Rabanal del Camino

 

Das Autoradio spielte die neuesten spanischen Hits und Laura und Rebeca sangen lauthals mit, während José Ramon sicher und konzentriert den Wagen durch die novembergraue Landschaft Richtung Rabanal steuerte. Meine spanische Familie brachte mich zu meinem neuen Einsatzort.

Tags zuvor war ich in. Mansilla angekommen. Ich hatte einen Gabelflug gebucht — hin nach Madrid, zurück ab Santiago, das musste zum Abschluss einfach sein — und ich hatte mich sehr einheimisch gefühlt, als ich in der spanischen Hauptstadt landete. Inzwischen wusste ich genau, wie ich mit öffentlichen Verkehrsmitteln vom Flughafen zum Busbahnhof kam, kaufte mir dort ein Ticket nach Mansilla und rief Laura an, um ihr zu sagen, wann ich einträfe.

Der Bus ging erst am späteren Nachmittag, ohne zu lesen hinter einem Buch sitzend döste ich mich durch die Wartezeit und hatte das seltsame Gefühl „entkommen“ zu sein. Meine berufliche Situation in Deutschland sah mittlerweile noch düsterer aus. Der Sender hatte einigen freien Mitarbeitern, darunter auch mir, erklärt, dass er uns mit Jahresende nicht weiter beschäftigen könne. Danach war ich quasi arbeitslos.

„Lass Spanien sausen“, hatten Freunde und Bekannte mich vor diesem Hintergrund gemahnt, „bleib in Deutschland und versuch, was Neues zu finden.“

Doch ich entschied mich ganz bewusst anders. Nicht nach Rabanal zu fahren hätte bedeutet, meine Recherchen in Sachen Hospitalera und Camino unvollendet zu lassen, und wenn ich schon meine andere Arbeit verloren hatte, wollte ich wenigstens dieses Projekt abschließen. Außerdem war mir, aber das sagte ich niemandem, als sei für mich ganz persönlich noch irgendetwas am Camino offen geblieben, als gäbe es dort noch etwas, das ich bisher nicht entdeckt hatte.

Gegen neun Uhr abends fuhr mein Bus in Mansilla ein. Da standen sie — Laura, Rebeca, José Ramon — zogen mich aus dem Bus und in die Bar, versorgten mich mit dem neuesten Klatsch, bevor wir nach Hause fuhren.

Es war wirklich wie heimkommen. Ana hatte eines meiner Lieblingsgerichte zubereitet — Tortilla, spanisches Kartoffelomelett — und nach dem Essen sackten wir in die Sofas vorm Fernseher und sahen aneinander gelümmelt Operación Trionfo“, die hiesige Variante der Suche nach dem Superstar. Geborgen in der tröstlichen Normalität spanischen Familienlebens empfand ich Deutschland mit all seinen Problemen weit weg wie einen anderen Stern.

In der Herberge bekam ich wieder mein Hospitalera-Zimmer, hatte das Hinterhaus für mich allein, weil im Winter nur der vordere Trakt für Pilger geöffnet war.

Zwei von ihnen sah ich am anderen Morgen, als ich nach alter Gewohnheit meinen Rundgang machte. Es waren Japaner im Studentenalter, die umständlich ihre Sachen zusammenpackten und dafür alles auf dem Boden ihres Zimmers ausgebreitet hatten. Ich nickte ihnen zu, machte schon mal in den anderen Räumen ein bisschen sauber. Danach ging ich in meiner Lieblingscafeteria frühstücken. Ich genehmigte mir gerade den zweiten Café con leche, als ein Pilger hereinkam, ein Mann etwa in meinem Alter. Er wirkte sympathisch mit seinem freundlichen Gesicht und dem gepflegten dichten Schnauzbart. Aber den Ausschlag, ihn anzusprechen, gab ein drolliges kleines Detail, das ich einfach liebenswert fand — an seinen Rucksack hatte er einen Regenschirm gebunden, der einem Londoner Gentleman alle Ehre gemacht hätte.

Er hieß Bram, war so sympathisch, wie er aussah, und stammte aus Utrecht in Holland. Von dort war er im September aufgebrochen, um nach Santiago zu wandern.

„Ich bin gerade in einer Umbruchsphase meines Lebens“, sagte er dazu, „deshalb habe ich mir eine Auszeit genommen und gehe den Camino.“

Das fand ich interessant und hätte gern mehr darüber gehört, aber dazu würde es ja vielleicht in Rabanal Gelegenheit geben, wenn er dort Halt machte. Jedenfalls erklärte ich ihm genau, wo ich als Hospitalera Dienst tun würde und fügte hinzu, ich würde mich freuen, ihn dort zu treffen. Dann sah ich zu, dass ich zurück in die Herberge kam. Laura wartete schon auf mich.

„José Ramon und Rebeca sind gleich mit dem Wagen da. Wir bringen dich nach Rabanal.“

„Aber das müsst ihr doch nicht machen“, protestierte ich halbherzig.

„Und wie willst du sonst dahin kommen?“

Das stimmte nun auch wieder. Bus oder Bahn gingen nur bis Astorga, die letzten zwanzig Kilometer auf der einsamen Landstraße hätte ich trampen müssen oder Isabel anrufen, damit sie mich abholte.

„Dreizehn Pilger haben von gestern auf heute hier übernachtet“, wechselte Laura das Thema. „Ein verrücktes Jahr ist das heuer. Noch jede Menge Pilger im November — das ist total ungewöhnlich. Deshalb lasse ich die Albergue im Winter auf und viele andere machen es ebenso.“

Ich hätte mir gar nicht unbedingt das abgelegene Rabanal aussuchen müssen, sondern sozusagen freie Auswahl gehabt. Aber das war nicht vorhersehbar gewesen und außerdem sprach einiges für das kleine Gebirgsdorf, abgesehen von der Tatsache, dass hier wirklich fast alle Pilger Halt machten vor der Überquerung des Gebirges. Es würde einsam sein und damit vermutlich ein wenig skurril und auf jeden Fall ganz anders als meine bisherigen Einsatzorte.

Im Sommer geht es in Rabanal überaus lebhaft zu. Drei Herbergen gab es im Ort, die bekannteste war die von einer englischen Bruderschaft betriebene Albergue Gaucelmo im Ortszentrum direkt am Camino. Wegen dieser Lage landeten viele Pilger automatisch zunächst dort, doch in der Hochsaison wurden auch die beiden anderen, die städtische und die private Albergue am Ortsrand neben der Landstraße, rasch ebenfalls voll.

Im Winter nun hatte von den drei Herbergen lediglich eine geöffnet — die private, in der ich arbeiten würde.

Gegen Mittag kamen wir in Rabanal an und wurden, trotz verhaltener Proteste seitens meiner Begleiter, zum Essen gebeten.

„Morgen geht’s los auf den Camino“, erzählte Isabel bei Tisch voller Vorfreude, „und zwar mit Alfredo aus Molina und einigen seiner Freunde. Das wird bestimmt lustig.“

Beneidete ich sie darum? Ich wusste nicht recht — jetzt im beginnenden Winter würde es in den meisten Herbergen sicher ganz schön ungemütlich sein, nicht überall würde es Heizöfchen geben wie in Mansilla oder Kamine wie in Molinaseca. Nach dem Essen machten sich Laura, Rebeca und José Ramon auf den Heimweg und Isabel führte mich an meinem neuen Wirkungsort herum, zeigte mir mein Zimmer. Es lag im Wohntrakt der Familie und war sehr klein aber mit Heizung, wie ich erleichtert feststellte. Vom Fenster aus konnte ich in den Innenhof und über das Dach des gegenüberliegenden Wirtschaftsgebäudes auf die weite Landschaft sehen. Die Albergue war einst ein Bauernhof gewesen, im typischen Stil der Gegend gebaut. Wirtschafts- und Wohngebäude umschlossen einen großen Innenhof, zu dem sich Fenster und Türen öffneten — eine Anlage wie eine kleine Trutzburg, von der Straße her durch ein großes Tor zu erreichen. In den neunziger Jahren hatte die Familie das Gehöft umgebaut, um sich statt der Haltung von Vieh nun der Haltung von Pilgern zu widmen. Schlafsäle und Sanitäranlagen wurden eingerichtet, sowie eine offene Bar mit langem Tresen im Patio, wo es Getränke und kleinere Gerichte gab.

Rund siebzig Pilger konnten in dieser Herberge bequem übernachten, mit Improvisation und unter Zuhilfenahme von Matten ließen sich gar über 100 Menschen unterbringen — im Sommer in der Hochsaison.

Jetzt im Winter war die Bar geschlossen, die großen Schlafsäle ebenso. Nur ein kleinerer Raum mit sechzehn Betten stand den Pilgern zur Verfügung, dazu Sanitäranlagen und der Aufenthaltsraum mit Kochecke und — ganz wichtig — einem Kamin. Mein Arbeitsbereich war also ausgesprochen überschaubar.

„Wird dir nicht langweilig werden?“, fragte Isabel denn auch besorgt.

„Ich habe jede Menge Bücher dabei“, beruhigte ich sie, „außerdem kann ich hier in der Gegend doch sicher ein bisschen wandern, wenn gerade nichts los ist.“

„Bestimmt kannst du das“, nickte Isabel, „obwohl — es ist schon erstaunlich, wie viel jetzt noch los ist auf dem Camino. Ein merkwürdiges Jahr ist das heuer.“

Später machte ich einen Rundgang durchs Dorf. Die meisten Häuser waren verrammelt und verriegelt, bei einigen sogar die Fenster mit Brettern zugenagelt. Immerhin hatten die beiden Lokale geöffnet, das „Meson“ gegenüber der Kirche und Gaspars „Posada“ oben am Ende der Dorfstraße. „Gibt’s hier keine Geschäfte?“, fragte ich, nachdem ich zurück war.

Esperanza, Isabels Mutter, schüttelte den Kopf. „Alles zu im Winter.“

Immerhin, so erfuhr ich, kam allmorgendlich der Bäckereiwagen und hupte vor den bewohnten Häusern, brachte Brot, Kuchen, Zeitungen. Einmal pro Woche fuhr der Drogeriehandler das Dorf an und dienstags, wenn in Astorga Wochenmarkt war, ging am Vormittag ein Bus dorthin und mittags wieder zurück — die einzige Busverbindung in der Woche.

„Wie viele Menschen leben hier eigentlich im Winter?“, erkundigte ich mich ein wenig beklommen.

„An die dreißig, vierzig — fast alles Rentner“, meinte Esperanza ungerührt. „Diejenigen, die es sich leisten können, sind über den Winter in ihren Wohnungen in Madrid und kommen erst im Sommer wieder hierher. Dann leben über 200 Menschen in Rabanal.“

Im Sommer, erinnerte ich mich, hatte ich im Dorfbild und in den Kneipen allerhand bunt gewandtes Alternativvolk gesehen, war mit einigen ins Gespräch gekommen, die Schnickschnack verkauften oder Massagen anboten. Jetzt waren sie alle in wärmere Gefilde gezogen. Bei meinem Rundgang hatte ich keinen Menschen gesehen, die zugigen Gassen schienen wie ausgestorben.

Meine Güte, dermaßen trostlos hatte ich es mir doch nicht vorgestellt. Ein wenig erinnerte mich das Ambiente an den Film „Shining“. In diesem Psychoschocker spielt Jack Nicholson einen Schriftsteller, der sich mit seiner Familie in ein abgelegenes, geschlossenes Hotel zurückzieht, um es über den Winter einzuhüten — und in dieser Einöde wahnsinnig wird. Das würde mir hoffentlich nicht passieren.

Abends nahmen Isabel und ihr Bruder José mich mit auf eine Copa in Gaspars Posada. Er stand selbst hinter dem Tresen und freute sich, mich wiederzusehen. Doch weil er ein zurückhaltender Mensch war, zeigte er das nicht überschwänglich, sondern indem er mein Glas nie leer werden ließ und ich nichts bezahlen durfte.

Am anderen Morgen brach Isabel auf ihren Camino auf und mein Alltag in Rabanal begann. Von meinen bisherigen Einsatzorten daran gewöhnt, dass Pilger früh losmarschierten, stand ich kurz vor acht auf, um im Aufenthaltsraum nach dem Rechten zu sehen. In jener Nacht war der Schlafsaal voll belegt gewesen und die meisten dieser Pilger saßen nun noch beim Frühstück oder sie packten gerade ihre Sachen zusammen. Eigentlich hätte ich mir denken können, dass im Winter alles gemächlicher zuging und dass keiner auf die Idee kam, sich im Morgengrauen auf den Weg zu machen. Deshalb ging ich zurück in die Familienküche, wo ich mir einen Tee braute und erst mal abwartete. Gegen neun tauchte Mutter Esperanza auf, kochte sich Kaffee und setzte sich zu mir, um ihn in aller Ruhe zu trinken. Anschließend wies sie mich im Pilgertrakt ein.

„Um den Kamin brauchst du dich nicht zu kümmern“, meinte sie dabei, „das mit dem Funkenschutz ist ein bisschen kompliziert — deshalb mach ich das.“

Mir sollte es nur recht sein, wie ich in der nächsten Zeit überhaupt alle Dinge nahm, wie sie kamen. Die Pilger hatten an meinem ersten Morgen alles ziemlich ordentlich hinterlassen, das hieß, ich war rasch mit der Arbeit fertig, und weil ich nichts besseres zu tun wusste, schlenderte ich durch das geisterhafte Dorf zur Posada.

Ich bestellte einen Café con leche und Gaspar schob mir dazu ein Pastel, ein Kuchenteilchen, hin und wartete ab, ob ich ein Gespräch beginnen wollte. Ich sollte ihn in meinen zwei Wochen Rabanal sehr schätzen lernen mit seiner zurückhaltenden Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft. Fast jeden Tag sah ich bei ihm vorbei, auf einen Kaffee oder abends auf ein Glas Wein. Dabei führten wir keine tiefschürfenden Unterhaltungen, denn Gaspar war kein Mann großer Worte. Gelegentlich erzählte ich ein bisschen, unter anderem von meiner momentan etwas desolaten Situation in Deutschland, und er hörte zu. Ansonsten schwiegen wir freundschaftlich miteinander.

„Ganz schön einsam das Dorf im Winter“, meinte ich an diesem Morgen, „ich bin ja jetzt nur für kurze Zeit da — aber wenn man hier lebt, ist es sicher nicht einfach.“

„Hm, brummte Gaspar und erklärte, dass er und seine Familie nicht in Rabanal wohnten, sondern in Astorga, wo er ein weiteres Hotel habe. Das müsse ich mir bei Gelegenheit mal ansehen, genauso wie das alte Herrenhaus, das er gerade zu einer Herberge umbaue.

„Im Übrigen — wenn dir mal langweilig wird, komm nur vorbei. Du kannst dann mein Auto haben und irgendwo hinfahren“, bot er mir an, bevor ich wieder in die Albergue ging.

„Aber er kennt mich doch kaum“, sagte ich später zu José, „er weiß lediglich, dass ich bei Alfredo in Molina gearbeitet habe und jetzt bei euch Hospitalera bin.“

„Das reicht hier bei uns“, erklärte José.

 

„Wie viele Pilger kommen heute — was glaubt ihr?“, hatte ich an meinem ersten Tag beim Mittagessen gefragt. „Höchstens fünf bei dem Wetter“, meinte José, denn es regnete Bindfäden.

„Mindestens acht“, setzte ich dagegen.

Letztlich wurde es ein gutes Dutzend und das Tippen der richtigen Zahl entwickelte sich zu einem Spielchen, das wir — wenn auch ohne Wetteinsatz — jeden Tag spielten und an dem sich die ganze Familie beteiligte. Meistens lagen wir alle falsch, tippten zu niedrig. Obwohl November und trotz des regnerischen, kalten Wetters waren eine ganze Reihe Pilger auf dem Camino unterwegs. Ruhige Tage, an denen nur vier oder fünf in der Herberge abstiegen, gab es selten, oft hatten wir ein Dutzend oder mehr Gäste.

Es war zumeist früher Nachmittag, wenn die ersten eintrafen. Um mir den häufigen Hin- und Herweg vom Wohnhaus zum Pilgertrakt zu sparen, machte ich es mir nach dem Mittagessen im Aufenthaltsraum gemütlich, wo der Kamin bereits brannte, wartete auf Kundschaft und versuchte, mich dem Phänomen Winterpilger anzunähern.

Waren sie wirklich „anders“, wie erfahrene Hospitaleros immer wieder behaupteten?

Zunächst wusste ich nicht recht, wie ich das feststellen sollte. Mir schien zwar, es seien mehr ältere als junge Leute unterwegs, mehr Männer als Frauen, aber letztlich war das weder ein durchgängiges Muster noch irgendwie bedeutungsvoll. Nach ein paar Nachmittagen allerdings, die ich bei den Pilgern im Aufenthaltsraum verbracht hatte, nach ein paar Abenden, an denen ich mit einigen von ihnen Wein in der Posada getrunken hatte, verstand ich, was meine Kollegen gemeint hatten.

Von Pilgern in den wärmeren Jahreszeiten hatte ich oft gehört, dass sie — wie ich seinerzeit auch — das Gefühl gehabt hätten, sie sollten jetzt den Jakobsweg gehen. Doch dabei überlagerten sportlicher Ehrgeiz, touristische Ambitionen, Kontaktbedürfnis vielfach die eigentliche Motivation für den Camino und sie brauchten manchmal lange, um zu merken, warum sie sich tatsächlich auf den Weg gemacht hatten. Die Pilger, die jetzt unterwegs waren, hingegen wussten gemeinhin sehr genau, warum sie den Camino gingen. Eine ganze Reihe war tatsächlich aus Glaubensgründen unterwegs, also Pilger im ursprünglichen Sinne, und die meisten standen an einer Schnittstelle ihres Lebens — genau wie ich selbst gerade. Ob wir nun in jenem November den Camino gingen oder in einer Albergue die Stellung hielten, ob wir älter waren oder jünger, befanden wir uns in einer ähnlichen Situation, wo für uns etwas zu Ende ging und etwas Neues begann, von dem es oft noch unklar war, wie es aussehen würde.

Während ich das entdeckte, wurde mir zugleich bewusst, dass ich bei diesem Hospitalera-Einsatz — wieder einmal — eine andere Rolle eingenommen hatte. Hier in Rabanal war ich — im Sinne dessen, was Alfredo einmal gesagt hatte, nämlich dass auch Hospitaleros Pilger seien, wenn auch auf andere Art — eine Pilgerin unter Pilgern und wurde von ihnen auch als ihresgleichen betrachtet. Das lag weniger daran, dass ich den ganzen Nachmittag bei ihnen im Aufenthaltsraum saß oder dass ich mit derben Wanderstiefeln, dicken Socken und mehreren Schichten warmer Kleidung zwiebelartig übereinander ziemlich pilgermäßig aussah. Vielmehr einte uns die Hoffnung, dass uns der Camino in der Umbruchsituation, in der wir uns jeweils befanden, irgendwie weiterhelfen könne.

Junge Menschen standen an der Schwelle zu Studium oder Beruf, wie der ehemalige Zivildienstleistende aus Deutschland, der noch herausfinden musste, welchen beruflichen Weg er einschlagen wollte. „Und weil ich doch Jakob heiße, hab ich mir gedacht, ich sollte den Jakobsweg machen.“

„Weißt du denn jetzt, was du werden willst?“, fragte ich ihn. „Noch nicht ganz genau, aber es nimmt immer klarere Formen an. Auf jeden Fall wird es etwas im Sozialbereich sein.“ Andere Pilger standen zwischen zwei Arbeitsverhältnissen oder hatten ihren bisherigen Beruf aufgegeben, um sich einer neuen Beschäftigung zuzuwenden. Ein Südafrikaner Mitte dreißig plante sogar ein ganz neues Leben in Europa, weil er die nach wie vor herrschenden Spannungen zwischen Schwarz und Weiß in seinem Heimatland nicht mehr ertrug. Er hoffte, sich auf dem Camino darüber klar zu werden, wie und wo genau er künftig leben wollte.

Einen neuen Lebensabschnitt hatte auch ein reizendes Ehepaar aus der Schweiz vor sich, das ich eines Abends in der Posada traf. Der Mann war gerade pensioniert, die Kinder aus dem Haus. Deshalb wollten die beiden nun etwas Außergewöhnliches zusammen machen — als Zwischenglied zwischen der Berufstätigkeit und dem Rentnerleben — etwas, an das sie sich später gemeinsam gern erinnern würden. Dazu gingen sie den Camino in seiner langen Form, waren bei sich Zuhause in Zürich losmarschiert.

„Eigentlich wollten wir es ganz echt machen mit Übernachtung in den Herbergen“, erzählte die Frau, eine bildschöne Person mit langen eisgrauen Haaren und strahlend blauen Augen, „aber dann musste ich feststellen, das ging nicht. Ich kann einfach nicht schlafen, wenn jemand schnarcht oder ein Notlicht brennt. Also sind wir jetzt in Hotels.“ Sie lächelte ein wenig bedauernd. „Das ist halt auch so eine Erfahrung auf dem Camino, dass manches eben nicht mehr möglich ist und das muss man akzeptieren.“

Selbst die beiden japanischen Studenten, die ich bereits in Mansilla gesehen hatte, waren nicht aus touristischen Gründen unterwegs, suchten kein exotisches Abenteuer in einem für sie fremdartigen Land, wie ich ihnen anfangs unbesehen unterstellt hatte.

„Na, ihr beiden, was hat euch denn auf den Camino gebracht?“, fragte ich, während sie in der Kochecke der Herberge ihren Reis zubereiteten. „Doch wohl kaum der Heilige Jakobus?“

„Nein, das nicht“, antwortete der Ältere von beiden in erstaunlich gutem Englisch und erzählte mir, dass er sein Studium in Japan für ein Jahr unterbrochen habe, um in Dublin Englisch zu lernen. Diese Zeit war nun zu Ende, er würde bald nach Japan zurückkehren, wo dann — nach einem weiteren Studienjahr — der Ernst des Lebens auf ihn wartete. „Deshalb wollte ich vorher unbedingt etwas machen, worauf ich stolz sein könnte“, erklärte er. „Da habe ich vom Camino gehört und mir gedacht: Wenn ich diesen langen Weg schaffe, dann gewinne ich so viel Selbstvertrauen, dass ich für die Arbeitswelt und alles, was sonst noch in Japan auf mich zukommt, gewappnet bin.“

Ob auf seinen Freund Ähnliches zutraf, erfuhr ich nicht, denn der sagte nie etwas, vielleicht ging er einfach aus Samurai-Treue mit.

Mehr als die warmen Monate schien mir der unwirtliche November vor allem einzelnen Wanderern zu gehören, einsamen Wölfen und Wölfinnen, die allein gingen, um in sich zu schauen, sich aber abends in den Herbergen gern zum Rudel zusammen fanden. Allerdings vollzog der Camino auch jetzt seine Kuppler-Funktion, fügte Pilger zu Paaren zusammen — wenn sie das brauchten.

Eines Nachmittags schleppte sich ein junger Deutscher in die Herberge, der ziemlich abgerissen aussah mit seinen verfilzten Rasta-Locken und dem schmuddeligen Pulli Marke „selbstgestrickt“. Seine alternativ anmutende Ausrüstung war nicht gerade wintertauglich — kein Wunder, dass er sich eine schwere Erkältung geholt hatte. Nicht nur aus gesundheitlichen Gründen verordnete ich ihm eine heiße Dusche, bevor ich ihn ins Bett schickte und ihm eine heiße Zitrone mit Honig brachte.

Am Abend traf seine Freundin per Fahrrad ein, eine überaus adrette Kanadierin, geradezu das Kontrastprogramm zu ihm. Sie kümmerte sich rührend um den Jungen, aber das half nichts. Am anderen Morgen konnte er kaum noch schlucken und hatte Fieber.

„Ihm geht es sehr schlecht, wir müssen hier bleiben“, sagte das Mädchen zu mir.

„Schon klar — und er braucht unbedingt Antibiotika, aber hier im Ort gibt es weder Arzt noch Apotheke“, meinte ich und ging José suchen. Doch der war an diesem Morgen nicht greifbar, vermutlich zu Freunden gefahren oder in die Stadt. Weil mir nichts Besseres einfiel, schickte ich das Mädchen zu Gaspar.

„Frag ihn, ob jemand aus der Posada heute noch nach Astorga fährt und euch mitnehmen kann. Dann geht ihr zum Arzt und zurück müsst ihr halt trampen.“

Dank Gaspars Hilfsbereitschaft mussten sie das jedoch nicht. Er selbst fuhr die beiden sowohl hin als auch später wieder zurück. Abends bedankte ich mich herzlich dafür, aber er winkte ab, als sei das selbstverständlich gewesen.

Während der Junge sich gesund schlief, erzählte mir das Mädchen später ein wenig von ihnen beiden. Pascal habe gerade das Gymnasium hinter sich, erfuhr ich, er sei ein Junge aus gutem Hause, völlig verträumt und mit mangelhaftem Realitätsbezug.

Wahrscheinlich immer zu behütet, dachte ich bei mir, deshalb jetzt das abgerissene Trotz-Outfit.

Die propere Jacqueline hingegen hatte seit ihrem dreizehnten Lebensjahr auf eigenen Füßen gestanden, in der Gastronomie gearbeitet, wollte sich nun endlich etwas anderes suchen, wusste aber noch nicht was. Unterdessen passte sie auf Pascal auf.

„Früher war ich genauso desorganisiert wie er“, sagte sie und musste dabei lachen, „wir haben uns sicher nicht umsonst getroffen — ganz am Anfang meines Camino. Pascal ist so ein Chaot, ihm ist sogar seine Kreditkarte irgendwie zerbrochen und jetzt wartet er darauf, dass ihm seine Eltern Geld schicken — in eine der nächsten größeren Städte.“

Anderntags war Pascal soweit wiederhergestellt, dass sie weiterziehen konnten.

„Ich glaube, das musste dir jetzt alles passieren — die Krankheit, die zerbrochene Kreditkarte, Jaqueline, die dich puscht, sagte ich zum Abschied, „damit du dann am Ende deines Camino erwachsen bist.“

Pascal zog ein schiefes Grinsen, was ihn sehr kindlich aussehen ließ. „Genauso denke ich mir das auch. Das ist schon in Ordnung, wie das alles läuft.“

Generell hatte ich den Eindruck, dass diejenigen, die jetzt auf dem Camino waren, mehr als die Pilger anderer Jahreszeiten bereit waren, alle mögliche Unbill zu akzeptieren. Sie beklagten sich nicht über das Wetter, wofür sie im Allgemeinen von vornherein besser ausgerüstet waren, und es schien ihnen nichts auszumachen, wenn sie kaum etwas von der Landschaft sahen, weil diese von Nebelschwaden verhüllt wurde. Es war ihnen wichtig, den Weg als solchen zu gehen, nachzudenken, in sich zu schauen — schöne Landschaft oder gutes Wetter waren dabei willkommene Zugaben, aber nicht essentiell notwendig. Wenn sie hörten, dass in Rabanal zu dieser Jahreszeit kein Geschäft geöffnet hatte, zuckten sie die Achseln und lamentierten nicht. Sie fragten entweder nach Restaurants oder ob hier auf dem Hof etwas zu essen verkauft würde, nahmen klaglos mit Kartoffeln und Eiern vorlieb, wenn Esperanzas Vorratskammer nichts anderes hergab. Salopp gesagt, sie waren einfach anders drauf als die sommerlichen Wanderer.

Außerdem kannten sie sich fast alle untereinander, was nicht verwunderte, weil weniger Menschen unterwegs und weniger Herbergen geöffnet waren, die Treffpunkte sich also konzentrierten.

„Ist XY schon vorbei gekommen?“, lautete die gängige Frage bei der Ankunft, die Wiedersehensfreude war jedesmal groß und manchen Pilgern liefen Anekdoten voraus oder hinterher, wie zum Beispiel „dem Typen mit dem Regenschirm“.

Bram — eines Mittags, ich war noch in der Familienküche, da hörte ich im Hof meinen Namen rufen, und da stand er mit seinem Schirm als erster Pilger dieses Tages.

Abends lud er mich zum Essen in die Posada ein und dabei erzählten wir uns gegenseitig von unserem Leben und von Fragen, die uns beschäftigten. Bram hatte lange einen kleinen Fachverlag besessen und ihn nun veräußert — „samt Ehefrau“, wie er sagte. Sie arbeitete unter dem neuen Besitzer in derselben Funktion weiter und er hatte sich ein Sabbatjahr genommen, war auf dem Camino gelandet — magisch angezogen und ohne zunächst genau zu wissen, was er dort suchte.

Er hatte einige wenige Bücher dabei, die er schon kannte, nun aber mit neuem Verständnis las. Eines davon hieß „Götter in jedem Mann“, wobei es um Charakterzüge der griechischen Götter ging, die jeder Mann in sich wiederfinden könne — ein interessanter psychologischer Ansatz.

„Ich bin Sternzeichen Zwilling“, erklärte Bram, „und da ist es nicht verwunderlich, dass ich zwei Götter in mir habe, wie mir jetzt erst richtig klar geworden ist. Ich bin sowohl der verschlagene, abenteuerlustige Hermes wie auch der ordnende Apollo und ich muss sehen, wie ich das künftig zusammenbringe.“

Ein Buch „Göttinnen in jeder Frau“ gab es seines Wissens nach leider nicht. Dennoch sinnierte ich laut, von welchen der unsterblichen Bewohnerinnen des Olymp ich Charakterzüge in mir tragen könnte.

„Ich habe sicher etwas von Artemis, immer allein unterwegs auf der Jagd, aber ebenso etwas von Athene, die wegen ihres Intellekts geschätzt wird und dabei doch so gerne auch mal einfach nur Frau wäre. Und als Hospitalera am Camino war ich außerdem noch Hera, die Mütterliche, die sich kümmert. Ich wusste gar nicht, dass ich das auch in mir habe. „Ja, ja, der Camino bringt manchmal erstaunliche Einsichten“, nickte Bram.

„Und welche Einsicht hat dir der Camino noch gebracht?“

„Dass ich in Zukunft ganz anders mit meinen Kindern umgehen will.“

Bram hatte einen Sohn und eine Tochter, beide im Teenager-Alter. Nach seiner Rückkehr wollte er ihnen mit neuem Verständnis begegnen: „Schluss mit der Erziehung — jetzt will ich nur noch Ratgeber sein.“

Was für ein liebevoller Vorsatz, freundschaftlichen Beistand anstelle der väterlichen Autorität zu setzen — hoffentlich wussten das seine Kinder zu schätzen.

Hatte ich es zunächst als Herausforderung betrachtet, mich in Rabanal in diese für mich fremdartige Lebenswelt einzupassen, merkte ich bald zu meinem eigenen Erstaunen, dass mir das überhaupt nicht schwer fiel. Mir war nie langweilig und ich sehnte mich nicht weg, im Gegenteil, ich fühlte mich in diesem einsamen, abgeschiedenen Gebirgsdorf immer wohler, wobei es sicher eine große Rolle spielte, dass ich in eine Familie eingebunden war, deren Alltag ich teilte. Anfangs war ich ein wenig unsicher gewesen, wie ich damit klar käme, derart eng mit der Familie zusammen zu sein — und umgekehrt, wie sie mit mir zurecht kämen. In Mansilla hatte ich zwar bereits Familienanschluss gehabt, aber wir hatten nicht unter einem Dach gewohnt. Auch wusste ich erst nicht recht, wie ich Mutter Esperanza und Vater Serafín anreden sollte, ohne respektlos oder zu formell zu sein. Schließlich entschloss ich mich, Josés Beispiel zu folgen und sie beim Vornamen zu nennen.

Ich hätte mir gar keine Gedanken zu machen brauchen, ohne Aufheben wurde ich wie ein Familienmitglied integriert, aber in einer anderen Rolle als in Mansilla. Dort war ich eine Art Schwester-Cousine gewesen, hatte mich mit Ana gut verstanden, weil wir fast gleich alt waren, mit Laura und Rebeca trotz des Altersunterschiedes einige Interessen geteilt. Hier nun nahm ich Isabels Stelle ein, nicht nur was die Arbeit in der Albergue betraf.

Hija, Tochter, nannte mich Esperanza, und obwohl das in Spanien eine gängige Anrede von Älteren gegenüber Jüngeren ist, fand ich es nett und fühlte mich in gewisser Weise auch so. Ich mochte Esperanza sehr gern und empfand großen Respekt für sie, nachdem ich mitbekommen hatte, dass der Löwenanteil aller Arbeit in Haus und Hof auf ihren Schultern lastete. Auf den ersten Blick erschien sie in ihrer energischen Tüchtigkeit ein wenig herb, doch schnell entdeckte ich, dass in der etwas rauen Schale eine warmherzige Seele steckte.

Ich sah uns beide jedenfalls als Team, schließlich waren es wir Frauen, die sich morgens gegen neun in der Küche trafen, während die Männer noch schliefen. Die fanden wir erst später, wenn wir bereits allerhand geschafft hatten, am Küchentisch bei Frühstück, Zeitungslektüre und Fernseh-Nachrichten.

Mit Aufräumen und Putzen im Pilgertrakt ließ ich mir für gewöhnlich Zeit, es gab keinen Grund zu hetzen, schließlich war der Tag lang in Rabanal. Anschließend schaute ich, was sonst noch anliegen könnte — Wäsche auf- oder abhängen, das Familienbad putzen, kehren, Geschirr spülen — und wenn ich damit fertig war und das Wetter es erlaubte, ging ich ein, zwei Stündchen in der Umgebung wandern.

Nie bot ich jedoch an, mich um Hühner, Gänse und die drei Schweine zu kümmern, die in den Stallungen jenseits der Scheune gehalten wurden, obwohl das meiner Gastfamilie sicher nicht unrecht gewesen wäre. Aber mit Flattertieren hatte ich es nicht und die massigen Schweine waren mir nicht geheuer. Außerdem fiel das Viehzeug in Serafins Zuständigkeitsbereich, wobei er es am liebsten mochte, wenn Esperanza ihm dabei zur Seite stand. Was ich verstehen konnte, denn Serafín war ein älterer Mann und nicht ganz gesund. Bei José, Mitte dreißig, kräftig und belastbar, sah ich allerdings nicht ein, warum er lediglich dafür zuständig sein sollte, Holz für den Kamin im Pilgerraum und Kohle für den großen Ofen in der Familienküche heranzuschaffen. „Was macht er eigentlich sonst noch?“, meinte ich einmal zu Esperanza, während sie bügelte und ich spülte. Sie bog diese spitze Frage mit mütterlicher Solidarität ab.

„Im Sommer, wenn hier alles voller Pilger ist, arbeitet Jose schon viel“, versicherte sie, „aber im Winter ist halt Zeit für descanso, zum ausruhen.“

Ich verkniff mir den Hinweis, dass sie selbst ebenfalls ein bisschen descanso wohl mehr als verdient hätte. Hier in diesem abgelegenen Gebirgsdorf war die Macho-Welt noch in Ordnung — fragte sich nur, wie lange noch.

„Mir scheint, die spanischen Frauen arbeiten verdammt hart“, sagte ich, um das Thema versöhnlich abzuschließen. Sie nickte und wuchtete einen Kohleeimer in den Ofen.

„Das sag ich dir, Tochter, wir arbeiten wahrhaftig.“

Im Grunde konnte ich Esperanza nur bewundern, schließlich war sie nicht immer hier am Ort gewesen, sondern hatte durchaus über Rabanals Tellerrand hinausgeblickt. In jüngeren Jahren war sie in Madrid in der Hotellerie beschäftigt gewesen, erwähnte sie mal nebenbei, in verschiedenen Funktionen, unter anderem als Köchin.

Deshalb schmeckte ihr Essen auch so lecker und ich fand es lieb, dass sie — wie schon Ana in Mansilla — so viel Rücksicht darauf nahm, dass ich Vegetarierin war. Die Essenszeiten waren für mich zwar wieder gewöhnungsbedürftig, aber immerhin gemäßigter als in Mansilla — schließlich war Winter. Mittagessen um halb drei, Abendessen um neun, daran konnte ich mich gerade noch anpassen.

 

Gelegentlich fuhr jemand von der Familie mit dem Auto nach Astorga, um Einkäufe oder andere Erledigungen zu machen und wenn es gerade passte, fuhr ich mit und bummelte durch die Stadt. Einmal nutzte ich die Gelegenheit, um mir von Gaspar das Haus zeigen zu lassen, in dem die neue Albergue entstehen sollte. Noch war alles im Rohbau, wir mussten über Balken balancieren, um Löcher im Boden herumturnen. Aber aus dem, was er mir erklärte, konnte ich mir den gemütlichem Aufenthaltsraum und die geräumigen Zimmer ganz gut vorstellen. Gaspar hatte sowohl die Posada in Rabanal wie auch sein Hotel Gaudí in Astorga nach eigenen Plänen sehr stilvoll ausbauen und ausstatten lassen und dabei viel Geschmack bewiesen, seine Herberge würde gewiss ebenfalls ein Schmuckstück werden.

„Ich würde hier gerne irgendwann einmal Hospitalera sein“, sagte ich zu ihm, „am liebsten sogar von Anfang an. Aber mein Leben ist derzeit im Umbruch, es wäre falsch, jetzt etwas mit dir auszumachen.“

Gaspar nickte und lächelte verständnisvoll.

Auf der Rückfahrt hielt José wieder einmal einen seiner Monologe ohne Punkt und Komma. Hatte ich geglaubt, ich könne gut Spanisch? Weit gefehlt — wenn die Familie sich in rasendem Stakkato austauschte, unterhalten konnte man das eigentlich kaum nennen, bekam ich zwar mit, um was es ging, die Einzelheiten rauschten jedoch an mir vorbei. Und wenn José sich über das Leben und das Verhältnis der Geschlechter zueinander auslies, verstand ich vielleicht gerade mal ein Drittel. Das war sicher auch besser so, sonst hätte ich vermutlich über seine — aus meiner Sicht völlig überholten — Ansichten einen Streit vom Zaun gebrochen.

„Dich verstehe ich gut“, sagte ich später zu Esperanza, als wir allein in der Küche aufräumten, „aber bei José kann ich nur raten, was er sagt.“

„Denk dir nichts, ich verstehe ihn auch nicht. Er nuschelt, und wenn ich frage: Was hast du gesagt?, meint er bloß: Bist du taub?“

Nachdem wir in der Küche fertig waren, drückte Esperanza mir einen großen Korb in die Hand und nahm selbst einen, rief José und wies ihn an, die Schubkarre zu holen: „Wir gehen in die Äpfel.“

Man musste den sonnigen Tag ausnützen, denn das Wetter hatte zu jener Zeit keine klare Linie; Regen, Nebel, stürmischer Wind und strahlend blauer Himmel wechselten einander ab, aber stets war es kalt.

Quer durchs Dorf gelangten wir auf einen glitschigen Feldweg, der an einem Mäuerchen entlang zu einer großen Wiese mit Obstbäumen führte. Die Blätter waren schon fast alle abgefallen, rote und gelbe Äpfel hingen jedoch noch in großer Zahl an den Bäumen, reiften quasi nach. Anders als in Deutschland, wo wahrscheinlich nur die einwandfreien Früchte aufgehoben worden wären, sammelten wir hier alles ein, was im Gras lag, schüttelten die Bäume noch mal kräftig, sammelten wieder ein, auch die Äpfel mit Wurmstichen.

Während wir über den rutschigen Pfad zurück balancierten, vorneweg José mit der vollbeladenen Schubkarre, dahinter Esperanza und ich mit schweren Körben in klammen Händen — da traf mich plötzlich wie ein Blitz eine Erkenntnis. Mit einem Mal wusste ich, dass es bei meinen Hospitalera-Einsätzen nur oberflächlich darum ging, den Camino von anderer Warte aus kennen zu lernen, wie ich immer behauptete, sondern vor allem darum, mich selbst von anderer Warte aus kennen zu lernen. Ich sollte dabei erfahren, was ich alles zu tun, zu akzeptieren in der Lage war, wie weit ich mich integrieren konnte in einem fremden Umfeld. Nein, ich hätte nicht immer in einem Ort wie Rabanal mit seinen althergebrachten Strukturen bleiben mögen, aber es war gut zu sehen, dass ich durchaus für eine Zeit dort sein konnte und trotz aller Anpassung mir selbst treu blieb. Erziehung war laut Roys Engelskarte, die ich seinerzeit in Molinaseca gezogen hatte, das Thema meiner Hospitalera-Zeit. Womöglich ging diese Erziehung sehr viel weiter, als ich bisher angenommen hatte. Waren meine Einsätze in Pilgerherbergen zugleich Probeläufe für einen Kurswechsel in meinem Leben?

Ich hatte mich so weit an die Sitten des Ortes angepasst, dass ich sogar fast jeden Abend mit Esperanza in die Messe ging. Nicht, dass mich plötzlich tiefe Frömmigkeit gepackt hätte — der allabendliche Kirchgang mit anschließendem Wein bei Gaspar gab vielmehr meinem Tag eine weitere Struktur. Außerdem fand ich es angenehm, in der spärlich beleuchteten, schmucklosen kleinen Kirche zu sitzen und mich in meditativen Gedanken durch die Liturgie gleiten zu lassen. Das mochte vielleicht nicht ganz im Sinne der Heiligen Mutter Kirche sein, aber unfromm fand ich es nicht.

„Sag den Pilgern, wann hier Messe ist“, hatte Esperanza mich gleich zu Anfang angewiesen. Ich hatte das nicht sonderlich ernst genommen, weil ich auf meinem eigenen Camino beobachtet hatte, dass die Pilgerkollegen abends in der Regel schnurstracks die nächste Kneipe und nicht eine Kirche ansteuerten.

Hier aber saßen jeden Abend zahlreiche Herbergsgäste in den Kirchenbänken. Es war ihnen wichtig, den Tag besinnlich ausklingen zu lassen, bevor sie sich der Befriedigung ihrer leiblichen Bedürfnisse und damit dem Mesón oder der Posada zuwandten.

Una promesa, ein Gelübde“, hörte ich einmal einen jungen Spanier auf die Frage eines anderen Pilgers antworten, warum er den Camino mache. Der nickte daraufhin verständnisinnig, als sei es bei ihm derselbe Grund. Ich wunderte mich insgeheim, denn mit ihrem betont sportlichen Auftreten wirkten die beiden jungen Männer eher, als machten sie den Jakobsweg aus Fitnesserwägungen. So konnte man sich täuschen, die Pilger in dieser Jahreszeit waren tatsächlich ein anderes Kaliber.

Eines Abends, sämtliche Pilger waren längst eingetroffen und hatten es sich gemütlich gemacht, da kamen noch zwei Nachzügler. Ein junges italienisches Paar, er mit dunklem Vollbart, groß und kräftig, ein Bär von einem Mann, sie klein, zierlich mit schwarzen Engelslocken — und unübersehbar schwanger.

Meine Güte, wie Maria und Josef, dachte ich, aber anders als damals in Bethlehem gab es noch Raum in der Herberge, wenn auch nicht mehr viel.

„Hört mal, ihr Pilger“, sagte ich als ich Matteo und Gaia — so hießen die beiden — in den Schlafsaal führte, „hier ist noch ein Paar angekommen, das…“

„Du brauchst gar nicht weiter zu reden“, unterbrach mich ein junger Andalusier, „ich räume meinen Platz und ziehe dahinten hin um, damit die beiden zwei Betten nebeneinander haben.“

Überhaupt waren alle anderen Pilger besonders nett und rücksichtsvoll gegenüber dem jungen Paar. Werdende Eltern auf dem Camino — das war nicht nur anrührend, das hatte geradezu etwas Biblisches.

Nachdem es die ganze Nacht gestürmt hatte, schneite es am anderen Morgen. Matteo bat mich um alte Zeitungen, die ich ihm etwas ratlos gab und mit wachsender Skepsis zusah, wie er sie unter Gaias Pullover schob.

„Das hält den Wind ab“, erklärte er.

Spontan und ohne nachzudenken lief ich in mein Zimmer, griff von meinen warmen Pullovern den mit der unempfindlichsten Farbe. Was brauchte ich drei — zwei waren genug und Gaia hatte ihn nötiger als ich. Erst später wunderte ich mich, dass ich mich so ohne weiteres von einem meiner geliebten Fleecepullis getrennt hatte — ich, die ich sonst nie genug Klamotten haben konnte. Wahrscheinlich war ich tatsächlich dabei, neue Prioritäten zu entwickeln.

Der Pulli passte Gaia, obwohl sie viel kleiner war als ich, reichte gut über ihrem dicken Bauch, die Ärmel konnte sie ja hochkrempeln.

„Warum geht ihr den Weg ausgerechnet jetzt, wo es so kalt ist und Gaia schwanger?“, fragte ich, obwohl ich mir die Antwort eigentlich denken konnte.

Una promesa“, sagte Matteo denn auch und lächelte, als er mein besorgtes Gesicht sah. „Glaub’ mir, ich denke immer zuerst an Gaia und das Baby und ganz zuletzt erst an mich. Ich passe schon gut auf sie auf. Und im Übrigen — es ist richtig und sehr gut, dass wir den Camino genau jetzt machen — für uns alle drei.“

Gaia lächelte dazu strahlend und vertrauensvoll, als wisse sie genau, dass ihre Pilgerreise unter einem guten Stern stand. „Ihr müsst uns schreiben, wenn das Baby da ist“, sagte Esperanza zum Abschied und steckte den beiden Proviant zu. Gemeinsam winkten wir ihnen nach, wie sie zum Hoftor hinausgingen, sahen uns an und wussten, dass wir dasselbe dachten: Hoffentlich geht bei denen alles gut.

Den ganzen Tag über fielen dichte Flocken, am späten Vormittag musste ein Schneepflug die Pass-Straße übers Gebirge frei räumen. Es war wirklich Winter geworden. Nachmittags kam Tomás von Manjarín herunter und stattete uns einen kurzen Besuch ab. Er war auf dem Weg nach Fatima in Portugal, wo er bei der Heiligen Jungfrau für seine krebskranke Freundin beten wollte. Als er mich sah, strahlte er, breitete die Arme aus und zog mich an seine Brust.

„Ich habe schon gehört, dass hier eine deutsche Hospitalera ist — aber ich wusste nicht, dass du es bist. Wie geht es dir?“

„Ganz gut“, sagte ich, „wenn man mal davon absieht, dass ich in Deutschland meinen Job verloren habe.“

Wir setzten uns zusammen, erzählten, tranken Tee und aßen Pasteles und als sich Tomás anschickte aufzubrechen, bat ich ihn: „Zünde doch bitte eine Kerze in Fatima für mich an, dafür dass ich einen neuen Job finde.“

„Das werde ich nicht tun“, sagte Tomás trocken.

„Aber warum denn nicht?“, wunderte ich mich.

Er lächelte und sah mich liebevoll durch seine dicken Brillengläser an. „Ich werde eine Kerze anzünden für dein Bestes — was immer das sein mag.“

Der November neigte sich seinem Ende entgegen, und ganz allmählich nahm die Zahl der Pilger ab. Ich fragte Esperanza, in welchen Monaten es eigentlich am ruhigsten sei.

„Mitte Dezember bis Ende Februar“, meinte sie.

„Und wie ist es Weihnachten?“

„Oh, da haben wir oft ein bis zwei Pilger und die laden wir dann zu uns zum Essen ein.“

Ich stellte mir das schön vor, mit der Familie zu feiern, andererseits — was mochte jene Pilger wohl bewegen, ausgerechnet über Weihnachten auf den Camino zu gehen? An einem Nachmittag, während ich im Aufenthaltsraum noch allein war, blätterte ich das Gästebuch durch. Ich stieß auf Namen, an die ich mich erinnerte, auf eine Botschaft von Celine an Roy damals im Juni — und auf eine Landschaftszeichnung, deren Stil mir bekannt vorkam. Ich sah auf die Unterschrift — ja es war tatsächlich ein Bild jenes Japaners, der mir in Mansilla ein Porträt für meine Zimmertür angefertigt hatte. Sein Stil schien sich noch weiter verbessert zu haben, wieder hatte er Szenen vom Camino festgehalten, detailgetreu und duftig zugleich. Neben sein Bild hatte er Folgendes geschrieben:

„Ich kam hierher, um an meine Frau zu denken, die vor vier Jahren an Krebs starb. Ich reise mit ihr. Ich spreche mit ihr. Wenn ein schöner Baum Schatten auf die prächtigen Sommerfelder wirft, fühle ich, dass sie dort sitzt.

Das Gestern ist unsere Geschichte — das Morgen wird stets Geheimnis sein.“

Wenn das nicht ergreifend war — ich konnte nicht anders, ich musste einfach weinen.

Ich erinnerte mich mit einem Mal wieder an Ann, eine liebenswerte ältere Dame aus Südafrika, die ich auf meiner Pilgerreise getroffen hatte. Sie war damals etwa ein Jahr verwitwet.

„Ich mache den Camino mit meinem verstorbenen Mann“, sagte sie einmal, als wir über sehr Persönliches miteinander sprachen. „Wir sind zu seinen Lebzeiten viel gewandert und ich habe das Gefühl, er geht jetzt mit mir. Aber gleichzeitig ist dieser gemeinsame Weg unser endgültiger Abschied voneinander, zumindest in diesem Leben.“

Das war mir nahe gegangen, trotzdem traute ich mich nicht, Ann zu gestehen, dass ich Ähnliches erlebt hatte.

Auf einem einsamen Stück Camino irgendwo in der Provinz Burgos hatte ich plötzlich das Gefühl gehabt, nicht allein zu sein — und dieses Empfinden war so konkret, so überwältigend, dass ich kaum atmen konnte und es mir die Tränen in die Augen trieb. Ich wusste genau, wer bei mir war — mein Vater, damals vor zwei Jahren gestorben, meine Mutter, schon lange tot, meine Großeltern, die ich früh verloren, meine Vorfahren, die ich nie gekannt hatte — sie alle gingen hinter mir.

Wenn ich mich jetzt umdrehe, werde ich nichts sehen als die abgemähten Felder und den leeren Camino, dachte ich, und doch weiß ich genau, dass sie da sind.

Sie begleiteten mich, bis das nächste Dorf in Sicht kam, dann fühlte ich, wie sie sich zurückzogen, ich war wieder allein. Damals konnte ich mit diesem Erlebnis nicht umgehen, schob es auf die Hitze, obwohl ich es besser wusste, verdrängte es schließlich.

Ich musste erst mehrmals zum Camino zurückkommen, hören und es vor allem schwarz auf weiß lesen, wie selbstverständlich andere mit ähnlichen Erlebnissen umgingen, um zu erkennen, dass jene Begebenheit auf den einsamen Feldern damals nichts war, das mir peinlich sein musste, sondern für das ich dankbar sein sollte.

Psychologen mögen jene Begegnung vielleicht als eine Projektion meines Unterbewusstseins werten — und wenn schon! Meine Vorfahren waren gekommen, um mich ein Stück Wegs zu begleiten, mir den Rücken zu stärken, indem sie hinter mir gingen — war es da etwa von Bedeutung, wie diese Vision zustande kam?

Das typische Klick-Klack von Wanderstöcken draußen im Hof riss mich aus diesen Betrachtungen. Die ersten Pilger dieses Tages kamen an, die auch die einzigen bleiben sollten — eine Mutter mit ihrem Sohn aus dem Baskenland, sie um die sechzig, er etwa halb so alt. Die beiden machten es sich vor dem Kamin gemütlich und genossen es, die Herberge für sich allein zu haben.

Anders als im Frühjahr, wo ich zahlreiche Ersatz-Eltern-Kind-Kombinationen beobachtet hatte, waren jetzt tatsächlich einige Väter oder Mütter mit Sohn oder Tochter auf dem Camino. Mir fiel auf, wie liebevoll diese Eltern-Kind-Paare miteinander umgingen, und mir schien auch, dass sie stolz darauf waren, den Weg miteinander zu gehen.

„Ja das stimmt“, bestätigten Neil und Kate, Vater und Tochter aus England, die einige Tage zuvor in der Herberge abgestiegen waren, „wir finden das ganz toll, dass wir den Camino zusammen machen.“

Kate war Anfang zwanzig, also mehr als flügge, und würde bald aus dem Elternhaus ausziehen und sich eine eigene Wohnung nehmen. Der gemeinsame Jakobsweg vor dem Beginn einer neuen Lebensphase — für beide gleichermaßen — sollte sie noch einmal zusammenschweißen, ihnen etwas geben, an das sie sich gemeinsam erinnern könnten. Warum die Mutter nicht ebenfalls mitgegangen war, wurde mir nicht ganz deutlich, vielleicht hatte sie einfach keinen Urlaub bekommen. „Mom hätte das auch gefallen — ganz sicher. Vielleicht machen wir den Weg irgendwann noch mal mit ihr“, meinte Kate und hob das Kinn in Richtung ihres Vaters. „Oder du machst ihn mit ihr.“

Neil nickte bedächtig. „Ich kann mir gut vorstellen, den Camino noch einmal zu gehen.

Aber jetzt müssen wir ihn erst diesmal schaffen.“ Er verzog das Gesicht. „Wir haben nämlich Probleme mit unseren Füßen. Notfalls müssen wir halt den Bus nehmen.“

Letztlich war das aber nicht nötig, die beiden schafften es, den ganzen Weg zu Fuß zurückzulegen — wie mir Kate später per E-Mail berichtete.

Der Camino sei wie ein Traum gewesen, schrieb sie, die schnellsten fünf Wochen, die sie je durchlebt habe, und gewiss werde sie ihn irgendwann noch einmal gehen.

„In Santiago haben wir das junge schwangere Paar aus Italien getroffen, von dem du uns erzählt hast“, teilte sie mir außerdem mit. „Sie waren entzückend und beide sahen irgendwie leuchtend aus. Du hast recht, sie schienen wirklich wie Maria und Joseph.“

 

Isabel hatte von unterwegs immer wieder angerufen und Positionsmeldungen abgegeben. Sie und ihre Wanderkumpanen lagen gut in der Zeit, erreichten Santiago, wie sie es sich vorgenommen hatten, und José schickte sich an, sie dort mit dem Auto abzuholen.

Sollte ich mitfahren? Schließlich ging mein Rückflug ab Santiago. Aber ich fand es besser, Isabel daheim in der Herberge die Amtsgeschäfte wieder zu übergeben, anstatt ihr in Santiago gleichzeitig Guten Tag und Auf Wiedersehen zu sagen.

Somit hatte ich noch ein gemütliches Wochenende in Rabanal, mit sonntäglichem Familienmittagessen, zu dem Pfarrer des Ortes geladen war — so was kannte ich sonst nur aus alten Filmen.

Tags darauf fuhren Isabel und José für Besorgungen nach Astorga und nahmen mich mit, damit ich mir mein Busticket nach Santiago kaufen konnte. Den Rückweg machte ich zu Fuß. An einem sonnigen kalten Tag nahm ich auf diese Weise Abschied vom Camino — für dieses Jahr. Irgendwann würde ich wiederkommen, das stand fest.

Bevor ich am anderen Morgen abfuhr, wollte ich ein Familienfoto von uns allen machen — aber die Männer tauchten nicht auf der Bildfläche auf, schliefen wie üblich länger. Deshalb gibt es nur ein Abschiedsbild von Esperanza und mir, auf dem wir im Patio stehen, sie mit Schürze, ich im dicken Pulli. Arm in Arm strahlen wir in die Kamera und im Grunde entsprach dieses Foto meiner Zeit in Rabanal mehr als es ein Bild von der ganzen Familie getan hätte. Esperanza war meine wichtigste Bezugsperson gewesen — und Gaspar.

Um ihm Lebewohl zu sagen eilte ich noch rasch in die Posada. Scheinbar sehr beschäftigt kruschtelte er hinter dem Tresen und ich ahnte, sentimentale Abschiede waren ganz und gar nicht seine Sache.

„Ich wollte dir noch einmal danken für alles — für deine Freundschaft, deine Großzügigkeit, deine Hilfsbereitschaft“, sagte ich trotzdem, „und ich fand es sehr schön, dass ich hier bei dir in der Posada immer eine Anlaufstelle hatte.“

Er lächelte ein wenig verlegen, aber gerührt. „Es war schön, dass du da warst. Und du sollst wissen, du bist hier immer willkommen — sei es als Touristin, als Pilgerin, als Hospitalera, als Freundin des Hauses — oder als bezahlte Angestellte.“ Er hätte mir nichts Besseres zum Abschied sagen können. Mit dem Marktbus fuhr ich nach Astorga, kaufte mir dort noch etwas Proviant für die Fahrt und nahm den Überlandbus nach Santiago.