Nachwort
von
Manfred Papst
Am 5. September 1940, ein Vierteljahr vor seinem Tod, schreibt F. Scott Fitzgerald einen Brief an seine Tochter Scottie. Stories, erklärt er ihr, schreibe man am besten in einem Zug oder, wenn es sich um längere Texte handle, an drei aufeinanderfolgenden Tagen, allenfalls mit einem zusätzlichen Tag für die Überarbeitung. Dann aber weg damit! Geschichten, deren Niederschrift sich in die Länge ziehe, läsen sich oft auch nicht flüssig.
Das war nicht einfach so dahingesagt. Bei den meisten der rund hundertsechzig Erzählungen, die Fitzgerald in seinem kurzen Leben verfasst hat, ist er genau nach dem von ihm definierten Prinzip verfahren. In einigen Fällen können wir den Prozess genau verfolgen. Beispielsweise bei der humoristischen Geschichte ›Eher geht ein Kamel…‹. Fitzgerald schrieb den rund dreißig Seiten umfassenden Text an einem einzigen Tag im Januar 1920. Wie er seinem Lektor Maxwell Perkins mitteilte, begann er um acht Uhr morgens. Um sieben Uhr abends war die Rohfassung fertig, um halb fünf Uhr morgens des folgenden Tages die Reinschrift, und diese war eine halbe Stunde später schon unterwegs an die Saturday Evening Post. Fitzgerald kassierte 500 Dollar für die Story. Das Geld diente ihm dazu, seine launische Geliebte und künftige Ehefrau Zelda Sayre (1900–1948) mit einer diamantverzierten Armbanduhr aus Platin zu überraschen.
F. Scott Fitzgerald war einer der meistgelesenen und höchstbezahlten amerikanischen Autoren seines Zeitalters, und sein kommerzieller Erfolg gründete in erster Linie auf seinen populären Stories, die er in verschiedenen Magazinen unterbrachte und für die er von Jahr zu Jahr höhere Honorare erzielte. Sein »Hauptbuch«, das er durch alle Höhen und Tiefen seiner stürmischen Karriere hindurch führte, legt Zeugnis davon ab. Doch der gefeierte Autor hatte ein ambivalentes Verhältnis zu seinen Erzählungen. Weil sie ihm so leicht von der Hand gingen, neigte er dazu, sie geringzuschätzen. Sein ganzer Ehrgeiz galt seinen Romanen. »Es ist seltsam, dass ich Zelda nie davon überzeugen konnte, dass ich ein erstklassiger Schriftsteller war«, notierte er später einmal in seinem Tagebuch. »Sie wusste, dass ich gut schrieb, aber sie erkannte nicht, wie gut. Als ich mich von einem erfolgreichen Geschichtenschreiber zu einem seriösen Schriftsteller mauserte, zu einem big shot, verstand sie mich nicht und versuchte nicht, mir zu helfen.«
Mit seinen insgesamt fünf Romanen tat Fitzgerald sich schwer. Schon Diesseits vom Paradies, sein gefeierter Erstling, zeigt zwar seine enorme Begabung als Erzähler, bleibt aber Flickwerk, ein Konglomerat aus Gedichten, Skizzen, Kurzgeschichten, Bruchstücken eines früheren Romans sowie einem vollständigen Einakter. Trotzdem schaffte der Dreiundzwanzigjährige mit diesem romantischen Entwicklungsroman den Durchbruch bei der Literaturkritik und beim Publikum (was zur Eroberung Zeldas entscheidend beitrug); 20000 Exemplare wurden in den ersten Wochen nach Erscheinen des Werkes verkauft.
Über etliche seiner gleichzeitig entstandenen Erzählungen hat Fitzgerald sich despektierlich geäußert, doch in dieser Beziehung irrte er sich oft. Zwar wusste er selbst am besten, wann er geschludert und wann er sich Mühe gegeben hatte, doch als Richter in eigener Sache ist auf ihn kein Verlass. Diese Einschätzung treffen wir freilich aus der relativen Sicherheit historischer Distanz und mit dem Überblick über das Gesamtwerk. Für Fitzgeralds Zeitgenossen sah die Sache anders aus. Da war der junge Autor mit seinem Urteil über sich selbst keineswegs allein. Auch namhafte Literaturkritiker unterschieden zwischen dem Fitzgerald der »seriösen« Romane und jenem der kommerziellen Magazine; und sie fürchteten, der Zweite riskiere, den Ruf des Ersten zu ruinieren.
Der vorliegende Band enthält dreiundzwanzig Texte Fitzgeralds: zweiundzwanzig Erzählungen aus den Jahren 1920 bis 1924 sowie das 1937 niedergeschriebene autobiographische Zeugnis ›Früher Erfolg‹. Die Stories zeigen den Autor auf dem Weg zum Roman Der große Gatsby, seinem Meisterwerk. Siebzehn der zweiundzwanzig Texte nahm Fitzgerald in die drei Erzählungsbände auf, die er in den 1920er Jahren publizierte: Flappers and Philosophers (1920), Tales of the Jazz Age (1922) und All the Sad Young Men (1926). Flappers and Philosophers erschien im selben Jahr wie der Romanerstling; nach dessen überraschendem Publikumserfolg sollte er das Interesse an dem jungen Autor wachhalten. Das Zelda gewidmete Buch enthielt acht Stories und verkaufte sich mit 15000 Exemplaren in zwei Jahren ziemlich gut. Die Kritiken waren unterschiedlich; einige Rezensenten werteten die eher leichtgewichtigen Geschichten nach dem formal ehrgeizigen Paradies-Roman als Enttäuschung; H. L. Mencken wies im Smart Set als einer der Ersten auf die zwei Gesichter Fitzgeralds als Autor hin. Dieser selbst sandte dem bekannten Literaturkritiker ein Exemplar des Buchs, in welchem er die Geschichten in drei Kategorien einteilte: Vier bezeichnete er als »lesenswert«, eine als »amüsant«, drei als »Mist«.
Unsere Auswahl beginnt mit einer jener Geschichten, die Fitzgerald als »Mist« qualifizierte. Schon sie zeigt, wie wenig wir dem Urteil des Autors über sein eigenes Werk trauen dürfen. ›Kopf und Schultern‹ mag im Vergleich mit Fitzgeralds besten Erzählungen ein Leichtgewicht sein, aber es ist ein romantisches Märchen mit Witz und Charme, das sich um ein höchst gegensätzliches Paar dreht: Ein so eifriger wie weltfremder junger Intellektueller, der schon als Siebzehnjähriger die hochtrabendsten philosophischen und kunsttheoretischen Essays verfasst, liebt eine lustige, weltkluge, dabei aber völlig ungebildete Schauspielerin und Tänzerin. Mit einiger Mühe bringt sie ihm das Küssen bei. Die beiden leben arm, aber glücklich zusammen. Sie tingelt, er arbeitet in einer Exportfirma. Damit er einen körperlichen Ausgleich zu seinem Bürojob hat, rät sie ihm, turnen zu gehen. Das tut er brav – und bald schon ist er an den Ringen so gut, dass er als Artist im Hippodrom auftritt – während sie, inzwischen schwanger geworden, in unverblümter Gassensprache einen Bericht über ihren Weg zur Bühne schreibt. Das Buch wird prompt ein Bestseller. Der Philosoph turnt, die Ballettratte schreibt – so dreht sich das Verhältnis um, doch bleibt das Glück den Verliebten hold.
Auf einen ganz anderen Ton als diese moussierend sentimentale Geschichte ist die Erzählung ›Myra lernt seine Eltern kennen‹ gestimmt. Wie einige weitere Texte, die Fitzgerald im Lauf der folgenden Jahre für die Saturday Evening Post schrieb, hat sie einen humoristischen Einschlag. Gleich zu Beginn wird uns Myra nicht als Individuum, sondern als Typus des leichtlebigen jungen Mädchens aus gutem Haus vorgestellt: »Eine Myra lebt von den Colleges an der Ostküste wie eine junge Katze von warmer Milch.« Sie ist der Schwarm aller Studenten. Man sieht sie im Biltmore-Foyer, im Theater, auf Abschlussbällen. Die besondere Myra, um die es im Folgenden geht, will den Millionärssohn Knowlson Whitney heiraten. Die Romanze beginnt, er verlobt sich schon bald mit ihr und lädt sie zu sich nach Hause ein. Doch es wird ein gespenstischer Empfang. Knowlsons Vater erweist sich als überdrehter Exzentriker, die Mutter lebt mit einundzwanzig Pudeln in einem Zimmer, das sie nie verlässt. Nachts geistert es im Haus, und bei einer Varietévorführung wird Myra zum Singen genötigt. Sie blamiert sich und will nur noch weg, doch durch einen Zufall findet sie heraus, dass der ganze bizarre Empfang eine Scharade ist. Knowlson hat Angst vor einer übereilten Heirat bekommen und mit der Hilfe von Freunden sowie bezahlten Schauspielern beschlossen, Myra zu vergraulen (und nicht etwa nur auf die Probe zu stellen). Am anderen Morgen aber wird er schwach: Er gesteht ihr alles und bittet sie um Verzeihung. Sie willigt ein unter der Bedingung, dass er sie noch gleichentags heiratet. Er ist mit allem einverstanden, sie gehen zu einem Priester, den sie kennt, um gleich darauf nach Westen in die Flitterwochen zu fahren. Auf dem Bahnhof kehrt sie nochmals kurz um, um ihre vergessene Handtasche zu holen – und macht sich unbemerkt aus dem Staub: Der Priester war ein von ihr bestellter Mime, sie hat den Spieß umgedreht und Knowlson mit seinen eigenen Waffen geschlagen.
›Myra lernt seine Eltern kennen‹ ist eine reizvolle komische Erzählung vom Typus »Gauner gegen Gauner«, wobei die Sympathien des Autors eindeutig bei Myra liegen. Man könnte sich diesen Stoff gut in einer Verfilmung von Billy Wilder vorstellen. ›Der Riffpirat‹ (1920), ›Die unmögliche Figur‹ (1924) und ›Rags Martin-Jones und der Pr-nce of W-les‹ (ebenfalls 1924) leben von ganz ähnlichen Pointen. Es geht um die Zähmung von widerspenstigen Schönen – sei es durch eine inszenierte Entführung, den Auftritt eines vermeintlichen »Wilden« oder denjenigen angeblicher Prominenz. Stets erleben wir das Liebeswerben als eine Art von Kampf: Es geht darum, die Herablassung, Blasiertheit und »Coolness« der Angebeteten zu brechen.
Vergleicht man die vier hier erwähnten Geschichten, kommt man nicht umhin, Fitzgeralds routiniertes, ja fast schon stereotypes Vorgehen zu beobachten. Er wählt mehrfach den gleichen dramaturgischen Aufbau und die gleiche Pointe, lediglich die Kulisse wechselt. Bemerkenswerterweise aber schreibt Fitzgerald im unmittelbaren Umfeld dieser hübschen, virtuosen Harmlosigkeiten einige seiner bedeutendsten Erzählungen – und zwar in den unterschiedlichsten Genres.
Im Komischen zum Beispiel. ›Eher geht ein Kamel…‹ ist eine von Fitzgeralds lustigsten Geschichten. Sie dreht sich um einen Kostümball. Als Perry Parkhurst – achtundzwanzig, Jurist, schöne Zähne, Harvard-Diplom, Mittelscheitel – sich in letzter Minute entscheidet, an ihm teilzunehmen, hat er gerade einen Riesenkrach mit seiner Geliebten Betty Medill hinter sich, weil diese sich nicht entschließen kann, ihn zu heiraten. In der Folge betrinkt er sich tüchtig. Viel zu spät klopft er beim Kostümverleih an. Alle einschlägigen Masken und Verkleidungen zum vorgegebenen Thema »Zirkus« sind längst weg. Nur ein Kamelkostüm für zwei Personen ist noch zu haben. Percy überredet seinen Taxifahrer, gegen Schnaps und Dollars als sein »Hintermann« einzuspringen. Der Coup gelingt. Das tapsige Tier, das sich bewegt wie eine Ziehharmonika, macht Furore auf der Party – vor allem beim Tanzen und Flirten mit einem umschwärmten weiblichen, als Schlangenbeschwörerin verkleideten Gast. Prompt werden die beiden mit den Hauptpreisen ausgezeichnet und vom Maître de Plaisir in einer heiteren Szene miteinander verheiratet. Als die Identitäten der Verkleideten gelüftet werden, erweist sich, dass sich hinter ihnen niemand anders verbirgt als das zerstrittene Paar Perry und Betty. Das führt zunächst zu einem Eklat. Doch dabei bleibt es nicht. Als auch der Hinterteil des Kamels Ansprüche auf die empörte Schöne geltend macht, kommt es in einer überraschenden Volte zum Happy End.
In dieser in New Orleans entstandenen Erzählung zeigt sich Fitzgerald auf der Höhe seiner humoristischen Kunst. Nie waren seine Dialoge schneller und beschwingter. Augenzwinkernd spielt er mit seiner Rolle als auktorialer Erzähler. Er behauptete zwar, er sei nicht besonders stolz auf diese Geschichte; immerhin aber wurde sie als erster seiner Texte in die Serie der »O. Henry Prize Stories« aufgenommen und zur Verfilmung verkauft.
In unmittelbarer Nachbarschaft zu diesem Kabinettstück entsteht eine Erzählung, die Fitzgerald von einer ganz anderen Seite zeigt: nämlich als (ironisch distanzierten) Moralisten. ›Die Kristallschüssel‹ handelt von einem fatalen Gefäß. Evelyne Piper hat es einst von einem verschmähten Liebhaber geschenkt bekommen mit den Worten, es sei »ebenso hart und schön und leer und leicht zu durchschauen« wie sie selbst. Und tatsächlich bringt es ihr nichts als Unglück. Es verrät einen heimlichen Verehrer. An seinen scharfen Kanten verletzt sich das Töchterchen schwer. Es dient als Behältnis für einen Punsch, der eine wichtige geschäftliche Einladung des Paars zum Desaster werden lässt. Es nimmt den Brief auf, der den Soldatentod des Sohnes meldet, und es lässt sich nicht einmal ohne verhängnisvolle Folgen zerschmettern.
Das ist alles so melodramatisch und so dick aufgetragen, dass die Geschichte einem minderen Autor unweigerlich zum Kitsch geraten wäre. Aber Fitzgerald erzählt sie so elegant, dass man ihm selbst die aufgetürmte Symbolik abnimmt. Höhepunkt der Erzählung ist die Einladung der Geschäftsfreunde, zu welcher Evelynes Mann schon angetrunken erscheint. Wie Fitzgerald hier die Spannung aufbaut, ist meisterhaft. Der Leser spürt vom ersten Satz der Szene an, dass das Verhängnis kommen muss. Er fürchtet es und kann es doch nicht verhindern. Aber auch hier versteht Fitzgerald es, mit einem leichten Konversationston Distanz und Ironie zu signalisieren, wie schon der erste Abschnitt der Geschichte zeigt: »Es gab eine Altsteinzeit, eine Jungsteinzeit und eine Bronzezeit, und viele Jahre später gab es eine Kristallzeit. In der Kristallzeit setzten sich junge Damen, wenn sie junge Männer mit langen, geschwungenen Schnurrbärten überredet hatten, sie zu heiraten, einige Monate nach der Hochzeit hin und schrieben Dankesbriefe für all die Geschenke aus Kristallglas – Punschschüsseln, Fingerschalen, Wassergläser, Weingläser, Eisbecher, Pralinenteller, Karaffen und Vasen…«
In seinen frühen Erzählungen zeigt sich Fitzgerald immer wieder als intimer Kenner einer Jugendkultur im Aufbruch. Er schreibt über Highschools und Colleges, über Tanzpartys, erste Verliebtheiten und die großen Gefühle von Heranwachsenden. Was diese Geschichten auszeichnet, ist, dass er das Innenleben seiner Protagonisten – und vor allem seiner Protagonistinnen – ernst nimmt.
›Bernice’ Bubikopf‹ (die Story erschien 1920 in der Saturday Evening Post und brachte 500 Dollar ein) ist ein gutes Beispiel für dieses Verfahren. Bernice verbringt die Ferien bei ihrer Cousine Marjorie. Dort gilt sie zunächst als Mauerblümchen. Im Partyleben fühlt sie sich nicht wohl. Ihre Cousine erteilt ihr mit verletzender Herablassung Ratschläge, wie sie bei den jungen Männern am Ort Erfolg haben kann. Obwohl es ihr schwerfällt, beherzigt sie diesen Rat und wird nun in der Tat sehr rasch beliebt. Marjorie scheint ihr das zu gönnen – solange Bernice keine Konkurrenz für sie ist. Als Bernice jedoch im Begriff steht, Marjorie einen Verehrer auszuspannen, ist es aus mit der Freundschaft und weiblichen Solidarität. Arglistig redet die Cousine Bernice ein, sie sähe mit einem Bubikopf doch noch viel attraktiver aus als mit ihren langen Haaren. Aus den Tändeleien unter Halbwüchsigen wird unmerklich Ernst. Unter enormem Gruppendruck geht Bernice auf das Ansinnen ein – und manövriert sich damit ins Abseits. Sie wird für ihre neue Frisur nicht gelobt und geliebt, sondern ausgelacht, bedauert, geschnitten. Aber sie wächst an ihrer misslichen Situation und zahlt Marjorie ihre Teufelei mit gleicher Münze heim. Fitzgerald erzählt diese Geschichte souverän und süffig, mit quasi filmischen Mitteln – man beachte den »Zoom« zu Beginn des ersten Kapitels –, mit Witz, aber auch mit Sinn für das pathetische Lebensgefühl Halbwüchsiger.
Einen besonderen Reiz unter den frühen Erzählungen hat die Story ›Der Eispalast‹. Ihre Anlage erinnert an die Konstellation Scott/Zelda, übernimmt aber die weibliche Perspektive. Sally Carrol ist eine junge Schöne aus dem Süden, die gern in den Tag hineinträumt, wenn sie nicht gerade von einem jungen Mann aus ihrer Clique zum Schwimmen abgeholt wird. Stimmt es, dass sie mit einem aus dem Norden verlobt ist? Ja, sagt sie. Hier unten ist es nett, aber sie will nicht ewig hier klebenbleiben. Erst kommt ihr Verlobter Harry Bellamy sie im Süden besuchen, dann fährt sie für die Winterferien zu ihm in den Norden, wo seine Familie ihr mit der für diese Gegend offenbar typischen Steifheit begegnet. Sie fühlt sich fremd, reagiert empfindlich auf abfällige Bemerkungen über ihre Heimat. Nur im Gespräch mit einem jungen Literaturprofessor taut sie auf. Doch dann geht es durch Schnee und Kälte zum Winterfest in einem Eispalast. Dort verirrt sie sich im Labyrinth, ihr Fehlen fällt zunächst nicht auf, erst nach zwei Stunden wird sie völlig durchfroren und verzweifelt wiedergefunden. Die dramatische Episode macht ihr klar, dass sie mit Harry und dem Norden nichts zu schaffen hat. Anderntags fährt sie wieder heim. Am Ende der Erzählung sehen wir sie wie schon zu deren Beginn wieder in den sommerlich trägen Tag hineinträumen, bis jemand sie fragt, ob sie zum Schwimmen mitkommen mag.
In dieser sanft melancholischen Romanze arbeitet Fitzgerald den Gegensatz von Süd- und Nordstaaten der USA, wie er ihn selbst erlebt hat, prägnant heraus: Der Süden ist sinnlich, liberal und hat eine lange Tradition, die dem Norden fehlt. Dort ist man hölzern, wortkarg, von sich selbst überzeugt. Die Beziehung des jungen Liebespaars scheitert an den Gegensätzen von Herkunft und Mentalität. Das klingt nach holzschnittartiger Zeichnung, doch wie immer bei Fitzgerald ist das Prinzipielle ins Spielerische aufgelöst und begegnet uns in der Form des Small Talks – nirgends charmanter als in dem Flirt, in dem Sally dem Literaturdozenten ihre Theorie erläutert, nach der sich alle Menschen in Katzen und Hunde unterteilen lassen.
Es ist eine eigene Ironie der Geschichte, dass Fitzgerald für ›Erster Mai‹, eine seiner besten und mit achtzig Seiten Umfang längsten seiner frühen Erzählungen, nur einen Bruchteil des Honorars erhielt, das ihm schon 1920 für seine leichtere Kost bezahlt wurde. Aber seinen üblichen Abnehmern war diese Story zu avanciert, zu komplex, zu düster. Smart Set, das Magazin, das Fitzgeralds erste Beiträge 1919 gedruckt hatte, nahm den Text schließlich für 200 Dollar und brachte ihn im Juli. Fitzgerald hatte die Geschichte im Frühjahr 1920 in New York geschrieben, kurz vor der Heirat mit Zelda, während er vergeblich versuchte, mit seinem zweiten Roman voranzukommen.
Die Erzählung spielt am 1. und 2. Mai 1919 in New York City. Der erst vor kurzem zu Ende gegangene Erste Weltkrieg und die Kriegsheimkehrer – ein häufiges Thema beim frühen Fitzgerald – bestimmen die Szenerie. Gordon Sterret, abgerissen, abgestürzt, ein erfolgloser Zeichner, sucht im Biltmore-Hotel seinen Yale-Kommilitonen Philip Dean auf, um ihn anzupumpen. Dean ist angewidert von seinem ungebetenen Gast, hält ihn hin, gibt ihm schließlich einen Bruchteil des benötigten Geldes. Das ist der eine Handlungsstrang. In einem weiteren, parallel geführten Strang treffen sich zwei elende Gestalten in einer Kneipe an der Sixth Avenue. Corral Key und Gus Rose sind Kriegsheimkehrer und auf der Suche nach Alkohol. Sie finden ihn im noblen Hotel Delmonico, wo an jenem Abend gerade eine Ehemaligen-Party der Yale-Absolventen stattfindet. Dort treffen sie – dritter Handlungsstrang – auf einen Mann namens Peter Himmel, der gerade bei seiner Flamme Edith abgeblitzt ist und sich gleichsam aus Rache gramvoll betrinkt. Auf dem gleichen Gamma-Psi-Ball sind inzwischen auch Dean und Gordon aus der ersten Szene eingetroffen. Gordon, erfahren wir, war früher Ediths Geliebter. Sie erschrickt über seinen Zustand, redet aber trotzdem mit ihm. Im Trubel der Ballnacht wird Edith von vielen Seiten begehrt und immer wieder abgeklatscht. In den frühen Morgenstunden entrinnt sie dem bunten Treiben kurz und macht einen Überraschungsbesuch bei ihrem Bruder, der gleich gegenüber in einer Zeitungsredaktion arbeitet, bei einem kleinen linken Blatt. Zu dieser späten Stunde sind nur noch zwei Mitarbeiter im Haus. Als Edith gerade mit ihnen plaudert, dringen betrunkene Soldaten in das Gebäude ein. Unter ihnen ist auch Key, einer der beiden Kriegsheimkehrer und Saufbrüder aus der zweiten Szene. Im Getümmel stürzt er aus dem Fenster und bleibt tot auf der Straße liegen. Derweil wird Gordon, der immer noch auf der Party im Hotel ist, von einer Frau namens Jewel abgefangen und abgeschleppt. Er schuldet ihr Geld, sie verfolgt ihn aber auch, weil sie ihn liebt und nicht freigeben will. Am anderen Morgen wird er verkatert neben ihr erwachen, sich leise davonmachen und sich in seinem Zimmer in der East Twenty-seventh Street eine Kugel in den Kopf schießen. Das ist der eine Schluss der Geschichte. Parallel dazu gehen Peter Himmel und Dean auf eine gewaltige, groteske Sauftour, die bis zum Morgen dauert.
Diese Geschichte beweist, welch enorme Fortschritte Fitzgerald seit seinen Anfängen als Erzähler gemacht hat. Hier zeigt er sich als Meister der Engführung. Wir treffen die Hauptfiguren alle innerhalb von etwa 24 Stunden am selben Ort an. Die pulsierende Atmosphäre New Yorks ist hervorragend erfasst, die Figuren sind mit sicherem Strich konturiert, die Dialoge sitzen, Groteske und Tragödie sind raffiniert ineinander verschränkt. Gordon Sterretts erniedrigender Bittgang zu Philip Dean nimmt schon eine Szene des Romans Die Schönen und Verdammten vorweg, und das berühmte Hemden-Motiv aus dem Großen Gatsby ist hier ebenfalls bereits angelegt. Die eigentliche Heldin der Geschichte ist Edith. Sie bewegt sich mit Anmut und Souveränität zwischen ihren Begleitern. Die Atmosphäre des noblen Ehemaligen-Balls wird kunstvoll konterkariert mit der nächtlichen Szene in der linken Redaktion, die all diesen Luxus abschaffen will, und den betrunkenen Kriegsheimkehrern, die sich in dumpfer Wut gegen die »Linken« wenden und damit natürlich gegen ihre eigenen Interessen handeln. Fitzgerald verwendet hier mehr als je zuvor Elemente filmischen Erzählens. Neben den Hauptgestalten haben auch zahlreiche Nebenfiguren wie Taxifahrer und Kellner ihren genau kalkulierten und dennoch ganz beiläufig wirkenden Auftritt.
Hätte Fitzgerald nur diese Geschichte geschrieben, dürfte er schon als namhafter Autor seiner Zeit gelten. Der Text zeigt weit deutlichere naturalistische Einflüsse als die meisten anderen seiner Werke. Namentlich Frank Norris und Theodore Dreiser dürften ihr Pate gestanden haben; der Ton ist indes reicher und differenzierter als bei diesen Autoren. Man kann sich fragen, in welcher Richtung Fitzgeralds Schreiben sich weiterentwickelt hätte, wenn dieses frühe Meisterstück ein Erfolg geworden wäre. Die Frage ist insofern nicht nur müßig, als Fitzgerald sich in den folgenden Jahren oft darüber beklagte, dass der Markt von ihm nur triviale Stories wolle. Dazu gibt es eine bemerkenswerte Passage in Ernest Hemingways Erinnerungsbuch Paris – ein Fest fürs Leben. Hemingway macht geltend, er habe Fitzgerald 1925 davor gewarnt, mit kommerziellen Geschichten seinen Stil zu ruinieren. Fitzgerald, so Hemingway, habe ihm zur Antwort gegeben, da bestehe gar keine Gefahr; er schreibe die Geschichten zunächst in unverfälschter Form und trivialisiere sie dann erst im Nachhinein gezielt für den jeweiligen Abnehmer. Vielleicht hat er das tatsächlich gesagt. Fitzgerald neigte, wie sein Biograph Matthew J. Bruccoli ausführt, zu solchen Prahlereien, besonders, wenn er betrunken war. Aber in den erhaltenen Manuskripten lässt sich keine einzige Spur einer solchen Bearbeitung nachweisen.
Während Fitzgerald also Mühe gehabt hatte, ›Erster Mai‹ loszuschlagen, rissen sich die kommerziellen Magazine um seine leichteren Geschichten. Die Saturday Evening Post hatte ihm bis dahin 500 Dollar pro Story bezahlt; Metropolitan bot nun 900 Dollar und publizierte tatsächlich vier Stories zu diesem für damalige Verhältnisse horrenden Preis – er entsprach annähernd dem Jahreslohn eines Arbeiters –, unter ihnen ›Jelly-bean‹, ein heitermelancholisches Stück Prosa. Es entstand im Sommer 1920, den die Fitzgeralds in Montgomery und Westport verbrachten. Wie gewöhnlich machte der Autor detaillierte Pläne für die Arbeit der kommenden Monate. Bis zum 16. Oktober wollte er einen ganzen Roman, ein Theaterstück und eine Erzählung schreiben. In Wirklichkeit schrieb er dann nur drei Geschichten, darunter eine unverkäufliche. ›Jelly-bean‹ gehört zu Fitzgeralds leichtgewichtigeren, deshalb aber nicht weniger reizvollen Texten. Sie verklärt einmal mehr die Südstaaten, und auch das Personal ist uns nicht unbekannt: Ein sympathischer Nichtstuer und Gelegenheitsarbeiter trifft auf eine exzentrische Schöne, die in einer trunkenen Nacht ihr ganzes Geld verspielt und Knall auf Fall einen Mann heiratet, aus dem sie sich gar nichts macht.
Auch hier überrascht uns Fitzgerald mit seinem Instinkt für atmosphärische Details und treffende Dialoge, und einmal mehr zeigt er sich als Meister der lakonischen Verkürzung: »Er [Jim] wurde achtzehn. Der Krieg brach aus, und er meldete sich freiwillig als Matrose und polierte ein Jahr lang Messing in der Marinewerft von Charleston. Dann zog er zur Abwechslung nach Norden und polierte ein Jahr lang Messing in der Marinewerft von Brooklyn. Als der Krieg vorbei war, kehrte er heim.«
Die letzte Story, die Fitzgerald in diesem für ihn so produktiven Jahr 1920 publizierte, erschien am 12. Dezember in der Chicago Tribune. ›Der Bodensatz des Glücks‹ ist eine bewegende, wenngleich für den UnderstatementVirtuosen Fitzgerald ungewöhnlich pathetische Geschichte, an deren Ende die Entsagung steht. Sie dreht sich um zwei befreundete Ehepaare, von denen eines deutliche Züge von Scott und Zelda trägt. Der Schriftsteller Jeffrey Curtain ist mit der Balletteuse Roxanne Milbank verheiratet. Beide sind keine Stars, aber sie sind glücklich miteinander. Nachdem sie eine Spanne ihres Lebens in Hotels verbracht haben, kaufen sie ein altes Haus in Marlowe außerhalb von Chicago. Sie leben glücklich miteinander, bis Jeffrey an einem Hirntumor erkrankt und zum Invaliden wird. Stumm, blind, gelähmt, ohne Bewusstsein liegt er da. Roxanne pflegt ihn elf Jahre lang. Sie ist sechsunddreißig, als er stirbt. Harry, der inzwischen verlassene Gatte des zweiten Paars, kommt sie besuchen, doch es bleibt bei einer freundschaftlichen Beziehung.
Ähnlich wie ›Die Kristallschüssel‹ ist ›Der Bodensatz des Glücks‹ eine Geschichte, die einem weniger begabten Autor als Fitzgerald wohl gründlich missglückt wäre. Doch ihm gelingt es, sein Parlando auch in diesen schweren Stoff zu bringen. Das zeigt sich schon beim brillanten Einstieg: Mit liebevoller Ironie verweist er auf die Jahrgänge alter Magazine und Feuilletons aus den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, in denen der geneigte Leser noch die eine oder andere Kurzgeschichte Jeffrey Curtains oder einen Beitrag über Roxanne Milbank als zweite Besetzung in The Daisy Chain entdecken könne. Damit sind die beiden Hauptfiguren situiert: Sie sind unwichtig für die große Welt, eine Fußnote in der Geschichte der Populärkultur – aber wichtig füreinander.
1921 war das Jahr von Zeldas Schwangerschaft und Niederkunft mit der Tochter Scottie, das Jahr einer ausgedehnten Europareise des Paars und vor allem das Jahr der Arbeit am Roman Die Schönen und Verdammten, dem bis heute unterschätzten Zweitling, der ab September 1921 in sieben Folgen im Metropolitan abgedruckt wurde, bevor er im Frühjahr 1922 als Buch erschien. Deshalb verkaufte Fitzgerald – nach sechs Stories im Jahr 1919 und deren zehn im Jahr 1920 – 1921 lediglich eine einzige Geschichte; 1922 waren es dann wieder vier, 1923 sieben und 1924 zehn. Dem vergleichsweise bescheidenen Output zum Trotz war 1921 für Fitzgerald finanziell ein gutes Jahr. Der Vorabdruck des Romans und Tantiemen für seine ersten beiden Bücher brachten zusammen mit einigen kleineren Einkünften eine Summe zusammen, die mit 19000 Dollar sogar leicht über derjenigen des Vorjahrs lag. Freilich kassierte Fitzgerald für die einzige in diesem Jahr publizierte Geschichte, ›Der Schwarm aller Männer‹, von der Saturday Evenening Post auch das neue Rekordhonorar von 1500 Dollar.
›Der Schwarm aller Männer‹ läuft auf ein überraschendes Happy End hinaus; dies aber ist die einzige Konzession der Story an den Publikumsgeschmack. Bis es zur Schlusspointe kommt, lässt Fitzgerald alle konventionelle Gefälligkeit hinter sich. Fesselnd, eindringlich, mit äußerster Präzision im Detail erzählt er die Geschichte Yancis, die mit ihrem Vater im Mittleren Westen lebt. Die Mutter ist tot; der Vater macht »Geschäfte«, was sich darin äußert, dass er meist Golf spielt und Whiskey trinkt. Die Tochter führt indes – wir kennen diesen Typus von junger Frau inzwischen sehr gut – ein mondänes Partyleben im Country Club. Dort taucht eines Tages Scott Kimberley auf, ein reicher, verwaister junger Mann aus New York, der gerade seine Tante besucht. Die Begegnung im Club ist so unvermeidlich wie das anschließende Tanzen und Flirten. Doch der Abend verläuft nicht ohne Peinlichkeiten: Yancis Vater trinkt so viel, dass er nicht mehr heimfahren kann. Scott übernimmt die Aufgabe, Yanci schämt sich zutiefst. Als sie zu Hause angekommen sind, schwadroniert der Vater noch eine Weile, singt fahrig zur Gitarre und schläft am Tisch ein. Das junge Paar entflieht und macht noch eine Spritzfahrt. Es kommt zum ersten Kuss; irgendwo gibt es auch noch Spiegeleier und Schinken. Als Yanci schließlich heimgebracht wird, wirkt ihr Vater nüchtern. Er scheint etwas gutmachen zu wollen und stellt der Tochter einen Scheck aus, damit sie sich ein paar Tage in New York gönnen kann. Augenblicke später sinkt er tot zusammen. In den folgenden Wochen muss Yanci erfahren, dass er ihr so gut wie nichts hinterlassen hat. Selbst der in der Todesstunde überreichte Scheck erweist sich als ungedeckt. Mit dieser Situation kann sie überhaupt nicht umgehen, eine andere Perspektive als die, ein bequemes Leben zu führen und sich einen reichen Mann zu angeln, hat sie nicht. Sie fährt nach New York, steigt im Ritz ab, spielt die große Dame und versucht Scott zu kapern. Und sie glaubt, ihr Ziel am besten dadurch zu erreichen, dass sie ihn leiden lässt. Sie gibt vor, zahlreiche andere Verabredungen zu haben, sogar eine Einladung zu einem Ehemaligen-Ball in Princeton, und vertröstet ihren Auserwählten immer wieder. Dieses Spiel spielt sie, bis buchstäblich ihr letzter Cent verbraucht ist. Doch Scott, der die ganze Zeit höflich, korrekt, geduldig und zurückhaltend bleibt, hat sie längst durchschaut und nur auf den Moment gewartet, in dem er als ihr Retter auftreten kann.
›Der Schwarm aller Männer‹ zeigt einmal mehr Fitzgeralds Sensibilität für die beiden Themen Alkoholismus und Hochstapelei. Unübertrefflich schildert er Yancis Vater in seiner heimlichen Sucht in allen ihren Phasen von vermeintlicher Leichtigkeit des Seins und Überschwang über die Pampigkeit und Peinlichkeit bis zum Zusammenbruch; er kennt jede kleine Lebenslüge des Süchtigen und beobachtet scheinbar teilnahmslos die Fehlfunktionen des benebelten Gehirns. Ebenso unerbittlich und exakt führt er uns die junge Frau in ihrer Hilflosigkeit vor: Die Schlinge zieht sich immer enger um ihren Hals, sie aber findet keinen Ausweg. Auf die Idee, beispielsweise eine Arbeit zu suchen und sich auf eigene Füße zu stellen, kommt sie gar nicht. Fitzgerald beschreibt Yanci nicht ohne Bitterkeit – und doch verachten wir sie nicht, sondern leiden mit ihr. Wir folgen ihren hilflosen Kapricen atemlos, weil wir jeden Augenblick fürchten, dass sie die Beziehung zu Scott in den Sand setzt. Sie treibt uns buchstäblich zur Verzweiflung. Dennoch sehen wir ihren guten Kern. Es gelingt Fitzgerald, Yanci nicht nur als verwöhnte Egoistin, sondern auch als Kind ihrer Zeit zu schildern. Damit zeigt er uns, dass es auch in den Roaring Twenties nicht nur emanzipierte junge Frauen mit Bubikopf gab.
In Fitzgeralds »Hauptbuch« wird das Jahr 1922 als schlechtes, unproduktives Jahr verzeichnet. Das mag damit zu tun haben, dass der im März erschienene Roman Die Schönen und Verdammten, der als Gesellschaftskomödie beginnt, dann aber in die erschütternde Darstellung einer Alkoholikerkarriere mündet, bei der Kritik wie bei der Leserschaft auf ein gemischtes, insgesamt enttäuschendes Echo stößt. Zudem wird die zwischen Frühjahr und Sommer geschriebene Komödie The Vegetable, auf die Fitzgerald große Hoffnungen gesetzt hat, von keiner Bühne angenommen. Erst Ende Mai erscheint wieder eine Erzählung aus seiner Feder: ›Der seltsame Fall des Benjamin Button‹. Collier’s druckt sie für 900 Dollar. Diese im Jahr 2009 durch die Verfilmung von David Fincher mit Brad Pitt in der Titelrolle zu Kinoruhm gelangte Geschichte lebt ganz von ihrem Grundeinfall (der allerdings Mark Twain zu verdanken ist): Benjamin Button wird als Greis geboren und lebt sein Leben konsequent rückwärts, bis er schließlich als Säugling wieder aus der Welt verschwindet. Bei seiner (damals unüblichen) Spitalgeburt misst er einen Meter siebzig, hat einen langen weißen Bart und altersschwache Glieder. Arzt und Krankenschwestern sind entsetzt. Von der unglücklichen Mutter erfahren wir kein Wort. Der Vater versucht die Schande zu ertragen und nach Kräften zu verbergen. Er nimmt seinen missratenen Sohn, der schon reden, lesen und rauchen kann, nach Hause, kauft ihm einen Anzug und schneidet ihm den Bart ab. Allmählich werden Benjamins Züge straffer. Er tritt in die Firma seines Vaters ein und führt sie zu ungeahntem Erfolg. Als er fünfzig ist, verliebt er sich in die blutjunge Generalstochter Hildegarde – und sie sich in ihn. Gegen den Protest ihrer Familie heiraten die beiden. Sie sind ein glückliches Paar, solange sie sich altersmäßig aufeinander zubewegen. Kinder stellen sich ein. Doch sie welkt zusehends, während er immer jünger wird und das Interesse an ihr verliert. Nach und nach verkehren sich die Verhältnisse. Benjamins Sohn wird erwachsen und findet, sein Vater übertreibe es mit der Jugendlichkeit. Dieser kämpft derweil mit ungeahnten Schwierigkeiten: Auf Triumphe an der Universität, besonders im Sport, folgen Probleme, weil er für Examen an der Hochschule und im Militär einfach zu jung ist. Erneut wird er für die Familie zur Peinlichkeit, während er zum Teenager, Schüler, Kindergärtner, Säugling regrediert.
Fitzgerald beschreibt diesen Prozess trocken, lakonisch, mit verstecktem Humor und ohne irgendetwas zu erklären. In der Tradition von Voltaires philosophischen Erzählungen stellt er ein Gedankenexperiment an. Doch die literarische Durchführung dieses Experiments scheint ihn nicht wirklich zu interessieren. Mit der Präzision, aber auch der Absehbarkeit einer rückwärtslaufenden Uhr wickelt es sich vor uns ab.
Weit überraschender, komplexer und auch unfassbarer ist im Vergleich mit ›Benjamin Button‹ Fitzgeralds nächste Erzählung. ›Ein Diamant – so groß wie das Ritz‹ ist seine berühmteste und nach dem Urteil etlicher Kritiker seine beste Geschichte – und es passt durchaus ins Schema der Rezeptionsgeschichte dieses wundersamen Autors, dass er sie bei seinen gewohnten Abnehmern nicht unterbringen konnte, sondern nochmals auf The Smart Set ausweichen musste, wo der Text schließlich für bescheidene 300 Dollar gedruckt wurde. Die von ihrem Autor unter »Fantasy« rubrizierte Geschichte zeichnet ein Vexierbild des amerikanischen Traums.
John T. Unger kommt als Sechzehnjähriger aus einer Kleinstadt am Mississippi an die St. Midas’ School bei Boston, das teuerste Internat der USA. Dort lernt er einen vornehmen Jungen namens Percy Washington kennen. Dieser lädt ihn für die Sommerferien zu sich nach Hause in die Montana Rockies ein – ins Märchenschloss seiner sagenhaft reichen Eltern, das in einem nur schwer zu erreichenden und bis dato auch nicht kartografierten Gebiet liegt. Das Anwesen der Washingtons steht auf einem eine Kubikmeile umfassenden, lupenreinen Diamanten. John ist überwältigt von der ihm entgegenschlagenden Pracht, doch nur zu bald lernt er auch deren Kehrseite kennen: Percys Vater zeigt ihm nicht nur das Schloss, sondern auch die Unterkünfte der Sklaven, der etwa zweihundertfünfzig »Neger«, sowie eine Grube, in der zwei Dutzend Männer festgehalten werden. Sie haben versucht, das Gelände auszuspionieren, und müssen ihre Neugier bitter büßen. John schaut in Abgründe; allmählich wird ihm klar, worauf er sich eingelassen hat, besonders, als Percys Schwester Kismine, in die er sich natürlich verliebt, ihm eröffnet, in welch bedrohlicher Situation er sich befindet: Sämtliche Kinder, die bislang wie er jetzt als Spielkameraden der Washington-Kinder eingeladen wurden, sind am Ende der Ferien getötet worden, damit sie das Geheimnis des Diamantenschlosses nicht verraten konnten. John und Kismine beschließen deshalb, bei der nächsten Gelegenheit zu fliehen.
Nun überschlagen sich die Ereignisse. Noch in derselben Nacht wird das Anwesen aus der Luft bombardiert. Offenbar hat ein Flüchtling das Versteck doch verraten können. Es entbrennt ein heftiger Kampf zwischen Fliegern und Fliegerabwehr. Die jungen Leute verfolgen ihn vom Dach des Palastes aus, bevor sie durch ein Felsental zu entkommen suchen. Aus ihrem Versteck sehen sie, wie Vater Washington auf dem Berg versucht, keinen Geringeren als Gott selbst mit dem größten Diamanten der Welt zu bestechen: Gott soll die Weltuhr um einen Tag zurückdrehen, damit wieder alles so ist wie zuvor. Aber Gott schweigt, und die Aeroplane landen. Washington und seine letzten Getreuen verschwinden durch eine Falltür im Berg. Sekunden später wird dieser durch eine gewaltige, lautlose Explosion eingeäschert. Die ganze Szenerie samt Piloten und Flugzeugen verschwindet. John, Kismine und deren Schwester gelangen ins Freie, alle anderen sind tot. Von dem gewaltigen Diamanten gibt es nicht mehr die geringste Spur, und den Überlebenden bleibt nichts übrig, als höchst bescheidene Zukunftspläne zu schmieden – beispielsweise die Eröffnung einer Wäscherei in Johns Heimatort.
Fitzgeralds berühmteste Erzählung hat durchaus ihre Schwächen. Ihre Metaphorik ist plakativ, die Schilderungen der unermesslichen Pracht an Technologie und Luxus haben etwas Redundantes. Die Symbolik erscheint dem heutigen Leser als etwas gar dick aufgetragen. Doch diese Einwände können der Geschichte im Grunde nichts anhaben. Sie lebt ganz von ihrer genialen Grundidee. Das verbindet sie mit Werken der Weltliteratur wie Dr. Jekyll & Mister Hyde von Robert Louis Stevenson oder Das Bildnis des Dorian Gray von Oscar Wilde. Auch diese Autoren haben raffiniertere, subtilere, artistischere Texte geschrieben; aber in den genannten Werken haben sie ein Menschheitsthema auf den Punkt gebracht. Im Falle Fitzgeralds geht es um das Problem des Besitzes. Reichtum, lernen wir, korrumpiert den Menschen, und unermesslicher Reichtum korrumpiert ihn absolut. Die Schätze besitzen den Menschen, nicht umgekehrt, und machen ihn zum Sklaven.
Im Sommer 1922 stellt Fitzgerald seinen zweiten Erzählungsband für Scribners zusammen. Er erscheint im September und enthält elf Geschichten, die der Autor ironisch in drei Kategorien unterteilt: »My Last Flappers« (zu denen er kurioserweise auch ›Erster Mai‹ zählt), »Fantasies« (wie ›Benjamin Button‹ und ›Ein Diamant – so groß wie das Ritz‹) sowie »Unclassified Masterpieces«. Die Sammlung enthält Texte höchst unterschiedlichen Gewichts: Neben Meisterwerken stehen Stories, die Fitzgerald 1920 nicht in seinen ersten Erzählungsband aufgenommen hatte, weil sie ihm nicht gut genug waren. Die Originalausgabe erscheint mit einem Schutzumschlag des bekannten Cartoonisten John Held Jr. und verkauft sich gut. Den Titel Tales of the Jazz Age, der ein ganzes Zeitalter auf den Begriff bringt, muss Fitzgerald allerdings gegen den Willen der Vertriebsabteilung von Scribners durchsetzen.
Das von Fitzgerald so negativ erlebte Jahr 1922 endet mit einer weiteren bemerkenswerten Erzählung: Im Dezember erscheint ›Winterträume‹ im Metropolitan und wird mit 900 Dollar honoriert. Einmal mehr gelingt es Fitzgerald, mit zierlicher Geste große Gefühle zu schildern. Er gestaltet seine Heldin Judy glaubhaft als Wesen, das seiner eigenen Schönheit verfallen ist und kein anderes Ziel hat, als Macht über die Männer auszuüben, sich am Ende aber grausam verspekuliert. Besonders erwähnenswert ist in dieser Geschichte eine kleine Theorie der Lockerheit und Eleganz: Fitzgeralds Held Dexter lässt bei den besten Schneidern Amerikas arbeiten. Als Emporkömmling muss er in seiner Kleidung so perfekt sein wie in seinen Manieren. Erst seine Kinder werden die Selbstsicherheit besitzen, über die man verfügen muss, um lässig auftreten zu können.
Im April 1923 erscheint Fitzgeralds Theaterstück The Vegetable bei Scribners. Auch als Buch hat es keinen Erfolg; es bleibt bei einer Auflage. Um seine Einkünfte zu optimieren, handelt der Autor mit der Hearst-Gruppe, die unter anderem Hearst’s International Magazine und den Cosmopolitan herausgibt, einen Optionsvertrag für mindestens sechs Geschichten zu 1500 Dollar aus. Die Vereinbarung erweist sich für beide Seiten als unbefriedigend; einige Texte werden angenommen, andere abgelehnt, wieder andere werden erst angenommen und dann doch an andere Magazine weiterverkauft. Die beiden Stories ›Würfel, Schlagringe und Gitarre‹ sowie ›Heißes und kaltes Blut‹, die aus der 1923er-Produktion Fitzgeralds für diesen Band ausgewählt wurden, erschienen jedoch tatsächlich am vorgesehenen Ort. Beide sind keine Schwergewichte, doch Erstere ist immerhin eine charmante Südstaatenstory.
Ihr Reiz liegt darin, dass sie nicht nur auf einen Ton gestimmt ist. Sie beginnt als Hochstaplerkomödie, endet aber in Moll und enthält einige köstliche erzählerische Einfälle wie den folgenden, für das Jahr 1923 wirklich erstaunlichen Einwurf des Erzählers: »Wenn dies nun ein Kinofilm wäre (was es, wie ich natürlich hoffe, eines Tages sein wird), würde ich so viele tausend Meter Film von ihr [nämlich der schönen Amanthis] aufnehmen, wie ich nur dürfte – ich würde mit der Kamera nah herangehen und den blonden Flaum in ihrem Nacken zeigen, dort, wo das Haar ansetzt, und den warmen Farbton ihrer Wangen und Arme, denn ich stelle mir gerne vor, dass sie schläft, wie Sie selbst in jungen Jahren geschlafen haben mögen.« Bezeichnend für den wunderbar leichten Ton dieser Erzählung ist im weiteren Amanthis’ selbstironische Auskunft: »Nein, Sie haben hier ein Mädchen vom Land vor sich. Meine Verehrer sind Farmer – oder auch vielversprechende junge Barbiere aus dem Nachbardorf, an deren Jackenärmeln noch die Haare eines Kunden haften.«
Von dieser funkelnden Eleganz ist ›Heißes und kaltes Blut‹ weit entfernt. Die nachdenklich-sentimentale Geschichte um einen Ladenbesitzer, der sich immer wieder dazu überreden lässt, anderen Leuten Geld zu leihen, und deshalb mit seiner Frau in Streit gerät, krankt an ihrem Moralismus. Doch selbst hier schafft es Fitzgerald nicht, wirklich schlecht zu schreiben; bei der Schilderung des kleinbürgerlichen Milieus zum Beispiel zeigt er eine sichere Hand.
In seinem »Hauptbuch« zieht Fitzgerald eine äußerst skeptische Bilanz für das Jahr 1923: »Kein Boden unter unseren Füßen.« Er hatte allen Grund zu dieser Einschätzung. Im Lauf des Jahres hatte sein schon früh manifester Alkoholismus dramatische, zerstörerische Züge angenommen; zudem hatte er Schulden, nachdem The Vegetable im November doch noch auf die Bühne gekommen und die Uraufführung in Atlantic City zu einem Flop geworden war. Deshalb schrieb Fitzgerald in den ersten drei Monaten des Jahres 1924 zehn Erzählungen, die keinen anderen Zweck hatten, als seine Kasse so schnell wie nur möglich zu füllen, so dass er seine Schulden bezahlen und an seinem neuen Roman, dem Großen Gatsby, arbeiten konnte. Fitzgeralds Rechnung ging auf. Die zehn Geschichten brachten ihm 16450 Dollar ein. In der Folge schrieb er wieder hauptsächlich für die Saturday Evening Post, und seine Honorare stiegen weiter; sein persönlicher Rekord für eine Erzählung waren 4000 Dollar im Jahr 1929.
Im März 1924 erschien ›Gretchens Nickerchen‹, eine Geschichte, die viel mit Fitzgeralds angespannter Situation zu tun hat, sie aber in eine andere berufliche Sphäre transponiert: Die Erzählung um den Werbezeichner Roger Halsley, der im Rahmen eines Wettbewerbs sechs Wochen lang durcharbeiten muss und deshalb keine Zeit mehr für seine Frau hat, bildet seine eigene Situation sehr exakt ab. In der Fiktion betäubt Fitzgeralds Alter Ego seine Frau, die ihn just am entscheidenden Tag verlassen will, mit einem starken Schlafmittel, so dass sie die geplante Flucht mit einem Nebenbuhler verschläft und erst wieder aufwacht, als ihr Mann den erhofften Großauftrag bekommen hat. Fitzgerald zeigt in dieser spannenden, wenn auch etwas achtlos hingeschriebenen Geschichte die Hektik der Roaring Twenties und den gnadenlosen Konkurrenzkampf in der Werbebranche. Ganz anders angelegt ist die im April 1924 erschienene Erzählung ›Diamond Dick‹. Den Typus der Hauptfigur kennen wir inzwischen: eine so reiche wie schöne und eigensinnige junge Frau. Sie war im Ersten Weltkrieg mit dem amerikanischen Feldküchendienst in Frankreich. Als sie zurückkehrt, heißt es, sie sei mit Charles Abbott verlobt, einem wagemutigen Flieger. Sie bestreitet das aber und führt lange Zeit ein zielloses Partyleben. Erst nach fünf Jahren begegnet sie Charles wieder. Er ist zum Alkoholiker verkommen und außerdem in Begleitung einer teigigen Blondine. Herrisch bestellt sie ihn zu sich nach Greenwich, streitet sich mit ihm, verfolgt ihn in sein New Yorker Apartment, bedroht ihn mit einem Revolver und verhört ihn gnadenlos. Es stellt sich heraus, dass Charles sie fünf Jahre zuvor in Frankreich geheiratet hat, unmittelbar bevor er mit dem Flugzeug abstürzte, aber dass er das infolge seines Unfalls vergessen hat. Nun wird die überzählige Blondine abserviert und die Hochzeit noch einmal vollzogen.
›Diamond Dick‹ ist vielleicht nicht eine von Fitzgeralds stärksten Geschichten, hat jedoch durchaus ihre Qualitäten. Sie fährt gleichsam Schlitten mit dem Genre der pathetischen, sentimentalen Liebesgeschichte. Sie spielt mit der Welt der großen Gefühle und nimmt sich selbst nicht ganz ernst. Der strenge Ehrenkodex der Hauptperson, der so schlecht ins Umfeld des Jazz Age zu passen scheint, ist vom Autor selbst gewiss nicht naiv gesetzt, sondern vielmehr Teil der Ehestrategie seiner zielstrebigen Protagonistin.
Von ganz anderer Art ist die Erzählung ›Absolution‹, die im Juni 1924 im American Mercury erscheint. Gegenüber seinem Lektor Maxwell Perkins hat Fitzgerald geltend gemacht, die Story sei aus einem verworfenen Anfangskapitel für den Großen Gatsby entstanden. Dieses habe einen Eindruck von den frühen Jahren des Titelhelden geben sollen; dann aber habe er es vorgezogen, diese Lebensphase im Dunkeln zu lassen. Für uns heutige Leser haben Rudolf Miller und Gatsby außer ihrer romantischen Veranlagung nicht viel gemeinsam. Es scheint, dass Fitzgerald seinen dritten Roman, nachdem er das ›Absolution‹-Kapitel ausgeschieden hatte, nochmals vollkommen neu konzipierte. Von seinem 1922 geäußerten Plan, einen Roman zu schreiben, in dem der Katholizismus eine wesentliche Rolle spiele, ist im Großen Gatsby jedenfalls nichts mehr zu erkennen. In ›Absolution‹ ist das religiöse Element jedoch zentral: Die Geschichte erzählt vom Sohn eines strenggläubigen Speditionsvertreters in Dakota, der seine Familie mit eiserner Hand regiert. In einem ganz anderen Ton, als wir ihn sonst bei ihm kennen, schildert Fitzgerald das bigotte und rückständige ländliche Amerika sowie die Nöte eines Halbwüchsigen, der von den Lichtern der Großstadt träumt und im Begriff steht, vom Glauben seiner Kindheit abzufallen.
In der Geschichte ›Das Vernünftigste‹ verarbeitet Fitzgerald ganz unübersehbar eigene Erfahrungen. »Über Zelda und mich, alles wahr« hat er denn auch in einem Brief an seinen Verleger notiert. Wieder geht es um die Perspektive des Emporkömmlings, der sich um eine Frau aus einer ihm überlegenen Gesellschaftsschicht bemüht. Scotts Alter Ego George O’Kelly arbeitet in einer Versicherungsagentur in New York, obwohl er eigentlich am Massachusetts Institute of Technology studiert hat und Ingenieur ist. In seinem Job ist er unglücklich und erfolglos; zudem wird seine Geliebte in Tennessee allmählich nervös, weil sie nicht weiß, ob ihr Auserwählter seinen Weg machen und sie in die Metropole nachkommen lassen wird. Als er sie einmal im Süden besucht, kommt es zum Bruch. Sie glaubt nicht mehr an seine Zukunft und hält es nicht länger für »das Vernünftigste«, ihn zu heiraten. Er reist ab, macht in New York und Peru als Ingenieur eine rätselhafte Blitzkarriere und könnte seiner Geliebten nun eine Perspektive bieten. Aber als er sie wieder besucht, hat sich seine Wahrnehmung verändert. Jonquils Schönheit fasziniert ihn immer noch; aber ihr Elternhaus und ihre ganze Welt kommen ihm gar nicht mehr so großartig vor.
Man braucht nur ein paar Orte, Namen und Berufsbezeichnungen auszutauschen, und schon hat man hier Scott und Zelda vor sich. Bemerkenswert ist im weiteren der elegische Ton des noch sehr jungen Autors, der sich andernorts gern über Leute mokiert, die mit Mitte oder Ende zwanzig schon wehmütig auf ihr Leben zurückblicken: »Dann lass es gut sein, dachte er: Der April ist vorbei, der April ist vorbei. Es gibt alle möglichen Arten von Liebe auf der Welt, aber nie dieselbe Liebe zweimal.«
Diese Aussage steht natürlich in eklatantem Widerspruch zu einer Schlüsselstelle im Großen Gatsby, dessen Hauptfigur gerade auf der Wiederherstellung seiner alten Liebe besteht: »›Man soll die Vergangenheit nicht wiederholen können?‹, rief er ungläubig aus. ›Aber natürlich kann man das!‹«
Die zweiundzwanzig Erzählungen dieses Bandes sind innerhalb von fünf Jahren entstanden. Sie sind das Werk eines jungen Mannes auf dem Weg zu seinem Meisterroman Der große Gatsby, den er mit achtundzwanzig Jahren veröffentlichte, und sie zeigen Fitzgeralds genuine Begabung wie seine stilistische und thematische Vielfalt. Er versteht sich auf romantische Liebesgeschichten wie auf humoristische Erzählungen, er kann realistisch schreiben und in einem swingenden Märchenton, er kann tiefsinnig und moralisch sein, frech und verwegen. Er unterhält uns mit leichter Hand und zeigt uns doch auch die Risse und Abgründe im American Way of Life. Und auch wo er rasch, unter großem Druck und um des Geldes willen schreibt, beweist er sein Talent und seinen ureigenen Duktus. Das kann man nicht von gar so vielen Autoren sagen.