Herbergen — Oasen am Weg

 

Bevor ich mich zum Camino aufmachte, hatte ich mit Pilgerherbergen nicht viel im Sinn. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich es gut finden würde, in solchen Massenquartieren zu übernachten, plante vielmehr, mir jeweils ein nettes kleines Gasthaus zu suchen und nur im Notfall auf Albergues auszuweichen. Das erklärte ich auch meinen Camino-Gewährsleuten, als sie mir Tipps für besonders angenehme Herbergen geben wollten.

„Das ist aber schade“, meinten die daraufhin unisono, „da verpassen Sie eine ganze Menge.“

Meine Güte, dachte ich und zog eine Grimasse, was sie am Telefon natürlich nicht sehen konnten. Was sollte ich schon verpassen außer durchgelegenen Matratzen, zweifelhaften sanitären Anlagen, fremdem Schweißgeruch und schnarchenden oder sonstwie lästigen Mitpilgern?

Doch bereits meine erste Nacht in einer kleinen Privatherberge in Hunto, noch auf französischem Boden einige Kilometer hinter Saint-Jean, der einzigen Übernachtungsmöglichkeit auf der 26 Kilometer langen Etappe übers Gebirge nach Roncesvalles, ließ mich die Dinge etwas anders sehen. Eigentlich ist es doch recht nett, mit anderen Pilgern an einem langen Tisch zu sitzen, gemütlich zu essen und sich auszutauschen, dachte ich. Und so schlimm war es nun auch wieder nicht, in einem Mehrbett-Zimmer zu übernachten, zumal in jener Nacht niemand schnarchte.

Es sind die Albergues, das merkte ich im Laufe der nächsten Etappen, die dazu beitragen, den Camino von einem Weitwanderweg zu einer echten Pilgerreise zu machen. Tagsüber ist man mehr oder weniger auf sich gestellt, geht den Weg allein oder mit ein, zwei Gefährten. Abends dann in den Albergues wachsen Pilger aus aller Herren Länder und aller Altersstufen zu einer Gemeinschaft zusammen, ein bisschen vergleichbar durchaus mit der Bergkameradschaft in Alpenhütten, doch hier kommt noch etwas hinzu.

Der Pilgerausweis, den man braucht, um in Pilgerherbergen übernachten zu dürfen, hebt seinen Träger vom Status des einfachen Wanderers in den eines Pilgers. Nomen est Omen — wer sich als Pilger bezeichnet, fühlt sich bald auch so, selbst wenn er den Weg zunächst aus profanen Gründen angetreten hat.

Der Wunsch, Santiago tatsächlich zu erreichen, eint alle Pilger und ziemlich rasch wird man sich bewusst, dass der Camino selbst heutzutage nach wie vor ein Abenteuer ist, von dem man nicht weiß, wie es letztlich ausgehen wird.

Zwar kann man sich nur schwerlich verirren auf dieser Route, die mit gelben Pfeilen, den Flechas, auf der gesamten Strecke hervorragend ausgezeichnet ist. Man kann nicht unterwegs verhungern oder verdursten, denn es liegt alle paar Kilometer eine Ortschaft am Wege. In unseren Zeiten moderner Kommunikation, wo fast jeder Pilger ein Mobiltelefon mit sich trägt, muss man auch nicht nach einem Unfall irgendwo hilflos liegen bleiben. Trotzdem bleibt der Camino unwägbar. Rund 750 Kilometer sind eine gewaltige Strecke und nicht jeder, der in Saint-Jean losgeht, ist ihr tatsächlich gewachsen. Es muss zwar nicht gleich so schlimm kommen wie bei jenem Pilger, den ein Herzinfarkt ereilte, woran seine in Bronze gegossenen Wanderstiefel als makabres Mahnmal neben dem Camino erinnern.

Doch ich habe während meiner Pilgerreise und später als Hospitalera viele sogar sportlich gut trainierte Menschen den Jakobsweg abbrechen sehen, weil Sehnenentzündungen, Muskelfaserrisse oder andere körperliche Probleme sie zur Aufgabe zwangen. Diese Unwägbarkeit, die jedem Pilger irgendwann bewusst wird, macht verletzlich und schafft in den Albergues zwischen bis dahin einander fremden Menschen Zutraulichkeit und Nähe.

Wir halfen uns gegenseitig mit Pflaster und Salben aus, assistierten einander beim Verarzten der unvermeidlichen Blasen. Weil aber der Camino nicht nur eine körperliche, sondern auch eine spirituelle Herausforderung ist, wurde das abendliche Miteinander nicht nur von praktischer Unterstützung, sondern vor allem vom geistigen Austausch bestimmt. Wir sprachen über die Gedanken, die sich jeder tagsüber beim Wandern machte, über die Probleme, für die wir auf dem Camino eine Lösung erlaufen wollten. Dabei stellte ich fest, dass die wenigsten aus einem handfesten Grund zum Jakobsweg gekommen waren, etwa weil sie einen Schicksalsschlag verarbeiten wollten. Den meisten ging es eher wie mir, sie waren hier, weil ein unbestimmter Impuls sie dazu getrieben hatte. Erst allmählich wurde uns bewusst, welche Gründe tatsächlich dahinter stecken könnten.

Diese Gespräche — ebenso wie die stillschweigende Kameradschaft, das Gemeinschaftsgefühl, im selben Boot zu sitzen, beziehungsweise den selben Weg zu gehen — sind ein ganz wesentlicher Bestandteil des Erlebnisses Jakobsweg. Die Pilgerherbergen sind damit mehr als nur preisgünstige Unterkünfte. Sie sind die Oasen des Camino — wie die Lagerfeuer in der Wüste, wo Menschen zusammentreffen, die sich in ihrem normalen Alltag niemals begegnet oder miteinander ins Gespräch gekommen wären.

Weil jeder Pilger ein anderes Lauftempo hat und unterschiedliche Tagesetappen geht, begegnen sich in den Herbergen natürlich nicht ständig dieselben. Allerdings trifft man sich immer mal wieder und hat sich dann meist viel zu erzählen — und dabei stellte ich ein ums andere Mal fest, wie sehr wir uns alle während unserer Pilgerreise veränderten.

Seit der Jakobsweg im ausgehenden 20. Jahrhundert einen ungeheuren Aufschwung nahm und die Pilgerzahlen gewaltig anstiegen, wurde das Netz der Herbergen entlang des Weges entsprechend ausgebaut, traditionelle Pilgerunterkünfte verbessert, neue eingerichtet. Meist sind Herbergs-Verzeichnisse bereits überholt, wenn sie aus der Druckerpresse kommen. Mindestens alle zehn bis zwölf Kilometer findet sich eine Albergue, lediglich in der Provinz Palencia muss der Pilger zwischen Carrión de los Condes und Calzadilla mal eine Wegstrecke von 17 Kilometern zurücklegen, auf der es weder Unterkunft noch Verpflegung gibt — aber auf diese Besonderheit weist jedes Camino-Wanderbuch vorsorglich hin.

In alter Zeit mussten die Pilger in überfüllten Hospizen nächtigen beziehungsweise mit Scheunen vorlieb nehmen, wo sie auf ein wenig Stroh oder auf der blanken Erde schliefen. Verglichen damit sind die Herbergen heutzutage wesentlich komfortabler — insgesamt gesehen ist ihr Standard mittlerweile auch weniger spartanisch, als es noch Shirley Mac-Laine in ihrem Camino-Buch beschreibt. Heiße Duschen sind inzwischen gemeinhin eher die Regel als die Ausnahme, stockfleckige blanke Matratzen findet man zum Glück immer seltener. In vielen Herbergen gibt es Laken, die mehr oder weniger regelmäßig gewechselt werden und man kann gegebenenfalls Decken für kalte Nächte ausleihen.

Eine Elektrofirma hat zahlreiche Albergues mit Münzwaschmaschinen und — trocknern ausgestattet. Teilweise wurden sogar Kaffeeautomaten aufgestellt, damit die Pilger morgens beim frühen Aufbruch, wenn im Ort noch alles geschlossen ist, wenigstens nicht ohne warmes Getränk losmarschieren müssen.

Trotz all dieser Annehmlichkeiten sind die Herbergen nicht teuer. Betrieben werden sie von Gemeinden, Pfarreien, Jakobsgesellschaften oder privat und danach richtet sich auch der Obolus, den man zu entrichten hat. Ein paar Euro kostet für gewöhnlich die Übernachtung, in manchen kirchlichen Einrichtungen wird sogar nur eine Spende in freiwilliger Höhe erwartet. Privatherbergen verlangen meist ein wenig mehr, wie viel, das hängt von den angebotenen Extras wie etwa Frühstück ab.

So weit, so gut — und weil vor Gott und dem Camino alle Menschen gleich sind, gibt es strenge Regeln, damit diese Gleichheit in der Praxis gewährleistet ist. Als Pilgerin fand ich diese Vorschriften gelegentlich etwas nervig, später als Hospitalera sollte ich beim Umgang mit schwierigen Zeitgenossen froh sein, darauf verweisen zu können.

Wie gesagt, nur wer einen Pilgerausweis hat, darf in Pilgerherbergen übernachten und zwar in jeder Unterkunft nur jeweils eine Nacht. Pilgern heißt schließlich in Bewegung sein. Lediglich Krankheit und höhere Gewalt berechtigen zu einer zweiten Übernachtung in derselben Herberge. Abends ab zehn oder elf Uhr ist Nachtruhe angesagt und morgens, gegen acht, halb neun, müssen sämtliche Pilger die Herberge verlassen und weiterziehen.

Mittags, oft auch erst am Nachmittag, wird die Unterkunft wieder geöffnet und die vorhandenen Betten nach der Reihenfolge des Eintreffens belegt. Reservieren ist nicht möglich und Plätze für nachfolgende Pilger freizuhalten unzulässig. Grundsätzlich werden zuerst die Pilger untergebracht, die zu Fuß unterwegs sind. Wer den Camino mit dem Fahrrad oder Pferd macht, muss bis abends warten, ob noch etwas frei geblieben ist. Wanderer mit Begleitauto sind in den Herbergen nicht sonderlich gern gesehen und haben höchstens dann eine Chance auf Unterbringung, wenn abends spät noch viele Betten unbelegt sind. Das ist aber vor allem in den Sommermonaten so gut wie nie der Fall.

Da man nicht reservieren kann, hat die Sorge, am nächsten Etappenziel auch wirklich einen Platz in der Herberge zu finden, vor allem in der Hauptsaison zu einer kuriosen Unsitte geführt. Zahlreiche Pilger brechen morgens in aller Herrgottsfrüh, vielfach schon lange vor Sonnenaufgang, auf und gehen weite Strecken im Dunkeln, um nur ja am angestrebten Ort unterzukommen. Oft haben sie schon gegen elf Uhr ihr Etappenziel erreicht, sitzen vor der geschlossenen Herberge neben ihren Rucksäcken auf der Straße und warten, bis sich die Pforten öffnen. Die Nachmittage nutzen diese Nachtmarschierer meist weniger, um sich den Ort mit seinen Kirchen und Bauwerken anzusehen, als vielmehr müde in den hart erkämpften Betten Siesta zu halten, damit sie am nächsten Morgen wieder abenteuerlich früh aufbrechen können.

Es dauerte eine Weile, bis ich dahinter kam, dass das Argument, die Mittagshitze umgehen zu wollen, bei den Frühaufstehern oft nur vorgeschoben war, sondern es ihnen vor allem um die sichere Unterkunft ging. Ich empfand diesen Betten-Wettlauf eines Pilgers unwürdig, schließlich sollte man sich auf dem Jakobsweg Zeit zur Besinnung nehmen. Außerdem hatte ich mittlerweile erkannt, dass Demut und Dankbarkeit zwei wichtige Lernziele des Camino sind — Demut, auch Unangenehmes hinzunehmen und sich gegebenenfalls nach der Decke zu strecken, sprich: auf einer Matte am Boden zu schlafen — Dankbarkeit für alles unerwartete Gute, das man erfährt.

Also beschloss ich, meine Etappenziele nicht von vornherein festzulegen, mir keine Sorgen zu machen, wo ich abends ankommen und ob ich dort ein Bett finden würde.

Ich ließ mir morgens Zeit, blieb in der Herberge, solange es erlaubt war, suchte mir dann im Ort eine Bar, wo ich frühstücken konnte. Wenn ich anschließend losmarschierte, schien die Sonne zwar schon längst, doch es war noch eine Weile morgenkühl. Gegen Mittag machte ich irgendwo — meist in den Orten, wo vor den Herbergen bereits Warteschlangen saßen — eine ausgedehnte Pause, aß etwas, ließ die Hitze verstreichen, um am Spätnachmittag noch so viele Kilometer weiter zu gehen, wie ich Lust hatte. Obwohl ich im August, der absoluten Hochsaison, unterwegs war, bekam ich fast immer ein Herbergsbett.

Insgesamt habe ich, die ursprünglich generell in Pensionen übernachten wollte, dies nur vier Mal tatsächlich getan — drei Mal, weil die jeweilige Herberge überfüllt war und ich deshalb zusammen mit anderen Pilgern auf Mehrbett-Zimmer in Gasthöfen auswich, und einmal, weil ich kränklich war und darum Privatsphäre haben wollte. Aber obwohl schwach auf den Beinen, verließ ich an jenem Abend mein Hotelzimmer und machte mich auf die Suche nach der Albergue, um zu schauen, wer von meiner „Pilgerfamilie“ dort angekommen war, um mit ihnen zu plaudern.

Die Herbergen entlang des Camino sind von Größe und Ausstattung her höchst unterschiedlich und ob eine Unterkunft von den Pilgern als angenehm empfunden wird, hängt viel von den Hospitaleros ab, die dort Dienst tun. Für mich blieb jedenfalls die komfortabelste Herberge in gewisser Weise ungemütlich, wenn der Hospitalero unfreundlich oder desinteressiert war. Umgekehrt fühlte ich mich in mancher weniger perfekten Albergue sehr wohl, wenn die Betreuung stimmte. Hospitalero und Hospitalidad — Gastfreundschaft — haben denselben Wortstamm, aber nicht jeder, der als Hospitalero Dienst tut, scheint sich dessen immer bewusst zu sein. In der Rückschau sind mir jedenfalls vor allem jene Herbergen in Erinnerung geblieben, deren Hospitaleros besonders liebenswürdig, warmherzig und hilfsbereit — eben gastfreundlich — waren. Larrasoaña im Baskenland zum Beispiel, wo der alte Bürgermeister, der zugleich als Hospitalero fungierte, es mit Improvisationstalent, Humor und Einfühlungsvermögen schaffte, in der Herberge, die für 30 Pilger ausgelegt ist, über 80 unterzubringen — und zwar in schönster Eintracht. Mit guter Laune und gutem Zuspruch, hier aufmunternd eine Schulter klopfend, dort begütigend einen Arm drückend, brachte er uns dazu, das unbequeme Massenlager als Bewährungsprobe in Sachen Gemeinschaftssinn zu betrachten. Wir schliefen alle nicht besonders gut in dieser Nacht. Es war zu eng, der Fußboden hart und die Belüftung schlecht, aber am Morgen hatten wir das Gefühl, „richtige“ Pilger geworden zu sein.

Azofra in Rioja, wo uns in der kleinen Privatherberge der deutsche Hospitalero Roland abends bewirtete, ohne etwas dafür zu verlangen, und uns anderntags nicht nur mit wertvollen Tipps und guten Ratschlägen, sondern auch mit seiner Telefonnummer versehen wieder auf den Weg schickte: „Wann immer ihr Probleme habt, ruft mich an.“

Mansilla nahe León, wo ich fiebrig, elend und mit schweren Magenproblemen ankam und von der spanischen Hospitalera Laura und ihrem deutschen Kollegen Wolf hochgepäppelt und erst wieder auf den Camino entlassen wurde, nachdem ich ein Frühstück problemlos bei mir behalten konnte. Meine schmutzige Wäsche hatten sie, während ich im Delirium lag, stillschweigend gewaschen, getrocknet und neben meinen Rucksack gelegt.

 

Als am Ende meines Camino aus der vagen Idee, als Hospitalera zurückzukommen, ein fester Vorsatz geworden war, wollte ich selbstverständlich eine von denjenigen werden, an die sich die Pilger wegen ihrer besonderen Gastfreundlichkeit erinnerten.

Hinzu war unterdessen eine gute Portion Abenteuerlust gekommen. Es reizte mich ungeheuer, für absehbare Zeit in ein ganz anderes Leben einzutauchen, eine Arbeit zu verrichten, die sich völlig von meinem Job als Journalistin unterschied. Bereits in Santiago zog ich Erkundigungen ein, fragte im Pilgerbüro, welche Voraussetzungen ich als Hospitalera zu erfüllen hätte.

Auf jeden Fall sollte ich etwas Spanisch können — was ich tat — und mir darüber im Klaren sein, dass Hospitaleros volutarios, die freiwilligen Helfer in den Pilgerunterkünften, lediglich für Kost und Logis arbeiteten. Meine Anreise müsste ich selbst bezahlen. So ähnlich hatte ich mir das bereits vorgestellt.

Des Weiteren verwies man mich auf die Pfarrherberge von Grañón, wo ein Pater namens José Ignacio regelmäßig Cursillos, kleine Ausbildungskurse für zukünftige Hospitaleros abhielt und diese später dorthin vermittelte, wo gerade Hilfe gebraucht wurde.

David, der schon früher einmal in Santiago gewesen war, kannte dort eine spanische Studentin namens Ana. Sie hatte bereits als Hospitalera gearbeitet, deshalb arrangierte er ein Treffen mit ihr.

„Was hat es mit diesen Kursen für Hospitaleras auf sich?“, wollte ich von Ana wissen.

„Den Camino bist du schon gegangen?“, fragte sie zurück. „Dann weißt du ja ohnehin, worauf es ankommt. Und wie alt bist du? Fünfzig? Das hätte ich jetzt zwar nicht gedacht, aber dann brauchst du so einen Kurs erst recht nicht. In meinem Cursillo waren fast nur junge spanische Mädels, die den Camino selbst noch nicht gegangen waren, aber in den Ferien mal was Soziales machen wollten.“

Trotzdem telefonierte ich später von Deutschland aus mit Pater José Ignacio, ließ mir die Termine für die Hospitalero-Kurse faxen und stellte fest, dass ich keines der Daten mit meinem Dienstplan vereinbaren konnte. Ich rief den Pater wieder an. „Ach, da Sie ja den Camino kennen, dürfte es genügen, wenn Sie einfach kommen“, erteilte er mir fernmündlich die Absolution. „Alles, was Sie wissen müssen, können Sie auch vor Ort in der Herberge lernen.“

 

Meine Einsatzorte organisierte ich selbst. Mit Roland in Azofra, wo es mir so gut gefallen hatte, wurde ich telefonisch rasch einig, dass ich ihn im Frühjahr für zwei Wochen in seiner kleinen Herberge unterstützen würde.

Weil Journalisten quasi immer im Dienst sind, wollte ich die Erfahrungen, die ich als Hospitalera machen würde, nicht auf sich beruhen zu lassen, sondern etwas darüber schreiben.

Um das Bild abzurunden, sollte ich deshalb zusätzlich Einblicke in den Alltag einer größeren Albergue haben, überlegte ich und zog Wolf aus Mansilla zu Rate. Wir hatten seit meinem Aufenthalt dort Kontakt gehalten und telefoniert. Als er im Winter wieder in sein Heimatdorf nahe der Stadt, wo ich wohnte, zurückkehrte, trafen wir uns öfters.

Wolf kannte sämtliche Herbergen und hauptamtlichen Hospitaleros entlang des Camino, überlegte, mit wem ich mich wohl gut verstehen und wo es mir besonders gefallen könnte. Schließlich vermittelte er mir den Kontakt zu Alfredo, der für die Gemeindeherberge von Molinaseca im Westen der Provinz León verantwortlich war. Dank Wolfs Referenzen würde ich dort im Anschluss an Azofra als freiwillige Hospitalera Dienst tun können.

Molinaseca — ich erinnerte mich noch genau, wie ich auf meinem Camino an einem wunderschönen Sommermorgen, nachdem ich in einem Ort vorher übernachtet hatte, an jener Albergue vorbeikam. Die Pilger waren schon alle weitergezogen und in dem warmen goldenen Sonnenlicht vorm Haus stand eine junge Frau und schüttelte Decken aus.

Was für eine hübsche Herberge, dachte ich damals, da würde ich auch gerne mal Hospitalera sein.

Genau dieser gedachte Wunsch sollte sich nun erfüllen. Ich sah das als gutes Omen.