums (WARNUNG! Lesen Sie es nicht, wenn Sie gerade an einer schweren Maschine arbeiten!):

Landwirtschaft und Regierung

Die Aufgabe unseres Instituts besteht darin, auf nationaler Ebene Informationen zusammenzutragen und zu verbreiten, die der Formulierung und Umsetzung effektiver

Regierungsstrategien, kohärenter Politikschwerpunkte, vernünftiger Managemententscheidungen und angemessener Finanzierungsmodelle Rahmen und Richtung geben sollen, um allen Lernenden und Studierenden einen hohen

Bildungsstandard zu garantieren.

Das war, falls Sie es nicht gemerkt haben, ein Zitat aus dem Aufgabenprofil des Nationalen Instituts für das Bildungs- und Finanzwesen, Politikschwerpunkte und Management, das -

zusammen mit dem Nationalen Zentrum für Bildungsstatistik,

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dem Amt für Nationale Bildungs- und Forschungspolitik, dem Amt für die Gewichtung von Forschung und Lehre, dem

Nationalen Institut für Frühkindliche Entwicklung und Bildung, dem Nationalen Institut für die Ausbildung von Risikoschülern, dem Nationalen Institut für den Zweiten Bildungsweg,

Bibliotheken und Lebenslange s Lernen, dem Nationalen Institut für Leistungsmessung und Lehrpläne, der Nationalbibliothek für das Bildungswesen, dem Nationalen Zentrum für Forschung und Entwicklung und dem Büro für die Entwicklung und

Verbreitung von Reformvorschlägen - das Büro für Bildung, Forschung und Berufsfindung bildet, das zusammen mit dem Büro für Zweisprachige Erziehung und Minderheitensprachen, dem Büro für Bürgerrechte, dem Büro für die Primär- und Sekundarstufe, dem Büro für Weiterbildung, dem Büro für Sonderpädagogik und Rehabilitationsprogramme, dem Büro für Studienbeihilfe und dem Büro für Berufs- und

Erwachsenenbildung - die Programmkommission (einfach nur Programmkommission!) des Bildungsministeriums bildet.

Auch dies dürfte für den normalen Steuerzahler zu komplex sein. Hier also eine Graphik zur Veranschaulichung der Zusammenhänge:

Das Verhältnis von Bildung und Regierung

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Die Sache ist die: Was immer die Bedürfnisse des Volkes sein mögen - die Regierung trägt ihnen Rechnung, indem sie sich vergrößert. Dabei spielt überhaupt keine Rolle, wer gerade regiert. Das wurde deutlich, als 1994 konservative

republikanische Regierungsgegner unter Führung des

großmäuligen Phantasten Newt Gingrich aus Georgia plötzlich die Mehrheit im Kongreß stellten.

Diese Leute haßten die Regierung. Wenn man sie reden hörte, konnte man meinen, sie planten Massenhinrichtungen von Regierungsbeamten. Die Republikaner waren entschlossen, Den Regierungshaushalt Zu Kürzen, Die Verschwendungssucht Der Regierung Zu Bekämpfen und Die Ganze Unnütz Aufgeblähte Bürokratie Zum Teufel Zu Jagen. Insbesondere das

Bildungsministerium. Sein Etat war für die Regierungsgegner einfach... ohne Worte.

Nun darf man nicht vergessen, daß diese Leuten nicht

irgendwelche dahergelaufenen Idioten waren. Immerhin waren es die Idioten, die im Kongreß der Vereinigten Staaten von Amerika die Mehrheit hatten. Wenn irgend jemand in der Lage war, Umfang und Etat der Bundesregierung zu reduzieren, dann diese Leute.

Und was geschah? Wir alle wissen, was geschah. Die

Bundesregierung - das Bildungsministerium und alle anderen -

wuchs weiter. Ihr Wachstum überrollte die Revolte der

Republikaner wie ein Panzer eine Erdnuß.

Wie konnte das passieren? Wie konnten Menschen, die

- theoretisch - gewählt worden waren, um eine ganz

bestimmte Sache zu erreichen, am Ende das genaue Gegenteil tun? Die Antwort ist: Sobald sie an der Macht waren, entdeckten sie - genau wie alle Machthabenden vor ihnen

- die ungeheuer zahlreichen Bedürfnisse des amerikanischen Volkes.

Um nur mal ein Beispiel zu nennen: 1998 wurde im Kongreß

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darüber nachgedacht, welche Bedürfnisse das amerikanische Volk wohl im Hinblick auf die nationale Verteidigung habe, und es wurde beschlossen, für 400 Millionen Dollar militärische Transportmaschinen des Typs C-130 anzuschaffen. Nun hatte aber das Militär, sprich: das Pentagon, nicht nur nicht um diese Flugzeuge gebeten, sondern ganz im Gegenteil ausdrücklich gesagt, daß es diese Flugzeuge nicht haben wolle. Der

kostenreduzierende, Verschwendungssucht bekämpfende,

republikanisch dominierte Kongreß aber sagte: Wie kommt ihr dazu, zu entscheiden, welche Flugzeuge ihr braucht? In Wirklichkeit wollt ihr diese Flugzeuge, verdammt noch mal!

Schon früher, genauer gesagt, seit 1978, hatte der Kongreß das Pentagon immer wieder angewiesen, Hunderte und

Aberhunderte dieser C-130-Maschinen zu kaufen, und das Pentagon hat keine einzige haben wollen. Die Gründe des Kongresses sind folgende: 1. Diese Flugzeuge werden in Georgia von LockheedMartin gebaut, und diese Firma verfügt traditionell über eine starke Lobby im Kongreß, zu der zum Beispiel (ganz zufällig) Newt Gingrich gehört. 2. Die fertigen Flugzeuge werden meist an Luftwaffenstützpunkte in der Nähe von Harrisburg, Pennsylvania, geliefert, dem Wahlkreis einflußreicher Kongreßabgeordneter. Die Flugzeuge erwecken durch sinnloses Hin- und Herfliegen den Eindruck großer Betriebsamkeit, sodaß die Kongreßabgeordneten diese

Stützpunkte als das Herzstück nationaler Sicherheit angeben können, während das Pentagon sie am liebsten schließen würde, seit sich beim Militär herumgesprochen hat, daß die Russen kein unmittelbares Interesse an Harrisburg haben.

Mit anderen Worten: Einflußreiche Kongreßabgeordnete

haben beschlossen, daß das amerikanische Volk diese

Militärmaschinen braucht, die das Militär nicht haben will und die den Fortbestand von Luftwaffenstützpunkten rechtfertigen sollen, die das Militär auch nicht mehr haben will. Und das alles, damit viel Geld in die Wahlkreise dieser einflußreichen

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Kongreßabgeordneten fließt, ihre Wiederwahl gewährleistet ist und sie weiterhin die Bedürfnisse des amerikanischen Volkes definieren und befriedigen können. Was aber die nationale Verteidigung angeht, könnte man ebenso gut den Bau dieser C-130-Maschinen einstellen und einfach die alten über Marietta und Harrisburg kreisen und sie das eingesparte Geld in Hundert-Dollar-Scheinen abwerfen lassen. Dabei bestünde jedoch die Gefahr, daß der Wind ein paar Scheine in die Wahlkreise anderer Kongreßabgeordneter weht.

Ein weiteres Beispiel für das fortgesetzte Wachstum von Regierung und Budgets nach der Machtübernahme der

Regierungsgegner: Der Sprecher der Mehrheitsfraktion im Senat, Trent Lott, der sich gern als konservativer Finanzpolitiker präsentiert und aus Pascagoula, Mississippi, stammt, beschloß eines Tages, daß die Marine einen Flugzeugträger für

Kampfhubschrauber brauche und daß dieser Flugzeugträger in, oh Zufall, Pascagoula, Mississippi, gebaut werden sollte. Die Marine hatte nie um diesen Flugzeugträger gebeten, wurde nun aber aufgefordert, eine Summe zu nennen, die voraussichtlich benötigt würde, um das Projekt in Angriff zu nehmen. Die Marine einigte sich auf 295 Millionen Dollar.

295 Millionen Dollar klingen für einen nichtswürdigen Wurm von Steuerzahler vielleicht wie ein Haufen Geld, aber für den Mehrheitsführer im Senat sind das Peanuts, denn er kennt das Verteidigungsbedürfnis des amerikanischen Volkes. Also schickte ein Mitarbeiter von Senator Lott ein Fax an den zuständigen Marineadmiral und teilte mit, daß 295 Millionen Dollar (Zitat) »die falsche Antwort« sei. Ferner enthielt das Fax die Information, Senator Lott denke eher an eine Summe

»zwischen 375 und 500 Millionen«. Senator Lott bekam

schließlich 375 Millionen Dollar bewilligt; dieser

Flugzeugträger, den niemand haben will, wird den Steuerzahler am Ende an die 1,5 Milliarden Dollar kosten.

Oder anders ausgedrückt: Wenn man mal alle Steuern

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zusammennimmt, die man im Laufe seines Lebens zahlt, dazu die Steuern der ganzen Familie und die Steuern, die alle Leute, die man kennt, je gezahlt haben - das ganze Geld also, das all diese Leute der Regierung zur Verfügung gestellt haben -, dann fehlt immer noch mehr als eine Milliarde an der Summe, die der Senator Lott »auf Wunsch des amerikanischen Volks« für den Bau eines Schiffes ausgeben will, um das die Marine nicht gebeten hat. (Sollten Sie sich fragen, ob Senator Lott den nötigen Hintergrund mitbringt, um der Marine vorschreiben zu können, welche Schiffe sie braucht, müssen Sie folgendes wissen: In den sechziger Jahren, als viele junge Männer im wehrfähigen Alter den Militärdienst verweigerten, diente Trent Lott - aus Überzeugung - als Cheerleader bei Ole Mississippi.) Mir fällt auf, daß ich mit den Republikanern hart ins Gericht gehe. Das liegt daran, daß es in der Regel Republikaner sind, die vollmundig versprechen, Die Verhältnisse Zu Ändern Und Etwas Gegen Die Regierungswillkür Zu Unternehmen. Die

Demokraten tun gar nicht erst so, als ob. Die lieben große Regierungsausgaben. Während die Republikaner wenigstens sagen, daß sie Ausgaben und Steuern senken wollen, kommt den Demokraten so etwas gar nicht erst in den Sinn. Sogar in Zeiten übergroßer Steuereinnahmen, wenn wir Steuerzahler Geld im Überfluß nach Washington überweisen, fällt es den Demokraten nicht im Traum ein, uns von dem Geld etwas wiederzugeben; stattdessen denken sie sich lieber neue Programme aus für Dinge, von denen sie spüren, daß das Volk sie braucht. Wenn sich zwei Demokraten streiten, hört sich das so an:

ERSTER DEMOKRAT: Ich werde mich für ein bezahlbares

Gesundheitswesen einsetzen, das allen Amerikanern zugute kommt.

ZWEITER DEMOKRAT: Ich werde mich für ein kostenloses Gesundheitswesen einsetzen, das allen Amerikanern zugute kommt.

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ERSTER DEMOKRAT: Ach ja? Dann werde ich mich für ein kostenloses Gesundheitswesen für alle Amerikaner und ihre Haustiere einsetzen. ZWEITER DEMOKRAT: Ach ja? Ich setze mich aber auch für ein kostenloses Gesundheitswesen in Mexiko und Kanada ein!

ERSTER DEMOKRAT: Ach JA? Dann setzte ich mich für

ein kostenloses Gesundheitswesen ein, das auch Gesunde in Anspruch nehmen können. Bewaffnete Einsatzkommandos sollen die Häuser gesunder Menschen stürmen und sie von ihren Macken befreien!

ZWEITER DEMOKRAT: ACH JA? Ich lasse die Toten

ausgraben und gebe ihnen...

Beide Parteien sind also am permanenten Wachstum von

Regierungsorganen und -budgets schuld. Vielleicht denken Sie jetzt, daß wir einfach dauernd die falschen Leute in den Kongreß wählen. Vielleicht denken Sie auch, daß Sie, wenn Sie - ein ganz normaler Steuerzahler mit gesundem Menschenverstand - im Kongreß säßen, etwas gegen die horrenden Regierungsausgaben unternehmen würden. Bitte halten Sie mich nicht für unhöflich, wenn ich darüber lache.

Zunächst einmal können Sie gar nicht in den Kongreß gewählt werden, denn in unserem politischen System wird praktisch nur derjenige in den Kongreß gewählt, der einen Riesenbatzen Geld auftreibt, um seinen Wahlkampf zu finanzieren, und die einzige Möglichkeit, das hinzukriegen, besteht darin, daß man schon im Kongreß sitzt. Aber gehen wir mal von einem Wunder aus.

Nehmen wir mal an, das amtierende Kongreßmitglied, gegen das Sie antreten, wird nackt in einem Motelzimmer fotografiert, neben sich ein Shetlandpony, das nicht seine Frau ist, und: Sie werden tatsächlich gewählt.

Dann gehen Sie also nach Washington, wo Sie für den

normalen Steuerzahler kämpfen wollen. Tja, und nun raten Sie

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mal, wie es weitergeht! Sobald Sie in Washington sind, sehen Sie überhaupt keine normalen Steuerzahler mehr! Die sind nämlich alle zu Hause und arbeiten, damit sie Steuern zahlen können. Die Leute, die Sie in Washington treffen, sind alle Mitglieder von Organisationen, die an politischen

Entscheidungen mitwirken wollen, mit anderen Worten: Sie wollen Geld. Der Deal funktioniert so: Sie verschaffen ihnen den Zugang, und Sie bekommen dafür Unterstützung von ihnen, mit anderen Worten: Geld.

Sie werden also feststellen, daß Sie die meiste Zeit in Ihrem Büro rumsitzen und Leuten aus Organisationen wie der

Interessensgemeinschaft Artgerechter Wieselzüchter zuhören, die Ihnen mit einschläfernder Liebe zum Detail klarmachen, wie wichtig das artgerechte Züchten von Wieseln für die

ökonomische Gesundheit des Landes insgesamt und besonders für Ihren Wahlkreis ist. Man wird Ihnen herzzerreißende Fotos von traurig dreinblickenden arbeitslosen Wieselzüchtern und ihren hungrigen, verlausten Kindern zeigen. Man wird Ihnen erklären, wie dieser einst so blühende Industriezweig und der allgemeine Lebensstandard den Bach hinuntergehen werden, wenn die Regierung nicht endlich etwas gegen die gigantischen Wieselfarmen in Taiwan unternimmt oder gegen das

gewissenlose Programm von Microsoft, mit dem man virtuelle Wiesel29 erzeugen kann. Man wird Ihnen klarmachen, daß es sich um die eigentlich wichtigste Frage der Menschheit handelt.

Um diese Leute loszuwerden, versprechen Sie ihnen

schließlich, sich um ihr Anliegen zu kümmern. Aber sowie die Wieselzüchter Ihr Büro verlassen, schiebt sich eine Abordnung der Vereinigten Chrompolierer herein, drängt Sie mit dem Rücken zur Wand (es handelt sich um baumlange Kerle) und fragt, ob Sie eigentlich wissen, wie viele Chrompolierer in 29 »Virtuelle Wiesel« wäre ein klasse Name für eine Rockband.

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Ihrem Wahlkreis wohnen30 und wie hoch Ihrer Meinung nach der Prozentsatz des in ausländischen Klitschen unter

ausbeuterischen Arbeitsbedingungen polierten und dann in Amerika verkauften Chroms ist. Und wenn die endlich wieder gehen, stellen sich Ihnen die Lobbyisten der Föderation Der Hersteller Jener Gummibänder Mit Denen Hummerscheren In Restaurantaquarien Zusammengehalten Werden in den Weg und legen sehr überzeugend dar, daß Sie, wenn Sie nichts für ihre krisengeschüttelte Branche und die gefährdeten Arbeitsplätze in Ihrem Wahlkreis tun, keinen Deut besser sind als die Feiglinge, die nichts unternommen haben, als Hitler die Tschechoslowakei überfiel.

Und immer so weiter, Tag für Tag, nervtötend. Ständig haut Sie jemand an und verlangt von Ihnen, daß Sie etwas für ihn tun, und die Dinge, die Sie tun sollen, zielen in keinem Fall darauf ab, Steuergelder einzusparen. Sie fangen an, die anderen Kongreßmitglieder mißtrauisch zu beäugen und sich zu fragen:

»Hey, wenn die Regierung die Ölfrüchte unterstützt, warum nicht auch die Chrompolierer?« Und schließlich finden Sie eine Möglichkeit, den Chrompolierern tatsächlich zu helfen, indem Sie ihnen ein paar Millionen Dollar zuschanzen, und das Unwohlsein, das Sie dabei empfinden, schaffen Sie sich vom Hals, indem Sie sich sagen, daß ein paar Millionen in

Washington gar nichts sind. Ein paar Millionen Dollar gibt die Bundesregierung ja schon allein für Zahnseide aus. Aber für die Chrompolierer sind Sie natürlich der Held. Die fahren nach Hause zurück und sorgen dafür, daß Sie wiedergewählt werden, damit Sie sich weiterhin für ihre Belange einsetzen können.

Nach und nach begreifen Sie, daß es grundsätzlich falsch ist, 30 Auf ihren Autos kleben Sticker mit der Botschaft: ICH BIN

MITGLIED DER CHROMPOLIERER-GEWERKSCHAFT -

UND ICH BETEILIGE MICH AN WAHLEN!

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im Kongreß gegen Ausgaben egal welcher Art zu stimmen.

Denn wenn man das tut, erfahren die Steuerzahler, deren Geld Sie sparen, ja doch nichts davon, aber die Interessengruppe, der Sie mit Ihrer Stimme etwas verweigern, wird über Sie herfallen wie eine Heer von Killerameisen. Wenn Sie für

Ausgabenkürzungen des Landwirtschaftsministeriums stimmen, hassen Sie die Farmer. Wenn Sie für Ausgabenkürzungen des Bildungsministeriums stimmen, haßt Sie die

Lehrergewerkschaft. Wenn Sie laut überlegen, daß der Staat vielleicht nicht unbedingt die Kosten für rezeptpflichtige Arzneien von wohlhabenden Rentnern mit mehr als drei

Yachten übernehmen muß, fallen die Mitglieder von

Rentnerorganisationen über Sie her und schlagen Sie mit den Straßenschildern für Behindertenparkplätze grün und blau.

Es wird also nicht lange dauern, bis Sie, wie alle anderen Kongreßmitglieder auch, Zuschüsse zu allem möglichen

bewilligen, sich die Unterstützung dieser und jener Gruppe sichern und Etats verabschieden helfen, die von Jahr zu Jahr üppiger ausfallen. Natürlich werden Sie sich weiterhin als jemand geben, der ein strenges Auge auf die Staatsfinanzen und die Verschwendungssucht der Regierung hat, aber Sie werden auch deutlich machen, daß diese Haltung nicht gleichbedeutend ist mit Herzlosigkeit. Denn schließlich wollen Sie nicht, daß Ihre Kinder in einem Land aufwachsen, das zu geizig ist, um bedürftigen Wieselzüchtern unter die Arme zu greifen!

So kommt es, daß die Bundesregierung wächst und wächst.

Nichts kann sie aufhalten, außer vielleicht (nicht daß ich dafür wäre) ein Meteoriteneinschlag ins Kapitol.

Aber selbst der würde vermutlich nichts ändern. Würde der komplette District of Columbia in einem gigantischen,

kilometertiefen Krater versinken, müßten sich die Steuerzahler wahrscheinlich am Rand aufstellen und Geld in das rauchende Loch werfen.

Nichts und niemand kann die Bundesregierung also daran

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hindern zu wachsen, immer aufgeblähter zu werden und

unvorstellbare Summen für Dinge auszugeben, die die meisten Steuerzahler, würde man sie je dazu befragen, gar nicht haben wollen.

Aber gibt es nicht hier, wie überall, auch eine Kehrseite der Medaille? Profitieren wir nicht auch von der Regierung?

Aber ja. Und nicht nur bei so offensichtlichen Dingen wie der Sozialversicherung - übrigens ein erstaunlich großzügiges System. Es funktioniert so: Wenn wir unser gesamtes

Arbeitsleben lang Geld an die Regierung abgeführt haben und uns zur Ruhe setzen, gibt die Regierung - das muß man sich mal vorstellen! - uns etwas davon zurück! Aber es geht hier, wie

gesagt, nicht nur um die Sozialversicherung, sondern um andere

Segnungen, die die Regierung uns zuteil werden läßt, obwohl wir sie meist nicht einmal wahrnehmen.

Ich nenne mal ein Beispiel: 1999 beschloß in Kalifornien die Gesellschaft für Backpflaumen (möglicherweise die einzige Backpflaumen-Gesellschaft der Vereinigten Staaten überhaupt), daß Backpflaumen fortan »Trockenpflaumen« heißen sollten.

Eine Marktanalyse hatte ergeben, daß »Trockenpflaumen« den amerikanischen Verbraucher mehr ansprechen als

»Backpflaumen«.

Ehe ich fortfahre, lassen Sie mich eins klarstellen:

Backpflaumen sind Trockenpflaumen. Ich habe das im

Wörterbuch nachgeschlagen und auch der Webseite der

kalifornischen Gesellschaft für Backpflaumen entnommen: www.prunes.org31. Hier finden sich viele interessante

Informationen über Backpflaumen, unter and erem eine

Abhandlung über die Geschichte der Backpflaume, in der man lernt, daß die Backpflaume aus dem Kaukasus stammt und sich von dort aus langsam über den gesamten Balkan verbreitete, 31 Eine andere hochinteressante Webseite ist die von Dole Food: www.dole5aday.com.

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»wo seither Wohlstand herrscht«32. 1856 wurde die

Backpflaume von einem Franzosen namens Louis Pellier in Nordamerika eingeführt. Er war als Goldsucher nach

Kalifornien gekommen, hatte aber offenbar keins gefunden und beschloß stattdessen - wie so viele, deren Träume nicht wahr wurden -, Backpflaumen zu produzieren. Das Ergebnis war die weltberühmte kalifornisch- französische Backpflaume, die sich, nach Angaben der Gesellschaft für Backpflaumen, unter

anderem durch ihren »kleinen glatten Kern« auszeichnet.

Nun könnte man denken: Wenn Backpflaumen ohnehin

Trockenpflaumen sind, dann soll man sie auch so nennen. Aber das ist natürlich falsch. Die Gesellschaft für Backpflaumen reichte einen Antrag beim Amt für Lebensmitteldeklarierung ein, das - zusammen mit dem Amt für Kosmetik und Farben, dem Amt für Produktakzeptanz, dem Amt für Nahrungsmittel und Getränke aus Gewächshäusern und Molkereien, dem Amt für Meeresfrüchte, dem Amt für Nahrungsmittelverstärker, dem Amt für Sonderforschungen, dem Amt für Feldforschung und dem Amt für Wissenschaftsanalysen - das Zentrum für

Lebensmittelkontrolle und Angewandte

Ernährungswissenschaften bildet, das - zusammen mit dem Amt für Regulierungsbedarf, dem Nationalen Zentrum für

Toxikologische Forschung, dem Zentrum für Biologische

Evaluation und Forschung, dem Zentrum für Drogenevaluation und forschung, dem Zentrum für Radiologie und dem Zentrum für Veterinärmedizin - die Nahrungsmittel- und Drogenbehörde bildet, die - zusammen mit der Behörde für Jugend und Familie, der Behörde für Fragen des Alterns, dem Amt für

Gesundheitspolitik und Medizininische Forschung, dem Amt für Giftstoffe und Seuchenerfassung, den Zentren für

Seuchenkontrolle und Prävention, dem Amt zur Finanzierung 32 »Wohlstand durch Backpflaumen« wäre übrigens auch ein schöner Name für eine Rockband.

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des Gesundheitswesens, dem Amt für Gesundheitsvorsorge und

-pflege, dem Gesundheitsdienst für Indianer, den Nationalen Gesundheitsinstituten, dem Zentrum zur Unterstützung

Nationaler Gesundheitsprogramme und dem Amt für Sucht- und Geisteskrankheiten - das Gesundheitsministerium bildet. Als also die Anfrage kam - falls Sie vergessen haben, worum es überhaupt geht: die Anfrage der Gesellschaft für Backpflaumen, ob sie Backpflaumen, bei denen es sich, wie gesagt, um Trockenpflaumen handelt, Trockenpflaumen« nennen darf -, reagierte die für Nahrungs- und Genußmittel zuständige Behörde umgehend und tat... nichts. Etliche Monate gingen ins Land, ohne daß eine Antwort gekommen wäre (vielleicht waren alle damit beschäftigt, neue Aufgabenprofile zu verfassen). Bis beide kalifornischen US-Senatoren an die Behörde für

Nahrungs- und Genußmittel schrieben und nachfragten, was eigentlich los sei. Sechs weitere Monate vergingen. Aber dann schrieb Melinda K. Plaisier, eine Behördensprecherin, einen Brief, in dem es hieß: »Wir befürchten eine Irreführung der Konsumenten, wenn Backpflaumen künftig unter einem anderen Namen firmieren.« Plaisier bat im Namen ihrer Behörde um mehr Informationen33, insbesondere in bezug auf »die

Auswirkungen (auf die behördlichen Regularien) der

Backpflaumen-Umbenennung«, »internationalen Aspekte der Namensänderung«, »Ergebnisse der Marktforschung in den Vereinigten Staaten und anderen Ländern«, »alternativen Vorschläge zur Produktbezeichnung und Angabe von Gründen, aus denen man andere Bezeichnungen für ungeeignet hält«, desgleichen wünschte sie beziehungsweise ihre Behörde darüber informiert zu werden, warum »Backpfla umen in Europa besser vermarktet werden als in den Vereinigten Staaten« und bat um 33 Diese Information entnahm ich der ebenso unterhaltsamen wie informativen Kolumne »In the Loop« der Washington Post, in der Al Kamen die Steuerzahler abwechselnd zum Lachen bringt oder an den Rand des Selbstmords treibt.

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einen »Maßnahmenkatalog, mit dessen Hilfe die Konsumenten über die Namensänderung aufgeklärt werden, sowie

Informationen über Webseiten zum Thema Pflaumen und

Backpflaumen«.

Anfang des Jahres 2000 unterhielt ich mich mit Rich

Peterson, dem Vorstandsvorsitzenden der Gesellschaft für Backpflaumen, über diesen Vorgang. Er sagte mir, er sehe die Sache mit »verhaltenem Optimismus« und gehe davon aus, daß die Behörde für Nahrungs- und Genußmittel der Industrie irgendwann gestatten werde, Backpflaumen in

»Trockenpflaumen« umzubenennen. Er sagte auch, die

Öffentlichkeit sei sehr dafür.

»Die Leute können es gar nicht glauben, daß die Behörde für Nahrungs- und Genußmittel uns nicht gestattet, Backpflaumen als Trockenpflaumen zu bezeichnen«, sagte er.

Und genau das ist der Grund, warum man Entscheidungen

dieser Art nicht der Öffentlichkeit überlassen kann. Die Öffentlichkeit ist, um es einmal ganz deutlich zu sagen, einfach nicht in der Lage, die vielen Implikationen zu überblicken und zu verstehen, die der Kontroverse Backpflaume contra

Trockenpflaume innewohnen schon gar nicht die internationalen Aspekte. Genausowenig überblickt und versteht sie die anderen internationalen Verwicklungen, Krisen und Probleme, mit denen sich der Kongreß und der Präsident und Hunderte von

Bundesbehörden mit Tausenden von Mitarbeitern in unserem Interesse permanent befassen, ohne dafür etwas von uns zu verlangen - außer große Teile unserer Einkommen und

Erbschaften.

Um dieses Kapitel also zusammenzufassen: Die

Bundesregierung ist zu einem gigantischen, unvorstellbar teuren, irrwitzig komplizierten und absurd autoritären Gebilde geworden. Und dennoch bemüht sich dieselbe Regierung

ernsthaft, wenn auch auf die ihr eigene schwerfällig- föderale Art, uns zu helfen, genauso wie King Kong ernsthaft glaubte, er

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helfe der Weißen Frau, als er sie gegen ihren Willen aufs Empire State Building schleppte.

Wir müssen uns also fragen: Ist dieses System noch zu retten?

Können wir, das Volk, durch politische Aktivitäten und nachdrückliche Forderungen eine sinnvolle Reform unseres Regierungssystems bewirken - eine Reform, bei der positive Elemente erhalten bleiben und zugleich alles Überflüssige, Aufgeblasene, Unnütze, Dumme abgeschafft wird? Diese Frage möchte ich mit diesem Buch beantworten. Um's kurz zu

machen, tu ich's gleich: Nein, können wir nicht.

Stattdessen sollten wir lernen, die Regierung als reines Entertainment zu betrachten, als Komödie von so exquisiter Verschrobenheit, wie sie nur Leute schaffen können, die jährlich fast zwei Billionen Dollar in den Rachen geworfen bekommen und in Sachen Finanzmanagement so versiert sind wie ein Eimer voll Fischfutter. Das vorliegende Buch ist eine Hommage an dieses Entertainment. Also lehnen Sie sich bequem zurück, lassen Sie sich eine Trockenpflaume auf der Zunge zergehen und genießen Sie! Immerhin haben Sie dafür bezahlt.34

34 Die Regierung, meine ich. Ich hoffe, daß Sie das Buch nicht bezahlt haben.

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4. KAPITEL:

Eine Wanderung durch Washington DC

Oder: Die wunderbare Welt der Gänge

und Korridore

Wie für die meisten Amerikaner wird Ihr erster und vielleicht einziger Aufenthalt in Washington eine Klassenreise gewesen sein. Ich meine die Sorte Reise, für die die ganze Klasse vorher Geld auftreiben muß, indem sie ihrer Verwandtschaft und den Nachbarn lauter unnütze Dinge aufschwatzt, wie etwa eine Wagenwäsche, nach der der Wagen des bedauernswerten Opfers schmutziger ist als vorher, oder man dreht den Leuten

Weihnachtskarten an, die man dann aber nicht vor Februar bei ihnen abliefert.

Unschuldige Menschen zu belästigen, um Geld für

Klassenreisen aufzutreiben, hat bei amerikanischen Schülern Tradition. Die Reise nach Washington gilt als die ultimative Bildungsreise - und eine wunderbare Möglichkeit für junge Leute, ihre Bundeshauptstadt zu besuchen und endlich einmal auszuprobieren, wie tief sie ihre Zungen in anderer Leute Hälse stecken können. Hemmungsloses Petting hinten im Bus ist ein wesentliches Element jeder Klassenfahrt. Dabei spielt es überhaupt keine Rolle, ob es sich um die Abschlußklasse der Militant Christlichen Akademie Für Junge Leute Mit

Keuschheitsgürteln handelt und ob alle Begleitpersonen mindestens den Rang eines Ayatollas bekleiden. Sowie sich der Bus in Bewegung setzt, werden Körperflüssigkeiten

ausgetauscht.

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Das soll aber nicht heißen, daß Sex das einzige ist, was Klassenfahrten auszeichnet. Ein Schüler, der die

Bundeshauptstadt besucht, lernt viele wichtige,

charakterbildende Dinge, zum Beispiel:

1. Wie man Fußgängern aus dem fahrenden Bus heraus den nackten Hintern zeigt.

2. Wie man schwankend und nach Bier stinkend in seiner Zimmertür steht und dem Sportlehrer, Mr. Bomperman, dem ein halb verdautes Stück Pizza auf der linken Schulter klebt, weiszumachen versucht, daß ein anderer Schüler, einer, der zufällig genauso aussieht wie man selbst, ihn aus dem Hotelfenster vollgekotzt hat.

3. Wie wichtig es ist, Schildern zu glauben, die darauf hinweisen, daß jeder Bombenalarm, sogar extrem witziger Bombenalarm, ernstgenommen wird. Diese Erkenntnis kommt den meisten allerdings immer erst, wenn sie nackt vor der Hauptstadtpolizei stehen und ihre Körperöffnungen inspizieren lassen.

Ja, auf einer Klassenfahrt nach Washington DC kann man viel lernen. Deshalb sehen viele Schüler von der Stadt oft gar nichts.

Wenn man an einem Frühlingstag, also zur besten

Klassenfahrtzeit, ins Kapitol geht, sieht man jede Menge Schüler herumstehen. Überall das gleiche Bild: Ein paar Leute drängen sich in irgendeinem Flur um irgendeine Statue, während irgendein Fremdenführer irgendwelche historischen Daten von sich gibt, zum Beispiel, daß an genau diesem Fleck vor 154

Jahren die historische Alfaifakrise begann, weil Senator Barton A. Mousewrangler Junior aus Tennessee gegen das historische Futtermittelreservengesetz von 1827 gestimmt hat.

Um den Fremdenführer herum steht eine Gruppe von

ungefähr acht eifrig lauschenden Menschen, bestehend aus den erwachsenen Begleitpersonen und zwei Strebern, die Mitglied in

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einem Überfliegerklub sind und schon nach der zehnten Klasse zum Studium in Harvard zugelassen werden. Außerhalb dieses Zirkels stehen die anderen Schüler und dösen, tratschen miteinander, kichern, begrapschen sich und probieren aus, wie weit ein Furz im Flur eines historischen Regierungsgebäudes zu hören ist.35

Wahrscheinlich gehörten Sie auf Ihrer Klassenreise nach Washington DC zu denen, die mehr außerhalb standen. Daher will ich in diesem Kapitel versuchen, Ihre Bildungslücken zu schließen. Ich lade Sie ein zu einer »virtuellen Reise« durch diese erstaunliche Stadt, die vielleicht einzige im ganzen Land, wo der Begriff »Regierungsarbeit« nicht automatisch als Witz empfunden wird. Lesen Sie einfach weiter und lernen Sie etwas über:

Die Geschichte von Washington DC

Zu Anfang hatten die Vereinigten Staaten noch keine

Hauptstadt. Der Kongreß traf sich mal in Philadelphia, mal in New York, Richmond, Mexico City oder Las Vegas. So viel unterwegs zu sein, kostete Zeit und war anstrengend, denn Teile der Bundesregierung, insbesondere das Lincoln Memorial, waren sehr schwer.

Folglich beschloß der Kongreß 1790, eine feste Hauptstadt einzurichten, und knappste je ein Stück Land von Virginia, Maryland und Vermont ab und schaffte es unter enormen

Kosten an die gewünschte Stelle. Diese Stelle erfüllte vier Kriterien:

1. Sie lag in der Nähe von Chevy Chase.

2. Sie war fast quadratisch.

3. Sie lag am Potomac River, sodaß ein hohes Maß an

35 Der Rekord liegt bei 2.038 Yards, aufgestellt von Senator Strom Thurmond im Jahre 1874.

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Luftfeuchtigkeit gewährleistet war.

4. Ein paar hartgesottene Lobbyisten hatten sich hier bereits angesiedelt. Sie produzierten nichts, hatten aber schon Jahrzehnte in der unwirtlichen Wildnis überlebt, indem sie sich gegenseitig zum Lunch einluden.

Die neue Hauptstadt wurde nach dem ersten amerikanischen Präsidenten benannt, George Washington, kurz »DC« genannt.

Die Stadtplanung übernahm der französische Architekt Pierre L'Enfant 36, der sich schon durch den Bau des Eiffelturms einen Namen gemacht hatte.

L'Enfant stellte sich eine Stadt mit Straßen vor, die ein logisches, leicht zu verstehendes Gittersystem bildeten. Aber dann trank er ein paar Gläser Maisschnaps zu viel und entwarf das heutige Washington mit Straßen, die in alle möglichen Richtungen liefen und an gigantischen Plätzen wie Spinnweben aufeinandertrafen, und zwar immer dort, wo die Statue eines berühmten verstorbenen Generals stand. Es gab so viele von diesen Plätzen, daß L'Enfant schließlich ein paar Generale hinrichten lassen mußte, um genügend Statuen für das jeweilige Zentrum zu haben.

Im Jahre 1800 zog die Bundesregierung offiziell nach

Washington. Erst war es ein schweres Leben. Noch gab es kein Plastik, sodaß die Bundesbeamten mit gußeisernen

Namensschildern an der Brust herumlaufen mußten. Der

öffentliche Nahverkehr bestand aus einer Untergrundbahn mit einer Haltestelle, einem 150 Meter tiefen Loch, dem heutigen DuPont Circle. Jeden Morgen kletterten die Pendler mühsam nach unten, ließen ihre Fahrkarten aus Pergament abstempeln und kletterten wieder hoch, um dann ausgelaugt nach Haus zu trotten.

36 Auf Deutsch: »Iwan der Schreckliche«

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Die Straßen waren voller Schlaglöcher, die heute sorgsam gepflegt und vom Amt für die Erhaltung Historischer

Schlaglöcher in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten werden.

(Und noch eine Tradition wird bis heute sorgsam gepflegt: Der ganze Verkehr bricht zusammen, wenn es schneit, oder wenn es so aussieht, als könnte es schneien, oder wenn jemand die Stadt besucht, dessen Name etwas mit Schnee zu tun hat oder an Schnee erinnert.)

Der Herzschlag der Stadt wurde schneller, als die Briten 1814

einfielen. Es handelte sich um die Kriegshandlungen von 1812, die aus Termingründen verspätet stattfanden. Britische Truppen brannten das Weiße Haus nieder, aber nicht ehe die First Lady, Dolley Madison, ein Porträt von George Washington und ein paar Rechnungen der Anwaltskanzlei Rose aus Little Rock, Arkansas, in Sicherheit gebracht hatte, die erst 184 Jahre später wieder auftauchten. Die britischen Truppen brannten auch etliche Gebäude nieder, die regierungskritische Institutionen beherbergten, wie die Behörde für die Reinhaltung der Maulesel als Rasse, die Gesellschaft für Salpeterreserven und das Amt für Talg und Nierenfett.

Das war ein schwerer Schlag, aber im La ufe der folgenden zehn Jahre bauten die stolzen und mutigen Bürger ihre Stadt originalgetreu wieder auf. Dann brannten die britischen Truppen, die in der Nähe geblieben waren und alles beobachtet hatten, die Stadt erneut nieder. Da hatten die Washingtoner die Schnauze voll, und die Bundesregierung beschloß per Gesetz, daß fortan alle wichtigen Regierungsgebäude aus Stein sein sollten, damit man sie nicht mehr in Brand stecken konnte. Der ein oder andere Steuerzahler versucht es trotzdem immer wieder.

Der Bürgerkrieg (1861 - heute) war die nächste große Gefahr für Washington. Die Konföderierten sammelten sich in

Sichtweite des Kapitols, aber sie konnten nicht in die Stadt hinein, weil wegen der vielen Klassenfahrten keine

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Hotelzimmer zu bekommen waren. Am 14. April 1865 ereignete sich eine der größten Katastrophen der Stadt und des ganzen Landes: Abraham Lincoln wurde im Ford Theater, wo er sich eine Vorstellung von Cats ansah, von dem Schauspieler John Wilkes Booth erschossen, der dann auf die Bühne sprang und sich ein Bein brach. Während die Nation noch Trauer trug, kam der Kongreß zu einer Dringlichkeitssitzung zusammen und rief die Aufsichtsbehörde für Sicherheit und Gesundheit ins Leben, die dafür sorgen sollte, daß so etwas nicht noch mal passierte.

Während der folgenden Jahrzehnte wuchsen die Vereinigten Staaten und ebenso Washington, denn die Bundesregierung heuerte Tausende zusätzlicher Mitarbeiter für die wichtigen Regierungsaufgaben an, die zur damaligen Zeit auf

Bundesebene erledigt werden mußten. In dieser Ära wurde die Stadt von Beamten geführt, die vom Kongreß ernannt wurden; die Einwohner der Stadt durften ihre eigenen Stadtväter nicht selbst wählen, genauso wenig wie den Präsidenten.

(Komischerweise durften sie aber bei den italienischen Parlamentswahlen mitmachen.) Bald wurde die Frage der

Selbstbestimmung zum Stachel im Fleische der Stadt, die waidwund im eigenen Saft schmorte.

Glücklicherweise brach der Erste Weltkrieg37 aus, bevor die Methaphern völlig aus dem Ruder liefen, und angesichts der aus den Fugen geratenen Demokratie verzichteten die Washingtoner auf die Durchsetzung ihrer persönlichen Belange und fanden sich damit ab, daß sie fürderhin Dienstvorschriften für die Normierung von Soldatenkäppies und -helmen formulieren mußten. 38 Inzwische n hatte das Auto das Pferd als

Hauptverkehrsmittel abgelöst, und der Kongreß entsorgte Tausende von regierungseigenen Pferden, indem er die

37 Oder, wie man heute sagt: »Der Krieg vor dem Zweiten Weltkrieg«

38 Dieses Projekt wurde 1987 abgeschlossen.

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Schulspeisung einführte, die bei den lieben Kleinen heute noch genauso beliebt ist wie damals.

Nach dem Krieg wurde die Prohibition beschlossen, und als die Nation nicht mehr auf legale Weise an Alkohol rankommen konnte, stürzte sie in die Große Depression. Präsident Franklin

»D« Roosevelts Reaktion darauf war die Aufforderung an den Kongreß, er möge die WPA, die NRA, die PWA und das

NLRB39 ins Leben rufen. Daraufhin mußte die Bundesregierung Tausende neuer Mitarbeiter einstellen, deren Aufgabe darin bestand, herauszufinden, wofür all diese Abkürzungen standen.

1932 machten sich über 25.000 Kriegsveteranen nach

Washington auf, die sogenannten »Bonus-Marschierer«, und da auch sie keine Schlafplätze fanden, schlössen sie sich zum Handelsministerium zusammen, das heute noch existiert, obwohl niemand weiß, warum.

Der Zweite Weltkrieg stürzte die Welt, wie der Name schon andeutet, zum zweiten Mal in einen Krieg. Die Bundesregierung zeigte sich dieser Herausforderung durchaus gewachsen, indem sie wiederum Zigtausende von neuen Mitarbeitern einstellte, deren Aufgabe darin bestand, alle kriegsrelevanten

Verlautbarungen abzutippen (viele Mitarbeiter wurden im Laufe des Krieges allerdings befördert und durften später sogar die Ablage machen). In dieser Ära wurden in Washington binnen kürzester Zeit viele neue Bürogebäude hochgezogen, und bis heute ist unklar, welche Ämter und Behörden dafür

verantwortlich waren.

Nach dem Krieg war der Nation eine Periode relativer Ruhe vergönnt, und die Regierung war gezwungen, sich auf

Friedenspolitik umzustellen. Das erforderte wiederum die Einstellung von Zigtausenden neuer Mitarbeiter. Mittlerweile hatten all diese zusätzlichen Arbeitskräfte Washington 39 Verschiedene Arbeitsvermittlungs-, -beschaffungs- und -

kontrollbehörden - und ämter.

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verändert. Aus einer langweiligen, schwerfälligen,

unkultivierten Stadt wurde nun eine langweilige, schwerfällige, unkultivierte Stadt mit großer Bevölkerungsdichte.

Aber all das änderte sich radikal, als die beschaulichen fünfziger den idealistischen sechziger Jahren Platz machten und Präsident John F. Kennedy die ganze Nation aus dem Häuschen brachte, als er 1963 versprach, daß man spätestens am Ende des Jahrzehnts einmal ganz um Washington herumfahren könne, egal wieviel Milliarden Dollar dieses Projekt verschlingen sollte. So wurde die große Umgehungsstraße gebaut, der Beltway, und obwohl Kennedy die Fertigstellung

tragischerweise nicht mehr erlebte, werden diejenigen unter uns, die am 17. August 1964 bei der Live-Übertragung dabei waren, nie vergessen, wie ganz Amerika den Atem anhielt, als ein neuer Nationalheld, Parnell M. Smeedle, ein Buchhalter aus Silver Spring, Maryland, in seinen Plymouth Valiant stieg und die erste Alleinumrundung des Distrikts erfolgreich absolvierte, und zwar in acht Stunden, siebzehn Minuten und sechsunddreißig

Sekunden - ein Rekord, der nie gebrochen wurde.

Aus demselben Geist, demselben »Alles geht«-Optimismus der Sechziger heraus entwickelte Kennedys Nachfolger, Lyndon B. Johnson, das Konzept der »Great Society« - ein

weitreichendes Geflecht von Programmen mit

der

atemberaubend ambitionierten Zielsetzung, Armut und

Rassismus ein für allemal zu beseitigen durch die

Neueinstellung Zigtausender Bundesbeamter.

Aber die sechziger Jahre waren für Washington kein reines Vergnügen. Die Stadt wurde zum Schauplatz zahlreicher

Massenproteste, von denen einige in gewalttätige

Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und

Ordnungshütern mündeten, weil sich die Kontrahenten nicht über die geschätzte Zahl der Demonstrationsteilnehmer einigen konnten. Der absolute Tiefpunkt kam aber erst 1967, als die städtischen Unruhen ihren Höhepunkt erreichten und ein

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ausgedehntes Geschäftsviertel der Innenstadt von einem marodierenden Mob älterer britischer Truppenangehöriger niedergebrannt wurde eine Tragödie, von der sich die Stadt jahrzehntelang nicht erholen sollte.

Aber Washington trägt nicht ohne Grund den Beinamen »Die Stadt, in der zu viele Hearings abgehalten werden, um über einen angemessenen Beinamen nachzudenken«. Also erholte sie

sich auch davon und widmete sich dem Wiederaufbau,

hauptsächlich in Maryland und Virginia. Die Innenstadt verfiel unterdessen weiter. In den siebziger Jahren wurde Washington von einer Kriminalitätswelle überrollt, hinter der, wie sich später herausstellte, eine zu allem entschlossene, hoch organisierte Bande steckte, die sich »Komitee zur Wiederwahl des

Präsidenten« nannte. Die aufgebrachten amerikanischen Wähler verlangten nach sinnvollen politischen Reformen, sodaß wieder Zigtausende neuer Beamter eingestellt werden mußten.

1974 verlieh der Kongreß den Washintoner Bürgern endlich das Recht, ihre politische Führung selbst zu wählen, und 1978

wählten sie Marion »Laßt uns feiern!« Barry als Bürgermeister.

Er verbesserte die Lebensqualität der Stadt, indem er praktisch jedem erwachsenen Einwohner, der weder

Regierungsmitarbeiter noch tot war,40 einen Job verschaffte.

Dadurch wurde Barry so beliebt, daß er sich sogar von einem Skandal erholen konnte, der ihn 1990 ereilte, als FBI-Agenten ihn zusammen mit britischen Soldaten in einem Hotelzimmer beim Crackrauchen filmten. Er verbüßte eine Gefängnisstrafe und feierte als voll rehabiliterter, moralisch neugeborener Mann ein triumphales Comeback, als er 1994 erneut zum

Bürgermeister gewählt wurde. Sein inspirierender Wahlslogan hatte gelautet: »Das nächste Mal laß ich mich nicht erwischen!«

Ja, Washington hat schwere Zeiten hinter sich. Aber aus diesen schweren Zeiten ist es als eine der quirligsten und 40 Zwei Eigenschaften, die sich keinesfalls gegenseitig ausschließen.

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kosmopolitischesten

Städte in ganz Süd-Maryland

hervorgegangen und hat sich zu einem Ort entwickelt, an dem

jeder Besucher den Thrill verspürt, der sich automatisch einstellt, wenn man im Epizentrum der Macht weilt, und wo selbst ein ganz normaler Bürger jederzeit einem

Stellvertretenden Untersekretär des Beigeordneten

Vizevorsitzenden des Ausschusses zur Koordination

Überregionaler Laichgründe für Fische - oder einem seiner engsten Mitarbeiter - begegnen kann.

Aber auch wenn man in Washington zufällig keiner

Berühmtheit begegnet, ist es eine Reise wert, denn es gibt so viele große und historische Dinge aus Stein zu bewundern und zu erleben, wenn man sich nur lange genug in einer

Warteschlange angestellt hat. Beginnen wir also unsere virtuelle Reise! Unsere erste Station führt mitten rein ins »Zentrum des Geschehens«, nämlich auf den41

Kapitolshügel

Die riesige, weiß glänzende Kuppel des Kapitols ist das alles dominierende optische Element im Stadtbild von Washington.

Sie überragt das Stadtzentrum wie ein - um es mit dem toten Dichter Walt Whitman zu sagen - »ziemlich großes optisches Element«. Hier werden die Gesetze einer ganzen Nation

erarbeitet, und zwar von den beiden Körperschaften, die zusammen die Legislative der Regierung bilden: 1) den

Lobbyisten und 2) den Lobbyisten der Gegenseite.

Eine weitere wichtige Aufgabe der Legislative - das Verlesen von Reden, die andere geschrieben haben - wird von

Mitgliedern des Senats und des Repräsentantenhauses

übernommen, die man oft im Laufschritt durch die Gänge des 41 Das ist keine Erfindung von mir. In seinem Bericht über die Bürgermeisterwahl zitierte der Miami Herald am 15. September 1994 einen Washingtoner Bürger, der für Barry gestimmt hatte, mit den Worten: »Wissen Sie eigentlich, wie viele Drogenabhängige es hier gibt? Die sind diesmal alle zur Wahl gegangen.«

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Kapitols eilen sie ht, gefolgt von Mitarbeitern, die ihre Aktenkoffer tragen und in ihre Handys sprechen. Manchmal befinden sich die Kongreßmitglieder gerade auf dem Weg zu einem wichtigen Hearing, manchmal auf dem Weg zur Toilette.

Manchmal haben sie aber auch gar kein Ziel: Sie eilen einfach im Laufschritt umher und machen wichtige Gesichter - die dort übliche Freizeitbeschäftigung Nummer eins. Immer wieder kommt es vor, daß ein Kongreßmitglied gelangweilt in seinem Büro herumsitzt und dann plötzlich zu seinen Mitarbeitern sagt:

»Schnappt eure Handys! Zeit für den Laufschritt durch die Gänge.«

Und ab geht es. Manchmal eilen sie meilenweit, bevor ihre Batterien alle sind. Es kommt vor, daß zwei Formationen von Kongreßmitgliedernplus-Mitarbeitern gleichzeitig eine

Kreuzung erreichen und bei hoher Geschwindigkeit kollidieren, sodaß Aktenkoffer und Handys nur so durch die Gegend fliegen.

Daher wird die neuere Generation der Kongreßmitglieder heute serienmäßig mit Airbags ausgestattet.

Die Geschichte des Kapitols - kurzgefaßt

Der Grundstein wurde 1793 von George Washington gelegt, an einer von den zuständigen Verwaltungsinspektoren sorgfältig ausgesuchten Stelle. Unglücklicherweise wurde der Grundstein noch in derselben Nacht gestohlen und in einer ziemlich üblen Gegend weggeworfe n, wo schließlich das Kapitol errichtet wurde.

Im Jahre 1800 waren die Bauarbeiten beendet, und die Kuppel begann sogleich, sich mit Regenwasser zu füllen, weil die Bauarbeiter die Baupläne falsch gelesen und sie verkehrt herum gebaut hatten. Darüber mußten alle herzlich lachen, und der Bauunternehmer wurde hingerichtet. Neue Arbeiter wurden angeheuert, die das Gebäude abrissen und sofort mit dem Wiederaufbau begannen. 1814 war das neue Kapitol fertig, und

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Präsident James Polk Madison setzte es im Rahmen einer prächtigen Zeremonie, an der Vertreter des Senats und des Repräsentantenhauses teilnahmen, in Brand, um den britischen Truppen den Spaß zu verderben.

Noch einmal wurde das Kapitol aufgebaut, und im Laufe der folgenden 150 Jahre erweitert, umgebaut und modernisiert, um es den ständig wechselnden Bedürfnissen von Senat und

Repräsentantenhaus anzupassen. Wir kommen darauf im

folgenden zurück.

Besichtigung des Kapitols

Am besten beginnt man in der Rotunde, der Freifläche direkt unter der gigantischen Kuppel, die fast 150 Jahre alt ist, neun Millionen Pfund wiegt und deswegen jederzeit einstürzen kann.

Man sollte diese Freifläche so schnell wie möglich

durchschreiten, derweil den Blick nach oben richten und das gigantische Fresko betrachten. Es wurde 1865 vo n einem bedeutenden italienischen Maler geschaffen, dessen Namen wir noch nachschlagen müssen, ehe wir dieses Manuskript an den Verlag schicken.

Die Figuren im inneren Kreis des Freskos repräsentieren die Dreizehn Ursprünglichen Kolonien, die im äußeren Kreis die Sieben Zwerge. Ganz oben in der Rotunde erkennt man einen Schriftzug, der tragischerweise erst 1943 übersetzt werden konnte, als Historiker plötzlich erkannten, daß es sich um Italienisch handelte und bedeutete: »Hilfe, ich komme nicht mehr von die sem Gerüst runter und werde bald verhungern!«

Südlich der Rotunde finden wir die Halle der Statuen, in der alle fünfzig Staaten durch je zwei Statuen repräsentiert werden.

(Arkansas ist mit einem niedlichen Paar Gartenzwerge

vertreten.) Entlang den Gängen nördlich und südlich der Rotunde finden sich zahlreiche historische und künstlerische Gemälde, Statuen, Fresken und Friese, die einen schon sehr bald

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zu Tode langweilen. Dann sollte man die Sitzungssäle des Senats und Repräsentantenhauses besichtigen. Dort kann man sich die zahlreichen Stühle ansehen, auf denen die gewählten Volksvertreter säßen, wären sie anwesend, was jedoch kaum je der Fall ist, weil sie gerade im Laufschritt durch die Gänge eilen oder sich mit Leuten treffen, die sie mit viel Geld zu bestechen versuchen.

Die größte Wahrscheinlichkeit, mal einen Vertreter der Legislative zu Gesicht zu bekommen, bietet das

Repräsentantenhaus, wenn »Eine-Minute-Reden« angesetzt sind. Das sind kurze Reden, die die Kongreßmitglieder mit viel Pathos und Leidenschaft vor einem praktisch leeren Sitzungssaal halten. Manchmal befindet sich nur der Kameramann im

Sitzungssaal, der bei der landesweiten Live-Übertragung der Parlamentsdebatte gerade Dienst hat und gleichzeitig der einzige Zuschauer ist.

Die architektonische Entwicklung des Kapitols

Quelle: Vereinigung Amerikanischer Architekturhistoriker auf Crack

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-› Achtung Abschweifung!

Da bei diesen »Eine-Minute-Reden« niemand zuhört, können die Parlamentarier so ziemlich alles sagen. Ich weiß das, weil ich selbst einmal eine solche Rede geschrieben habe. Und das ist jetzt kein Gag. 1995 habe ich als Recherche für einen Artikel eine Woche lang im Team des republikanischen

Kongreßabgeordneten Steven C. LaTourette aus dem 19.

Wahlbezirk von Ohio gearbeitet. Ich bezweifle, daß LaTourette ganz begriff, worauf er sich einließ, als er mir die Mitarbeit in seinem Team gestattete. So machte er beispielsweise einen etwas irritierten Eindruck, als ich in dem Bemühen, ihm Aufmerksamkeit zu verschaffen, Associated Press die Information zuspielte, daß der Abgeordnete LaTourette als Frau geboren wurde.«42

Glücklicherweise hatte der Abgeordnete LaTourette einen ausgeprägten Sinn für Humor. Das stellte sich heraus, als der Fraktionsvorsitzende der Republikaner seine Leute aufforderte, Reden gegen Bagatellprozesse zu halten. Ich schreib eine solche Rede, und zu meinem größten Erstaunen hielt der Abgeordnete LaTourette sie tatsächlich. Hier der Text:

Herr Vorsitzender, als Rechtsanwalt wäre ich der letzte, der behaupten würde, alle Mitglieder meines Berufsstandes seien geldgierige Ratten, die mit Vorliebe im Dreck wühlten. Ihr Anteil liegt bei maximal 73 Prozent.

Haha, natürlich sollte das nur ein Witz sein! Die große Mehrheit der Rechtsanwälte sind sehr verantwortungsbewußte und in manc herlei Hinsicht auch menschliche Wesen.

Trotzdem muß endlich etwas gegen diese Flut von

Bagatellprozessen unternommen werden. Wir haben einen Punkt erreicht, wo ein so simples Produkt wie etwa eine

42 Das stimmt nicht. Jedenfalls weiß ich nichts davon.

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Haushaltsleiter nur noch mit großen roten Warnschildern verkauft werden kann, auf denen steht, daß man auf die ser Leiter nicht tanzen und keine Parties veranstalten darf, daß man keine Elektrozäune damit berühren und keine Leute damit schlagen darf, daß man sie nicht verschlucken soll und so weiter und so fort. Und alles nur, weil irgendwann einmal

irgendwelche Idioten all diese Dinge mit einer Leiter getan haben, dabei zu Schaden kamen, die Herstellerfirma verklagten -

und Recht bekamen.

Meine Meinung dazu, verehrter Herr Vorsitzender, ist die: Jeder, der eine Le iter verschluckt, verdient, was immer ihm dann widerfährt. Und ich bin mir sicher, daß die große Mehrheit des amerikanischen Volkes das genauso sieht. Die Minderheit würde mich deswegen jedoch am liebsten verklagen.

Der Abgeordnete LaTourette hat diese Rede nicht nur

gehalten, sie wurde auch in voller Länge im Congressional Record nachgedruckt. Erzähle mir also niemand, dies sei kein großartiges Land!

-› Ende der Abschweifung!

Sie sollten Ihren Besuch im Kapitol zu einem Besuch bei Ihrem Abgeordneten nutzen. Die Büros der Abgeordneten

befinden sich in unvorstellbar scheußlichen Gebäuden in der Nähe des Kapitols.

Um Ihren zuständigen Abgeordneten ausfindig zu machen, gehen Sie einfach in eins dieser Gebäude und öffnen eine beliebige Tür. Dort sitzt mit Sicherheit eine Empfangsdame.

Gehen Sie auf sie zu und sagen Sie: »Hi! Ich bin (Ihr Name) aus (Ihr Bundesstaat). Wo finde ich das Büro meines zuständigen Kongreßabgeordneten?« Wenn die Empfangsdame das nicht

weiß oder anfängt, irgendwelche obskuren Informationen aus Ihnen rauszuquetschen, wie etwa den Namen Ihres

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Kongreßabgeordneten (als ob Sie den wüßten!), machen Sie die Frau knapp, aber unhöflich darauf aufmerksam, daß Sie, verdammt noch mal, ein Steuerzahler sind und keineswegs die lange Reise nach Washington auf sich genommen haben, um sich jetzt auf so schnoddrige Art abfertigen zu lassen.

Wenn Sie das Büro Ihres Abgeordneten gefunden haben,

dürfen Sie nicht vergessen, daß es - immerhin leben wir in einer Republik! - eigentlich Ihr Büro ist. Scheuen Sie sich nicht, das Telefon zu benutzen, die Möbel umzustellen, Büromaterial abzugreifen oder dem Abgeordneten Ihre Kinder aufs Auge zu drücken, während Sie einkaufen gehen. Es ist die Aufgabe Ihres Kongreßabgeordneten, Ihnen zu dienen. Zumindest behauptet er das in all den Rundschreiben, die er auf Ihre Kosten in alle Welt verschickt.

Trinkgeld: Üblicherweise bekommt der Kongreßabgeordnete einen Dollar für jedes Kind, das er länger als 24 Stunden betreut.

Wenn Sie eine Sonderleistung von ihm verlangen, wie etwa die Abhaltung eines Hearings oder die Einreichung eines neuen Gesetzesvorschlags, müssen Sie etwa 5.000 Dollar

lockermachen.

Anschließend können Sie die ebenfalls auf dem Kapitolshügel gelegene Kongreßbibliothek besuchen. Dort lagern über 100

Millionen Bücher, Dokumente und andere Quellen, in denen die Kongreßabgeordneten recherchieren, wenn sie neue Gesetze vorbereiten. Unter anderem finden Sie dort eine vollständige Sammlung des Hustler (fragen Sie sich zum Bob-Packwood-Flügel durch). Die Bibliothek verfügt über hochqualifizierte Mitarbeiter, die Ihnen jede Frage beantworten können. Wenn Sie zum Beispiel eine Melodie im Kopf haben und die Wände hochgehen könnten, weil Ihnen der Titel nicht einfällt, singen Sie sie einfach ganz leise im Flüsterraum, und ein Angestellter

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wird den Titel umgehend rausschreien. 43 Wenn Sie sich vorher anmelden, können Sie auch das Kellergewölbe besichtigen, wo unter anderem der Text aufbewahrt wird, den die

Bundesregierung für die Originalfassung von »Louie, Louie«

hält. Das Untergeschoß der Kongreßbibliothek beherbergt das weltgrößte Unternehmen für Sportwetten.

Nicht weit entfernt befindet sich der Oberste Gerichtshof, eine der am häufigsten besuchten Sehenswürdigkeiten Washingtons.

Wenn das Gericht gerade tagt, freuen sich die Richter über Bürgerbeteiligung. Scheuen Sie sich also nicht, aufzuspringen und »EINSPRUCH, EUER EHREN!« zu rufen oder »ICH

GESTEHE: ICH BIN DER WAHRE MÖRDER!« Donnerstags

von 19 bis 23 Uhr ist Karaoke-Abend am Obersten Gerichtshof.

Nur einige Schritte ent fernt befindet sich das Nationalmuseum für Historisches Büromaterial, das die weltgrößte Sammlung handgeschnitzter Büroklammern aus Walknochen besitzt.

Versäumen Sie nicht, sich Dunkles Geheimnis anzusehen, einen preisgekrönten Dokumentarfilm darüber, wie

ein

Regierungsprojekt zur Entwicklung eines besseren

Kopiergeräte-Toners in den sechziger Jahren zur entscheidenden Wende im Kalten Krieg führte.

Die Mall

Ein Muß für jeden Washington-Besucher ist ein Gang durch die Mall. Bitte mißverstehen Sie das nicht als bloße

Redewendung! Wenn Sie versuchen, die Stadt zu verlassen, ohne die Mall gesehen zu haben, werden Sie von den

Grenzsoldaten festgehalten. Der Besuch der Mall ist also tatsächlich ein Muß.

Zuerst besichtigen Sie das Smithsonian Institut, auch der

»Dachboden der Nation« genannt, weil dort so viele tote 43 »Candy Man in der Fassung von Sammy Davis Junior.«

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Insekten herumliegen. Außerdem beherbergt es in verschiedenen Gebäuden rund um die Mall eine riesige Sammlung kostbarster nationaler Memorabilien, wie etwa:

- Abraham Lincolns Holzbein

- mehrere hochinteressante Eicheln

- eine Pappschachtel mit einem Fleck an der Seite, der, wenn das Licht in einem bestimmten Winkel darauf fällt, eine erstaunliche Ähnlichkeit mit Robert Frost hat

- alle Mitwirkenden aus dem Zauberer von Oz, konserviert in Formaldehyd

- die echten Haare von Senator Joseph Biden

- einen Stein, den die Besatzung der Apollo 17 entweder vom Mond oder von einem Golfplatz in der Nähe von Phoenix

mitgebracht hat, je nachdem, welchem Besatzungsmitglied man Glauben schenkt

- das Originalflugzeug der Gebrüder Wright, an dem noch Wilburs Originalpinkelfleck zu erkennen ist

... und vieles, vieles mehr. Das beste an der Sammlung des Smithsonian Institut ist, daß man sie selbst ergänzen kann. Ganz richtig: Das Institut ist immer auf der Suche nach neuen, originär amerikanischen Ausstellungsstücken. Wenn Sie ihm also einen Besuch abstatten, nehmen Sie eine paar Schachteln voll Sachen mit, die Sie nicht mehr brauchen. Das Smithsonian Institut ist sehr reich und bezahlt Spitzenpreise für Ihre Beanie Babies,

Patchworkpuppen, Pokemonkarten,

Kühlschrankmagneten, Keramikkatzen, Tupperware, T-Shirts, leere Bierflaschen etc. Erst kürzlich zahlte das Smithsonian Institut einem Mann aus Akron, Ohio, 7.500 Dollar für einen Satz gebrauchter Autoreifen, die er wegwerfen wollte. Wenn man sich mal die Mühe macht, gründlich seine Garage

auszumisten, kann man glatt die kompletten Reisekosten wieder reinkriegen.

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Nach dem Besuch des Smithsonian Institut (kalkulieren Sie 15 bis 20 Minuten dafür ein) begeben Sie sich in die Nationale Kunstgalerie, wo es erstklassige Toiletten gibt. Dann weiter zum Büro für Gravuren und Druckerzeugnisse, wo das Papiergeld der Nation gedruckt wird, bevor es zu handlichen Päckchen

geschnürt und per Lastwagen zur Garage von Bill Gates

transportiert wird. Sehr lustig und wahnsinnig originell ist es immer, die Wärter anzusprechen und um ein »Probeexemplar«

zu bitten. Haha! Dieser tolle Witz funktioniert immer und bringt die Wärter jedesmal auf die Palme, sodaß man aufpassen muß, daß sie einem nicht ins Knie schießen.

Ein Stück weiter liegt das Ministerium für Infrastruktur, das unter der Carter-Administration während einer hektischen Mitternachtssitzung per Kongreßbeschluß gegründet wurde. Die meisten Kongreßmitglieder hatten gar nicht richtig mitgekriegt, um was es ging, und dachten, man sei dabei, die Woche des Reißfesten Garns zu beschließen. Mittlerweile beschäftigt dieses Ministerium 17.000 Mitarbeiter. Sein Aufgabengebiet ist die Umsetzung der Förderung und Optimierung der

Prioritätensetzung bei der Resourcenbündelung, - verteilung und verwertung. Dort gibt es eine ausgezeichnete Cafeteria.

Der Besuch der Mall endet im Landwirtschaftsministerium, das sich in einem Gebäude von der Größe Connecticuts

befindet. Ein geeigneter Ort, um sich mit der ganzen Familie einen schönen Tag zu machen. Man kann von Büro zu Büro gehen und die verschiedenen Mitarbeiter fragen, was sie eigentlich den lieben langen Tag so treiben. Umgehen Sie den sechsten und siebten Stock, wo es seit 1967 von Blattläusen nur so wimmelt.

Wenn Sie sich auf der Mall nun weiter Richtung Westen

begeben (oder auch Richtung Osten), nähern Sie sich einem Objekt, das Historiker als das zugespitzteste von ganz Washington bezeichnen:

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Das Washington Monument

Dieses Monument für »unseren Landesvater« ist ein gutes Beispiel dafür, was sich ein Künstler in weniger als fünf Minuten ausdenken kann, wenn er nur Bleistift und Lineal zur Verfügung hat. Der Bau des Monuments begann 1848 mit der Grundsteinlegung; der nächste Stein wurde 1850 gelegt.

Anschließend ruhten die Bauarbeiten dreißig Jahre, weil der Bauunternehmer beim Chiropraktiker war. 1884 wurde das Monument fertiggestellt und auf dem Rücken sehr starker Maulesel zu seinem heutigen Standort transportiert.

Tragischerweise hat George Washington das fertige Monument nicht mehr zu sehen bekommen. Aber bei der Einweihungsfeier sagte sein Sohn, Roger Washington: »Das sieht ihm echt ähnlich!«

1998 wurde das Monument im Zuge umfangreicher

Renovierungsarbeiten für den Publikumsverkehr gesperrt. Allein 600.000 Quadratmeter Flusenteppich wurden entfernt. Im Jahre 2000 wurde das Monument mit einer glanzvollen Zeremonie wiedereröffnet. Den Höhepunkt bildete das Abfeuern von Boden-Luft-Raketen durch britische Truppen, die aber

eingefangen und in ihre Altersheime zurückgeschickt wurden.

Heute ist das Monument eine der beliebtesten

Touristenattraktionen. 17 Millionen Besucher benutzen täglich den Originalaufzug, der durch elektrostatische Energie betrieben wird und in dem noch der Originalroßhaarstuhl steht, den das Personal des Nationalparks liebevoll wartet. Um an die Spitze des Monuments zu gelangen, gehen Sie einfach an der Schlange vorbei, die vor dem Aufzug wartet, und erklären den Leuten, daß sie Sie vorlassen sollen, weil Sie ein amerikanischer Steuerzahler sind und nicht die Absicht haben, auch nur eine kostbare Minute mit Schlangestehen zu verplempern, verdammt noch mal!

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Unglaublich, aber wahr!

Fakten über das Washington Monument

Eine Kopie des Monuments wurde während des Kalten

Krieges angefertigt und an einen geheimen Ort in West Virginia transportiert, wo es seither in einem unterirdischen Gewölbe aufbewahrt wird.

Das Monument ist in Wirklichkeit nur 8,50 Meter hoch, aber durch die Erdumdrehung wirkt es viel größer.

Das Monument ist Heimstatt für eine der weltgrößten

Populationen von Kopfläusen.

Das Aufsichtspersonal des Nationalparks hat das Monument auf den offiziellen Kosenamen »Das lange Ding von Johnson«

getauft.

Das Monument ist so ausgerichtet, daß man, wenn man sich an einem 15. Juli um zwölf Uhr mittags an die Südseite des Monuments stellt, automatisch zu schwitzen beginnt.

Seit Fertigstellung der Bauarbeiten im Jahre 1884 ist das Monument erst sechs Mal umgefallen.

Ein regionaler Aberglaube besagt, daß eine Katze, die von der Spitze des Monuments geworfen wird, irgendwann am Boden aufschlägt.

Lucille Ball (1911 - 1989) wurde unter dem Monument

begraben.

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Quelle: Dan Rather

Mal angenommen, Sie überleben den Besuch des Monuments, so ist Ihr nächster Besichtigungspunkt der Spiegelsee, ein rechteckiges Wasserbecken, das seinen Namen der erstaunlichen Tatsache schuldet, daß man, wenn man sich drüberbeugt und runterguckt, sein eigenes Gesicht sieht. Verharren Sie aber nicht allzu lange in Selbstbewunderung, denn der Spiegelsee ist die Heimat des Momba, eines legendären Karpfens44, der sich seit Jahrzehnten von den kalorienreichen Junkfoodresten ernährt, die Touristen in den See werfen. Dieser Karpfen wiegt mittlerweile fast 2.000 Pfund. Im März 1997 tauchte er einmal ganz

unvermittelt auf, sprang hoch und verschluckte mit einem Happs einen vorübereilenden Fußgänger. (Unglücklicherweise wurde das Opfer nie identifiziert, weil es sich um den Innenminister handelte.)

Gleich westlich vom Spiegelsee befindet sich ein hübscher Aussichtspunkt mit der vielleicht beliebtesten und

inspirierendsten Sehenswürdigkeit von Washington: Earl. Ganz trübsinnig steht Earl da und starrt auf den See. Earl ist ein ehemaliger Klempner, der sich 1982 zur Ruhe setzte, um sich ganz seinem Hobby zu widmen: dem trübsinnigen Herabstarren auf Dinge. Direkt hinter Earl befindet sich, meistens jedenfalls, das Lincoln Memorial.

Nicht weit von dort liegt das Tidebecken, umringt von

Kirschbäumen, die jedes Jahr blühen. Die Einwohner von Washington feiern dieses Ereignis immer wie das Erscheinen eines neuen Messias.

In der Geschichte des Tidebeckens gibt es eine wahre

Episode, die mir besonders gut gefällt. Sie ereignete sich 1974, und ihre Hauptfigur ist Wilbur Mills, ein Kongreßabgeordneter 44 Auch »Legendärer Karpfen« wäre ein schöner Name für eine Rockband.

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aus Arkansas45, der damals den Vorsitz des

Hausha ltsausschusses im Repräsentantenhaus innehatte, und somit einer der mächtigsten Politiker des Landes war. Alles fing damit an, daß die Polizei einen Wagen anhielt der mit

überhöhter Geschwindigkeit fuhr, und zwar um zwei Uhr nachts und mit ausgeschalteten Scheinwerfern. In dem Wagen fand die

Polizei den Abgeordneten Mills und eine Frau, die definitiv

nicht Mrs. Mills war. Es stellte sich heraus, daß es sich um eine gewisse Annabel Battistella handelte, eine Stripperin, die unter dem Künstlernamen Fanne Foxe (»Das argentinische

Knallbonbon«) auftrat. Aus bis heute nicht geklärten Gründen kletterte sie aus dem Wagen und sprang ins Tidebecken.

Das löste, wie Sie sich vorstellen können, einen ziemlichen Skandal aus. Aber der Abgeordnete Mills, anders als andere sexbesessene Politiker aus Arkansas, deren Namen wir hier nicht nennen wollen, versuchte gar nicht erst, sein Verhältnis mit der Frau zu vertuschen. Im Gegenteil. Seine Vorstellung von Schadensbegrenzung bestand darin, mit Miss Foxe nach Boston zu fahren und sich dort mit ihr auf die Bühne zu stellen. Später erklärte er der Presse, er habe das getan, »um all diese unsinnigen Gerüchte zu zerstreuen« 46.

»Ich glaube, ich habe richtig gehandelt«, sagte er. »Aber vielleicht irre ich mich da auch.«

Obwohl er so mutig und ehrlich war, verlor der Abgeordnete Mills den Vorsitz des Haushaltsausschusses und wurde mit Schimpf und Schande aus dem Kongreß gejagt, was ich für den eigentlichen Skandal halte, denn Mills war einer der wenigen amerikanischen Politiker unserer Zeit, die bereit waren, Verantwortung zu übernehmen. Ich finde, man sollte neben dem Tidebecken ein Wilbur Mills Monument errichten. Ich stelle mir die Statue eines stattlichen Mannes vor, mit zerzausten Haaren 45 Was sich von selbst versteht

46 Die Zitate sind keine Erfindung von mir.

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und gelockertem Schlips. Die Statue sollte raffiniert

ausbalanciert auf Federn oder Gelenken ruhen, sodaß sie sich im Wind bewegt, als würde sie jeden Moment ins Wasser stürzen.

In ihren Sockel sollten die Worte eingemeißelt sein, die sonst in Washington so selten zu hören sind:

Aber vielleicht irre ich mich da auch.

Doch zurück zur Realität: Als nächstes kommen wir zu einem Gebäude, das sich durch seinen phantasievollen Namen

auszeichnet:

Das Weiße Haus

Die Adresse des Weißen Hauses lautet: 1600 Pennsylvania Avenue. Ich weise extra so ausdrücklich darauf hin, damit Sie keinen Fehler machen, denn die Leute im Nachbarhaus, 1598