John Devlin

Blood Empire 3-Biss zur Auferstehung

Vampir-Saga

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Petra Brunstein lächelte. Der Blick ihrer dunklen Augen ließ den breitschultrigen Mann mit dem kantigen Gesicht schlucken. Jedes Wort wirst du mir glauben, dachte Petra. Gleichgültig, wie absurd es dir auch erscheinen mag... Die Vampirin spürte kaum mentalen Widerstand bei ihrem Gegenüber. Dieser Mann war leicht zu lenken. Ein Spielzeug. Seine Pupillen weiteten sich. Im Hintergrund krähten düstere Gitarrenriffs, die im DARKSIDE, einer Gothic-Discothek an der Avenue A, als angesagt galten.

"Du wolltest mir noch etwas über diesen Typ erzählen, den du vorhin gegrüßt hast", meinte er.

"Ja richtig", hauchte sie. "Chase Blood..."

"Komischer Name."

"An dem Kerl sind noch ganz andere Dinge seltsam. Bei dem, was ich dir jetzt erzähle, werden dir die Ohren abfallen!" Er hob die Augenbrauen. Sein Lächeln wirkte in diesem Augenblick alles andere als intelligent. "Na, dann lass mal hören!"

"Chase ist ein Vampir."

"Oh...", sagte er. Petra wusste nur, dass er Kelly hieß, aber ob mit Voroder Nachnamen war ihr nicht ganz klar. Es interessierte sie auch nicht. Dieser Mann war nur Mittel zum Zweck für Sie. Sie zog sich das knappe Lederkostüm etwas zurecht, das die perfekten Linien ihrer attraktiven Figur genau nachzeichnete. Sie sah ihn an, studierte mit Befriedigung sein ergebenes Gesicht. Nein, von Kelly würden keinerlei kritische Nachfragen kommen... Da konnte sich die Vampirin sicher sein.

"Die Vampire sind die wahren Herren dieser Welt, Kelly. Auch wenn sie ihre Herrschaft aus dem Hintergrund heraus ausüben..."

"Verstehe", nickte Kelly. "Und dieser Chase..."

"...ist eine ganz große Nummer unter ihnen. Genauer gesagt: Die Nummer zwei in New York."

"Du meinst, er hat richtige Vampirzähne, wie man sie aus DRACULA kennt?"

"Ja, das hat er. Aber er kann sie einziehen, wie die meisten Vampire. Außerdem ist er unwahrscheinlich stark. Er könnte mühelos gegen eine ganze Gang kämpfen... Jede Wunde, die ihm jemand schlägt, heilt durch Willensanstrengung. Und natürlich trinkt er..."

"Blut!", stieß Kelly hervor. Er trank sein Bier aus, wirkte sehr nachdenklich dabei.

"Kaum jemand weiß von der geheimen Herrschaft dieser Kreaturen der Nacht", sagte Petra. "Darin liegt ihre Stärke..."

"Was kann man gegen diese Monstren unternehmen?", fragte Kelly und winkte den bullig wirkenden Mann hinter dem Tresen herbei. Kelly bestellte noch ein Bier.

"Kopf ab oder Holzpflock ins Herz", sagte Petra. "Alles andere nützt nichts."

"Was ist mit Kreuzen?"

"Hat keinen Effekt, Kelly."

"Alles nur Aberglaube, was?"

"So ist es."

Kelly schlürfte an seinem Bier, dann wandte er den Kopf wieder zu ihr herum. Für Sekunden verlor er sich wieder in ihren dunklen Augen. Ein kreischendes Gitarrensolo ließ dann eine Art Ruck durch seinen Körper gehen. "Du wolltest noch etwas fragen", säuselte sie mit dunkler, gehauchter Stimme.

"Erzähl mir alles über diesen Chase", forderte er. "Jede Einzelheit. Das interessiert mich."

"Mit Vergnügen."

Und dabei dachte Petra: Zu schade, dass ich ihn jetzt nicht beißen kann. Er ist wirklich süß. Aber dann wäre die kleine Gemeinheit, die ich mir ausgedacht habe, um Chase zu vernichten, ja Makulatur.

"Hör mir gut zu!!", sagte sie.

"Ja!", nickte Kelly ergeben.

"Du wirst nämlich eine wichtige Aufgabe bekommen!!"

"Ja..."

"Sie besteht darin, Chase zu einem Haufen Staub werden zu lassen!!"

"Ich werde tun, was du sagst!"

Am Hals trug er ein Amulett. Es zeigte einen Totenkopf. Die dazugehörigen Knochen waren nach Art eines Hakenkreuzes geknickt. Petra stieß lächelnd mit dem Zeigefinger der rechten Hand dagegen und ließ

es hin und her wackeln, während Kelly ihr nun rettungslos verfallen war.

"Tu mir außerdem einen Gefallen und sieh zu, das du die Jungs dieser eigenartigen Organisation für deine Mission gewinnst - denn allein dürftest du kaum eine Chance haben."

"Ja..."

"Gut!"

Petra kicherte. Sie musste aufpassen, nicht unwillkürlich ihre Zähne auszufahren, denn das wäre aufgefallen. Bald schon wird der Platz der Nummer 2 im New Yorker Vampir-Imperium frei sein, ging es ihr durch den Kopf. Frei für mich!

*

Eine Woche später...

Nacht in New York.

Eine düstere Seitenstraße in Brooklyn, unweit des alten Navy Yards... Chase Blood ließ den Motor seiner Harley aufheulen. Der Fahrtwind fuhr ihm durch das schwarz gefärbte Haar, als er in einem geradezu halsbrecherischen Tempo die Straße entlang jagte. Überquellende Mülleimer befanden sich auf beiden Seiten. Ein Teil der Straßenbeleuchtung funktionierte nicht.

Aber dieser Weg war nun einmal eine Abkürzung.

Gerade noch rechtzeitig sah Chase das Hindernis auf der Fahrbahn. Mehrere Pkw waren quergestellt worden. Chase betätigte die Bremse. Mit quietschenden Reifen rutschte die Harley über den Asphalt. Das Hinterrad brach aus. Chase sprang vom Bock herunter, kam hart auf dem Boden auf und rollte sich ab. Die Harley schrammte indessen auf der Seite weiter über den Asphalt, bis einer der quer gestellten Wagen sie auffing. Chase erhob sich.

Seine Jeans waren aufgescheuert. Blutige Knie kamen unter dem durchlöcherten Stoff hervor. Aber Chase Blood stand kaum wieder auf den Beinen, da begannen sich die Wunden bereits zu schließen. Es bedeutete nur eine Willensanstrengung. Die Lederjacke hatte auch etwas abbekommen.

Doch das war nicht so schlimm.

Ein paar abgeschabte Stellen mehr!, ging es Chase durch den Kopf. Er ließ den Blick schweifen. Etwas mehr Sorgen machte er sich schon um seine geliebte Harley. Da war vermutlich einiges am Lack nachzubessern. Als er die am Boden liegende Maschine erreicht hatte, waren seine Kniewunden schon nicht mehr zu sehen. Er beugte sich nieder, um das Hinterrad der Harley unter dem Wagen wegzuziehen.

Das Geräusch von Schritten ließ ihn erstarren.

"Da ist er!", sagte jemand.

Noch ein Geräusch ertönte unmittelbar danach.

Chase erkannte es sofort. Jemand lud ein Pump Action Gewehr durch. Chase hatte sich noch nicht einmal herumgedreht, da fetzte ihm bereits ein gewaltiges Kaliber zwischen die Schulterblätter. Ein Projektil, das einem Mann den ganzen Kopf wegreißen und wie eine Melone zerplatzen lassen konnte. Die Kugel riss ein Loch in die Lederjacke. Eine blutige Wunde war zu sehen, klaffte ekelhaft weit offen. Das Geschoss trat auf der anderen Seite wieder aus dem Körper heraus.

Gerade dort, wo sich auf Chase' T-Shirt mit der Aufschrift FUCK OFF

das OFF befand. Jetzt stand dort nur noch FUCK.

Chase drehte sich herum.

Der Kerl, der geschossen hatte, war ziemlich groß und trug Springerstiefel. Der Kinnladen fiel ihm runter, als er registrierte, dass sein Schuss Chase regelrecht durchbohrt hatte. Er starrte auf Chase' T-Shirt, auf die klaffende Wunde, die bereits begann sich zu schließen.

"Verdammt, ich hab's dir ja gesagt, Joey!", rief ein anderer Kerl. Auch er hatte kaum Haare auf dem Kopf. Das graue T-Shirt ließ die martialischen Tätowierungen frei. SS-Runen prangten an beiden Bizeps. Er hatte einen Colt Magnum Kaliber 45er im Hosenbund stecken. Aber in den Händen hielt er zwei angespitzte Holzpflöcke. Keine Frage, was er damit vorhatte. Ein weiterer Typ erschien, er tauchte hinter einem der quer gestellten Wagen auf, sprang auf die Motorhaube. Das Blech knickte etwas unter seinem Gewicht ein. Auch er trug eine Schusswaffe im Gürtel. In der Rechten hielt er zwei angespitzte Holzpflöcke, in der Linken einen Flachmann. Mit den Zähnen schraubte er den Deckel ab, während zwei weitere Kerle an der Ecke auftauchten.

"Hier, du Höllenkreatur! Mit Knoblauchextrakt versetztes Weihwasser!

Mal sehen, wie dir das schmeckt!"

Er spritzte den Inhalt des Flachmanns Chase entgegen. Der Vampir hob schützend den Arm, stieß einen dumpfen Knurrlaut aus. Für einen Moment fuhr er seine langen Zähne aus. Sein Gesicht veränderte sich dabei. Die Mundpartie wirkte größer. Sein Knurren bekam einen zornigen Ton. Aber das Weihwasser machte ihm nicht viel aus. Der Kerl auf dem Wagen wartete dessen Wirkung auch gar nicht erst ab, sondern stürzte sich mit den Holzpflöcken in den Händen auf Chase. Sein grimmiger Schrei gellte durch die Straße.

Der Kerl versuche mit den Pflöcken zuzustoßen und dabei Chase'

Herzgegend zu treffen.

Der Vampir schnellte zur Seite.

Der Angriff ging ins Leere. Der Glatzkopf stolperte zu Boden. Um Haaresbreite war der Holzpflock an Chase' Körper vorbei geglitten. Sein Gegner rappelte sich wieder auf.

Schnell war er wieder auf den Beinen, in jeder Hand einen Pflock.

"Mach ihn fertig", rief einer der anderen.

"In einem gereinigten Amerika ist für diese Nachtkreatur kein Platz!"

"Ja, jetzt wird aufgeräumt!", rief ein anderer. Nazis!, dachte Chase.

Menschen, die glaubten, dass man seine eigenen Probleme dadurch löste, indem man auf alles fremd Erscheinende blindwütig einschlug. In der Horde fühlten sie sich stark. Vor allem dann, wenn sie auf Schwächere losgingen. Auf Obdachlose oder Behinderte zum Beispiel. Auf Kinder, deren Hautfarbe eine Nuance zu dunkel war, um noch als arisch durchgehen zu können.

Aber in diesem Fall waren sie an den Falschen geraten. Chase' Gegner bleckte die Zähne. Schweiß glänzte auf seiner Stirn. Seine Gestalt war massig. Chase schätzte, dass der Kerl mindestens einen halben Kopf größer war als er. Seine Rechte schnellte mit dem angespitzten Pflock blitzartig hervor.

Eine Finte, denn der eigentliche Stoß erfolgte dann mit dem Pflock in der Linken.

Chase bog den Arm zur Seite, so dass der Stoß ins Leere ging. Er packte den Unterarm und schleuderte seinen Gegner herum. Hilflos taumelte er gegen eine der Autotüren. Er stöhnte auf, als er dort aufschlug.

"Ich würde dir dringend empfehlen, zu verschwinden", sagte Chase.

"Such dir Spielpartner in deiner Liga, du Saubermann!" Der Typ versuchte es noch einmal.

Ein ungestümer Angriff. Gleichzeitig nahm Chase aus den Augenwinkeln heraus eine Bewegung wahr. Einer der Kerle, die zuvor an der Ecke gestanden hatten, hielt etwas in der Hand. Eine Armbrust. Chase duckte sich instinktiv.

Der Pflock, den der Armbrustschütze anstatt des üblichen Stahlbolzens in seine Waffe eingelegt hatte, zischte dicht über Chase hinweg, traf stattdessen den Mann, der Chase angegriffen hatte.

Der Glatzkopf schrie auf, als ihm der Pflock ins linke Auge drang. Eine Sekunde lang stand er wie erstarrt da.

Die Wucht, mit der das Geschoss seinen Kopf getroffen hatte, ließ ihn rückwärts taumeln. Zwei Schritte noch, bedingt durch letzte Zuckungen der Nerven. Wie bei einem geköpften Huhn.

Dann schlug er schwer hin.

Der Kerl mit der Pump Gun hatte nichts Besseres zu tun, als seine Waffe erneut durchzuladen und abzufeuern. Die Kugel traf Chase mit voller Wucht an der Schulter. Es fühlte sich wie ein kräftiger Schlag an. Das Leder zerfetzte und darunter klaffte eine schreckliche Wunde. Aber nicht für lange. Chase knurrte. Jetzt wurde es ihm zu bunt. Sollten sie doch bekommen, was sie so sehr herausforderten!

Chase sprang aus dem Stand heraus auf die Motorhaube von einem der Wagen. Es handelte sich im einen alten Chevy, der eher in ein Museum als auf eine Straße gehörte. Mit weiten Sprüngen lief Chase über die Wagen, von einer Kühlerhaube auf das Dach, dann auf den Kofferraum und so weiter. Er schnellte auf die beiden Typen an der Ecke zu. Der Kerl mit der Armbrust war immer noch damit beschäftigt, den nächsten Holpflock in seine Waffe einzulegen.

Der andere trug etwas in der Hand, das sich für Chase erst jetzt aus dem Schatten herausschälte.

Eine Kettensäge...

Die haben sich informiert!, ging es Chase durch den Kopf. Sie wissen, wie man Vampire töten kann - und die Kettensäge soll mich ganz offensichtlich einen Kopf kürzer machen!

Zunächst hatte Chase gedacht, dass diese Kerle auf irgendwen gewartet hatten. Aber er kam mehr und mehr zu der Einsicht, dass dies ein ganz gezielter Angriff war.

Auf ihn.

Chase Blood.

Der Vampir duckte sich, als der Armbrustschütze seinen Pflock abschoss. Dicht zischte das Ding an Chase vorbei, durchschlug eine der PkwScheiben. Die regulären Stahlbolzen einer handelsüblichen Armbrust für Sportzwecke konnten sogar Panzerplatten durchschlagen. Bei den Holzpflöcken reichte es immerhin für Glasscheiben.

Der Schütze erbleichte, als Chase auf ihn zuschnellte. Er wusste, dass er jetzt keine Chance mehr hatte, rechtzeitig den nächsten Pflock in die Waffe einzulegen. Dazu war die Bedienung der Armbrust zu umständlich.

So riss er seine Waffe aus dem Gürtel. Er trug einen zierlichen 22er Revolver. Dreimal feuerte er kurz hintereinander. Die Kugeln stanzten Löcher in Chase' T-Shirt. Es wirkte wie von Motten zerfressen. Chase blickte kurz an seinem jetzt ziemlich zerschossenen Körper hinab. Ein grausamer Zug erschien auf seinem Gesicht. Dann stürzte er sich auf den Armbrust-Mann, der verzweifelt zurückwich, dann aber stolperte. Mit der Armbrust schlug er um sich. Chase machte sich nicht einmal die Mühe, den Schlägen auszuweichen. Der harte Stahl des Armbrustgestells prallte gegen seinen Schädel. Er grinste nur dazu. Ungerührt packte er den Armbrust-Nazi dann am Hals, schleuderte ihn davon. Ein Schrei gellte durch die Straße. Ein so schauerlicher Schrei, dass einem dabei buchstäblich das Blut in den Adern gefrieren konnte. Mit ungeheurer Wucht prallte der Armbrustmann gegen eine Hauswand. An der kalten Brownstone-Fassade rutschte er zu Boden. Blut rann ihm aus dem Mund.

Seine Augen starrten gebrochen ins Nichts.

"Dieser verdammte Bastard! Jetzt unternehmt doch mal was!", rief einer der Männer mit heiserer Stimme.

Der Kerl mit der Kettensäge ließ sein Gerät aufheulen. Er schien den Schock überwunden zu haben, den der grausige Tod seines Kumpanen in ihm ausgelöst hatte.

KÄMPFT FÜR EINE ARISCHE RÜCKEROBERUNG AMERIKAS!

stand auf seinem T-Shirt.

Und darunter, etwas kleiner:

JOIN THE ARYAN-AMERICAN FRONT

Auf seiner Brust baumelte ein silberfarbenes Amulett. Es bestand aus einem Totenschädel. Die gekreuzten Knochen darunter hatten die Form eines Hakenkreuzes.

Er kam näher, ließ die Kettensäge vorschnellen.

Chase wich etwas zurück.

"Das schmeckt dir nicht, was?", knurrte der Mann mit dem Amulett.

"Aber du wirst für das bezahlen, was du Ray angetan hast!"

"Los, schnetzel ihn klein!", rief einer der anderen. Das spornte den Kettensägenträger noch mehr an. Er wirbelte das Gerät hin und her. Chase wich zurück. Einer der anderen glaubte nun, seine Chance sei gekommen. Er versuchte, Chase seinen Pflock von hinten in den Rücken zu rammen. Herz war schließlich Herz, gleichgültig von welcher Seite. Aber Chase fing ihn früh genug ab. Mit einem gezielten Griff hatte er das Handgelenk des Mannes gepackt. Er zog den Kerl zu sich heran, nahm ihm den Pflock weg. Dann schleuderte er seinen Gegner plötzlich dem Kettensägenmann entgegen. Das geschah mit derartiger Wucht und Schnelligkeit, dass dieser die Kettensäge nicht mehr zurückziehen konnte. Ohne es zu wollen zerschnitt er seinen Kumpanen. Die Säge drang tief in den Oberkörper ein, fraß sich durch die Rippenbögen. Das Blut spritzte dem Kettensägenmann ins Gesicht. Auch Chase bekam etwas ab. Der Vampir schnellte auf den völlig entgeisterten Kettensägenmann zu. Dieser konnte sein zur Waffe umfunktioniertes Werkzeug nicht schnell genug aus seinem Komplizen herausziehen, um es noch gegen Chase einsetzen zu können. Er schrie vor Entsetzen. Aber Chase war schon bei ihm, packte ihn am Hals. Er zog ihn zu sich heran, während sein Gegenüber die Kettensäge losließ. Sie fiel mitsamt dem halbdurchtrennten Torso seines Kameraden zu Boden, kam dort scheppernd auf. Einige Augenblicke lang surrte der Motor der Maschine noch, dann war Schluss.

"Nein, nicht!", rief der Mann, den Chase gepackt hatte. Chase fuhr seine Zähne aus.

Den Mann packte das Grauen.

Er versuchte nach seiner Waffe zu greifen, aber Chase schlug sie ihm aus der Hand. "Es reicht schon, wie du meine Lederjacke versaut hast!", knurrte er.

Der Neo-Nazi starrte Chase mit weit aufgerissenen Augen an, versuchte sich verzweifelt aus dem eisernen Griff des Vampirs zu befreien. Doch dessen Kräfte waren wahrhaft übermenschlich. Der Mann rang nach Luft. Und dann zog Chase ihn zu sich heran und schlug seine ausgefahrenen Vampir-Zähne in ihn hinein, zerfetzte ihm den Hals. Das Blut spritzte in einer dünnen Fontäne empor. Sein Schrei erstarb.

Erneut traf Chase ein Schuss, diesmal am Hinterkopf. Der Mann mit dem Pump Action-Gewehr wollte einfach nicht einsehen, dass ein Vampir auf diese Weise nicht zu töten war. Es musste schiere Verzweiflung sein, die ihn trieb. Und Wut über den grausigen Tod seiner Komplizen. Chase ließ den Körper des Mannes, den er gebissen hatte, fallen. Das Blut ergoss sich in einem steten Strom aus der Halsschlagader heraus und bildete eine Lache auf der Straße. Welch eine Verschwendung, dachte Chase. Er fasste sich an den Hinterkopf, betastete die Schusswunde. Auch diese würde sich regenerieren.

Der Vampir drehte sich zu den beiden noch lebenden Nazis herum. Erneut ertönte ein Knall. Ein Mündungsfeuer blitzte aus dem Pump Action Gewehr heraus. Aber der Kerl war jetzt nervös, dass er diesmal daneben schoss. Stattdessen erwischte er eine defekte Straßenlaterne. Scherben regneten auf den Bürgersteig.

Der andere Mann blickte auf die Holzpflöcke in seinen Händen. Bleich wirkte er im fahlen Licht. Seine Unterlippe zitterte. Er schien seine Chance, Chase einen dieser Pflöcke ins Herz zu rammen als nicht sonderlich hoch einzustufen.

Aber Chase dachte nicht daran, sie davonkommen zu lassen. Keinen von ihnen.

Früher oder später würde ich ihnen sonst ohnehin wieder begegnen!, dachte er.

Der Kerl mit den Pflöcken rannte davon.

Der Träger des Pump Action-Gewehrs lud seine Waffe erneut durch. Er feuerte. Die Kugel erwischte Chase im Oberschenkel. Die Jeans ist wirklich hin!, dachte er und setzte dann zu einem kleinen Spurt an. Noch einmal feuerte sein Gegenüber das Gewehr ab. Der Schuss fetzte ihm an der Seite entlang, zog eine blutige Spur. Dann hatte Chase den Kerl erreicht. Er packte das Gewehr beim Lauf, entriss es seinem Gegner und schlug dann mit dem Kolben zu.

Ein kurzes Aufstöhnen, dann ging der Neo-Nazi getroffen zu Boden, zuckte noch einmal und blieb reglos liegen.

Der Typ mit den Pflöcken hatte einen Ford erreicht, der an der Straßenseite abgestellt war. Er öffnete die Tür, wollte sich offenbar aus dem Staub machen.

Chase lud das Pump Action Gewehr mit einer energischen Bewegung durch und legte an.

Das Geschoss drang seitlich in den Kopf ein, etwas oberhalb der Schläfe. Blut und Hirnmasse spritzten heraus. Der Kerl rutschte an der Autotür hinunter. Sein grimmiger Gesichtsausdruck war durch den Tod quasi eingefroren worden.

Chase atmete tief durch.

"Es scheint zur Zeit von Vampirjägern nur so zu wimmeln!", murmelte er halblaut vor sich hin. Aber dass jetzt auch diese stumpfsinnigen Glatzköpfe von der ARYAN-AMERICAN FRONT Jagd auf seinesgleichen machten, war für Chase neu.

Er schloss die Augen, unterstützte die Heilung seiner Wunden durch Willensanstrengung.

Die Glatzköpfe hatten ihm ganz schön zugesetzt.

*

Es war ein dunstiger Tag. Nebel quoll vom Hudson herüber. Die Schwaden krochen wie die Tentakel eines großen Ungeheuers bis zum Trinity Cemetery, hingen dort wie grauer Spinnweben auf den Grabsteinen. Robert Malloy stand wie versteinert da und blickte auf das Grab seiner Tochter. Die Hände hielt er gefaltet. Das Gesicht des vierzigjährigen, vom Dienst suspendierten Detective Lieutenant war wie versteinert. Er hielt die Augen geschlossen.

Ich weiß nicht, ob es ein Leben nach dem Tod gibt, dachte er. Aber vielleicht existiert deine Seele noch irgendwo, Madeleine... Ja, bestimmt sogar! Und wenn dem so ist, dann kannst du mich vielleicht jetzt sehen. Vielleicht spürst du meine Trauer.

Und meinen Hass.

Meinen Hass auf alle Vampire. Auf jene Monstren, die aus dem Verborgenen heraus die Menschheit beherrschen. Ich werde sie jagen, Madeleine. Jeden einzelnen von ihnen. Und mit besonderer Hartnäckigkeit diesen Chase, der seine ekelhaften Zähne in dein unschuldiges Fleisch geschlagen hat!

Malloy schluckte.

Er öffnete die Augen.

Liebe hat er dir vorgegaukelt, Madeleine!, dachte er bitter. Und stattdessen hat er dir den Tod gebracht. Einen Tod, so grausam, dass einem das Blut in den Adern bei dem Gedanken daran gefrieren kann. Die Erinnerungen an diese grausigen Szenen stiegen in Malloy auf. Er hatte es selbst gesehen. Andernfalls hätte er es auch nicht geglaubt. Gerade in dem Moment, in dem dieser Chase seine Tochter ermordete, war Malloy hinzugekommen. Aber er hatte das Schlimmste nicht mehr verhindern können. Es war zu spät gewesen.

Malloys Gesicht verzog sich zu einer Maske des Schmerzes. Vom Polizeidienst hatte man ihn suspendiert, weil man ihn für einen Spinner hielt. Jemanden, der den Tod seines einzigen Kindes nervlich nicht hatte verwinden können. Aber das war Rob Malloy völlig gleichgültig. Er war zu einem Vampirjäger geworden. Zu einem jener Männer und Frauen, die von dem Geheimnis dieser Nachtkreaturen wussten und ihre Herrschaft erbarmungslos bekämpften.

Viele gab es nicht von ihnen und die meisten starben irgendwann eines sehr gewaltsamen Todes.

So wie vor kurzem erst ein Vampir-Jäger namens Mircoi Robik, der Malloy in seine Methoden eingeführt hatte.

Mit ganzer Seele hatte Malloy sich dieser Aufgabe gewidmet. Er wollte Chase vernichten und so viele Vampire töten, wie irgend möglich. Ihre Anwesenheit auf der Erde glich in seinen Augen einer Pestilenz, die es mit allen Mitteln zu bekämpfen galt.

Dieser Aufgabe hatte Malloy sein Leben gewidmet.

Ein Geräusch riss ihn aus seiner inneren Versenkung heraus. Ein Schrei.

Von einer Sekunde zur anderen war er wieder im Hier und Jetzt. Er ließ

den Blick schweifen. Auch wenn ihn sein Revier-Chief vom aktiven Polizeidienst suspendiert hatte, so konnte er den Cop in sich nicht einfach so abschütteln. Innerlich blieb er mit Leib und Seele ein Polizist und daran würde sich nie etwas ändern.

Erneut war ein heiserer Schmerzensschrei zu hören, gemischt mit rauem Triumphgeheul.

Da war offenbar auf der anderen Seite der Ummauerung des Trinity Cemetery eine Schlägerei im Gange. Malloy zögerte nicht lange. So tief seine Trauer auch war, seine antrainierten Cop-Reflexe funktionierten noch tadellos. In seinem Job war es überlebenswichtig von einer Sekunde auf die andere alles andere verdrängen zu können und sich auf die Situation zu konzentrieren.

Malloy setzte zu einem Spurt an.

Augenblicke später erreichte er die graue, von wildem Wein überwucherte Mauer. Sie war etwa zwei Meter hoch. Er langte mit den kräftigen Händen hinauf und zog sich mit gewaltigem Schwung empor. Der Weg durch das Tor war zu weit. Auf der anderen Seite der Mauer war offenbar jemand in Not und brauchte schnell Hilfe.

Im nächsten Moment saß Malloy rittlings auf der Mauer, ließ dabei den Blick schweifen.

Vier kahl geschorene Männer mit Springerstiefeln und Baseballschlägern droschen auf zwei Farbige ein, von denen einer bereits ächzend am Boden lag. Der andere hatte eine stark blutende Platzwunde am Kopf. Brutal schlugen die Kahlköpfe auf die beiden ein - auch auf den, der am Boden lag und sich wie ein Embryo zusammenkrümmte.

"Lasst uns mit den Niggern ein bisschen spielen!", meinte einer der Kerle, grinste dreckig dabei und entblößte eine Zahnreihe aus Metall. Offenbar beteiligte er sich öfter an Schlägereien, war aber nicht immer als Sieger daraus hervorgegangen. JOIN THE ARYAN-AMERICAN

FRONT!!! stand mit drei Ausrufungszeichen, deren Punkte kleine Hakenkreuze waren. Er wirbelte herum, als er Malloy erblickte. Die anderen starrten Malloy eine Sekunde lang ungläubig entgegen. Der Ex-Cop sprang von der Mauer herunter, federte gekonnt ab. Malloy hatte keine Waffe dabei. Seine Dienstpistole hatte er seinem Chief abgeben müssen und die Waffen, die er als Vampirjäger benutzte, trug er nicht bei sich. Da Sonnenlicht für Vampire tödlich war, war es schließlich äußerst unwahrscheinlich, dass er am Tag auf einen von ihnen traf. Selbst wenn Nebel herrschte.

Malloy nahm Kampfhaltung ein.

Er war ein guter Nahkämpfer, der es im Notfall auch waffenlos mit jedem Fighter aufnehmen konnte.

Am liebsten hätte Malloy seine Marke gezogen und die Nazis einfach verhaftet. Aber seine Marke war beim Chief und würde dort auch erst einmal bleiben, so wie es aussah.

"Besser ihr verschwindet von hier!", knurrte Malloy. Der Kerl mit dem Metallgebiss grinste schief.

"Was bist du denn für eine Witzfigur?"

"Ich bin Cop!"

"Ach wirklich! Wow, jetzt haben wir aber Angst, was?" Die anderen lachten.

Einer, an dessen unter dem engen T-Shirt hevor quellenden Bizeps SSRunen auftätowiert waren, schwang provozierend seinen Baseballschläger. Die beiden Schwarzen waren für die Bande auf einmal uninteressant geworden. Sie hatten ein neues Opfer gefunden, um ihren Aggressionstrieb zu befriedigen. Der Kerl mit den SS-Runen stürmte auf Malloy zu. Der Angriff kam nicht überraschend. Der Baseballschläger wirbelte durch die Luft. Malloy duckte sich. Der mörderische Schlag ging ins Leere. Malloy ließ den Fuß vorschnellen. Blitzschnell ging das. Der wuchtige Tritt traf den Glatzkopf in der Magengrube. Er stöhnte auf, taumelte zurück, rang nach Luft.

Der zweite Karatetritt erwischte ihn exakt auf dem Solar Plexus. Der Kerl mit den SS-Runen krachte zu Boden, ließ sogar den Baseballschläger fallen.

Er schnappte nach Luft wie ein Fisch auf dem Trockenen. Die Augen quollen ihm aus den Höhlen.

Die drei anderen waren jetzt gewarnt. Einer von ihnen schlug dem Schwarzen, der noch auf den Beinen stand, den Baseballschläger in die Nieren, stieß ihm das Holz dann wenig später in den Bauch. Der Schwarze klappte wie ein Taschenmesser zusammen.

Zu dritt wandten sich die Kahlköpfe jetzt Malloy zu. Die Schläger schwangen durch die Luft, Malloy wich zurück. Eines der Hölzer erwischte ihn an der Schuler. Ein höllischer Schmerz durchzuckte ihn. Die drei kreisten ihn ein, grinsten.

"Zeigen wir's dem Niggerfreund!"

"Ja, hauen wie ihm die Rübe weg!"

"Du erkennst dich gleich nicht mehr wieder, wenn du in den Spiegel blickst, du Ratte!"

Malloy wirbelte herum. Von drei Seiten griffen sie an. Nur seine blitzschnellen Nahkampfreflexe retteten ihn vor einem Langzeitaufenthalt in der Klinik.

Als einer der drei sich einen Schritt zu weit vorwagte, nutzte Malloy seine Chance. Er kickte dem Kerl den Baseballschläger aus der Hand, schnellte dann vor, versetzte ihm einen gezielten Tritt, der ihn stöhnend zurückweichen ließ.

Um Haaresbreite verfehlte ihn in der nächsten Sekunde der Schlag des Mannes mit dem Blechgebiss. Gerade noch rechtzeitig war es Malloy gelungen auszuweichen. Er packte den Arm des Mannes, bog ihn herum, bis er brach. Der Kerl schrie auf. Malloy entriss ihm den Baseballschläger, wirbelte mit der Waffe herum. Sekundenbruchteile später hielt er sie mit beiden Händen schützend über sich, gerade noch rechtzeitig um einen mörderischen Schlag abzuwehren, der ihm andernfalls den Schädel zertrümmert hätte.

Holz traf auf Holz. Der dritte Kahlkopf hatte seinen Schläger mit beiden Händen gepackt und ihn mit aller Kraft auf Malloy niedersausen lassen. Das Gesicht des Kahlkopfs war eine verzerrte Maske. Malloy versetzte ihm einen Tritt zwischen die Beine. Der Kerl stöhnte auf, wich zurück.

Inzwischen hatte sich auch der Kerl mit den SS-Runen auf dem Oberarm wieder etwas erholt und rappelte sich auf. Die vier Kahlköpfe starrten Malloy grimmig an. Mit so viel Widerstand hatten sie nicht gerechnet. Sie hatten einiges einstecken müssen.

Malloy nahm Kampfhaltung ein, bleckte die Zähne.

"Na, los, was ist mit euch? Schon genug!" Sie hatten genug, aber keiner von ihnen hätte das zugeben mögen. In der Ferne ertönte in diesem Moment eine Polizeisirene.

"Los, weg hier!", knurrte der Kerl mit dem Blechgebiss und die anderen ließen sich das nicht zweimal sagen. Sie rannten davon. Malloy atmete tief durch.

Er wandte sich den beiden Schwarzen zu.

Die beiden rappelten sich mühsam wieder auf. Sie sahen ziemlich zerschunden aus, hatten geschwollene Augen und bluteten aus dem Mund und an einigen anderen Körperstellen.

Die Polizeisirene wurde lauter, dann schienen sich Malloys Kollegen wieder zu entfernen. Irgendjemand in der Gegend musste sie zu einem anderen Ort gerufen haben.

"Danke!", sagte der größere der beiden Farbigen. Sein Freund hatte offenbar einen Schlag mit dem Baseballschläger mitten ins Gesicht bekommen und dabei einige Zähne verloren. Das ganze T-Shirt war blutig. Er konnte nicht reden, wimmerte nur.

Malloy griff zum Handy.

"Heh, wen rufen Sie an?", fragte der Schwarze.

"Den Emergency Service und die Polizei."

"Nicht die Cops", sagte er.

"Wieso nicht?"

"Weil die uns nicht helfen werden!"

"Das ist doch Quatsch! Hört mal, die haben euch nach Strich und Faden zusammengeschlagen! Dafür müssen die zur Rechenschaft gezogen werden! Ich bin überzeugt, dass wir welche von denen in unseren Dateien mit Bild und Vorstrafen finden!"

Malloy nahm jetzt das Handy, rief den Emergency Service, dann seine Kollegen vom NYPD.

Der Schwarze, dem man das Gebiss zertrümmert hatte, lehnte benommen gegen die Mauer des Trinity Cemetery. Er stöhnte unablässig. Seine Schmerzen mussten furchtbar sein.

Der andere starrte Malloy ungläubig an.

"Sie sind ein Cop!", stellte er fest.

Malloy steckte das Handy zurück in die Innentasche seines Jacketts.

"Ich >war> ein Cop", korrigierte er.

"Vergiss es, Mann! Von deinen Kollegen wird keiner etwas für uns tun!

Am Ende sind wir die Dummen..."

"Habe >ich> euch geholfen oder nicht!"

"Ja, aber..."

"Na, also!"

Er atmete tief durch, blickte Malloy dann kopfschüttelnd an. "Wissen Sie, was das für Schläger waren?"

"Sicher."

"Aryan-American Front. Der Name müsste Ihnen was sagen!"

"Es gibt Dutzende solcher Organisationen. Aber wenn Sie vor Gericht gegen diese Kerle aussagen, dann...!"

Er lachte heiser. "Den Teufel werd ich!", rief er. Er deutete auf seinen Kumpel, den es ja weitaus schlimmer erwischt hatte. "Meinen Sie, ich will riskieren, dass diese Schweine mir noch mal auflauern und dafür sorgen, dass ich genauso aussehe wie >er>?"

"Aber so werden sie davonkommen!"

"Das werden sie so oder so, weil bei den Cops zu viele sind, die mit ihnen sympathisieren."

"Ich werde diese Sache nicht auf sich beruhen lassen!", versprach Malloy.

"Leeres Gerede!"

"Abwarten!"

*

Chase Blood ließ sich mit dem Expresslift bis in den 85. Stock des Empire State Building bringen. Hier hoch über der Stadt, residierte Fürst von Radvanyi, die Nummer eins unter den New Yorker Vampiren. Chase betrat das von düsterer Eleganz gekennzeichnete Büro des Fürsten. Wie stets war er in der Mode 18. Jahrhunderts gekleidet. Blutroter Gehrock, Kniebundhosen, Rüschenhemd. Sein schwarzes, von grauen Strähnen durchwirktes Haar war zu einem Zopf gebunden, der ihm etwa eine Handbreit über den Nacken hing. Rein optisch schien der Fürst ein Mittvierziger zu sein - in Wahrheit war er mehr als drei Jahrhunderte alt. Von seiner Residenz im Empire State Building aus regierte Franz, Fürst von Radvanyi, sein Imperium aus dem Verborgenen heraus. Es bestand aus einem Netz von Verbindungen und Einflüssen. Teile des organisierten Verbrechens standen ebenso unter seiner Kontrolle wie Behörden und Konzerne. Vor allem aber verlangte er Gehorsam von allen New Yorker Vampiren. Kein Blutsauger durfte sich im Einflussbereich des Fürsten aufhalten, dessen Aufenthalt nicht von der Nummer eins abgesegnet war. Immer wieder gab es mal Versuche anderer Vampire, in von Radvanyis Gebiet einzudringen. Aber jedem, der das versuchte, ging es schlecht. Ebenso den Vampirjägern, die hin und wieder auf sich aufmerksam machten.

Fürst von Radvanyi hielt mit gespreizter Hand ein langstieliges Glas mit Blut, als Chase den Raum betrat. Der Fürst leerte das Glas in einem Zug. Chase wusste seine Gesichtszüge gut genug zu deuten, um zu erkennen, dass ihm irgendetwas diesen Hochgenuss vergällte.

"Hi Chase! Du bist etwas spät dran, würde ich sagen!", sagte eine weibliche Stimme. Sie gehörte Petra Brunstein, die sich lasziv in einem der dunklen Sessel flezte.

Chase lächelte dünn.

"Bis gerade war das noch eine schöne Nacht, Petra!"

"Bis gerade roch es auch nicht so übel in diesen gediegenen Räumen."

"Muss an deinem Parfum liegen, Schätzchen!" Petra Brunsteins Augen funkelten bösartig. Aber sie hätte es niemals gewagt, ihre hypnotischen Kräfte an der Nummer zwei der New Yorker Vampire auszuprobieren. Sie war eine hinterhältige Katze - aber nicht dumm.

Sie hob das Kinn, was ihr einen Ausdruck von Überheblichkeit gab.

"Ich habe gehört, dass dir ein paar Typen in der letzten Nacht ziemlich zugesetzt haben, Chase!"

"Ach, ja? Wer sagt das denn?"

"Das pfeifen die Spatzen von den Dächern - oder die Fledermäuse in den Grüften, ganz wie willst, mein verehrter VIZEpräsident." Sie betonte das VIZE im Wort Vizepräsident auf eine Weise, die ihre ganze Verachtung zum Ausdruck brachte.

Chase musterte sie.

"Wenn du auf meine Position willst, dann musst du dir schon etwas mehr ausdenken, als nur ein paar flotte Sprüche!"

"Ach, mein Lieber, ich warte einfach ab, bis du einen Fehler machst. So wie dein Freund Thomas Waughn..."

Thomas Waughn war von dem selbsternannten Vampirjäger Rob Malloy der Schädel vom Rumpf geschlagen worden, woraufhin Chase' Kumpel zu Staub zerfallen war. Während des Kampfes hatte zwar auch Mircoi Robik, jener Vampirjäger, mit dem zusammen Malloy auf der Pirsch gewesen war, das Leben gelassen, aber für Chase war das ein schwacher Trost. Zumal er damit rechnen musste, Malloy wieder zu begegnen.

Malloy würde nicht locker lassen.

Schon um Madeleines wegen...

Jene Madeleine, die sich in ihn verliebt hatte und die er dann hatte töten müssen, weil sie seine Identität als Vampir erkannt hatte. Er hatte nicht einmal Zeit gehabt, ihr Blut richtig zu genießen, denn gerade in dem Augenblick war Malloy aufgetaucht...

Und dieser Mann war nach wie vor ein Problem.

Chase vermutete, dass Fürst von Radvanyi ihn auch deswegen einbestellt hatte.

Leider hatte er noch nicht allzu viel vorzuweisen, was diese leidige Angelegenheit anbetraf.

Was allerdings Petra hier zu suchen hatte, war ihm schleierhaft. Petra blickte an Chase hinunter und meinte dann: "Muss ziemlich anstrengend gewesen sein, deinen Körper wieder zusammenzuflicken. So viel Willensanstrengung hatte ich dir gar nicht zugetraut.... Soviel

>Charakter>!"

Sie kicherte.

"Wenn ich eure überaus freundliche Unterhaltung kurz unterbrechen dürfte!", meldete sich jetzt der Fürst zu Wort. Er sprach mit tiefem, vibrierendem Timbre. Eine Aura der Macht ging von ihm aus. Sein Tonfall hatte etwas an sich, dass selbst Petra zusammenzucken ließ. Sie richtete sich auf, schlug die Beine übereinander. Fürst von Radvanyi fuhr fort: "Ich habe euch beide keineswegs nur zum Vergnügen hier her bestellt, sondern weil es wichtige Dinge zu besprechen gibt. Dinge, die euch beide angehen." Er wandte sich an Chase.

"Stimmt das, dass du gestern angegriffen worden bist, Chase?"

"Ja, Herr."

"Von wem?"

"Nazis. Ich habe sie fertig gemacht. Aber sie waren verhältnismäßig gut vorbereitet. Sie hatten Pflöcke dabei, einer sogar eine Armbrust. Ein anderer hat versucht, mir mit einer Kettensäge den Kopf abzusägen."

"Die wussten also, worauf es ankommt!"

"Davon können wir ausgehen, Herr."

Fürst von Radvanyi atmete tief durch und wandte sich an Petra. "Und woher weißt >du> davon?"

"New York ist ein Dorf, Herr!", verteidigte sie sich. "Es hat die Runde gemacht. Und >so> viele Vampire gibt es im Big Apple ja nun auch wieder nicht..."

"Dann gibt es möglicherweise sogar Zeugen! Und das bedeutet zusätzliche Probleme!", schloss der Fürst. "Ihr kennt meine Politik der Unauffälligkeit. Es nützt keinem von uns, wenn wir zu offensichtlich an die Öffentlichkeit treten."

"Ich hatte keine Wahl, Herr. Ich musste mich verteidigen", sagte Chase. Der Fürst nickte.

"Ja, ich weiß. Das war auch keineswegs ein Vorwurf, sondern nur eine Analyse der Situation." Der Fürst trat etwas näher an Chase heran. Ein Muskel zuckte in seinem bleichen Gesicht. Er hatte die pergamentartig wirkende Haut gepudert, wie es zu der Zeit, aus der er stammte üblich gewesen war. Das verstärkte den Eindruck der Maskenhaftigkeit. "Eine Sache missfällt mir im übrigen ganz und gar ... Nämlich dass ich von dieser Sache >von euch> erst jetzt erfahre." Er wandte sich kurz zu Petra Brunstein herum. Sein dünnlippiger Mund verzog sich leicht dabei. Ein Ausdruck, in dem sich Verachtung und blanker Ärger mischten, zeichnete jetzt seine totengleichen Züge. Die Nasenflügel bebten leicht. Als er fort fuhr, sprach er mit ungewöhnlicher Intensität. "Weder >du>, Petra, noch mein werter Stellvertreter unter den Vampiren New Yorks hat es für nötig gehalten, mich >unverzüglich> zu informieren. Stattdessen erfahre ich von euch erst jetzt, eine Nacht später, offiziell von der Sache. Du hättest sofort zu mir kommen sollen, Chase - anstatt zu warten, bis die Gerüchte, die Petra aufgeschnappt hat, inzwischen auch bis zu mir gelangt sind!" Chase neigte den Kopf.

"Ja, Herr!"

"Wie süß er ist, wenn er so kleinlaut dasteht. Wie ein zurechtgewiesener Schuljunge!", amüsierte sich Petra.

>"Still!!"> fuhr Fürst von Radvanyi sie an. Sie zuckte regelrecht zusammen, schwieg auf der Stelle und senkte in ungewohnter Demut den Blick. Ihre Gesichtsfarbe drohte sich von einem Augenblick zum anderen der des Fürsten anzugleichen.

"Ich war ziemlich fertig nach dem Überfall gestern", gestand Chase. "Da waren ein paar schwere Verwundungen, die ich erst heilen wollte. Außerdem war es nicht mehr lange bis Sonnenaufgang und da..." Er verstummte und fuhr dann nach kurzer Pause fort. "Außerdem habe ich diesem Überfall keine >besondere> Bedeutung zugemessen. Mit Vampirjägern aller Art hatten wir es immer schon zu tun. Und diese waren noch nicht einmal besonders professionell."

"Das wird sich schnell ändern, fürchte ich!", erklärte der Fürst. "Wenn sich irgendeine dieser Nazi-Schlägerorganisationen von nun an der Vampirjagd verschrieben haben sollte, werden wir Probleme gekommen!

Denn diese Leute sind straff organisiert und verfügen über ein erschreckend gut ausgebautes Netzwerk!" Der Fürst machte eine weit ausholende Geste. Dann ging er zu dem Tisch, auf dem er sein Glas abgestellt hatte. Aus einer durchsichtigen Karaffe schenkte er sich nach. Er führte das Glas zum Mund, genoss einen Augenblick lang das Buket und trank dann. "Eine adelige Mademoiselle, Jahrgang 1732. Erinnert einen an den Geschmack der Jugend..." Er atmete tief durch. "Ich hätte niemals gedacht, dass es Methoden gibt, Blut so lange >so> frisch zu halten. Aber der Vampir, von dem ich die Flasche kaufte, war ursprünglich Konservator am Hof des Pharaos Ranetep..." Mit überraschender Schnelligkeit drehte sich der Fürst dann herum. Sein Blick war sehr intensiv. So weit seine Gedanken für Augenblicke auch abgeschweift sein mochten, jetzt war er wieder vollkommen konzentriert.

"Glaubst du, dass es einen Zusammenhang mit diesem Malloy geben könnte?", erkundigte sich der Herr der New Yorker Vampire dann. Chase zuckte die Achseln.

"Keine Ahnung, Herr. Möglich wäre schon. Schließlich ist dieser Malloy ein Cop und hat Zugang zu den Straftäter-Dateien. Da dürfte mindestens die Hälfte dieser Typen mit einschlägigen Vorstrafen drinstehen." Der Fürst hatte offenbar denselben Gedanken gehegt.

"Er könnte Kontakt zu ihnen aufgenommen und sie zur Vampirjagd angestiftet haben! Soll es nicht bei Teilen der Polizei mitunter sogar Sympathien für diese Schlägergruppen geben, die auf ihre Art für Ordnung sorgen - oder für das, was sie dafür halten?"

"Ja, Herr, das sagt man."

"Ich möchte, dass du mehr darüber herausfindest, Chase."

"Ja, Herr."

"Die Sache hat absolute Priorität. Wir müssen diesen Feind zertreten, bevor er uns über den Kopf wächst."

Chase lächelte dünn.

"Mit Vergnügen, Herr. Ich hasse diese Nazis ohnehin. Normalerweise vergreifen sich diese intoleranten Fanatiker vornehmlich an Schwächeren. So etwas kann ich auf den Tod nicht ausstehen..."

*

Malloy hatte den Großteil des Tages verschlafen, denn in der Nacht wollte er nach Vampiren Ausschau halten.

Vor allem hoffte er, endlich wieder eine Spur von Chase zu finden, dem Mörder seiner Tochter.

Immer wieder hatte er Orte aufgesucht, von denen er wusste, dass seine Tochter sich dort des Öfteren aufgehalten hatte. Vielleicht sogar mit Chase. Malloy wusste, dass ein guter Jäger vor allen Dingen Geduld haben musste. Genauso wie ein guter Cop, der sich an eine Spur geheftet hatte. Ein langer Atem war notwendig, um dann im richtigen Augenblick zuzuschlagen. Doch da war noch etwas anderes, was ihm keine Ruhe gelassen hatte. Die Sache mit den beiden Farbigen, die so brutal von den Nazi-Schlägern verprügelt worden waren. Vermutlich wären die beiden nicht mehr am Leben, wenn ich nicht dazwischen gegangen wäre!, dachte Malloy. Streng genommen ging ihn die Sache nichts mehr an. Schließlich war er suspendiert. Er hatte es seinen Kollegen gemeldet und jetzt mussten die sich darum kümmern. Allerdings hatte Malloy Zweifel daran, dass die diese Angelegenheit mit besonderer Intensität verfolgen würden. Zumal die beiden Schwarzen nicht bereit waren, irgendeine Aussage zu machen. Sie hatten Angst. Malloy konnte das in gewisser Weise sogar verstehen. Andererseits war es so ziemlich aussichtslos, den Schlägern das Handwerk zu legen. Und es war nur eine Frage der Zeit, wann diese selbsternannten Kämpfer für ein arisches Amerika sich jemand anderen vornahmen, von dem sie meinten, dass er kein Recht habe, unbescholten durch die Straßen dieser Stadt zu gehen. Und dann war vielleicht niemand in der Nähe, der eingreifen konnte... Malloy hatte ein starkes Gefühl für das Recht an sich. Das war seine Motivation gewesen, zur Polizei zu gehen. Und auch wenn er gegenwärtig keine Marke trug, so änderte das nichts an seiner inneren Einstellung. Wenn es möglich war, wollte Malloy in der Sache etwas unternehmen. Zumindest die Ohren offen halten.

Malloy aß an diesem Tag in einer Snack Bar am Broadway. Er war schon eine ganze Weile nicht mehr hier gewesen. Die Hot Dogs waren auch nichts Besonderes. Aber am Tresen von BILLY'S 24 HOURS FAST SNACK

stand ein Mann namens Cole Denninger. Denninger hatte Kontakt zu verschiedenen rassistischen und rechtsradikalen Gruppen und war selbst einige Zeit dort aktiv gewesen. Er hatte mehrere Verurteilungen wegen Körperverletzung hinter sich und war zurzeit auf Bewährung draußen. Malloy hatte sich dafür eingesetzt, dass Denninger einen Job bekam. Dafür versorgte Denninger ihn mit Informationen aus der rassistischen Schlägerszene, wenn Malloy sie brauchte. Denninger hatte sich zwar innerlich vom Gedankengut seiner ehemaligen Gesinnungsgenossen weitgehend losgesagt, die Kontakte zu den alten Kumpels aber nie abreißen lassen. Dass er sich nicht mehr an ihren Aktionen beteiligte, verstanden sie weitgehend. Schließlich war ihnen klar, dass Denninger im besonderen Visier der Justiz stand und sofort für mehrere Jahre nach Riker's Island wanderte, wenn er sich irgendetwas zu schulden kommen ließ.

"Hi, Cole!", begrüßte Malloy den jungen Mann. In den letzten Monaten hatte er sich sogar seine Haare ein paar Zentimeter wachsen lassen. Das war eine Bedingung von Billy Cardano, dem Inhaber der Snack Bar gewesen, um Denninger überhaupt einzustellen. Außerdem hatte sich der junge Mann verpflichten müssen, keine ärmellosen T-Shirts zu tragen, damit man die an den Schultern eintätowierten Hakenkreuze nicht sehen konnte. Schließlich sollten die Gäste nicht verschreckt werden.

Denninger erstarrte einen Moment, als er Malloy erkannte.

"Hi!", murmelte er.

"Einen Big Dog Standard mit wenig Ketchup. Schließlich habe ich keine Lust, mich mit der Soße zu beplempern."

"Kommt sofort, Mr. Malloy."

Malloy stellte sich an einen der Stehtische. Ein paar Minuten später kam Denninger zu ihm an den Tisch.

"Ich brauche ein paar Informationen, Cole!", sagte Malloy. Denninger blickte sich um. Nur ein alter Mann las an einem der Tische seine Zeitung und trank dabei ein Bier.

"Worum geht es?", fragte Denninger.

"Die ARYAN AMERICAN FRONT. Haben Sie davon gehört, Cole?" Er nickte. "Habe ich."

"Was wissen Sie darüber?"

"Muss eine besonders radikale Gruppierung sein. Die sind dafür bekannt, brutal hinzulangen. Aber sie haben Zulauf, weil sie >etwas unternehmen>, wie meine Kumpels sagen. Sie hauen halt alle kurz und klein, die sie für minderwertig halten. Schwarze, Juden, asiatische Einwanderer und Vampire."

Malloy blickte auf. "Vampire?"

"Naja, im übertragenen Sinn natürlich. Blutsauger der Gesellschaft. Obdachlose und Behinderte zum Beispiel."

"Ach so. Kannst du mir mit ein paar Namen weiterhelfen?" Denninger zögerte. "Ich schulde Ihnen 'ne Menge, Mr. Malloy, aber... Die schlagen mich tot, wenn das rauskommt."

"Ich weiß, Cole. Aber Sie wissen auch, dass Sie sich auf mich verlassen können!"

Denninger atmete tief durch.

"Okay", meinte er.

*

Chase erreichte das Haus 345 Kenroy Street am Rande vom Queens. Es war ein heruntergekommenes Brownstone Haus. Fürst von Radvanyi hatte Chase mit Informationen versorgt, die direkt aus den Computern von FBI und NYPD stammten. Unter anderem eine Liste von Namen und Adressen von Leuten, die der so genannten ARYAN-AMERCIAN FRONT

angehörten und wegen verschiedener Straftaten verdächtigt oder überführt worden waren. Zumeist Körperverletzung und illegaler Waffenbesitz. Und einer dieser Namen war Bart Conroy. Er wohnte hier. Chase stellte die Harley ab und blickte sich um.

Es war eine üble Gegend.

Kein Ort, um nachts spazieren zu gehen.

Chase ging zum Eingang. Er warf einen kurzen Blick auf die Namen an den Klingeln. Gut dreißig Parteien wohnten hier. Bart Conroys Name war dabei. Er wohnte im fünften Stock. Chase dachte nicht daran, ihn durch die Betätigung der Klingel zu warnen. Ein kräftiger Ruck und die Tür war aufgebrochen. Weitere Sicherheitsvorkehrungen, wie VideoÜberwachungsanlagen oder Security Guards waren in einem Haus wie diesem nicht zu erwarten.

Der Aufzug war defekt.

So musste Chase die Stufen bis zum fünften Stock zu Fuß hinter sich bringen. Er nahm immer drei bis vier von ihnen mit einem gewaltigen Schritt.

Ein paar Minuten später stand er vor der Tür.

Chase dachte nicht daran, irgendwelche Zeit mit Höflichkeiten zu vertun. Er stieß die Tür auf. Seiner geballten Vampirkraft hatte sie nichts entgegenzusetzen. Das Schloss brach einfach aus dem Holz heraus, desgleichen die Metallkette und ein eigens angebrachter Riegel. Chase stand in einem grell erleuchteten Flur.

"Bart Conroy?", fragte er. "Sind Sie hier irgendwo? Ich brauche ein paar Informationen von Ihnen!"

Eine Tür ging auf.

Ein Mann mit ziemlich kurz geschorenen Haaren starrte dem Vampir mit weit aufgerissenen Augen entgegen. Das nackte Entsetzen stand ihm im Gesicht.

"Conroy? Erzählen Sie mir etwas über die ARYAN-AMERICAN

FRONT!", forderte er.

"Wer sind Sie? FBI? Cops?" Conroy zitterte, wich dann kopfschüttelnd zurück. Chase bleckte die Zähne, ließ für einen Moment das Vampirgebiss hervorblitzen. Er wollte den Kerl etwas einschüchtern, was ihm gründlich gelang. Conroy schlug die Tür zu, räumte irgendetwas davor. Chase hörte ein schabendes Geräusch, so als ob ein Schrank verschoben wurde. Versuch's nur! - Aber du entkommst mir nicht!, dachte der Vampir. Er hatte keinen Grund zur Eile. Die einzige Möglichkeit für Conroy, um aus seiner Wohnung zu entkommen, wäre ein Sprung aus dem Fenster gewesen. Mochte er auch einer ziemlich unlogischen und widersprüchlichen Ideologie anhängen - so dumm war er dann doch nicht. Hoffte Chase jedenfalls.

Denn sonst wäre er umsonst gekommen.

Er versuchte die Tür zu öffnen. Irgendetwas drückte von der anderen Seite dagegen. Chase warf sich mit der Schulter dagegen. Ein beachtlicher Spalt entstand. Groß genug, um hindurchzugehen. Chase Blood setzte seinen Fuß in das Zimmer.

In dem Raum herrschte ziemliches Chaos. Auf einem niedrigen Tisch standen mindestens zwei dutzend Bierdosen. Die meisten davon wohl leer. Der Wandschmuck bestand aus Militaria-Trödel. Eine Hakenkreuzfahne war dabei, mehrere Bajonette und SS-Dolch mit der eingravierten Aufschrift BLUT UND EHRE. Dieselbe Aufschrift hatte Conroy sich auf den Unterarm tätowieren lassen. Die Deutsch-Kenntnisse des Tätowierers hatten sich wohl in engen Grenzen gehalten oder er hatte einfach nicht richtig hingeguckt. Jedenfalls stand auf Conroys Unterarm BLUT UND

EHE. Chase hatte das in Großaufnahme in den Unterlagen gesehen, die über den Fürst in seine Hände gelangt waren.

Conroy saß auf dem mit Chips übersäten Teppich.

In der linken hielt er ein Handy.

"Schnell! Helft mir!", brüllte er, ließ dann den Apparat sinken, als er zu Chase hinaufstarrte. Mit der rechten Hand hielt er eine kleine MiniArmbrust. Ein Sportgerät, das zum Einhand-Betrieb geeignet war. Nur, dass sie keinen Stahlbolzen, sondern einen angespitzten Holzpflock geladen hatte.

Ehe Chase reagieren konnte, hatte Conroy die Waffe hochgerissen. Der Pflock surrte durch die Luft.

Er traf.

Chase schrie auf.

Er bekam das Holz ins linke Auge. Die Wucht des Geschosses riss den Vampir zurück, ließ ihn gegen die Wand taumeln und nagelte ihn förmlich fest. Chase versuchte sich festzuhalten, riss einiges von dem MilitariaPlunder hinunter. Unterdessen ließ Conroy das Handy zu Boden fallen. Eine krächzende Stimme war daraus zu hören. Es klang fast wie eine Art mechanisches Zirpen. Conroy versuche mit panischer Hektik, einen weiteren angespitzten Pflock in die Einhand-Armbrust zu legen. Mit dem Spannen klappte es erst nicht. Er war einfach zu nervös. Es dauerte quälend lange Augenblicke, bis er es endlich geschafft hatte.

Conroys Gesicht gewann etwas von seiner eigentlichen Farbe zurück. Er stand auf.

Ein triumphierendes Lächeln stand auf seinem Gesicht, als er auf Chase Blood zuging. Wie ein Matador, dem der Stier den Todesstoß versetzen will.

"Ins Herz muss man treffen", sagte er düster. "Und genau das wird jetzt passieren."

Chase war Augenblicke lang vor lauter Schmerz nicht in der Lage irgendetwas zu tun. Vor allem war sein Gesichtssinn behindert. Er lehnte gegen die Wand.

Gut eine Handbreit ragte der Pflock aus dem Auge heraus. Chase umfasste ihn mit der Rechten, biss die Zähne zusammen und riss den Pflock heraus.

Er schleuderte ihn mit so gewaltiger Wucht von sich, dass er wie ein Geschoss wirkte.

Conroy musste sich ducken.

Chase schnellte zur Seite.

Der Pflock, den Conroy in derselben Sekunde abschoss, bohrte sich in die Wand. Chase ließ den Fuß hochschnellen. Ein Karatetritt traf Conroy mit voller Wucht am Hals. Wie ein gefällter Baum ging er zu Boden, fiel schwer hin. Er blieb in eigenartig verrenkter Haltung liegen. Zweifellos war er tot.

Chase sah auf ihn herab. Er dachte nicht im Traum daran, Conroys Blut zu trinken. Nein, dachte er, nicht das Blut von >so einem>. Chase'

Geschmack war vielleicht nicht von der morbid-erhabenen Erlesenheit des Fürsten, aber es gab Grenzen des inneren Ekels, die er einfach nicht überschreiten mochte.

Chase stieg über den toten Nazi hinweg, hob dessen Handy auf. Die krächzende Stimme auf der anderen Seite der Leitung war längst verstummt, die Verbindung unterbrochen. Aber das machte nichts. Das Menü eines Handys war eine hervorragende Methode, um etwas über jemanden herauszufinden. Die Nummern der letzten zehn angenommenen, selbst gewählten und verpassten Gespräche wurden beispielsweise automatisch gespeichert. Chase würde sich später damit befassen. Er steckte es ein und begann damit, sich in der Wohnung umzusehen. Vielleicht konnte er irgendwelche Hinweise finden, die ihn weiterbrachten. Sein Auge begann sich langsam wieder zu regenerieren. Das war auch dringend notwendig, denn als Einäugiger griff man ziemlich häufig daneben.

Chase fand nicht viel. Einiges an Propagandamaterial, darunter auch eine schlecht kopierte Broschüre, in der über den Kampf gegen Vampire informiert wurde. Chase steckte sie ein, genauso wie ein Adressverzeichnis. Schließlich verließ er die Wohnung.

Minuten später trat er ins Freie. Ein paar Schritte noch bis zu seiner Harley.

Ein Chevy hielt mit quietschenden Reifen.

Zwei Männer sprangen heraus.

Offenbar hatten sie die Broschüre zur Vampirbekämpfung eingehend gelesen. Jedenfalls trugen sie Armbrüste mit Pflockgeschossen und lange Macheten, um einem Vampir den Kopf vom Körper zu trennen. Ein dritter Mann saß im Wagen. Der Motor lief.

Die beiden Armbrustschützen näherten sich Chase. An ihren kurzen Haaren, ihren T-Shirts und den Springerstiefeln konnte man erkennen, dass sie wohl zu Conroys Gesinnungsgenossen gehörten. Vermutlich hatte Conroy es gerade noch geschafft, die beiden per Handy zu rufen, bevor Chase ins Zimmer gestürmt war.

Die beiden Armbrust-Männer verteilten sich, versuchten Chase von zwei Seiten gleichzeitig anzugreifen.

Chase' Auge war noch immer nicht soweit regeneriert, dass er damit wieder sehen konnte. Auch wenn sich schon viel getan hatte, so sah die Wunde äußerlich immer noch scheußlich aus.

"Jesus, was ist denn mit dem passiert!", meinte einer der beiden erstaunt. Chase verzog das Gesicht zu einem sarkastischen Lächeln.

"Wusste gar nicht, dass ihr den auch kennt!", knurrte er. Es dauerte ein paar Sekunden, bis den beiden die Erkenntnis kam.

"Der hat Bart fertig gemacht!", meinte einer der beiden.

"Wahrscheinlich das Blut ausgesaugt!"

"Machen wir es fertig, dieses Vampirschwein!"

"Ja, machen wir ihn platt - so wie die Niggerbande letzte Woche!" Der erste Pflock surrte durch die Luft.

Chase vollführte eine blitzschnelle Handbewegung, die Ähnlichkeit mit einem Karateschlag besaß. Er traf das Holz in der Luft, lenkte es zur Seite ab. Es klackerte auf den Asphalt. Chase spurtete los. Der zweite Schütze zögerte. Ein Fehler. Chase erreichte den Mann, der auf ihn geschossen hatte. Dieser warf jetzt die Armbrust zur Seite, weil er genau wusste, dass er keine Chance hatte, noch rechtzeitig ein zweites Holz einzulegen. Er trug noch drei davon am Gürtel. Aber die nützten ihm jetzt nichts. Er riss die Machete heraus, ließ sie durch die Luft wirbeln. Sein Kumpane schoss immer noch nicht seine Armbrust ab. Wohl aus Angst, den Falschen zu treffen.

Chase fing den Schlag seines Gegenübers ab.

Er packte den Kerl am Unterarm, drückte zu, bis die Knochen knackten und die Machete zu Boden fiel.

Er tötete ihn nicht. Noch nicht.

Mit nervösen Fingern stand der zweite Mann da, zielte mit der Armbrust. Chase sah dem Kerl in die Augen. Der Vampir hatte es im Gefühl, wann sein Gegenüber den Pflock abschießen würde. Schließlich hatte er genug Erfahrung mit Vampirjägern.

Genau im richtigen Moment schleuderte er den Kerl, den er gepackt hatte herum. Der Pflock durchbohrte den Brustkorb. Chase stieß den Toten zu Boden.

Der Armbrustschütze war bleich geworden.

Die Tatsache, dass er seinen Komplizen erwischt hatte lähmte ihn für eine Sekunde.

Lange genug jedenfalls, um Chase einen Vorteil zu geben. Er stürmte los. Der Armbrustmann schleuderte ihm seine Waffe entgegen. Chase wehrte sie mit einer Handbewegung ab. Sein Gegenüber kam gerade noch dazu die Machete zu ziehen, da hatte Chase ihn gepackt und meterweit von sich geschleudert. Er kam auf die Kofferraumhaube des Chevys auf. Das Blech knackte. Die Kochen und das Genick des Neo-Nazis auch. Der Fahrer bekam Panik, trat auf das Gaspedal. Die Leichen der Neo-Nazis blieben zurück, während der Chevy mit quietschenden Reifen an der nächsten Ecke bremste und dann abbog.

Chase ging zu seiner Harley.

Die Jagd auf die Jäger konnte beginnen.

*

Der Mann hatte ernorme Muskeln, die sich unter dem hautengen schwarzen T-Shirt hervorwölbten. Sein Kopf war völlig kahl. Er trug eine enge Hose aus schwarzem Leder, die von einem breiten Gürtel gehalten wurde. Die Schnalle hatte die Form eines Totenkopfs. Die dazugehörigen Knochen wiesen die Form eines Hakenkreuzes auf.

Der Mann trug ein Armee-Holster am Gürtel, in dem eine Automatik steckte.

Die gewaltigen Arme waren vor der Brust verschränkt. Er stand vor dem Mikrofon, sagte aber kein Wort. Stattdessen ließ er den Blick über seine Zuhörerschaft gleiten, die aus etwa hundert überwiegend kahlköpfigen und martialisch angezogenen Angehörigen der ARYAN-AMERICAN FRONT

bestand.

Es herrschte Stille in der alten Fabrikhalle, irgendwo auf einem brachliegenden Industriegrundstück in der Nähe des alten Navy Yards. Ein Ort, wie geschaffen für geheime Zusammenkünfte.

Man hätte eine Stecknadel fallen hören können, so leise war es.

"Ihr kennt mich!", sagte der Kahlkopf hinter dem Mikrofon. "Ich bin Rick Stanley. Marv Jennings, der Begründer der ARYAN-AMERICAN

FRONT hat mich zum Leiter der Kampfsektion New York bestellt." Konzentrierte Aufmerksamkeit herrschte unter den Kahlköpfen. Wie gebannt starrten sie auf Stanley. Dieser wusste seine rhetorischen Pausen geschickt einzusetzen, um diesen Zustand noch zu steigern. Das spärliche Licht, dass in der alten Fabrikhalle herrschte, tat ein übriges, um ihm eine geheimnisvolle Aura zu geben. Sein Schatten stand überlebensgroß an der grauen Wand.

"Mein Vorgänger Jack Trevor starb leider vor kurzem im Kampf gegen den Feind - einem furchtbaren neuen Feind, der sich uns erst vor kurzem offenbart hat. Jeder von euch dürfte schon von der Bedrohung durch die Vampire gehört haben. Diese Blutsauger beherrschen uns aus dem Hintergrund heraus. Niemand weiß, wie viele es wirklich von ihnen gibt. Aber es werden täglich mehr. Die Konvertierung findet dadurch statt, dass einem Opfer das Blut ausgesaugt und ihm anschließend Vampirblut zu trinken gegeben wird... So breitet sich das Böse immer weiter aus. Manche dieser Wesen der Nacht sehen aus wie Bestien, aber die meisten von ihnen unterscheiden sich äußerlich nicht von den braven Bürgern, die täglich ins Büro gehen, um dort ihrer Arbeit nachzugehen. Sie können kein Sonnenlicht ab und ein Pflock ins Herz ist tödlich! Dieses Wissen müssen wir ausnutzen. Nur ein paar armselig ausgestattete vorwiegend einzelgängerische Vampirjäger haben bist jetzt den Kampf gegen diese Bestien aufgenommen. Aber sie waren letztlich chancenlos gegen diesen übermächtigen Gegner. Wer weiß schon, an welchen Hebeln der Macht in unserem Land sie bereits sitzen! Niemand weiß das genau. Wir können es nur vermuten..."

Wieder machte Stanley eine Pause.

Dann fragte er: "Seid ihr bereit, Eure Seele im Kampf gegen das Böse zu opfern?"

"Ja!", riefen die Zuhörer.

"Seid ihr bereit alles zu riskieren, um diesen Bestien endlich Einhalt zu gebieten?"

"Ja!", kam es zurück.

"Seid ihr bereit, all die zu rächen, die bereits von diesen Monstern umgebracht wurden?"

"Ja!"

"Keine Gnade mit ihnen, sag ich! Denn sie hatten auch keine Gnade mit irgendjemandem! Seit Äonen wandeln sie unter den Menschen und ernährten sich von dem Blut der besten unter ihnen... Das darf nicht so weitergehen!"

"Nieder mit den Vampiren!", kam ein etwas chaotischer Chor zurück.

"Schlagt ihnen die Köpfe ab! Pfählt sie!" Ein rhythmischer Sprechgesang entstand. "Pfäh-len! Pfäh-len! Pfäh-len!" Rick Stanley nickte wohlgefällig.

Er hörte sich die Kampfrufe seiner Anhänger einige Zeit lang an, dann hob er schließlich die Hand.

Von einem Augenblick zum anderen herrschte wieder jene aufmerksame Stille, die die Versammlung auch schon zuvor gekennzeichnet hatte. Die jungen Männer - einige wenige Girls waren auch darunter - hingen geradezu an den Lippen ihres Anführers. Jedes Wort, das über dessen spröde Lippen kam, saugten sie begierig in sich hinein. Sie schienen vollkommen gefangen zu sein von der Stimme des Chefs der Kampfsektion New York. Und Stanley genoss diesen Zustand sichtlich. Ein verhaltenes Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Es zeigte so etwas wie Triumph. Er hatte diese Leute da, wo er sie hinhaben wollte. Sie waren Wachs in seinen Händen. Willenlose Werkzeuge im Dienst jener Sache, die er für 'die gute'

hielt.

"Ein Verbündeter unserer Vampir-Feinde ist die Unwissenheit und die Ignoranz der Allgemeinheit. Die meisten Menschen weigern sich einfach zu akzeptieren, dass es Vampire überhaupt gibt. Das gilt für die Wissenschaft, in deren Denkschema Vampirismus einfach nicht hineinpasst. Aber es gilt natürlich auch für die Polizei, bei der ich manchmal den Eindruck habe, dass der Feind sie längst unterwandert hat."

Zustimmendes Gemurmel entstand.

Stanley fuhr fort: "Aber wen mag das wundern, angesichts der Tatsache, dass bei den Cops inzwischen auch Schwarze, Juden und Asiaten Dienst tun. Auch sie zersetzen unser Land von innen her, höhlen es aus, bis es wie eine leere Nussschale sein wird! Ohne nennenswerte Substanz! Amerika muss von diesen genetisch minderwertigen Subjekten gereinigt werden!

Wir Arier müssen uns diesen Kontinent, den die Vorsehung uns einst gegeben hat, zurückerobern!"

"Ja, macht sie fertig, die Nigger!", rief jemand.

"Wenn sich unsere Gedanken erst allgemein durchgesetzt haben, werden sich die Arier in Amerika erheben und all die anderen hinausjagen, die jetzt noch auf unsere Kosten hier leben!"

Wieder erscholl zustimmendes Gemurmel.

Hier und da brandete Applaus auf.

Stanley hatte sein Publikum jetzt an einem Punkt, wo es ihm jeden Schwachsinn glaubte. Selbst völlig unlogische Argumente konnten jetzt nur noch für Beifall sorgen. Stanley redete sich in Rage. Er schlug einen ziemlich willkürlichen Bogen von der Vampirgefahr zu Personengruppen, die er ebenfalls als 'Blutsauger der Gesellschaft' bezeichnete. Behinderte und Obdachlose zum Beispiel, die angeblich auf Kosten der Allgemeinheit lebten. Letztere seien auch für die Verbreitung von Krankheiten verantwortlich und würden Vampire durch ihre Lebensweise geradezu zum Blutsaugen herausfordern.

Die Zuhörer fanden das erstaunlicherweise völlig plausibel. Ein großer Teil von ihnen hatte schon ziemlich viel getrunken und bekam wahrscheinlich auch gar nicht mehr so genau mit, worum es eigentlich ging. Wenn gebrüllt wurde, brüllten sie mit. Und das Beste kam ja noch. Denn die ARYAN-AMERICAN FRONT war schließlich dafür bekannt, dass sie ihren Mitgliedern jede Menge >Action> bot.

Genau auf diesen Punkt kam Stanley jetzt zu sprechen.

"Unser Kampf gegen die Vampirgefahr findet zwangsläufig im Verborgenen statt", erklärte er. "Aber hin und wieder müssen wir auch ein öffentliches Zeichen setzen! Eine Aktion, die in die Medien kommt und diese schlaffe, plutokratische Gesellschaft endlich aufrüttelt. Als Ziel der nächsten Großoperation habe ich ein so genanntes Obdachlosenasyl vorgesehen..."

Die Kahlköpfe brüllten vor Begeisterung.

Darauf hatten sie die ganze Zeit gewartet!

Dafür ertrugen sie auch langatmige Reden, deren Sinn sie ohnehin nur zum Teil begriffen.

*

Malloy erreichte das abgelegene Gelände von Dellrey & Sons, einer Drahtzieherei in West New York, deren Besitzer untergetaucht waren, seit die Firma zahlungsunfähig geworden war. Seit einigen Monaten lief das Insolvenzverfahren und die Anwälte stritten sich um die Zukunft des Geländes. Von Cole Denninger hatte Malloy erfahren, dass einige Anhänger der ARYAN-AMERICAN FRONT hier Schießübungen durchführten.

Darunter auch ein Kumpel von Denninger, den Malloy ganz gut kannte, da er ihn mehrfach verhaftet hatte. Roy Sands war sein Name und Malloy war mit ihm aneinander geraten, als er noch als rabiater Schuldeneintreiber eines kriminellen Inkasso-Büros tätig gewesen war.

Fünf Mann waren auf dem Gelände. Ein paar Fahrzeuge standen herum. Malloy stellte seinen Wagen dazu, stieg aus.

Die MPi trug er in einem Spezialholster am Bein. Er musste den Typen auf jeden Fall an Feuerkraft soweit überlegen sein, dass sie es nicht einmal im Traum erwogen, auf ihn zu schießen.

Er ging ihnen entgegen.

Sie blickten zu ihm hinüber. Einer von ihnen trug ein Pump Action Gewehr in den Händen, die anderen waren mit Armbrüsten ausgerüstet. Auf ein angerostetes Wellblechtor war der Umriss eines menschlichen Körpers mit Kreide aufgemalt. Jener Punkt, an dem sich das Herz befinden musste, war besonders gekennzeichnet. Mit einem Hakenkreuz. Erstaunt registrierte Malloy, dass sie mit Holzpflöcken schossen. Angespitzte Holzpflöcke! Als ob sie auf Vampirjagd gehen!, durchzuckte es ihn.

Hatten sie in den blutsaugenden Kreaturen der Nacht inzwischen einen neuen Gegner gefunden?, überlegte der Vampirjäger. Sein nächster Gedanke war von Sarkasmus geprägt. Immerhin hätten sie dann endlich mal einen Gegner, der sich nicht so einfach plattwalzen und zusammentreten lässt!, dachte er.

Sie musterten ihn abwartend.

Malloy hatte die Hand an der MPi, war jederzeit dazu bereit, sie herauszureißen und in Anschlag zu bringen. Schnell genug reagieren, um den Kerl mit dem Pump Action Gewehr niederzustrecken, bevor dieser seine Waffe abfeuerte, konnte er allemal.

Malloy hatte sich die MPi dafür besorgt, Vampire im Nahkampf auf Distanz zu halten. Töten konnte man sie damit nicht, aber man konnte auf diese Weise die notwendigen Sekunden gewinnen, um den nächsten Pflock in die Armbrust einzulegen und ihm dann ein Ende zu bereiten. Malloy war nicht darauf aus, sich mit den kahlköpfigen Schlägern zu schießen.

Die Waffe an seiner Seite war lediglich eine Art Lebensversicherung. Eine letzte Option, wenn diese Kerle durchdrehten. Und das konnte man nie ganz ausschließen.

Er ließ den Blick schweifen.

Schnell hatte er Roy Sands gefunden.

Dieser hatte ihn auch sofort erkannt.

"Sands!", rief Malloy. "Ich muss mit Ihnen sprechen. Jetzt!"

"Wer ist der Typ?", fragte einer anderen.

"Malloy. Ein Cop."

"Lieutenant Detective Malloy!", ergänzte der Vampirjäger. "Soviel Zeit muss sein. Und wenn Sie sich nicht ein bisschen beeilen, Sands, dann ist Ihre Bewährung im Arsch!"

Ein Ruck ging durch Sands.

Er war etwas unsicher. Malloy näherte sich noch ein bisschen. Die anderen warteten ab. Wenn Sands das falsche Signal gab, waren sie mit Sicherheit bereit, den Ex-Cop einfach niederzumachen. An die Konsequenzen für ihr eigenes Leben dachten sie dabei nicht. Malloy hoffte, dass Sands es wenigstens tat und die Nerven behielt. Und dazu musste Malloy ihnen eine gute Geschichte erzählen.

"Da ist noch eine alte Sache, Sands", begann er, "Ist jetzt erst ans Tageslicht gekommen. Vielleicht hast du ja nichts damit zu tun."

"Worum geht's?", rief er.

"Bespreche ich ungern hier draußen. Setz dich in meinen Wagen und wir klären die Sache."

"Vor meinen Freunden habe ich keine Geheimnisse!"

"Aber ich!", erwiderte Malloy. Er verengte die Augen, fixierte Sands mit seinem Blick. "Wenn du mir Schwierigkeiten machst, dann gehe ich vielleicht doch besser davon aus, dass du damals nicht nur Zeuge sondern Täter warst..."

Sands zögerte noch einen Augenblick, dann nickte er. "Ich komme gleich zurück!", sagte er seinen Kumpanen. Er ging auf Malloy zu. "Na, los, worauf warten wir noch?"

Sie erreichten Malloys Wagen.

Sands nahm auf dem Beifahrersitz Platz.

Die Gruppe beobachtete misstrauisch die Szene.

Sands atmete tief durch, dann entdeckte er die beiden Pflock-Geschosse, die auf dem Boden zu seinen Füßen lagen.

Er starrte Malloy erstaunt an.

"Sie... Mein Gott, Sie jagen Vampire?"

"Wir reden jetzt über Sie, Sands!"

"Mann, wir haben denselben Feind! Wir sind Verbündete Malloy! Haben Sie nicht gesehen, was die Jungs da machen? Sie versuchen, die Holzpflock-Armbrüste effektiver einzusetzen, damit nicht so viele von uns dran glauben müssen, wenn wir einem dieser Monstren begegnen." Sands Augen waren weit aufgerissen. Sein Gesicht wirkte fast freundlich. "Mann, das hätte ich nie gedacht! Malloy, der rechtschaffene Cop, jagt Vampire..." Er schüttelte den Kopf. "Malloy, wir sind Verbündete!"

"Nein, das sind wir nicht!", erwiderte Malloy kalt. Einen Augenblick lang nur hatte der Ex-Cop darüber nachgedacht, sich mit diesen Leuten zusammenzutun. Schließlich hatte er in seinem einsamen Kampf gegen das Böse so gut wie keinerlei Bundesgenossen, seit Mirco Rubik tot war. Höchstens noch Rachel Shapiro, die attraktive FBI-Agentin, die er kennen gelernt hatte. Aber sie war keine Vampirjägerin im eigentlichen Sinn, auch wenn sie die Existenz dieser Wesen immerhin als gegeben hinnahm. Aber ihr fehlte der unbändige Hass auf das Böse, der Malloy antrieb, seit seine einzige Tochter einem dieser grauenerregenden Nachtkreaturen zum Opfer gefallen war. Dieser Hass war es, der Malloy antrieb und ihn nicht ruhen ließ. Dabei nahm er keinerlei Rücksicht auf sich selbst. Der Kampf gegen die Vampire war zu seinem Lebensinhalt geworden. Aber nicht um jeden Preis. Und dazu gehörte auch, dass er sich mit Leuten wie Sands und der ARYAN-AMERICAN FRONT niemals zusammentun würde. Selbst, wenn ihm das seinem Ziel ein Stück näher gebracht hätte.

"Ich bin keineswegs Ihr Verbündeter", stellte Malloy noch einmal klar.

"Ich halte Ihre Organisation für ein ähnlich großes Übel wie den Vampirismus."

"Schade", meinte Sands. "Sie wären sicher ein guter Mann für uns."

"Kommen wir zur Sache."

"Sie sprachen von einer 'alten Angelegenheit.'"

"Alles nur Vorwand, Sands. Ich will, dass Sie mir alles sagen, was Sie über die Pläne der ARYAN-AMERICAN FRONT wissen. Ihre nächsten Aktionen, alles!"

"Wenn ich das tue, bin ich ein toter Mann!"

"Wenn Sie das >nicht> tun, sind Sie ein toter Mann!"

"Wie soll ich das verstehen, Malloy?"

"Ich kann unser Treffen hier für deine Freunde so drehen, dass sie glauben, du hättest sie an die Polizei verraten."

"Sie ticken doch nicht ganz richtig!"

"Wollen wir's drauf ankommen lassen? Ihre Freunde sind nicht zimperlich, die machen Hackfleisch aus Ihnen. Aber falls Sie kooperieren, ist es nur die 'alte Sache', die noch mal aufgerührt wird. Mal davon abgesehen, dass Ihre Bewährung futsch ist. Ich könnte Sie wegen illegalen Waffenbesitzes festnageln."

"Eine Armbrust ist ein Sportgerät!"

"Aber das Pump Action Gewehr, dass Ihr Freund dahinten herumträgt nicht. Ich könnte sagen, dass Sie es ihm gegeben haben..." Sands war sprachlos. Schnappte nach Luft.

Schließlich sagte er kleinlaut: "Okay, was wollen Sie?"

"Was hat die AAF vor?"

"Sie wollen uns hochgehen lassen!"

"Sie können sich ja von der nächsten Aktion fernhalten." Er schluckte. "Die nächste Aktion betrifft ein Obdachlosenasyl."

"Welches? Und wann? Hast du eine Ahnung, wie viele es davon im Großraum New York gibt? Hunderte." Innerlich fluchte Malloy. Natürlich war es unmöglich jeder dieser Einrichtungen auf einen vagen Verdacht hin Polizeischutz zu gewähren. Das war überhaupt nicht durchführbar.

"Das weiß noch keiner von uns."

"Sie lügen!"

"Nein, so funktioniert unsere Organisation! Aus Sicherheitsgründen! Eine halbe Stunde vorher kommt ein Anruf per Handy und das ist alles." Malloy langte in die Innentasche seiner Jacke, holte eine Karte hervor.

"Das ist >meine> Nummer", sagte er. "Und wenn Sie die nicht sofort anrufen, wenn Sie Ihre Order erhalten, lasse ich Sie hochgehen wie eine Tellermine!"

Sands schluckte, steckte die Karte ein.

"Okay."

"Steigen Sie aus. Sagen Sie Ihren Freunden, es ging um den Fall des erschlagenen Barmannes, in den Sie vor drei Jahren verwickelt waren. Die Sache ist seit paar Monaten tatsächlich wieder aufgenommen worden. Allerdings nicht Ihretwegen. Aber selbst wenn Ihre Freunde Spitzel bei der Polizei haben sollten, wird man diese Geschichte bestätigen können!"

"Zu gütig!", zischte Sands.

Er stieg aus, blickte noch einmal grimmig in Malloys Richtung und zeigte ihm den Stinkefinger. Malloy ignorierte das. Er setzte den Wagen zurück und brauste davon.

*

Chase Blood betrat das KILLER, ein Billard-Lokal in Yorkville. Bei seinen Recherchen hatte er inzwischen unter anderem herausgefunden, dass dieser Laden für einen Teil der Aktivisten der ARYAN-AMERICAN

FRONT so etwas wie ein Treffpunkt war.

Jedenfalls hatte Conroy sich hier mit seinen Kumpanen des Öfteren getroffen, wie einige im Menü seines Handys gespeicherte SMS nahe legten.

Chase war hier, um sich einem der Kerle zu greifen und so weit wie möglich auszuquetschen.

Als er den Laden betrat, war nicht viel los. Ein paar Leute spielten Billard. Der fette Kerl im Lederkostüm hinter der Theke machte einen gelangweilten Eindruck. Er musterte Chase etwas abschätzig.

"Du warst noch nie hier, was?", meinte er. Chase stellte sich an den Tresen. Ein Getränk seiner Geschmacksrichtung gab es hier nicht. Nicht einmal eine abgestandene Mademoiselle von 1732, wie sie der Fürst bevorzugte.

Chase bedachte den Dicken mit einem nachdenklichen Blick. Dann fragte er nach ein paar Namen.

Alles Namen, die er aus Conroys Adressverzeichnis oder seinem HandyMenue hatte. "Ist einer von den Typen zufällig hier?" Der Dicke grinste breit.

"Alter, du spinnst doch! Wer bist du? Ein besonders dämlicher Cop oder ein Sozialarbeiter, der die Jungs vom falschen Weg abbringen will?" Er lachte heiser. "Du glaubst doch wohl nicht im Ernst, dass ich hier auch nur einen Ton sagen werde..."

Chase fackelte nicht lange. Er beugte sich über den Tresen, packe den Kerl am Kragen und zog ihn zu sich heran.

Der Dicke hatte mit Chase' Kraft nicht gerechnet. Er ächzte. Er packte den Haarschopf des Dicken und riss ihm ein ganzes Büschel davon aus. Der Dicke schrie auf, das Blut lief ihm die Stirn herunter, während Chase ihn noch immer am Kragen packte. Wie ein Schraubstock war Chase' Griff. Chase schleuderte das Haarbüschel von sich. Es segelte durch die Luft. Der Vampir schleckte sich das Blut von der Hand, verzog angewidert das Gesicht. "Als nächstes sind deine Ohren dran, wenn ich keine vernünftige Auskunft bekomme!"

Der Dicke stierte Chase schockiert an.

"Ich weiß nicht, wo die Jungs heute alle sind..."

"Ist irgendwo was los?"

"Keine Ahnung."

Chase packte das linke Ohr des Dicken.

"Nein!", schrie er.

"Meine Geduld ist zu Ende."

"Ich glaube einer von denen, die du genannt hast, war gerade noch hier."

"Wer?"

"Ron Santini."

"Wo ist er?"

"Auf'm Klo."

"Heißen Dank."

Chase ließ den Dicken los, gab ihm einen Stoß. Er kippte gegen das Regal mit den Gläsern. Es schepperte ganz schön. Chase kümmerte sich nicht weiter darum. Er ließ den Blick schweifen und fand dann den Ausgang zu den Toiletten.

Mit schnellen Schritten durchquerte er den Raum, verschwand dann durch die Nebentür mit dem entsprechenden Hinweisschild. Er passierte einen schmalen Flur. Einer der Kahlköpfe lehnte an der Wand vor dem Herren-WC. Er manikürte sich mit einem SS-Dolch die Fingernägel und nickte im Takt der Musik, die aus dem Kopfhörer seines Walkmans dröhnte. Darum bemerkte er Chase auch so spät.

Zu spät.

Chase schlug ihm den Dolch aus der Hand und hämmerte ihm einen Faustschlag in die Magengrube. Ächzend klappte er zusammen, stöhnte auf. Aber Chase verhinderte, dass er zu Boden ging.

Er packte ihn am Kragen, hob ihn ein Stück hoch und drückte ihn gegen die Wand. Der Kopfhörer des Walkman rutschte ihm vom Kopf. Die Musik röhrte leise weiter. Drei Gitarrenakkorde in wechselnder Reihenfolge, dazu heiser gebrüllte Hasstiraden.

"Heh!", rief der Kahlkopf.

"Du bist Ron Santini." Es war eine Feststellung, die da über Chase'

Lippen kam.

"Ich..." Er röchelte erbärmlich. Sein Gesicht war ziemlich blass geworden. Offenbar hatte der Schlag gesessen.

"Jetzt unterhalten wir uns mal ein bisschen. Ich will alles über die ARYAN-AMERICAN FRONT wissen. Verbindungsleute, Anführer, Finanziers. Und die Aktionen, die ihr so in nächster Zeit vorhabt..." Das Handy des Kahlkopfs klingelte.

Während Chase ihn immer noch mit einer Hand gegen die Wand drückte, durchsuchte er die Taschen seines Gegenübers. Er hatte den Apparat schnell gefunden, nahm ihn ans Ohr.

"Ja?", sagte er undeutlich.

"Obdachlosenasyl St. Mary, Nr. 321, 66. Street West!", wisperte eine Stimme.

Dann war die Leitung unterbrochen.

Chase grinste. "So geht das bei euch also..." Er entblößte seine Zähne.

"Schätze deine Freunde werden etwas auf deinen Einsatz warten müssen... Möglicherweise kommst du auch nie dort an!"

Er schleuderte den Kahlkopf dann den Flur entlang. Am Ende befand sich eine Tür. Ron Santini prallte dagegen, ging ächzend zu Boden. Nur mit Mühe rappelte er sich auf.

"Was willst du?", keuchte er.

"Wer ist euer Anführer?"

"Der Anführer der AAF?"

"Ich reiß dir die Gedärme raus, wenn du versucht, Katz und Maus mit mir zu spielen."

"Er heißt Marv Jennings."

"Wo finde ich ihn?"

"Niemand findet ihn. Er befindet sich im Untergrund, weil er wegen mehrerer Sprengstoffattentate gesucht wird. Wenn er etwas von dir will, findet er dich." Ron Santini schien sich etwas gefasst zu haben. Er wischte sich mit einer fahrigen Handbewegung über das Gesicht. "Und >dich> wird er finden, du Blutsauger!", knurrte er dann. "Früher oder später, darauf kannst dich verlassen wie auf das Amen in der Kirche." Chase verzog das Gesicht.

"Jetzt machst du mir aber Angst", sagte er ironisch. Er trat auf den Neo-Nazi zu.

Dieser hob abwehrend die Hand. Er schien genug von Chase' Behandlung zu haben. "Ich sag dir alles, was du wissen willst."

"Na, klasse. Dann mache ich mir die Hände nicht so fettig."

"Unser Unterführer hier in New York heißt Rick Stanley", sprudelte es aus ihm heraus. "Er organisiert die hiesigen Aktionen."

"Ihr wollt als nächstes ein Obdachlosenasyl aufmischen, was?"

"Ja..."

"Vielleicht sollte ich da mal vorbeischauen, um euch ein bisschen zu dezimieren", meinte Chase. "Und am besten fange ich gleich hier damit an..."

Ron Santini hatte nicht einmal mehr Zeit für einen Schrei. Chase stürzte sich auf ihn, seine Reißzähne zerfetzten ihm die Kehle. Das Blut spritzte bis zur Decke. Hinterher ging Chase auf die Toilette. Er hatte es vorher gewusst. Er musste würgen.

*

Roy Sands hatte sich an seinen Teil der Abmachung gehalten und Malloy angerufen.

Der Vampirjäger hatte sich sofort hinter das Steuer seines Wagens geklemmt und war zum Ort des Geschehens aufgebrochen. In die 66.Street West.

Er hatte sogar noch ein Magnet-Rotlicht dabei, das er auf das Wagendach setzte. Eigentlich war das illegal, da er ja offiziell nicht mehr im Dienst war. Aber in dieser Situation kümmerte ihn das wenig. Er wollte einfach nur so schnell wie möglich zum Obdachlosenasyl St. Mary gelangen. Während der Fahrt hatte Malloy seine Kollegen vom NYPD informiert. Besonderes Engagement zeigte man dort nicht.

Ein Steifenwagen wurde losgeschickt.

Etwas später erkundigte sich Malloy noch einmal.

Der Streifenwagen stand in Position. Die Angestellten des Obdachlosenasyls waren gewarnt. Aber bis jetzt war alles ruhig. Sah nach einem Fehlalarm aus.

Aber Malloy ließ das Rotlicht trotzdem auf dem Dach seines Wagens.

*

Das Obdachlosenasyl St. Mary befand sich in einem fünfstöckigen Brownstowne-Haus. Im Erdgeschoss lag die Suppenküche, darüber die Schlafräume. Außerdem waren noch die Verwaltungsräume einer gemeinnützigen, kirchlichen Organisation in dem Gebäude untergebracht. Zwei Cops saßen in ihrem Einsatzwagen auf der anderen Straßenseite und beobachteten die Vorderfront des Gebäudes. Außen an dem Einsatzwagen war eine Videokamera angebracht. Für alle Fälle. Schließlich konnte es ja sein, dass die angekündigten Neo-Nazis doch auftauchten und dann galt es Beweismaterial zu sichern und möglichst rasch Verstärkung zu rufen.

"Wie oft haben wir uns schon die Nächte vor solchen Obdachlosenasylen um die Ohren gehauen und nichts ist passiert!", meinte der Cop auf der Fahrerseite, während er seine Zähne in ein Sandwich schlug und einen großen Brocken davon schmatzend hinunterschlang.

"Ja, und anderswo passieren in der Zwischenzeit die Verbrechen", ergänzte sein Partner.

Ein Obdachloser wankte mit seiner in zwei Tüten verstauten Habe auf den Eingang des Asyls zu.

Der Cop mit dem Sandwich musste ein Gähnen unterdrücken. Die gehäuften Überstunden saßen ihm ebenso in den Knochen wie seinem Kollegen.

Plötzlich kamen drei Lieferwagen die Straße entlang. Sie hielten. Die hinteren Türen gingen auf. Gestalten sprangen heraus. Die Cops bekamen das nicht gleich mit. Erst die Schreie des Obdachlosen machten sie aufmerksam.

"Da ist was los!", meinte der Beamte auf dem Beifahrersitz und wollte zum Funkgerät greifen.

Ein Motorrad brauste heran.

Der Fahrer schleuderte etwas.

Es prallte von der harten Frontscheibe des Steifenwagens herunter. Spinnenförmig zogen sich Risse durch das Glas.

Die Cops verloren eine Schrecksekunde, als sie sahen, >was> da über die Motorhaube rollte.

Eine Army-Handgranate.

Es war das letzte, was sie sahen.

Der Wagen ging in hellen Flammen auf. Die Explosion war mehrere Häuserblocks weit zu hören.

Flammen schossen meterhoch empor.

Für die beiden Cops gab es keine Chance.

Der Motorradfahrer hatte sich rechtzeitig in Sicherheit gebracht. Er nahm den Helm ab, um sich das Schauspiel besser ansehen zu können. Ein triumphierendes Grinsen erschien auf seinem Gesicht. Seine Kumpane traten unterdessen auf den Obdachlosen ein, der das Pech gehabt hatte, sich gerade zu dem Augenblick auf der Straße befunden zu haben, als die Nazi-Schwadron aufgetaucht war. Er bewegte sich schon längst nicht mehr. Sein Körper wirkte wie eine Puppe. Wie ein Übungsdummie bei den Probeeinsätzen der Feuerwehr. Eine Blutlache ergoss sich auf den kalten Asphalt.

Scheiben zersprangen.

Weitere Wagen hielten in der Nähe. Einige parkten so, dass der Zugang für andere Verkehrsteilnehmer absichtlich verhindert wurde. Sollten die Cops doch zu Fuß gehen, wenn sie den Weg hier her überhaupt fanden...

Die ersten Brandsätze zündeten. Flammen schlugen aus den Räumen des Obdachlosenasyls. Schreie gellten durch die Nacht.

Panik breitete sich sowohl unter den Mitarbeitern als auch unter den betreuten Obdachlosen aus.

Das Feuer war schnell. Bald züngelte es aus jedem der ErdgeschossFenster heraus. An den Fenstern des zweiten Stocks standen einige Personen, die verzweifelt auf Rettung warteten.

Aber die Meute der Kahlköpfe hatte nur Hohn und grausamen Spott für sie übrig.

Aus den Erdgeschossfenstern sprang ein Mann. Sein Mantel hatte schon Feuer gefangen. Hart kam er auf dem Boden auf, doch er rappelte sich wieder auf.

Einer der Kahlköpfe hatte einen Benzin-Kanister in der Hand, mit dessen Inhalt er die Treppenstufen am Eingang des Asyls getränkt und dann angezündet hatte, so dass dort jetzt eine Flammenwand stand. Niemand konnte mehr hinaus.

Den Rest des Benzins goss er über den Mann mit dem angebrannten Mantel.

Die Flammen schossen hoch empor.

Der Mann schrie, rannte wie eine Fackel durch die Nacht, während die Meute johlte.

Dicker, schwarzer Qualm kroch jetzt aus einem der Fenster heraus. Offenbar hatten sich die Flammen zu etwas vor gefressen, was zu einer starken Rauchentwicklung führte. Ein Umstand, der die Zahl der Todesopfer mit Sicherheit erhöhte. Immer wieder waren Schreie aus dem brennenden Inferno heraus zu hören.

"Brennen soll's das unnütze Pack!", rief einer der Neo-Nazis. "Weg mit ihnen!"

*

Chase Blood näherte sich dem Obdachlosenasyl über eine Nebenstraße, die schließlich in einen Hinterhof mündete. Flammen schlugen aus dem Haus. Die Fackeln mehrerer Dutzend Neo-Nazis flackerten. Sie standen da und warteten auf diejenigen, die sich über die Feuerleitern aus dem Asyl retten wollten.

Gnadenlos prügelten sie mit Baseballschlägern auf sie ein. Manche von ihnen hielten sie fest, quälten sie mit den Fackeln, sengten sie unter dem Gelächter der Meute brutal an.

Chase stellte seine Harley an einem Platz ab, den er für einigermaßen geschützt hielt. Die Stelle war hinter ein paar Müllcontainern gelegen. Chase hoffte, dass bis hier weder die Nazis noch die Flammen kamen. Dann ging er ohne Eile auf den Ort des Geschehens zu. Gleich den ersten der Kahlköpfe packte er sich.

Mit einem kräftigen Druck brach er ihm das Genick.

Ein erstauntes Röcheln, das war alles, was er noch herausbrachte. Chase packte den Körper des Kahlkopfs und schleuderte ihn mit gewaltiger Kraft den anderen entgegen. Schwer fiel der Tote auf den Asphalt, klatschte regelrecht darauf und blieb dann in einer so eigenartig verrenkten Haltung liegen, dass jedem sofort klar war, dass dieser Mann nicht mehr lebte.

Die Nazis drehten sich um.

Ihr Gejohle verstummte.

Einer der Streetworker, der das Asyl betreute, kam die Feuerleiter herunter, ohne dass auch nur einer der Kahlköpfe überhaupt Notiz von ihm nahm. Sie ließen sogar den armen Kerl los, den sie halbtot geprügelt und fast alle Haare vom Kopf gesengt hatten. Er schleppte sich davon, kauerte dann bei einer Gruppe von Mülltonnen und stützte sich dort auf. Die Nazis starrten Chase Blood an wie die Verkörperung des Leibhaftigen.

Chase entblößte kurz seine Zähne, stieß einen fauchenden, tierischen Laut aus.

"Wird Zeit, dass euch jemand das Handwerk legt!", murmelte er. "Ihr wolltet Zoff - jetzt habt ihr ihn, auch wenn eure Rolle dabei vielleicht etwas anders sein wird, als ihr euch das vorgestellt habt, ihr Feiglinge!" Chase hatte keine Eile.

Mit langsamen, sicheren Schritten näherte er sich ihnen, während seine Gegner zurückwichen.

Sie waren hier, um wehrlose Obdachlose platt zu machen. Aber natürlich waren sie nicht darauf eingestellt, gegen einen leibhaftigen Vampir kämpfen zu müssen.

Auch wenn sie ihre Ausrüstung und Kampftechnik auf diesem Gebiet erheblich perfektioniert hatten - sie waren einfach nicht richtig ausgestattet.

"Holt die Pflöcke, verdammt!", rief einer. Einer griff zum Walkie-Talkie.

Gut durchorganisiert war diese Bande, dass musste man ihr lassen. Jetzt hielt Chase den Zeitpunkt für gekommen, um anzugreifen. Er schnellte vor. Die Meute stob auseinander. Eine Panik, wie sie zuvor vielleicht die Besucher des Asyls befallen hatte, griff nun unter den Nazis um sich. Chase packte sich den Erstbesten von ihnen. Den Schlag mit dem Baseballschläger parierte er mit dem Unterarm, ergriff dessen Handgelenk und riss ihm den Arm aus. Mitsamt der um den Griff des Schlägers gekrampften Hand und dem daran hängenden Arm schleuderte er den Schläger durch die Gegend. Chase tat dies mit so großem Krafteinsatz, dass es wie ein Geschoss wirkte.

Einer der Kerle wich aus, ein weiterer war nicht schnell genug, schrie erbärmlich auf, als er das Holz ins Gesicht bekam. Das Blut schoss in Strömen.

Ebenso wie bei dem Kerl ohne Arm, der schreiend durch die Nacht rannte und völlig von Sinnen wirkte.

Den nächsten Nazi packte Chase einfach und zog ihn zu sich heran. Mit den Vampirzähnen zerfetzte er ihm den Hals.

Seine Komplizen waren fassungslos.

Sie waren es nur gewohnt auszuteilen.

Aber wenn ihnen jemand begegnete, der ihnen an Grausamkeit ebenbürtig war, wirkten sie wie die Kaninchen vor Schlange. Sie rannten davon. Chase eilte hinterher. Einen erschlug er von hinten, nahm ihm den Baseballschläger ab und schleuderte diesen hinter einem anderen her, dessen Schädel durch das Hartholz zertrümmert wurde.

*

Als Malloy am Obdachlosenasyl St. Mary in der 66. Street West eintraf, war dort die Schlacht gegen die Wehrlosen bereits in vollem Gang. Quergeparkte Pkw blockierten die Weiterfahrt bis ans Ziel. Malloy sprang aus dem Wagen. Als Bewaffnung nahm er eine Automatik mit, die ihm privat gehörte und die im Handschuhfach steckte. Er überprüfte die Ladung der Waffe, lief zwischen den quer geparkten Fahrzeugen hindurch.

Wenig später erreichte er die tumultartige Szene vor dem Asyl. Mit der Linken fingerte er das Handy hervor und setzte einen knappen Notruf an die Polizei ab.

Schreie gellten durch die Nacht.

Jemand sprang aus dem dritten Stock, in den sich die Flammen inzwischen vor gefressen hatten. Ein Verzweiflungssprung. Die Flammen mussten dem Kerl jeden Fluchtweg nach oben abgeschnitten haben. Malloy sah nicht wie er aufkam.

Er hörte nur das grausige Geräusch eines menschlichen Körpers, der auf dem Asphalt aufschlug. Die Höhe reichte allemal, um sich das Genick zu brechen. Die Nazi-Meute johlte, als der Mann aufschlug. Malloy hatte während seiner Karriere als Cop eine Menge erlebt. Aber er konnte sich nicht erinnern, dass ihn je etwas dermaßen angewidert hatte.

Malloy umrundete die Reihe der Lieferwagen, die in der Nähe des Eingangs zu finden waren.

Eigenartig verrenkte Körper lagen auf dem Asphalt. Die Männer waren mit Sicherheit tot.

Einer der noch lebte, wurde von zwei Glatzköpfigen festgehalten. Ein Dritter benutzte ihn als eine Art Boxsack, übte verschiedene KickboxFiguren an ihm. Das Opfer stöhnte nur dumpf auf. Malloy sah jetzt rot.

Die Nazis hatten bislang kaum Notiz von ihm genommen, da ihre Aufmerksamkeit auf den Eingangsbereich des Asyls gerichtet war. Doch das sollte sich jetzt ändern.

Malloy riss die Automatik empor, hielt sie im Beidhandanschlag.

"NYPD! Den Mann loslassen und Hände hoch!", rief er. Dass er dafür ein Verfahren wegen Amtsanmaßung an den Hals bekommen konnte, da er ja nicht mehr im Dienst war, war ihm gleichgültig. Der Kerl, der gerade eine weitere seiner mörderischen Schlag-und Trittfolgen an dem von zwei Männern festgehaltenen Obdachlosen auszuprobieren gedacht, hielt inne.

Ein zynisches Grinsen erschien auf seinem Gesicht.

"Wer bist du denn, du Witzfigur!", kicherte er. Die anderen starrten Malloy einfach nur an, warteten ab, was geschah.

"Wenn du schießt, bringen diese Leute dich um!", stellte der sadistische Kickboxer dann fest. Er setzte erneut zu seiner Kampffigur an. Sein Fuß

wirbelte durch die Luft.

Malloy feuerte.

Der Sadist schrie auf.

Malloy hatte ihn am Oberschenkel erwischt. Der Kerl stürzte zu Boden, brüllte wie am Spieß.

Jetzt ließen die beiden Männer, die den zum Opfer auserkorenen Obdachlosen in ihrer Mitte hielten, den Misshandelten einfach los. Er sackte zu Boden.

Einer der Nazis zog einen Revolver unter dem blaugrauen Blouson hervor. Aber ehe er schießen konnte, hatte Malloy ihm eine Kugel in die Schulter gebrannt.

Jetzt griffen die anderen an.

Einer kickte Malloy die Waffe aus der Hand. Dem anschließenden hammerharten Schlag konnte der Ex-Cop nur mit Mühe ausweichen. Malloy landete postwendend einen Schwinger. Der Nazi brach ächzend zusammen.

Einen weiteren steckte er mit einem Tritt vor den Solar Plexus nieder. Der dritte wollte Malloy mit dem Baseballschläger den Schädel zertrümmern.

Malloy nutzte die Wucht seines Angriffs aus, wich in letzter Sekunde zur Seite und versetzte den Nazi mit einem Karateschlag bis auf weiteres ins Reich der Träume.

Seine Automatik war unter einen der Lieferwagen gerutscht, einer der Kerle bemühte sich darum, an sie heranzukommen.

Malloy musste das verhindern.

Er stürmte los.

Ein Kahlkopf stellte sich ihm mit einem blitzenden SS-Dolch in der Rechten in den Weg.

Der Kerl mit dem Revolver, dem Malloy eine Kugel in die Schulter gejagt hatte, wimmerte immer noch, aber seine Waffe war von einem seiner Komplizen übernommen worden. Er richtete sie auf Malloy, zögerte aber zu schießen. Die Gefahr war zu groß, dass er den Glatzkopf mit dem SS-Dolch traf.

"Überlass ihn mir!", knurrte dieser, ließ seine im Flammenschein blitzende Klinge immer wieder vorschnellen.

Malloy musste ausweichen.

Er begann zu ahnen, dass dieser Gegner nicht so leicht zu bezwingen war. Ein geübter Streetfighter.

Wieder schnellte die Klinge vor, ritzte durch Malloys hellgraues Jackett. Der Stoff verfärbte sich um den Ritz herum blutig.

"Na, wie ist das, du Möchtegern-Cop?", grinste der Mann mit dem SSDolch. Seine Augen flackerten unruhig. Er bleckte die Zähne wie ein zum Sprung bereites Raubtier.

"Immer noch so mutig?"

In diesem Moment ertönte ein heiserer, von Panik erfüllter Ruf.

"Ein Vampir! Holt die Armbrüste! Schnell!" Auch Malloys Gegner wurde dadurch für einen kurzen Moment abgelenkt.

Malloy nutzte das aus. Das hatte er im Nahkampftraining gelernt. Er packte den Messerarm seines Gegenübers beim Handgelenk, bog ihn zur Seite. Die Klinge schabte am Lack des Lieferwagens vorbei und hinterließ

eine hässliche Spur. Dann rammte Malloy seinem Gegenüber das Knie in die Magengrube.

Der Mann ächzte. Ein Fausthieb gab ihm den Rest und ließ ihn hinschlagen.

Malloy wandte den Kopf.

Und was er dann sah, verschlug ihm den Atem.

In panischer Flucht begriffene Neo-Nazis rannten in alle Richtungen. Und das Zentrum dieses kleinen Orkans war niemand anderes als ein alter Bekannter...

"Chase!", stieß Malloy hervor.

Er schluckte.

All die Gefühle, die sich seit Madeleines Tod in ihm aufgestaut hatten, kamen jetzt wieder vor. Hier war er, der grausame Nachtmahr, der seine Tochter hingemetzelt hatte. Madeleine, deren Leben doch kaum begonnen und die in ihrer Unerfahrenheit nichts anderes als die erste große Liebe gesucht und dann einen grausigen Tod gefunden hatte. Auch jetzt wütete der Vampir furchtbar unter der Nazi-Meute. Wen er zu fassen bekam, der hatte nichts zu lachen. Der Kerl mit der Pistole hatte inzwischen Malloy vergessen und seine Aufmerksamkeit dem Vampir zugewandt.

Er feuerte in seiner Verzweiflung die Waffe ab.

Ein leichtes Zucken des Oberkörpers durch die Wucht des Geschossaufpralls, das war alles, was an sichtbarer Reaktion bei Chase zu beobachten war.

Gespenstisch!, ging es Malloy durch den Kopf.

Aber es war auch kein menschliches Wesen, mit dem er es hier zu tun hatte, rief sich der Ex-Cop ins Gedächtnis zurück. Auch wenn einen die äußere Gestalt zu dieser Annahme verleiten konnte. Aber das gehörte ja zu den perfiden Methoden, die die Vampire anwandten. Ihre mitunter völlig menschliche Gestalt sorgte dafür, dass sie unerkannt unter den Sterblichen wandeln und sie ungestraft als Blutlieferanten nutzen konnten. Auch Chase hatte jetzt den Kopf in Malloys Richtung gedreht. Einen Augenblick lang hielt er inne, sah zu Malloy hinüber, bevor er das Genick des Nazi-Schlägers, den er im Schwitzkasten hatte, endlich knacken ließ.

Für Malloy bestand kein Zweifel, dass der Vampir ihn erkannt hatte. Er spürte plötzlich, wie ihn jemand von hinten ansprang, den Arm um seinen Hals legte. Malloy warf den Angreifer über die Schulter, schleuderte ihn gegen einen der anderen Kahlköpfe.

Gleichzeitig hatte ein anderer Nazi eine Armbrust aus dem Wagen geholt und ein Pflockgeschoss eingelegt.

Er feuerte es in Chase' Richtung.

Chase duckte sich seitwärts, war aber nicht schnell genug. Der Pflock bohrte sich schmerzhaft in seinen Oberarm, blieb darin stecken.

In diesem Moment ertönten in der Ferne die Sirenen der Polizei. Sie näherten sich rasch.

Über Megafon wurde ein Kommando gegeben.

"Sofortiger Rückzug! Die Schweinecops sind im Anmarsch." In Windeseile stürzten die Neo-Nazis zu ihren Fahrzeugen und brausten los.

Der Kerl, der Malloys Automatik unter einem der Lieferwagen hervorgesucht hatte, konnte gerade noch unter dem Fahrzeug wegrollen, ehe es sich schon in Bewegung setzte.

Er richtete die Waffe grinsend in Malloys Richtung, hielt ihn damit auf Distanz.

Dann steckte er sie ein, zeigte Malloy den Stinkefinger und rannte davon. Der Motorradfahrer wartete auf ihn, bis er sich hinten draufgesetzt hatte. Die Barrieren aus parkenden Fahrzeugen, die die Nazis überall aufgebaut hatten, würden die Cops etwas aufhalten. Fast alle Straßen in der Gegend waren One Way und natürlich hatte die Meute nur die >Zu>wege verbaut, nicht die Straßen, die vom St. Mary Asyl wegführten. Schnell waren sie auf und davon.

Ein flüchtiger Spuk in der Nacht.

Malloy sah sich nach Chase um, aber auch der war plötzlich nirgends mehr zu sehen. Ich hätte nie gedacht, dass ich mal mit dem Mörder meiner Tochter auf einer Seite kämpfe!, ging es ihm nachdenklich durch den Kopf. Wirklich begreifen konnte er das noch immer nicht.

*

"Du bist ein Held!", meinte FBI Special Agent Rachel Shapiro anerkennend und deutete auf die Schlagzeilen in der aufgeschlagenen Zeitung. Sie hatte das Bedürfnis gehabt, sich mit Malloy zu treffen. Und Malloy war froh gewesen, als sie angerufen hatte, um ihm den Vorschlag zu machen in einem Coffee Shop in Little Italy zu frühstücken. Es war dringend notwendig, dass er sich mit jemandem unterhielt, jemandem seine Gedanken mitteilte, der ihn nicht für einen Verrückten hielt, wenn er auf das Thema Vampire zu sprechen kam. Rachel war so jemand.

Vermutlich empfand Malloy sogar mehr für sie.

Und sie vielleicht auch für ihn.

Andererseits bezweifelte Malloy, das für eine tiefer gehende Beziehung zurzeit Platz in seinem Leben war. Einem Leben, das er ganz und gar dem Kampf der Rache an Madeleines Mörder und dem Kampf gegen den Vampirismus gewidmet hatte.

Rachel dachte umgekehrt wohl genauso.

Schließlich führten sie beide ein gefährliches, unruhiges Leben. Malloy trank seinen Capuccino aus.

"Ich habe keine Ahnung wie mein Name im Zusammenhang mit dem Überfall auf das St. Mary Asyl in die Medien gekommen ist", meinte er.

"Aber die Polizei ist auch nicht mehr dass, was sie mal war. Vermutlich hat irgendein korrupter Kollege einen Reporter mal einen kurzen Blick in die Akten werfen lassen."

"Du wirst vor Gericht gegen die Kerle aussagen?"

"Wenn man sie kriegt. Aber das ist nur eine Frage der Zeit."

"Wollen wir's hoffen. Diese Schweine gehören eingesperrt."

"Ich habe Chase dort getroffen", berichtete Malloy dann. Sein Blick war nach innen gekehrt und sehr nachdenklich.

"Hast du eine Ahnung, was er dort wollte?"

"Nein. Oder vielleicht doch..."

"Wie denn nun?"

Ein mattes Lächeln flog über Malloys Gesicht. "Diese Nazis betätigen sich seit einiger Zeit als Vampirjäger. Ist doch klar, dass die Nachtkreaturen da etwas unruhig werden..."

"Und woher sollte dieser Chase wissen, dass er in der Nähe eines Obdachlosenasyls genau die Typen trifft, die er dezimieren will?" Malloy zuckte die Achseln.

"Ich habe nicht den Hauch einer Ahnung, Rachel." Rachel schwieg einige Augenblicke lang. "Du solltest in der nächsten Zeit sehr auf dich aufpassen!", meinte sie.

Er hob die Augenbrauen.

"Wegen den Nazis?"

"Die könnten ziemlich sauer auf dich reagieren." Malloy grinste. "Dafür sind meine Karten bei Chief Dougal wieder besser!"

"Stellt er dich wieder als Polizisten ein?"

"Er hat mich angerufen und meinte, die Presse würde ihm ziemlich zusetzen. Schließlich löchern ihn alle Journalisten jetzt mit der Frage, wieso der 'Held' vom St. Mary Asyl vom Dienst suspendiert ist..."

"Und?", fragte Rachel. "Du wirst dir diese Chance doch nicht entgehen lassen, oder?"

Er sah sie an, studierte für einige Augenblicke die feingeschnittenen Züge ihres hübschen Gesichts. "Ich werde nie wieder ein Cop sein", sagte er. Es war eine Feststellung, die mit dem Unterton der Endgültigkeit ausgesprochen worden war. Für Malloy stand dieser Punkt fest. Gleichgültig, was Captain Dougal noch an attraktiven Vorschlägen aus dem Hut zaubern würde.

Rachel atmete tief durch.

Sie hatte es längst geahnt.

Vielleicht sogar bevor Malloy selbst darüber nachgedacht hatte.

"Es ist die Sache mit Madeleine, nicht wahr?"

"Die Sache mit Madeleine, wie du es nennst hat mein gesamtes Leben umgekrempelt."

"Ja, das verstehe ich."

"Nein, Rachel. Das kann niemand verstehen, der keine eigenen Kinder hat."

"Meinst du wirklich?"

"Ja." Er machte eine Pause, ehe er fort fuhr. "Der Kampf gegen die Vampire, dafür lebe ich jetzt. Alles andere werde ich dem unterordnen. Du weißt, wie groß diese Bedrohung ist, wie sie uns aus dem Geheimen heraus lenken und manipulieren... Sie sind kalte Killer, Rachel. Ohne Mitgefühl. Alles was möglicherweise mal menschlich in ihnen war, ist wie zu einer grimassenhaften Karikatur verzerrt. Es ist wie eine permanente Verhöhnung des Menschlichen, Rachel."

Bis zu einem gewissen Grad konnte Rachel ihn verstehen. Malloys Motivation ähnelte ihrer eigenen bei der Bekämpfung des organisierten Verbrechens. Aber sie verfolgte ihre Ziele lange nicht mit einem vergleichbaren Fanatismus, wie sie ihn bei Malloy zu erkennen glaubte. Der Schmerz über Madeleines Tod - das ist seine Triebfeder!, dachte Rachel. Und die fehlt dir.

"Ich muss dir noch etwas sagen", brachte sie schließlich heraus. Der Kellner hatte bereits die Reste des Frühstücks abgeräumt. Malloy hob die Augenbrauen.

"Ja?"

"Ich werde versetzt."

"Wohin?"

"Genau darf ich das nicht einmal dir sagen, Rob." Malloy war Cop genug, um sofort zwei und zwei zusammenzuziehen.

"Ein Undercovereinsatz?"

"Wir haben die Chance, an einen der ganz großen Haie an der Westküste heranzukommen. Es wird allerdings mindestens ein Jahr dauern. Eine von langer Hand geplante Operation."

Malloy nickte.

Wenn Rachel nicht mehr in New York war, würde ihn das noch einsamer machen, als er ohnehin schon war. Aber vielleicht war es das Beste so. Er konnte in seiner Situation für niemanden Verantwortung übernehmen.

"Wann geht es los?"

"In drei Wochen."

"Oh, sobald schon?"

"Ja."

"Ich hoffe, wir sehen uns vorher noch mal."

"Klar doch!"

*

Fackelschein erhellte das Innere der ehemaligen Fabrikhalle. Trommelwirbel ertönten und brachen dann wie auf ein geheimes Zeichen hin plötzlich ab.

Rick Stanley, der Chef der New Yorker Kampfsektion der ARYANAMERCIAN FRONT trat an das Rednerpult.

"Wir sind hier zusammengekommen um die zu ehren, die im Kampf gegen die Monstren ums Leben kamen. Ihre Seelen mögen nach Walhalla gehen. Und ihre ruhmreichen Taten werden von uns immer im Gedächtnis behalten werden..."

Die in exakt ausgerichteten Reihen aufgestellten Kahlköpfe hörten ihrem Anführer schweigend zu.

Einige von ihnen waren durch den Kampf um das St. Mary Asyl gezeichnet und wiesen die eine oder andere Verletzung auf. Mit dem Auftauchen des Vampirs hatte niemand von ihnen gerechnet.

"Die Ereignisse in der 66.Straße können für uns nur ein Anlass sein, unsere Anstrengungen zu verdoppeln und unseren Kampf gegen die Kreaturen der Nacht zu intensivieren!", fuhr Stanley fort. "Wir werden härter trainieren denn je, uns in der Entwicklung neuer Methoden vervollkommnen. Und wir werden die Blutsauger jagen. Jede einzelnen von ihnen..."

Eine Diaprojektion erschien auf einer der kahlen Betonwände. Sie zeigte eines der Pressefotos, die im Moment von Rob Malloy im Umlauf waren.

"Dieser Mann hier ist der erste Feind, den es zu beseitigen gilt. Einige von euch werden sich an ihn erinnern... Er wird uns Schwierigkeiten machen, deshalb muss er aus dem Weg geräumt werden." Zustimmendes Gemurmel erhob sich.

Stanley hob seine Hand.

Die Stimmen seiner Anhänger verstummten. Stanley hatte seine Zuhörer gut im Griff. Eine Handbewegung reichte, um sie wie an unsichtbaren Fäden zu führen.

"Aber wir werden ihn nicht töten", fuhr Stanley dann fort. "Jedenfalls nicht sofort... Stattdessen möchte ich ihn ausquetschen, den ich bin überzeugt davon, dass er uns etwas Wichtiges sagen kann. Etwas, worüber ich schon eine geraume Weile nachdenke. Über die Frage nämlich, ob es nicht vielleicht doch innerhalb unserer Gemeinschaft Verräter gibt." Wieder herrschte Augenblicke lang schweigen.

Stanleys Blick wanderte die Reihen entlang. Die wenigsten konnten Stanleys Blick wirklich standhalten. Dem Anführer der Kampfsektion New York gefiel das. Ein zynisches Lächeln erschien auf seinem Gesicht.

"Verrat ist das schlimmste Verbrechen", sagte er dann, sehr viel leiser. Der gedämpfte Tonfall unterstrich die Dramatik seiner Worte noch. Und genau das war beabsichtigt. "Jeder von euch weiß, was mit einem geschieht, der seine Kameraden verpfeift..."

*

Petra Brunstein stolzierte mit einem Sektglas in der Hand durch die von nüchternem Neonlicht erhellten Räume der Gallery Fainton & Garth. Die Galerie befand sich in einem jener berühmten Cast Iron-Häuser in Greenwich Village, die durch vorgefertigte, einem postmodernen IndustrieStil nachempfundenen Fassadenteilen aus Metall, gekennzeichnet waren. Der Raum war sehr hoch, glich einer Halle. Obwohl die Gemälde, die auf dieser Vernissage dem interessierten Publikum vorgestellt wurden, sehr groß waren, wirkte ihr Format im Verhältnis zum Raum gar nicht so riesig. Es waren Petras Bilder.

Die Vampirin gefiel sich in der Rolle einer Künstlerin und hatte es im Verlauf der Jahre auch zu einem gewissen Erfolg auf diesem Gebiet gebracht. Und da man von einer Künstlerin ohnehin nichts anderes erwartete, als dass sie am Abend aufstand und bis in die frühen Morgenstunden aufblieb, passte ihre Lebensweise als Vampirin hervorragend zu diesem bohemehaften Lebensstil.

Etwas angewidert blickte sie zwischendurch auf den Champagner. Sie würde dieses ekelhafte Gesöff bei nächster Gelegenheit in einen Blumentopf kippen, wenn nicht gerade ein halbes Dutzend Pressekameras auf sie gerichtet waren.

Gerade jetzt wäre der attraktiven Vampirin nach einem herzhaften Umtrunk gewesen, aber dieser Neigung konnte sie jetzt unmöglich nachgehen. Diskretion war die erste Forderung des Fürsten. Und sie musste ihm da im Prinzip auch Recht geben.

Allerdings nur im Prinzip.

Im Einzelfall war ihr dieses auch schon mal völlig gleichgültig. Ein Kritiker der New York Times erschien in ihrer Nähe. Russ Collgrave, einer der einflussreichsten Kunstkenner der Vereinigten Staaten. Was er schrieb, entschied maßgeblich darüber, was Museen und gemeinnützige Stiftungen ankauften. Collgrove setzte ein gönnerhaftes Gesicht auf. Sein Glas war chronisch leer. Er wollte etwas sagen, nutzte aber dann zunächst die Gelegenheit, einer vorbeieilenden Bedienung ein Champagnerglas vom Tablett zu stibitzen.

"Ich kann Sie nur beglückwünschen, Miss Brunstein!", sagte er dann, sichtlich ergriffen. Ursprünglich war Collgrove von Petras Kunst gar nicht so sonderlich begeistert gewesen, aber mit Hilfe ihrer hypnotischen Kräfte hatte sie seine Einstellung leicht modifiziert. Ein paar tiefe Blicke in ihre dunklen Augen und um den Kunstverstand von Russ Collgrave war es geschehen gewesen.

"Schön, dass Sie begeistert sind", meinte Petra mit einem stillen triumphierenden Lächeln. "Ich gehe doch davon aus, dass Sie davon auch schreiben werden!!"

"Natürlich."

"Das ist gut..."

Er hatte wieder sein Glas leer. Petra gab ihm ihres. "Hier, nehmen Sie das auch noch!!" Dann rauschte sie an ihm vorbei. Der devote Speichellecker, zu dem sie Collgrove gemacht hatte, langweilte sie im Grunde ihres düsteren Herzens.

Sie drängte sich durch die umherstehenden und in Gespräche vertieften Vernissage-Gäste. Dann bemerkte sie plötzlich jemanden, den hier nun wirklich niemand vermutet hätte. Ein breitschultriger, kahlgeschorener Mann in einem fleckigen T-Shirt, Jeans und Springerstiefeln. Selbst unter den teilweise recht unkoventionell gekleideten Vernissage-Gästen erregte er Aufsehen und schiefe Blicke.

Der Mann schien jemanden zu suchen. Jedenfalls drehte er den ziemlich kahlgeschorenen Schädel hin und her. Als er Petra entdeckt hatte, ging er auf sie zu.

"Ah, Kelly!", murmelte die Vampirin. "Schön, dass du den Weg hier her gefunden hast." Sie verzog etwas die Nase. "Aber ein frisches T-Shirt hättest du ruhig anziehen können..."

Er sah sie etwas irritiert an.

"Komm!!", sagte sie dann. "Wir gehen in einen Nebenraum, damit du mir Bericht erstatten kannst!!""

"Ja", murmelte er wie abwesend. "Ja, ich folge dir..."

"Tu mir einen Gefallen und brabbel nicht dauernd so untertänig vor dich hin, das geht mir auf die Nerven."

"Ja."

Petra verdrehte angewidert die Augen.

*

"Ich kann nicht sagen, dass ich mit dem Stand der Dinge sonderlich zufrieden bin", stellte Franz, Fürst von Radvanyi fest, als er Chase in seiner Residenz im Empire State Building empfing. Chase hatte nichts anderes erwartet. Und nachdem er im Vorzimmer des Fürsten sogar eine geschlagene Dreiviertelstunde hatte warten müssen, war ihm klar gewesen, dass der Fürst nicht allzu gut auf seinen Stellvertreter zu sprechen war. Diesmal gab es auch keine Mademoiselle von 1732 oder einen ähnlich erlesenen Tropfen als Drink.

"Ich habe mein Bestes getan", sagte Chase trotzig. Der Fürst lächelte, fuhr dabei sogar für einen kurzen Moment seine Vampirzähne aus.

"Von meinem Stellvertreter erwarte ich mehr, Chase."

"Ja, Herr."

"Ich erwarte, dass Probleme gelöst werden. Mit Diskretion. Alles andere interessiert mich nicht." Der Fürst seufzte. Er strich sich dann mit einer fahrigen Geste seiner linken Hand eine lange Strähne aus dem Gesicht und hüstelte anschließend vor sich hin. Die welke, pergamentartige Haut war vor lauter Puder fast überhaupt nicht zu sehen. Eine mumienhafte, untote Maske. Nur die Augen wirkten äußerst lebendig und wach. Die Erfahrung von mehr als drei Jahrhunderten lag in ihrem Blick. Es gab niemanden, dessen Blick mit dem des Fürsten vergleichbar gewesen wäre. Keinen Menschen und keinen Vampir.

"Du hättest die Möglichkeit gehabt, Robert Malloy bei der Metzelei am St. Mary Asyl zu töten", stellte er fest.

Chase hatte dem Fürst in allen Einzelheiten von den dortigen Vorkommnissen berichten müssen und dabei festgestellt, dass der Herr der New Yorker Vampire diesbezüglich auch noch über andere Informationsquellen verfügte. Seine Augen waren überall. Das war ein Teil des Geheimnisses seiner Macht. Auf die Dauer gab es nichts in dieser Stadt, die niemals schlief, was man vor Fürst von Radvanyi geheim halten konnte. Und jeder, der es versuchte, bereute es früher oder später. Chase hatte das oft genug erlebt. Der Fürst sah ihn durchdringend an. "Stimmt es nicht, was ich sage?"

"Doch, Herr."

"Warum hast du ihn geschont?"

"Ich habe ihn nicht geschont. Aber die Polizei rückte an und sie hatten mich ja nochmals auf die Wichtigkeit der Diskretion hingewiesen."

"Das ist wahr..."

"Außerdem..."

"Ja?"

"Auf die Dauer sind die Nazis ein viel größeres Problem als dieser einsame Vampirjäger."

"Möglich. Doch auch er ist ein Problem, das zu beseitigen ist."

"Ja, Herr, ich weiß."

"Ich bin durch Mittelsmänner an die Polizeiunterlagen herangekommen. Malloy hat sich in einem Hotel in der South Bronx einquartiert."

"Er hat wohl Angst davor, dass diese Nazis ihm an den Kragen gehen!", meinte Chase.

Der Fürst nickte.

"Wie auch immer. Ich habe dir die Adresse aufgeschrieben. Möchtest du, dass ich jemanden zur Unterstützung abordne?"

Chase schüttelte den Kopf.

"Nein, Herr, ich schaffe das schon."

"Das ist gut."

*

Das Hotel NEW HAMPSHIRE war ein fünfstöckiges Gebäude, aber nur die ersten drei Geschosse waren noch bewohnt. In den Räumen darüber fehlten die Fensterscheiben. Teilweise waren die Fenster mit Sperrholz vernagelt.

Der ganze Straßenzug sah so aus, als hätte sich jeder, der die Gelegenheit dazu gehabt hatte, längst davon gemacht. Geschäfte standen leer. Die nicht mehr funktionstüchtigen Neonreklamen hatten offenbar irgendwelchen Gangs als Zielscheiben für ihre Schießübungen gedient. Malloys Zimmer lag im zweiten Stock. Er hatte einen freien Blick auf einen hässlichen Hinterhof, in dem überquellende und schon lange nicht mehr geleerte Müllcontainer herumstanden. In der Nacht konnte man beobachten, wie die Ratten sich dort tummelten.

Auch sein Wagen stand dort. Er hatte sich einen unauffälligen gebrauchten Ford gekauft. Nichts sollte ihn verraten können. Auf dem kleinen Tisch des Hotelzimmers hatte er das Waffenarsenal ausgebreitet, das er als Vampirjäger benutzte. Die High-Tech-Armbrust, die Rachel Shapiro ihm besorgt hatte, daneben ein gutes Dutzend angespitzter Pflöcke und die MPi, für die er ein Spezialholster besaß. Dass einer der Nazis ihm die Automatik abgenommen hatte, ärgerte ihn. Aber die Chance, die Waffe wiederzubekommen war wohl gleich null. Malloy hoffte nur, dass sich nicht in Kürze herausstellte, dass sie bei einem Verbrechen benutzt worden war. Aber vermutlich lief es darauf hinaus. Malloy hörte Schritte draußen auf dem Flur.

Er war sofort alarmiert.

Einen Augenblick später wurde die Tür seines Zimmers eingetreten. Ein grinsender Kahlkopf stürmte in den Raum. Den Baseballschläger hielt er mit beiden Händen.

Malloy griff nach der MPi, riss sie herum. Der Baseballschläger sauste durch die Luft, traf Malloy an der Hand. Die Waffe schleuderte durch die Gegend, krachte gegen die Wand. Ein zweiter Nazi stürmte in den Raum. Es war der Kerl, der die Automatik an sich gebracht hatte. Malloy erinnerte sich an ihn.

Und jetzt hielt dieser Mann ihm seine eigene Dienstwaffe ins Gesicht.

"Schön ruhig, Malloy!", zischte er.

Der Kerl mit dem Baseballschläger grinste schon in sadistischer Vorfreude. Offenbar wartete er nur auf darauf, Malloy endlich krankenhausreif schlagen zu können. Ein dritter Mann betrat jetzt den Raum.

"Der Sektionsführer will ihn lebend!", sagte dieser. Malloy wich etwas zurück.

Die Armbrust auf dem Tisch war nicht geladen, die MPi inzwischen außerhalb seiner Reichweite. Seine Chancen standen schlecht.

"Na, jetzt bist du nicht mehr der große Held, was?", lachte der Kerl mit der Automatik.

In Malloys Hirn arbeitete es fieberhaft.

Woher wussten diese Typen von seinem Aufenthaltsort? Offenbar hatten sie gute Beziehungen oder einen halbwegs begabten Hacker in ihren Reihen, der in die Datenbanken der Polizei hineingekommen war. Malloy war lange genug Cop, um zu wissen, dass das immer wieder vorkam. Absolute Sicherheit gab es nicht. Malloy hatte sie durch sein Abtauchen auch nicht erwartet. Allerdings hatte er es auch nicht für möglich gehalten, dass ihm die Nazi-Bande von der ARYAN-AMERICAN FRONT >so> dicht auf den Fersen war.

Verdammt, es war ein Fehler, meinen Cop-Kollegen überhaupt etwas von meinem Aufenthaltsort zu sagen, ging es ihm durch den Kopf. Vielleicht hätte er lieber nur sich selbst trauen sollen. Ein Gedanke, an den er sich nur schwer gewöhnen konnte.

Du bist jetzt ein Einzelkämpfer!, ging es ihm durch den Kopf. Vergiss alles, was man dir in Dutzenden von polizeipsychologischen Fortbildungsseminaren über Teamarbeit gesagt hat... Es sah ganz danach aus, als ob er jetzt für diesen Fehler bitter bezahlen musste.

Aber Malloy dachte nicht daran so einfach aufzugeben. Der Kerl, der zuletzt in den Raum gekommen war, hob ein Walkie-Talkie an den Mund.

"Alles klar, Leute, wir haben ihn."

Daraus konnte man nur schließen, dass noch mehr Nazi-Schläger um das NEW HAMPHIRE herum postiert waren.

Ihre Aktion war durchorganisiert wie ein Kommandounternehmen. Aber das hatte ja auch schon für ihren Überfall auf das St. Mary Asyl gegolten.

Der Kerl mit dem Walkie-Talkie holte ein paar Handschellen unter seinem Blouson hervor. Er grinste schief. "Mach uns keine Schwierigkeiten Malloy, sonst wirst du es bereuen!"

Malloy ließ den Fuß hochschnellen.

Er traf das Kinn des Kerls mit der Automatik. Der Mann kippte nach hinten.

Malloy musste in der nächsten Sekunde dem Schlag mit dem Baseballholz ausweichen. Haarscharf sauste der Schläger über seinen Kopf. Malloy tauchte darunter hinweg und stürzte sich dann auf seinen Gegner. Mit einem Faustschlag in die Magengrube setzte er ihn für Sekunden außer Gefecht. Ein dumpfes Grunzen kam über die spröden Lippen des Kahlkopfs.

Malloy wusste, dass er nur einen Augenschlag lang Zeit für seine Flucht hatte.

In dem Augenblick, in dem der Kerl mit der Automatik sich wieder berappelt hatte, war er geliefert.

Kurz entschlossen lief Malloy an, setzte zu seinem Sprung an. Er nahm die Hände vor das Gesicht, kurz bevor er durch die Scheibe flog. Das Glas barst auseinander.

Malloy fiel hinab.

Er landete in einem der offenen, überquellenden Müllcontainer. Relativ weich kam er dort auf.

Sein Blick ging sofort hinauf.

Jede Sekunde erwartete er dort einen seiner Verfolger zu sehen. Ein Schatten tauchte auf, hob sich gegen das Licht ab. Eine Sekunde später blitzte das Mündungsfeuer der Automatik auf. Malloy rappelte sich auf, sprang aus dem Container. Die Dunkelheit der Nacht war jetzt sein Verbündeter.

Ein weiterer Schuss verfehlte Malloy.

Der Ex-Cop hatte die Vermutung, dass sein Gegner ihn gar nicht ernsthaft treffen, sondern nur einschüchtern wollte. Schließlich wollten die Kerle ihn lebend. Zumindest hatten sie das gesagt.

Allerdings dachte Malloy nicht daran, sich darauf allzu sehr zu verlassen. In seinen langen Jahren beim NYPD hatte er gelernt, dass solche Vorsätze sehr schnell über den Haufen geworfen wurden. Malloy federte auf dem Asphalt ab, lief in geduckter Haltung weiter. Er wollte seinen Wagen erreichen, bevor der Rest der Meute die Ausfahrt blockierte. Der Kerl mit dem Walkie-Talkie hatte sie mit Sicherheit bereits entsprechend instruiert.

Malloy erreichte Augenblicke später seinen Wagen.

Den Schlüssel hatte er in der Hosentasche. Die Angewohnheit eines Cops. So hatte er den Schlüssel immer dabei, auch wenn er mal sehr plötzlich aufbrechen musste.

Malloy setzte sich ans Steuer, startete den Ford.

Er passierte die Ausfahrt, bog rechts ab.

Zwei Lieferwagen brausten heran, der eine stellte sich quer. Malloy trat in die Eisen.

Der Ford kam mit quietschenden Bremsen zum Stehen. Er riss das Steuer herum, sorgte dafür, dass der Ford mit dem Heck ausbrach und eine halbe Drehung vollführte. Malloy wollte in die entgegensetzte Richtung davonfahren, gab Gas, schrammte an einem am Straßenrand parkenden Fahrzeug vorbei. Funken sprühten.

Ein Jeep kam ihm entgegen.

Vier Kahlköpfe befanden sich in dem Wagen.

Der Jeep bremste, stellte sich quer. Die Männer sprangen ab. Malloys Ford crashte in den Jeep hinein, schob ihn drei, vier Meter weit die Straße entlang und kam dann zum Stillstand.

Ein Schlag mit dem Baseballholz zertrümmerte Sekunden später die Heckscheibe.

Einer der Nazis grinste ihm entgegen.

"Jetzt bist du dran, du Ratte!"

Auch die Seitenscheiben gingen zu Bruch. Aus den Lieferwagen sprangen jetzt ein gutes Dutzend mit Pistolen, Baseballschlägern, Wurfsternen und Messern bewaffnete Nazis und umringten den Ford. Die Tür wurde aufgerissen, Malloy hinausgezerrt. Ein Hagel von Faustschlägen prasselte auf ihn nieder. Er bekam einen Baseballschläger in den Magen gerammt, krümmte sich, stöhnte auf.

Es dauerte nicht lange, bis es schwarz vor seinen Augen wurde. Gnädige Bewusstlosigkeit senkte sich über ihn. Er taumelte zu Boden, blieb regungslos liegen.

Selbst jetzt bekam er noch einige Tritte und Schläge, bis einer der Nazis schließlich einschritt und rief: "Hört auf! Ihr wisst doch, dass der Sektionsführer diesen Malloy lebend haben will."

"Warum auch immer", meinte einer der anderen Schläger und spuckte aus.

"Ich schätze, er wird ihn euch später noch überlassen."

"Na, Hauptsache, wir kommen noch auf unseren Spaß!"

"Auf jeden Fall!"

"Das ist doch eine Ratte, die sollte man gleich totschlagen."

"Vergesst nicht! Ihr habt dem Führer eurer Kampfsektion Gehorsam geschworen!"

"Klar!"

"Los, packen wir ihn ein! Und dann nichts wie weg!" Malloy wurde grob gepackt und zu einem der Lieferwagen geschleift. Sie warfen ihn ins Innere wie ein Mehlsack. Die Schiebetür wurde geschlossen, der Wagen setzte sich in Bewegung.

In einiger Entfernung brauste der Motor einer Harley auf. Die Maschine bremste ab, blieb dann im Schatten einer verfallenden, nie fertig gestellten und völlig unbeleuchteten Bauruine.

"Da ist einer!", rief einer der Nazis.

In Windeseile waren sie startklar. Die Schläger sprangen in die Wagen und dann fuhr der Konvoi davon.

*

Chase Blood fluchte leise vor sich hin. Er war zu spät gekommen. Die Nazis hatten Rob Malloy gekidnappt. Die Nummer zwei der New Yorker Vampire hatte gerade noch mitbekommen, wie sie ihn in den Lieferwagen geworfen hatten. Jetzt fuhren sie mit ihm davon.

Chase folgte den beiden Lieferwagen und dem Jeep.

Es waren dieselben Lieferwagen, die auch an dem Überfall auf das Obdachlosenasyl St. Mary beteiligt gewesen waren.

Chase erkannte die Autonummern wieder.

Er folgte den Wagen in gewissem Abstand.

Wenn er Glück hatte führten die Nazis ihn zu ihrer Zentrale und er konnte möglicherweise zwei Probleme auf einmal lösen. Malloy und die Fanatiker der ARYAN-AMERICAN FRONT.

Chase sorgte dafür, dass der Abstand zwischen ihm und den Wagen der Nazis gerade so groß war, dass er sie nicht verlor. Andererseits wollte er sie aber auch nicht unnötig auf sich aufmerksam machen. Chase trug einen Motorradhelm.

Von seinem Gesicht waren nur die Augen zu sehen.

Daher bestand kaum Gefahr, dass er erkannt wurde.

Die Nazis drehten ein paar Runden in der South Bronx. Solange sie den Wagen nicht verließen, konnten sie auch nicht mit einer der örtlichen Gangs in Konflikt kommen. Offenbar wollten die Kahlköpfe möglichst sicher gehen, dass ihnen niemand folgte. Im dichten Verkehr des selbst zu dieser nachtschlafenden Zeit reichlich frequentierten Croos Bronx Expressway war es leichter für Chase, ihnen unbemerkt zu folgen. Die Nazis schienen sich hier auch sicherer zu fühlen, versuchten nicht mehr durch alle möglichen Wendemanöver einen möglichen Verfolger abzuschütteln. Sie folgten dem Expressway bis zum Hudson River. Dann ging es über die George Washington Bridge nach New Jersey hinüber.

Chase verließ nicht gerne die Stadt. Schon deswegen nicht, weil mit jeder Meile, die hinter ihm lag, die Wahrscheinlichkeit größer wurde, dass er es vielleicht nicht mehr rechtzeitig bis zum Sonnenaufgang zurück in den Big Apple schaffte, um den Tag im komatösen Vampirschlaf zu verbringen. Der zweite Grund war, dass er das Gebiet des Fürsten verließ. Zwar war New Jersey eine Art Niemandsland, das zurzeit zwischen verschiedenen Vampirgruppen umstritten war, aber er musste vorsichtig sein.

Wenn andere, nicht zum Imperium des Fürsten von Radvanyi gehörende Vampire ihn erwischten, gab es zweifellos Ärger. Und wenn es sich dabei um Angehörige von Vampirclans handelte, mit denen der Fürst irgendwelche Abkommen geschlossen hatte, gab es auch noch von der Seite Zunder.

Aber Chase blieb keine andere Wahl.

Jedenfalls sah er das so.

Er musste dieser Sache auf den Grund gehen. Der Fürst verlangte Erfolge von ihm - und er selbst ebenfalls.

Im Übrigen teilte er die Ansicht der Nummer eins, dass beide Gefahren jetzt zügig beseitigt werden mussten.

Zügig und diskret.

Immer weiter ging es nach New Jersey hinein, dann bogen die Lieferwagen in Rigdefield nach Süden in die Tomelle Avenue ab, die einige Meilen landeinwärts beinahe parallel zum Hudson River verlief. Sie passierten den Cliffside Park, North Bergen, Guttenburg und erreichten dann West New York. Trotz des Namens war dieser Ort kein Bestandteil des Big Apple.

Chase folgte den Wagen der Nazis in ein trostloses, marodes Industriegebiet hinein, dessen Boomjahre sicher ein halbes Jahrhundert vergangen waren. Ganze Anlagen rosteten vor sich hin. Schließlich hatten sie ihr Ziel erreicht.

Das Gelände einer alten Drahtzieherei.

Dellrey & Sons.

Chase stoppe die Maschine, stellte den Motor ab. Von hier aus würde er sich zu Fuß anschleichen müssen.

Er schob die Maschine hinter einen Flachdachcontainer, in dem offenbar mal provisorische Büroräume untergebracht gewesen waren. Wenig später sah er um die Ecke. Das Tor einer ehemaligen Fabrikhalle öffnete sich mit einem lauten, scheppernden Geräusch. Dort trafen sie sich also.

Eine ganze Reihe von Fahrzeugen stand bereits um die Halle herum. Posten patrouillierte. Chase sah Pump Action Gewehre und Baseballschläger.

Die Bande will unter sich bleiben, dachte er.

Was immer auch hier vor sich ging - es musste wichtig sein. Selbst bei dem Überfall auf das Obdachlosenasyl hatte Chase nicht so viele dieser Neo-Nazis auf einem Haufen gesehen.

Zwei der Männer schleppten einen schlaff und leblos wirkenden Körper in die Halle.

Malloy.

Für Augenblicke beschien fahles Mondlicht das Gesicht des Vampirjägers.

Warum haben die ihn nicht einfach umgebracht?, ging es Chase Blood durch den Kopf. Dafür musste es einen Grund geben. Dass sie Malloy ans Leder wollten, weil dieser für sie ein lästiger Zeuge war, lag auf der Hand. Aber da gab es offenbar noch etwas, wovon Chase bislang nichts wusste. Ein Schritt ließ Chase herumfahren.

"Heh, was machst du da?", fragte eine heisere Stimme. Einer der Kahlköpfe starrte Chase verwirrt an.

Offenbar hatte dieser Typ nicht zu denen gehört, die bereits mit dem Vampir und seiner Kampfweise Bekanntschaft gemacht hatten. Andernfalls hätte er Chase wohl auch gar nicht erst angesprochen, sondern sofort das großkalibrige Pump Action Gewehr abgefeuert, um auf diese Weise wenigstens eine reelle Fluchtchance zu haben.

Aber diese wertvolle Sekunde ließ er verstreichen, ohne Chase den Kopf mit einem Riesenprojektil zur Hälfte wegzuschießen. Die Regeneration hätte ja immerhin einige Zeit gedauert.

Chase schnellte auf ihn zu, packte den Gewehrlauf, entriss seinem Gegner die Waffe und schlug ihm dann mit dem Kolben den Schädel ein. Ohne einen Schrei sackte der Nazi in sich zusammen, blieb reglos liegen. Blut sickerte aus seinen Ohren heraus.

Noch mal gut gegangen, dachte Chase.

Das Pump Action Gewehr behielt er.

Wer konnte schon wissen, ob er das nicht noch einmal brauchte. In geduckter Haltung arbeitete er sich voran. Er musste sehr vorsichtig dabei sein und achtete immer auf Deckung. Aber die Dunkelheit war sein Verbündeter. Noch hatten die Nazis nichts von jener Kreatur der Nacht bemerkt, die sich anschickte, sie zu vernichten.

*

Die Vernissage war zu Ende. Selbst die hartnäckigsten Sekttrinker hatten sich inzwischen verdünnisiert. Petra Brunstein ging zusammen mit Kelly ins Freie.

Sie sah sich um.

"Der Führer der Kampfsektion wird gleich hier sein", sagte Kelly.

"Ich hoffe, er lässt mich nicht unnötig warten", meinte Petra. Sie machte sich wirklich Sorgen. "Wahrscheinlich ist es wirklich dringend notwendig, dass ich meinen hypnotischen Einfluss auf ihn erneuere!, ging es ihr durch den Kopf. Kelly hatte sie mit dem Sektionsführer bekannt gemacht. Da es bislang in Sachen Chase Blood keinen durchschlagenden Erfolg zu vermelden gab, hatte Petra beschlossen, Rick Stanley an eine etwas kürzere Leine zu nehmen.

Und vielleicht ergab sich sogar die Möglichkeit, noch eine höhere Ebene der ARYAN-AMERICAN FRONT in ihren Dienst zu stellen. Marv Jennings, den fast legendären Begründer der AAF. Wenn ihr das gelang, konnte sie vielleicht dafür sorgen, dass sich die Vampirjagd der AAF noch mehr auf Chase Blood konzentrierte. Eine dunkle, lang gezogene Limousine mit undurchsichtigen Scheiben rauschte heran.

Das war Stanley.

Kelly öffnete Petra die Hintertür der Limousine.

Sie setzte sich hinein.

Rick Stanley trug ein glänzendes schwarzes Seidenhemd und spielte mit dem Totenkopfamulett herum, dass er um den Hals trug. Am Gürtel war ein SS-Dolch befestigt.

Er sah Petra entgegen, wollte etwas sagen, verstummte aber, als er in die dunklen Augen der Vampirin blickte.

Ja, es wurde wirklich Zeit, unsere mentale Verbindung wieder ein bisschen aufzufrischen!, ging es der Vampirin durch den Kopf. Sonst kommst du noch auf dumme Gedanken...

"Wir werden uns unterhalten!!", sagte Petra.

"Ja."

"Wann werde ich eine Gelegenheit bekommen, Marv Jennings zu sprechen?"

"Noch in dieser Nacht, wenn Sie wollen."

"Oh..."

"Wir haben einen Gefangenen. Diesen Malloy."

"Einen >Gefangenen>?", wunderte sich Petra. "Warum habt ihr ihn nicht gleich entsorgt?"

"Weil unsere oberste Führung der Meinung war, dass wir zunächst aus ihm herausholen sollten, ob es nicht Verräter in unseren Reihen gibt."

"Gab es Anzeichen dafür?"

"Ja."

"Ich verstehe..."

"Marv Jennings wird bei dem Verhör dabei sein. Es wird sich mit Sicherheit eine Gelegenheit ergeben, mit ihm zusammen zu treffen." Kelly hatte indessen auf dem Beifahrersitz neben dem Chauffeur Platz genommen.

Die Limousine setzte sich in Bewegung.

*

Das erste, was Malloy spürte, war die Kälte.

Jemand hatte ihm einen Eimer mit eisigem Wasser über den Kopf geschüttet.

Das sorgte dafür, dass er wieder zu Bewusstsein kam. Er blickte auf.

Fackeln erhellten eine alte Fabrikhalle. Er war umzingelt von den kahlköpfigen AAF-Anhängern, die ihn gespannt anstarrten. Stille herrschte in der Halle.

Malloy registrierte, dass seine Hände nicht gefesselt waren. Noch ehe er sich richtig erhoben hatte, stürzten zwei der Nazis herbei und packten ihn bei den Armen. Malloy versuchte gar nicht erst, sich loszureißen. Es wäre auch zwecklos gewesen.

Malloy fiel ein Mann auf, der optisch aus der Horde der Kahlköpfe heraus stach. Es war ein schlaksig wirkender Mann mit grauen Haaren. Er trug einen Maßanzug, hatte lässig die Hände in den Taschen. Neben ihm stand eine Art Leibwächter in ähnlich edler Garderobe. Der Grauhaarige ging auf Malloy zu, musterte ihn mit seinen Habichtaugen.

Ein kaltes Lächeln erschien um seinen dünnlippigen Mund.

"Wissen Sie, wer ich bin, Malloy?", fragte er.

"Keine Ahnung."

"Mein Name ist Marv Jennings. Das immerhin wird es in ihrem Schädel klingeln lassen..."

"Sie sind der Gründer der AAF!"

"Ja, so ist es. Eigentlich haben wir ein gutes Verhältnis zur Polizei. Schließlich sorgen wir ja auch für Recht und Ordnung. Allerdings auf unsere Art. Wir sind weniger rücksichtsvoll dabei und gehen härter zur Sache!"

"Sie sind Gangster!"

"Vorsicht!"

"Ich verachte Sie!"

Marv Jennings hob die Augenbrauen. "Ja, ich weiß, dass es unter den Cops eine Gruppe von schwarzen Schafen gibt, die nicht begreifen, dass wir ein gutes Werk tun!"

"Was Sie tun habe ich in der 66.Straße gesehen... Von dem Mut ihrer Leute, auf Wehrlose einzuschlagen war ich wirklich beeindruckt, das muss ich sagen!", meinte Malloy voller Ironie.

Einer der Kahlköpfe trat hinzu, wollte Malloy seinen Baseballschläger in den Leib rammen. Aber Marv Jennings hob die Hand. Der Kahlkopf hielt mitten in seiner Bewegung inne. "Lass ihn", sagte Jennings. "Wir brauchen ihn noch. Und zwar in einem Zustand, in dem er reden kann." Der Kahlkopf grunzte etwas Unverständliches vor sich hin. Aber er gehorchte Jennings.

Er trat zurück, reihte sich wieder neben seinen Kumpanen ein.

"Was haben Sie vor?", fragte Malloy.

"Das hängt ganz von Ihnen ab."

"Ach, wirklich? Ich denke hier irgendwo steht schon ein Fass mit Säure parat, in dem meine Gebeine aufgelöst werden, wenn ihr mit mir fertig seid."

Marv Jennings' Gesicht blieb regungslos. Er ließ durch nichts erkennen, wie sehr ihm diese Äußerung missfiel.

"Zunächst einmal kann der Weg bis dahin für Sie sehr unterschiedlich aussehen, Lieutenant Detective Malloy. Es gibt die schmerzlose Variante und..." Er zögerte, ehe er weiter sprach. Als er dann endlich fort fuhr, umspielte ein grausames Lächeln seinen dünnlippigen Mund. "...und die andere, wenn Sie verstehen, was ich meine."

"Wie die aussieht kann ich mir schon denken..." Jennings lachte auf.

"Nein, dass können Sie sich beim besten Willen nicht vorstellen, Malloy. Dazu reicht nicht mal die Fantasie eines Cops aus, der sicherlich schon ein paar unappetitliche Dinge gesehen hat..."

"Was wollen Sie?"

"Ich möchte wissen, woher Sie diesen Treffpunkt kannten. Sie sind hier vor kurzem aufgetaucht..."

Malloy schwieg.

Jennings fuhr fort: "Ich will außerdem wissen, woher sie von der Aktion in der 66.Straße wussten! Jemand muss Sie vorher informiert haben, sonst wären Sie nicht so rasch dort gewesen! Und an Zufälle glaube ich nun mal nicht."

"Ach, wirklich?"

Malloy ließ den Blick schweifen.

Er ließ ihn die Gesichter der Kahlköpfe entlang gleiten. Manche waren noch erschreckend jung. Aber Marv Jenning hatte es geschafft sie zu perfekten Kampfhunden abzurichten. Menschen ohne eigenen Willen, für die es nichts anderes als stumpfen Gehorsam gab. Und die Aggression gegenüber allem, was sie für fremd hielten.

"Sie suchen Ihren speziellen Freund Roy Sands?", lächelte Jennings. Malloy erschrak.

"Sie sehen etwas blass aus, Lieutenant", meinte Jennings. "Aber seien Sie versichert, dass für Sie beide Platz im Säurefass ist, wenn wir etwas stopfen und Ihnen vorher die Beine brechen."

Jennings schaute auf die Uhr. Er wandte sich an den Leibwächter, der ihm nicht von der Seite wich. "Wo bleibt Stanley?"

"Keine Ahnung. Er sagte am Telefon, dass er auf dem Weg hier her sei..."

"Lässt sich ziemlich viel Zeit... Vielleicht war mein Verdacht gar nicht so falsch, dass in der Kampfsektion New York etwas nicht stimmt. Aber wenn wir mit >dem hier> fertig sind, wissen wir mehr." Und dabei deutete er auf Malloy.

Das Handy des Leibwächters schrillte.

Er hörte stirnrunzelnd zu und sagte dann: "Es ist Stanley!"

"Wo ist er?"

"Draußen im Wagen."

"Soll herkommen!"

"Er will, dass >Sie> zu >ihm> kommen, Mr. Jennings!" Jennings' Gesicht verdüsterte sich. Der Mann im Maßanzug ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. Seine Nasenflügel bebten leicht. Wenn er etwas nicht leiden konnte, dann war es Befehlsverweigerung. Jennings wandte sich an die beiden Kerle, die Malloy festhielten.

"Einen Augenblick, ich bin gleich wieder da!"

*

Rick Stanley nahm das Handy vom Ohr. Sein Blick ruhte dabei auf Petra Brunstein. Der Chauffeur hörte inzwischen auch exakt auf ihr Kommando. Diese schwachen Seelen, dachte sie. Wie leicht es ist, durch einen Blick ihren Willen vollkommen zu betäuben.

"Mr. Jennings wird nicht begeistert davon sein", sagte Stanley.

"Oh, er wird Verständnis dafür haben, dass ich mich nicht unter diesen Mob von schwitzenden Halbaffen begeben möchte!", war die Vampirin überzeugt.

"Wenn Sie meinen."

"Ich meine es!!"

Die Limousine stand so, dass man aus ihrem Inneren den Eingang der Fabrikhalle hervorragend beobachten konnte.

Zwei Männer kamen jetzt aus der Halle.

Beide im Anzug, was sie von den gewöhnlichen AAF-Mitglieder deutlich unterschied.

"Welcher von den beiden ist Jennings?", fragte Petra.

"Der Rechte", gab Stanley bereitwillig Auskunft. Die beiden näherten sich.

Ziemlich unwirsch schlug Jennings gegen die Hintertür des Wagens.

"Stanley, was fällt Ihnen ein?"

Petra ließ die Scheibe herunter gleiten.

Sie sah Jennings an, dessen bleiches Gesicht im fahlen Mondlicht irgendwie kränklich wirkte. Ganz anders, als die kerngesunden ArierBarbaren, die seine Bewegung immer als Vorbilder propagierte. Jennings wollte etwas sagen, seine Schimpftirade fortführen. Aber er verstummte, als sich sein Blick mit Petras dunklen Augen traf.

"Was..?"

Er brachte den Satz nicht mehr zu Ende, wirkte völlig konsterniert.

"Ich schlage vor, Sie setzen sich etwas zu mir, Mr. Jennings. Dann können wir uns unterhalten!!"

"Ja", murmelte er devot.

Petra wandte ihren Blick dem Leibwächter zu. "Und du gehst wieder zurück und sagst deinen Freunden Bescheid und belästigst uns nicht weiter."

Er nickte nur, drehte sich auf der Stelle um und ging zurück. Petra öffnete die Tür und rutschte dann in die Mitte.

"Na kommen Sie schon, Jennings. Ich beiße nicht... Jedenfalls nicht in dieser Nacht und nicht Sie!"

*

Auf der dem Haupttor gegenüberliegenden Seite der Fabrikhalle befand sich eine Hintertür, die nur für den Einlass von Personen geeignet war. Die Tür war aus Metall. Zwar etwas angerostet, aber stabil. Chase trat sie kurzerhand ein. Sie brach aus ihren Halterungen heraus. Mit einem ohrenbetäubenden Lärm krachte sie auf den Betonboden. Chase hielt das Pump Action Gewehr in den Händen. Das Magazin war voll.

Die Nazis wirbelten herum, sahen ihm entsetzt entgegen.

"Verflucht! Der Vampir!", rief jemand.

Chase wartete keine Sekunde. Er feuerte einfach drauflos. Die ersten Nazis sanken getroffen zu Boden. Panik breitete sich aus. Chase näherte sich.

Dass auf ihn jetzt auch gefeuert wurde, kümmerte ihn nicht weiter. Mehrere Kugeln erwischten ihn am Oberkörper, eine riss ihm das halbe Ohr weg.

Mehr als ein Zucken verursachte das bei dem Vampir nicht. Die Ohrwunde blutete böse. Aber sie war bereits wieder im Begriff zu heilen. Schuss um Schuss gab der Vampir ab.

Sein Ziel war es ganz offensichtlich, so viele seiner Gegner wie nur irgend möglich zu töten.

Malloy nutzte den Moment der Verwirrung. Er riss sich los, verpasste dem Kerl links von ihm einen Karatetritt, wirbelte herum und schleuderte den anderen seinen Kameraden entgegen.

Malloy blickte sich um, stand in leicht geduckter, kampfbereiter Haltung da. Noch immer war er umringt von Nazis, aber die meisten von ihnen hatten im Moment andere Sorgen.

"Malloy! Lasst das Schwein nicht entkommen! Der Sektionsführer reißt uns den Kopf ab!", rief einer von ihnen.

Chase Blood hatte das Pump Action Gewehr inzwischen leer geschossen. Einer der Nazis, der seine Vampirjäger-Ausrüstung dabei hatte, schoss mit seiner Armbrust einen angespitzten Pflock auf Chase. Dieser duckte sich in letzter Sekunde. Seine reflexartige Reaktion war unwahrscheinlich schnell. Das Geschoss surrte über ihn hinweg, prallte gegen die Wand. Chase brachte das nicht aus der Ruhe. Er ging auf die jetzt ziemlich chaotisch wirkende Gruppe seiner Gegner zu, fasste das Pump Action-Gewehr am Lauf wie eine Keule.

Einer der Nazis versuchte, ihn mit einer Fackel anzugreifen. Chase schlug sie ihm aus der Hand. Mit dem nächsten Hieb zertrümmerte er seinem Gegner den Schädel.

Chase setzte jetzt zum grausamen Sturmlauf an.

Einen Nazi, der ihn von der Seite mit einer Machete anzugreifen versuchte, setzte er mit einem Hieb in den Unterleib außer Gefecht. Der zweite Schlag des Gewehrkolbens brach ihm dann mit einem hässlichen Geräusch das Genick.

Eine Kugel streifte ihn an der Stirn.

Jemand hatte mit einer zierlichen 22er auf ihn gefeuert. Chase bückte sich, hob die Machete seines soeben hingestreckten Gegners auf. Er schleuderte sie mit unglaublicher Wucht von sich. Die Klinge säbelte wie ein Geschoss durch die Luft, traf den Schützen der 22er. Er schrie auf, als ihm die scharfe Schneide der Machete in die die Kehle fuhr. Ein Strom von Blut spritzte in einer Fontäne aus ihm heraus. Verzweifelt versuchte er, mit den Händen den Blutstrom aufzuhalten, aber offenbar hatte Chase mit seinem Machetenwurf eine Schlagader getroffen. Er hatte keine Chance. Das Blut suchte sich unaufhaltsam seinen Weg zwischen den Fingern des Kahlkopfs hindurch. Röchelnd sank er zu Boden, während seine in Panik begriffenen Gesinnungsgenossen über ihn hinwegstolperten.

Chase stürmte weiter.

Der Armbrustschütze hatte einen weiteren Pflock eingelegt, schoss ihn jetzt ab.

Chase packte sich einen der davoneilenden Nazis an der Jacke, hielt ihn wie einen Schutzschild vor sich.

Der Pflock durchbohrte den Nazi einen Zentimeter unterhalb des Brustbeins.

Die Wucht mit der die Armbrust ihn beschleunigt hatte, war so groß, dass die Pflockspitze eine Handbreit aus dem Rücken des Neo-Nazis wieder herausragte.

Chase schleuderte den Körper des Gepfählten zur Seite. Malloy hatte sich inzwischen mit drei Gegnern gleichzeitig auseinanderzusetzen.

Aber sein Nahkampftraining beim NYPD machte sich bezahlt. Mit blitzschnellen Abwehrbewegungen konnte er das Schlimmste verhindern. Einer der Nazis schlug mit seinem Baseballschläger nach ihm, ließ ihn wie eine Sense durch die Luft wirbeln. Malloy musste sich ducken. Er tauchte unter dem Schlag her, stürzte sich dann auf sein Gegenüber und stieß ihn zu Boden.

Er selbst kam ebenfalls zu Fall.

Er rollte auf dem Beton ab.

Einer der anderen Nazis stürzte sofort hinterher, versetzte ihm einen mörderischen Tritt mit seinen Springerstiefeln. Chase biss die Zähne zusammen, hakte seinen Fuß in die Kniekehle des Treters. Das ließ ihn einknicken und ebenfalls zu Boden gehen.

Sekundenbruchteile später war Chase wieder auf den Beinen. Er wandte den Kopf, sah aus den Augenwinkeln heraus eine schattenhafte Bewegung.

Zu spät.

Kräftige Arme umklammerten ihn von hinten mit einem Griff, der wie ein Schraubstock wirkte.

Einer der anderen Kahlköpfe trat mit einer Fackel in der Hand auf Malloy zu, grinste schief.

"Wollen wir mal sehen, ob Cops auch feuerresistent sind!", meinte er.

"Bei dem ganzen Asbest, das ihr in euren baufälligen Polizeirevieren eingeatmet habt, könnte man ja fast auf den Gedanken kommen, dass euch ein bisschen Feuer unter dem Hintern gar nichts ausmacht..." Er ließ die Fackel vorschnellen.

Aber Malloy trat sie ihm aus der Hand. Im hohen Bogen flog sie durch die Gegend, kam irgendwo auf. Dann wandte Malloy einen Judogriff an und warf den Kerl, der ihn von hinten umklammerte über die Schulter. Ein rascher Schlag gegen die Schläfe ließ ihn wie ein betäubtes Schwein im Schlachthof zusammensacken.

Der Kerl, dem er die Fackel weggetreten hatte, zog jetzt ein Springmesser und einen Wurfstern.

Den Wurfstern ließ er in Malloys Richtung schnellen. Mit einem pfeifenden Geräusch zischte er durch die Luft. Malloy duckte sich.

Der Wurfstern ging ins Leere, schrammte gegen eine vor sich hinrostende Maschine der ehemaligen Drahtzieherei.

Dann stürmte der Kerl vor. Das Messer schnellte dabei auf Malloys Bauchgegend zu.

Malloy wich dem Stoß aus, packte den Arm seines Kontrahenten und brach ihn über dem Knie. Es knackte hässlich. Der Typ schrie auf. Das Messer entfiel seiner Hand. Malloy versetzte ihm einen Fausthieb, der ihn außer Gefecht setzte.

Der Vampirjäger wandte sich herum.

Im Augenblick war kein weiterer Gegner in der Nähe. Die meisten der Neo-Nazis waren in heilloser Flucht begriffen. Chase wütete mit außerordentlicher Brutalität durch ihre Reihen. Wen er von ihnen zu fassen bekam, den tötete er. Malloy beobachtete, wie der Vampir seine Zähne in die Hälse seiner Opfer schlug, wie er mit wuchtigen Hieben dafür sorgte, dass Genickknochen brachen.

Er ist vollkommen gnadenlos!, ging es Malloy schaudernd durch den Kopf.

*

Petra blickte ebenso verwundert aus dem Fernster wie Marv Jennings und Rick Stanley.

Aus der Halle kamen schreiende Neo-Nazis. Einige waren verletzt. Ein wahrer Dämon musste hinter ihnen her sein.

Und dann sah Petra ihn.

Chase!

Er hatte den SS-Dolch von einem der Getöteten an sich genommen, schleuderte ihn durch die Luft und traf einen der Davoneilenden, der gerade die Tür eines Lieferwagens geöffnet hatte. Der Dolch erwischte den Flüchtenden im Rücken. Die Klinge war mit derart brutaler Wucht geschleudert worden, dass sie bis zum Heft in seinem Rücken steckte. Der Chauffeur blickte etwas unschlüssig nach hinten. Direkt in Petras Augen.

"Fahren Sie!!", sagte die Vampirin.

Der Chauffeur nickte, so als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt, dass Petra Brunstein ihm Befehle gab. Er ließ den Motor an.

"Verdammt, was ist da los?", rief Stanley. Dann erbleichte er. "Dieser Vampir.“

Der Wagen startete.

Chase kam auf die Limousine zu.

Der Vampir stellte sich ihr in den Weg, wollte sie anhalten. Nur gut, dass dieser Wagen so dunkle Scheiben hat!, dachte Petra Brunstein.

"Nicht Bremsen!!", wies sie den Chauffeur an. Der Wagen beschleunigte, hielt auf Chase zu, der keinerlei Anstalten machte, den Weg freizugeben. Chase Blood stand mit leicht gespreizten Beinen da, hob die Hände. Es wirkte beinahe so, als wollte er den Aufprall damit abfedern. Kelly saß mit offenem Mund auf dem Beifahrersitz.

Bevor der Wagen Chase erfassen konnte, sprang er auf die Motorhaube. Der Chauffeur bremste.

Chase wurde von der Haube heruntergeschleudert, kam hart auf den Boden. Er rollte zur Seite und rappelte sich auf. Der Chauffeur gab inzwischen Vollgas. Der Wagen machte einen Satz nach vorn, brauste dann davon.

Petra sah aus der Heckscheibe. Chase stand mit grimmig verzogenem Gesicht da, die Fäuste geballt. Das fahle Mondlicht ließ ihn wie eine gespenstische Kreatur erscheinen.

Petra atmete heftig.

Ein Schauder überlief eiskalt ihren Rücken, als sie daran dachte, dass Chase sie und ihr blutiges Spiel um ein Haar entlarvt hatte. Petra war keine gute Kämpferin. Wenn Chase sie angegriffen hätte, hätte sie nicht den Hauch einer Chance gehabt.

Dein Plan ist gescheitert!, dachte sie. Du musst dies als Tatsache anerkennen und die nötigen Konsequenzen daraus ziehen... Vor allem musste sie verhindern, dass jemand von ihrer Intrige Wind bekam.

Der Fürst würde nicht erbaut davon sein.

Und wie Chase in dem Fall reagierte, mochte Petra sich lieber nicht ausmalen.

"Bringen Sie mich zurück nach Manhattan!!", sagte sie an den Chauffeur gewandt.

Über den Rückspiegel hatten sie für einen kurzen Moment Blickkontakt.

"Ja, Madam", sagte er unterwürfig.

Jennings wandte ihr einen Blick zu.

Er runzelte die Stirn, so als ob er ein ungutes Gefühl nicht zu verbergen vermochte.

"Eigenartig", murmelte er.

"Was ist eigenartig?", fragte Petra.

"Ich..."

Jennings fasste sich an den Kopf. Er sprach nicht weiter. Petra lächelte kalt.

Ja, du willst sagen, dass du dich nicht mehr zu konzentrieren vermagst. Dass du nicht einen einzigen klaren Gedanken mehr zu Stande bringst... Du wirst dich an diesen Zustand gewöhnen müssen... Zu meiner Sicherheit!

Schließlich kann ich nicht riskieren, dass einer von euch dem Fürst in die Hände fällt...

Petras Blick bohrte sich in Marv Jennings Augen.

Eigentlich schade, dass ich den Geist dieser Männer vernichten muss, überlegte sie. Brabbelnde Idioten werden drei von euch am Ende sein. Und der vierte?

Petra öffnete halb den Mund und musste sich sehr beherrschen, um die Zähne nicht viel zu früh auszufahren.

Schließlich hatte sie heute noch keinen Imbiss gehabt - und die angejahrten Mademoiselles, die man beim Fürst angeboten bekam, standen ihr bis zum Hals.

Sie überlegte kurz, wem diese Sonderbehandlung zuteil werden sollte und entschied sich für Kelly. Sie freute sich schon auf sein Blut. Aber erst einmal wollte sie zurück in Manhattan sein.

*

Malloy trat ins Freie.

Die meisten Nazis waren tot, eine kleinere Anzahl bewusstlos. Nur wenigen war die Flucht mit den Fahrzeugen gelungen. Chase hatte wie ein Berserker unter ihnen gewütet. Jetzt lagen sie zu Dutzenden in ihrem Blut. Überall waren Leichen auf dem Boden verstreut. Die meisten lagen in eigenartig verrenkten Haltungen da.

Nicht wenige waren furchtbar zugerichtet.

Chase war nicht gerade zimperlich vorgegangen.

Jetzt stand er im fahlen Mondlicht da, beinahe so, als würde er Malloy erwarten.

Malloy hatte einem der Toten die Machete abgenommen. Er trug sie in der Linken. Die Rechte hielt eine Armbrust, in die er bereits ein angespitztes Pflockgeschoss eingelegt hatte. Auch diese Waffe hatte er einem der toten Nazis abgenommen.

Abwartend blieb er stehen.

Jetzt stehst du ihm also gegenüber, dem Mann, der deine Tochter umgebracht hat!, ging es ihm durch den Kopf. Nein, >Mann> ist nicht der richtige Ausdruck. >Vampir>. Eine Kreatur der Nacht, an der nichts Menschliches mehr ist. Ein Wesen, dass bedenkenlos tötet und dem du jetzt Einhalt gebieten kannst.

>Für immer!>

Malloy umfasste den Griff der Machete etwas fester. Die Armbrust senkte er.

Einen Schuss hast du!, ging es ihm durch den Kopf. Wenn der nicht sitzt, dann bleibt dir nur noch die Möglichkeit, ihm mit der Machete den Kopf vom Rumpf zu trennen...

Andererseits hatten sie ironischerweise diesmal auf einer Seite gekämpft. Gesteh es dir ein, er hat dir das Leben gerettet!, durchzuckte es Malloy. Eine Tatsache, an der du nicht vorbeikannst.

"Na, was ist, Vampirjäger?", fragte Chase. "Ist dir die Puste ausgegangen oder warum stehst du da wie eine Salzsäule?"

"Du hast mir das Leben gerettet."

"Das hat keine Bedeutung", sagte Chase.

"Wir kämpfen zum zweiten Mal auf einer Seite."

"Auch das hat keine Bedeutung."

"Madeleines Tod kann das nicht ungeschehen machen!", nickte Malloy. Der Spruch, dass der Feind des Feindes ein Freund sein musste, traf hier nicht zu, so fand der Vampirjäger.

Chase zuckte die Achseln.

"Du wirst weiter versuchen uns zu jagen und zu töten."

"Ja, das ist wahr." Malloy senkte die Armbrust nun ganz hinab, so dass sie auf den Boden zeigte. "Ich werde dich heute verschonen", sagte er.

"Ach, wirklich?"

Chase verzog das Gesicht. Seine Zähne kamen zum Vorschein. In seinen Augen spiegelte sich das Mondlicht, so dass es aussah, als würden sie aufblitzen.

"Ja", bestätigte Malloy. "Ich schätze, ich bin dir was schuldig. Darum sollten wir heute in Frieden auseinander gehen... Aber wenn wir uns das nächste Mal begegnen, wird nicht der Gegner dieser Nazi-Bande vor dir stehen, sondern Madeleines Vater."

"Der Vampirjäger!"

"So ist es."

"Du bist ein Idiot, Malloy!"

"So?"

"Wir bringen es hier und jetzt zu Ende."

Chase ging auf Malloy zu.

Der Mund des Vampirs öffnete sich. Die raubtierhaft wirkenden Zähne wurden zu voller Länge ausgefahren. Ein tierisch anmutendes Knurren kam aus seiner Kehle. Zwischendurch bückte er sich, nahm einem der Nazis, dem er den Hals zerfleischt hatte, den Baseballschläger ab und schwang ihn dann mit erschreckender Leichtigkeit wie eine Keule. Malloy brauchte Sekunde, um zu begreifen, dass dies ein Angriff war. Chase unternahm dabei nichts, um sich selbst zu schützen. Er trat offen auf Malloy zu, dann setzte er mit dem Baseball-Holz in der Hand zu einem Sturmlauf an.

Er stürzte sich geradezu auf seinen Gegner - den Mann, von dem er annehmen musste, dass er nicht eher Ruhe geben würde, bis er vernichtet war. Vermutlich nicht einmal dann. Madeleines Tod hatte einen derart großen Hass auf Vampire in Malloy angestaut, dass er wohl erst zufrieden war, wenn sämtliche Kreaturen der Nacht vom Antlitz der Erde getilgt waren.

Malloy erwartete den Angriff seines Gegners.

Er schoss die Armbrust ab.

Der Pflock zischte durch die Luft, traf Chase im Hals. Das angespitzte Holz bohrte sich dicht an der Gurgel vorbei schräg in das Fleisch hinein, ging dann an den Wirbeln vorbei und trat auf der anderen Seite wieder hervor.

Ein Ruck ging durch Chase' Körper.

Sein wuchtiger Angriff wurde dadurch gestoppt.

Er röchelte, wurde nach hinten gerissen und blieb dann taumelnd stehen. Mit der Hand griff er zum Hals, umfasste das herausschauende Ende des Pflocks. Er riss ihn heraus, schleuderte ihn von sich. Eine Sekunde später schon musste er den mörderischen Schlag parieren, den Malloy mit seiner Machete ausführte. Im letzten Moment hob Chase den Baseballschläger schützend über sich.

Die scharfe Klinge fetzte ein Stück aus dem Holz heraus. Dem nächsten Hieb musste Chase ausweichen, indem er sich duckte. Haarscharf zischte die Machetenklinge über ihn hinweg, streifte noch leicht seinen Hinterkopf. Chase blutete. Er wich zurück.

Seine Kraft brauchte er jetzt, um seine Wunden zu schließen. Aber Malloy ließ ihm keine Verschnaufpause. Er setzte nach, ließ die Machete durch die Luft sirren. Chase verteidigte sich. Ein Stück des Baseballschlägers hob Malloy einfach ab.

Dass sich in der Zwischenzeit die grauenhafte Wunde an Chase' Hals wieder zu schließen begann, beeindruckte den Vampirjäger kaum noch. Schließlich sah er so etwas nicht mehr zum ersten Mal. Malloy hieb wie wild auf Chase ein und dieser hatte alle Mühe, die Angriffe zu parieren.

Doch dann setzte er zum Gegenangriff an. Ein gezielter Schlag mit dem leicht verkürzten Baseballschläger traf Malloys rechte Hand. Der Vampirjäger schrie auf.

Die Machete wurde ihm durch die Wucht des Schlages davon gerissen und einige Yards weit weg geschleudert.

Chase ließ einen weiteren Schlag folgen, dem Malloy nur knapp ausweichen konnte. Das Holz erwischte ihn noch an der Schulter. Die Wucht des Schlages warf ihn zu Boden. Malloy rollte sich ab. Chase war schon über ihm. Der Baseballschläger sauste nieder. Nur um Zentimeter verfehlte das Hartholz Malloys Kopf.

Malloy ließ den Fuß hochfahren, traf Chase mit einem wuchtigen Tritt, der den Vampir ein Stück zurücktaumeln ließ.

Sekunden später hatte Malloy sich wieder aufgerappelt und stand in kampfbereiter Haltung da.

Chase hatte keine Eile. Er kam näher.

Malloy wich zurück, sah sich um nach Gegenständen, die er als Waffe benutzen konnte.

Dann bewegte er sich dorthin, wo seine Machete hingeflogen war. Ein paar schnelle Schritte, Malloy bückte sich und hob die Waffe auf. Chase folgte ihm.

Die Wunde am Hals hatte sich beinahe ganz wieder geschlossen. Er fasste den Baseballschläger mit beiden Händen, stürmte auf Malloy zu. In letzter Sekunde wich Malloy dem Schlag aus. Das Holz knallte auf den Asphalt. Chase hatte mit einer derart großen Wucht geschlagen, dass der Baseballschläger zersplitterte.

Malloy ließ die Machete in Chase' Körper hineinfahren. Er zielte auf den Hals, denn er wollte den Vampir vernichten. Staub sollte er werden. Staub, den der Wind Richtung Hudson verstreute...

Er erwischte Chase an der Schulter.

Die Klinge drang mehrere Zentimeter tief ein.

Blut spritzte.

Chase schrie auf.

Der Schmerz war höllisch, der seinen Körper durchfuhr. Er schnellte etwas zurück.

Malloy hob erneut die Machete und ließ sie durch die Luft wirbeln. Die Spitze ritzte über Chase Oberkörper. Das Blut troff inzwischen von der Klinge.

Chase sprang zurück.

Er atmete tief durch.

Malloy stand der Schweiß auf der Stirn.

Die beiden Kontrahenten belauerten sich, beobachteten jede Regung des anderen, um den günstigsten Zeitpunkt für den nächsten Angriff exakt abzupassen.

"Du hast es nicht anders gewollt, Chase!", keuchte Malloy. Chase gab keine Antwort.

Seine Konzentration war vollkommen darauf ausgerichtet, die stark blutende Wunde an seiner Schulter wieder einigermaßen zu schließen. Zumindest soweit, dass die zertrümmerten Knochen wieder ganz wurden. Mit so viel Widerstand hatte Chase nicht gerechnet. Nicht bei einem Sterblichen.

Einem Vampirjäger ohne professionelle Ausrüstung und Unterstützung durch ein Team. Aber die Zeichen der Erschöpfung wurden jetzt überdeutlich. Malloy hatte sich schließlich schon gegen die Neo-Nazis seiner Haut wehren müssen. Seine Kraftreserven waren weitaus geringer als die eines Vampirs.

"Dieses Spiel wird mir jetzt langweilig, Sterblicher!", sagte Chase. "Es ist nichts gegen dich persönlich, Malloy, aber ich sehe keine andere Möglichkeit..."

Der Vampir griff von neuem an.

Malloy hielt ihm die Machete entgegen.

Der Schweiß glänzte auf seiner Stirn.

Chase blieb ganz ruhig. Er hatte keine Eile.

Malloy trat ihm entgegen, holte zum Schlag aus.

Chase duckte sich. Der wuchtige Machetenhieb zischte über den Vampir hinweg. Chase ließ seinen Fuß hochfahren und landete einen kräftigen Tritt in der Magengrube seines Kontrahenten. Malloy wurde mehrere Yards weit geschleudert, kam hart auf dem Boden auf. Er ächzte, hielt sich den Bauch, versuchte sich aufzurappeln. Sein Gesicht war kalkweiß. Schon war Chase bei ihm, kickte ihm die Machete aus der Hand. Im hohen Bogen flog sie davon.

Der Vampir fuhr die Zähne aus, stieß dabei einen grollenden Laut hervor. Malloy war inzwischen wieder auf den Beinen, setzte eine Folge von Karatetritten an, die Chase jedoch mit geradezu provozierender Lässigkeit parierte.

Malloy wich zurück.

Er begriff, dass es jetzt um sein Leben ging.

Nicht er war jetzt der Jäger, sondern diese Kreatur der Nacht, die es nicht mehr erwarten konnte, die langen Vampirzähne in den Hals des Ex-Cops zu senken.

Malloy lief ein Stück.

Er fühlte, dass seine Kräfte nachließen. Ganz deutlich war das. Und er begann zu ahnen, dass er diesen Kampf nicht mehr gewinnen konnte. Möglicherweise überleben, aber nicht gewinnen.

Chase setzte ihm nach.

Malloy stoppte, bückte sich nach einer der Leichen, die dem Vampir zum Opfer gefallen waren. Einen 38er Smith & Wesson-Revolver hatte der kahlköpfige Nazi in der einen Hand, außerdem einen nachgemachten SSDolch am Gürtel. Malloy nahm ihm beides ab, überprüfte kurz die Ladung der Waffe. Chase machte nicht einmal den Versuch, zu verhindern, dass sein sterblicher Gegner diese Dinge in Besitz nahm.

"Damit kannst du mich nicht vernichten!", stellte Chase eiskalt fest. Malloy war das natürlich klar. Aber andere, wirksamere Waffen befanden sich nicht in seiner Reichweite. Immerhin konnte er Chase mit der Pistole und dem Dolch vielleicht lange genug auf Distanz halten, um fliehen zu können.

Malloy rannte los.

Sein vampirischer Gegner setzte zu einem ruhigen Dauerlauf an und holte selbst dabei stetig auf.

Malloy erreichte schließlich die Grenze des Geländes von Dellrey & Sons. Ein niedriger Maschendraht-Zaun trennte die Industriebrache der ehemaligen Drahtzieherei von einer Speditionsfirma. Um diese Zeit war dort nichts mehr los. Die Trucks standen schön in einer Reihe. Vielleicht gibt es eine Alarmanlage!, dachte Malloy. Wenn er Glück hatte eine, die direkt mit der Polizei verbunden war. Und wenn die Kollegen dann einigermaßen schnell waren, wurde Chase vielleicht gezwungen, sich zurückzuziehen und davonzumachen.

Oder Malloy schaffte es, einen der Trucks kurzzuschließen und damit zu verschwinden.

Strohhalme waren das.

Mehr nicht.

Sein vampirischer Gegner schien jedenfalls nicht die geringste Befürchtung dahingehend zu hegen, dass Malloy ihm womöglich doch noch entkommen konnte.

Malloy sprang über den Zaun.

Chase hatte schon erschreckend aufgeholt.

Malloy feuerte den Smith & Wesson ab. Chase zuckte. Sechs Kugeln waren in der Trommel. Malloy spurtete in Richtung der Trucks. Hinter sich hörte er den regelmäßigen, unangestrengten Atem des Vampirs.

Malloy wirbelte herum, feuerte immer wieder den Revolver ab. Aber die Schüsse konnten nichts ausrichten, außer, dass Chase kurz stoppte. Schließlich warf Malloy die leer geschossene Waffe weg. Nur noch der Dolch blieb ihm. Er streckte ihn Chase entgegen. Vielleicht konnte er die Augen seines Gegners erwischen. Bis sie sich regenerierten dauerte es etwas.

Malloy versuchte es, stach zu.

Aber Chase wich aus. Er packte den Messerarm seines Gegners und brach ihn. Malloy schrie auf. Der Dolch fiel zu Boden. Chase packte seinen Gegner, zog ihn zu sich heran. Und Sekundenbruchteile später senkten sich die Vampirzähne in Malloys Hals. Ein schmatzendes Geräusch war zu hören. Die Blutfontäne schoss hoch empor, als Malloys Halsschlagader zerrissen wurde.

Chase schlürfte gierig.

*

"Hast du die Schlagzeilen gelesen?", fragte Franz, Fürst von Radvanyi mit klirrend kalter Stimme und deutete dabei auf einen Stapel aktueller Ausgaben, die sich auf einem niedrigen Beistelltisch stapelten. Petra Brunstein senkte den Kopf.

"Herr, ich hatte durch meine Tätigkeit als Künstlerin nicht all zu viel Zeit, um die Presse zu verfolgen."

"Ach, wirklich?" Die Stimme des Fürsten hatte einen ätzenden Unterton, der Petra bis ins innerste Mark erschauern ließ. "Hier steht etwas davon, dass der mysteriöse Anführer einer Neo-Nazi Organisation sowie sein Kampfsektionsführer für New York und sein Chauffeur als brabbelnde Idioten in einer Limousine aufgefunden wurden. Mitten in Manhattan."

"So?"

Petra schluckte. Wie viel mochte der Fürst von ihrer Intrige schon wissen? Hatte sie am Ende gar den Fehler gemacht, ihn zu unterschätzen?

Dieses mehr als dreihundert Jahre alte Monstrum an der Spitze der New Yorker Vampire, das alle Versuche, es von dieser Position zu verdrängen, erfolgreich abgewehrt hatte. Drei Jahrhunderte Erfahrung, dachte Petra. Ein Faktor, den man leicht zu vergessen geneigt war.

Petra ließ den Blick schweifen.

Ihre Augen suchten Chase.

Aber er war nicht hier.

Innerlich atmete sie auf.

"Es war noch ein vierter Mann in dem Wagen. Er hieß Randolph Kelly und gehörte auch dieser ARYAN-AMERICAN FRONT an. Ihm wurde offenbar von einem Vampir der Hals zerfleischt."

"Ich weiß nicht, was..."

"Was das mit dir zu tun hat?", kam ihr der Fürst mit grollender Stimme zuvor.

Petra zuckte regelrecht zusammen.

Sie hielt den Blick gesenkt. Demut zeigen, dachte sie. Vielleicht war das jetzt der einzige Weg für sie, um einigermaßen ungeschoren davonzukommen.

Der Fürst ging auf sie zu.

Mit dem Zeigefinger seiner rechten Hand berührte er ihr Kinn, hob es an. Dann blickte er ihr in die Augen. Petra erschauerte. Es war, als ob ein kalter Hauch sie anwehte. Der Fürst bleckte seine Zähne. Eine Drohgebärde.

"Was für verfaultes Blut muss in deinen toten Adern fließen, dass du zu >so etwas> fähig bist, Petra."

Petra wusste, dass es unter den gegebenen Umständen das Beste war,

>gar nichts> zu sagen. Und so schwieg sie.

"Du hast diese Nazis dazu angestiftet, ihre Aggression auf uns zu richten und uns zu jagen! Streite es nicht ab, es wäre sinnlos! Meine Augen und Ohren sind überall. Du hättest es besser wissen sollen! Es ist vollkommen zwecklos, auf Dauer etwas vor mir geheim halten zu wollen."

"Ja, Herr."

"Du hast Glück. Die Polizei rätselt darüber nach, weshalb dieser NaziFührer und die zwei anderen, die du zu brabbelnden Wesen ohne Geist gemacht hast, plötzlich über diesen Kelly hergefallen sind. Ein Rätsel, das sie nie lösen werden."

"Ja, Herr."

"Nur in Anbetracht dieser Tatsache sehe ich von ernsteren Konsequenzen für dich ab. Außerdem hat Chase es geschafft, die Gefahr, die für uns von dieser AAF ausging fürs erste zu beseitigen. Einer Bedrohung, die erst durch dich entstanden ist!" Die Nasenflügel des Fürsten bebten. "Ich werde Positionskämpfe dieser Art in Zukunft in meiner Organisation nicht dulden, Petra. Ist dir das klar?"

"Ja, Herr."

"Dann kannst du jetzt gehen!"

Petra atmete tief durch. Das Gesicht des Fürsten war eine eisige Maske. Noch nie zuvor hatte sie ihn ihr gegenüber so erlebt. Sie ging zur Tür, drehte sich dann noch einmal um. Der Fürst hatte ihr bereits den Rücken zugewandt.

"Herr...?"

Ohne sich umzudrehen antwortete der Fürst. "Was ist noch?"

"Chase... Er wird..."

Petra stockte.

"Er wird dich vernichten, Petra, sollte er je von deiner Intrige erfahren."

"Dann haben Sie es ihm noch nicht gesagt?" Der Fürst wandte sich wieder zu ihr herum, hob die Augenbrauen. "Nein. Und ich werde es auch nicht tun. Von mir erfährt er nichts." Petra atmete auf.

"Aber sollte er von selbst dahinter kommen", fuhr der Fürst dann nach einem Augenblick des Schweigens fort, "dann werde ich dich nicht schützen."

"Ich verstehe."

"Was immer dann geschieht, hast du dir selbst zuzuschreiben."

"Ja, Herr."

Petra vollführte einen sehr tiefen, sehr untertänig wirkenden Knicks und verließ dann den Raum.

Fürst von Radvanyi verzog angewidert das Gesicht und würdigte sie keines Blickes mehr. Selbst der Appetit auf konserviertes Blut adeliger Mademoiselles vergangener Jahrhunderte war ihm für diese Nacht vergangen.

*

Zwei Wochen später...

Rachel Shapiro stand am Grab von Lieutenant Detective Robert Malloy. Sein Grabstein war neben dem seiner Tochter errichtet worden. Tränen glitzerten in Rachels Augen.

Es war lange her, seit sie das letzte Mal geweint hatte. Schließlich war sie eine toughe FBI-Agentin, die es gelernt hatte, ihre Emotionen zu kontrollieren.

Aber jetzt, in der grauen Abenddämmerung an diesem Ort der Trauer konnte sie es einfach nicht unterdrücken.

Die Polizei rätselte immer noch darüber, was wirklich auf dem Gelände von Dellrey & Sons geschehen war.

Und auch Rachel Shapiro hatte kein klares Bild davon. Sie wusste nur eins.

Dass Robert Malloys Kehle genau auf die Art zerfetzt worden war, wie es Vampire taten.

In deinem Kampf gegen das Böse warst du auf dich allein gestellt, dachte Rachel. Ich hoffe für dich, dass dieser Kampf in jener anderen Welt, in der du jetzt mit deiner Tochter wieder vereint bist, bereits gewonnen wurde... Dann bückte sie sich.

Die Rose, die sie die ganze Zeit über zwischen den Fingern der linken Hand gehalten hatte, legte sie auf das Grab.

Morgen würde sie nach L.A. fliegen und alles hinter sich lassen, was mit New York und Rob Malloys letztlich aussichtlosem Kampf zusammenhing. Leb wohl, Rob!, dachte sie.

Blood Empire - Biss zur Auferstehung
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