Lederstrumpf

James F. Cooper

1840–1841

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort

I  Der Wildtöter

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II  Der letzte Mohikaner

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III  Der Pfadfinder

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Vorwort

Lederstrumpf, Pfadfinder, Falkenauge, Wildtöter, Lange Büchse — diese fünf Namen benennen einen einzigen Mann, der in der Lederkleidung eines Jägers auf kaum erkennbaren Fährten die Urwälder Nordamerikas durchstreifte, mit scharfem Blick das Wild erspähte und es mit weithin treffender Büchse erlegte. Aber dieser Menschenfreund wurde, wie viele andere Jäger oder Kolonisten, in die Kämpfe hineingezogen, die im 18. Jahrhundert zwischen England und Frankreich um den Besitz der amerikanischen Kolonien ausgefochten wurden und die trotz der Feldherrnkunst des französischen Generals Montcalm dazu führten, daß im Frieden von 1763 die Engländer fast alle Besitzungen in dem umstrittenen Gebiet nördlich und östlich des Mississippi gewannen. Beide Mächte bedienten sich bei ihren Kämpfen der Indianer, die sich in blutigen Kriegen beinahe aufrieben.

Die Lederstrumpf-Erzählungen geben ein Bild nicht nur der Kämpfe zwischen der englischen und der französischen Nation und den mit ihnen verbündeten Indianerstämmen, sondern setzen der Tapferkeit und der Eigenart dieser Stämme ein bleibendes und fesselndes Denkmal. Wenn in früheren Ausgaben teils von Huronen und teils von Irokesen die Rede war, bezog sich dies auf den damaligen Stand der Forschung. Die Huronen waren, wie wir heute wissen, schon ein Jahrhundert früher vom sogenannten Irokesen-Bund fast völlig aufgerieben und zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken. Diese Ausgabe spricht daher richtig nur mehr von Irokesen und deren Gegnern, den Delawaren. Wenn man von den Grausamkeiten absieht, die die Indianer begingen, weil sie es nicht anders wußten, kann man ihnen Achtung, ja Bewunderung nicht versagen: so stark sind die männlichen Tugenden des Mutes, der Ausdauer, der Enthaltsamkeit, der Kameradschaft bei ihnen ausgeprägt.

Die Zeiten, von denen dieses Buch erzählt, sind versunken. Aber in den Geschichten von Lederstrumpf und Chingachgook, dem berühmten Häuptling der Delawaren, werden sie lebendig und berühren das Herz des modernen Menschen wie ein gewaltiges Heldenlied.

Teil I

Der Wildtöter

1

Die Ereignisse dieser Geschichte fallen in das Jahr 1740. Die bewohnten Teile der Kolonie von New York beschränkten sich damals auf die vier Atlantischen Grafschaften, auf einen kleinen Landstrich an jeder Seite des Hudson und auf einige vorgeschobene »Nachbarschaften« an den Ufern des Mohawk und Schohari. Breite Landstriche der Wildnis erreichten nicht nur die Ufer des Hudson, sondern zogen sich auch über ihn hinaus nach Neuengland und gewährten dem eingeborenen Krieger, wenn er auf geheimen Kriegspfad zog, Schutz und Sicherheit. Ein Blick aus der Vogelschau über die ganze Gegend östlich vom Mississippi zeigte weite, ausgedehnte Wälder, die nur von den glänzenden Flächen der Seen und den gewundenen Flußläufen durchbrochen wurden.

Es war auf einem dieser Seen in einer Sommernacht. Durch dichte Schleier schützender Finsternis näherte sich gespenstisch leise ein Boot dem Ufer. Geräuschlos hoben sich die Ruder und senkten sich geräuschlos wieder in das Wasser. Behutsam und vorsichtig wurde das leichte Fahrzeug durch die Dunkelheit gesteuert, als wüßten seine Insassen noch nicht, ob es ratsam wäre, anzulegen.

»Zieht jetzt eure Ruder ein«, sagte eine leise Stimme. »Wir müssen uns einen Augenblick umsehen.«

»Ich glaube, wir können hier ruhig an Land gehen, Hurry«, meinte eine andere Stimme ebenso leise. »Nach unserem Abenteuer heute mittag zu schließen, müssen die Mingos ihr Lager in der Nähe der Flußmündung aufgeschlagen haben; von hier also weit genug entfernt.«

»Richtig, Tom«, flüsterte nun wieder die vorige männliche Stimme. »Aber diese Indianer haben Nasen wie Bluthunde. Wir müssen auf der Hut sein.«

Die Männer strengten ihre Augen an, und da sie in den schattenhaften Umrissen der Landschaft nichts Ungewöhnliches entdecken konnten, hielten sie es für ungefährlich, zu landen. Sie griffen wieder zu den Rudern, und bald darauf stieß das Kanu mit kaum hörbarem Laut auf den Kiessand des Ufers.

»Wildtöter«, flüsterte nun wieder die eine Stimme, »bleib du hier und bewach das Kanu. Ich denke, wir werden bald zurück sein.«

Zwei Gestalten sprangen schnell an Land. Sie gingen vorsichtig weiter, alle drei oder vier Schritte blieben sie stehen, um zu lauschen, ob irgend etwas die Nähe eines Feindes verrate. Es herrschte aber immer Totenstille, und sie erreichten ohne Hindernis ihr Ziel.

»Hier ist das Kanu!« flüsterte einer der Männer und stellte seinen Fuß auf den Stamm eines auf der Erde liegenden hohlen Lindenbaums. »Zieh es vorsichtig heraus.«

»Halte mein Gewehr bereit«, antwortete der andere, »und fühle, ob Pulver in der Pfanne ist.«

»Alles in Ordnung! Geh langsam, wenn du das Kanu auf der Schulter hast!«

Die beiden kehrten vorsichtig zum Ufer zurück. Bald lag das leichte Fahrzeug, an die Seite des anderen gebunden, im Wasser.

Am Ufer war alles ruhig geblieben, und die drei Männer steuerten nun dem Mittelpunkt des Sees zu. Als sie etwa eine halbe Stunde gerudert hatten, tauchte auf dem Wasserspiegel vor ihnen ein großer schwarzer Schatten auf. Jetzt verlangsamte das Boot seine Fahrt und stieß schließlich mit einem kurzen, leisen Aufprall gegen ein pfahlähnliches dunkles Hindernis. In diesem Augenblick erhellte ein Lichtschein die Finsternis der Nacht, und was sich zunächst wie ein dunkler Schatten ausgenommen hatte, entpuppte sich als ein geräumiges, fest gebautes Wasserhaus, das auf Pfählen ruhte, die offenbar in den Schlamm einer Sandbank getrieben waren.

»Vater«, sagte eine helle Stimme, »bist du es?« In der erleuchteten Tür stand ein ungemein schönes junges Mädchen, und wenige Schritte hinter ihr sah man eine zweite Gestalt mit aufgelöstem langem Blondhaar.

Die drei Männer banden das mitgebrachte Kanu von ihrem Fahrzeug los und befestigten es an einem der Pfähle. Dann sprangen sie schnell auf eine Art Plattform und gingen in das Haus hinein.

»Hetty!« rief der älteste von ihnen, »bitte, gib uns einen Schluck Whisky! Wir wollen uns stärken, bevor wir das andere Kanu holen.«

»Sofort, Vater!« sagte eine sanfte Stimme, und das Mädchen mit dem blonden Haar nahm drei Gläschen und eine Flasche aus einem Schrank und stellte alles auf einen Tisch.

Das Haus war innen rein und sauber. Der ganze Raum, etwa zwanzig Fuß breit und vierzig Fuß lang, war in mehrere kleine Zimmer eingeteilt. geteilt. Das erste schien Wohnstube und Küche zugleich zu sein. In einer Ecke befand sich eine Wanduhr mit einem schönen Gehäuse aus schwarzem Holz, in einer anderen ein dunkler Schrank. Ein Tisch und vier Stühle nahmen die Mitte des Raumes ein. Das Küchengerät hing sauber und geordnet um einen kleinen Herd. Ein wenig merkwürdig in dieser Umgebung nahm sich ein Kasten aus edlem Holz aus, eine Art Truhe, die gegenüber dem Fenster an der Wand stand.

»Nehmt Platz«, sagte Tom Hutter, der ältere Mann, der von seinen Freunden auch Schwimmender Tom genannt wurde, weil er sozusagen auf dem Wasser lebte und sich und seine beiden Töchter vom Biber- und Fischfang ernährte.

Die beiden anderen Männer waren noch jung, unterschieden sich aber in ihrem Äußeren stark voneinander. Der ältere war über sechs Fuß groß und eine auffallend kräftige und männliche Erscheinung. Er hieß eigentlich Harry March, wurde aber von den Grenzbewohnern wegen seines wilden und unruhigen Wesens Hurry Harry genannt.

Der jüngere wirkte, obgleich auch er an die sechs Fuß groß war, verhältnismäßig schlank und leicht. Seine Muskeln aber verrieten Kraft und vor allem eine ungewöhnliche Gewandtheit und Behendigkeit. Das Anziehendste an diesem jungen Mann war der vertrauenerweckende Ausdruck unbefangener Aufrichtigkeit in seinem Gesicht, die Tiefe und Kraft des Gefühls, das seinen Blick belebte. Er hieß Natty Bumppo. Wegen seiner guten Augen und seiner sicheren Hand aber nannten ihn die Delawaren nur »Wildtöter«.

Die Kleidung der drei Männer bestand aus Wildleder. Gewehr, Pulverhorn, Jagdmesser und Jagdtasche vervollständigten ihre Ausrüstung.

»Ein Schluck Brandy kann nicht schaden!« Hurry ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf einen der glücklicherweise sehr fest gebauten Stühle niederfallen. Hutter und Wildtöter folgten seinem Beispiel, während sich die Mädchen abseits auf die Truhe setzten.

»Wir haben Glück gehabt«, meinte Wildtöter und schüttete einen tüchtigen Schluck des wärmenden Getränkes in seine Kehle. »Wenn alles gut geht, sind wir sicherlich in ein bis längstens zwei Stunden wieder zurück.«

»Dann können wir uns der wohlverdienten Nachtruhe hingeben.« Harry gähnte herzhaft, als er das sagte. »Denn dann können die Wilden unsere Wasserburg nur noch schwimmend oder im schlimmsten Fall auf Flößen angreifen. Ich glaube nicht, daß sie wegen unserer Skalps Kanus bauen werden.«

Hutter seufzte. »Ich danke euch für eure Hilfe. In diesen Zeiten ist ein weißer Mann ein Freund. Kinder lassen manchmal ein kühnes Herz schwach werden. Diese beiden Töchter machen mir mehr Sorgen als meine Biberfallen und Häute und Rechte im Land.«

»Das ist selbstverständlich«, meinte Hurry. »Was Judith betrifft, alter Tom, so erkläre ich mich gleich für ihren Beschützer, und hier ist Wildtöter, der sich Hettys annehmen wird.«

»Schönen Dank, Meister March«, erwiderte Judith. »Sollte es nötig sein, den Wilden entgegenzutreten, so geh nur mit meinem Vater an Land, statt dich unter dem Vorwand, uns Mädchen zu verteidigen, in der Kammer zu verkriechen und …«

»Judith«, unterbrach sie der Vater, »schwatz nicht dummes Zeug! Es sind schon Wilde am Seeufer, und niemand kann sagen, wann wir mehr von ihnen hören werden.«

»Sag mir, Tom«, wandte sich Hurry jetzt mit gerunzelter Stirn an den Alten, »ich höre überall Gerüchte, daß sich die Kolonien im Kriegszustand befinden und auch einige Indianerstämme mit hineingerissen hätten, und du selbst erzähltest es mir gleich bei meiner Ankunft. Wie oft aber tauchen solche Gerüchte auf und verschwinden wieder spurlos. Es wird nicht so heiß gegessen wie gekocht, sage ich immer. Glaubst du wirklich, daß es diesmal ernst ist?«

»Der Bote, der gestern den Biberfängern und Jägern in der Gegend hier verkündete, daß die Kolonien einander befehden und auch die Indianerstämme wieder die Streitaxt ausgegraben hätten, schien mir ziemlich verläßlich zu sein«, entgegnete Hutter. »Übrigens waren sich die Delawaren und die Mingos ja schon immer spinnefeind, und mich wundert nicht, daß sie jetzt aufeinander losgehen, wo die Mingos, dieses tückische Irokesenpack, die Franzosen in ihrem Rücken spüren und die Delawaren ihrerseits die Engländer.«

Betretenes Schweigen herrschte nach diesen Worten, und die Männer blickten mit bedenklicher, die Mädchen aber mit ängstlicher Miene vor sich hin.

Hurry fuhr sich schließlich wütend durch das krause Haar. »Es wäre alles halb so schlimm für uns, wenn diese Gouverneure nicht so hohe Preise für feindliche Skalpe ausgesetzt hätten. Aber so ist jetzt natürlich jeder Mingo heiß auf weiße Skalpe, und man ist seiner Haut nicht mehr sicher.«

»Stimmt, Hurry«, meinte Hutter, »aber was dem einen recht ist, ist dem anderen billig! Glücklicherweise hat nicht nur der französische, sondern auch der englische Gouverneur Kopfgeld ausgesetzt, und, meiner Treu, es soll mir nur so ein Indianer in die Hände fallen, dann ist mir sein Skalp sicher!«

»Vater, nein!« Hetty, die das Gespräch der Männer bisher nur mit furchtsamer Miene verfolgt hatte, sprang plötzlich auf und eilte auf den Vater zu. »Du weißt, in der Bibel steht, du sollst nicht töten! Und die Mutter hätte es nicht gewollt! Versprich es mir, Vater!«

Hutter strich leise und beruhigend über das blonde Haar des Mädchens. »Das verstehst du nicht, Kind«, sagte er mit einem Anflug von Zärtlichkeit.

Wildtöter zog mißbilligend seine Bremen zusammen, und etwas Edles kam in seinen Blick, als er in schlichtem Tonfall sagte:

»Das Mädchen hat ganz recht. Wer glaubt, daß man hier in der Wildnis außerhalb der Gesetze steht, der irrt sich. Es gibt ein Gesetz und einen Gesetzgeber, der über die ganze Welt regiert. Wer gegen ihn ist, den mag ich nicht meinen Freund nennen.«

»Was verstehst du denn davon!« rief jetzt Hurry halb lachend, halb wütend, »du, ein Halberwachsener, der gerade ein bißchen das Wild jagen kann! Gestern erst in meinem Schutz an diesen See gekommen! Ich traf ihn draußen auf der Biberlichtung — ihr kennt sie —, er hatte seinen Weg verloren«, wandte er sich kurz erklärend an die übrigen. »Grad erst aus dem Nest geschlüpft! Will sagen, aus den Dörfern der Delawaren gekommen! Und so ein Grünschnabel, der erst einige Stunden in dieser verlassenen Gegend weilt, will uns die Gesetze der Wildnis erklären? Fürwahr ein guter Witz! Dabei steht ihm der erste Kriegspfad noch bevor!«

»Wildtöter hat recht!« klang jetzt eine Stimme von der Truhe her. Judith blickte Hurry herausfordernd und doch lächelnd an. »Er ist ein Mann, der weiß, daß Männlichkeit nicht im Töten liegt, sondern einzig im Beschützen!«

»Schluß jetzt!« Hutter schlug mißbilligend mit der Faust auf den Tisch. »Wir müssen das andere Kanu vom Ufer holen und nicht schwatzen! Sonst kommen uns die Mingos noch zuvor, und unsere letzte Hoffnung, die Burg zu verteidigen, ist beim Teufel!«

Die drei Männer erhoben sich, Hurry grollend, denn er fühlte sich von dem Mädchen, um dessentwillen er eigentlich an diesen See gekommen war, benachteiligt, Wildtöter ernst und schweigend und nur mit einem flüchtig dankenden Lächeln zu Judith gewendet.

»Sag mir noch, Wildtöter«, wandte sich Judith bittend an den jungen Jäger, »warum willst du dich morgen mit diesem Delawaren, wie heißt er doch, Ching …«

»Chingachgook«, half ihr Wildtöter.

»…mit diesem Chingachgook treffen? Hängt das mit dem Krieg zusammen?«

»Das ist ein Geheimnis. Verzeiht mir, wenn ich es nicht mitteilen kann. Vielleicht morgen, wenn er …«

»Wildtöter«, rief eine ungeduldige Stimme von draußen.

»Ich komme!« Wildtöter wandte sich noch schnell an die Mädchen. »Fürchtet euch nicht, noch ist kein Grund zur Besorgnis vorhanden.«

Dann eilte er hinaus und sprang in das Kanu, in dem Hutter und Hurry bereits warteten. Das Licht im Haus wurde ausgelöscht, damit die Ausfahrt des Bootes nicht etwa vom Ufer aus bemerkt werden könne, und gleich darauf glitten die drei Männer so geräuschlos und vorsichtig wie bei ihrer ersten Ausfahrt durch die Dunkelheit der Nacht, diesmal aber einer anderen Stelle des Seeufers zu.

Sie erreichten schließlich das Ende einer Landzunge und legten in einer kleinen Bucht an. Die mit hohen Bäumen bewachsene Halbinsel war ziemlich lang, erhob sich nur wenig über das Wasser und war stellenweise kaum zehn Schritt breit. Hutter und Hurry ließen Wildtöter wieder bei dem Boot zurück und begaben sich an Land.

Der hohle Baum, in dem das zweite Kanu verborgen war, lag ungefähr in der Mitte der Landzunge. Die beiden Männer zogen das Fahrzeug heraus, schoben es an der nächsten günstigen Stelle ins Wasser und stießen wieder zu ihrem Gefährten.

»Wenn die Rothäute jetzt die Burg besuchen wollen«, sagte Hurry, »müssen sie waten oder schwimmen!«

»Rudern wir jetzt zum südlichen Ufer«, meinte Hutter. »Wir wollen sehen, ob wir nicht Spuren eines Lagers entdecken können.«

»Wir sollten uns erst in der Bucht umsehen«, riet Wildtöter, »damit wir von dieser Seite ganz sicher sind.«

Die drei schritten nun die Landzunge ein Stück entlang. Plötzlich hielten sie an. Sie sahen zwischen den Bäumen einen erlöschenden Feuerbrand mit seinem flackernden Licht. Kein Zweifel: sie standen vor einem Lager der Indianer.

»Wir wollen uns an die Wilden heranschleichen. Um das Feuer liegt Beute genug für uns«, wandte sich Hutter leise an Hurry. »Schicke Wildtöter zu den Kanus, denn bei einer solchen Sache wird er uns nicht viel nützen.«

»Gut, alter Tom«, erwiderte Hurry ebenso leise. »Wildtöter, geh du zurück zum Kanu, rudere es mit dem andern Boot in den See und laß es mit dem Wind forttreiben. Dann halte dich längs des Ufers an der äußeren Seite der Halbinsel auf, aber in der Nähe der Bucht. Wir wollen rufen, wenn wir dich brauchen. Sofern du Schüsse hörst und Mut hast, kannst du dich uns anschließen und zeigen, ob du ebenso gut mit den Wilden fertig werden kannst wie mit den Hirschen.«

Der junge Jäger entfernte sich schweigend. Er ruderte das Kanu vorsichtig fast bis zur Mitte des Sees und ließ dann das Boot mit dem leichten Südwind in der Richtung zur Wasserburg treiben.

Nach zehn Minuten näherte er sich wieder dem Land, und als er die Binsen sehen konnte, die im Wasser, etwa hundert Schritt vom Ufer entfernt, wuchsen, hemmte er die Bewegung des Kanus und hielt sich an den harten Halmen fest. Hier blieb er und wartete gespannt auf den Erfolg des gefährlichen Streifzuges.

Der See lag schweigend und dunkel da. Die Ruhe der Nacht war vollkommen. So verging eine Minute nach der anderen. Plötzlich zerriß ein durchdringender Schrei die Stille. Etwas Schreckliches lag in diesem Schrei. Dann hörte man deutlich das Krachen trockener Zweige. Schritte schienen sich dem Wasser zu nähern.

In diesem Augenblick fielen fünf oder sechs Schüsse, und die gegenüberliegenden Berge gaben den scharfen Ton in langen, rollenden Echos zurück. Gleich darauf hörte man Geschrei und Geräusche in dem nahen Buschwerk, als sei dort ein Kampf Mann gegen Mann im Gange.

»Schlüpfriger Teufel!« hörte Wildtöter Hurry rufen. »Er hat seine Haut mit Fett beschmiert. Ich kann ihn nicht festhalten.«

Zwischen den Bäumen, die am Ufer standen, folgte diesen Worten der dumpfe Fall eines schweren Körpers, als hätte jemand einen Gegner weit von sich geschleudert. Flucht und Verfolgung wurden erneut hörbar. Jemand kam die Anhöhe herab und näherte sich bis auf wenige Schritte dem Wasser. Gleich darauf aber vernahm man die fluchende Stimme eines Mannes, der, von Feinden umkrallt, den Abhang hinabrollte. Der Mann am Wasser schien plötzlich seine Flucht zu bereuen und eilte zurück, um seinem Gefährten Hilfe zu leisten, wurde aber sofort von einem halben Dutzend neuer Verfolger, die von der Anhöhe hinabsprangen, überwältigt.

»Halt dich vom Land weg, Wildtöter«, rief Hutter. »Die Sicherheit meiner Töchter ruht jetzt ganz auf dir. Gott segne dich und helfe dir, meine Kinder zu beschützen!«

Wildtöter rief entschlossen zurück: »Seid ohne Sorge, ich verteidige die Mädchen und das Haus!«

Dann ruderte er das Boot langsam der Mitte des Sees zu. Sein scharfes Auge spähte über die weite Wasserfläche. Da er nichts Auffälliges sehen konnte, legte er sich in das Kanu, um zu schlafen, denn er wußte, daß am nächsten Tag große Anstrengungen auf ihn warteten.

Die Stille der Nacht war jetzt vollkommen und schien nie unterbrochen gewesen. Das Kanu trieb langsam nach Norden zu. Die Sterne funkelten in mildem Glanz, und der von den Wäldern eingeschlossene See lag so ruhig und dunkel zwischen den Bergen, als sei er nie von Winden bewegt oder von der Sonne erhellt worden.

2

Der Tag war schon angebrochen, als Wildtöter die Augen öffnete. Die Sonne war zwar noch nicht aufgegangen, aber die Morgenröte glühte bereits am Himmel und spiegelte sich in feuerfarbenem Leuchten auf der glänzenden Fläche des Sees, der sich etwa drei Meilen in die Länge und eine halbe Meile in die Breite erstreckte.

Wildtöter richtete sich auf und blickte sich um. Feierliche Einsamkeit und süße Ruhe umgaben ihn. Wohin sich sein Auge auch wandte, es sah nichts anderes als die glatte Fläche des Sees, die friedliche Wölbung des Himmels und den dichten Kranz der Wälder.

Das ist groß! — das ist wunderbar! — das macht den Menschen besser und erhebt seine Seele! hätte Wildtöter fast laut hinausgerufen. Jäh aber kam ihm das Bewußtsein der Gefahr zurück, und ein Schauder überfiel ihn bei dem Gedanken an die vergangene Nacht. Und dies war durchaus zu verstehen, denn es hatte sich gestern zum erstenmal ereignet, daß Menschen ihm als Gegner gegenübergestanden waren. Seine ausgezeichnete Vertrautheit mit der Flinte hatte ihm zwar den Namen Wildtöter eingebracht, aber einen Menschen hatte er noch nie getötet. Und er war stolz darauf, er würde es wohl ohne Not auch niemals tun.

Angestrengt suchte er nach dem Wasserhaus und sah es endlich umrißhaft etwa in der Mitte des Sees. Die armen Mädchen, dachte er. Wie würde er es ihnen sagen? Sie waren jetzt allein, ohne anderen männlichen Schutz als den seinen, inmitten dieses großen, schweigenden Sees und der weiten Wälder.

Der Wind wehte nicht stark, aber er hatte während der Nacht zugenommen, und das leichte Kanu war so weit getrieben worden, daß es dem Fuß des Berges nahe kam, der sich steil an dem östlichen Ufer erhob. Das andere Kanu aber, das dieselbe Richtung genommen hatte, trieb langsam auf eine Landspitze zu, die es unfehlbar berühren mußte, wenn es nicht durch Veränderung des Windes oder durch menschliche Hände abgewendet wurde. Einige Ruderstöße überzeugten Wildtöter, daß es das Ufer berühren würde, ehe er es einholen konnte. Er wollte sich nicht durch unnötige Anstrengung erschöpfen und ruderte langsam und vorsichtig in einem kleinen Bogen der Landspitze zu.

Das abgetriebene Kanu blieb schließlich, drei bis vier Schritt vom Ufer entfernt, an einem kleinen Felsstück hängen. Hier verharrte es aber nur einen Augenblick, dann wurde es von den leichten Wellen des Sees ein wenig gehoben und trieb an das Ufer. Wenn jemand die Ankunft des Kanus erwartete, so mußte er auch Wildtöter bemerken. Er ruderte daher mit äußerster Vorsicht. Da die Landzunge dem Indianerlager fast diagonal gegenüberlag, hoffte er, unbemerkt zu bleiben. Je näher er dem Lande kam, desto schärfer beobachtete er das Ufer, um irgendeine verborgene Gefahr zu entdecken.

Als er ungefähr noch hundert Schritt vom Ufer entfernt war, erhob er sich und brachte sein Kanu mit einigen kräftigen Ruderstößen ans Land. Er wollte eben die Flinte an sich nehmen, als eine Kugel so nahe an ihm vorbeipfiff, daß er unwillkürlich zusammenfuhr. Im nächsten Augenblick taumelte Wildtöter und fiel seiner ganzen Länge nach auf den Boden des Kanus. Ein Schrei erklang vom Ufer her, und ein Indianer sprang aus dem Gebüsch auf eine freie Stelle der Landspitze und eilte herzu. Auf diesen Augenblick hatte Wildtöter gewartet. Er schnellte empor und legte die Flinte auf seinen Feind an, der schleunigst in sein Versteck zurücksprang. Auch Wildtöter verschwand, Deckung suchend, im dichten Ufergebüsch.

Er wußte nur zu gut, daß sein Gegner nun damit beschäftigt war, die Flinte wieder zu laden. Kaum hatte er sich notdürftig versteckt, als er hinter einer Eiche den Indianer sah, der soeben eine Kugel in den Lauf stieß.

Der Wilde hatte in der Eile seiner Flucht Wildtöters Sprung an das Ufer nicht bemerkt und wußte also nicht, wo sich sein Gegner aufhielt. Er fürchtete nur, das Kanu könne wieder genommen und fortgebracht werden. Die Entfernung zwischen ihm und Wildtöter betrug ungefähr fünfzig Schritt. Kaum hatte er geladen, als er sich umsah und behutsam vortrat. Wildtöter kam jetzt ebenfalls hinter seiner Deckung hervor und rief ihm zu:

»Hierher, Rothaut, hierher, wenn du mich suchst. Es hängt von dir ab, ob wir Frieden oder Krieg mitsammen haben sollen!«

Der Wilde erschrak über diese plötzliche Gefahr. Er verstand jedoch etwas Englisch und begriff den Sinn der Worte. Deshalb legte er jetzt mit zutraulicher Miene, wenn auch vorsichtig, seine Flinte vor sich auf die Erde.

»Zwei Kanus!« sagte er in den tiefen Kehllauten der Indianer, indem er zwei Finger emporhielt. »Eins für dich! Eins für mich!«

»Nein, nein, Mingo! Das geht nicht. Dir gehört keines von beiden, und du sollst keines haben, solange ich es verhindern kann. Ich weiß, daß zwischen deinem und meinem Volk Krieg ist. Geh aber jetzt deinen Weg und laß mich den meinen gehen. Die Welt ist groß genug für uns beide, und wenn wir im ehrlichen Kampf zusammentreffen, dann wird der Herr unser Schicksal bestimmen.«

»Gut! Mein Bruder sehr jung — aber sehr weise. Kleiner Krieger — großer Häuptling — spricht bisweilen im Rat.«

»Das nicht, Rothaut«, erwiderte Wildtöter, »ich will nur ein friedliches Leben in den Wäldern führen. Geh du jetzt deinen Weg, und ich hoffe, wir werden als Freunde scheiden.«

»Gut! Mein Bruder hat zwei Skalpe — graues Haar unter dem andern. Alte Weisheit — junge Zunge!«

Bei diesen Worten näherte sich der Wilde mit Zutrauen und streckte lächelnd die Hand aus, und Wildtöter kam ihm ebenso freundlich entgegen. Sie schüttelten einander die Hände, und jeder bemühte sich, dem andern seine Aufrichtigkeit zu versichern.

»Jeder das Seine haben«, meinte der Indianer, »mein Kanu mein, dein Kanu dein. Ist es dein, du behalten — ist es mein, ich behalten.«

»Das ist billig, Rothaut, aber du mußt im Irrtum sein, wenn du glaubst, das Kanu sei dein Eigentum. Doch Sehen ist besser als Glauben; wir wollen zum Ufer gehen, wo du dich mit eigenen Augen überzeugen kannst.«

Der Indianer erwiderte mit seinem Lieblingswort: »Hugh!«, und sie gingen mitsammen zum Ufer. Dabei schritt der Wilde voran, als wolle er seinem Begleiter zeigen, daß er kein Mißtrauen gegen ihn hege.

Als sie die freie Stelle erreichten, zeigte er auf Wildtöters Boot und sagte: »Nicht mein, weißen Mannes Kanu. Dies roten Mannes Kanu. Keines anderen Mannes Kanu wollen, sein eigenes wollen.«

»Du bist im Irrtum, Rothaut. Dies Kanu hat der alte Hutter aufbewahrt; es ist nach dem Gesetz sein Eigentum, bis der Besitzer kommt, um es zurückzuverlangen. Aus der Arbeit an dem Boot sieht man auch, daß es kein Indianer gemacht haben kann.«

»Gut! Mein Bruder wenig alt — viel Weisheit! Indianer es nicht gemacht — weißen Mannes Arbeit.«

»Es freut mich, daß du das einsiehst, sonst hätte es böses Blut zwischen uns gegeben. Ich will nur gleich das Kanu aus dem Bereich des Streites schieben.«

Während Wildtöter noch sprach, setzte er seinen Fuß auf das Ende des leichten Bootes und gab ihm einen kräftigen Stoß, der es wohl hundert Fuß weit in den See trieb, wo es durch die Strömung verhindert werden mußte, wieder an die Landspitze oder an diesen Teil des Ufers zu kommen. Dieses schnelle und entschiedene Verfahren schien auf den Wilden großen Eindruck zu machen. Wildtöter bemerkte, daß er einen hastigen und wilden Blick auf das andere Kanu warf, in dem die Ruder lagen. Dann schien er sich zu besinnen und sagte schließlich:

»Gut! Junger Kopf — alter Geist. Kann Streit schlichten. Leb wohl, Bruder. Indianer ins Lager gehen — Häuptling sagen — kein Kanu finden.«

Wildtöter freute sich, diesen Vorschlag zu hören, denn er war besorgt um die Mädchen. Er schüttelte die dargebotene Hand des Indianers. Die Abschiedsworte waren freundlich, und während der rote Mann ruhig dem Wald zuging, ohne sich ein einziges Mal mißtrauisch umzusehen, begab sich der weiße Mann zu dem am Ufer liegenden Kanu und trug das Gewehr in der gleichen friedlichen Art, beobachtete aber genau die Bewegung des anderen.

Dies Mißtrauen schien jedoch ganz unbegründet zu sein, und er wandte nun den Blick nach vorne und ging unbefangen zu seinem Boot. Er begann es vom Ufer zu schieben und mochte etwa eine Minute so beschäftigt gewesen sein, als er zufällig zurückschaute.

Sein schnelles und sicheres Auge entdeckte mit einem Blick die drohende Gefahr. Die schwarzen, wilden Augen des Indianers sahen wie die eines lauernden Tigers durch eine kleine Öffnung im nahen Gebüsch, und der Lauf der Flinte war auf Wildtöter gerichtet.

Die Flinte spannen und an die Wange legen, war für Wildtöter eins. Beide Gegner schossen gleichzeitig, und nur ein einziger Knall zerriß die Stille. Der Wilde stieß einen Schrei aus, schwang seinen Tomahawk und sprang auf seinen Feind zu. Als er noch zwanzig Schritt von ihm entfernt war, schleuderte er die gefährliche Waffe, aber mit so unsicherer und schwacher Hand, daß der Jäger sie einfach auffing. Im gleichen Augenblick taumelte der Indianer und fiel zu Boden.

Wildtöter lud seine Flinte wieder, warf den Tomahawk in das Kanu und schritt zu dem toten Indianer hin. Es war das erstemal, daß er einen Menschen im Kampfe fallen sah; es war der erste Mitmensch, gegen den er seine Hand erhoben hatte. Der Indianer war noch nicht tot. Er lag bewegungslos auf dem Rücken, seine weitgeöffneten Augen beobachteten jede Bewegung seines Bezwingers. Der Mann erwartete wahrscheinlich den tödlichen Streich, der dem Verlust seines Skalps vorhergehen würde, oder glaubte gar, die letzte grausame Handlung würde noch vor seinem Tod vollzogen werden. Wildtöter erriet seine Gedanken und bedeutete ihm mit einer Geste, daß er nichts zu fürchten habe.

Brennender Durst quälte den Sterbenden. »Wasserl« rief er, »gib armen Indianer Wasser.«

»Ja, Wasser sollst du haben, soviel du willst.« Wildtöter hob den Indianer auf, brachte ihn zum Ufer und half ihm, den quälenden Durst zu löschen. Dann setzte er sich auf einen Stein, nahm den Kopf seines Gegners auf den Schoß und bemühte sich, ihm Trost zuzusprechen.

»Gut!« sagte plötzlich der Wilde, »gut! Junger Kopf — junges Herz. — Altes Herz zähe. — Nicht weinen. — Was Namen?«

»Ich heiße Wildtöter. Aber wenn ich von diesem Kriegspfad zu den Delawaren zurückkomme, soll ich einen besseren Namen haben.«

»Guter Name für Knaben — nicht für Krieger. — Bald bessern haben. — Keine Furcht da …« Der Wilde hatte noch Kraft genug, eine Hand zu erheben und dem jungen Jäger auf die Brust zu klopfen. »Auge sicher — Finger schnell — Ziel, Tod — großer Krieger bald. — Nicht Wildtöter — Falkenauge! — Falkenauge! — Hand schütteln!«

Wildtöter oder Falkenauge — denn in seinen späteren Jahren war er in der ganzen Gegend unter diesem Namen bekannt — nahm die Hand des Wilden, der ihm bewundernd seine letzten Blicke zuwendete.

Nach einer Weile erhob sich Wildtöter und lehnte den Toten mit * dem Rücken gegen den kleinen Felsen.

In diesem Augenblick trat ein zweiter Indianer, einige hundert Schritt von der Landspitze entfernt, aus dem Wald. Wildtöter erblickte ihn, bevor er selbst gesehen wurde. Doch als ihn der Indianer wenig später erblickte, stieß er einen lauten Schrei aus, der von einem Dutzend Stimmen an verschiedenen Punkten des Bergrückens erwidert wurde. Wildtöter durfte jetzt nicht länger zögern. Mit kräftigen Ruderschlägen trieb er das Kanu vom Ufer.

Sobald Wildtöter in sicherer Entfernung zu sein glaubte, hörte er auf zu rudern, um die weiteren Ereignisse zu beobachten. Der Indianer, der sich außerhalb des Waldes gezeigt hatte, war verschwunden, und die Wälder schienen ganz still und verlassen. Plötzlich jedoch drangen die Feinde aus dem Dickicht zur Lichtung auf der Landspitze vor und erfüllten die Luft mit wütendem Geschrei, als sie ihren toten Gefährten entdeckten. Sobald sie aber sahen, daß der Tote nicht skalpiert war, brachen sie in laute Freudenrufe aus.

Wildtöter band das abgetriebene Kanu an sein eigenes und ruderte schnell auf die Wasserburg zu. Die Sonne stand bereits über den östlichen Bergen und verbreitete eine Flut von Lichtstrahlen über dem See.

Als Wildtöter dem Gebäude näher kam, bemerkte er Judith und Hetty. Sie standen vor der Tür und erwarteten mit großer Spannung und Besorgnis seine Ankunft.

3

Man hätte zwischen Judith und Hetty Hutter vielleicht unschwer eine äußere Ähnlichkeit feststellen können. Was aber bei Hetty sanfte, anspruchslose Schönheit war, das war bei Judith gesteigert ins Strahlende; zeigte Hetty Einfachheit und Einfalt des Gemütes, so verriet Judith Klugheit, Charme und Temperament. Deshalb war auch der Ruf von Judiths Schönheit weit über die Ufer dieses Sees gedrungen, während man von Hetty munkelte, sie sei schwach an Geist.

Die beiden Mädchen schwiegen, als Wildtöter vor ihnen stand und sie besorgt ansah.

»Wo ist der Vater?« fragte Judith endlich.

»Er hat Unglück gehabt, ich kann es nicht leugnen«, antwortete Wildtöter in seiner einfachen und aufrichtigen Art. »Er und Hurry sind in den Händen der Mingos, und nur der Himmel weiß, wie das enden wird. Ich habe die Kanus mitgebracht, und das ist ein Trost, denn die Wilden können sich uns jetzt nur schwimmend oder auf Flößen nähern. Gegen Sonnenuntergang wird Chingachgook zu uns kommen, wenn es mir möglich ist, ihn in einem Kanu abzuholen. Dann werden wir beide die Burg verteidigen, bis einige Offiziere in den Garnisonen von den Ereignissen hier Nachricht erhalten, was früher oder später geschehen wird, und uns zu Hilfe kommen.«

Tudith und Hetty waren blaß geworden. Sie antworteten nichts und wandten sich traurig und schweigend ab.

»Wer ist Chingachgook?« fragte Judith schließlich.

»Chingachgook ist ein Mohikaner«, erklärte Wildtöter, »der sich bei den Delawaren aufhält, wie die meisten seines Stammes. Ich bin übrigens auch sehr früh zu den Delawaren gekommen und bin in ihren Dörfern groß geworden. Nun, Chingachgook ist mein Freund, ist mir wie ein Bruder gewesen. Er gehört der Familie der großen Häuptlinge an, denn Unkas, sein Vater, war der berühmteste Krieger und Ratgeber seines Volkes. Sein Stamm ist aber jetzt so zerstreut, daß die Würde der Häuptlinge unter ihnen nur noch dem Namen nach besteht. Ich verabredete mich mit dem Mohikaner hier am See, um zum erstenmal gegen die Mingos auf den Kriegspfad zu gehen. Weshalb wir gerade hierherkommen, das ist unser Geheimnis, aber ihr könnt uns vertrauen.«

»Ein Delaware kann keine feindlichen Absichten gegen uns haben«, sagte Judith nach einer kleinen Pause bestimmt, »und wir wissen, daß du es gut mit uns meinst.« Dies unbedingte Vertrauen konnte Wildtöter nur mit völliger Offenheit beantworten, und so sagte er:

»Ich glaube, ich kann dir und Hetty das Geheimnis mitteilen, da ich mich darauf verlassen kann, daß ihr es für euch behaltet. Chingachgook liebt das schönste Mädchen unter den Delawaren, die Tochter des Häuptlings, und sie liebt ihn. Mein Freund wurde natürlich von allen jungen Häuptlingen mit neidischen Augen angesehen. Wah-ta-Wah, so heißt das Mädchen, begab sich mit ihrem Vater und ihrer Mutter vor zwei Monaten zu den westlichen Strömen, um zu fischen; und dort verschwand das Mädchen plötzlich. Wir konnten mehrere Wochen lang nichts von ihr erfahren, aber vor zehn Tagen kam ein Bote durch das Land der Delawaren, der uns sagte, Wah-ta-Wah sei entführt worden. Sie wird bei den Feinden festgehalten und soll einen jungen Mingo heiraten. Der Bote berichtete auch, daß dieser Stamm der Irokesen, ehe er nach Kanada zurückkehren will, einen oder zwei Monate in dieser Gegend jagen will. Darauf beschlossen wir, uns hier zu treffen, um das Mädchen zu befreien.«

Da die Stunde, in der Chingachgook erwartet wurde, noch nicht angebrochen war, hatte Wildtöter Zeit genug, den Zustand der Verteidigungsmittel zu untersuchen. Die Entfernung zwischen der Wasserburg und dem nächsten Punkt des Ufers war so groß, daß Flintenkugeln vom Lande her keinen sonderlichen Schaden tun konnten. Das Haus lag zwar noch in Schußweite, war aber nicht ernstlich gefährdet, denn Hutter hatte nicht wenig Kunst aufgeboten, eine richtige Wasserburg zu bauen, als er vor Jahren aus den gefahrvollen Grenzwäldern den immerwährenden Angriffen feindlicher Stämme weichen und seine Sicherheit auf dem Wasser suchen mußte. Die Seiten und Ecken des Kastells bestanden aus mächtigen, roh behauenen Fichtenstämmen, die aus dem Wasser aufragten und an den oberen Enden mittels Zapfen in Schwellen und Bohlen eingepaßt waren. Diese hielten die über zwei Fuß dicken Pfähle so fest aneinander, daß es die Wilden große Mühe gekostet hätte, das Haus zu zerstören, zumal auch der Fußboden und die Dachbalken aus festen Fichtenpfählen gezimmert waren. Die Bewohner waren daher in Sicherheit, solange sie im Besitz ihrer Festung blieben. Gegen Feuergefahr hatte Hutter alle möglichen Vorkehrungen getroffen; und das Gebäude selbst war, außer dem Dach von Baumrinde, nicht leicht brennbar. Der Fußboden hatte an mehreren Stellen Falltüren, und es standen stets einige Eimer mit Stricken bereit. Eins von den Mädchen konnte leicht jedes Feuer löschen.

Einen weiteren Vorteil in der Verteidigung bildete der Umstand, daß außer dem fixen Wasserhaus noch ein zweites, bewegliches, in Form einer Arche vorhanden war. Diese Arche war ein sehr einfaches Gebäude. Eine breite Fähre bildete den schwimmenden Teil des Schiffes, in dessen Mitte, die ganze Breite und ungefähr zwei Drittel der Länge einnehmend, ein niedriger Aufbau stand. Das Innere dieses Aufbaues war in zwei Zimmer geteilt, von denen das eine als Wohnraum und das andere als Schlafzimmer diente. So war es auch jetzt ein Vorteil, daß Wildtöter Chingachgook nicht in einem offenen Kanu abholen mußte, sondern sich dieser Arche bedienen konnte, die gegen Schüsse vom Land her doch einigen Schutz bot.

Als die Stunde nahte, in der man Chingachgook erwartete, stiegen die Schwestern und Wildtöter in die Arche, nachdem sie zuvor das Haus gut verschlossen und die Kanus bis auf eines in einen kleinen von Palisaden gebildeten Wasserhof hineingetrieben und diesen mit einer Art Tor verschlossen hatten. Der mit dem Mohikaner verabredete Treffpunkt, ein kleiner Felsen, lag am südlichen Ufer des Sees. Wildtöter steuerte aber die Arche nicht nach Süden auf sein Ziel zu, sondern hielt weit nach Westen und beobachtete unausgesetzt durch das Fernrohr, eines der sonderbarsten Besitztümer Hutters, das Seeufer.

»Du glaubst also, daß sie uns beobachten, Wildtöter?« fragte Judith. .

»Ein Indianer läßt nie in seiner Wachsamkeit nach, wenn er auf dem Kriegspfad ist. Es sind jetzt viele Augen auf uns gerichtet, und wir müssen uns bemühen, die Mingos auf eine falsche Spur zu locken.«

Als die Sonne hinter den hohen Fichten auf den westlichen Hügeln erglühte, hatte die Arche fast schon die Landzunge erreicht, wo Hutter und Hurry gefangengenommen worden waren. Wildtöter beabsichtigte dadurch, daß er seine Richtung erst nach dieser Seite des Sees einschlug, in den Wilden den Glauben zu erwecken, er wolle mit ihnen in Unterhandlung treten. Man konnte erwarten, daß sie daraufhin auf die Halbinsel eilen würden. Diese List war gut ausgedacht. Die Arche konnte so den Felsen erreichen, bevor ihre Verfolger, wenn sie sich wirklich auf der Halbinsel versammelten, auf dem Umweg zu Lande dorthin kommen konnten. Wildtöter hielt sich dem westlichen Ufer so nahe, als es irgend ratsam war. Dann ließ er Judith und Hetty in die Kajüte gehen. Er selbst bückte sich vorsichtig, als er nun plötzlich die Richtung der Arche änderte. Das Manöver wurde durch den jetzt etwas kräftigeren Wind begünstigt.

Als Wildtöter noch zwei- bis dreihundert Fuß vom südlichen Ufer entfernt war, zog er sein Segel ein und warf den Anker aus. Die Bewegung der Fähre wurde jetzt etwas aufgehalten, denn Wildtöter wagte es nicht, sich dem Ufer zu nähern, ohne Vorsichtsmaßnahmen für einen schnellen Rückzug zu treffen. Er hielt das Ankertau in der Hand, und Judith mußte von einem Kajütenfenster die Bucht und die Felsen aufmerksam beobachten. Hetty wurde angewiesen, die Bäume über ihnen im Auge zu behalten, damit sie nicht etwa von dieser Seite unerwartet angegriffen werden konnten.

Die Sonne war bereits aus dem Tal verschwunden, als Wildtöter die Arche anhielt. Es fehlten aber noch einige Minuten bis zum Sonnenuntergang. Die Frage war nur, ob der Freund den zahlreichen Feinden an den Ufern des Sees entgangen war. Die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden mußten ihm ein Geheimnis sein, und Chingachgook war noch jung auf dem Kriegspfad. Er war vorbereitet, den feindlichen Indianern Widerstand zu leisten und die ihm versprochene Frau zurückzuholen. Die wirkliche Größe der Gefahr konnte er aber wohl kaum überblicken.

»Ist etwas von dem Mohikaner zu sehen, Judith?« fragte Wildtöter.

»Es ist nirgends ein Mensch zu sehen, weder auf dem Felsen noch am Ufer.«

»Sei vorsichtig, Judith, und auch du, Hetty, sei vorsichtig und wachsam. Es würde mir sehr leid tun, wenn …«

Wildtöter wurde durch einen Ausruf des Mädchens unterbrochen.

»Was gibt’s, Judith?« fragte er schnell. »Ist jemand zu sehen?«

»Es steht ein Mann auf dem Felsen, ein indianischer Krieger. Er ist bewaffnet.«

»Wo trägt er seine Falkenfeder?« fragte Wildtöter, indem er gleichzeitig das Ankertau etwas nachließ, um die Arche näher an den Felsen treiben zu lassen.

»Er hat sie über dem linken Ohr, und er lächelt.«

»Gott sei Dank, es ist Chingachgook, die Schlange«, rief der junge Mann und ließ das Tau schnell durch seine Hände gleiten, um ganz nahe an den Felsen zu kommen.

Im gleichen Augenblick wurde die Tür der Kajüte aufgerissen, der junge Häuptling stürzte herein und stand sofort an Wildtöters Seite. Im nächsten Augenblick schon schrien Judith und Hetty auf, denn etwa zwanzig Wilde sprangen mit geliendem Kriegsgeschrei durch das Gebüsch am Ufer und wateten auf die Arche zu.

»Schnell, zieh das Ankertau an, Wildtöter!« rief Judith und warf hastig die Tür, durch die der Delaware gekommen war, zu, »ich sehe viele Indianer! Sie waten durch das Wasser!«

Die jungen Männer — denn Chingachgook half seinem Freund sofort — strengten ihre Kräfte übermenschlich an, um das schwere Fahrzeug in Bewegung zu bringen.

»Schnell, Wildtöter, um Himmels willen, schnell!« rief Judith. »Sie dringen durch das Wasser wie Hunde, die ihre Beute verfolgen. Jetzt geht das Wasser dem Vordersten schon bis an die Schultern, sie kommen immer näher!«

Die Fähre kam jetzt allmählich in Fahrt und glitt in tieferes Wasser.

Einen Augenblick später rief Judith den beiden Männern zu:

»Sie geben es auf. Gott sei Dank, sie wenden sich wieder dem Ufer zu — der letzte der Mingos verschwindet gerade im Ufergebüsch.«

Nun ruderten Wildtöter und Chingachgook die Arche schnell bis zum Anker und zogen ihn in die Höhe. Sie waren außer Gefahr.

Erst jetzt begrüßten die beiden Freunde einander wortlos, und Chingachgook, ein großer, schöner und kräftiger, junger indianischer Krieger, untersuchte sogleich sorgfältig seine Flinte, indem er die Pfanne öffnete, um zu sehen, ob das Pulver nicht naß sei. Dann sah er sich beobachtend um, aber sprach und fragte noch nichts.

»Judith und Hetty«, sagte Wildtöter mit unbefangener, natürlicher Höflichkeit, »dies ist der Mohikanerhäuptling Chingachgook, die Große Schlange, so genannt wegen seiner Klugheit, List und Vorsicht — mein bester Freund.«

Der indianische Krieger, der wohl Englisch verstand, aber ungern sprach, schwieg auch jetzt noch und erwiderte nur höflich die Begrüßung der beiden Mädchen.

Die Gefahr war für den Augenblick gebannt. Das Segel wurde aufgezogen, und da ein günstiger Wind das Fahrzeug bewegte, brauchte man jetzt nur zu steuern. Wildtöter, Chingachgook und Judith setzten sich in den hinteren Teil der Fähre, während Hetty in der Kajüte das Abendessen bereitete.

Chingachgook erstattete nun Bericht. Er hatte das Lager der Mingos den ganzen Tag über beobachtet und Wah-ta-Wah und auch die beiden weißen Gefangenen im Kreise der Feinde gesehen. Den Überfall auf die Arche konnte er sich nicht erklären, da er nicht annahm, von den Mingos bemerkt worden zu sein.

»Wie geht es Tom Hutter und Hurry Harry?« fragte Wildtöter, der die Mädchen gern beruhigt hätte. »Waren sie gebunden? Wurden sie grausam behandelt?«

»Die Mingos sind so zahlreich, daß sie es nicht für nötig halten, ihre Gefangenen zu fesseln«, antwortete Chingachgook. »Einige wachen, andere schlafen, einige sind als Späher beschäftigt, andere jagen. Die Gefangenen werden heute wie Brüder behandelt, morgen wird man ihnen die Skalpe nehmen.«

»Wäre es nicht möglich«, fragte Judith nun, da Wildtöter ihr mitteilte, was Chingachgook ihm in delawarischer Sprache gesagt hatte; »wäre es nicht möglich, den Vater und Hurry Harry freizukaufen?«

»Die Idee ist gut, wenn wir etwas finden, was ihnen wertvoll genug erscheinen mag.«

»Daheim steht eine Truhe, die der Vater noch nie in unserer Gegenwart geöffnet hat, sie ist immer fest verschlossen. Ich glaube, wir sollten sie öffnen, um zu sehen, ob sie nicht irgend etwas enthält, was unseren Zwecken dienlich wäre.«

Wildtöter stimmte zu. »Vielleicht haben wir Glück, liebe Judith. Wir wollen die Truhe durchsuchen, sobald wir im Haus sind. Aber sag mir, Schlange«, wandte er sich nun an Chingachgook, »warst du Wah-ta-Wah so nah, daß du ihr etwas zuflüstern konntest?«

»Nein, Wildtöter, es waren der Bäume zu viele, und Blätter bedeckten ihre Zweige wie Wolken, die während eines Sturmes den Himmel verbergen. Aber« — und der junge Krieger wandte sich seinem Freund mit einem Lächeln zu, das die von Natur strengen Züge des in grellen Farben bemalten Gesichts mit menschlichem Gefühl erhellte — »aber Chingachgook hörte die Stimme von Wah-ta-Wah, er erkannte sie unter dem Lärmen der Weiber der Mingos. Sie erklang in seinen Ohren wie das Zwitschern des Zaunkönigs.«

»Ja, das Ohr eines Liebenden ist scharf, und das Ohr eines Delawaren unterscheidet die Stimme seiner Geliebten von allen Stimmen, die je in den Wäldern gehört werden.«

»Und du, Wildtöter«, fragte Judith mit mehr Gefühl, als ihr sonst so munteres Wesen vermuten ließ, »hast du nie gefühlt, wie angenehm es ist, die Stimme der Geliebten zu hören?«

»Ich habe nie lange genug unter Frauen von meiner Farbe gelebt. Mir ist aber das Rauschen des Windes in den Baumwipfeln und das Rieseln einer Quelle die schönste Musik.«

»Es ist ein dunkler Abend«, bemerkte Judith, nachdem das Gespräch eine Zeitlang gestockt hatte. »Ich hoffe, es wird uns gelingen, die Richtung nach dem Haus zu finden.«

»Wir können es nicht verfehlen, wenn wir diese Richtung beibehalten«, erwiderte der junge Mann.

»Hörst du nichts, Wildtöter? Es schien mir, als würde sich etwas im Wasser bewegen.«

Alle drei beugten sich jetzt vor und lauschten. Plötzlich zeigte der Delaware in das Dunkel hinaus, als habe irgend etwas seine Aufmerksamkeit erregt. Wildtöter und Judith blickten in die Richtung und sahen beide im gleichen Augenblick ein Kanu mit einer Gestalt darin, die aufrecht stand und ruderte. Wie viele noch im Fahrzeug verborgen lagen, das konnte man nicht wissen! Die Männer griffen erregt zu ihren Flinten.

»Ich könnte die Gestalt leicht treffen«, flüsterte Wildtöter, »aber wir wollen sie vorerst anrufen und fragen, was sie will.« Dann schrie er zu dem Kanu hin:

»Halt! Wenn du näher kommst, muß ich schießen! Hör auf zu rudern und antworte!«

»Schieße und töte ein armes, schutzloses Mädchen«, erwiderte eine sanfte Stimme, »und Gott wird es dir nie verzeihen, Wildtöter!«

»Hetty!« rief Judith, und der Jäger sprang auf, um nach dem Kanu zu sehen, das er an der Arche befestigt hatte. Es war fort, und er begriff jetzt alles. Wildtöter ließ so schnell wie möglich das Segel nieder, damit die Arche nicht an dem Kanu vorüberfahre. Es war jedoch zu spät, die Bewegung des schweren Fahrzeugs ließ sich nicht so schnell hemmen — Hetty blieb hinter ihnen zurück.

»Was kann das bedeuten, Judith?« fragte Wildtöter. »Weshalb hat deine Schwester das Kanu genommen und uns verlassen?«

»Du weißt, daß das arme Mädchen wirr ist. Sie macht sich immer ihre eigenen Gedanken. Sie liebt ihren Vater mehr, als die meisten Kinder ihre Eltern lieben — und dann … dann fürchte ich auch, daß es der armen Hetty der schöne Hurry Harry angetan hat. Sie spricht im Schlaf von ihm und verrät sich bisweilen auch in wachen Augenblicken.«

»Du glaubst, Judith, daß deine Schwester jetzt irgendeinen abenteuerlichen Plan hat, ihrem Vater und Hurry zu helfen?«

Judith nickte nur. Man konnte das Kanu gerade noch sehen, es war aber keine Zeit zu verlieren, damit es dem Blick nicht ganz entschwand. Die beiden Männer griffen zu den Rudern und begannen die Fähre umzuwenden. Judith eilte an das Steuer. Hetty schien bei diesen Vorkehrungen zu erschrecken und glitt wie ein Vogel davon. Nach einiger Zeit rief Judith den beiden jungen Männern zu, sie mögen aufhören zu rudern. Sie hatte ihre Schwester ganz aus den Augen verloren. Die größte Stille herrschte jetzt auf dem See, während die drei in der Arche die Dunkelheit mit ihren Blicken zu durchdringen suchten.

Die beiden Männer tauschten kurz ihre Meinung aus und griffen dann wieder zu den Rudern. Auf gut Glück steuerten sie nach jener Landzunge, auf derTom Hutter und Hurry Harry gefangengenommen worden waren.

Als sie sich ihr geräuschlos näherten, bemerkten sie auf dem Wasser ein leeres Kanu. Hetty war also hier gelandet. Aber alles Suchen und leise Rufen nützte nichts. Man beschloß daher, zum Haus zurückzukehren, bevor der Feind sich seiner bemächtigte. Wildtöter befestigte das leere Kanu an der Arche, und traurig und besorgt zog man das Segel wieder auf und steuerte die Arche der Wasserburg zu.

4

Als Hetty am Ufer gelandet war, stieß sie das Kanu in den See zurück, denn sie wußte genau, daß es nicht in die Hände der Wilden fallen durfte. Dann lief sie in ihrer Furcht, verfolgt zu werden, in den dichtesten Wald. Die Nacht war so dunkel, daß sie nur langsam vorwärts kam. Sie stolperte oft und fiel auch einige Male, doch ohne sich Schaden zu tun.

Nachdem sie zwei Stunden lang gelaufen war, fühlte sie sich so erschöpft, daß sie nicht weiterkonnte. Sie bereitete sich ohne Furcht ein Lager. Wohl wußte sie, daß wilde Tiere hier im Wald lebten, aber solche, die Menschen angreifen, waren selten. Gefährliche Schlangen gab es nicht. Dies hatte sie von ihrem Vater gehört; und was ihr schwacher Geist einmal aufnahm, das haftete mit so festem Zutrauen, daß keine Zweifel dagegen aufkommen konnten. Sobald sie genügend trockenes Laub gesammelt hatte, kniete sie nieder, faltete die Hände in tiefer Andacht und betete mit sanfter, leiser, aber hörbarer Stimme das Vaterunser. Dann legte sie sich nieder, um zu schlafen.

Am nächsten Morgen, als die Strahlen der Sonne sie weckten, setzte sie ihren Weg fort. Nach einer halben Stunde erreichte das Mädchen einen Bach, der sich tief in die Erde eingewühlt hatte und zwischen steilen, mit hohen Bäumen bewachsenen Ufern in den See stürzte. Hier wusch sich Hetty. Sie trank von dem reinen Bergwasser und setzte dann erfrischt und leichten Herzens ihren Weg fort.

Plötzlich wurde sie durch eine Hand, die sich ihr leicht auf die Schulter legte, angehalten.

»Wohin gehen?« sagte eine leise weibliche Stimme, die hastig und besorgt in gebrochenem Englisch sprach. »Indianer — rote Männer — grausame Krieger — dort!«

Diese unerwartete Begrüßung beunruhigte Hetty nicht. Sie war auf irgendein solches Zusammentreffen vorbereitet, und das Indianermädchen, das sie so anhielt, war keinesfalls furchterregend. Sie war nicht viel älter als Hetty und lächelte freundlich. Sie trug einen Kattunmantel und einen kurzen, mit Goldborten eingefaßten Rock aus blauem Tuch, Gamaschen vom gleichen Stoff und Mokassins aus Hirschleder. Ihr Haar hing in langen schwarzen Flechten den Rücken hinab. Ihr Gesicht war zart und edel, die Augen dunkel und lebhaft, das Lächeln des Mundes zärtlich und traurig zugleich.

»Wohin gehen?« fragte die Indianerin noch einmal. »Schlimme Krieger dort — gute Krieger weit von hier.«

»Wie heißt du?« fragte Hetty jetzt.

»Wah-ta-Wah. Ich keine Mingo — gute Delaware — Freunde der Engländer. Mingos sehr grausam, Skalpe des Blutes wegen nehmen — Delaware der Ehre wegen. Komm hierher, wo nicht Augen sind.«

Wah-ta-Wah führte jetzt ihre Gefährtin zum See. Sie stiegen den Abhang hinab, bis die überhängenden Bäume und Gebüsche sie ganz verbargen, und setzten sich dann nebeneinander auf einen Baumstamm.

»Warum du kommen?« fragte jetzt die junge Indianerin, »woher du kommen?«

Hetty erzählte ihre Geschichte in ihrer einfachen, aufrichtigen Art.

»Weshalb dein Vater in der Nacht ins Lager der Mingos kommen?« fragte das indianische Mädchen. »Er wissen, daß Krieg ist und er kein Knabe. Er wissen, daß Mingos Tomahawk und Messer und Flinte haben. Weshalb er kommen bei Nacht, mich am Haar fassen und den Skalp eines Delawarenmädchens nehmen wollen?«

»Dir wollte er den Skalp nehmen?« fragte Hetty, bleich vor Schrecken.

»Weshalb nicht? Delawarenskalp so gut bezahlt wie Mingoskalp, Gouverneur keinen Unterschied machen. Sehr schlecht von weißen Männern, Skalpe nehmen. Nicht ihre Gabe sein, wie der gute Wildtöter immer sagen.«

»Wie, du kennst Wildtöter?« fragte jetzt Hetty erfreut. »Ich kenne ihn auch. Er ist jetzt auf der Arche mit Judith und einem kühnen und schönen Krieger, einem Delawaren, den man Schlange nennt.«

»Chingachgook?« flüsterte die junge Indianerin fragend. Sie beugte sich vor und sah Hetty gespannt an. »Sein Vater Unkas, großer Häuptling der Mohikaner — gleich nach altem Tamenund. Kennst du die Schlange?«

»Er kam gestern zu uns und war zwei bis drei Stunden mit mir in der Arche, ehe ich sie verließ. Ich fürchte, Wah, daß er um Skalpe gekommen ist, so wie mein armer Vater und Hurry Harry.«

»Weshalb nicht sollen? Chingachgook roter Krieger, sehr rot. Skalp ihm Ehre machen, gewiß welche nehmen.«

»Dann ist er ebenso schlimm wie die anderen«, erwiderte Hetty ernst. »Gott wird einem roten Mann nicht verzeihen, was er einem weißen Mann nicht verzeiht.«

»Das nicht wahr sein«, erwiderte die junge Indianerin mit einer Wärme, die fast zum Zorn wurde, »das nicht wahr sein! Der Manitu sich freuen, wenn er junge Krieger vom Kriegspfad zurückkommen sehen mit zwei, zehn, hundert Skalpen auf einer Stange! Der Vater von Chingachgook Skalpe nehmen, Großvater Skalpe nehmen, alle alten Häuptlinge Skalpe nehmen, und Chingachgook so viele Skalpe nehmen, wie er bekommen kann.«

»Ist das seine Absicht hier? Kam er wirklich so weit her über Berge und durch Täler, über Flüsse und Seen, um seine Mitmenschen zu martern?« fragte Hetty entsetzt.

Diese Frage bewegte die Indianerin sichtlich. Zuerst sah sie sich mißtrauisch um, als fürchte sie, belauscht zu werden, dann blickte sie Hetty mit schlauer, bedeutsamer Miene an, und schließlich bedeckte sie ihr Gesicht mit beiden Händen und kicherte. Dann sah sie wieder auf, und plötzlich umschlang sie Hetty zärtlich und drückte sie an ihr Herz.

»Du gut!« flüsterte sie, »du gut, ich wissen, Wah-ta-Wah seit so lange keine Freundin haben — keine Schwester —, niemand, um mit Herz zu sprechen — du Wahs Freundin sein, nicht wahr?«

»Ich hatte nie eine Freundin«, antwortete Hetty. »Ich habe eine Schwester, aber keine Freundin. Judith liebt mich, und ich liebe Judith, doch das ist natürlich und wie es in der Bibel steht, aber ich möchte von Herzen gern eine Freundin haben. Ich will ganz und gar deine Freundin sein, denn deine Stimme gefällt mir und dein Lächeln und alles, was du sagst, nur das von den Skalpen nicht.«

»Nicht mehr daran denken — nicht mehr von Skalpen sprechen«, unterbrach sie Wah beruhigend, »du weiß, ich rot, wir andre Bräuche haben. Wildtöter und Chingachgook große Freunde und nicht dieselbe Farbe.«

Die beiden Mädchen begannen sich nun über ihre Pläne zu unterhalten. Hetty machte ihre neue Freundin mit ihren Absichten bekannt.

Plötzlich beugte sich die junge Indianerin vor, sah der anderen schalkhaft in die Augen und fragte:

»Hetty auch Bruder haben, so wie Vater, weshalb nicht vom Bruder sprechen, so gut wie vom Vater?«

»Ich habe keinen Bruder, Wah. Ich hörte wohl, daß ich einen hatte, aber er ist tot und liegt im See neben der Mutter.«

»Nicht junger Bruder — junger Krieger, ihn lieben fast wie deinen Vater — wie? Sehr schön und kühnes Gesicht, Häuptling werden, wenn so gut sein wie aussehen.«

»Ich glaube fast«, antwortete Hetty errötend, »wenn Hurry so oft an den See kommt, werde ich ihn beinahe so sehr lieben müssen wie den Vater. Ich muß dir die Wahrheit sagen, liebe Wah, weil du mich fragst, aber ich würde vor Scham in die Wälder fliehen, wenn er es wüßte.«

»Weshalb er nicht selbst dich fragen? Kühnes Gesicht, weshalb nicht kühn sprechen? Junger Krieger muß junges Mädchen fragen, nicht junges Mädchen zuerst sprechen lassen. Das auch Schande für Mingo-mädchen.«

»Was soll er mich fragen?« sagte das erschrockene Mädchen. »Soll er mich fragen, ob ich ihm ebenso gut bin wie meinem Vater? Oh, ich hoffe, das wird er mich nie fragen, denn ich müßte ihm antworten, und das würde mich töten.«

»Nein, nein — nicht töten — nur beinah töten«, erwiderte die andere, indem sie wider Willen lachen mußte. »Rot werden im Gesicht — auch sich schämen, aber nicht lange. Dann glücklicher als je. Junger Krieger muß jungem Mädchen sagen, er sie zu seiner Frau haben wollen, sonst junges Mädchen nie in seinem Wigwam leben können.«

»Harry wird mich nicht heiraten wollen, niemand wird es wollen.«

»Wie kannst du wissen? Vielleicht jeder junge Krieger dich heiraten wollen, und dann Zunge sagen, was Herz fühlen. Weshalb niemand dich heiraten wollen?«

»Sie sagen alle, daß ich dumm bin. Der Vater sagt es mir oft und auch Judith bisweilen, wenn sie böse auf mich ist, aber die Mutter hat es auch einmal gesagt, und dabei weinte sie, als ob ihr das Herz brechen wollte.«

Wah sah das sanfte, einfache Mädchen wohl eine Minute lang an, ohne zu sprechen, dann schien sie plötzlich zu begreifen. Mitleid, Achtung und Zärtlichkeit erfüllten sie, und als sie plötzlich aufstand, bat sie ihre Freundin, sie in das Lager der Indianer zu begleiten. Sie wußte, daß kein Indianer ein Wesen kränken würde, das der Große Geist entwaffnet hatte. Bei einigen Stämmen wurden die vom Wahn Befallenen mit einer Art religiöser Ehrfurcht behandelt. Hetty begleitete ihre neue Freundin ohne Widerstreben. Es war ihr Wille, in das Lager zu gehen, und sie fürchtete sich nicht.

Daß der Trupp Indianer, zu dem Wah wider Willen gehörte, nicht auf dem Kriegspfad war, ging aus der Gegenwart der Weiber hervor. Er war ein kleiner Teil eines Stammes, der innerhalb des englischen Gebietes gejagt und gefischt hatte. Der Anfang der Feindseligkeiten zwischen Engländern und Franzosen — ein Kampf, in den alle Stämme gezogen werden mußten, die unter ihrem Einfluß lebten — hatte sie hier überrascht. Nachdem sie den Winter und Frühling von dem gelebt hatten, was eigentlich Eigentum ihrer Feinde war, beschlossen sie, vor dem Rückzug womöglich noch Beute zu machen. Da das Lager keinem längeren Aufenthalt dienen sollte, war es entsprechend primitiv eingerichtet. Ein Feuer, das unter einer Eiche brannte, war ihre Kochstelle, um die herum fünfzehn bis zwanzig niedrige Hütten lagen, in die die Wilden des Abends und bei stürmischem Wetter krochen. Die Hütten waren aus kunstreich verschlungenen Baumzweigen gebaut und mit Baumrinde bedeckt. Hausgerät enthielten sie fast gar nicht. Kochgeschirre der einfachsten Art standen um das Feuer, einige Kleidungsstücke sah man vor den Hütten. Flinten, Pulverhörner und Jagdtaschen waren gegen Bäume gelehnt oder hingen neben mehreren getöteten Hirschen an niedrigen Ästen. Weil sich aber das Lager mitten im dichten Wald befand, konnte man es nicht ganz übersehen. Es gab keinen Versammlungsort, wo sich die Bewohner dieses ärmlichen Dorfes zusammenfinden konnten, wenn man nicht etwa den Platz um das Feuer nennen wollte. Einige Kinder tummelten sich von einer Hütte zur anderen. Nur das unterdrückte Lachen und die leisen Stimmen der Mädchen und Weiber unterbrachen bisweilen die tiefe Stille. Die Männer saßen oder schliefen, oder sie prüften ihre Waffen. Sie sprachen nur wenig miteinander und dann meist in Gruppen, die sich von den Weibern entfernt hielten.

Als sich die beiden Mädchen dem Lager näherten, stieß Hetty einen leisen Ruf der Überraschung aus, denn sie sah ihren Vater mit dem Rücken gegen einen Baum gelehnt auf der Erde sitzen. Hurry Harry stand neben ihm. Anscheinend waren sie ebenso frei wie alle andern Lagerinsassen. Wer mit indianischen Gebräuchen nicht bekannt war, mußte sie für Gäste halten. Wah-ta-Wah führte ihre neue Freundin auf sie zu und zog sich dann bescheiden zurück.

Hetty näherte sich dem Vater, ohne ein Wort zu sagen. Das Mienenspiel des alten Mannes zeigte weder Besorgnis noch Erstaunen über ihr plötzliches Erscheinen. Er war von der gleichen stoischen Ruhe wie die Indianer, denn er wußte, daß man sich so ihre Achtung am ehesten erwerben konnte. Auch die Wilden verrieten nicht das mindeste Zeichen der Verwunderung über die plötzliche und unerwartete Ankunft einer Fremden. Einige Krieger nur traten zusammen, und aus den Blicken, die sie auf Hetty warfen, ging hervor, daß sie über das Mädchen sprachen. Diese Ruhe war ein eigentümlicher Charakterzug des nordamerikanischen Indianers.

Hutter war durch das Benehmen Hettys sehr gerührt, wenn er auch gleichgültig erschien. Er kannte die einfache, treue Liebe seines Kindes.

»Du hättest nicht hierherkommen sollen, Hetty«, sagte er besorgt. »Dies sind wilde Irokesen, die keine Beleidigung verzeihen.«

»Sei ruhig, Vater«, erwiderte Hetty. »Es wird sich alles zum Guten wenden. Es ist aber am besten, wenn ihr euch still verhaltet, bis ich mit den Irokesen gesprochen habe. Folgt mir, bitte, nicht, sondern laßt mich allein gehen. Sobald alles abgemacht ist und es euch freisteht, zurückzukehren, will ich kommen und es euch wissen lassen.« Hetty sprach mit so einfachem Ernst und schien des Erfolges so sicher zu sein, daß der alte Tom und Hurry ihr fast glauben mußten.

Inzwischen kam Wah-ta-Wah bei einigen älteren Kriegern vorbei, die sich während ihrer Gefangenschaft am freundlichsten gegen sie gezeigt hatten. Sie wollte über ihre neue Freundin befragt werden; und Hetty war kaum zu ihrem Vater getreten, als auch das Delawarenmädchen in den Kreis der Krieger gerufen wurde. Hier fragte man sie nach ihrer Gefährtin. Wah erzählte sofort, wie sie die Verstandesschwäche Hettys entdeckt habe, und dann sprach sie sehr allgemein über die Absicht, mit der das junge Mädchen zu ihren Feinden gekommen sei. Die Wirkung war, wie Wah erwartet hatte. Hetty wurde jetzt mit großer Achtung angesehen, die sie bei allen schützen würde. Als die junge Indianerin ihren Zweck erreicht hatte, zog sie sich zurück und machte Anstalten, ein Mahl zuzubereiten, zu dem sie ihre neue Freundin einladen wollte.

Als sich Hetty jetzt den Häuptlingen näherte, öffneten sie ihren kleinen Kreis mit großer Achtung. Ein umgefallener Baum lag in der Nähe, und der älteste der Krieger gab dem Mädchen ein Zeichen, darauf Platz zu nehmen, und setzte sich freundlich wie ein Vater neben sie. Die anderen versammelten sich mit ernster Würde um sie herum, und Hetty begann zu erklären, weshalb sie hierhergekommen sei. Als sie zu reden anfing, winkte ihr der alte Häuptling freundlich zu, sie möge noch schweigen; er sagte einem jüngeren Häuptling einige Worte und wartete dann geduldig, bis Wah-ta-Wah in den Kreis trat. Der Häuptling brauchte einen Dolmetscher, denn nur wenige Mingos verstanden die englische Sprache.

»Sage ihnen, Wah, wer ich bin«, begann nun Hetty. »Und dann sage ihnen: Ich bin hier, um sie zu überzeugen, daß sie dem Vater und Hurry nichts zuleide tun dürfen, sondern als Brüder und nicht als Feinde behandeln und sie in Frieden gehen lassen müssen. Sage ihnen alles deutlich, Wah, und fürchte nichts für dich oder für mich, denn Gott wird uns beschützen.«

Wah-ta-Wah bemühte sich, die Worte ihrer Freundin so genau wie möglich in die Sprache der Irokesen zu übertragen.

»Und jetzt, Wah«, sagte Hetty wieder, sobald ihr angedeutet wurde, daß sie fortfahren möge, »jetzt sage ihnen, daß mein Vater und Harry in der Absicht hierherkamen, so viele Skalpe wie nur möglich mitzunehmen, denn der gottlose Gouverneur und die Provinz haben Gold für Skalpe angeboten. Die Liebe zum Gold war zu stark für meinen Vater und Harry.«

Wah-ta-Wah zögerte, Hettys Worte genau zu wiederholen. Sie tat es aber doch, da sie wußte, daß zwei der Häuptlinge Englisch verstanden. Die Erklärung der Beweggründe wurde von den Wilden stumm aufgenommen. Sie hielten wahrscheinlich die Handlungsweise für männlich und konnten sie gut verstehen.

»Und jetzt, Wah«, fuhr Hetty fort, »kannst du ihnen noch mehr sagen. Sie wissen, daß dem Vater und Hurry ihr Vorhaben mißlang, und deshalb können sie weiter keinen Groll gegen sie hegen. Dann frag sie, ob sie wissen, daß es einen Gott gibt, der die ganze Erde regiert und alle Lebewesen beherrscht.«

Wah-ta-Wah bestaunte diese Frage, sie teilte sie jedoch wörtlich mit und erhielt eine ernste, bejahende Antwort.

»Das ist recht«, sprach Hetty weiter, »und meine Pflicht wird jetzt leicht sein. Dieser Große Geist, wie ihr unseren Gott nennt, hat ein Buch schreiben lassen, und in diesem Buch stehen alle seine Gebote und sein heiliger Wille. Hier ist eins von diesen heiligen Büchern, und du mußt dem Häuptling übersetzen, was ich ihnen daraus vorlesen werde.«

Hetty nahm ehrerbietig eine kleine englische Bibel aus einem groben Tuch. Triumphierend hielt sie den Indianern das Gotteswort hin und begann zu lesen. Sie war jetzt in ihrem frommen Eifer so aufgeregt, daß ihre Wangen glühten, und ihre sonst so leise Stimme wurde stärker und ausdrucksvoller. Mit der Bibel war sie schon seit ihrer Kindheit durch ihre Mutter vertraut, und sie blätterte jetzt mit erstaunlicher Schnelligkeit von einer Stelle des Buches zur anderen, und sie bemühte sich, solche Verse zu wählen, welche die erhabensten Lehren christlicher Milde und Versöhnlichkeit aussprechen. Auch nur die Hälfte von ihren Worten zu übertragen, würde Wah-ta-Wah unmöglich gewesen sein, wenn sie es überhaupt versucht hätte. Aber das für seinen Glauben begeisterte Mädchen war schon fast erschöpft, bevor die andere sich entschloß zu reden.

Glücklicherweise hatte die Mitteilung über den Geisteszustand Hettys die Irokesen auf etwas Ungewöhnliches vorbereitet. Das meiste von dem, was ihnen töricht erschien, wurde dadurch für sie erklärlich. Es waren aber einige alte Männer da, die ähnliche Lehren schon von den Missionären gehört hatten.

»Dies ist das gute Buch der weißen Menschen«, bemerkte einer von diesen Häuptlingen, indem er die Bibel aus Hettys Händen nahm. »Dies ist das Gesetz, wonach meine weißen Brüder zu leben behaupten. Sag meiner jungen Schwester«, fuhr der Häuptling zu Wah gewendet fort, »daß ich meinen Mund öffnen und reden will.«

»Der Irokesenhäuptling sprechen wollen. Meine Freundin zuhören«, sagte Wah-ta-Wah.

»Dies ist das Gesetz der weißen Männer«, fuhr der Häuptling fort. »Es sagt ihnen, daß sie denen, welche sie beleidigen, Gutes tun sollen. weshalb bedient sich dann aber der weiße Mann der Flinten, des Pulvers und der Kugeln? Wenn ihm geboten wird, denen, die etwas von ihm verlangen, doppelt soviel zu geben, weshalb nimmt er dann den armen Indianern alles, die doch nichts von ihm verlangen? Er kommt von jenseits der aufgehenden Sonne mit seinem Buch in der Hand, und er lehrt die toten Männer es lesen, aber weshalb vergißt er alles, was darin steht? Mit dem, was ihm der Indianer gibt, ist er nie zufrieden, und jetzt bietet er Gold für die Skalpe unserer Weiber und Kinder, obgleich er uns wilde Tiere nennt, wenn wir den Skalp eines im offenen Kampf getöteten Kriegers nehmen. Mein Name ist Rivenoak.«

Als Wah-ta-Wah diese Worte übersetzte, wurde Hetty sehr verlegen. Klügere Köpfe als dieses arme Mädchen konnten schon häufig auf Fragen ähnlicher Art nichts erwidern. Es wurde immer verwirrter und brach schließlich in Tränen aus. Wah-ta-Wah umschlang das betrübte Mädchen mit ihrem Arm und bemühte sich, es zu trösten. Die Häuptlinge aber, die keine Antwort auf ihre Fragen vernahmen, entfernten sich schweigend, als hielten sie die Angelegenheit für erledigt.

5

Wildtöter und der Mohikaner standen im Laufe der Nacht ein- oder zweimal auf und sahen hinaus auf den stillen See. Da sie jedoch alles ruhig fanden, kehrten sie zu ihrem Lager zurück. Beim Morgengrauen erhob sich der junge Jäger zuerst und traf Vorkehrungen für den Tag. Als die drei, die sich belagert wußten, später beim Frühstück beisammensaßen, waren sie still und nachdenklich. Judith war noch müde, und die beiden Männer dachten an die ungewisse Zukunft. Endlich begann aber Judith nach längerem Schweigen:

»Es wäre schrecklich, Wildtöter, wenn meinem Vater und Hetty ein Unglück widerfahren sollte. Wir dürfen hier nicht untätig bleiben und sie in den Händen der Irokesen lassen, sondern müssen überlegen, wie wir ihnen helfen können.«

»Ich bin selbstverständlich bereit, Judith. Es ist keine Kleinigkeit, in die Hände von Rothäuten zu geraten. Hast du irgendeinen Plan, den die Schlange und ich ausführen könnten?«

»Ich weiß kein anderes Mittel, die Gefangenen zu befreien, als ein hohes Lösegeld anzubieten. Die Indianer würden vielleicht lieber etwas mitnehmen, was Reichtum für sie bedeutet, als arme Gefangene fortschleppen, wenn sie das überhaupt beabsichtigen.«

»Dieser Plan ist natürlich gut, Judith, wenn die Feinde darauf eingehen und wir Dinge finden können, die ihre Habgier reizen.«

»Wir haben uns entschlossen, die Truhe zu öffnen, Wildtöter.«

»Ja, wir sprachen gestern davon. Hat dein Vater dir je verboten, sie zu öffnen?«

»Niemals. Er schien die Schlösser immer für den besten Schutz zu halten.«

»Es ist eine schöne Arbeit, diese Truhe«, sagte Wildtöter und setzte sich auf das merkwürdige Möbelstück, das allen in Hutters Zimmer aufgefallen war.

»Chingachgook, dies ist kein Holz aus unseren Wäldern.«

Der junge Häuptling näherte sich, befühlte das Holz, prüfte seine Härte mit einem Nagel und besah neugierig die Stahlbeschläge und die schweren Vorlegeschlösser. Wildtöter fragte nach einem Schlüssel.

Judith entfernte sich und kam bald mit einem großen eisernen Schlüssel wieder.

»Ich entdeckte ihn einmal beim Aufräumen«, sagte sie. »Vater hat keine Ahnung, daß ich weiß, wo er ihn versteckt hat.«

Wildtöter wollte sich nun mit seinem Freund zurückziehen, da es sich um Familiengeheimnisse handelte. Judith bat ihn aber zu bleiben.

»Wir wollen bei dir bleiben«, sagte er, »aber erst laß uns den See und die Ufer beobachten, denn es wird einige Zeit brauchen, diesen Kasten zu leeren.«

Die beiden Männer gingen auf die Plattform und sahen, daß nichts Verdächtiges zu bemerken war. Da sie nun für einige Zeit sicher waren, gingen sie wieder zu dem Mädchen zurück. Judith hatte vor der Truhe und ihrem unbekannten Inhalt seit frühester Kindheit Ehrfurcht. Weder der Vater noch die Mutter hatte sie je in ihrer Gegenwart erwähnt. Als Wildtöter jetzt den schweren Deckel aufhob und Judith den Blick in das Innere warf, zitterte sie leicht.

Die ersten Dinge, die sich zeigten, waren verschiedene Kleidungsstücke für einen Mann, sehr vornehm gearbeitete Stücke aus feinem Stoff. Ein Rock war aus scharlachrotem Tuch und hatte mit Goldfaden besäumte Knopflöcher. Danach folgte ein schönes Kleid aus Brokat, das durch nachlässige Behandlung etwas gelitten hatte. Und diesmal brach Judith in einen Ausruf der Bewunderung aus. Noch nie hatte sie einen so feinen Stoff und so schöne Farben gesehen. Ihr Entzücken war fast kindlich, und sie nahm das Kleid und kam nach kurzer Zeit, damit angetan, zurück.

»Ich weiß kein besseres Mittel, mit den Mingos zu unterhandeln, Judith«, sagte Wildtöter, der sie bewundernd ansah, »als dich, so wie du jetzt bist, an das Ufer zu schicken und ihnen zu sagen, daß eine Königin zu ihnen gekommen sei. Sie werden bei einem solchen Schauspiel den alten Hutter ausliefern und auch Hurry und Hetty.«

»Wenn wir den Inhalt der Truhe ganz kennen, Wildtöter«, sagte das Mädchen lächelnd, »können wir unseren Entschluß reiflich überlegen.«

Neben einigen kunstreich mit Silber eingelegten Pistolen lagen, in ein Tuch gewickelt, mathematische Instrumente, wie sie damals bei Seeeuten in Gebrauch waren. Wildtöter und Chingachgook äußerten ihre Bewunderung und ihr Erstaunen.

»Vater ist kein Geometer, Wildtöter, und ebensowenig weiß er mit diesen Instrumenten umzugehen«, bemerkte Judith. »Glaubst du, daß Thomas Hutter je so einen Scharlachrock getragen hat? Er ist ihm viel zu groß, und dieses Instrument geht über seine Gelehrsamkeit.«

»Das ist’s, Delaware, der alte Bursche ist auf irgendeine Art der Erbe eines Seemannes geworden, und ohne Zweifel war dieser Kasten und alles, was er enthält … Doch was haben wir hier?«

Wildtöter hatte eine kleine Schachtel geöffnet, aus der er nach und nach die Figuren eines Schachspieles nahm. Sie waren aus Elfenbein, größer als gewöhnlich und vortrefflich gearbeitet. Jede Figur stellte den Gegenstand dar, nach dem er benannt wird; die Springer saßen auf Pferden, die Türme standen auf Elefanten, und selbst die Bauern hatten die Köpfe und Büsten von Männern. Das Spiel war nicht vollständig, und einige Figuren waren zerbrochen. Chingachgook vergaß seine indianische Würde, so entzückt war er. Er nahm jede Figur in die Hand und untersuchte sie mit unermüdlicher Aufmerksamkeit, indem er dem Mädchen die feinen Teile der Arbeit zeigte. Die Elefanten bereiteten ihm das meiste Vergnügen.

»Das Tier mit dem Turm scheint dir zu gefallen, Delaware«, sagte schließlich Wildtöter.

»Es ist ein Elefant«, rief jetzt Judith. »Ich habe oft Bilder von solchen Tieren in den Garnisonen gesehen, und. die Mutter hatte ein Buch mit einer Beschreibung von ihnen.«

»Das Tier ist zu gut für die Mingos«, sagte Chingachgook, indem er nur widerwillig eines der Tiere zurückgab. »Der Elefant könnte den ganzen feindlichen Stamm erkaufen, vielleicht sogar den der Delawaren.«

Alle drei waren sich einig, daß wohl nichts die Begierde der Mingos mehr reizen könne als die Elefanten. Glücklicherweise waren noch alle Türme des Spieles vorhanden, und es wurde beschlossen, diese vier Figuren als Lösegeld anzubieten.

Mehr als eine Stunde war vergangen, während der sie beratschlagt und alles, bis auf die Elefanten, wieder an seine frühere Stelle gebracht hatten. Judith unterhielt sich jetzt mit Wildtöter, der gern in ihr schönes Gesicht sah. Chingachgook ging in Hutters Schlafkammer, um die Elefanten genau und ausgiebig zu betrachten.

Plötzlich hörte man einen leichten Schritt auf der Plattform, und gleich darauf erschien eine menschliche Gestalt in der Tür. Es war Hetty. Wildtöter stand sofort auf, und Judith stieß einen leichten Schrei aus, denn jetzt wurde auch ein Indianer neben Hetty sichtbar.

Wildtöter rief schnell in delawarischer Sprache, Chingachgook möge sich nicht sehen lassen und auf der Hut sein. Dann trat er an die Tür, um sich von der Größe der Gefahr zu überzeugen. Es war jedoch sonst niemand mitgekommen.

Ein einfaches, kleines Floß, das an der Seite der Arche lag, erklärte, wie man Hetty hierhergebracht hatte. Auf zwei trockene, mit Weidenzweigen zusammengebundene Fichtenstämme hatte man einige starke Bohlen aus Kastanienbaumholz gelegt und darauf für Hetty einen Sitz aus einigen Holzkloben bereitet; schließlich hatte der junge Irokese das einfache und langsame, aber vollkommen sichere Fahrzeug vom Ufer herübergerudert.

Als sich ihre erste Besorgnis etwas gelegt hatte, zeigte Judith eine herzliche Freude über die Rückkehr ihrer Schwester. Sie drückte sie an die Brust und küßte sie. Hetty schien weniger bewegt zu sein. Sie war noch zu sehr von der Größe und Helligkeit ihrer Aufgabe erfüllt. Als sie jetzt von ihren Erlebnissen zu erzählen begann, kehrte Wildtöter zurück und hörte aufmerksam zu, während der junge Irokese nahe der Tür stand und sich gegen alles, was vorging, anscheinend gleichgültig zeigte.

»Als ich den Häuptlingen die Stellen aus der Bibel vorlas«, sagte Hetty schließlich, »konnte man nicht merken, daß sie irgendeinen Eindruck auf sie machten, aber wenn die Saat gesät ist, muß sie aufgeben.«

»Und war es bei den Wilden so, arme Hetty?« fragte Judith.

»Ja, Judith, und schneller, als ich selbst gehofft habe. Ich blieb nicht lange beim Vater und bei Hurry, sondern ging mit Wah, um mit ihr zu frühstücken. Bald darauf kamen die Häuptlinge zu uns und sagten, was ich ihnen aus dem guten Buch vorgelesen habe, sei wahr, es müsse wahr sein, es klinge wie Wahrheit, wie der wohltönende Gesang eines Vogels in ihren Ohren, und sie sagten mir, ich möge zurückkehren und dies dem großen Krieger sagen, der einen ihrer Tapferen erschlagen hat, und wie glücklich sie wären, wenn sie hier im Kastell zur Kirche kommen und mich noch mehr aus dem heiligen Buch vorlesen hören könnten. Ich soll dir auch sagen, sie ließen dich bitten, ihnen einige Kanus zu leihen, damit sie den Vater und Hurry und ihre Weiber zu dem Kastell bringen könnten. Dann wollten sie sich alle auf die Plattform hier setzen und dem Gesange des Manitu der weißen Männer lauschen, um zu hören, was er den Menschen zu sagen habe.«

Hetty wollte noch weitersprechen, aber Wildtöter winkte ab. »Die Wälder sind voll von diesen Strolchen, und sie warten nur darauf, wie wir ihren Vorschlag aufnehmen. Ich will erst den Indianer da entfernen, ehe wir unseren Plan entwerfen. Laßt mich mit ihm allein, aber bring mir erst die Elefanten, Judith, die die Schlange noch bewundert, denn es wäre nicht klug, diesen jungen Mingo auch nur eine Minute allein zu lassen.«

Judith erfüllte seinen Wunsch. Wildtöter hatte einige Kenntnis von den meisten indianischen Dialekten jener Gegenden und wußte genug vom Irokesischen, um sich in dieser Sprache verständlich zu machen. Er winkte den jungen Indianer zu sich, lud ihn ein, sich auf den Kasten zu setzen, und stellte plötzlich zwei von den Türmen vor ihn hin. Bis zu diesem Augenblick hatte der Jüngling nicht die geringste Neugier gezeigt. Es war vieles in dem Haus, das ihm neu und unbekannt sein mußte, aber er hatte seine Selbstbeherrschung mit großer Ruhe behauptet. Wildtöter bemerkte zwar, daß er seine Augen auf die Verteidigungsmittel und die Waffen richtete, aber es geschah mit einer solchen Miene der Unschuld, in so träger, kindlicher Art, daß nur ein Mann, der in einer ähnlichen Schule erzogen war, seine Absicht hätte erraten können.

Sobald jedoch der Blick des Wilden auf die elfenbeinernen Figuren der wunderbaren, unbekannten Tiere fiel, konnte er sein Erstaunen und seine Bewunderung nicht mehr verbergen. Er stieß einen Ruf des Entzückens aus. Gleich darauf aber wurde er etwas verlegen, als sei er sich einer Verletzung des Schicklichen bewußt. Seine Blicke hefteten sich jedoch wieder auf die Elefanten, er nahm sogar einen nach kurzem Zögern in die Hand.

Wildtöter ließ ihn wohl zehn Minuten lang gewähren, denn er wußte, daß der Jüngling die Merkwürdigkeiten sehr genau untersuchen würde, um bei seiner Rückkehr seinem Häuptling ausführlich berichten zu können. Schließlich aber legte er einen Finger auf das nackte Knie des Indianers und sagte:

»Hör, ich will mit meinem jungen Freund aus Kanada sprechen. Er möge das Wunder eine Minute lang vergessen.«

Der Jüngling blickte auf.

»Hör, zwei weiße Männer sind Gefangene im Lager deiner Väter.«

Der junge Indianer nickte gleichgültig, doch einen Augenblick später lachte er, als freue er sich der überlegenen Schlauheit seines Stammes.

»Kannst du mir sagen, was deine Häuptlinge mit diesen Gefangenen beabsichtigen, oder haben sie noch keinen Beschluß gefaßt?«

Der Jüngling sah Wildtöter einen Augenblick verwundert an, dann berührte er kaltblütig mit der Spitze des Zeigefingers seinen Kopf genau über dem linken Ohr und beschrieb eine Kreislinie um seine Haare, und zwar mit einer Schnelligkeit und Genauigkeit, aus der Wildtöter erkennen konnte, wie vollkommen er schon in den besonderen Kunstgriffen seiner Stammesgenossen unterrichtet war.

»Weshalb wollt ihr sie nicht zu euren Wigwams mitnehmen?« fragte Wildtöter empört.

»Weg zu lange und voll weißer Männer. Wigwams voll und Skalpe teuer verkaufen. Kleiner Skalp, viel Gold.«

»Ja, das ist die Erklärung. Es braucht nicht deutlicher gesagt zu werden. Du weißt, daß der ältere von euren Gefangenen der Vater dieser beiden jungen Frauen hier ist; und der andere hat sich mit einer von ihnen verlobt. Die Mädchen wünschen natürlich, die Skalpe ihrer Freunde zu retten, und sie wollen für jeden Skalp zwei solcher elfenbeinernen Tiere als Lösegeld geben. Kehr zurück und sag dies deinen Häuptlingen und bring mir die Antwort vor Sonnenuntergang.«

Der junge Indianer ging auf diesen Vorschlag hastig ein. Es ließ sich nicht bezweifeln, daß er seinen Auftrag schnell und genau ausführen werde. Er vergaß für einen Augenblick alle feindseligen Gesinnungen und wünschte, seinem Stamm einen solchen Schatz zu verschaffen. Wildtöter war mit dem Eindruck, den er hervorgebracht hatte, zufrieden.

Hierauf ruderte der Jüngling mit seinem Floß wieder fort und schlug die Richtung zu einem Dickicht am Ufer ein, das weniger als eine Viertelstunde entfernt war.

Hetty hatte unterdessen nach dem Delawaren gefragt und war zu ihm gegangen. Chingachgook empfing sie freundlich und mit großer Achtung. Seine Sympathie für sie vergrößerte sich noch durch die Hoffnung, Nachricht von seiner Verlobten zu erhalten. Als das Mädchen eintrat, nahm sie einen Stuhl und lud den Indianer ein, sich neben sie zu setzen. Sie schwieg eine Weile und fragte dann:

»Du bist Chingachgook, die Große Schlange der Delawaren, nicht wahr?«

»Chingachgook«, erwiderte der Delaware mit Würde. »Das Große Schlange heißen.«

Dann schwiegen wieder beide, bis der Indianer fragte: »Keine Zunge Chingachgook genannt haben, Welkende Lilie?« Er redete sie an, wie der Häuptling die arme Hetty genannt hatte. »Sein Name nicht von einem kleinen Vogel unter den Irokesen gesungen?«

Sie antwortete nicht, sondern ließ den Kopf sinken und errötete. Dann blickte sie schelmisch zu dem Indianer auf, und in ihrem Lächeln lag die Unschuld eines Kindes.

»Sie sang den Namen Chingachgook öfter als irgend etwas anderes, und sie lachte herzlich, als ich ihr erzählte, wie die Mingos hinter uns im Wasser her wateten und uns nicht erreichen konnten.«

Hetty machte eine Pause und fuhr dann fort: »Wah sagte mir, ich möge dir leise zuflüstern, du solltest den Mingos in keiner Weise trauen. Ferner sagte sie, es gebe einen großen glänzenden Stern, der ungefähr eine Stunde nach Sonnenuntergang über die Hügel komme. Sobald dieser Stern erscheint, will sie an der Landspitze sein, wo ich das Ufer betrat. Und dorthin mögest du in einem Kanu zu ihr kommen.«

»Gut, Chingachgook gut genug verstehen, aber er noch besser verstehen, wenn meine Schwester noch einmal singen wollen.«

Hetty wiederholte ihre Worte, dann schilderte sie die jetzige Lage des Feindes und die Bewegungen, die seit dem Morgen stattgefunden hatten, denn trotz ihrer Naivität beobachtete sie doch scharf. Wah war mit ihr auf dem Floß gewesen, bis es das Ufer verließ; sie war jetzt, wie Hetty sagte, irgendwo in den Wäldern, dem Haus gegenüber, und beabsichtigte, erst gegen Abend zum Lager zurückzukehren, denn sie hoffte, es werde ihr dann gelingen, von ihren Gefährten fortzuschleichen, um sich an der Landspitze zu verbergen.

Chingachgook dankte Hetty für die Botschaft. Es stand für ihn fest, daß er zur verabredeten Stunde an der Landspitze sein werde.

6

Wildtöter freute sich über die Hoffnungen, die sein Freund hegte, und versprach ihm alle Hilfe.

»Die Befreiung deiner Verlobten«, sagte er, »ist unser Hauptzweck, die Verteidigung der Wasserburg und der Töchter des alten Hutter können wir damit verbinden.«

»Ich will ins Lager der Irokesen«, erwiderte der Mohikarier in ernstem Ton. »Niemand außer Wah kennt Chingachgook, und ein Vertrag über Skalpe soll nur von einem Häuptling abgeschlossen werden. Gib mir die ausländischen Tiere und laß mich ein Kanu nehmen.«

Während Wildtöter seine Beine über den Rand der Plattform hinabhängen ließ, spielte er mit dem Ende einer Angelrute wie ein Mann, dem plötzlich ein neuer Gedanke kommt. Statt den Vorschlag seines Freundes zu beantworten, sprach er nur halblaut vor sich hin.

»Ja, das muß Liebe sein! Ich habe gehört, daß sie bisweilen die Vernunft gänzlich trübt, daß sie einen Mann so hilflos macht wie ein unvernünftiges Tier. Wenn auch der Delaware seine Vernunft, seine Schlauheit und Klugheit verlöre!« Er machte eine Pause und wandte sich dann an den Häuptling: »Das kann nicht dein Ernst sein, Chingachgook, und deshalb will ich dich nur eines fragen: Du bist ein Häuptling und wirst bald an der Spitze vieler Krieger gegen die Feinde geschickt werden. Willst du deine Macht in ihre Hände geben, ehe du gekämpft hast?«

»Wah!« rief der Indianer hastig.

»Jawohl, Wah! Ich weiß allerdings, daß es Wah heißt und immer Wah! Ich bin wirklich besorgt um dich, Chingachgook! Ich hörte nie einen so schlechten Plan von einem Häuptling. Ein Kanu sollst du nicht haben, solange die Stimme der Freundschaft noch etwas gilt.«

»Wildtöter hat recht«, erwiderte der Indianer besonnen. »Eine Wolke verhüllte das Gesicht Chingachgooks, und Schwäche erfüllte seinen Geist, und seine Augen waren trüb. Mein weißer Bruder hat ein gutes Gedächtnis für gute Taten und ein schlechtes Gedächtnis für schlechte Taten. Er wird vergessen.«

»Ja. Sag nichts mehr davon, Häuptling; aber wenn dir wieder eine solche Wolke zu nahe kommt, so suche ihr aus dem Weg zu gehen. — letzt setz dich her zu mir und laß uns unsere Pläne überlegen. Du siehst, die Indianer können Flöße machen; es wird ihnen also nicht zu schwer werden, uns in ganzen Haufen anzugreifen. Ich habe daran gedacht, ob es nicht ratsam wäre, alle Lebensmittel des alten Tom in die Arche zu bringen und das Gebäude zu verschließen. Wir vier begeben uns auf die Arche, denn sie ist beweglich und damit für uns sicherer. Wenn wir das Segel aufspannen und unsere Stellung oft verändern, können wir uns viele Nächte lang halten, ohne daß es diesen kanadischen Wölfen möglich ist, einen Weg zu uns zu finden.«

Chingachgook hörte diesen Plan mit Beifall an. Blieben die Unterhandlungen ohne Erfolg, so war jetzt wenig Hoffnung, daß diese Nacht ohne einen Angriff vorübergehen würde. Auch Judith und Hetty waren mit dem Vorschlag Wildtöters einverstanden, und so beschäftigten sie sich jetzt mit den nötigen Vorbereitungen.

Einige Betten, Kleidungsstücke, Küchengerätschaften, die Waffen und die Munition, schließlich die geheimnisvolle und erst halb untersuchte Truhe, all das wurde in die Arche gebracht, die an der östlichen Seite des Gebäudes befestigt war, so daß man sie vom Ufer aus nicht beobachten konnte.

Gerade als man fertig war, näherte sich wieder das kleine Flo’s vom Ufer her. Wildtöter sah durch das Fernglas und bemerkte, daß sich zwei anscheinend unbewaffnete Krieger auf dem Fahrzeug befanden. Es bewegte sich langsam vorwärts, so daß sie Zeit genug hatten, alles für den Empfang der beiden gefährlichen Gäste vorzubereiten. Chingachgook und die Mädchen zogen sich in das Gebäude zurück, wo sich der Häuptling mit mehreren Flinten an der Tür postierte, während Judith durch eine Schießscharte das Floß beobachtete. Wildtöter stellte einen Stuhl an den Rand der Plattform und nahm darauf Platz. Die Flinte hielt er nachlässig in der Hand. Als das Floß noch etwa fünfzig Fuß entfernt war, rief er den Mingos zu, sie sollten aufhören zu rudern. Die beiden indianischen Krieger standen sofort auf, und das kleine Floß trieb nur langsam auf die Plattform zu.

»Seid ihr Häuptlinge?« fragte jetzt Wildtöter ernst und gewichtig, »oder haben mir die Mingos Krieger ohne Namen gesendet? Wenn das der Fall ist, so wird, je schneller ihr kehrtmacht, wahrscheinlich desto eher der kommen, mit dem ein Krieger unterhandeln kann.«

»Hugh!« rief der ältere von den beiden auf dem Floß. »Mein Bruder ist sehr stolz, aber Rivenoak ist ein Name, der einen Delawaren erbleichen lassen kann.«

»Das kann wahr sein, oder es kann eine Lüge sein, Rivenoak, je nachdem. Was ist eure Absicht, und weshalb kommt ihr auf Baumstämmen?«

»Die Irokesen sind keine Enten, die auf dem Wasser schwimmen können. Wenn die weißen Männer ihnen ein Kanu geben wollen, so werden sie in einem Kanu kommen.«

»Das wird wahrscheinlich niemals geschehen, aber ihr seid willkommen auf euren Baumstämmen, Mingos.«

»Wir danken, mein junger Krieger; er hat doch einen Namen — wie nennen ihn die Häuptlinge?«

Wildtöter zögerte einen Augenblick, doch konnte er schließlich nicht widerstehen. Er lächelte, murmelte etwas vor sich hin und sagte dann:

»Mingo, ich war wie alle, die jung sind, zu verschiedenen Zeiten unter verschiedenen Namen bekannt. Einer eurer Krieger, dessen Geist erst gestern früh aufflog zu dem glücklichen Jagdgebiet eures Volkes, meinte, ich verdiene den Namen Falkenauge, weil mein Blick schneller war als der seine, da es Tod und Leben zwischen uns galt.«

Rivenoak stieß einen Ruf der Überraschung aus. Ihm folgte ein Lächeln der Höflichkeit, das einem asiatischen Diplomaten Ehre gemacht hätte. Die beiden Irokesen sprachen schließlich leise miteinander, und beide näherten sich nun dem Ende des Floßes, das der Plattform am nächsten war.

»Mein Bruder Falkenauge hat eine Botschaft an die Irokesen geschickt«, sagte Rivenoak, »und sie hat ihre Herzen erfreut. Sie hören, daß er Figuren von Tieren mit zwei Schwänzen besitzt. Will er sie seinen Freunden zeigen.«

»Feinden würde wahrer sein«, erwiderte Wildtöter, »aber der Klang der Worte ist nicht ihr Sinn und tut wenig Schaden. Hier ist eins der Tiere, ich werfe es euch auf Treu und Glauben zu. Wenn ich’s nicht zurückerhalte, so wird die Flinte zwischen uns entscheiden.«

Der Irokese schien auf die Bedingung einzugehen, und Wildtöter warf schnell entschlossen einen der Elefanten zum Floß hinüber. Die kleine, elfenbeinerne Figur wurde glücklich aufgefangen, und Erstaunen und Entzücken gewannen auch diesmal die Oberhand über die indianische Selbstbeherrschung. Mehrere Minuten vergingen mit der genauen Untersuchung einer so vortrefflichen Arbeit, eines so feinen Materials, eines so wunderbaren Tieres. Je länger die Indianer die Figur betrachteten, desto begeisterter schienen sie zu werden.

»Hat mein weißer Bruder noch mehr solcher Tiere?« fragte schließlich der ältere der beiden Irokesen.

»Es sind noch mehr da, Mingo«, war die Antwort, »aber ein solches Tier genügt, um fünfzig Skalpe abzukaufen.«

»Einer meiner Gefangenen ist ein großer Krieger, schlank wie eine Tanne, stark wie das Elen, schnell wie der Hirsch, wild wie der Panther! Er wird dereinst ein großer Häuptling werden und die Armee des Königs Georg anführen.«

»Still, Mingo! Harry Hurry ist Harry Hurry, und du wirst nie mehr aus ihm machen als einen Korporal. Du wirst seinen Skalp nie für mehr ausgeben können als für einen wohlbehaarten Schädel mit wenig Gehirn.«

»Mein alter Gefangener ist sehr weise, der König des Sees, ein großer Krieger, ein weiser Ratgeber.«

»Nun, es gibt Leute, die dem auch widersprechen könnten, Mingo. Ein sehr weiser Mann hätte sich nicht so leicht fangen lassen wie Meister Hutter, und wenn er einen guten Rat gibt, so muß er bei jener Gelegenheit auf schlechten gehört haben. Es gibt nur einen König dieses Sees, und der ist weit entfernt. Ein Tier mit zwei Schwänzen ist doch gewiß zwei solche Skalpe wert.«

»Aber mein Bruder hat noch ein solches Tier! Er wird zwei« — und der Indianer hielt ebenso viele Finger empor — »für den alten Vater geben.«

»Der Schwimmende Tom ist nicht mein Vater, aber es soll ihm deshalb nicht schlimmer ergehen. Doch zwei Tiere für einen Skalp zu geben, und jedes Tier noch dazu mit zwei Schwänzen, das ist zuviel verlangt. Du kannst sehr zufrieden sein, Mingo, wenn du einen viel schlechteren Handel machst.«

Die Selbstbeherrschung Rivenoaks kehrte jetzt zurück, und er nahm zu seinen gewöhnlichen Kunstgriffen Zuflucht, um den möglichst besten Handel abzuschließen. Er stellte sich, als hege er Zweifel, ob ein solches Tier, wie die Figur es darstellte, wirklich irgendwo lebe, und behauptete, der älteste Indianer habe nie etwas davon gehört. Er wurde im Verlauf der Verhandlungen etwas heftig, denn Wildtöter begegnete allen Beweisgründen und Einwürfen seines Gegners mit seiner unerschütterlichen Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit. Was ein Elefant war, wußte er kaum besser als der Wilde. Er hielt es aber für ratsam, anfangs nicht zuviel zu bewilligen, denn selbst wenn man sich über die Bedingungen geeinigt hatte, blieb noch die Schwierigkeit des Austausches bestehen. Er hielt die anderen Figuren noch zurück, um sie im Augenblick der Not als beschwichtigendes Mittel benutzen zu können.

Endlich erklärte der Wilde, eine weitere Unterhaltung sei sinnlos, und bereitete sich schon zur Abfahrt vor. Beiden Parteien war es im Grunde nicht recht, den Handel wegen allzu großer Hartnäckigkeit abzubrechen. Es dauerte daher einige Zeit, um die Baumstämme wieder in Bewegung zu setzen, und solange das geschah, betrachtete Rivenoak mit scharfem Blick die Wasserburg und seine Gegner. Einmal sprach er leise und schnell mit seinem Gefährten und bewegte zugleich seine Füße wie ein wildes Tier in den Zweigen, die auf dem Floß lagen. In diesem Augenblick paßte Wildtöter nicht auf, denn er dachte über Mittel nach, die Unterhandlung wieder in Gang zu bringen. Es war vielleicht ein Glück für ihn, daß Judith diesmal so wachsam war, denn sie rief ihm warnend zu:

»Nimm dich in acht, Wildtöter, ich sehe mit dem Fernrohr Flinten unter den Zweigen, und der Mingo macht sie mit seinen Füßen los.«

Der Feind verstand offenbar die Worte des Mädchens, denn die Bewegung seiner Füße hörte auf, und der Ausdruck wilden Zornes in seinem Gesicht ging ebenso schnell in ein Lächeln der Höflichkeit über. Er winkte seinem Gefährten zu, er möge aufhören zu rudern, trat dann noch einmal an das Ende des Floßes und sagte:

»Weshalb sollen Rivenoak und sein Bruder eine Wolke zwischen sich lassen? Sie sind beide weise, beide tapfer und beide großmütig. Sie sollen einander als Freunde kennen. Ein Tier soll der Preis eines Gefangenen sein.«

»Mingo«, antwortete Wildtöter, der sich freute, die Unterhandlung wiederaufnehmen zu können, »du sollst sehen, daß ein weißer Mann einen vollen Preis zu bezahlen pflegt. Behalte das Tier, das du zurückzugeben vergaßest, als du dich entfernen wolltest, und das ich wiederzuverlangen vergaß, weil es mich betrübte, im Zorn von dir zu scheiden. Zeig es deinen Häuptlingen. Wenn du uns unsere Freunde bringst, will ich dir noch zwei solche Tiere geben, und« — hier zögerte er einen Augenblick — »und wenn uns unsere Freunde noch vor Sonnenuntergang wieder zugeführt werden, so füge ich vielleicht noch ein viertes Tier hinzu, um die Zahl gerade zu machen.«

Jede Spur von Unzufriedenheit verschwand jetzt aus dem Gesicht des Irokesen, und sein Lächeln wurde freundlich. Abermals besah er die Figur des Elefanten, und ein Ausruf des Vergnügens zeigte, wie sehr ihn dieser unerwartete Abschluß der Angelegenheit freute. Nachdem die beiden Indianer die Bedingungen nochmals anerkannt hatten, entfernten sie sich mit dem Floß langsam zum Ufer hin.

Die Aussichten auf Erfolg waren im Augenblick gut. Man konnte wieder hoffen, obgleich es leichtsinnig gewesen wäre, in der bisherigen Wachsamkeit nachzulassen. Doch eine Stunde verging nach der anderen, und schon neigte sich die Sonne den westlichen Hügeln zu, ohne daß man eine Spur von einem Floß bemerken konnte. Endlich — ein letzter schwacher Sonnenschimmer lag noch gerade auf dem Wasser — sah man das Floß wieder aus dem Dickicht hervorkommen, und als es sich näherte, verkündete Judith, ihr Vater und Hurry lägen gebunden auf den Baumzweigen in der Mitte. Die Indianer ruderten der Verzögerung wegen sehr eifrig, so daß das Floß in kurzer Zeit ankam.

Obgleich die Bedingungen genau festgelegt waren, gab die eigentliche Überlieferung der Gefangenen viele Schwierigkeiten auf. Die Irokesen sahen sich gezwungen, großes Vertrauen in ihre Feinde zu setzen, wozu sie sich nicht ohne Widerstreben entschließen konnten. Sobald nämlich Hutter und Hurry freigelassen waren, waren die Weißen in der Überzahl; die Angelegenheit würde vielleicht nicht so bald erledigt worden sein, wenn das ehrliche Gesicht Wildtöters nicht seine gute Wirkung auf Rivenoak ausgeübt hätte.

»Mein Bruder weiß, daß ich ihm vertraue«, sagte der Indianer, als er mit Hutter vortrat, dessen Beine losgebunden worden waren. »Ein Skalp, noch ein Tier!«

»Du bist willkommen in deiner alten Wohnung, Meister Hutter«, sagte Wildtöter, als er dem Alten auf die Plattform half und zugleich Rivenoak verstohlen einen der Türme einhändigte. »Deine Töchter werden sich sehr freuen, dich wiederzusehen, und hier ist Hetty, die schon kommt, um dich zu begrüßen.«

Der Jäger hielt plötzlich inne und brach in sein geräuschloses, ihm eigentümliches Lachen aus. Hurrys Beine waren entfesselt worden. Da er aber zu fest gebunden gewesen war, hatte er seine Glieder nicht gleich in der Gewalt. Der junge Riese bot in seiner Hilflosigkeit einen lächerlichen Anblick. Besonders heiter wirkte sein verdutztes Gesicht.

»Du siehst aus wie eine Tanne, die der Sturm bewegt«, rief der Jäger. »Es freut mich aber, zu sehen, daß dir die Irokesen bei deinem letzten Besuch im Lager die Haare gelassen haben, wie sie waren.«

»Höre, Wildtöter«, erwiderte der andere ärgerlich, »es dürfte ratsam für dich sein, daß du bei dieser Gelegenheit weniger deinen Witz als deine Freundschaft zeigst.«

Wildtöter band die Arme seiner Freunde los, und diese stampften und sprengen jetzt mit wilden Verwünschungen auf der Plattform umher und bemühten sich, ihr stockendes Blut wieder in Bewegung zu bringen. Das Floß war schon hundert Schritt von der Wasserburg entfernt, als Hurry entdeckte, wie schnell es seiner Rache entging. Er griff nach der Flinte, die an Wildtöters Schulter hing, und versuchte den Hahn zu spannen. Doch der junge Jäger war zu schnell für ihn. Er entwand ihm die Waffe, und der Schuß ging in die Luft.

Der Abend begann jetzt, den See in seinen Schatten zu hüllen, und bald war das Floß in der Unendlichkeit der hereingebrochenen Dämmerung verschwunden.

7

Auch Hutter billigte Wildtöters Plan, das Gebäude während der Nacht zu verlassen und in die Arche zu übersiedeln. Jetzt, da die Wilden einmal mit dem Bau von Flößen begonnen hatten, konnte kein Zweifel mehr darüber herrschen, daß sie den Versuch machen würden, das Haus zu erobern. Der alte Mann glaubte, daß wahrscheinlich schon in der bevorstehenden Nacht ein Angriff erfolgen werde, und sobald man sich ein wenig erholt und ein Abendessen eingenommen hatte, forderte er alle auf, sich so schnell wie möglich fertigzumachen. Alle nötigen Maßregeln wurden rasch und umsichtig getroffen, die Kanus hinter den Palisaden hervorgezogen und an der Arche befestigt, die wenigen Sachen, die man im Haus gelassen hatte, in die Kajüte gebracht, das Feuer ausgelöscht und die Wasserburg verschlossen und gesichert. Schließlich bestiegen alle die Arche.

Als Hutter das Fahrzeug von der Plattform stieß, konnte er nicht sagen, aus welcher Richtung der Wind kam. Er zog aber seine Segel auf, da es gefährlich werden konnte, länger in der Nähe des Hauses zu bleiben. Die Arche setzte sich in Bewegung, und zwar, wie sich herausstellte, in westlicher Richtung.

Die Ruhe der Nacht hatte sich über den See gesenkt. Der Himmel war schwer und düster, und ein leichter Wind strich über das Wasser.

Die Menschen in der Arche waren still und in sich gekehrt. Hutter und Hurry fühlten sich nach den vergangenen Ereignissen dringend ruhebedürftig. Deshalb hüllten sie sich bald in ihre Decken und schliefen auch gleich ein.

Um so ungestörter konnten sich Wildtöter und Chingachgook mit ihrer Aufgabe befassen, Wah-ta-Wah zu befreien. Vorsichtig steuerte Wildtöter die Arche auf jene Landzunge zu, auf der Wah-ta-Wah sie erwarten wollte. Er hielt sich dabei so weit wie möglich im Schatten der Wälder und Buchten. Es wurde wenig gesprochen. Der Indianer war scheinbar ruhig, aber als sie sich ihrem Ziel immer mehr näherten, wurde er doch aufgeregt.

Sie waren noch etwa eine Viertelstunde von der Landspitze entfernt, als Chingachgook zu seinem Freund trat und auf eine Stelle am Ufer deutete. Ein kleines Feuer glimmte dort im Gebüsch an der südlichen Seite der Landzunge. Ohne Zweifel hatten die Indianer ihr Lager auf den gleichen Ort verlegt, den Wah für das Treffen mit ihrem Verlobten bestimmt hatte. Es war daher schwierig, das Fahrzeug unentdeckt bis an die Halbinsel treiben zu lassen.

Auf ein verabredetes Zeichen ließ Chingachgook das Segel nieder und warf den Anker aus. Die Stellung, in der sich die Arche jetzt befand, hatte Vor- und Nachteile. Das Ufer lag nun fast zu nahe. Es war aber anzunehmen, daß kein Floß in der Nähe war, und wenn sich auch die Bäume in der Dunkelheit fast über die Fähre zu neigen schienen, so wäre es doch schwer gewesen, ohne ein Boot an sie heranzukommen. Zudem lag sie gut verborgen im dunklen Schatten des Waldes. Eine Entdeckung war also kaum zu befürchten, solange sie sich hüteten, ein Geräusch zu machen.

»Jetzt ist es Zeit, daß wir hinüberfahren«, sagte Wildtöter schließlich. »Der Stern ist zwar noch nicht aufgegangen, aber seine Zeit ist bald da, auch wenn er uns wegen der Wolken unsichtbar bleiben wird. Ich wette, daß Wah-ta-Wah keine Minute zu spät kommt und uns genau an der verabredeten Stelle erwartet — es sei denn, die Mingos hätten Verdacht geschöpft und wollten sie als Locktaube benutzen, um uns zu fangen.«

»Wildtöter«, sagte jetzt Judith, die demAusgang des geplanten Unternehmens mit Bangen entgegensah, »das ist ein gefährliches Vorhaben. Weshalb müssen zwei ihr Leben und ihre Freiheit aufs Spiel setzen?«

»Du vergißt, Judith«, antwortete Wildtöter, »daß wir beide nur deswegen an diesen See gekommen sind. Der Delaware kann natürlich auch allein ein Kanu rudern und Wah herbringen; doch ist es gut, einen zuverlässigen Freund bei sich zu haben. Nein, Judith, du würdest einen Freund in einem solchen Augenblick auch nicht im Stich lassen!«

»Ich glaube, du hast recht, Wildtöter. Versprich mir aber, daß du dich nicht unter die Indianer wagst.«

Wildtöter lachte auf seine eigene, geräuschlose Art, ohne zu antworten. Dann gab er Chingachgook ein Zeichen, ihn zu folgen. Judith blickte ihnen lange unbeweglich nach.

Der Indianer und sein Freund begannen ihr gefährliches Unternehmen mit einer Sicherheit, die erfahrenen Männern Ehre gemacht hätte. Chingachgook saß an der Spitze des Kanus, während Wildtöter am hinteren Ende ruderte. So konnte der junge Häuptling als erster das Land betreten und seiner Geliebten als erster begegnen.

Statt jedoch in gerader Linie auf die Landspitze zu steuern, die von der Arche nicht viel mehr als tausend Schritt entfernt sein konnte, führte Wildtöter das Kanu schräg zur Mitte des Sees, um eine Stelle zu finden, von der aus sie, wenn sie sich dem Ufer näherten, die Feinde vor sich haben würden. In der zunehmenden Dunkelheit ließen sich gerade noch die Umrisse der Berge unterscheiden. Der Delaware wandte den Kopf vergebens nach Westen, um den Stern zu sehen; Wolken bedeckten fast den ganzen Himmel.

Die Landspitze lag jetzt tausend Fuß entfernt vor ihnen, von der Wasserburg war nichts zu sehen, und die Arche verschwand vollständig im Schatten der Küste.

Die beiden Männer besprachen sich mit leiser Stimme. Wildtöter glaubte, es fehlten noch einige Minuten bis zum Aufgang des Sternes. Der Häuptling aber war schon ungeduldig, und darum steuerten sie sogleich der Landzunge zu. Äußerste Vorsicht war jetzt geboten. Die Ruder wurden ebenso geräuschlos gehoben wie gesenkt, und ungefähr hundert Schritt vom Ufer entfernt zog Chingachgook sein Ruder ganz ein und griff zur Flinte. Als sie in den Schatten der Wälder glitten, bemerkten sie, daß sie zu weit nach Norden gesteuert hatten, und änderten deshalb die Richtung. Das Kanu schien jetzt wie von eigenem Instinkt geleitet, es glitt behutsam vorwärts, bis es auf den Kiesboden stieß, genau dort, wo Hetty gelandet war.

Chingachgook sprang leise an Land und untersuchte das Ufer. Er mußte öfters bis an die Knie im See waten, aber Wah-ta-Wah war nicht zu finden. Als er zurückkehrte, fand er seinen Freund ebenfalls am Ufer. Sie berieten flüsternd. Der Indianer befürchtete, sie hätten den Ort der Zusammenkunft verfehlt. Wildtöter dagegen glaubte, daß sie zu früh gekommen seien.

Während er noch sprach, ergriff er den Arm des Delawaren und zeigte nach den Spitzen der östlichen Berge. Die Wolken hatten sich dort etwas geöffnet, und der Abendstern funkelte zwischen den Zweigen einer Tanne. Das war auf jeden Fall ein glückliches Vorzeichen, und die jungen Männer stützten sich auf ihre Flinten und lauschten auf den Ton sich nähernder Schritte. Sie hörten oftmals etliche Stimmen, unterdrücktes Geschrei von Kindern und leises Lachen indianischer Weiber. Die beiden vermuteten daher, daß sie dem Lager sehr nahe seien. Sie konnten leicht bemerken, daß im Wald Feuer brannte, weil einige hohe Wipfel beleuchtet waren. Manchmal schien es ihnen auch, als ob sich jemand vom Feuer her nähere, aber sie mußten sich entweder getäuscht haben, oder der Betreffende war zurückgekehrt, ohne bis ans Ufer zu kommen.

Als sie etwa eine Viertelstunde gewartet hatten, schlug Wildtöter vor, im Kanu weiterzurudern, bis sie das Lager sehen könnten. Chingachgook weigerte sich aber, die Stelle zu verlassen. Dafür hatte Wildtöter Verständnis und schlug vor, allein um die Landspitze herumzurudern, während sich der andere in den Büschen verborgen halten sollte.

Sobald Wildtöter wieder im Kanu war, verließ er das Ufer langsam, vorsichtig und geräuschlos. Er entfernte sich nicht weit vom Lande, da die Büsche ihn hinreichend deckten. Bevor er aber etwas vom Feuer erblicken konnte, mußte er so weit rudern, daß er mit dem Lager und der Arche fast in einer Linie lag. Das Herüberleuchten des Lagerfeuers geschah jedoch so plötzlich und unerwartet, daß er befürchtete, sich zu unvorsichtig in den Lichtstreifen, den die Flammen auf das Wasser warfen, gewagt zu haben. Aber er erkannte sofort, daß er ziemlich sicher davor war, entdeckt zu werden, solange die Indianer um das Feuer saßen.

Vom Kanu aus konnte er das Lager deutlich übersehen. Die Indianer hatten soeben einen großen Brand entfacht, an dem sie ihre Abendmahlzeit zubereiteten. Das Laubgewölbe zeigte sich im ledernden Licht der Flammen.

Wildtöter sah auf einen Blick, daß viele Krieger abwesend waren. Seinen Bekannten Rivenoak jedoch bemerkte er im Vordergrund. Das ernste, wilde, von den Flammen hell beleuchtete Gesicht des Häuptlings war einem elfenbeinernen Elefanten zugewandt, den er einem anderen Indianer hinhielt. Ein Knabe blickte neugierig über seine Schulter. Etwas im Hintergrund lagen acht bis zehn Krieger auf der Erde oder lehnten sich mit dem Rücken gegen die Bäume. Sie hatten alle ihre Waffen in der Nähe.

Die Gruppe jedoch, die Wildtöters Aufmerksamkeit am meisten erregte, war die der Weiber und Kinder. Sie lachten und schwatzten in ihrer verstohlenen und heimlichen Art. Eine Alte aber saß mit wachsamem, mürrischem Blick da, und Wildtöter schloß aus ihrer Stimmung, daß sie von einem der Häuptlinge irgendeinen unangenehmen Auftrag erhalten haben müsse. Er sah sich besorgt nach Wah um. Sie war nirgends zu sehen. Einige Male glaubte er, ihre Stimme zu erkennen, seine Ohren waren durch die sanften Töne, die den Indianerinnen eigentümlich und für ihr Wesen besonders kennzeichnend sind, getäuscht worden.

Die Alte sprach jetzt laut und zornig, und Wildtöter bemerkte bald darauf einige dunkle Gestalten im Hintergrund der Bäume. Zuerst zeigte sich ein junger Krieger, dann folgten zwei Mädchen, von denen Wildtöter die eine als die Verlobte des Delawaren erkannte. Der Jäger begriff jetzt alles. Wah wurde bewacht, vielleicht von ihrem jungen Gefährten, gewiß von der alten Frau. Der junge Mann bewarb sich wahrscheinlich um sie. Es war dem Mädchen offensichtlich nicht möglich gewesen, sich zu entfernen, um zur bestimmten Zeit an dem verabredeten Ort zu erscheinen. Wildtöter bemerkte ihre Unruhe daran, daß sie öfters zu den Wipfeln der Bäume hinaufblickte, als wollte sie nach dem Stern schauen. Von diesem deutlichen Zeichen ihrer Unruhe aber abgesehen, schlenderte Wah in scheinbarer Gleichgültigkeit umher; schließlich verließen ihre Begleiter sie und setzten sich zu den anderen Frauen.

Wildtöter ging jetzt mit sich zu Rate. Er war überzeugt, daß Chingachgook sich nicht überreden lassen werde, zur Arche zurückzufahren, ohne vorher irgendeinen verzweifelten Versuch zur Befreiung seiner Geliebten zu wagen. Einige Vorkehrungen im Lager ließen darauf schließen, daß sich die Indianerinnen bald zur Ruhe begeben würden. Wildtöter beschloß deshalb, zu seinem Freund zurückzurudern.

Er fand den Delawaren noch auf seinem Posten. Mit großer Erregung erzählte er seinem Freund, was er gesehen hatte. Daß Wah von einer alten Frau bewacht wurde, verriet, wie vorsichtig die Indianer geworden waren.

Die jungen Männer zogen jetzt kurz entschlossen das Kanu so ans Land, daß Wah-ta-Wah es sehen mußte, wenn sie vor ihrer Rückkehr hierherkommen sollte. Dann luden sie ihre Flinten, weil sie in den Wald eindringen wollten. Ungefähr in der Mitte zeigte die Landzunge eine mäßige Erhebung und wurde so in eine nördliche und eine südliche Hälfte geteilt. Auf der Südseite hatten die Mingos ihr Lagerfeuer brennen, um es vor ihren Feinden zu verbergen, da sie diese noch in der Wasserburg vermuteten, die in nördlicher Richtung lag. Auch ergoß sich nahe ihrem Lager ein Bach in den See, so daß sie an Trinkwasser keinen Mangel hatten.

Die kleine Erhöhung hinter dem indianischen Lager begünstigte die heimliche Annäherung der beiden Abenteurer. Wildtöter drang nicht unmittelbar neben dem Kanu ins Ufergebüsch, sondern folgte der Bucht nach Norden, bis er fast an der gegenüberliegenden Seite der Landzunge, also ganz im Schutz der Anhöhe, war. Sobald die beiden Freunde aus den Büschen traten, blieben sie stehen. Das Feuer warf sein Licht in die Wipfel der Bäume. Nun schlichen die zwei jungen Männer vorsichtig auf die Anhöhe, und zwar Wildtöter vor dem Delawaren, damit dieser zu keiner Unbesonnenheit verleitet würde.

Sie hatten bald jene Stelle erreicht, wo der gefährlichste Teil ihres Unternehmens begann. Der Jäger bewegte sich mit außerordentlicher Vorsicht und nahm seine Flinte so in den Arm, daß der Lauf nicht sichtbar wurde und er trotzdem die Waffe in der Not sofort gebrauchen konnte. So schlich er langsam vor, bis er hoch genug stand, um über die Anhöhe sehen zu können. Chingachgook trat jetzt an seine Seite, und beide verharrten, um das Lager genau zu beobachten. Um sich jedoch den Rücken bei einem Angriff von hinten zu decken, lehnten sie sich gegen den Stamm einer Eiche.

Auf Baumstämmen rund um das hellodernde Feuer saßen dreizehn Krieger. Sie sprachen sehr lebhaft, allem Anschein nach über die Schachfigur, denn diese ging von Hand zu Hand. Die Indianerinnen waren noch versammelt, und zwar ungefähr so, wie sie Wildtöter vom See aus gesehen hatte. Die Entfernung von den Kriegern bis zur Eiche betrug ungefähr vierzig Schritt. Die Frauen dagegen waren etwa nur noch halb so weit entfernt. Da sich jedoch die Indianerinnen in ihren leisen, sanften Tönen unterhielten, war es den beiden Lauschenden doch unmöglich, einzelnes von ihrem Gespräch zu verstehen.

Wildtöter spürte das Zittern des Freundes und legte ihm mahnend eine Hand auf die Schulter. Beide hörten gespannt den Reden zu, aus denen der Häuptling bald die Stimme Wah-ta-Wahs herauskannte. Er veranlaßte plötzlich seinen Freund, sich niederzubeugen, so daß sie ganz im Schatten waren. Dann machte er ein Geräusch, das so sehr dem zirpenden Geschrei der kleinsten Art des amerikanischen Eichhörnchens glich, daß selbst Wildtöter glaubte, das Geschrei rühre von einem dieser Tiere her. Der Ton war in den Wäldern so bekannt, daß ihn niemand unter den Mingos beachtete. Wah jedoch hörte plötzlich zu sprechen auf und saß bewegungslos da. So groß war ihre Selbstbeherrschung, daß sie sich nicht einmal umsah. Sie hatte das Zeichen vernommen, mit dem ihr Geliebter sie so oft vom Wigwam zu einer geheimen Zusammenkunft gerufen hatte.

Chingachgook war nun überzeugt, daß ihr seine Gegenwart bekannt sei. Dadurch hatte er schon viel erreicht. Er zweifelte nicht, daß Wah ihm bei dem Versuch, sie zu befreien, nach besten Kräften helfen würde. Wildtöter richtete sich wieder auf, als der Schrei verklungen war. Er bemerkte die Veränderung im Wesen und Benehmen des Mädchens, das sich nur noch oberflächlich an dem Gespräch beteiligte. Nach längerer Zeit erst wagte sie, ihr Gesicht der Richtung zuzuwenden, aus der der Laut des Eichhörnchens gekommen war. Ihre Bewegungen waren natürlich, aber behutsam. Sie dehnte die Arme und gähnte, als ob sie sehr schläfrig wäre. Wieder vernahm sie das Eichhörnchengeschrei und wußte nun, wo ihr Geliebter war. Es wurde Zeit für sie, zu handeln.

Ihre Schlafstätte war in einer kleinen Hütte, die ganz in der Nähe lag. Befand sie sich aber einmal in der Hütte, vor deren Öffnung ihre ständige Begleiterin, die runzlige Alte, die nachts nur wenig und leicht schlief, zu liegen pflegte, war ihre Flucht so gut wie vereitelt.

Glücklicherweise rief gerade jetzt ein Krieger die Alte und wollte Wasser zum Trinken haben. Sie nahm sofort eine Kürbisflasche, rief Wah und ging auf die Anhöhe zu. Die beiden Männer sahen alles und traten in das Dunkel zurück. Die Alte hielt Wah fest an der Hand. Als sie an dem Baum vorbeikamen, hinter dem Chingachgook und sein Freund standen, griff der Indianer nach seinem Tomahawk, um das Weib niederzuschlagen. Wildtöter erkannte jedoch die Gefährlichkeit dieses Streiches, denn ein einziger Schrei konnte alle Krieger herbeiziehen. Er verhinderte deshalb den Hieb.

Als die beiden vorüber waren, wiederholte Chingachgook das Eichhörnchengeschrei. Die Alte blieb stehen und sah auf den Baum. In diesem Augenblick war sie nur sechs Fuß von ihren Feinden entfernt. Sie wunderte sich, daß ein Eichhörnchen so spät in der Nacht noch in Bewegung sei, und sagte, daß dies nichts Gutes bedeute. Dann gingen die beiden Frauen zur Quelle weiter, während die jungen Männer verstohlen folgten.

Das alte Weib hatte die Kürbisflasche gefüllt und wollte schon zurückkehren, als sie plötzlich so heftig an der Kehle gepackt wurde, daß sie ihre Gefangene losließ und nur einen gurgelnden Laut hervorbringen konnte. Chingachgook ergriff die Hand seiner Geliebten und lief mit ihr durch die Büsche auf die nördliche Seite der Landzunge. Dort rannten sie längs dem Ufer weiter bis zum Kanu.

Wildtöter hielt die Alte fest an der Kehle und ließ sie nur dann und wann Atem holen. Es gelang ihr jedoch, zu schreien und ihre Leute im Lager aufmerksam zu machen. Wildtöter hörte deutlich einige Krieger näher kommen, und im nächsten Augenblick erschienen drei oder vier oben auf der Anhöhe. Sie nahmen sich gegen den hellen Hintergrund wie die dunklen Figuren eines Schattenspiels aus. Nun war es für den Jäger höchste Zeit, sich zurückzuziehen. Er schleuderte seine Gefangene heftig zu Boden und verschwand schnell im dichten Unterholz.

Einen Augenblick später erreichte er das Ufer und stieß auf Chingachgook, der mit Wah schon im Kanu stand. Wildtöter reichte schnell seine Flinte hinüber und beugte sich vor, um das Boot vom Ufer zu stoßen. Fast im gleichen Augenblick aber sprang ein riesenhafter Indianer wie ein Panther auf seinen Rücken. Alles hing jetzt an einem Haar, ein einziger falscher Schritt hätte alles vereitelt. Wildtöter sammelte seine ganzen Kräfte zu einer verzweifelten Anstrengung, stieß das Kanu plötzlich weit in den See und fiel selbst mit dem Gesicht nach vorn ins Wasser. Sein Gegner mußte ihm natürlich folgen.

Obgleich das Wasser einige Schritte weiter sehr tief war, reichte es doch dicht am Ufer den Kämpfenden nur bis an die Brust. Wildtöters Hände waren frei, und der Wilde sah sich genötigt, ihn loszulassen, um sein eigenes Gesicht über dem Wasser zu halten. Eine halbe Minute lang kämpften sie verzweifelt. Dann standen beide aufrecht und hielten einander an den Armen fest. Jetzt aber sprangen ein halbes Dutzend Indianer in das Wasser, um ihrem Freund beizustehen. Wildtöter mußte sich gefangengeben.

8

Triumphierend schleppten die Mingos den Gefangenen zum Lagerfeuer. Sie hatten glücklicherweise das Kanu nicht bemerkt, obgleich es dem Ufer noch nahe war. Wildtöters Gegner fand erst nach einiger Zeit Atem und Gedächtnis wieder, denn er war von dem Jäger fast bis zum Ersticken gewürgt worden. Und als er nun erzählte, wie das Mädchen entfloh, war es zu spät, die Flüchtlinge noch zu verfolgen. Sobald nämlich Wildtöter im Gebüsch verschwunden war, hatte sich Chingachgook mit dem leichten Kanu entfernt und war zunächst der Mitte des Sees und dann erst, außer Schußweite, der Arche zugesteuert.

Als Wildtöter am Feuer ankam, fand er sich von nicht weniger als acht Wilden, unter denen auch sein alter Bekannter Rivenoak war, umgeben. Sobald der Häuptling dem Gefangenen ins Gesicht gesehen hatte, sprach er schnell mit seinen Gefährten, die einen leisen Ausruf des Vergnügens ausstießen. Sie wußten jetzt, daß sich der Besieger ihres Freundes, der am gegenüberliegenden Ufer des Sees getötet worden war, in ihren Händen befand, ihrer Gnade oder Rache ausgeliefert. Aus den wilden Blicken, die sie auf den Gefangenen warfen, sprach doch auch Bewunderung, die seiner Kaltblütigkeit und seinen früheren Taten galt.

Die Arme Wildtöters waren nicht gefesselt. Sobald man ihm sein Messer genommen hatte, ließ man seine Hände frei. Die einzige Vorsichtsmaßnahme waren eine unermüdliche Wachsamkeit und ein starkes Seil aus Baumrinden, das von einem seiner Fußknöchel zum andern ging. Dieses Seil hinderte ihn zwar nicht am Gehen, machte jedoch eine Flucht unmöglich. Ein derartiges Verhalten war eine Anerkennung seiner Kühnheit, und sie schmeichelte ihm auch ein wenig. Er hatte vermutet, daß man ihn binden würde, wenn die Krieger schliefen. Aber im Augenblick der Gefangenschaft gebunden zu werden bewies, daß er bereits einen guten Ruf hatte. Die Rothäute, die von den Bewegungen der Arche nichts wußten, schrieben die Auffindung ihres neuen Lagers der Wachsamkeit dieses schlauen Feindes zu. Die Art, wie er sich auf die Landzunge gewagt hatte, die Entführung Wah-ta-Wahs, die Selbstaufopferung des Gefangenen und die Schnelligkeit, mit der er das Kanu vom Ufer stieß, alles dies begründete seinen wachsenden Ruhm. Man gestattete ihm, sich auf das Ende eines Baumstammes an das Feuer zu setzen, um seine Kleider zu trocknen. Der Krieger, der noch vor kurzem sein Gegner gewesen war, stand neben ihm. Auch er trocknete seine Kleider an der Glut, während er hie und da nach seiner Kehle griff. Die anderen berieten in der Nähe.

Nach einer Weile trat die alte Frau, die »Bärin« genannt wurde, mit geballten Fäusten und funkelnden Augen auf Wildtöter zu. Bisher hatte sie geschrien, ausdauernd und erfolgreich, und da es ihr wirklich gelungen war, alle im Lager in Aufregung zu bringen, wandte sie jetzt ihre Aufmerksamkeit dem Gefangenen zu. Sie schüttelte ihre Fäuste vor seinem Gesicht und schrie: »Hund, Stinktier, Marder, Igel, Schwein, Ferkel, Kröte, Spinne, Engländer —«

Wildtöter blieb gleichgültig. Die Zunge eines alten Weibes konnte einen Krieger nie verletzen, das wußte er. Durch das Dazwischentreten Rivenoaks, der die Alte beiseite schob, wurde er aber vor weiteren Beschimpfungen bewahrt. Rivenoak setzte sich neben seinen Gefangenen.

»Mein weißer Freund ist sehr willkommen«, sagte er mit einem vertraulichen Kopfnicken und einem verstohlenen Lächeln. »Die Mingos unterhalten ein starkes Feuer, um die Kleider des weißen Mannes daran zu trocknen.«

»Ich danke dir, Mingo!« erwiderte der Jäger. »Ich danke für dein Willkommen, und ich danke dir für das Feuer. Beides ist gut in seiner Art, das letztere besonders, wenn man aus dem kalten Wasser kommt.«

»Falkenauge ist kein Weib«, sagte Rivenoak jetzt. »Weshalb lebt er bei den Delawaren?«

»Ich verstehe dich nicht, Mingo! Die Vorsehung führte mich sehr jung zu den Delawaren, und ich hoffe, mit ihrem Stamm zu leben, bis ich sterbe. Ich will aber auf meine angeborenen Rechte nicht ganz verzichten, sondern mich bemühen, die Pflicht eines weißen Mannes in der Gemeinschaft der Rothäute zu erfüllen.«

»Gut, ein Irokese ist eine Rothaut so gut wie ein Delaware. Falkenauge hat mehr von einem Mingo als von einem Weib.«

»Ich glaube, Mingo, daß du deine eigene Meinung verstehst; wenn nicht, so wird sie dem Satan wohlbekannt sein. Willst du etwas von mir, so sprich deutlicher, denn kein Handel kann mit geschlossenen Augen oder mit gebundener Zunge abgeschlossen werden.«

»Gut, Falkenauge hat keine gespaltene Zunge und sagt immer gern, was er denkt. Er ist ein Bekannter der Moschusratte« — dies war der Name, mit dem alle Indianer Tom Hutter bezeichneten —, »er hat zwar in seinem Wigwam gelebt, aber er ist nicht sein Freund. Er will keine Skalpe wie ein Indianer, sondern kämpft wie ein kühner weißer Mann. Die Moschusratte ist weder weiß noch rot, weder Vogel noch Fisch. Sie ist eine Wasserschlange, bisweilen im See und bisweilen auf dem Land. Sie jagt nach Skalpen wie ein von den weißen Männern Ausgestoßener. Falkenauge kann zurückkehren und ihr erzählen, daß er die Irokesen überlistet hat und entflohen ist. Wenn dann ihre Augen in einem Nebel sind, wenn sie nicht so weit sehen kann wie von ihrem Haus im See bis zu den Wäldern, dann kann Falkenauge die Tür für die Mingos öffnen. Und wie wird dann die Beute geteilt werden? Nun, Falkenauge wird das meiste behalten, und die Mingos werden nehmen, was er ihnen zurücklassen will. Die Skalpe können nach Kanada geschickt werden, denn einem weißen Mann gereichen sie nicht zur Ehre.«

»Gut, Rivenoak, das ist deutlich genug. Ich verstehe jetzt alles, was du meinst, und muß gestehen, daß es selbst die Teufeleien der Mingos übertrifft. Es wird ohne Zweifel leicht sein, zurückzukehren und der Moschusratte zu sagen, ich wäre euch entwischt.«

»Gut, das wünsche ich, möge es Falkenauge tun.«

»Ja. Ich verstehe, was du verlangst. Wenn ich im Haus des Alten bin und sein Brot esse und mit seinen hübschen Töchtern lache und scherze, so soll ich seine Augen in einen so dichten Nebel hüllen, daß er selbst die Tür seiner Kajüte nicht sehen kann, viel weniger das Land.«

»Gut! Falkenauge sollte als Mingo geboren worden sein. Sein Blut ist kaum halb weiß.«

»Da irrst du dich, Irokese. Da irrst du dich so sehr, als würdest du einen Wolf mit einer Pantherkatze verwechseln. Ich bin ein weißer Mann meinem Herzen, meiner Natur und meinen Fähigkeiten nach. Wenn aber die Augen des alten Hutter in dichten Nebel gehüllt sind und seine hübschen Töchter vielleicht in tiefem Schlaf liegen und Harry Hurry, die Große Tanne, wie ihr Indianer ihn nennt, von seinen Abenteuern gegen die Irokesen träumt, und wenn alle glauben, Falkenauge sei ein treuer Wächter, so habe ich nichts zu tun, als irgendwo eine Fackel aufzustellen, die Tür zu öffnen und die Mingos einzulassen, damit sie ihre Feinde umbringen.«

»Mein Bruder irrt sich gewiß. Er kann kein weißer Mann sein. Er ist würdig, ein großer Häuptling unter den Mingos zu sein.«

»Ja, das könnte wahr sein. Jetzt aber höre einige aufrichtige Worte, Mingo, aus dem Mund eines ehrlichen Mannes. Ich bin als Christ geboren und kann mich zu solcher Niedertracht nicht entschließen. Kriegslisten sind zu rechtfertigen, aber Täuschung und Verrat unter Freunden werden nur von den Teufeln unter den weißen Männern begangen. Kein rechtschaffener weißer Mann kann tun, was du vorschlägst und meiner Ansicht nach ein Delaware auch nicht. Mit einem Mingo kann es freilich anders sein.«

Der Mingo hörte diese Weigerung mit großem Widerwillen an, aber er war zu schlau, sein Ziel schon jetzt aufzugeben. Er zwang sich ein Lächeln ab, schien aufmerksam zuzuhören und dachte dann über das Gehörte nach. Schließlich sagte er:

»Mein Freund ist hierhergekommen, Weil ihn ein Mädchen an einem kleinen Band festhält, das der kräftigste Krieger nicht zerreißen kann.«

»Du bist jetzt der Wahrheit nah, Mingo. Aber das eine Ende dieses Bandes war nicht an meinem Herzen, sondern am Herzen eines großen Delawaren befestigt, eigentlich eines Mohikaners, der aber jetzt unter den Delawaren lebt. Er heißt Chingachgook und wurde durch das Band hierhergezogen, und ich bin ihm gefolgt, oder ich kam vielmehr schon früher an, durch nichts Stärkeres gezogen als durch die Freundschaft.«

»Ich verstehe, was du meinst, mein Bruder«, erwiderte der Indianer in ernstem Ton, als er so zum erstenmal Aufschluß über die Ereignisse des Abends erhielt; »da die Große Schlange am stärksten ist, so zog sie auch am stärksten, und Wah war gezwungen, uns zu verlassen.«

»Ich glaube nicht, daß sie dazu gezwungen werden mußte«, antwortete Wildtöter, indem er auf seine geräuschlose Art so herzlich lachte, als sei er kein Gefangener und als stünden ihm nicht vielleicht Martern und der Tod bevor, »nein, ich glaube nicht, daß es nötig war, sie zur Flucht zu zwingen. Er liebt das Mädchen, und das Mädchen liebt ihn, und es geht selbst über Mingolist, zwei junge Leute voneinander fernzuhalten, die ein so starkes Gefühl aneinanderbindet.«

Rivenoak sah mürrisch aus. Er verließ bald den Gefangenen und trat zu den Kriegern, denen er das Wesentliche von dem Gespräch mitteilte.

Der junge Indianer, den Wildtöter mit Wah-ta-Wah und einem anderen jungen Mädchen gesehen hatte, weilte schon die ganze Zeit über von seinen Freunden entfernt in der Nähe der jüngeren Frauen, die sich leise über die Flucht unterhielten. Eines von den Mädchen lachte über die mürrische Miene des jungen Mannes, dem die Schöne davongelaufen war. Der junge Indianer wandte sich ab und ging auf Wildtöter zu.

»Das ist Pantherkatze!« fing er an, indem er sich mit der Hand auf die nackte Brust schlug.

»Dies ist Falkenauge!« erwiderte ruhig Wildtöter, indem er sich endgültig diesen Namen gab. »Mein Auge ist scharf — kann die Pantherkatze weit springen?«

»Von hier bis zu den Dörfern der Delawaren. Falkenauge hat mein Weib gestohlen, er muß sie zurückbringen, oder sein Skalp wird auf einer Stange hängen und in meinem Wigwam trocknen!«

»Falkenauge hat nichts gestohlen, Mingo. Er ist kein Dieb. Dein Weib, wie du Wah-ta-Wah nennst, wird nie das Weib einer Rothaut aus Kanada sein, ihr Geist ist im Herzen eines Delawaren, und ihr Körper hat ihn jetzt gefunden. Die Pantherkatze ist schnell, wie ich weiß, aber sie wird die Wünsche eines Weibes nicht einholen.«

»Die Schlange der Delawaren ist ein Hund, sie ist eine Kröte, die sich im Wasser hält, sie scheut sich, an das Land zu kommen, weil sie einem tapferen Indianer zu begegnen fürchtet.«

»Das sind Lügen, Mingo! Denn erst vor einer Stunde stand der Delaware nur fünfzig Schritt von dir entfernt und würde die Dicke und die Zähigkeit deiner Haut mit einer Flintenkugel geprüft haben, wenn ich ihm nicht Vorsicht empfohlen hätte. Du kannst mit deinen hochmütigen Redensarten vielleicht Mädchen täuschen, aber die Ohren eines Mannes können Wahrheit von Lüge unterscheiden.«

»Wah lacht über ihn! Sie weiß, daß er lahm ist und ein ungeschickter Jäger und daß er noch nie auf dem Kriegspfad war. Sie wird einen Mann heiraten und nicht einen Narren!«

»Wie kannst du das wissen, Pantherkatze?« erwiderte Wildtöter lachend. »Sie ist geflüchtet, und vielleicht zieht sie eine Kröte der Katze vor. Befolge meinen Rat, Pantherkatze, und such dir ein Weib unter den jungen Mädchen der Mingos, denn unter den Delawarinnen wirst du nie eine finden, die dir gutwillig folgt.«

Der junge Krieger griff nach seinem Tomahawk. Krampfhaft umschlossen die Finger den Griff. In diesem Augenblick näherte sich Rivenoak und deutete dem jungen Mann, sich zu entfernen.

»Mein weißer Bruder hat recht«, begann Rivenoak nach längerem Schweigen. »Er ist nicht wie viele Indianer und könnte weder seinen großen Gott noch seine Farbe vergessen. Die Mingos wissen, daß sie einen berühmten Krieger zum Gefangenen haben, und sie werden ihn auch so behandeln. Wenn er gemartert werden soll, werden seine Qualen derart sein, daß kein gewöhnlicher Mann sie ertragen könnte, und wenn er als Freund behandelt werden soll, so wird es die Freundschaft von Häuptlingen sein.«

Als Rivenoak dies aussprach, blickte er verstohlen auf das Gesicht Wildtöters. Wohl fühlte der junge Jäger bei dieser Androhung sein Blut erstarren, er zeigte aber eine gleichgültige Miene, so daß sein Feind kein Zeichen von Schwäche entdecken konnte.

»Gott hat mich in eure Hände gegeben, Mingo«, erwiderte er, »und ich weiß, daß ihr mich nach euren Bräuchen behandeln werdet. Ich will mich nicht rühmen, wie viele Qualen ich ertragen kann, denn ich wurde noch nie auf die Probe gestellt. Aber ich will mich bemühen, meinem Brudervolk, den tapferen Delawaren, keine Schande zu machen.«

»Wir werden uns davon überzeugen. Falkenauge hat ein gutes Gesicht, und er ist gelenkig und zäh …«

Rivenoak hielt inne, denn Hetty Hutter stand plötzlich ruhig neben dem Feuer, als ob sie zu dem Stamme gehöre. Rivenoak erkannte das Mädchen sofort, und er rief ein paar jüngere Krieger, damit sie die nächste Umgebung durchstreiften. Er fürchtete einen neuen Angriff. Dann winkte er Hetty, näher zu treten.

»Ich hoffe, Hetty, dein Besuch ist ein Zeichen, daß Chingachgook und Wah in Sicherheit sind«, sagte Wildtöter. »Warum bist du gekommen?«

»Judith bat mich darum, Wildtöter«, antwortete Hetty. »Sie ruderte mich selbst in einem Kanu an das Ufer. Judith verlangte von mir, ich solle die Indianer überreden, noch mehr Elefanten anzunehmen und dich freizulassen, aber ich habe die Bibel mitgebracht. Die wird mehr ausrichten.«

»Und dein Vater, Hetty, und Hurry, wußten sie etwas von deinem Auftrag?«

»Nein. Beide schliefen noch, und Judith und der Delaware hielten es für ratsam, sie nicht zu wecken. Judith wollte mir keine Ruhe lassen, bis ich hierherkäme, um zu sehen, wie es dir geht.«

»Das ist merkwürdig. Weshalb ist sie so besorgt um mein Schicksal? Sie fürchtet wohl, Hurry würde dem Feind wieder in die Hände fallen, wenn er versuchte, mich zu retten.«

»Judith kann Hurry nicht leiden«, erwiderte Hetty unschuldig, aber bestimmt.

Wildtöter antwortete nicht darauf. Er sah sich vorsichtig um. »Ich merke, was diese Strolche mit dir beabsichtigen«, flüsterte er Hetty eindringlich zu. »Rivenoak spricht dort mit den jungen Männern. Sie erhalten vermutlich den Auftrag, dich zu beobachten und ausfindig zu machen, wo das Kanu dich wieder aufnehmen soll. Es tut mir leid, daß Judith dich geschickt hat, denn ich vermute, sie wird dich wieder zurückholen wollen.«

»Alles ist schon verabredet, Wildtöter«, erwiderte das Mädchen leise und vertraulich. »Du kannst mir glauben, daß ich den klügsten von allen diesen Indianern überlisten werde. Ich werde zurückkehren, sobald mein Auftrag ausgeführt ist.«

»Ach, Hetty, ich fürchte, das ist leichter gesagt als getan.«

»Was soll ich aber Judith von dir sagen, Wildtöter? Ich weiß, daß sie mich wieder zurückschicken wird, wenn ich ihr nicht die Wahrheit über dich berichten kann.«

»Dann sage ihr die Wahrheit. Sage ihr, daß ich in den Händen der Indianer bin und daß sie mich martern werden. Sie versuchten mich schon zu verleiten, daß ich deinen Vater und alle in der Arche verraten möchte. Judith soll aber meinetwegen unbesorgt sein. Ich hoffe, es wird mir gelingen, die Martern beherrscht zu ertragen. Sollte ich aber doch durch Jammern und Klagen und selbst durch Tränen beweisen, daß ich ein weißer Mann bin, nie werde ich aber meine Freunde verraten.«

Hetty hörte aufmerksam zu, und ihre milden, ausdrucksvollen Züge verrieten lebhaftes Mitleid mit Wildtöter. Sie nahm seine Hand und sagte, sie wolle ihm ihre Bibel leihen und er möge darin lesen, wenn die Wilden ihn marterten. Als der junge Mann ehrlich eingestand, daß er nicht lesen könne, erbot sie sich, bei ihm zu bleiben und diese heilige Pflicht zu erfüllen.

Der Jäger lehnte das Anerbieten freundlich ab, und da Rivenoak sich ihnen wieder näherte, bat Wildtöter das Mädchen, ihn zu verlassen. Hetty entfernte sich jetzt und näherte sich der Gruppe der Indianerinnen mit soviel Zutrauen und Unbefangenheit, als sei sie eine der ihren.

9

Mitten in der Nacht, als das ganze Lager, ausgenommen die Wachen, schlief, erwachte Hetty plötzlich und verließ ihre aus Reisern bestehende Liegestätte. Sie ging unbefangen zu dem noch glimmenden Feuer, das sie anschürte, denn ihr war kalt. Als das Feuer wieder stärker emporflammte, beleuchtete es das düstere Gesicht eines wachenden Irokesen, dessen Augen wie die eines Panthers funkelten. Hetty empfand aber keine Furcht, sondern näherte sich ihm unbefangen. Ihre Bewegungen waren so natürlich, daß er glaubte, sie sei nur wegen der Kühle der Nacht aufgestanden. Hetty sprach mit ihm, aber er verstand kein Englisch. Sie blickte dann fast eine Minute auf den schlafenden Gefangenen und entfernte sich langsam mit trauriger und schwermütiger Miene. Das Mädchen bemühte sich nicht, leise zu gehen; doch ihr Schritt war leicht und kaum hörbar. Als sie die Richtung zur Spitze der Landzunge einschlug, sah der Indianer ihre zarte Gestalt allmählich in der Dunkelheit verschwinden, ohne den geringsten Verdacht zu schöpfen. Er wußte, daß noch zwei weitere Wachen am Ufer umherstreiften, und glaubte nicht, daß ein junges Mädchen, das zweimal freiwillig ins Lager gekommen war, fliehen würde.

Hetty kannte die Umgebung nicht genau, aber sie fand trotzdem ihren Weg zur Bucht. Als sie dem Ufer in nördlicher Richtung folgte, begegnete sie bald dem Indianer, der hier auf und ab schritt. Der junge Mingo zeigte sich befremdet, als er sah, wem er begegnet war, denn er erwartete seine Auserwählte, die versprochen hatte, die Langeweile seiner mitternächtlichen Wache zu vertreiben. Es schien ihn nicht zu überraschen, daß das Mädchen zu dieser Stunde aufgestanden war, denn in einem indianischen Lager ist der Schlaf so unregelmäßig, wie es die Mahlzeiten sind. Verdrießlich winkte er daher dem Mädchen, weiterzugeben. Hetty schritt langsam ihren Weg entlang und sprach laut vor sich hin.

Als sie schließlich an die Stelle gelangte, wo die Kanus ans Ufer gekommen waren, konnte sie der Indianer wegen der Büsche nicht mehr sehen. Das Geräusch eines anderen Fußtrittes hatte ihn zudem umkehren lassen. »Hier bin ich, Judith«, sagte Hetty unbefangen in die Dunkelheit hinein, »und es ist niemand bei mir. Der Mingo ist seiner Liebsten entgegengegangen.«

Sie wurde durch ein »Pst!« unterbrochen, das vom Wasser herkam, und bemerkte die undeutlichen Umrisse eines Kanus, das sich geräuschlos näherte und bald ans Ufer stieß. Sobald Hetty in das kleine Fahrzeug gestiegen war, entfernte es sich bis auf etwa hundertfünfzig Schritt vom Ufer. Dann machte es einen weiten Bogen, um aus dem Bereich des Lagers zu kommen. und schlug die Richtung zur Arche ein. Mehrere Minuten lang wurde nicht gesprochen. Endlich begann Hetty:

»Ich glaube, die Indianer wissen nicht, daß ich sie verlassen habe, Judith.«

»Wahrscheinlich nicht, denn ein Verliebter ist keine gute Wache. Sag mir, Hetty, hast du Wildtöter gesehen und mit ihm gesprochen?«

»O ja, er saß mit gebundenen Beinen am Feuer«, erwiderte Hetty, die nun ausführlich erzählte, was sie im Lager erlebt und gesehen hatte.

Judith fragte immer wieder ungeduldig. Als sie alles Wesentliche wußte, ruderte sie das Kanu der Stelle zu, wo sie die Fähre verlassen hatten. Die Dunkelheit der Nacht und die tiefen Schatten, die die Hügel und Wälder auf das Wasser warfen, machten es schwer, das Fahrzeug zu finden. Sie ruderten das kleine Boot schnell über den See, doch es war keine Arche zu entdecken. Mehrere Male glaubten die Schwestern, sie wie einen niedrigen dunklen Felsen auf den Wellen zu sehen, doch sie täuschten sich immer wieder.

Nachdem die Mädchen eine halbe Stunde lang vergebens nach der Arche gesucht hatten, waren sie überzeugt, daß sie nicht mehr in dieser Gegend ankerte. Sie fürchteten sich zwar nicht, waren aber doch recht bestürzt.

»Vielleicht glaubte der Vater, wir schliefen in unserer Kammer, Judith, und er hat mit der Arche nach Hause fahren wollen. Du weißt, daß wir schon oft in der Nacht dorthin zurückgekehrt sind.«

»Das ist wahr, Hetty. Es wird so sein, wir haben jetzt etwas mehr Südwind als vorhin, und sie werden —«

Judith hielt inne, denn in diesem Augenblick durchfuhr ein Blitz die Dunkelheit der Nacht, und ein Flintenschuß zerriß die Stille. Eine Sekunde später hörte man den gellenden Schrei einer Frau. Das nun folgende peinigende Schweigen war fast noch unheimlicher als die plötzliche Unterbrechung der tiefen, mitternächtlichen Ruhe. So kühn und entschieden Judith von Natur aus war, in diesem Augenblick vermochte sie kaum zu atmen, und Hetty verbarg ihr Gesicht und zitterte heftig.

»Das war ein Schrei der Todesangst«, sagte Judith schließlich. »Wenn die Arche sich entfernt hat, so kann sie sich mit diesem Wind nur nach Norden bewegt haben, der Schuß und der Schrei kamen aber von der Landspitze. Sollte Wah ein Unglück widerfahren sein?«

»Laß uns schnell hinrudern, sie braucht vielleicht unsere Hilfe.«

Es war keine Zeit zu verlieren, und die beiden Schwestern griffen sogleich zu den Rudern. Judith bemerkte einen Lichtschimmer zwischen dem Ufergebüsch und lenkte das Kanu ohne jede Vorsicht darauf zu. Ziemlich nah am Ufer hielten sie an, da sie Indianerstimmen hörten. Sämtliche Bewohner des Lagers waren dort versammelt, und sechs oder acht Krieger trugen Kienholzfackeln, die ein helles Licht unter den Bäumen verbreiteten. Eine junge Indianerin lehnte mit dem Rücken an einem Baum. Beim Schein der Fackel, die ihr vor das Gesicht gehalten wurde, sahen die Mädchen, daß sie mit dem Tode rang. Scharfer Schießpulvergeruch hatte sich in der schweren, feuchten Nachtluft verbreitet. Es konnte kein Zweifel bestehen, daß die Indianerin angeschossen und schwer getroffen worden war.

Judith begriff sogleich den Zusammenhang. Die Flinte war entweder von einem Kanu in der Nähe des Ufers oder von der vorüberfahrenden Arche abgeschossen worden. Ein unvorsichtiger Ausruf des Mädchens, das seinem jungen Freund die Zeit der Wache vertrieb, hatte allem Anschein nach den Schuß veranlaßt. Der Körper der Getroffenen glitt jetzt steif zu Boden. Daraufhin wurden alle Fackeln bis auf eine ausgelöscht, und der Trauerzug, der die Leiche in das Lager trug, war in dem undeutlich schimmernden Lichte kaum zu unterscheiden.

Judith seufzte tief und schauderte. Das furchtbare Bild ging ihr nicht aus dem Sinn. Zu alledem erschreckte sie plötzlich ein neuer Gedanke: Würden die Indianer diese hinterlistige Tat nicht an Wildtöter rächen? Angst schnürte ihr das Herz zusammen. Armer Wildtöter! Wenn sie ihm nur helfen könnte — sie mußte ihn retten!

Im Augenblick aber blieb nichts zu tun. Sobald der Tag anbrach, würden sie die Arche suchen. Beide Mädchen waren furchtbar müde. Sie ruderten schweigend der Seemitte zu, ließen das Kanu nach Norden treiben und streckten sich dann flach auf dem Boden aus; sie wollten versuchen, ein wenig auszuruhen, so gut dies eben unter den gegebenen Umständen möglich war …

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Hutter und Harry waren nach mehrstündigem Schlaf erwacht, wenige Minuten nachdem Judith zum zweitenmal die Arche verlassen hatte. Durch Chingachgook hörten sie von den Ereignissen der letzten Stunden.

Hutter war dem Bild, das Rivenoak von ihm entworfen hatte, vielleicht nicht so unähnlich. Alles Gefühl, dessen der alte Mann fähig war, gehörte den beiden Mädchen; und Hetty vielleicht mehr als Judith, denn sie war die Hilfsbedürftigere, Schwächere. Im übrigen war er eine abgebrühte Natur, rauh, gegen Wilde grausam und dem Gold ergeben. Es war nicht gerade Trauer, die er bei der Nachricht von Wildtöters Gefangennahme empfand, obgleich er wußte, wie sehr ihm dieser bei der Verteidigung des Wasserhauses fehlen würde. Die Verschiedenheit in ihren Lebensauffassungen hatte Wildtöter dem Herzen des alten Mannes nicht nähergebracht.

»Wildtöter hat sich sehr ungeschickt benommen. Es war jedenfalls sehr dumm von ihm, daß er sich jetzt unter die Wilden wagte und ihnen in die Hände lief wie ein Bär, der in eine Wolfsgrube fällt«, bemerkte er nach einer Weile. »Wenn er diese Torheit nun mit seinem Blut bezahlen muß, so kann er deswegen niemandem Vorwürfe machen.«

»Das ist der Lauf der Welt, alter Tom«, erwiderte Hurry, »jeder muß seine eigenen Schulden bezahlen und für seine eigenen Sünden büßen.«

Es war auch hier die Ungleichheit der Charaktere und Lebensansichten, die zwischen Wildtöter und Hurry Harry keine Freundschaft aufkommen ließ. Die rauhen Sitten des Grenzerlebens hatten edlere Gefühle in Hurry, wie etwa Achtung vor dem Leben eines Wilden, fast zur Gänze verkümmern lassen. In dieser Stunde war er noch dazu krank vor Eifersucht. Denn er liebte Judith, und nur ein gewisser Respekt vor ihrer übergroßen Schönheit hatte ihn bisher davor zurückgehalten, ihr einen Heiratsantrag zu machen.

»Du sollst die Sache nicht so ruhig mit ansehen, Schwimmender Tom«, rief er wütend. »Wir beide waren Gefangene, und doch tat Judith nicht das geringste, um uns zu befreien. Sie ist von diesem schlanken Wildtöter einfach verhext worden. Ich bin nicht der Mann, der sich so etwas ruhig gefallen läßt. Wir wollen die Fähre näher an die Landspitze rudern und sehen, was es dort gibt.«

Hutter hatte nichts dagegen einzuwenden, obgleich er sich seiner Töchter wegen keine allzugroßen Sorgen machte. Er rechnete auf die Schlauheit der älteren und auf die Rücksicht, mit der die jüngere bisher von den Wilden behandelt worden war. Der Wind drehte sich nach Norden, und das Segel trieb die Fähre bald den See so weit hinauf und der Landspitze zu, daß die dunklen Umrisse der Bäume sichtbar wurden.

Das Fahrzeug war im Schatten der Küste kaum zu erkennen. Dennoch wurde sein Segel von dem Krieger, der am Ufer Wache hielt, bemerkt. In seiner Überraschung stieß er einen tiefen, heiseren Laut aus. Hurry griff schnell zu seiner Flinte und feuerte. Die Kugel, die der Zufall leitete, traf die Indianerin.

Ihr Todesschrei verkündete Hurry, daß er eine Frau getroffen hatte. Er war bestürzt über die Folge seiner unüberlegten Tat. Anfangs lachte er wohl, dann aber machte ihm sein Gewissen Vorwürfe. Schließlich stieß er den Kolben seiner Flinte in wildem Trotz auf den Boden.

Hutter war mit dem Vorgefallenen durchaus nicht einverstanden. Die Tat führte zu nichts, konnte aber leicht den Kampf blutiger als je machen. Er beherrschte jedoch seinen Zorn, weil die Gefangenschaft Wildtöters ihm die Hilfe und Unterstützung Hurrys doppelt wichtig machte. Chingachgook erhob sich, und für einen Augenblick vergaß er die Feindschaft der roten Stämme in einem aufbrausenden Gefühl des Hasses gegen die weißen Männer. Er gewann aber seine Fassung bald wieder. Wah jedoch verhielt sich nicht so. Furchtlos stand sie unerwartet an Hurrys Seite.

»Weshalb du schießen?« fragte sie. »Was Irokesenmädchen tun, daß du töten? Was du denken, Manitu sagen? Was Irokesen tun werden? Nicht Ehre haben, nicht Lager erobern, nicht Gefangene machen, nicht Skalpe nehmen, nichts, gar nichts! Blut macht Blut kommen! Wie du fühlen, wenn dein Weib töten? Wer dich trösten, wenn weinen über Mutter oder Schwester? Du groß wie große Tanne — Irokesenmädchen kleine, zarte Birke. Weshalb du sie stürzen zur Erde? Du glauben, Irokesen vergessen werden? Nein, Rothäute nie vergessen! Nie Freund vergessen, nie Feind vergessen, roter Mann Manitu im Herzen. Weshalb du so schlecht sein?«

Hurry war nie so gedemütigt worden, aber er entfernte sich mit einer Miene, als verschmähe er es, sich mit einem Weib auf Erörterungen eirizulassen.

Sogleich nach Hurrys Flintenschuß hatte sich die Arche rasch vom Ufer entfernt, und als die Fackeln unter den Bäumen erschienen, war sie schon mitten am See. Eine Stunde verging in düsterem Schweigen, und niemand schien geneigt, es zu unterbrechen. Wah hatte sich zur Ruhe begeben, und Chingachgook schlief jetzt im vorderen Teil der Fähre. Hutter und Hurry hielten Wache.

Sobald es Tag wurde und es hell genug war, um den See und besonders die Ufer zu übersehen, drehte Hutter die Spitze der Arche der Wasserburg zu, um sie wenigstens für den Tag als den günstigsten Ort für die Zusammenkunft mit seinen Töchtern in Besitz zu nehmen. Sie waren noch ungefähr eine Viertelstunde vom Kastell entfernt, als Chingachgook zu den beiden weißen Männern trat.

»Nicht gut, nach Kastell fahren«, sagte er ernst, »Irokesen dort!«

»Den Teufel auch! Wenn sich das bestätigen sollte, alter Tom, so hätten wir in eine Falle geraten können«, rief Hurry. »Irokesen dort! Gut, es mag wahr sein, aber ich kann bei der alten Hütte nichts sehen.«

Hutter ließ sich das Fernrohr geben und beobachtete die Wasserburg genau, fand aber nichts Auffälliges.

»Du hast wahrscheinlich das falsche Ende nach vorn gehalten, Delaware«, sagte Hurry lachend. »Weder der alte Mann noch ich können irgendeine Spur im See bemerken.«

»Keine Spur, Wasser keine Spur machen«, fiel Wah lebhaft ein. »Fähre anhalten — nicht zu nahe kommen, Mingos dort!« Und nach einer kleinen Pause fragte sie:

»Keinen Mokassin sehen?«

»Gib mir das Fernrohr, Harry«, unterbrach sie Hutter, »und laß das Segel nieder. Ein indianisches Frauenzimmer stellt selten eine Behauptung auf. Ich sehe allerdings, daß ein Mokassin gegen einen der Pfeiler angetrieben wird, und es kann ein Zeichen dafür sein, daß das Haus während unserer Abwesenheit besucht worden ist. Mokassins sind übrigens keine Seltenheiten.«

Hurry holte das Segel ein. Die Arche war jetzt nur etwa hundertfünfzig Schritt vom Gebäude entfernt und näherte sich ihm jeden Augenblick mehr, doch so langsam, daß ihr Kurs jederzeit gewendet werden konnte. Hutter und Hurry sahen jetzt abwechselnd durch das Fernrohr und unterwarfen das Kastell einer noch schärferen Beobachtung. Der Mokassin lag allerdings da und schwebte so leicht auf dem Wasser, daß er kaum naß geworden zu sein schien. Es ließ sich jedoch auf vielerlei Art erklären, wie er dorthin gekommen sein könnte, ohne daß man annehmen mußte, irgendein Feind habe das Haus besucht. Er konnte schließlich von irgendwoher den See hinauf- oder hinabgetrieben worden und nur ganz zufällig am Pfeiler hängengeblieben sein.

Wah erklärte sich jetzt bereit, mit einem Kanu nach den Palisaden zu fahren und den Mokassin zu holen. Man werde dann auf den Zieraten sehen, ob er aus Kanada käme. Die beiden weißen Männer waren einverstanden, aber der Delaware fürchtete Gefahr für seine Verlobte und winkte ihr kurz, aber bestimmt ab.

»Roten Mann hinfahren lassen, bessere Augen haben als weiße Männer — Irokesenschliche auch besser kennen«, sagte er und stieg schnell ins Kanu.

Wah-ta-Wah sah schweigend und besorgt ihrem Verlobten nach. Der Ernst und die Entschiedenheit des Indianers waren begründet. Wenn der Feind sich wirklich des Gebäudes bemächtigt hatte, so war Chingachgook seinen Schüssen ohne irgendeine Deckung ausgesetzt. Es ist kaum möglich, sich eine schwierigere Lage zu denken, und wäre sein Freund Wildtöter an seiner Stelle gewesen, würde er sich ihr vielleicht nicht ausgesetzt haben. Aber der Stolz eines Indianerhäuptlings, sich vor den weißen Männern auszuzeichnen, regte sich in ihm.

Er ruderte schnell auf die Palisaden zu, indem er die Fenster und Schießscharten des Gebäudes beobachtete. Jeden Augenblick erwartete er, irgendwo den Lauf einer Flinte zu sehen oder einen Schuß zu hören. Jedoch er erreichte wohlbehalten die Pfeiler, die ihm einen gewissen Schutz boten. Nun ruderte er langsam um das ganze Gebäude herum und beobachtete alles sehr genau. Totenstille lagerte ringsum, immer noch waren Türen und Fenster verschlossen, und nirgends konnte eine Veränderung wahrgenommen werden.

Der Delaware blieb einen Augenblick unentschlossen, was er zunächst beginnen solle. Einmal, als er an der Vorderseite des Gebäudes vorüberfuhr, wollte er schon auf die Plattform steigen und durch eine der Schießscharten sehen, aber er wußte zuviel von indianischen Kriegslisten. Er gab daher seine Absicht auf und setzte seine Fahrt um die Palisaden langsam und vorsichtig fort.

Als er sich dem Mokassin näherte, warf er ihn mit einer geschickten, fast unmerklichen Bewegung seines Ruders in das Kanu. Er war jetzt zur Rückkehr bereit, doch wußte er wohl, daß diese noch gefährlicher war als die Herfahrt, weil er die Schießscharten nicht mehr beobachten konnte. Wenn wirklich jemand im Kastell war, so war es ratsam, scheinbar unbesorgt zurückzufahren, so als wäre aller Verdacht durch die Untersuchung beseitigt worden. Der Indianer ruderte also zur Arche, ohne seine Bewegungen zu beschleunigen.

»Nun, Schlange«, sagte Hurry, als Chingachgook anlegte, »was gibt’s Neues von den Moschusratten, zeigten sie die Zähne, als du um das Kastell rudertest?«

»Mir nicht gefallen«, erwiderte der Delaware. »Zu still. So still, daß Stillschweigen sehen können.«

»Das ist ganz indianisch gesprochen. Wenn du nichts Besseres mitzuteilen hast als das, so kann der alte Tom seine Segel aufspannen und hinfahren. Was ist aus dem Mokassin geworden?«

»Hier!« versetzte Chingachgook, indem er seine Beute zur Ansicht emporhielt.

Man betrachtete den Mokassin genau, und Wah erklärte, nach der Art, in der die Borsten des Stachelschweines vorn geordnet seien, müsse er einem Mingo gehören. Hutter und auch der Delaware stimmten dieser Ansicht bei. Wenn man dies auch zugab, so folgte doch nicht unbedingt daraus, daß der Indianer, der ihn verloren hatte, im Haus sein müsse.

Hutter und Hurry waren nicht die Männer, die sich durch so wenige Beweise abschrecken ließen. Sie zogen das Segel wieder auf. Es wehte ein leichter Wind, und er trieb sie so langsam vorwärts, daß sie das Gebäude mit Muße beobachten konnten. Grabesstille schien darin zu herrschen. Die Sonne stand noch nicht über dem Horizont. Wälder und Wasser lagen noch in der Dämmerung. Die Fähre trieb langsam und geräuschlos auf das Haus zu und stieß schließlich an die Palisaden.

Hutter zog ein Kanu an die Spitze der Fähre und machte sich gleich daran, das Palisadentor zu öffnen, weil er das leichte Fahrzeug in den inneren Raum bringen wollte. Hurry sprang auf die Plattform, um mit seinem Mut zu prahlen. Dann begab er sich zu Hutter in das Kanu und half ihm das Tor öffnen. Chingachgook dagegen hatte sein Mißtrauen noch nicht verloren. Trotz gegenteiliger Anweisung Hutters ließ er das Segel unverändert aufgezogen und führte das Tau, das zur Befestigung der Arche diente, nur über die Spitze einer Palisade, damit die Arche ein wenig zurücktreiben konnte. Zugleich bildeten die Schanzpfähle, die vor der Arche lagen, eine Art Brustwehr. Der Delaware zeigte sich mit dieser Anordnung sehr zufrieden und glaubte, seine Stellung einige Zeit gegen eine Besatzung im Kastell verteidigen zu können.

Mit einem einzigen Stoß brachte Hutter das Kanu zur Falltür unter dem Kastell. Hier fand er alles noch so, wie er es verlassen hatte. Er öffnete mit den Schlüsseln, die er bei sich trug, die Schlösser und stieß dann die Falltür auf. Hurry steckte seinen Kopf in die Öffnung, die Arme folgten und die Beine wurden ohne Anstrengung nachgezogen.

»Komm mir nur nach, alter Tom!« rief er hinunter. »Deine Wohnung ist unversehrt und überdies so leer wie eine Nuß, die eine halbe Stunde in den Klauen eines Eichhörnchens gewesen ist. Komm, alter Bursche, steig herauf, wir wollen Türen und Fenster öffnen und frische Luft hereinlassen.«

Ein Augenblick der Stille folgte. Plötzlich hörte man ein Geräusch, wie es der Sturz eines schweren Körpers verursachte, darauf einen heftigen Fluch Hurrys, und nun schien mit einemmal das Gebäude lebendig zu werden. Mitunter hörte man auch den Schrei eines Indianers, aber er wirkte unterdrückt, als komme er aus gepreßter Kehle. Es war, als würden menschliche Körper fortwährend heftig zu Boden geworfen.

Chingachgook wußte im ersten Augenblick kaum, was er beginnen sollte. Alle Waffen waren in der Arche, denn Hutter und Hurry hatten ihre Flinten zurückgelassen, aber er konnte sie weder alle benutzen noch sie ihren Besitzern in die Hände spielen. Die Kämpfenden waren völlig abgesperrt.

Da der Delaware, der um Wah-ta-Wah besorgt war, keine Möglichkeit sah, den weißen Männern nützlich zu sein, durchschnitt er das Tau und ließ die Fähre mit einem kräftigen Stoß wohl zwanzig Fuß weit von den Pfeilern wegtreiben. Dann griff er zu den Rudern und vergrößerte die Entfernung noch um eine weitere Strecke.

Der wütende Lärm im Hause währte die ganze Zeit über fort. Plötzlich flog die Tür auf, und der Kampf tobte auf der Plattform weiter. Ein Mingo hatte die Tür gewaltsam gesprengt, und drei oder vier seiner Gefährten stürzten ihm anscheinend fliehend auf den engen Raum nach. Dann folgte der Körper eines anderen, der mit furchtbarer Gewalt, den Kopf nach vorn, durch die Tür geworfen wurde. Jetzt erschien Hurry wie ein wütender Löwe.

In der Tür verschnaufte er einen Augenblick. Dann fiel er die Indianer auf der Plattform wütend an. Den ihm zunächststehenden Mingo hob er hoch und schleuderte ihn in das Wasser, als sei er ein Kind.

»Hurra! Alter Tom!« schrie er. »Die Schurken sollen in den See. Ich werde sie bald schwimmen lassen!«

Mit diesen Worten stieß er einen zweiten Indianer, der sich am Rande der Plattform festhielt, ins Wasser. Einen dritten boxte er so heftig in den Magen, daß er sich wie ein getretener Wurm krümmte.

Schließlich standen ihm nur noch zwei kampffähige Gegner gegenüber. Einer von ihnen war nicht nur der größte und stärkste von den Mingos, sondern auch der erfahrenste. Dieser Mann kannte genau die gigantische Kraft seines Gegners. Auch war er für einen Wettkampf mit ihm am besten gerüstet, da er nur eine leichte Bedeckung um die Hüften trug. Hurry zögerte nicht, ihn anzugreifen, und der Kampf wurde schrecklich. Die Bewegungen der beiden wechselten so schnell, daß der andere noch kampffähige Wilde seinen Gefährten nicht unterstützen konnte und nur staunend, wie von einem Zauber gebannt, zusah. Er war ein unerfahrener Jüngling, und sein Blut erstarrte bei diesem erbitterten Kampf auf Leben und Tod.

Anfangs versuchte Hurry seinen Gegner niederzuwerfen, indem er ihn an der Kehle und am Arm packte, doch der Mingo, der einen besseren Halt an den Kleidern seines Feindes hatte, wußte ihm durch geschickte Bewegungen zu entschlüpfen. Beide preßten sich jetzt fest aneinander, und ihre Körper wechselten in so vielen Stellungen, daß der Blick ihnen kaum folgen konnte. Dieser Kampf dauerte aber kaum eine Minute, denn Hurry machte eine verzweifelte Anstrengung und schleuderte den Mingo mit aller Gewalt gegen die Baumstämme des Hauses, so daß er einen Augenblick die Besinnung verlor und vor Schmerzen aufstöhnte. Dennoch drang der Indianer wieder vor. Hurry faßte ihn jetzt um den Leib, hob ihn von der Plattform auf und fiel mit seinem eigenen schweren Gewicht auf den Körper seines Gegners, der dadurch so betäubt wurde, daß er ganz in Hurrys Macht war. Dieser preßte die Kehle seines Opfers mit der Gewalt eines Schraubstockes zusammen und drückte den Kopf des Mingo über den Rand der Plattform.

In diesem Augenblick wurde eine Bastschlinge um Hurrys Arme geworfen, und seine Ellbogen wurden auf seinem Rücken mit einer Gewalt zusammengeschnürt, der er nicht mehr widerstehen konnte …Eine Sekunde später waren seine Füße ebenso gefesselt, Harry wurde wie ein Reisigbündel nachlässig in die Mitte der Plattform gerollt.

Der Unglückliche hatte seine Gefangenschaft nur seiner blinden Wut zu danken, mit der er über seinen Gegner hergefallen war. Denn während er sich mit ihm beschäftigte, waren die beiden von ihm ins Wasser geschleuderten Indianer auf die stumpfen Spitzen der Pfeiler gestiegen und hatten sich von dort auf die Plattform hinaufgeschwungen. So hatte sich plötzlich das Spiel gewendet. Doch auch jetzt betrachteten die Indianer Hurry, der sich so wütend und von so furchtbarer Kraft gezeigt hatte, mit Achtung und nicht ohne Furcht.

Chingachgook und seine Verlobte hatten den ganzen Kampf von der Arche aus mit angesehen. Als die drei Irokesen die Schlingen um die Arme Hurrys legten, griff der Delaware zur Flinte, aber bevor er schießen konnte, war das Unglück schon geschehen. Ein Blick auf Wah, und der Gedanke an die Folgen einer Unvorsichtigkeit unterdrückten jeden weiteren Wunsch nach Rache. Er sah ein, wie gefährlich es für ihn und Wah sein würde, wenn die Irokesen das noch unter der Falltür liegende Kanu Hutters in Besitz nehmen sollten, um einen Angriff gegen sie zu beginnen.

Das Kanu, in dem Hetty und Judith sich befanden, war, als der Kampf auf der Plattform aufhörte, etwa vierhundert Schritt von dem Gebäude entfernt. Auch die Mädchen hatten mit dem erwachenden Tag den Weg zur Wasserburg gesucht. Je mehr sie sich ihr aber näherten, desto verdächtiger schien sie ihnen zu werden. Sie hörten darum auf zu rudern und bemühten sich, zu entdecken, was vorgefallen war. Dies gelang ihnen jedoch nicht, weil sie die Plattform nicht sehen konnten. Es war aber sehr wichtig, daß Judith und ihre Schwester sofort in der Arche, wo die Verteidigungsmittel wenigstens einige Sicherheit gewährten, Zuflucht suchten.

Der Delaware beriet daher mit Wah, wie man sie dazu veranlassen könne. Wah trat an die Spitze der Fähre und suchte durch viele Zeichen und Bewegungen den Mädchen anzudeuten, daß sie einen Umweg machen sollten, um die Wasserburg zu vermeiden und sich der Arche von der Ostseite zu nähern. Doch die Mädchen verstanden die Zeichen nicht, und wahrscheinlich konnte Judith den Zustand derDinge zu wenig beurteilen, um vollkommenes Zutrauen zu einer der beiden allem Anschein nach feindlichen Parteien zu fassen.

In diesem Augenblick trat die Sonne über die Tannen der östlichen Berge, und es erhob sich ein leichter Südwind. Chingachgook verlor keine Zeit und zog sofort das Segel auf. Der Anblick schien die Mingos aus ihrer Untätigkeit zu erwecken. Als die Spitze der Fähre sich wendete — unglücklicherweise in der falschen Richtung —, kam sie der Plattform bis auf einige Schritte nah. Chingachgook überließ deshalb das Fahrzeug seinen eigenen Bewegungen, drängte Wah in die Kajüte und sah sich nach den Gewehren um.

Die Arche lag jetzt etwa achtzig Schritt vom Kastell entfernt, mit geschwelltem Segel und verlassenem Steuerruder. Sie trieb langsam vorwärts, bis ihre Spitze zwischen zwei Pfeilern der Palisaden hängenblieb. Chingachgook, der durch eine Schießscharte spähte, wartete auf eine Gelegenheit zum Schießen, während sich die Mingos in gleicher Absicht im Gebäude aufhielten. Der vom Kampf mit Hurry noch erschöpfte Krieger lehnte an der Hauswand, weil man noch nicht Zeit gehabt hatte, ihn hineinzutragen. Der Delaware hätte den Indianer draußen leicht erschießen können, aber sein Skalp war ihm nicht sicher. Auch verschmähte er diese Tat, weil sie ihm weder Ehre noch Vorteile bringen konnte.

»Zieh einen der Pfähle aus, Delaware«, rief Hurry ihm zu, »und schieb die Spitze der Fähre ab.«

Chingachgook beachtete Hurrys Aufforderung nicht. Wah-ta-Wah; aber wandte sich ihm aufmerksam zu. Das kluge Mädchen begriff seine Lage im Nu. Hurrys Beine und Arme waren mit starken Bastschlingen zusammengebunden. Nur die Hände vermochte er etwas zu bewegen. Sie flüsterte ihm durch eine der Schießscharten leise, aber deutlich zu:

»Weshalb nicht hierherrollen und in die Fähre fallen lassen? Chingachgook Mingos erschießen, wenn verfolgen.«

Das sagte sie in einem günstigen Augenblick, denn die Indianer schossen gerade ihre Flinten ab, ohne jemanden zu verletzen. Wah öffnete die Tür der Kajüte nach vorn zu, wagte aber nicht, sich den Blicken der Mingos auszusetzen. Die ganze Zeit über hing die Fähre vorn fest, während das andere Ende sich langsam drehte und der Plattform immer näher kam. Hurry, der sein Gesicht der Arche zugewendet hatte und sich dann und wann in Schmerzen krümmte, beobachtete jede Veränderung. Endlich war es so weit, daß das Fahrzeug zur Gänze frei war und sich langsam an den Palisaden entlangschob. Der Rettungsversuch war sehr gefährlich, aber er bot jetzt die einzige Aussicht, dem sicheren Tod zu entgehen, auch entsprach er ganz dem kühnen Charakter Hurrys. Er wartete bis zum letzten Augenblick, bis die Spitze der Fähre dicht an die Plattform streifte. Dann wand und krümmte er sich wieder wie in unerträglichen Schmerzen, verwünschte alle Indianer und wälzte sich plötzlich schnell der Fähre zu. Unglücklicherweise hatte er, als er den Rand der Plattform erreichte, seine Richtung etwas verändert, so daß er die Arche verfehlen mußte. Dennoch ließ er sich kurz entschlossen in den See fallen. Wah beobachtete seine Bewegungen, und mit einer instinktartigen Schnelligkeit öffnete sie die Tür in dem Augenblick, als die Indianer gerade wieder ihre Flinten abgeschossen hatten. Sie sprang im Schutze der dazwischenliegenden Kajüte noch rechtzeitig zur Spitze der Fähre, um Hurrys Fall zu sehen. Schnell warf sie ihm ein Segeltau zu. Es fiel auf Hurrys Kopf, und es gelang ihm, es mit den Zähnen zu fassen. Hurry war ein geschickter Schwimmer. Statt sich aber durch heftige Bewegungen über Wasser zu halten, ließ er sich sinken, bis nur noch sein Gesicht hervorragte. In dieser Lage konnte er seine freien Hände wie Flossen bewegen. Das schaukelnde Auf und Nieder der Arche zog das Tau bald stärker an und schleppte ihn fort.

Die Mingos waren eifrig darauf bedacht, den Delawaren zu töten. Sie schossen durch die Schießscharten und Öffnungen der Kajüte und dachten nicht an den Gefangenen, den sie ja fest gebunden glaubten. Sie beobachteten nur die Arche, die an der Plattform vorüberdrängte. Auch Chingachgook wußte nichts von der Lage Hurrys. Die kleinen Rauchwolken der Schüsse zeigten sich an mehreren Stellen, und die Bewegungen beider Parteien waren rasch und behend. Verletzt wurde niemand. Endlich entfernte sich die Fähre ganz von den Pfeilern und glitt schnell nach Norden zu.

Chingachgook erfuhr jetzt durch Wah die gefährliche Lage, in der sich Harry befand. Er löste das Tau vorsichtig vom Segel, und Wah begann es einzuziehen. Hurry war noch etwa fünfzig bis sechzig Fuß vom Fahrzeug entfernt, als die Mingos seine Flucht entdeckten. Sie erhoben ein schreckliches Geschrei und begannen ein wildes Feuer. Aber die Kugeln verfehlten ihr Ziel. Einen Augenblick später war der Körper des Gefesselten schon hinter der Fähre. Der Delaware und Wah waren durch die Kajüte gut gedeckt, und es gelang ihnen bald, den schweren Körper Hurrys ein wenig hinaufzuziehen. Chingachgook stand mit seinem scharfen Messer bereit und durchschnitt die Baststricke. Nicht so leicht war es, den Geretteten so hochzuheben, daß er den Rand des Fahrzeuges zu erreichen vermochte. Er konnte seine Arme ja noch nicht gebrauchen. Mit vereinten Kräften aber gelang es schließlich dennoch, Hurry über den Rand der Fähre zu ziehen. Völlig erschöpft sank er zu Boden.

Als die Irokesen Hurry aus den Augen verloren, brachen sie in ein Wutgeschrei aus. Drei von ihnen liefen zur Falltür und sprangen in das Kanu. Doch Hurry war jetzt in der Fähre, und der Delaware hielt seine Flinte bereit. Da die Arche vor dem Wind segelte, war sie nun schon dreihundert Schritt von der Wasserburg entfernt, und der Abstand vergrößerte sich mehr und mehr.

Das Kanu mit den Töchtern Hutters trieb sehr weit draußen auf dem See. Da Judith und Hetty nicht wußten, was vorgefallen war, schienen sie nicht näher kommen zu wollen. Sie hatten die Richtung zum östlichen Ufer eingeschlagen und hielten sich auf diese Art zwischen den beiden Parteien. Die Mädchen waren mit den Booten seit ihrer Kindheit vertraut und ruderten sehr gewandt. Judith hatte oft in Wettfahrten mit jungen Männern, die bisweilen den See besuchten, gesiegt.

Als die drei Irokesen hinter den Palisaden hervorkamen und sich auf dem offenen See der Arche ganz ohne Deckung nahen sollten, dachten sie nicht mehr an Verfolgung. Es entsprach nicht indianischer Vorsicht, das Leben gegen einen gutgedeckten Gegner aufs Spiel zu setzen. So ruderten sie dem östlichen Ufer zu.

Judith zog sich sofort in südlicher Richtung zurück, und zwar immer recht nahe am Ufer. Sie wagte aber nicht, zu landen — dazu hätte sie sich nur bei größter Gefahr entschließen können. Anfangs beachteten die Indianer das andere Kanu nur wenig, da sie sahen, wer darinnen war. Nachdem aber fast eine Stunde in wechselnden Bewegungen vergangen war, wobei man sich stets außerhalb Schußweite voneinandergehalten hatte, schienen die Irokesen plötzlich einen Entschluß zu fassen.

Die Stellungen aller Parteien hatten sich jetzt wesentlich verändert. Die Arche befand sich nördlich vom Haus. Sobald der Delaware bemerkte, daß die Mädchen die Arche vermieden, zog er sein Segel ein, weil es ihm mit seinem schweren Fahrzeug nicht möglich war, genügend schnelle Bewegungen auszuführen, um einem leichten Kanu erfolgreich zu entfliehen. Er hoffte die Schwestern dadurch zu veranlassen, ihren Plan zu ändern und ihre Zuflucht auf der Fähre zu suchen. Das Kanu Judiths lag ungefähr zehn Minuten südlich von dem der Mingos, dem östlichen Ufer ein wenig näher.

In dem Augenblick, als die Indianer ihre Angriffsart so plötzlich änderten, war ihr Kanu zu einer Wettfahrt nicht gerade gut gerüstet. Es waren nur zwei Ruder vorhanden, so daß der dritte Indianer untätig bleiben mußte. Beide Boote konnten sich fast gleich schnell bewegen, aber keine der beiden Parteien bot schon anfangs alle Kräfte auf. Einige Minuten genügten, um den Mingos zu beweisen, daß sie alle Geschicklichkeit anwenden mußten, wenn sie das Kanu mit den beiden Schwestern einholen und zum Halten bringen wollten.

Judith hatte sich anfangs dem östlichen Ufer zugewendet, um im Falle der höchsten Not in die Wälder fliehen zu können. Als sie sich aber dem Land näherte, gab sie ihren Plan auf und lenkte das Kanu von den dunklen Schierlingstannen weg wieder mehr der Seemitte zu. Dies schien den Mingos ein günstiger Augenblick für die Verfolgung zu sein, da sie die ganze Breite des Sees dazu vor sich hatten. Die Kanus glitten jetzt mit größter Schnelligkeit über das Wasser. Nach einer Viertelstunde hatten die Indianer noch keinen wesentlichen Vorteil erreicht. Sie kamen jetzt auf den Gedanken, daß einer von ihnen ausruhen könne, wenn sie sich im Rudern abwechselten. Judith blickte sich zufällig um und bemerkte es. Sie zweifelte jetzt an einem günstigen Ausgang, weil ihre Kräfte früher erschöpft sein mußten als die von Männern, die sich ablösen konnten. Bis jetzt war es den Indianern nicht gelungen, dem anderen Kanu mehr als hundertfünfzig Schritt nahe zu kommen, obgleich sie in gerader Linie hinter ihm folgten. Aber Judith bemerkte doch, daß! die Verfolger allmählich näher kamen.

Das Mädchen geriet nicht leicht in Verzweiflung, jetzt aber beabsichtigte sie doch einen Augenblick, sich von den Mingos einholen und nach dem Lager zu Wildtöter bringen zu lassen. Die Hoffnung, ihn befreien zu können, spornte sie jedoch wieder an, und der Unterschied in der Bewegung der beiden Kanus war während der nächsten fünf Minuten so bedeutend, daß die Mingos einsahen, sie müßten alle ihre Kräfte aufbieten, wenn sie sich nicht der Schande aussetzen wollten, von zwei Frauen übertroffen worden zu sein.

Als der Stärkste unter ihnen jetzt eine übermäßige Anstrengung; machte, zerbrach ihm das Ruder. Das war entscheidend. Denn ein Kanu mit drei Mann und nur einem Ruder konnte unmöglich Flüchtlinge wie die Töchter von Thomas Hutter einholen.

»Siehst du, Judith«, sagte Hetty, »ich denke, du wirst jetzt wohl zugeben, daß mein Beten nützlich ist.«

»Ich habe nie geleugnet, daß Beten nützlich ist, Hetty. Wir sind jetzt gerettet und wollen uns etwas nach Süden wenden, um ein bißchen zu Atem zu kommen.«

Sie ruderten also in südlicher Richtung weiter, und zwar unbehelligt, denn der Feind gab seine Verfolgung auf. Statt Judiths Kanu zu folgen, fuhren die Mingos zur Wasserburg zurück. Die Mädchen fürchteten, daß die Rothäute im Gebäude noch ein Ruder finden könnten, und setzten daher ihre Anstrengungen fort. Sie hielten nicht eher an, als bis sie so weit von ihren Feinden entfernt waren, daß sie ihnen jederzeit leicht entfliehen konnten. Nach etwa einer Stunde sah man alle Indianer das Haus verlassen und dem Ufer zurudern. Die Mädchen und auch die Arche näherten sich jetzt dem Gebäude.

Als Judith und Hetty noch etwa hundert Schritt vom Haus entfernt waren, umruderten sie es vorsichtig, da sie sich vergewissern wollten, daß es wirklich leer sei. Kein Kanu war zu sehen, und das ermutigte sie, sich dem Gebäude zu nähern, daß sie schließlich die Plattform erreichten.

»Geh du in das Haus, Hetty«, sagte Judith, »und sieh, ob die Wilden fort sind! Sie werden dir nichts zuleide tun; und wenn noch einer von ihnen dasein sollte, so kannst du mich schnell warnen. Ich glaube nicht, daß sie auf ein armes, hilfloses Mädchen schießen werden.«

Sobald Hetty auf der Plattform war, zog sich Judith etwas zurück, um zur Flucht bereit zu sein. Aber das war unnötig, denn Hetty erschien bald wieder und rief ihr zu, daß alles sicher sei.

»Ich bin in den Zimmern gewesen, Judith«, sagte sie. »Sie sind leer, nur Vater seines nicht. Er schläft darin, aber sein Schlaf ist eigenartig unruhig.«

»Sollte dem Vater etwas zugestoßen sein?« fragte Judith, als sie auf die Plattform trat. Hetty schien bekümmert und sah sich verstohlen um, als fürchte sie, jemand könne horchen.

»Du weißt, in welchem Zustand der Vater bisweilen ist«, sagte sie endlich. »Wenn er zuviel starke Getränke zu sich genommen hat, weiß er nicht immer, was er sagt oder tut, und er scheint auch jetzt wieder betrunken zu sein.«

»Das ist seltsam! Sollten die Wilden mit ihm getrunken und ihn dann zurückgelassen haben?«

Ein Stöhnen drang aus Hutters Zimmer, und die beiden Mädchen wagten sich in die Nähe des Vaters. Er saß in einer Ecke. Sein Kopf war auf die Brust hinabgesunken. Judith trat, von einem unheimlichen Gefühl ergriffen, auf ihn zu und nahm ihm die Kappe ab, die so tief in den Kopf gedrückt war, daß sie sein Gesicht fast verbarg. Da zeigten sich das rohe Fleisch, die entblößten Adern und Muskeln. Man hatte ihm, obwohl er noch lebte, den Skalp genommen.

10

Im Kampf mit den Indianern hatte Hutter einen Messerstich erhalten.

Als dann die drei Mingos von der Verfolgung zurückkehrten und sich entschlossen, das Haus zu verlassen, nahmen sie Hutters Skalp, um ihn eines langsamen Todes sterben zu lassen. Wäre die Verletzung nur auf Hutters Kopf beschränkt gewesen, so hätte er wohl wiederhergestellt werden können, jedoch der Messerstich war tödlich.

»Vater«, sagte Judith ergriffen, während Hetty Tränen über die Wangen liefen, »können wir etwas für dich tun?«

»Vater!« wiederholte langsam der Sterbende. »Nein, Judith, nein, Hetty, ich bin kein Vater. Sie war eure Mutter, aber ich bin nicht euer Vater. Seht nach in der Truhe, ihr werdet dort alles finden. Oh — gebt mir Wasser!«

Das waren die letzten Worte Thomas Hutters. Gleich darauf schloß er für immer die Augen.

Es war Hetty, die den Vater mehr geliebt hatte und auch jetzt den stärkeren Schmerz um ihn empfand.

»Vater!« flüsterte das arme Mädchen, »Vater, ich werde dich immer Vater nennen!«

Plötzlich merkte sie, daß er gestorben war. Sie warf sich aufschluchzend über den Körper des geliebten Toten.

Jetzt traten Hurry und Chingachgook, die endlich auch mit der Fähre; angekommen waren, in die Stube.

»Wie geht es dem Alten, Judith?« fragte Harry. »Weshalb habt ihr ihm den Kopf verbunden? Haben ihm die Wilden am Ende — —?« Er vollendete den Satz nicht, denn er sah, daß Hutter tot war.

»Sie haben ihm das getan, was ihr auch tun wolltet. Sie werden für seinen Skalp Geld vom Gouverneur von Kanada erhalten, wie ihr die Skalpe der Mingos an den Gouverneur von York verkaufen wolltet.«

»Solche Worte hätte ich von Hutters Tochter nicht erwartet, noch dazu jetzt, da er tot ist«, erwiderte Hurry.

»Ich bin nicht Hutters Tochter«, erwiderte Judith erregt.

»Nicht Thomas Hutters Tochter! Verleugne deinen Vater nicht, Judith, das ist Sünde. Wenn du nicht Thomas Hutters Tochter bist, wessen Tochter bist du denn?«

»Ich weiß es nicht, Harry — ich weiß es nicht! In der Truhe wird es wohl zu finden sein. Ich hoffe, daß er ein ehrlicher Mann gewesen ist!«

»Was du anscheinend vom alten Hutter nicht glaubst. Nun, Judith, mir ist bekannt, daß schlimme Gerüchte über den Schwimmenden Tom im Umlauf waren; aber wer wird nicht von seinen Feinden verleumdet?«

Judith wollte antworten, doch sie erinnerte sich der Sorge und treuen Pflege, die dieser alte Mann, obgleich er nicht ihr Vater war, ihnen immer hatte zukommen lassen. Und als ihr Blick nun auf Hutters Antlitz ruhte, dachte sie traurig: »Ach, du armer, irregegangener Mann!«

Der Tote sollte bei Sonnenuntergang versenkt werden. Dies ist eine gute Stunde, um jemandem die letzte Ehre zu erweisen. Hutters Leiche wurde zur Fähre hinuntergetragen, in eine Decke gehüllt und mit Steinen beschwert.

Als die Stunde des Sonnenuntergangs schließlich nahte, versammelten sich alle in der Arche. Hurry betätigte die Ruder, und die Bewegung der Fähre war langsam und feierlich. Die Oberfläche des Sees war glatt wie ein Spiegel, und die weiten Wälder lagen in tiefer Stille ringsumher. Judith weinte, und auch Hurry fühlte sich bewegt. Hettys Gedanken hatten so viel von der Reinheit einer besseren Welt, daß es ihr leicht wurde, die Erde ganz zu vergessen und nur an den Himmel zu denken. Wah-ta-Wah war bei der Feierlichkeit ernst und aufmerksam. Sie hatte Beerdigungen weißer Männer zwar schon mit angesehen, eine solche wie diese aber noch nie. Der Delaware bewahrte eine besonnene Haltung. Die Wasserburg stand nahe am südlichen Ende einer Sandbank, die sich fast zehn Minuten nach Norden zu erstreckte. Dort, an deren äußerstem Ende, hatte Thomas Hutter einst die irdischen Überreste seiner Frau versenkt. Jetzt sollte seine Leiche in ihre Nähe gelegt werden.

Hetty fand gewöhnlich das Grab ihrer Mutter durch Zeichen auf dem Lande, und nach einiger Zeit bedeutete sie Hurry, anzuhalten. Der Anker fiel. Hetty, die am Vorderteil des Fahrzeuges stand, zeigte in das Wasser, und Tränen liefen stärker über ihre Wangen. Hurry verhielt sich ernst und ruhig, weil er an die Vergeltung dachte, die seinen ehemaligen Gefährten heimgesucht hatte, und an die schreckliche Gefahr, in der noch vor kurzem sein eigenes Leben geschwebt war. Unter Schultern und Beine des Toten wurden Seile gelegt, und dann wurde der Körper Thomas Hutters unter feierlichem Schweigen langsam in den See versenkt.

»Das ist also das Ende des alten Tom!« sagte Hurry, indem er sich über den Rand der Fähre beugte und in das Wasser sah.

»Er war ein tapferer Gefährte und ein geschickter Biberfänger. Weint nicht, Judith und Hetty, denn wir alle müssen sterben. Der Tod eures Vaters wird ein schmerzlicher Verlust für euch sein, aber es gibt viele Wege, und ihr seid beide jung und schön. Wenn du, Judith, hören willst, was ein ehrlicher Mann zu sagen hat, möchte ich gerne einige Worte mit dir allein sprechen.«

Judith weinte, da sie sich an die Zärtlichkeit der Mutter erinnerte, doch Hurrys Worte riefen sie in die Gegenwart zurück. Sie sah den jungen Mann aufmerksam an, wischte sich die Tränen aus den Augen und ging zum anderen Ende der Fähre. Hurry folgte ihr. Sie setzte sich hin und winkte ihm, neben ihr Platz zu nehmen. Ihr Ernst schüchterte Hurry etwas ein, und deshalb schwieg er.

»Du willst mit mir vom Heiraten sprechen, Harry March«, begann sie.

»Du weißt, daß ich dich für das schönste Mädchen halte, das ich je sah«, sagte er zögernd und verlegen.

»Ich weiß, Hurry. Ich verstehe dich gut, du ziehst mich anderen Mädchen vor und willst mich zur Frau haben, aber ich will jetzt aufrichtig sein. Es gibt einen Grund, March, weshalb ich nie deine Frau werden darf. Ich liebe dich nicht genug und bin überzeugt, daß ich dich nie genug lieben werde. Kein Mann kann sich eine Frau wünschen, die ihn nicht allen anderen Männern vorzieht.«

»Nimm dir Zeit, Judith, und überlege es dir besser.«

»Ich habe mich längst entschieden. Ich wartete nur, bis du dich deutlich aussprechen würdest, um dir dann ebenso deutlich zu antworten.«

Die Bestimmtheit des jungen Mädchens erschreckte Hurry, denn er hatte sie noch nie so ernst und entschieden gesehen. Früher wich sie immer seinen Anträgen aus oder nahm sie scherzhaft auf. Dies hatte er jedoch nur für weibliche Koketterie gehalten. Wenn er selbst auch bisher unentschlossen gewesen war, so hatte er es doch nie für möglich gehalten: daß Judith sich weigern würde, die Frau des tüchtigsten Mannes im ganzen Grenzgebiet zu werden. Jetzt war er etwas beschämt und sehr erstaunt.

Nach einer kleinen Pause sagte er schließlich achselzuckend:

»Der alte Tom ist nicht mehr da, die Mingos schwärmen am Ufer und in den Wäldern — die Zeit ist viel zu unsicher —, was soll ich daher noch hier?«

»Verlaß uns heute abend, wenn du willst«, war Judiths Antwort.

»Wenn ich weggehe, Judith, so wird mir deinetwegen das Herz schwer. Ich möchte dich lieber mitnehmen.«

»Davon kann jetzt nicht mehr die Rede sein, March. Ich will dich, sobald es dunkel ist, in einem Kanu an Land setzen, und dann kannst du dich zur nächsten Garnison durchschlagen.«

»Wenn ich sicher in das Fort komme, werde ich euch Hilfe gegen die Mingostrolche schicken. Ich werde selbst mitkommen, denn ich möchte dich und Hetty in Sicherheit wissen, ehe sich unsere Wege für immer trennen.«

»Sobald es dunkel ist, will ich dich ans Ufer bringen, oder der Delaware wird es tun. Du kannst dich dann an den Mohawk und zur nächsten Garnison begeben und so viel Hilfe schicken, wie dir möglich ist. Wir sind jetzt wieder Freunde, Hurry und ich darf dir vertrauen, nicht wahr?«

Hurry nickte nur — dann beugte er sich plötzlich vor und hob die Hand an die Augen.

»Siehst du nicht hinter dem Haus ein Kanu? — Hier, in der Richtung der Landspitze?«

»Ich sah es schon die ganze Zeit«, antwortete Hetty, die zu der Gruppe getreten war. »Es wird von einem einzelnen Mann gerudert. Es scheint Wildtöter zu sein.«

»Wildtöter!« rief Judith aufgeregt. »Das kann nicht sein!«

Das leichte Boot war jetzt am Gebäude vorübergefahren und näherte sich der Arche. Judith sprang in ein Boot. Ein paar Ruderschläge brachten sie an die Seite des kühnen Jägers. Auf dem Wasser lag noch das Licht des Sonnenuntergangs. Die Baumstämme des Hauses und der Arche schimmerten dunkelrot, und als die beiden Kanus sich einander näherten, schienen Boote und Menschen wie in Gold getaucht.

»Willkommen, Wildtöter!« rief Judith. »Wir hatten einen schrecklichen Tag! Doch deine Rückkehr bedeutet Glück! Sind die Irokesen menschlicher geworden, oder bist du ihnen durch deinen Mut und deine Klugheit entkommen?«

»Keins von beiden, Judith«, entgegnete der Angerufene.

»Wie kommst du dann aber hierher?« fragte Judith erstaunt.

»Das ist sehr einfach, Judith. Ich bin auf Urlaub.«

»Urlaub? Ich weiß, was das Wort bei den Soldaten bedeutet — aber bei einem Gefangenen?«

»Es bedeutet dasselbe. Ein Mann bekommt Erlaubnis, das Lager oder die Garnison auf eine bestimmte Zeit zu verlassen. Später muß er zurück, seine Muskete schultern oder sich den Martern unterwerfen, das ist ganz einfach.«

»Welche Sicherheit haben die Mingos für deine Rückkehr?«

»Mein Wort!« erwiderte der Jäger. »Das habe ich ihnen gegeben, und sie wären alberne Toren gewesen, wenn sie mich ohne diese Sicherheit hätten gehen lassen.«

»Fühlst du dich denn in diesem Fall an dein Wort gebunden?«

»Niemand wird mich zurückhalten«, sagte Wildtöter ernst.

Judith schwieg lange Zeit. Die verschiedensten Gefühle kämpften in ihr. Sie wußte aber, daß es ihr nie gelingen würde, den edlen Mann umzustimmen.

»Wann ist dein Urlaub zu Ende, Wildtöter?«

»Morgen um die Mittagsstunde. Und du kannst dich darauf verlassen, Judith, daß ich keinen Augenblick früher zurückkehren werde. Die Indianer fürchten einen Besuch von den Garnisonen her und wollten die Zeit keinen Augenblick verlängern. Sie scheinen sich über mein Schicksal so ziemlich verständigt zu haben. Wenn ich den Zweck meines Kommens nicht erreiche, sollen die Martern schon am Nachmittag beginnen, damit sie ihren Rückzug nach Hause einschlagen können, sobald es dunkel, geworden ist.«

»Sind die Mingos entschlossen, den Tod ihrer Gefährten zu rächen?« fragte Judith leise.

»Gewiß, wenn ich die Absichten der Indianer richtig beurteile. Ich habe bemerkt, daß die Weiber der Mingos sehr wütend darüber sind, daß Wah entführt wurde. Noch mehr aber hat sie der schreckliche Mord an dem jungen Mädchen empört.«

»Ach, Wildtöter, die Irokesen werden es sich überlegen, da sie dir bis morgen Zeit gegeben haben.«

»Ich will dazu nichts sagen, Judith. Ein Indianer ist ein Indianer, man darf nicht hoffen, ihn zu täuschen. Ich habe einen der besten und kühnsten Krieger erschlagen, und sie werden sich rächen wollen. Doch ich spreche nur von mir, Judith. Du wirst Sorgen genug haben, und vielleicht willst du einen Freund um Rat fragen.«

»Ja, Wildtöter«, antwortete Judith fast unhörbar. »Harry March will uns verlassen, Herty und ich wissen nicht, was wir beginnen sollen.«

Die Kanus legten jetzt an der Arche an, und die beiden jungen Menschen beschlossen, das Gespräch später fortzusetzen.

Die Begrüßung zwischen Wildtöter und seinen Freunden war ernst. Es begann jetzt dunkel zu werden, und es wurde verabredet, die Arche zum Haus zu rudern und sie dort zu befestigen. Wildtöter versicherte, daß von den Mingos vorläufig nichts zu fürchten sei. Er hatte einen Vorschlag von ihnen mitzuteilen, und wenn er angenommen würde, sollte der Kampf zwischen den Parteien beendet sein.

Als die Arche befestigt war, beschäftigten sich alle auf verschiedene Art. Die Mädchen bereiteten traurig und still das Abendessen. Hurry flickte beim Licht eines brennenden Kienspans seine Mokassins. Chingachgook saß in Gedanken versunken da, und Wildtöter betrachtete unbefangen die Lieblingsflinte Hutters. Die Waffe kam offenbar aus der Werkstätte eines ausgezeichneten Büchsenmachers. Sie hatte einige silberne Zierate, aber ihr größter Vorzug lag in der Genauigkeit, mit der sie traf. Der Jäger legte den Kolben immer wieder an die Schulter und ziehe über das Visier. Er hob die Waffe langsam, um ihr Gewicht zu prüfen, und stellte fest, daß die Flinte sich zu einem schnellen und genauen Schuß vortrefflich eigne.

»Es ist eine ausgezeichnete Waffe, Hurry«, sagte Wildtöter endlich, »und man möchte fast bedauern, daß sie jetzt nur den Mädchen gehört. Die Jäger haben mir schon viel von ihr erzählt.«

»Behalte sie, Wildtöter, und werde König der Wälder!« sagte Judith, die die Worte gehört hatte. »Sie kann nie in besseren Händen sein, und ich hoffe, daß sie noch fünfzig Jahre darin bleiben wird.«

»Das kann dein Ernst nicht sein, Judith«, sagte Wildtöter überrascht.

»Es ist mein vollkommener Ernst, der Wunsch und das Geschenk!«

»Nun, wir werden Zeit finden, weiter darüber zu reden. Du brauchst dich nicht zu ärgern, Hurry, denn Judith ist ein verständiges Mädchen. Sie weiß, daß der Ruf der Flinte ihres Vaters sicherer in meinen als in deinen Händen ist.« Hurry murmelte nur verdrießlich vor sich hin und war ganz mit den Vorbereitungen zur Abreise beschäftigt.

Nach dem Abendessen versammelten sich alle auf der Plattform, um die Mitteilung Wildtöters zu hören. Man brachte Stühle heraus, und alle sechs setzten sich im Kreis. Die Ufer waren ganz in Dunkel gehüllt, aber in der Seemitte spiegelten sich unzählige Sterne im tiefen Wasser.

»Meine Botschaft ist nicht angenehm, und ich weiß, daß sie nutzlos sein wird«, begann Wildtöter endlich. »Als die Mingos von hier zurückkamen, berieten sie untereinander, und ich konnte deutlich sehen, daß sie Rachepläne hegten. Niemand läßt sich gern besiegen, noch dazu, wenn er seinem Feind an Zahl überlegen ist. Nachdem sie geraucht und Reden gehalten hatten, gaben sie ihren Entschluß bekannt. Die Häuptlinge waren der Meinung, ich sei ein Mann, dem man eine Botschaft anvertrauen könne. Der See und alles, was sich auf ihm befindet, ist, wie sie glauben, in ihrer Gewalt. Thomas Hutter ist gestorben, und was Harry betrifft, so bilden sie sich ein, er sei heute dem Tode nahe genug gewesen. Sie glauben daher, es nur mit Chingachgook und den beiden Mädchen zu tun zu haben. Bekannt ist ihnen auch, daß der Delaware einer angesehenen Familie angehört, und ebenso, daß er jetzt seinen ersten Kriegspfad betritt. Nun schicken sie durch mich diesen Wampumgürtel mit folgenden Worten: ›Sag der Schlange, daß sie sich für einen Anfänger gut genug benommen hat. Er kann jetzt über die Berge in seine Heimat zurückkehren, und niemand wird seine Spur verfolgen. Wenn er einen Skalp gefunden hat, so soll er ihn mitnehmen. Die Tapferen der Mingos haben Herzen und können es einem jungen Krieger nicht verargen, wenn er nicht mit leeren Händen heimkehren will. Wah aber muß zurück zu den Mingos, denn als sie sich in der Nacht wegstahl, nahm sie etwas mit, was ihr nicht gehörte.‹«

»Das kann nicht wahr sein«, sagte Hetty ernst. »Wah ist gewiß ein Mädchen, das jedem das Seine läßt.«

»Du verstehst die Botschaft der Mingos nicht, Hetty«, fuhr Wildtöter fort. »Wah hat die Liebe eines jungen Mingos mitgenommen, und man wünscht sie zurück, damit der arme, junge rote Krieger sie wiederfinden möge.

Die nächste Botschaft ist für dich, Judith. Sie sagen, die Moschusratte, wie sie deinen Vater nennen, sei in den See untergetaucht, er werde nie wieder heraufkommen, und den Töchtern werde es bald an Wigwams und Nahrung fehlen. Die Hütten der Mingos sind besser als die Hütten von York. Sie wünschen daher, du sollst zu ihnen kommen und dich davon überzeugen. Sie sagen, deine Farbe sei allerdings weiß, aber sie glauben, junge Frauen, die so lange in den Wäldern gelebt haben, würden in den Niederlassungen nicht heimisch werden. Ein berühmter Krieger ihres Stammes hat vor kurzem sein Weib verloren, und er würde gern die ›Wilde Rose‹, wie sie dich nennen, auf die Grasmatte neben seinem Feuer setzen. Und Hetty wird immer von den roten Kriegern geehrt und gut aufgenommen werden. Sie glauben, daß der Besitz deines Vaters dem Stamme zufallen müsse, doch dein Eigentum soll wie das aller Weiber dem Wigwam des Mannes überwiesen werden.«

»Wie konntest du dich entschließen, mir eine solche Botschaft mitzuteilen, Wildtöter?« bemerkte Judith traurig.

»Du darfst es mir nicht übelnehmen, daß ich die Botschaft in den Worten wiederhole, in denen sie mir aufgetragen wurde. Das war eine Bedingung, unter der ich meinen Urlaub erhielt. Ich habe mitgeteilt, was sie sagten, aber noch nicht, zu welcher Antwort ich raten würde.«

»Ja, laß uns hören«, unterbrach ihn Hurry.

»Wenn ich an deiner Stelle wäre, Hurry, würde ich erwidern: ›Wildtöter, sag ihnen, daß sie Harry March nicht kennen! Er ist menschlich gesinnt, und da er eine weiße Haut hat, so hat er auch einen weißen Charakter, der ihm nicht gestattet, weiße Frauen in ihrer größten Not zu verlassen!‹«

»Freundliche Worte begründen lange Freundschaften, Meister Wildtöter«, erwiderte Harry darauf fast drohend. »Du bist noch ein junger Laffe, und du weißt am besten, was dir bevorsteht. Da du aber nicht ich, sondern nur ein Zwischenträger bist, den die Wilden uns Christen schicken, so kannst du ihnen sagen, daß sie Harry March ganz richtig beurteilt haben. Er sieht ein, wie töricht es sein würde, wenn ein einzelner Mann es mit einem ganzen Stamm von Indianern aufnehmen wollte. Wenn aber die Mädchen ihn im Stich lassen, und das tun sie, so wird auch er sie im Stich lassen.«

»Der Punkt ist also erledigt«, fuhr Wildtöter fort, ohne die Heftigkeit des anderen zu beachten. »Hurry Harry muß für sich selbst handeln. — Jetzt richte ich die Frage an Wah-ta-Wah. Willst auch du deiner Pflicht entfliehen, indem du zu den Mingos zurückkehrst?«

»Weshalb mit Wah so sprechen?« fragte das Mädchen empfindlich.

»Du denken, ein Rothautmädchen wie Kapitänsfrau sein, lachen und scherzen mit allen Offizieren, die kommen?«

»Was ich denke, Wah, darauf kommt es hier nicht an. Ich muß den Mingos deine Antwort mitteilen.«

Die Indianerin zögerte nicht länger. In ihrer Aufregung stand sie auf und redete in ihrer eigenen Sprache.

»Sage den Mingos, Wildtöter, daß sie so einfältige Maulwürfe sind. Sie wissen den Wolf nicht vom Hund zu unterscheiden. Unter meinen Landsleuten verblüht die Rose dort, wo sie aufgeblüht ist. Die Tränen des Kindes fallen auf die Gräber seiner Eltern, das Getreide wächst, wo die Saat gesät war. Die Delawarenmädchen sind nicht Boten, die man von einem Stamm zum andern senden kann. Was ist ein Mingojüngling einem Mädchen aus dem Stamm der Delawaren? Er mag schnell sein, aber ihre Augen folgen ihm nicht im Wettlauf, sie schauen zurück nach den Hütten der Delawaren. Wah-ta-Wah hat nur ein Herz, und das kann nur einen einzigen Mann lieben.«

Wildtöter hörte diese Worte mit großer Genugtuung.

»Das ist alle Wampume in den Wäldern wert«, sagte er. »Du wirst die Worte nicht verstanden haben, Judith, aber wenn du nach deinen eigenen Gefühlen urteilst, wirst du ihren Sinn erraten können. Da wir nun die Antwort eines roten Mädchens gehört haben, Judith, so muß ich mir auch die eines weißen ausbitten.«

»Es ist noch nicht Zeit, daß ich antworte«, erwiderte Judith. »Chingachgook hat noch nicht gesprochen.«

»Chingachgook! Ich weiß, was er antworten wird, wenn ich auch kein Wort davon hören sollte!«

Der junge Häuptling erhob sich aber jetzt von seinem Sitz, um die Antwort mit der erforderlichen Würde zu erteilen.

»Ein Wampum muß für das andere geschickt werden, eine Botschaft muß man mit einer anderen beantworten. Höre, was die Große Schlange der Delawaren den Wölfen von den großen Seen, wie sie sich nennen, zu sagen hat. Sie sind keine Wölfe, sie sind Hunde, die hierherkamen, um ihre Schwänze und Ohren von den Händen der Delawaren verstümmeln zu lassen. Sie sind gut, um junge Mädchen zu stehlen, aber schlecht, um sie zu behalten. Chingachgook nimmt das Seine, wo er es findet, ohne einen Hund aus Kanada erst um Erlaubnis zu fragen. Wenn er ein zärtliches Gefühl in seinem Herzen hat, so geht das die Mingos nichts an. Er behält Wah-ta-Wah bei sich, damit sie ihm seine Speisen bereite. Sie beide werden Delawaren genug sein, um alle Mingos in ihre Höhlen zurückzujagen.«

»Das ist eine gute Depesche, wie die Offiziere so etwas nennen«, sagte Wildtöter. »Alle Mingos werden vor Wut in Feuer und Flamme geraten. Doch stolze Worte sind nicht immer große Taten! Der Himmel gebe, daß wir nur die Hälfte von dem ausführen können, was wir vorhaben. Jetzt ist die Reihe an dir, Judith.«

»Sag mir, sag uns zuerst, Wildtöter«, begann Judith, »welche Folgen werden unsere Antworten für dich haben? Wenn du das Opfer unserer Worte werden solltest, so wäre es besser, wir hätten uns alle etwas vorsichtiger ausgedrückt.«

»Du könntest mich ebensogut fragen, Judith, von welcher Seite der Wind in der nächsten Woche wehen wird. Ich kann nur sagen, daß sie mich mit düsteren Gesichtern angesehen haben, und es donnert nicht immer, wenn der Himmel sich mit Wolken überzieht. Das ist daher eine Frage, die sich leichter stellen als beantworten läßt.«

»Ebenso ist es mit der Botschaft der Mingos an mich«, antwortete Judith, indem sie sich erhob, als habe sie für jetzt nichts mehr zu sagen. »Meine Antwort wird erfolgen, Wildtöter, nachdem du und ich darüber allein gesprochen haben.«

Im Benehmen des Mädchens lag etwas so Entschiedenes, daß sich alle damit abfanden.

Da aber Hurry sie bald verlassen wollte, lösten sie nun ihre Versammlung auf. Als Hurry aufbrach, war es neun Uhr. Statt freundlich Abschied zu nehmen, sprach er nur einige mürrische Worte. Judith gab ihm die Hand, während der Delaware und Wah seinen Abschied kaum beachteten. Nur Hetty verriet ihr wahres Gefühl. Als das Kanu mit Wildtöter und Hurry abstieß, rief sie dem Scheidenden nach:

»Leb wohl, Hurry! Nimm dich in den Wäldern in acht und halte dich nirgends auf, bis du die Garnison erreicht hast.«

Hurry hatte bei seiner Abreise so wenig Beweise der Teilnahme erhalten, daß diese Worte Eindruck auf ihn machten. Er hielt das Kanu an und brachte es mit einem einzigen Stoß seines kräftigen Armes wieder an die Seite der Arche zurück.

»Du bist ein gutes Mädchen, Hetty, und ich kann dich nicht verlassen, ohne dir die Hand zu geben«, sagte er freundlich. »Wenn wir wieder zusammenkommen, Hetty, wirst du einen Freund in mir finden, mag deine Schwester sich auch benehmen, wie sie will. Ich war kein großer Freund deiner Mutter, aber der Schwimmende Tom war im Grund ein guter Bursche, und ich werde ihn gegen alle seine Feinde auch um deinetwillen verteidigen!«

Mit diesen Worten stieß er das Kanu wieder ab, und einige Zeit ruderten er und Wildtöter schweigend. Sie wollten zu derselben Landspitze fahren, von der aus sie zuerst auf den See kamen. Es war zu erwarten, daß dieser Ort von den Mingos weniger bewacht sein würde. In einer Viertelstunde hatten sie ihr Ziel erreicht.

»Du wirst die Offiziere in der Garnison dazu bringen, gleich nach deiner Ankunft eine Abteilung Soldaten gegen die Mingostrolche abzuschicken«, begann Wildtöter, »und es wird auch gut sein, wenn du vorschlägst, die Truppen zu führen. Du kennst die Wege hierher, den See und das Land.«

»Und was geschieht mit dir?« fragte Hurry mit mehr Teilnahme, als er gewöhnlich zu verraten pflegte.

»Nur der Herr in seiner Weisheit kann es wissen, Harry March! Die Wolken sehen düster und drohend aus, und ich habe mich auf das Schlimmste gefaßt gemacht.«

»Du willst dich doch nicht etwa zurück zu den Mingos begeben, Wildtöter?« fragte Hurry jetzt zornig. »Es ist unsinnig und dumm!«

»Es gibt einige, denen es dumm erscheint, ein gegebenes Wort zu halten, Hurry Harry. Aber keine Rothaut soll sagen können, daß ein Mingo sein Wort besser hält als ein Weißer. Ich bin nur auf Urlaub, und ich werde morgen zur bestimmten Zeit zurückkehren.«

»Was hat ein gegebenes Wort zu bedeuten, wenn man es mit solchen Geschöpfen, wie diese Wilden es sind, zu tun hat?«

»Wer glaubt, er könne in seinem Unglück sagen, was er will, und es würde alles für nichts gelten, weil es etwa im Wald oder zu Rothäuten gesagt wurde, der weiß zuwenig von einem echten, ehrlichen Mann. Leb wohl, Harry! Wir sehen uns vielleicht nie wieder.«

March freute sich jetzt, daß er schnell wegkam. Er riß sich mit Ungeduld los, da er die Torheit verwünschte, die einen Mann veranlassen konnte, in sein eigenes Verderben zu rennen.

Doch Wildtöter zeigte keine Erregung. Von seinen Grundsätzen erfüllt, unbeugsam in dem Entschluß, nach ihnen zu handeln, und fremd eder unmännlichen Furcht, betrachtete er alles, was ihm bevorstand, wie ein Naturgesetz. Er stand ruhig am Ufer, horchte auf das Geräusch, das Harry im Ufergebüsch machte, und schüttelte unzufrieden den Kopf über diesen Mangel an Vorsicht. Dann trat er wieder in das Kanu zurück.

Bevor er das Ruder in das Wasser tauchte, sah er sich noch einmal um. Hier war die Stelle, wo er zum erstenmal den schönen See gesehen hatte. Damals war es ein herrlicher Anblick in dem hellen Licht des Sommertages. Jetzt malten die verhüllenden Schatten der Nacht eine traurige und schwermütige Stimmung. Die Berge erhoben sich düster, gleich schwarzen Mauern, und nur ein bleicher Schimmer lag noch in der Mitte des Sees. Der tapfere Jüngling seufzte tief, stieß aber dann fest entschlossen das Kanu vom Lande ab und ruderte schnell zurück.

11

Judith erwartete die Rückkehr Wildtöters schon ungeduldig auf der Plattform. Wah und Hetty lagen in tiefem Schlaf, und der Delaware hatte sich auf dem Fußboden des Nebenzimmers, mit der Flinte an seiner Seite, unter einer Decke ausgestreckt. In der Arche brannte eine Lampe, ein Luxus, den man sich nur bei besonderen Gelegenheiten gestattete.

»Du siehst, Wildtöter«, sagte das Mädchen, als das Kanu schließlich an der Plattform anlegte, »daß ich die Lampe angezündet und in die Kajüte gestellt habe. Willst du mir folgen und anhören, was ich dir zu sagen habe?«

Der Jäger wunderte sich zwar ein wenig, folgte ihr aber sofort in die Arche. Hier standen zwei Stühle und ein Tisch neben der offenen Truhe.

»Ich habe soeben diese Truhe da durchsucht«, begann Judith, nachdem sie Wildtöter gebeten hatte, Platz zu nehmen. »Ich habe ein Bündel Briefe gefunden, die einiges über Hettys und meine Abstammung aufzuklären scheinen. Ich glaube, mein Vater war ein englischer Offizier, doch dürfte seine Verbindung zu meiner Mutter nie gesetzlich gewesen sein. Auch sein Name ist aus den Papieren nicht zu ersehen. Thomas Hutter dürfte meine Mutter wegen ihres Vermögens geheiratet haben.«

»Sonst fand sich nichts unter den Papieren, das zur Entdeckung des früheren Aufenthaltes deiner Mutter führen könnte?«

»Nein, eine alte Zeitung lag noch bei, in der für die Auslieferung bestimmter namentlich aufgezählter Seeräuber, darunter auch ein gewisser Thomas Hovey, eine hohe Belohnung ausgesetzt wurde. Ich nehme an, das Thomas Hovey niemand anderer als Thomas Hutter war.« Sie reichte Wildtöter das Blatt, das dieser unbeachtet ließ.

»Jetzt laß uns aber von dir reden, Wildtöter«, bat Judith schließlich, »und von der Art und Weise, dich aus den Händen der Mingos zu befreien. Hetty und ich wollen zu diesem Zweck einen Teil von dem, was du in der Truhe gesehen hast, oder auch alles opfern.«

»Das ist freundlich, und ich erkenne es mit Dank an. Die Mingos denken aber, die Truhe sei schon so gut wie in ihren Händen, und sie werden niemandem für den Schlüssel danken.«

»Ich verstehe, Wildtöter, aber wir können uns doch auf dem See halten, bis Hurry uns Truppen zu Hilfe schickt. Das wird gewiß möglich sein, wenn du bei uns bleiben willst, statt zurückzukehren und dich wieder als Gefangenen auszuliefern.«

»Such mich nicht zu überreden, Judith. Ich halte mein Wort. Ein Urlaub ist eine heilige Angelegenheit unter Kriegern und unter Männern, die ihr Leben gegenseitig in den Händen tragen, wie wir es hier in den Wäldern tun. Welche Enttäuschung müßte es auch dem alten Tamenund sein und Unkas, dem Vater von Chingachgook, und meinen anderen Freunden bei den Delawaren, wenn ich auf meinem ersten Kriegspfad meinen Namen entehrte?«

»Ich glaube, du hast recht, Wildtöter«, erwiderte das Mädchen nach einigem Nachdenken traurig. »Ein Mann wie du darf nicht handeln wie die Gewissenlosen. Du sollst nicht sagen, daß Judith — ich weiß kaum, welchen Namen ich mir geben soll, denn Hutter war ein Seeräuber, und ich mag nicht mehr nach ihm heißen.«

»Du kannst ja den Namen deiner Mutter annehmen, Judith«, schlug Wildtöter vor.

»Ich kenne ihn nicht und habe ihn auch nicht in diesen Papieren gefunden. Mir bleibt nur mein Vorname, wenn mich nicht bald ein Mann heiratet und mir einen guten Namen gibt.«

Bei diesen Worten sah Judith den Jäger fragend an. Dann errötete sie tief und wandte sich ihm entschlossen zu. »Ich will die Scham überwinden, die Mädchen in vielen Fällen schweigen läßt«, fuhr sie fort, »und aufrichtig zu dir sein. Glaubst du, Wildtöter, daß du glücklich mit mir leben könntest, wenn du mich zur Frau nähmst?«

»Ein Mädchen wie du, Judith! Wie kannst du mit so etwas scherzen? Ein Mädchen, das schön genug ist, um eine Kapitänsfrau zu werden, und klug und gebildet, kann nicht daran denken, mich zu heiraten.«

Wildtöter nahm die Frage Judiths nicht ernst.

Beide redeten noch eine Weile über das Thema, stritten auch scherzhaft über die Frage, ob den Mädchen ein netter oder ein zuverlässiger Mann lieber sei, aber Judith erfuhr von dem jungen Jäger nicht das, was sie heimlich zu hören wünschte.

»Judith«, sagte Wildtöter endlich abschließend und drückte ihre Hand freundschaftlich und aufrichtig, »es ist besser, jetzt nicht mehr davon zu sprechen. Morgen schon sieht alles anders aus. Wenn deine Eltern Fehler begangen haben, so sollst du sie vermeiden. Du bist noch jung und kannst auf bessere Zeiten hoffen. Wir müssen jetzt schlafen gehen, denn morgen ist auch noch ein Tag.«

Wildtöter erhob sich. Gemeinsam verschlossen sie die Truhe und trennten sich dann schweigend voneinander.

In dieser Nacht fand Judith keinen Schlaf.

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Wah-ta-Wah erhob sich vor Tagesanbruch von ihrem Lager. Auf der Plattform fand sie Chingachgook, der die Ufer des Sees, die Berge und den Himmel mit dem scharfen Blick eines Mannes aus den Wäldern beobachtete. Die Liebenden begrüßten einander schweigend. Ihre tiefe Zuneigung sprach sich nur in ihren Augen aus.

Chingachgook stellte jetzt zwei Stühle an die Hauswand, setzte sich und winkte Wah, Platz zu nehmen. Nach kurzem Schweigen streckte der junge Krieger seinen Arm aus und deutete langsam auf den See, die Hügel und den Himmel. Das Mädchen folgte den Bewegungen und lächelte bei jeder neuen Schönheit, die sie erblickte.

»Hugh!« sagte der Häuptling in Bewunderung. Dies war der erste See, den er je gesehen hatte. »Dies ist das Land des Manitu! Es ist zu gut für Mingos — aber die Hunde jenes Stammes heulen scharenweise in den Wäldern. Sie denken, daß die Delawaren hinter den Bergen schlafen.«

»Alle schlafen, außer einem, Chingachgook. Einer von ihnen ist hier, und er ist vom Blut der Unkas!«

»Was ist ein Krieger gegen einen ganzen Stamm! Der Pfad nach unseren Dörfern ist sehr lang und gekrümmt, und wir werden unter einem bewölkten Himmel dorthin wandern müssen. Ich fürchte auch, ›Geißblattblüte von den Hügeln‹, daß wir allein werden gehen müssen.«

Wah verstand diese Andeutung und wurde traurig, obgleich es ihren Ohren angenehm klang, von dem Krieger, den sie liebte, mit der wohlriechendsten und lieblichsten aller wilden Waldblumen verglichen zu werden. Aber sie schwieg, wie es sich für sie schickte.

»Wenn die Sonne dort steht«, fuhr der Delaware fort und zeigte dabei nach dem Zenit, »wird der berühmte Jäger unseres Stammes zu den Mingos zurückkehren, um wie ein Bär behandelt zu werden, den sie schinden und braten.«

»Der große Geist möge ihre Herzen besänftigen und nicht dulden, daß sie sich so blutgierig zeigen! Ich habe unter den Mingos gelebt und kenne sie! Sie haben Herzen und werden ihre eigenen Kinder nicht vergessen, da diese auch in die Hände der Delawaren fallen könnten.«

»Ein Wolf wird immer heulen. Sie haben Krieger verloren. Selbst ihre Weiber werden um Rache schreien. Mein weißer Freund hat die Augen eines Adlers und kann in das Herz eines Mingos sehen. Er sieht dort kein Erbarmen.«

Es folgte wieder ein langes, nachdenkliches Schweigen.

»Was will der Sohn des Unkas tun?« fragte endlich das Mädchen schüchtern, während sie verstohlen die Hand des Häuptlings nahm. »Er ist ein Häuptling, und obgleich so jung, dennoch schon berühmt bei den Beratungen der Krieger. Was sagt ihm sein Herz, und spricht der Kopf auch dieselben Worte wie das Herz?«

»Was sagt Wah-ta-Wah, da mein Freund in großer Gefahr ist? Die kleinsten Vögel singen am schönsten, es ist immer angenehm, auf ihren Gesang zu lauschen. Ich wünschte, den Zaunkönig der Wälder zu hören. Seine Stimme würde tiefer eindringen als ins Ohr.«

»Wah-ta-Wah sagt, daß weder sie noch die Große Schlange je wieder ruhig schlafen könnten, wenn Wildtöter unter dem Tomahawk eines Mingos sterben sollte und sie nichts getan hätten, um ihn zu retten. Sie würde lieber zurückkehren und allein auf dem langen Pfad wandern, als eine so dunkle Wolke vor ihr Glück treten zu lassen.«

»Gut! Der Gatte und das Weib werden nur ein einziges Herz haben, sie werden mit den gleichen Augen sehen, und ihre Gefühle werden dieselben sein!«

Sie senkten ihre Stimmen und berieten gerade einen Plan zur Rettung ihres Freundes, als Wildtöter aus der Kajüte der Arche auf die Plattform trat. Er sah nach dem wolkenlosen Himmel und begrüßte dann mit einem freundlichen Kopfnicken den Häuptling und Wah-ta-Wah.

»Wer die Sonne im Westen untergehen sieht«, sagte er ruhig, »und früh genug am anderen Morgen erwacht, wird sie im Osten wieder aufgehen sehen. Das ist eine beruhigende, feststehende Tatsache.«

»Wo wird mein Bruder morgen sein, wenn die Sonne wieder über dem Wipfel jener Tanne steht?« fragte Chingachgook.

Der Jäger sah seinen Freund ruhig an. »Die Frage ist leichter gestellt als beantwortet. Aber wo wirst du bei Sonnenaufgang sein?«

»Chingachgook wird bei seinem Freund sein. Wenn er in dem Land der Geister ist, wird sich die Große Schlange an seine Seite schmiegen; wenn er noch unter der Sonne lebt, werden sich beide ihrer Wärme und ihres Lichtes erfreuen!«

»Ich verstehe dich, Delaware«, erwiderte der Jäger gerührt. »Du darfst aber auf keinen Fall Wah-ta-Wah verlassen, weil eine Wolke, wenn sie auch dunkler als gewöhnlich sein mag, zwischen mir und dir steht.«

»Wah ist eine Tochter der Mohikaner; sie weiß, wie sie ihrem Mann zu gehorchen hat. Wohin er geht, wird sie ihm folgen.«

»Der Herr segne dich, Häuptling! Aber das ist reiner Wahnsinn. Werden deine zornigen Blicke oder Wahs Tränen einen Wolf in ein Eichhörnchen verwandeln? Nein, Schlange, du mußt dir das besser überlegen und mich in den Händen Gottes lassen. Übrigens ist es auch noch nicht ganz sicher, ob die Mingos mich martern werden. Wir müssen aber die Dinge nehmen, wie sie sind, und nicht unnötiges Blut opfern.«

So stritten sie eine Weile über diesen Punkt, bis Chingachgook schließlich sagte: »Die Delawaren sind vorsichtig. Wildtöter kann überzeugt sein, daß sie nicht mit geschlossenen Augen in ein fremdes Lager laufen werden.«

Jetzt traten auch Judith und Hetty zu der Gruppe. Judith war bleich, und ihre Züge verrieten, daß sie eine schlaflose Nacht hinter sich hatte. Während des Frühstücks wurde kaum eine Silbe gesprochen. Wildtöter allein war allem Anschein nach ganz ruhig. Er unterhielt sich freundlich und unbefangen bis zu der immer näher rückenden Stunde seines Abschieds.

12

Als es dann Zeit war, daß sich Wildtöter auf seinen schweren Weg machte, verabschiedete er sich mit schmerzlichen Gefühlen von seinen Freunden. Judith, die mühsam die Tränen zurückhielt, bestand darauf, daß ihn Hetty begleite, denn sie hoffte auf den Einfluß, den das Mädchen auf die Wilden zu haben schien. Der Jäger willigte schließlich ein, denn er wußte, daß man Hetty nichts zuleide tun würde. Beide bestiegen ein Kanu und ruderten langsam dem Ufer zu. Die Freunde blickten ihnen traurig nach.

Die Sonne brauchte nur noch zwei bis drei Minuten, um den Zenit zu erreichen, als Wildtöter an der Landzunge ankam, wo die Mingos ihr Lager aufgeschlagen hatten. Festen Schritts betrat er das Land, und aufrecht ging er den Häuptlingen entgegen, die mit ernster Würde auf einem Baumstamm saßen. Der älteste von ihnen deutete erstaunt auf die Sonne, die in diesem Augenblick gerade den Zenit erreichte. Ein allgemeiner Ausruf der Bewunderung entfuhr jedem Mund. Die Mingos waren nämlich in ihren Ansichten über die Wahrscheinlichkeit der Rückkehr ihres Gefangenen geteilter Meinung gewesen. Die meisten hatten es nicht für möglich gehalten, daß ein Weißer freiwillig zurückkehren würde. Aber einige der älteren Krieger setzten größeres Vertrauen in einen Mann, der sich so kaltblütig, tapfer und ehrlich gezeigt hatte.

Die Häuptlinge erwarteten Wildtöter beinahe mit feierlichem Ernst. Rechts von ihnen standen die jungen bewaffneten Krieger, links die Weiber und Kinder. In der Mitte war ein großer offener Platz, den man sorgfältig von allem Laub und trockenem Holz gesäubert hatte. Rivenoak und der Panther, zwei rivalisierende Häuptlinge, die wie bei vielen Indianerstämmen die gesamte Macht unter sich teilten, saßen nebeneinander; aber keiner von beiden rührte sich, bis der Jäger in die Mitte des Platzes getreten war.

»Hier bin ich, Mingos«, rief Wildtöter jetzt im Dialekt der Delawaren, den die meisten verstanden. »Hier bin ich, und da ist die Sonne! Ihr habt jetzt euren Gefangenen wieder, beginnt mit ihm, was ihr wollt.«

Ein Beifallsgemurmel belohnte diese Rede, und fast alle hatten den Wunsch, einen Mann mit so kühnem Geist in den Stamm aufzunehmen. Rivenoak erhob sich, streckte den Arm aus und begrüßte den Gefangenen.

»Du bist ehrlich«, sagte er. »Es freut uns, daß wir einen Mann gefangen haben und nicht einen hinterlistigen Fuchs. Wir kennen dich jetzt, wir werden dich wie einen tapferen Krieger behandeln. Wenn du einen von uns erschlagen hast, so bist du bereit, es mit deinem Leben zu büßen. Einige unserer jungen Krieger glaubten, das Blut eines Bleichgesichts sei zu dünn, es werde sich weigern, unter dem Messer der Irokesen zu fließen. Du wirst ihnen zeigen, daß das nicht der Fall ist. Dein Herz ist so gut wie dein Körper! Ich habe gesprochen, du weißt, was ich gesagt habe.«

»Ich bin hier und bereit, das Urteil zu empfangen, wenn euer Beschluß nicht schon gefaßt wurde, ehe ich zurückkehrte«, antwortete Wildtöter.

»Meine alten Männer wollten über das Bleichgesicht erst beraten, wenn sie es wieder unter sich sähen«, antwortete Rivenoak, indem er sich spöttisch umsah. »Sie sagten, es sei sonst, als wolle man über die Winde zu Rat sitzen. Sie wehen, wohin sie wollen, und kommen wieder, wenn es ihnen gefällt, sonst nicht.«

Nun folgte eine kurze Beratung der Häuptlinge. Dem Gefangenen wurde gesagt, er dürfe auf der Halbinsel umhergehen, bis man sich über sein Geschick einig geworden sei. Er wurde freilich scharf beobachtet, denn er hatte sein Wort zurückgegeben, und jetzt wäre eine Flucht für ihn nur ehrenhaft gewesen. Wildtöter war von seiner Lage genau unterrichtet. Hätte eine Flucht auch nur die geringste Aussicht auf Erfolg gehabt, er würde den Versuch keine Minute aufgeschoben haben. So aber wußte er, daß es ihm jetzt unmöglich sein würde, unverletzt in die Wälder zu entkommen. Der See bot auch keine Hilfe, da das Kanu in den Händen seiner Feinde war. Während er auf der Landzunge umherging, blickte er um sich, ob es nirgends ein Versteck für ihn gab — aber die offene Lage und die wachsamen Blicke ließen ihn keines entdecken.

Mittlerweile schien im Lager alles seinen geregelten Gang zu gehen. Die Häuptlinge berieten und erlaubten niemandem außer Sumach, an ihren Beratungen teilzunehmen. Sie war die Witwe des von dem Jäger getöteten Kriegers und hatte ein Recht, angehört zu werden.

Die jungen Männer trieben sich müßig umher, während die Weiber das Mahl zubereiteten. Niemand verriet Teilnahme an dem Gefangenen. Nach einer Stunde ungefähr wurde dieser aufgefordert, wieder vor seinen Richtern zu erscheinen.

»Wildtöter«, redete ihn Rivenoak an, »meine alten Männer haben weise Worte angehört; Sie sind bereit zu sprechen. Du bist ein Mann, dessen Väter von jenseits der aufgehenden Sonne kamen, wir sind Kinder der untergehenden Sonne. Wir wenden unsere Gesichter den großen, süßen Seen zu, wenn wir nach unseren Dörfern blicken. Es mag ein schönes Land und voll Reichtümer gegen Morgen sein, aber angenehmer ist es gegen Abend. Wenn wir nach Osten blicken, fühlen wir Besorgnis, denn ein Kanu nach dem anderen bringt mehr und mehr von deinem Volk auf der Spur der Sonne, als wäre euer Land so voll, daß es überläuft. Der roten Männer sind nur noch wenige, sie bedürfen der Hilfe.

Eine unserer besten Hütten wurde vor kurzem durch den Tod ihres Besitzers leer. Es wird viel Zeit vergehen, bis sein Sohn groß genug ist, um seine Stelle einzunehmen. Da ist die Witwe, sie wird Wiidbret brauchen, um sich und ihre Kinder zu ernähren, denn ihre Söhne sind noch wie die Jungen des Rotkehlchens, ehe sie ihr Nest verlassen. Dies große Unglück ist ihr von deiner Hand widerfahren. Skalp um Skalp, Leben um Leben, Blut um Blut ist ein Gesetz; ihre Jungen zu ernähren aber ein anderes.

Wir kennen dich, Wildtöter. Du bist ehrlich. Wenn du etwas sagst, ist es so. Du hast nur eine Zunge, und sie ist nicht gespalten wie die einer Schlange. Dein Kopf ist nie im Gras verborgen, alle können ihn sehen. Was du ankündigst, das wirst du auch tun. Du bist gerecht! Hier ist Sumach! Sie lebt allein in ihrem Wigwam, und ihre Kinder schreien nach Nahrung. Da ist eine Flinte, sie ist geladen und zum Abschießen fertig. Nimm sie, geh hinaus und schieß ein Wild. Bring es der Witwe, ernähre ihre Kinder, nenn dich ihren Mann. Dann wird dein Herz nicht mehr das eines Delawaren, sondern das eines Mingos sein; die Ohren der Sumach werden nicht mehr das Geschrei ihrer Kinder hören, und mein Volk wird wieder dieselbe Anzahl von Kriegern haben.«

»Mingo, ich bin ein weißer Mann und ein Christ«, sagte Wildtöter ernst. »Es würde sich schlecht für mich schicken, eine Frau nach den Gebräuchen der roten Männer zu nehmen. Eure eigenen jungen Männer müssen die Sumach mit Wildbret versorgen, und wenn sie sich wieder verheiratet, soll sie einen Mann nehmen, dessen Beine nicht so lang sind, daß er in ein Gebiet läuft, das ihm nicht gehört. Er ist im offenen Kampf mit mir gefallen. Darauf muß ein Tapferer immer gefaßt sein. Nein, Mingo, mein Herz ist weiß in allem, was die Weiber betrifft, es ist delawarisch in allem, was auf Indianer Bezug hat.«

Wildtöter hatte diese Worte kaum ausgesprochen, als sich ein allgemeines Gemurmel der Unzufriedenheit erhob. Besonders Sumach, eine Frau, die die Mutter des Jägers hätte sein können, war nicht die Sanfteste in ihren Verwünschungen und Drohungen. Ihr Bruder aber, der Panther, der für den Tod Wildtöters gestimmt hatte, schleuderte, außer sich vor Wut, den Tomahawk auf den Gefangenen. Der Jäger jedoch hatte die schnelle Bewegung beobachtet. Er fing geschickt die Waffe aus der Luft. Der Wurf war so heftig, daß seine Hand ein Stück mitgerissen wurde.

Ehe sein Gegner sich dessen versah, hatte Wildtöter die Waffe auf ihn zurückgeschleudert. Die scharfe kleine Axt traf den Indianer unmittelbar zwischen den Augen und schlug ihm die Stirn ein. Vorstürzend fiel der schwere Körper der Länge nach zu Boden.

Alle eilten ihm zu Hilfe, so daß der Gefangene einen Augenblick allein blieb. Sein Wort hatte er nach der Beendigung des Urlaubs zurück, und so benützte er diesen Augenblick entschlossen zur Flucht. Kaum sahen ihn seine Feinde in langen Sprüngen davonlaufen, als sie ein furchtbares Geschrei erhoben und ihm nachsetzten.

So unerwartet das Ereignis auch eintrat, das Wildtöter zu diesem verzweifelten Versuch einer Flucht veranlaßte, so war er doch auf diese Möglichkeit vorbereitet gewesen. Während er scheinbar frei auf der Landzunge unhergegangen war, hatte er alle Aussichten des Erfolges und des Mißlingens berechnet. Er kannte das Terrain genau und die Stellen, wo Wachen ausgestellt waren, so daß er unbehindert aus dem Bereich des Lagers kam, wenn er auch die ganze Meute der Verfolger hinter sich hatte. Zuerst wandte er sich zum See und lief am Ufer entlang. Sobald er eine günstige Stelle bemerkte, drängte er sich durch das Gebüsch und entkam in den Wald.

Einige Kugeln sausten hinter ihm her, aber die allgemeine Verwirrung verhinderte, daß er getroffen wurde. Etliche Geschosse pfiffen dicht an ihm vorbei. Manche rissen Zweige von den Bäumen, aber keines verletzte ihn.

Wildtöter war mehr als hundertfünfzig Schritt vor dem vordersten seiner Verfolger. Die schnellsten Läufer warfen daher ihre Büchsen fort und riefen den Weibern und Knaben zu, sie mögen sie aufnehmen und wieder laden.

Der kühne Jäger kannte genau die verzweifelte Art des Kampfes, der ihm nun bevorstand, und er wußte auch, daß er nur in gerader Linie laufen dürfe — die Zahl der Verfolger zwang ihn dazu.

Er lief daher die Anhöhe hinauf, die in dieser Gegend weder sehr hoch noch sehr steil, aber doch schwer genug zu ersteigen war, besonders für jemanden, der so schnell fliehen mußte. Er mäßigte seine Eile ein wenig und schöpfte Atem. Die Mingos schrien und liefen hinter ihm her, er aber beachtete sie nicht. Nun befand er sich nicht mehr weit von der Höhe des Hügels und bemerkte, daß zwischen diesem und einem zweiten Hügel eine tiefe Schlucht lag.

Vorsichtig schritt er aus und sah sich in jeder Richtung nach einem Versteck um. In der Nähe lag ein gestürzter Baumriese. Verzweifelte Umstände verlangen verzweifelte Mittel. Dieser Baum lag parallel zur Schlucht am Abhang des Hügels. Auf ihn zuspringen und sich so dicht wie möglich unter den Stamm pressen, war für Wildtöter das Werk eines Augenblicks. Ehe er aber vor den Augen seiner Verfolger verschwand, stieß er von der Höhe herab ein lautes Geschrei aus, wie im Triumph über den Anblick der Schlucht.

Kaum hatte er sich verborgen, als er an der Heftigkeit seiner Pulsschläge merkte, wie verzweifelt seine Anstrengungen gewesen waren. Er konnte sein Herz schlagen hören, und sein Atem ging schwer und stoßweise. Aber er erholte sich bald. Die Verfolger, die sich die Anhöhe heraufgearbeitet hatten, kamen immer näher, und gleich darauf hörte er die Stimmen der Feinde.

Die Vordersten schrien laut, als sie die Höhe erreichten. Dann sprang jeder auf den gestürzten Baum zu und eilte die Schlucht hinab, in der Hoffnung, den Verfolgten noch zu erblicken. Wildtöter glaubte schon, sie seien alle vorüber. Indessen jedoch kamen immer mehr, bis er etwa vierzig gezählt hatte.

Endlich waren alle in der Tiefe der Schlucht etwa hundert Fuß unter ihm. Einige hatten schon eine Strecke des gegenüberliegenden Hügels erstiegen, als sie nachforschten, welche Richtung er eingeschlagen haben könnte. Das war ein kritischer Augenblick. Ein weniger entschlossener Mann würde aufgesprungen und weitergelaufen sein. Wildtöter aber verhielt sich noch ruhig und beobachtete mit gespannter Aufmerksamkeit jede Bewegung unten im Tal. Nichts entging seinem Blick.

Die Mingos glichen jetzt einer Schar Hunde, die die Spur verloren haben. Sie sprachen wenig, aber jeder lief umher und untersuchte die trockenen Zweige und die abgefallenen Blätter. Die große Anzahl von Mokassinspuren, die sich am Erdboden befand, machte die Untersuchung schwierig, wenn auch der Gang eines Indianers leicht von dem weiter ausgreifenden Schritt eines weißen Mannes zu unterscheiden ist.

Als Wildtöter glaubte, daß keine Verfolger mehr hinter ihm seien, schwang er sich plötzlich über den Baum auf die andere Seite. Dies gelang zu seiner Zufriedenheit. Er horchte einen Augenblick auf die Stimmen in der Schlucht, um sich zu überzeugen, daß er nicht gesehen worden war. Dann kroch er auf Händen und Füßen auf die Höhe zurück, denn er wollte den Hügel zwischen sich und seine Verfolger bringen.

Auch dies gelang, und er ging jetzt aufrecht und schnell, aber ruhig in der entgegengesetzten Richtung davon. Die Stimmen in der Schlucht beunruhigten ihn jedoch, und er eilte wieder auf die Höhe, um seine Verfolger zu beobachten.

In diesem Augenblick erblickte ihn ein Mingo, und die Verfolgung begann von neuem. Er blieb oben, da er auf der Anhöhe schneller entfliehen konnte.

Die Indianer glaubten, der Hügel werde bald gegen die Schlucht zu abfallen, und hielten sich unten, um den Flüchtling schneller erreichen zu können. Einige wandten sich nördlich, um seine Flucht in dieser Richtung zu verhindern, während andere in südlicher Richtung dem Seeufer zuliefen.

Die Lage Wildtöters war jetzt gefährlicher geworden. Er wurde von drei Seiten umzingelt, und an der vierten lag der See. Als er daher bemerkte, daß der Hügel gegen die Schlucht immer mehr abfiel, wandte er sich plötzlich nach links und sprang den Abhang hinab, dem Ufer zu.

Einige von seinen Verfolgern eilten keuchend den Hügel hinauf und hinter ihm her, während die meisten sich noch in der Schlucht befanden. Wildtöter hatte einen verzweifelten Plan im Sinn. Er gab alle Gedanken an eine Flucht in die Wälder auf und beabsichtigte, sich des Kanus zu bemächtigen. Er wußte, wo es lag. Konnte er es erreichen, so hatte er nur einige Flintenschüsse zu befürchten, und traf man ihn nicht, so war seine Rettung sicher.

Als Wildtöter sich der Landzunge näherte, lief er an mehreren Weibern und Kindern vorbei. Sie bemühten sich wohl, trockene Zweige zwischen seine Beine zu werfen, aber der Schrecken über seine kühne Tat gegen den gefürchteten Panther war so groß, daß niemand es wagte, ihm nahe zu kommen.

Er lief an allen triumphierend vorbei und erreichte die Ufergebüsche. Gleich darauf befand er sich am See und etwa fünfzig Fuß von dem Kanu entfernt. Nun hörte er auf zu laufen, um einen Augenblick auszuruhen. Er trat vor, beugte sich nieder und schöpfte Wasser in seine Hand, um zu trinken. Doch die Sekunden drängten, und er stand bald an der Seite des Kanus. Da mußte er bemerken, daß man die Ruder fortgenommen hatte. Das war nach all den Anstrengungen eine schreckliche Enttäuschung, und einen Augenblick dachte er schon daran, umzukehren und sich seinen Feinden auszuliefern. Doch ein teuflisches Geschrei verkündete gerade jetzt ihr Kommen, und sein Wille zu leben trug den Sieg davon.

Er wendete rasch entschlossen die Spitze des Kanus der Seemitte zu. Dann lief er einige Schritte neben dem Fahrzeug her, um ihm eine gewisse Geschwindigkeit zu geben, und schwang sich schließlich schnell hinein. Ohne die Bewegung zu hemmen, fiel er auf den Boden des Bootes und blieb dort liegen, um wieder Atem zu holen und vor den feindlichen Schüssen gedeckt zu sein. Die Leichtigkeit des Kanus wirkte aber jetzt ungünstig. Das Boot hatte wenig Schwerkraft, sonst würde der Stoß es in dem glatten und stillen Wasser weiter vom Ufer weggebracht haben. Außer Schußweite hätte er mit den Händen rudern können, und es wäre möglich gewesen, die Aufmerksamkeit Chingachgooks und Judiths zu erregen.

Während er auf dem Boden lag, beobachtete er die Bewegungen des Bootes an den Baumwipfeln, die über dem Wasser hingen. Viele erregte Stimmen drangen vom Ufer herüber. Seine Lage schien kritischer denn je und stellte seine Geduld hart auf die Probe. Zwei bis drei Minuten lag er ganz ruhig und lauschte angestrengt, ob sich jemand schwimmend nähere. Einigemal schien es ihm wirklich, als höre er Schwimmbewegungen im Wasser. Es war jedoch nur das Rauschen der Wellen über den Steinen am Ufer.

Nach einer Weile hörte er die Stimmen nicht mehr. Das Kanu war jetzt so weit getrieben, daß er nichts sehen konnte als den blauen Himmel über sich. Die Ungewißheit quälte ihn. Schon wollte er mit seinem Messer ein Loch durch die dünne Bootwand schneiden, da fiel ein Schuß. Die Kugel schlug durch beide Seitenwände des Kanus, etwa achtzehn Zoll über der Stelle, wo sein Kopf lag. Wildtöter verhielt sich noch eine halbe Minute ruhig.

Als er plötzlich den Wipfel einer Eiche in seinen Gesichtskreis treten sah, krümmte er seinen Körper mit aller Vorsicht und legte sein Auge an die Öffnung, wo die Kugel durchgegangen war. Er konnte glücklicherweise die Landzunge ziemlich gut übersehen. Das Kanu hatte sich nach Süden gewendet und trieb langsam den See hinab. Es war ein Glück, daß Wildtöter ihm einen so kräftigen Stoß versetzt hatte, daß es schließlich über das Ende der Landzunge hinausgetrieben war, sonst hätte es jetzt wieder an das Ufer stoßen müssen. So aber trieb es eine leichte Luftströmung aus Südwesten langsam vom Strande ab.

An jedem Ende des Kanus lag als Sitz wie üblich ein großer runder, glatter Stein. Wildtöter ergriff vorsichtig den einen und rollte ihn an die Seite des anderen, während er seinen Körper so weit wie möglich zurückdrängte. Als er das Ufer verließ, hatte er einen Zweig in das Kanu geworfen, der sich jetzt in der Nähe seines Armes befand. Er nahm seine Mütze ab, steckte sie auf das Ende des Stocks und ließ sie dann über dem Rand des Kanne so fern wie möglich von seinem Körper erscheinen. Diese Kriegslist durchschauten die Rothäute, und eine Kugel schlug dicht an seinem Arm durch die Bootswand und verletzte ihn leicht. Als er die Mütze noch einmal, jetzt über seinem Kopf, zeigte, blieb alles ruhig. Er lag daraufhin noch einige Minuten still und sah dann durch das Kugelloch, daß er allmählich immer weiter vom Ufer abgetrieben wurde. Das Kanu wendete sich langsam, so daß er durch die Kugellöcher die beiden äußersten Enden des Sees erblicken konnte. Er dachte jetzt wieder an seinen Stock, mit dem er sich vielleicht fortrudern konnte.

Dies gelang ihm schließlich besser, als er gehofft hatte, aber er wußte nicht, wie er das Kanu in gerader Linie halten sollte. Daß man seine Bewegung sah, ergab sich bald. Eine Kugel schlug durch die Bootsspitze und pfiff zwischen den Armen Wildtöters hindurch. Ein zweiter Schuß zerschmetterte den Stock. Daher mußte er sich nun der Eigenbewegung des Kanus überlassen. Da es ihm jedoch schien, als klängen die Stimmen immer entfernter, wollte er sich gedulden, bis er außer Schußweite war.

Wildtöter befand sich schon zwanzig Minuten in dem Kanu, und ungeduldig wartete er auf die Hilfe seiner Freunde. Der Stellung des Bootes zufolge konnte er den See nur hinauf— oder hinabsehen, und die Wasserburg Hutters lag nicht in seinem Gesichtskreis. Die tiefe Stille beunruhigte ihn jedenfalls. Endlich legte er sich, von dem fruchtlosen Warten ermüdet, auf den Rücken, machte die Augen zu und erwartete ruhig den Ausgang.

Zehn Minuten mochten etwa so verflossen sein, als Wildtöter ein leichtes Geräusch wie ein leises Reihen gegen den Boden des Kanus zu hören glaubte. Er öffnete die Augen und erwartete, das Gesicht oder den Arm eines Indianers zu sehen, aber er erblickte nur ein grünes Laubgewölbe unmittelbar über seinem Kopf. Er sprang auf und sah — Rivenoak, der langsam das Boot ans Land zog. Das Kanu war infolge der schnell wechselnden Luftströmungen und einiger Strudel im Wasser wieder zurückgetrieben worden.

»Komm«, sagte der Irokese mit einer ruhigen, gebieterischen Bewegung. »Mein junger Freund ist umhergesegelt, bis er müde wurde, er wird nicht entfliehen, bis er seine Beine wieder bedienen kann.«

»Ihr habt freilich den Vorteil davon!« erwiderte Wildtöter, indem er ruhig aus dem Kanu trat. »Die Vorsehung ist euch unerwartet zu Hilfe gekommen.«

»Mein junger Freund ist ein Elch«, sagte der Mingo. »Seine Beine sind sehr lang, sie haben meinen jungen Männern Mühe gemacht. Aber er ist kein Fisch, er kann seinen Weg im Wasser nicht finden. Wir haben ihn daher nicht erschossen, denn Fische werden in Netzen gefangen und nicht mit Kugeln getötet.«

»Ich bin euer Gefangener, behandelt mich, wie ihr wollt«, antwortete der Jäger kurz, der den Hohn in Rivenoaks Worten spürte.

»Mein Bruder ist lange auf den Hügeln umhergelaufen und auf dem Wasser gesegelt«, erwiderte der Häuptling lächelnd, »er hat die Wälder gesehen, er hat das Wasser gesehen. Vielleicht hat er genug gesehen, um seinen Entschluß zu ändern und vernünftige Vorschläge anzuhören.«

»Sprich, Mingo!«

»Meines Bruders Ohren sind jetzt weiter geöffnet als vorhin, und seine Augen sind nicht geschlossen. Die Sumach ist ärmer als je. Einst hatte sie einen Bruder und einen Mann. Sie hat auch Kinder. Die Zeit kam, und ihr Mann begab sich in das glückliche Jagdgebiet, ohne Lebewohl zu sagen. Er ließ sie allein mit seinen Kindern. Der Panther folgte dem Mann seiner Schwester auf dem Todespfad. Sie messen jetzt ihre Kräfte, wer zuerst das glückliche Jagdgebiet erreichen wird. Wer aber soll Sumach und ihre Kinder ernähren? Der Mann, der dem Luchs und dem Panther sagte, sie mögen ihre Hütten verlassen, damit Raum für ihn darin sei. Er ist ein berühmter Jäger, und wir wissen, daß er eine Frau ernähren könnte.«

»Ich habe gehört, daß einige ihr Leben auf diese Art retteten«, antwortete Wildtöter, »aber ich kenne auch manche, die den Tod einer solchen Gefangenschaft vorziehen würden. Ich suche zwar nicht den Tod, aber auch keine Heirat.«

»Mein Bruder wird darüber nachdenken, während mein Volk sich zur Beiatung versammelt. Es wird ihm gesagt werden, was ferner geschehen soll.«

Dieses Gespräch hatte nur zwischen den beiden stattgefunden. Von der ganzen Bande war nur Rivenoak sichtbar. Die übrigen schienen den Ort verlassen zu haben. Hausgeräte, Kleider, Waffen, alles war verschwunden. Eine so unerwartete Veränderung erregte die Besorgnis des Gefangenen, denn unter den Delawaren hatte er etwas Derartiges noch nie erlebt.

Rivenoak ließ ihn jetzt allein und begab sich in den Wald. Wildtöter zeigte sich gleichmütig und ging auf dem offenen Platz herum. Allmählich näherte er sich der Stelle, wo er ans Land gestiegen war. Als er an die Bucht trat, war das Kanu verschwunden. Der Jäger konnte seine Lage jetzt übersehen. Er war ein Gefangener auf der engen Landzunge und ohne Zweifel sorgfältig bewacht. Es blieb ihm keine andere Möglichkeit zur Flucht, als zu schwimmen. Aber der unsichere Erfolg und die Gewißheit, daß man ihn im Kanu verfolgen werde, hielten ihn zurück.

Er wandte sich nun wieder dem offenen Platz zu, wo er zu seinem Erstaunen Hetty fand, die auf seine Rückkehr wartete. Sie hatte ihre Bibel unter den Arm geklemmt und schien überaus traurig zu sein.

»Weshalb hast du den Mingo getötet?« fragte das Mädchen vorwurfsvoll. »Kennst du nicht das Gebot ›Du sollst nicht töten!‹? Ich höre, du hast auch den Mann des Weibes erschlagen.«

»Es ist wahr, Hetty. Ich will nicht leugnen, was geschehen ist, aber wir sind im Krieg, und die Mingos trachten nach meinem Leben.«

»Ich weiß, aber es hat mir doch sehr leid getan, denn ich glaubte, du würdest Böses mit Gutem vergelten.«

»Ja, Hetty, das mag unter den Missionären möglich sein, aber in den Wäldern würde man mit solchen Ansichten zugrunde gehen.«

Hetty schwieg eine Weile nachdenklich. Dann sagte sie: »Wildtöter, willst du Sumach jetzt heiraten?«

Der Jäger schüttelte den Kopf und nahm dann He’ttys Hände. »Sag mir, Hetty«, sprach er ruhig, »wo sind die Mingos geblieben? Weshalb lassen sie dich auf der Landzunge umhergehen, als wärest auch du gefangen?«

»Ich bin keine Gefangene, Wildtöter; ich kann gehen, wohin ich will. Die Mingos sind dort drüben in den Wäldern. Sie beobachten uns beide genau.«

In diesem Augenblick kamen die Indianer aus dem Gebüsch und schlossen einen großen Kreis um Wildtöter. Rivenoak erschien zuletzt und nahm seinen Ehrenplatz ein. Einige der älteren Krieger standen neben ihm. Er war nun nach dem Tod des Panthers der anerkannte Häuptling des Stammes.

Als der ganze Stamm um den Gefangenen versammelt war, trat ein allgemeines Schweigen ein. Wildtöter bemerkte, daß die Weiber und Knaben Späne aus fetten Tannenwurzeln vorbereitet hatten, die später in sein Fleisch gebohrt und angezündet werden sollten. Ein naher Rauch zeigte, daß die Feuerbrände schon bereit seien, und mehrere von den älteren Kriegern fuhren mit den Fingern über die Schneiden ihrer Tomahawks, als wollten sie ihre Schärfe prüfen.

»Wildtöter«, sagte Rivenoak mit Ruhe und Würde, »es ist Zeit, daß mein Volk weiß, was es zu tun hat. Die Sonne steht nicht mehr über unseren Häuptern. Es wird bald Nacht. Der umherschwärmende Wolf hat seine Höhle, und er sucht sie nur, wenn er seine Jungen zu sehen wünscht. Die Mingos sind nicht ärmer als die Wölfe. Sie haben Dörfer, Wigwams und Getreidefelder. Die guten Geister werden müde sein, sie allein zu bewachen. Mein Volk muß zurückkehren. Es wird Freude in den Wigwams sein, wenn man unsere Rufe aus dem Wald vernimmt. Aber wir werden traurig sein. Wir haben den Skalp der Moschusratte, sein Körper ist unter den Fischen. Es sind jedoch zwei Hütten leer, und wir müssen vor jeder Tür einen Skalp haben, sei er lebend oder tot!«

»So nimm ihn denn tot, Mingo!« rief der Gefangene.

Rivenoak befahl darauf, den Gefangenen zu binden. Wildtöter leistete keinen Widerstand. Sobald er gefesselt war, wurde er zu einem jungen Baum getragen und stehend an diesen gebunden.

13

Kaum waren die jungen Männer benachrichtigt, daß die Martern beginnen könnten, als auch schon einige der kühnsten unter ihnen mit dem Tomahawk in der Hand in den Kreis traten. Hier bereiteten sie sich vor, die gefährliche Waffe zu schleudern. Sie mußten den Baum so nah wie möglich am Kopf des Gefangenen treffen, ohne ihn selbst zu verwunden. Dies war eine schwierige Aufgabe, und nur die Geschicktesten ließ man zu, damit nicht etwa ein vorzeitiger Tod des Opfers die Unterhaltung abkürze.

Alle, die jetzt in den Kreis traten, wollten nur ihre Geschicklichkeit zeigen. Den ersten nannte man den Raben. Er hatte noch keine Erfahrung auf dem Kriegspfad. Wildtöter glaubte, seine Stunde sei gekommen. Der junge Mingo schwang die Axt drohend in der Luft und schleuderte sie dann nach seinem Opfer. Die Waffe streifte den Baum, an den der Gefangene gebunden war, nah an dessen Wange und fuhr dann in eine Eiche mehrere Schritte hinter ihm. Das war kein sonderliches Probestück. Die Kaltblütigkeit des Gefangenen erregte ein unterdrücktes Murmeln der Bewunderung. Der Kopf war der einzige Teil seines Körpers, den er bewegen konnte, aber Wildtöter hatte nicht um Haaresbreite gezuckt.

Jetzt kam die Reihe an Elch, einen Krieger, der besonders geschickt mit dem Tomahawk war. Er stellte sich ruhig in die Mitte des Kreises, hob die kleine Axt, trat schnell einen Schritt vor und schleuderte sie. Wildtöter sah die scharfe Waffe gegen sich wirbeln und glaubte schon, alles sei vorüber. Indessen hatte der Tomahawk nur seine Haare erfaßt und war dann tief in die weiche Rinde eingedrungen, so daß sein Kopf unbeweglich an den Baum geheftet war. Ein allgemeines Beifallsgeschrei erhob sich nach dieser Leistung. Es folgten nun andere Krieger, die zum Teil auch mit Messern warfen. Aber alle bemühten sich, den Gefangenen nicht zu treffen.

Wildtöter wurde zwar mehrere Male gestreift, wurde aber nicht ernstlich verletzt. Sein Mut fand Anerkennung. Rivenoak erklärte, der weiße Mann habe sich gut benommen, und wenn er auch mit den Delawaren gelebt habe, sei er doch kein Weib unter ihnen geworden. Er rief jetzt vier oder fünf der besten Schützen zu sich und überließ ihnen den Gefangenen zur Prüfung mit der Flinte. Wildtöter kannte die Indianer als schlechte Schützen und wußte, daß er diesen Teil der Martern nicht überleben werde. Sein Trost war, durch seine Lieblingswaffe zu sterben.

Jedoch bevor die Rothäute anfingen, trat Hetty in den Kreis und rief: »Weshalb quält ihr Wildtöter? Was hat er euch getan? Als der Vater und Harry Hurry eure Skalpe holen wollten, weigerte er sich, sie zu begleiten, und blieb im Kanu zurück. Ihr martert einen Freund!«

Die Mingos hörten mit Aufmerksamkeit zu. Einer von ihnen, der Englisch verstand, übersetzte, was sie gesagt hatte.

»Meine Tochter ist sehr willkommen!« antwortete Rivenoak sanft. »Die Mingos freuen sich, ihre Stimme zu hören. Der Große Geist verkündet den Menschen oft durch solche Zungen seinen Willen. Diesmal sind aber ihre Augen nicht weit genug geöffnet gewesen, und sie haben nicht alles gesehen. Wildtöter kam nicht wegen unserer Skalpe, das ist wahr, aber weshalb nicht? Hier waren sie auf unseren Köpfen. Die Kriegslocken sind bereit, die Beute daran festzuhalten; ein kühner Feind sollte seine Hand ausstrecken und sich ihrer bemächtigen. Die Mingos sind zu berühmt, als daß sie Männer bestrafen sollten, die Skalpe nehmen. Möge meine Tochter sich umsehen und meine Krieger zählen. Es fehlen zwei, und das Bleichgesicht hat sie getötet!«

»Du weißt, Häuptling, daß es nicht Wildtöters Schuld war. Euer Krieger trachtete ihm nach dem Leben, und er verteidigte sich. Wenn ihr wissen wollt, wer von euch am besten schießen kann, so gebt Wildtöter auch eine Flinte!«

»Meine Tochter spricht nicht wie ein Häuptling am Beratungsfeuer«, erwiderte Rivenoak, »sonst würde sie so etwas nicht gesagt haben. Zwei meiner Krieger hat dieser Gefangene erschlagen. Ihr Grab ist zu klein, um einen dritten aufzunehmen. Die Mingos wollen nicht noch mehr Tote in ihren Reihen. Geh, Tochter, und setz dich zu Sumach, die in Trauer ist. Laß die Mingos zeigen, wie gut sie schießen können.«

Hetty, die gewohnt war, dem Willen anderer nachzugeben, setzte sich auf einen Baumstamm neben Sumach und wendete ihr Gesicht von der schrecklichen Szene ab.

Die Schützen begannen sofort und stellten sich auf. Das Gesicht Wildtöters war von den Flintenläufen nur so weit entfernt, daß es vor den unmittelbaren Wirkungen des Schusses geschützt blieb. Er konnte gerade in die Läufe sehen. Die Mingos wußten dies, und kaum einer von ihnen hob die Waffe, ohne sie vorher der Stirn des Gefangenen möglichst nahe zu bringen. Jeder von ihnen hütete sich aber, ihn zu verletzen. Ein Schuß nach dem anderen folgte, und alle Kugeln schlugen ganz in der Nähe von Wildtöters Kopf ein, ohne ihn zu berühren. Mit keinem Muskel zuckte er, was die Wilden offensichtlich bewunderten. Er beobachtete aber ihr Zielen scharf und wußte von vornherein, wo die Kugeln einschlagen mußten.

»Ihr mögt das Schießen nennen, Mingos«, sagte er schließlich voll Verachtung, »aber wir haben Squaws unter den Delawaren, und ich habe holländische Mädchen kennengelernt, die euch bei weitem übertreffen würden. Bindet meine Arme los, gebt mir eine Flinte und ich will die dünnste Kriegslocke von einem unter euch an jeden Baum heften, den ihr mir zeigt, und zwar auf hundertfünfzig Schritt, ja selbst auf dreihundert, und bei zwanzig Schüssen könnt ihr neunzehn Treffer zählen!«

Ein leises, drohendes Gemurmel folgte dieser kaltblütigen Erklärung. Aber Rivenoak trat mitten unter die Krieger und redete sie an:

»Ich sehe, wie es ist«, sagte er, »wir haben uns benommen wie die weißen Männer, wenn sie des Nachts ihre Türen aus Furcht vor den roten Männern verschließen. Sie legen so viele Eisenstangen vor, daß sie verbrennen, wenn ein Feuer ausbricht. Wir haben den Gefangenen zu fest gebunden. Er kann seine Glieder nicht rühren und seine Augen nicht schließen. Bindet ihn etwas lockerer, damit er sich bewegen kann.«

Man stimmte ihm zu, und Wildtöter wurde losgebunden. Er brachte sein Blut durch Stampfen mit den Füßen wieder in Bewegung, und seine Kräfte kehrten bald zurück. Plötzlich bemerkte er unter den Indianerinnen eine große Aufregung, indes die Krieger sich ernst und abwartend auf ihre Flinten stützten. Befremdet sah er sich um und entdeckte schließlich Judith, die langsam in den Kreis trat. Sie trug das Brokatkleid aus der Truhe und gab sich wie eine der Damen aus der Garnison.

Die Wirkung dieses Auftrittes war von ihr richtig berechnet worden. Sobald sie eingetreten war, wurde sie mit Staunen und Bewunderung betrachtet. Viele Krieger stießen ihr »Hugh« aus, alle musterten sie gespannt.

»Welcher von diesen Kriegern ist der Häuptling?« fragte Judith Wildtöter. »Meine Fragen sind zu wichtig, als daß ich sie einem geringen Krieger vorlegen könnte. Erkläre den Mingos, was ich gesagt habe, Wildtöter, dann beantworte meine Frage.«

Der junge Mann erfüllte ihren Wunsch, und Rivenoak stellte sich daraufhin mit gemessener Würde als Häuptling vor.

»Ich glaube dir, Mingo«, sagte Judith, indem sie ihre Damenrolle mit Sicherheit und Würde spielte. »Ich lese in deinen Zügen die Beweise des Nachdenkens und der Klugheit. An dich muß ich daher meine Mitteilung richten.«

»Möge die Blume des Waldes sprechen«, erwiderte der alte Häuptling höflich, als ihre Anrede übersetzt worden war. »Wenn ihre Worte so angenehm sind wie ihre Blicke, werden sie nie meine Ohren verlassen. Ich werde sie vielmehr noch lange vernehmen‘ wenn auch der Winter von Kanada die Blumen getötet und alle Stimmen des Sommers zum Schweigen gebracht hat.«

»Mingo, hör auf meine Worte«, antwortete Judith unwillkürlich lächelnd. »Deine Augen sagen dir, daß ich keine einfache Frau bin. Ich will mich nicht für die Königin dieses Landes ausgeben, sie ist in einem weit entfernten Reich. Aber es gibt viele Rangstufen an dem Hof meines Königs. Du weißt und siehst, daß eine Frau zu dir spricht, die deine Freundin oder deine Feindin werden kann, je nachdem, wie du sie behandelst.«

»Meine Tochter ist schöner als die wilde Rose am Ontario«, antwortete Rivenoak ernst, »ihre Stimme ist dem Ohr so angenehm wie der Gesang des Zaunkönigs. Meine Tochter hat ohne Zweifel ein sehr großes Wigwam irgendwo am See, die Mingos haben es wegen ihrer Unwissenheit nicht gefunden!«

»Mein Haus, Häuptling, ist weit von hier. Du darfst deinen Augen trauen; wo gibt es einen roten Mann, der nicht sehen könnte? Dieses Kleid, das ich trage, ist nicht das einer gewöhnlichen Squaw; diesen Schmuck tragen nur die Weiber und Töchter der Häuptlinge. Jetzt hör, weshalb ich hierhergekommen bin. Die Engländer haben junge Männer, so gut wie die Mingos, und zwar sehr viele. Das weißt du doch sicherlich.«

»Es gibt so viele Engländer wie Blätter an den Bäumen. Dies weiß jeder Mingo.«

»Ich verstehe dich, Häuptling. Hätte ich mein Gefolge mitgebracht, würde es Streit gegeben haben. Meine jungen Männer und deine jungen Männer hätten einander zornig angesehen, besonders wenn meine jungen Männer bemerkt hätten, daß ihr den weißen Mann dort martern wollt. Er ist ein berühmter Jäger und in den Garnisonen bekannt und geehrt. Meine Leute hätten ihn befreien wollen, und der Weg der Mingos nach Kanada würde mit Blut gezeichnet sein.«

»Es ist schon jetzt so viel Blut darauf«, erwiderte der Häuptling düster, »daß unsere Augen fast davon erblinden. Meine jungen Männer aber sehen, daß es nur Mingoblut ist.«

»Noch mehr Mingoblut wäre jedoch geflossen, wenn ich, von weißen Männern umgeben, zu euch gekommen wäre. Ich habe von Rivenoak gehört und ich glaube, es würde besser sein, ihn in Frieden nach seinem Lager jenseits der Berge zu schicken. Er hat, wie ich erfahren habe, aus Elfenbein geschnitzte Tiere und Flinten gern. Sieh, hier habe ich einige mitgebracht, um sie ihm zu zeigen. Ich bin seine Freundin. Wenn er diese Dinge unter seine Sachen gepackt hat, wird er den Pfad nach seinem Dorf einschlagen, ehe einer von meinen jungen Männern ihn einholen kann. Ich will diesen berühmten Jäger mit mir nehmen, denn er soll mein Haus mit Nahrung versorgen.«

Judith, die mit den Redensarten der Indianer genügend bekannt war, bemühte sich, in ihren Bildern zu sprechen, und Wildtöter unterstützte sie dabei.

»Möge meine Tochter ihr doppelt geschwänztes Schwein zum Essen aufbewahren!« antwortete Rivenoak trocken. »Und auch die kleine Flinte mit den zwei Mündungen. Die Mingos werden ihr Wild töten, wenn sie hungrig sind, und sie haben lange Flinten zum Kampf. Dieser Jäger kann meine jungen Männer jetzt nicht verlassen. Sie wollen wissen, ob er den Mut hat, dessen er sich rühmt.«

»Das bestreite ich, Mingo«, unterbrach ihn Wildtöter zornig. »Niemand hat mich prahlen gehört, und niemand wird es hören, wenn ihr mich auch lebendig schinden solltet.«

»Der junge weiße Mann rühmt sich, daß er kein Prahler ist«, erwiderte der schlaue Häuptling, »er muß recht haben. Ich höre einen seltsamen Vogel singen. Er hat sehr bunte Federn. Noch nie sah ein Mingo solche Federn! Die Mingos würden sich schämen, nach ihrem Lager zurückzukehren und zu erzählen, sie hätten einen Gefangenen wegen dieses seltsamen Vogels gehen lassen, obwohl sie nicht einmal den Namen dieses Vogels wußten. Sie können nicht sagen, ob es ein Zaunkönig ist, oder was für ein Vogel sonst. Das wäre eine große Schande.«

»Du kannst meinen Namen von deinem Gefangenen erfahren«, erwiderte das Mädchen. »Ich heiße Judith, und in dem Buch der weißen Männer, in der Bibel, steht eine lange Geschichte von Judith.«

»Nein«, antwortete der schlaue Mingo plötzlich englisch. »Ich Gefangenen nicht fragen. Er müde, Ruhe nötig haben, ich meine Tochter fragen, aus der Geist spricht. Sie Wahrheit reden. Komm her, Tochter, du antworten. Dein Name Hetty?«

»Ja, so nennt man mich«, erwiderte das Mädchen.

»Was ist ihr Name?«

»Es ist meine Schwester Judith, Thomas Hutters Tochter.«

Ein Lächeln des Triumphes verzerrte die harten Züge des Häuptlings. Judith wußte jetzt, daß ihr Plan gescheitert war. Sie sah Wildtöter an, als erwarte sie von ihm, daß er sie beide rette.

»Es geht nicht, Judith«, sagte der Jäger. »Es war ein kühner Gedanke, und er hätte einer Generalsfrau Ehre gemacht. Aber dieser Mingo« — Rivenoak hatte sich etwas entfernt, so daß er seine Worte nicht hören konnte — »ist ein ungewöhnlicher Mann und läßt sich nicht leicht täuschen.«

Auf ein Zeichen Rivenoaks sollten jetzt die Krieger mit den Martern fortfahren. Wildtöter wurde wieder gefesselt, und selbst Weiber und Kinder machten sich daran, trockene Zweige herbeizubringen. Schon loderte die Flamme, da drang eine Indianerin in den Kreis und stieß mit ihrem Fuß die brennenden Zweige auseinander.

Ein allgemeines Geschrei des Unwillens war die Antwort. Als die Indianerin sich aber dem Kreis zukehrte, erkannte man Wah und begrüßte sie freudig. leder Gedanke an die Martern war für einen Augenblick vergessen. Man drängte sich um das Mädchen. Wah sprach zuerst leise zu Judith und drückte ihr verstohlen einen kleinen Gegenstand in die Hand. Dann begrüßte sie die Mingomädchen.

Judith fand ihre Selbstbeherrschung wieder und handelte schnell. Das kleine, scharfe Messer, das Wah ihr gegeben hatte, steckte sie unbemerkt Hetty zu, weil sie glaubte, daß diese am sichersten und ohne Mißtrauen zu erregen, auf Wildtöter zutreten könnte. Statt aber seine Hände zu befreien und ihm dann das Messer zu reichen, damit er es jeden Augenblick bereit habe, zerschnitt Hetty die Riemen, mit denen sein Kopf an den Baum gebunden war.

Nun wurde man auf das Mädchen aufmerksam und verhinderte noch rechtzeitig ihr Tun. Die Entdeckung erregte zudem das Mißtrauen gegen Wah. Als diese befragt wurde, leugnete sie zu Judiths Erstaunen nicht, daß sie das Messer gebracht habe.

»Weshalb sollte ich Wildtöter nicht beistehen?« fragte die Delawarin stolz. »Er ist der Bruder eines Delawarenhäuptlings, mein Herz ist ganz delawarisch. Komm her, Blender!« rief sie dann plötzlich laut und zeigte auf einen der Rothäute. »Wasch die irokesischen Kriegsfarben von deinem Gesicht, erscheine vor den Mingos als die Krähe, die du bist! Du würdest lieber an den Leichen deiner eigenen Toten nagen als verhungern. Stellt ihn Wildtöter gegenüber! Häuptlinge und Krieger! Ich will euch zeigen, welchen Verräter ihr in euren Stamm aufgenommen habt.«

Alle sahen den Mann an, der Wah-ta-Wah geraubt und den man als abtrünnigen Delawaren im Stamm aufgenommen hatte, wenn auch das Mißtrauen ihm gegenüber niemals verschwunden war. Der Abtrünnige fragte jetzt in abfälligem Ton, was gegen ihn vorgebracht würde.

»Frag dich das selbst«, fuhr Wah zornig fort, obgleich sie eine innere Unruhe nicht ganz unterdrücken konnte. »Frag dein eigenes Herz, schleichender Hund! Komm nicht hierher mit dem Gesicht eines unschuldigen Mannes! Geh hin und schau in die Quelle, sieh die Farbe deiner Feinde auf deiner lügnerischen Haut! Dann komm zurück und rühme dich, wie du deinem Stamm entlaufen bist und den Feinden deine Dienste verkauft hast!«

»Wer spricht hier?« fragte der Delaware. »Wenn der weiße Mann seines Lebens müde ist, wenn er die indianischen Martern fürchtet, so sprich, Rivenoak. Ich will ihn den Kriegern nachsenden, die wir verloren haben!«

»Nein, Rivenoak«, unterbrach ihn Wah schnell. »Wildtöter fürchtet nichts, am wenigsten eine Krähe! Laß seine Bande lösen, stell ihn diesem Nachtvogl gegenüber und laß uns dann sehen, wer seines Lebens müde ist!«

Wah-ta-Wah trat vor und wollte einem jungen Mann das Messer nehmen und selbst die Fesseln des Gefangenen zerschneiden, aber ein alter Krieger hinderte sie daran.

Rivenoak beobachtete alles, was das Mädchen tat, mit Mißtrauen. Er vermutete irgendeine List hinter ihrem Benehmen und winkte daher den Kriegern, mit den Martern fortzufahren. Der Holzstoß wurde wieder angezündet.

In diesem Augenblick drang ein junger Indianer durch die Reihen der Mingos und sprang tollkühn und verwegen mitten in ihren Kreis. Der erste Gedanke Rivenoaks war, daß einer seiner Späher, die am Seeufer postiert waren, mit wichtigen Nachrichten gekommen sei. Drei Sprünge brachten den Krieger an die Seite Wildtöters, dessen Bande er schnell durchschnitt.

Dann wandte sich der junge Indianer den Mingos zu, und sie erkannten zu ihrem Erstaunen einen Delawaren in voller Kriegsbemalung. Er trug in jeder Hand eine Flinte, und während er die eine davon Wildtöter gab, redete er die schweigenden feindlichen Krieger an.

»Mingos«, sagte er, »die Erde ist sehr groß. Jenseits der großen Seen ist Raum für die Mingos, und diesseits für die Delawaren. Ich bin Chingachgook, der Sohn Unkas und aus der Familie des Tamenund. Dies ist meine Verlobte, der weiße Mann da ist mein Freund. Mein Herz wurde mir schwer, als ich ihn vermißte. Ich folgte ihm in euer Lager, um auf ihn zu achten. Alle Delawarenmädchen warten auf Wah. Sie wundern sich, daß sie so lange fortbleibt. Kommt, laßt uns Lebewohl sagen und unseren Pfad weiterverfolgen.«

»Irokesen, das ist euer Feind, die Große Schlange der Delawaren«, rief schnell der abtrünnige Stammesgenosse Chingachgooks. »Wenn ihr zugebt, daß er entflieht, so wird den Spuren eurer Mokassins von hier bis Kanada Blut folgen. Ich bin ein echter Mingo.«

Mit diesen Worten warf der Verräter sein Messer gegen die nackte Brust des Delawaren. Wah hatte aber seine Absicht erkannt, und ein schneller Stoß von ihr ließ die Waffe mit der Spitze in den Stamm einer Tanne fahren. Im nächsten Augenblick schleuderte der junge Häuptling sein Messer, und es blieb zitternd im Herzen des Verräters stecken.

Ein lautes Geschrei folgte dieser Handlung, der ganze Stamm kam in Aufruhr. Schon drängte man sich wutentbrannt um Chingachgook und Wildtöter, als piötzlich in den Wäldern ein schwerer, gleichmäßiger Marschtritt zu vernehmen war.

Die Indianer gerieten in eine panikartige Aufregung. Nach wenigen Augenblicken sah man zwischen den Bäumen die Uniformen englischer Soldaten.

In der allgemeinen Verwirrung behielt Wildtöter seine Kaltblütigkeit. Er riß Judith und Wah hinter einen Baum und sah sich nach Hetty um, aber diese war von den flüchtenden indianischen Weibern fortgerissen worden.

Die Soldaten rückten schweigend und in geschlossener Linie vor und riegelten die Indianer auf der Landzunge ab. Mit wütendem Geschrei suchte ein Teil der Mingos verzweifelt nach Deckung, während ein anderer wild das Feuer eröffnete. In den Reihen der heranrückenden Engländer hörte man die Rufe und die Flinte Hurrys. Die Soldaten aber feuerten nicht. Nur die Bajonette blitzten in den schrägen Strahlen der Abendsonne und taten ihr blutiges Werk.

14

Als der Kampf vorüber war und die Toten und Verwundeten fortgebracht wurden, fand man die arme Hetty mit einer schweren Verletzung. Eine Flintenkugel hatte sie durchbohrt. Die Wunde war tödlich. Niemand wußte, wer sie ihr zugefügt hatte.

Man bettete die Sterbende auf ein einfaches Lager in der Arche. Die kleine Gruppe von Menschen, die durch die Gefahren der letzten Tage so eng vereinigt worden war, wich nicht mehr von ihrer Seite.

Judith und Wah-ta-Wah saßen neben ihr. Wildtöter stand am Ende des Lagers. Chingachgook verharrte aufrecht und bewegungslos im Hintergrund, Hurry saß auf einem Stuhl in der Nähe der Tür, als fühlte er sich in dieser Umgebung nicht wohl.

»Weine nicht, Judith!« versuchte Hetty die Schwester zu trösten. »Sei unbesorgt. Ich habe keine Furcht vor dem Sterben. Vater und Mutter sind beide tot. Und du weißt, an mir ist nichts gelegen. Ich werde bald vergessen sein, wenn ich im See liege.«

»Nein, nein, arme Hetty«, schluchzte Judith. »Ich werde immer an dich denken. Wollte Gott, ich könnte mit dir gehen!«

»Sei nicht traurig, liebe Judith«, bat Hetty noch einmal mit schwacher Stimme. »Ich gehe dorthin, wo Vater und Mutter sind.«

»Hetty!« schluchzte Judith, »liebe, gute Hetty!« Erschüttert warf sie sich an die Brust ihrer Schwester. Hetty aber antwortete nicht mehr. Ein tiefer Schlaf hatte sich auf ihre Lider gesenkt, aus dem sie nicht mehr erwachen sollte.

Am Abend des folgenden Tages wurden ihr die letzten Ehren erwiesen. Hettys Körper wurde in den See versenkt neben ihre Mutter, die sie so sehr geliebt und verehrt hatte. Der Militärarzt sprach über ihrem Grab letzte Worte und betete für sie. Judith und Wah-ta-Wah trauerten weinend um die Verstorbene, und selbst Wildtöter sah mit feuchten Augen in das durchsichtige Wasser. Der Delaware aber wandte sich ab, um seine Schwäche zu verbergen. Die Soldaten hielten sich in ehrerbietiger Entfernung, um die Gefühle der Freunde dieses seltsamen Mädchens nicht zu stören. Als die Kanus langsam zurückglitten, sahen ihre Insassen schweigend über den See, der im Abendlicht ruhig dalag, und umfaßten mit ihren Blicken die einsame Landschaft, die dem armen Geist Hettys die Welt bedeutet hatte.

Für den Morgen des nächsten Tages war der Rückmarsch der Soldaten geplant, nachdem alle Spuren des Kampfes getilgt und die Toten begraben worden waren. Auch Judith wollte mit den Engländern den See und das Land verlassen, das ihr seit den Kindertagen Heimat war. Die Wasserburg war bereits geräumt, die Truhe Hutters fortgeschafft. Man ließ nichts Wertvolles zurück.

Als der Morgen zu dämmern begann und es Zeit zum Aufbruch wurde, hoben Wildtöter und Chingachgook zwei von den Kanus aus dem Wasser und brachten sie in das Haus. Sie verschlossen Türen und Fenster und verließen dann die Wasserburg durch die Falltür. Wah saß schon im dritten Kanu, in das auch der Delaware stieg. Sie ruderten fort, während Judith noch allein auf der Plattform stand. Wildtöter nahm sie ins letzte Boot und folgte den indianischen Freunden. Die Fahrt ging nahe an der Stelle vorbei, wo in der Seetiefe die Toten ruhten. Als das Kanu in diese Gegend kam, sprach Judith zum erstenmal an diesem Morgen mit ihrem Freund und bat ihn, anzuhalten.

»Ich sehe vielleicht diese Stelle nie mehr wieder, Wildtöter«, sagte sie und wurde traurig. Der Jäger verhielt sich schweigend und sah zum Ufer.

»Wildtöter«, sprach das Mädchen nach einer langen Pause, »du weißt, ich bin jetzt ganz allein auf der Welt. Ich habe niemanden mehr und weiß nicht einmal, wer mein Vater war. Du bist mein Freund. Ich habe es in diesen Tagen erfahren. Ich habe Vertrauen zu dir, und du wirst an dieser Stelle meine Frage nicht mißverstehen, die ich mir oft im stillen vorgelegt habe. Ich weiß, du wirst sie mir aufrichtig beantworten, ebenso aufrichtig, wie ich fragen werde.« Sie machte eine Pause, und der Jäger nickte ernst und schweigend. »Glaubst du«, fuhr sie entschlossen fort, »daß wir hier gemeinsam als Mann und Frau leben könnten?«

Wildtöter schwieg eine beträchtliche Weile, und nur wer sehr genau hingesehen hätte, würde eine leichte Röte in seinem gebräunten Gesicht entdeckt haben.

»Ich bin dir für deine Aufrichtigkeit dankbar, Judith«, sagte er endlich, »aber ich kann einen schwachen Augenblick nicht benützen, in dem du alle deine Vorzüge und deine Zukunft verkennst und dir die Erde und alles, was sie enthält, in diesem kleinen Kanu denkst. Nein, nein, Judith, es wäre unedel von mir. Was du angeboten hast, kann ich nie annehmen.«

Judith schwieg und sah den Jäger nicht an. Niemand konnte wissen, was in ihr vorging. Endlich aber bat sie ihn mit fester Stimme, ans Land zu rudern. Ernst und schweigend tat es der junge Mann.

Chingachgook erwartete sie im Wald, an einem Punkt, wo die Wege nach der Garnison und nach den Lagern der Delawaren sich trennten. Die Soldaten waren schon auf dem Marsch.

Als Judith ans Ufer trat, folgte sie sofort der Spur der Truppe. Keinen Blick sandte sie zurück. Selbst an Wah schritt sie vorüber, ohne mit ihr zu sprechen, und das junge Mädchen wich vor dem abgewandten Gesicht Judiths zurück, als sei sie sich eines Unrechts bewußt.

»Warte hier auf mich, Schlange«, sagte Wildtöter, als er bei dem Delawaren vorüberkam. »Ich will nur Judith zu den Engländern begleiten und komme dann gleich zu dir zurück.«

Nachdem die beiden etwa hundertfünfzig Schritt gegangen waren, wandte Judith sich um und sagte in traurigem Ton:

»Jetzt danke ich dir für deine Begleitung, Wildtöter. In wenigen Minuten habe ich die Soldaten eingeholt, und ich bitte dich, verlaß mich jetzt. Glaub nicht, daß ich dir zürne. Aber hier trennen sich unsere Wege endgültig! Ich kenne meine Zukunft nicht, dir aber wünsche ich im Leben alles Gute.«

Mit diesen Worten ging sie entschlossen zu der Nachhut der Truppen, die schon auf sie wartete. Wildtöter sah ihr schweigend nach, bis sie zwischen den Bäumen verschwunden war.

Schließlich kehrte er zu Chingachgook und Wah zurück. An den Quellen des Flusses übernachteten sie und erreichten am nächsten Abend das Lager ihres Stammes. Der junge Krieger und seine Verlobte wurden stürmisch empfangen, ihr Gefährte geehrt und bewundert. Ein schwerer Kummer aber blieb Wildtöter im Herzen, den nur die Arbeit vieler Monate zu mildern vermochte.

Der Krieg zwischen den feindlichen Stämmen war heftig und blutig. Dabei nahm das Ansehendes Delawarenhäuptlings unter seinem Volk immer mehr zu, bis sein Name nie ohne Lob genannt wurde. Indessen aber wuchs ein anderer Unkas, der Letzte seines Geschlechts, heran. Falkenauges Ruf verbreitete sich nah und fern, bis das Knallen seiner Flinte den Ohren der Mingos so furchtbar wurde wie das Donnern Manitus. Bald jedoch wurden seine Dienste von den königlichen Offizieren in Anspruch genommen.

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Fünfzehn Jahre waren verstrichen, ehe Wildtöter wieder an den See zurückkam. Es war Frieden, aber ein neuer Krieg stand bevor, als er und sein treuer Freund Chingachgook zu den Forts eilten, um sich ihren Verbündeten anzuschließen. Ein Jüngling begleitete sie, denn Wah schlummerte schon unter den Tannen der Delawaren, und die drei Überlebenden waren jetzt unzertrennlich geworden.

Sie erreichten das große Wasser, als die Sonne eben unterging. Nichts hatte sich in der langen Zeit verändert. Bewaldete Berge umschlossen den See, der in seiner Einsamkeit wie ein schöner Edelstein der Wildnis schimmerte.

Am folgenden Morgen fand der Jüngling eines der Kanus, das in halbverfallenem Zustand an das Ufer getrieben worden war. Sie setzten es instand und ruderten hinaus, um sich in der Gegend umzusehen.

Als sie an den Ufern dahinglitten, zeigte Chingachgook seinem Sohn die Stelle, wo die Irokesen zuerst ihr Lager aufgeschlagen hatten, und die Landzunge, von wo es ihm gelungen war, seine Verlobte aus den Händen der Feinde zu retten. Dann begaben sie sich zum Kampfplatz, und hier fanden sie noch einige Spuren der blutigen Schlacht. Wilde Tiere hatten die Leichen ausgescharrt, und menschliche Gebeine bleichten in der Sonne. Unkas sah alles mit Ehrfurcht an.

Von der Halbinsel ruderten sie das Kanu zu der Sandbank, wo sie die Überreste der Wasserburg fanden. Die Winterstürme hatten längst das Dach zerstört, und die Baumstämme waren hier und da schon verwittert Alle Schlösser aber schienen unberührt, nur die Jahre übten sichtlich ihren Einfluß. Mehrere Winter noch mit ihren Stürmen, und alles würde im See verschwinden. Die Arche entdeckten sie am östlichen Ufer, wohin die vorherrschenden Nordwestwinde sie getrieben hatten. Die Kajüte war ohne Dach und die Baumstämme nahe dem Verfall. Es fand sich noch einiges von dem Hausgerät, und Wildtöters Herz schlug heftiger, als er an einem Balken ein Band Judiths flattern sah. Er knüpfte es an den Lauf der berühmten Flinte, die er von dem Mädchen zum Geschenk erhalten hatte.

Etwa eine Stunde den See weiter hinauf wurde ein anderes Kanu entdeckt, und an der Landspitze, wo sich vor fünfzehn Jahren die Schicksalsgefährten voneinander getrennt hatten, fanden sie die beiden anderen Boote, die damals dort zurückgeiassen worden waren. Sie waren durch den verfallenen und zerbrochenen Fußboden der Wasserburg gesunken, bei den umgestürzten Palisaden vorübergetrieben und endlich als Wracks an das Ufer geworfen worden.

Nach allen diesen Anzeichen konnte man schließen, daß der See seit den damaligen Ereignissen von keinem Menschen wieder aufgesucht worden war.

Chingachgook und sein Freund verließen die Gegend, wo sie ihren ersten Kriegspfad begonnen hatten, mit schwermütigen Gefühlen. Schweigend kehrten sie nach dem Mohawk zurück, um neuen Abenteuern entgegenzugehen.

Von Judith Hutter jedoch hat Wildtöter nie mehr etwas erfahren.

Teil II

Der letzte Mohikaner

1

Es war das Besondere in den Kriegen der nordamerikanischen Kolonien, daß die feindlichen Heere erst die Mühen und Gefahren der Wildnis überwinden mußten, ehe sie gegeneinander kämpfen konnten. Weite, anscheinend undurchdringliche Wälder trennten die Besitzungen Frankreichs und Englands. Aber kein Winkel darin war so dunkel, kein geheimer Platz so lieblich, daß sie vor den Überfällen der Männer verschont blieben, die ihr Blut daran wagten, ihre Rache zu sättigen oder für die selbstsüchtige Politik der fernen Monarchen Europas zu kämpfen.

Am grausamsten und kühnsten waren die Kämpfe jener Zeit in der Gegend, die zwischen dem oberen Lauf des Hudson und den benachbarten Seen liegt. Hier zog sich von den Ufern des Flusses, etwa von jener Gegend, wo er zur Zeit der Flut schiffbar wird, ein breiter, dicht bewaldeter Bergrücken bis hinauf zu der südlichen Spitze des Horican, eines etwa zwölf Meilen langen, von Höhen umschlossenen Sees, dessen klare Gewässer in den Champlainsee fließen.

Es war im dritten Jahr des letzten Krieges, den England und Frankreich um den Besitz eines Landes führten, das weder dem einen noch dem anderen zufallen sollte. Die Schwäche der militärischen Führung und die Unsicherheit der Leitung vom Mutterland her hatten Großbritannien von seiner stolzen Höhe herabgestürzt.

Als in dem Fort, das den Südabhang des Bergrückens zwischen dem Hudson und den Seen deckte, die Nachricht einlief, daß man Montcalm mit einer Armee, »zahllos wie die Blätter an den Bäumen«, den Champlain hinauf habe anrücken sehen, zeigte sich in der widerwilligen Art, wie man diese Nachricht aufnahm, nicht mehr die Kampflust des Kriegers, der den Feind endlich in greifbare Nähe rücken sieht. Der Befehlshaber dieses Forts, General Webb, hätte zwar den vorrückenden Franzosen eine fast doppelt so große Anzahl von Kämpfenden entgegenstellen können, Offiziere und Soldaten aber wollten den furchtbaren Gegner kleinmütig innerhalb ihrer Festungswerke erwarten, ohne den Versuch zu wagen, sein weiteres Vordringen durch einen Angriff aufzuhalten.

Die Nachricht von der Annäherung Montcalms hatte ein indianischer Läufer, ein Abgesandter des etwa fünf Meilen weit entfernten Forts »William Henry«, zugleich mit der Bitte um schnell wirksame Verstärkung überbracht. General Webb aber unterschätzte die drohende Gefahr und beschloß, Oberst Munro, dem Befehlshaber des Forts »William Henry«, mit nur 1500 Mann auszuhelfen. Diese sollten vom Fort »Edward« schon beim Morgengrauen des folgenden Tages abgeben.

Trommelwirbel weckte die Armee, als eben der Tag die rauhen Umrisse der Tannen an den wolkenlosen Himmel zu zeichnen begann. In einem Augenblick war das ganze Lager in Bewegung. Die einfache Marschordnung der auserwählten Truppe war bald hergestellt. Während die regulären und geübten Soldaten des Königs stolz nach dem rechten Flügel marschierten, nahmen die weniger ausgebildeten Kolonisten ihre bescheidenere Stellung auf dem linken ein. Die Patrouillen zogen ab; starke Bedeckungen gingen vor und hinter den schwerfälligen Gepäckswagen; und ehe die graue Dämmerung vor den Strahlen der aufgehenden Sonne verschwand, hatte sich das Hauptkorps der Kämpfer in eine Kolonne zusammengezogen und verließ das Lager in erprobter militärischer Haltung, die die heimlichen Besorgnisse manches Neulings verscheuchte, der sich zum erstenmal in den Waffen versuchen sollte. Die Töne der Querpfeifen erklangen immer schwächer, und die Marschierenden verschwanden schließlich im Wald, der die ganze Masse der Soldaten gleichsam verschlang.

Kurz darauf schien sich ein weiterer Aufbruch vorzubereiten. Vor einem großen Blockhaus mit zwei Schildwachen hielt ein halb Dutzend Pferde, deren Zeug bewies, daß wenigstens zwei davon für Frauen von Rang bestimmt seien, während ein drittes Geschirr und Wappen eines Stabsoffiziers trug. Die übrigen sollten offenbar von Dienern geritten werden, die der Winke ihrer Herrschaft gewärtig sein mußten. In einiger Entfernung von dieser Gruppe stand eine Anzahl Neugieriger. Unter ihnen befand sich ein Mann, der durch sein Aussehen und seine Gebärden auffiel.

Er wirkte höchst sonderbar, ohne daß sich eine besondere Mißgestaltung an ihm bemerken ließ. Stand er, so ragte er über die Nebenstehenden empor, saß er, so traute man ihm kaum Mittelgröße zu. Er hatte einen großen Kopf, schmale Schultern, lange, schlotternde Arme, kleine, fast zarte Hände und dünne Beine von übermäßiger Länge. Sein wunderlicher Anzug machte die Mängel seines Gliederbaues noch auffallender: Er trug nämlich einen himmelblauen Rock mit kurzen, breiten Schößen und niedrigem Kragen, eng anliegende Beinkleider von gelbem Nanking, gestreifte baumwollene Strümpfe und riesige Schuhe. Ein mächtiger, aufgestülpter Hut krönte die seltsame Gestalt und verlieh dem gutmütigen, etwas leeren Gesicht die erforderliche Würde.

Dieser Mann nun ging vor dem Quartier des Generals Webb stolz unter den Dienern umher, die bei den Pferden warteten, und äußerte freimütig Lob oder Tadel.

»Dieses Pferd, möchte ich fast sagen, ist nicht von hiesiger Zucht, sondern fremden Ländern, vielleicht aus England«, bemerkte er mit seltsam milder und sanfter Stimme. »Ich kann, ohne mich zu rühmen, von dergleichen Dingen reden. Nie habe ich ein Tier gesehen, das so völlig dem Kriegsroß in der Heiligen Schrift gleicht, von dem es heißt: Es wandelt daher im Tal und jauchzet in seiner Kraft, es geht den gewaffneten Männern entgegen.«

Da auf diese ungewöhnliche Anrede keine Antwort erfolgte, wandte sich der Sprecher der schweigenden Gestalt des indianischen Läufers zu, den er verwundert betrachtete. Obgleich der Wilde die Bewegungen und Geräusche um sich herum gleichgültig betrachtete, mischte sich doch in seine Ruhe ein mürrischer Trotz. Er trug die Streitaxt und das Messer seines Stammes, und doch glich er in seinem Äußern nicht völlig einem Krieger. Er sah etwas vernachlässigt aus, wie nach großen, gerade überstandenen Anstrengungen. Die Farben auf seinem bemalten Gesicht hatten sich verwischt und machten seine dunklen Gesichtszüge noch abstoßender. Seine Augen, die wie funkelnde Sterne unter düsteren Wolken hervorblitzten, verrieten die ihm angeborene Wildheit. Nur etwa einen Atemzug lang begegnete sein forschender und doch vorsichtiger Blick dem des merkwürdigen Mannes. Dann wandte er sich verächtlich ab und starrte ins Leere.

Da entstand plötzlich eine allgemeine Bewegung unter den Dienern; Frauenstimmen näherten sich, und ein junger englischer Offizier führte zwei junge Damen zu den Pferden. Die jüngere ließ einen Augenblick, als ihr grüner Schleier in dem leichten Morgenwind zur Seite wehte, ihr blendendweißes Gesicht, das schöne, goldgelbe Haar und die lichten, blauen Augen sehen. Sie dankte freundlich lächelnd dem jungen Mann, der ihr in den Sattel half. Die andere Dame war dicht verschleiert. Man ahnte unter dem Reisekostüm eine anmutige Gestalt, nur etwas voller und reifer als die ihrer Begleiterin.

Kaum waren die Damen zu Pferd, als ihr Begleiter sich behend in den Sattel schwang. Alle drei verbeugten sich vor Webb, der sie höflich bis zur Tür begleitet hatte, wandten die Pferde und ritten langsam, von ihren Dienern begleitet, zum nördlichen Tor des Forts. Sie legten diese kurze Strecke schweigend zurück. Als aber der indianische Läufer unerwartet vorbeieilte und auf der Straße voranlief, stieß die jüngere Dame einen leisen Schrei aus. Die andere lüftete in der ersten Überraschung ihren Schleier, und ein unbeschreiblicher Blick voll Mitleid, Verwunderung und Schrecken folgte den raschen Bewegungen des Wilden. Die Haare dieser Dame waren schwarzglänzend, doch war ihr Antlitz kaum von der Sonne gebräunt. Nichts Unedles lag in ihrem Gesicht, das regelmäßig, würdevoll und schön war. Sie lächelte, als bedaure sie ihre augenblickliche Vergessenheit, dann brachte sie ihren Schleier wieder in Ordnung, senkte das Haupt und ritt schweigend weiter wie jemand, der, in Gedanken verloren, wenig auf das achtet, was um ihn geschieht.

Die jüngere Dame erholte sich schnell von dem leichten Schreck. Über ihre Schwäche lächelnd, wandte sie sich scherzend zu dem jungen Mann, der ihr zur Seite ritt.

»Sind dergleichen Gespenster häufig in den Wäldern, Heyward?« fragte sie. »Sollte dies der Fall sein, werden Cora und ich unseren oft gerühmten Mut zusammennehmen müssen, noch ehe wir dem gefürchteten Montcalm begegnen.«

»Der Indianer ist ein Läufer unseres Heeres, und in der Meinung seines Volkes gilt er als Kriegsheld«, erwiderte der junge Offizier. »Er hat sich freiwillig erboten, uns auf einem wenig bekannten Pfad schneller und angenehmer zum See zu begleiten, als wenn wir der langsamen Kolonne folgten.«

»Mir gefällt er nicht«, sagte die Dame. »Sie kennen ihn vermutlich, Duncan, oder würden Sie sich sonst so unbedenklich seiner Führung anvertrauen?«

»Sagen Sie lieber, Alice, daß ich Sie dieser Führung nicht anvertrauen würde«, erwiderte der junge Mann mit Nachdruck. »Ich kenne ihn, sonst würde ich ihm mein Vertrauen nicht schenken, am wenigsten in diesem Augenblick. Er soll überdies in Kanada geboren sein, obwohl er unsern Freunden, den Mohawks, gedient hat, die zu den sechs verbündeten Stämmen gehören. Wie ich gehört habe, wurde er durch einen seltsamen Vorfall zu uns gebracht, bei dem Ihr Vater eine Rolle spielte und wobei der Wilde schlecht behandelt wurde. Doch habe ich die Geschichte vergessen. Auf jeden Fall ist er jetzt unser Freund.«

»Ist er meines Vaters Feind gewesen, so kann ich ihm noch weniger trauen!« rief das nun erst recht erschrockene Mädchen. »Wollen Sie nicht mit ihm sprechen, Major Heyward, damit ich seine Stimme höre? Es mag töricht sein, aber ich glaube an die menschliche Stimme.«

»Es würde vergeblich sein, Sie würden höchstwahrscheinlich nur einen Ausruf hören. Obgleich er Enghsch versteht, Wird er doch jetzt die Sprache nicht sprechen, da der Krieg von ihm größte Zurückhaltung fordert … Aber er bleibt stehen. Der unbekannte Pfad, auf dem wir unsere Reise fortsetzen sollen, ist sicherlich erreicht.«

Die Vermutung Major Heywards war richtig. Als sie an die Stelle kamen; wo der Indianer auf sie wartete, wies er in das Dickicht auf einen schmalen und unansehnlichen Pfad, der gerade für einen Menschen breit genug war.

»Hier zweigt also unser Weg ab«, sagte der junge Mann mit leiser Stimme. »Zeigen Sie kein Mißtrauen, denn Sie locken damit nur die Gefahr herbei, die Sie fürchten.«

»Was meinst du, Cora?« fragte die eine Reiterin ungewiß. »Wenn wir mit den Truppen reisten, würden wir uns trotz verschiedener Unannehmlichkeiten doch sicherer fühlen.«

»Sie kennen die Wilden zu wenig, Alice«, sagte Heyward, »und übersehen die wirkliche Gefahr. Unsere Feinde würden sicherlich dort angreifen, wo die meisten Skalpe zu erbeuten sind. Der Weg der Truppen ist bekannt, während der unsere, der erst vor einer Stunde festgelegt wurde, noch ein Geheimnis ist.«

»Sollen wir dem Menschen nur deshalb nicht trauen, weil seine Sitten nicht die unseren sind und seine Häut dunkel ist?« fragte Cora.

Statt einer Antwort versetzte Alice ihrem Pferd einen leichten Schlag mit der Reitgerte und brach zuerst in das dichte Unterholz ein. Sie folgte dem Läufer auf dem dunklen, verschlungenen Pfad.

Der junge Offizier sah Cora bewundernd an und versuchte, ihr, die er so entschlossen fand, den Weg zu bahnen. Die Diener ritten auf der Straße, die die Kolonne eingeschlagen hatte. Diese Vorsicht ging, wie Heyward feststellte, auf ihren Führer zurück, der so alle Spuren verwischen wollte, wenn vielleicht einige kanadische Indianer sich in den Hinterhalt legen sollten.

Mehrere Minuten ritten sie schweigend durch das Dickicht. Doch bald gelangten sie unter die hohen Laubbäume des Waldes. Hier kamen sie leichter voran, und ihr Führer setzte sich in kurzen Trab. Plötzlich hörten die Reiter ein Geräusch von Pferdehufen hinter sich. Heyward und seine Begleiter zogen gleichzeitig die Zügel an und machten halt.

Einige Augenblicke später sahen sie ein junges falbes Pferd, einem Damhirsch nicht unähnlich, zwischen den Bäumen und erkannten die Gestalt des merkwürdigen Mannes, der im Lager Aufsehen erregt hatte.

Seine Erscheinung war auch zu Pferd sehr auffällig. Er trieb sein Tier, das eigentümlich hüpfende Bewegungen vollführte, ununterbrochen an. Heyward, dessen geübtes Auge den Wert eines Pferdes leicht erkannte konnte nicht entscheiden, in welcher Gangart der Reiter, der in grotesken Bewegungen sein Pferd noch übertraf, den verschlungenen Pfad herankam.

»Suchen Sie hier jemanden?« fragte Heyward lächelnd, als der Fremde nahe genug war. »Ich hoffe, daß Sie keine schlimmen Nachrichten überbringen!«

»So ist es«, erwiderte der seltsame Mann vieldeutig, indem er seinen dreieckigen Hut wie einen Fächer bewegte, um sein Gesicht abzukühlen. Als er wieder Atem geschöpft hatte, fuhr er fort: »Ich hörte, daß Sie nach Fort ›William Henry‹ reiten. Da ich selbst auf dem Weg dahin bin, so nahm ich an, gute Gesellschaft würde unseren beiderseitigen Wünschen entsprechen.«

Heyward, dem dieses Zusammentreffen lästig war, antwortete abweisend:

»Wenn Sie zum See wollen, haben Sie Ihren Weg verfehlt. Die Straße liegt wenigstens eine halbe Meile hinter uns.«

»Stimmt«, erwiderte ungerührt der Fremdling. »Ich habe mich im Fort ›Edward‹ eine Woche lang aufgehalten, und ich müßte stumm sein, wenn ich mich nicht nach dem Weg erkundigt hätte, den ich einschlagen muß. Doch es ist für einen meines Amtes nicht klug gehandelt, wenn er sich mit denen zu vertraut macht, denen er gute Lehren geben soll. Deshalb folgte ich nicht dem Heereszug und habe mich entschlossen, einem Gentleman, wie Sie es sind, Gesellschaft zu leisten.«

»Ein höchst eigenmächtiger und recht voreiliger Entschluß!« rief Heyward, der nicht wußte, ob er noch schroffer werden oder dem Fremden gerade ins Gesicht lachen sollte. »Aber Sie sprechen von guten Lehren und von einem Amt. Sind Sie dem Korps vielleicht als Fechtlehrer angegliedert?«

Der Fremde antwortete verwundert, und jedes Zeichen von Selbstgefälligkeit verlor sich in einem Ausdruck feierlicher Demut:

»Ich mache auf keine höheren Gaben Anspruch als auf meine geringe Kenntnis der glorreichen Kunst, die Bitte und Danksagung in den Psalmen abzusingen.«

»Der Mann ist offenbar ein Schüler Apollos!« rief Alice erheitert, »und ich nehme ihn unter meinen besonderen Schutz. Haben Sie Mitleid meiner Neugier, Heyward, und lassen Sie ihn mit uns reisen.« »Uberdies«, fügte sie mit leiser Stimme hinzu, indem sie einen Blick auf die entfernte Cora warf, die dem schweigenden und mürrischen Führer folgte, »überdies haben wir uns so vielleicht einen Freund gewonnen, der uns im Fall der Not helfen kann.«

»Glauben Sie, Alice, daß ich jene, die ich liebe, einer Gefahr aussetzen könnte?«

»Nein, nein! Ich denke auch nicht gerade an Gefahr, aber dieser Mann könnte mich mit ein paar Liedern unterhalten.« Sie sah den jungen Offizier bittend an, bis er sein Pferd anspornte und mit ein paar Sätzen wieder an Coras Seite war.

»Es freut mich, Euch zu treffen«, sagte Alice nun zu dem Fremden, indem sie ihm winkte, weiterzureiten. »Mich interessiert es sehr, eines Meisters Ansichten und Erfahrungen über Gesang und Musik zu hören.«

»Es erfrischt den Geist wie den Körper, sich zuweilen an der Melodie der Psalmen zu ergötzen«, erwiderte der sonderbare Meister des Gesanges. »Doch sind vier Stimmen für eine vollkommene Melodie nötig. Sie besitzen sicher einen sanften und vollen Diskant. Ich kann mit eigener Anstrengung einen vollen Tenor bis zum hohen C hinaufführen. Vielleicht könnte der königliche Offizier, der Bedenken trug, mich in seine Gesellschaft aufzunehmen, die Baßpartie ausführen.«

Alice unterdrückte ein Lachen. »Ich fürchte«, antwortete sie, »er ist mehr dem weltlichen Gesang zugetan. Das unruhige Soldatenleben weckt wenig Neigung zu ernsthafteren Dingen.«

»Des Menschen Stimme wurde ihm wie seine übrigen Gaben verliehen, damit er sie gebrauchen, doch nicht mißbrauchen solle. Niemand kann von mir behaupten, daß ich meine Gabe je vernachlässigt hätte. Ich danke Gott, daß seit meiner Jugend nie ein roher Vers meine Lippen entweiht hat.«

»Ihr habt Euch also auf den frommen Gesang beschränkt?«

»So ist es. Ich verweile nie an irgendeinem Ort schlafend oder wachend, ohne ein Exemplar des neuenglischen Gesangbuches bei mir zu haben. Es ist die sechsundzwanzigste Ausgabe, die zu Boston im Jahre unseres Herrn 1774 unter dem Titel erschienen ist: ›Die Psalmen, Hymnen und geistlichen Gesänge des Neuen Testaments, in englische Verse übersetzt, zur öffentlichen und häuslichen Erbauung und zum Troste der Gottesfürchtigen hauptsächlich in Neuengland.‹«

Damit zog der Fremde ein Buch aus der Tasche, und nachdem er eine in Eisen gefaßte Brille auf die Nase gesetzt hatte, öffnete er das Werk mit einer Sorgfalt und Ehrfurcht, die seinem heiligen Inhalt angemessen war. Dann begann er ohne weitere Einleitung mit klarer, voller Stimme zwei Strophen eines frommen Liedes zu singen. Während des Gesanges begleitete der Fremde die getragene Melodie mit regelmäßigem Erheben und Senken der rechten Hand. In der Stille des Waldes klang seine Stimme ungewöhnlich laut, so daß der Indianer an der Spitze des kleinen Zuges Heyward einige Worte zuflüsterte. Der Offizier deutete dem Fremden, aufzuhören.

»Wenn wir auch nicht in Gefahr sind, so müssen wir doch vorsichtig sein und so ruhig wie möglich reiten. Verzeihen Sie mir daher, Alice, wenn ich diesen Herrn bitte, seinen Gesang bis zu einer besseren Gelegenheit aufzuschieben.«

»Sie nehmen mir mein Vergnügen«, erwiderte das Mädchen spöttisch, »und zerstören wirklich den Zauber meiner Träumereien durch ihren Baß!«

»Ich weiß nicht, was Sie meinen Baß nennen«, sagte Heyward etwas empfindlich, »aber so viel weiß ich, daß Ihre und Coras Sicherheit mir bei weitem mehr wert ist als eine ganze Psalmmelodie.«

Er schwieg und wandte sich plötzlich zu einem dichten Gebüsch. Dann sah er argwöhnisch auf den Indianer, der unverändert ernst weitertrabte. Er lächelte jedoch verächtlich, da er glaubte, er habe sich getäuscht und eine hellschimmernde Waldbeere für die glänzenden Augen eines lauernden Wilden gehalten. Er ritt weiter und setzte ruhig das unterbrochene Gespräch fort.

Die Gesellschaft war aber kaum einige Schritte weitergeritten, als die Zweige des Dickichts behutsam niedergebogen wurden und ein menschliches Antlitz voll unbezähmter Leidenschaft den Reisenden nachsah. Ein Frohlocken ging über die dunkelfarbigen Züge des Waldbewohners, als er der Spur seiner Opfer nachblickte, die arglos weiterritten.

2

Am selben Tag saßen zwei Männer an den Ufern eines kleinen, doch reißenden Stroms, etwa eine Tagesreise von dem Lager Webbs entfernt. Das weite Laubdach der Wälder dehnte sich bis zum Rande des Flusses hin. Die Strahlen der Sonne begannen schon schwächer zu leuchten, und die Hitze des Tages wich bereits den kühleren Dünsten, die aus den Laubbetten der Quellen emporstiegen. Noch immer aber herrschte das lastende Schweigen, das die drückende Schwüle einer amerikanischen Landschaft im Juli kennzeichnet. Es wurde nur unterbrochen durch die leisen Stimmen der Männer, den trägen Schlag eines Waldspechtes oder den unharmonischen Ton irgendeiner munteren Elster und durch das dumpfe Rauschen eines fernen Wasserfalls.

Die schwachen und abgebrochenen Töne waren den Waldbewohnern bekannt und konnten ihre Aufmerksamkeit von ihrem Gespräch kaum ablenken. Während die rotbraune Haut und der wilde Putz den einen deutlich als Indianer erkennen ließen, verriet die lichtere wenn auch von der Sonne verbrannte Gesichtsfarbe des anderen den Europäer.

Der rote Sohn der Wälder saß auf einem bemoosten Stamm und unterstrich seine ernste Sprache durch die ruhigen und ausdrucksvollen Gebärden der Indianer. Sein fast nackter, bemalter Leib zeigte in verschlungener Mischung weißer und schwarzer Farben ein furchtbares Bild des Todes. Der kahlgeschorene Kopf trug nur die Skalplocke und als einzigen Schmuck eine Adlerfeder, die auf die linke Schulter herabhing. Ein Tomahawk und ein Skalpiermesser von englischer Arbeit steckten in seinem Gürtel, während ein kurzes Gewehr, eine Waffe, mit der die Weißen ihre Bundesgenossen unter den Wilden ausrüsteten, nachlässig quer über seinen bloßen, sehnigen Knien lag. Die gewölbte Brust, die kräftigen Glieder und die ernste Haltung dieses Kriegers zeigten höchste Lebenskraft.

Die Gestalt des Weißen verriet, daß er seit frühester Jugend Mühsale und Anstrengungen ertragen hatte. Sein muskulöser Körper war schlank; jeder Nerv und Muskel aber schien gestählt und abgehärtet durch unablässiges Training im Kampf mit den Gefahren der Wildnis. Er trug ein grünes mit verblichenem Gelb besetztes Jagdhemd und eine Sommermütze aus glattgeschorenem Fell. Auch in seinem Gürtel steckte ein Messer, jedoch keine Streitaxt. Seine Mokassins waren nach Art der Eingeborenen bunt verziert. Darüber trug er Gamaschen aus Bocksleder. Eine Jagdtasche und ein Pulverhorn sowie eine sehr lange Büchse, die von den Waldbewohnern für das gefährlichste Gewehr gehalten wurde, vervollständigten seine Ausrüstung. Das Auge des Jägers war in diesem Augenblick lebhaft und unruhig, als spähe er nach einem Wild oder als fürchte er das plötzliche Erscheinen irgendeines verborgenen Feindes. Doch trug sein Gesicht dabei den Ausdruck offener Rechtlichkeit.

»Selbst eure alten Überlieferungen sprechen in diesem Fall zu meinen Gunsten, Chingachgook«, sagte er in der Sprache der Delawaren. »Eure Väter kamen von Sonnenuntergang quer über den großen Strom, bekämpften die Bewohner unserer Gegend und eroberten das Land; und meine Vorfahren kamen von dem roten Morgenhimmel über den Salzsee und taten das gleiche. Laßt Gott die Sache entscheiden und Freunde ihre Worte darüber sparen.«

»Meine Väter kämpften mit den nackten roten Männern«, erwiderte der Indianer finster. »Ist denn kein Unterschied, Falkenauge, zwischen der steinernen Pfeilspitze unserer Krieger und der bleiernen Kugel, womit ihr tötet?«

»Es ist doch Verstand in einem Indianer, wenn ihm auch die Natur eine rote Haut gab!« sagte der Weiße kopfschüttelnd. »Ich bin kein Gelehrter«, setzte er zögernd hinzu, »aber nach dem zu urteilen, was ich auf der Reh- und Eichhörnchenjagd von den Burschen da unten gesehen habe, sollte ich meinen, ein Feuergewehr in der Hand ihrer Vorfahren wäre nicht so gefährlich wie ein Bogen aus Nußholz und ein scharfgespitzter Pfeil.«

»Ihr habt die Geschichte von euren Vätern gehört«, erwiderte der andere mit stolzer Verachtung. »Was sagen eure alten Leute? Erzählen sie den jungen Kriegern, daß die Bleichgesichter mit den roten Männern zusammentrafen, die nur mit dem Steinbeil oder der Holzwaffe ausgerüstet waren?«

»Ich bin kein von Vorurteilen befangener Mann«, entgegnete der Weiße. »Auch gestehe ich, daß meine Landsleute sich mancher Mittel bedienen, die ich nicht billigen kann. Es gehört zu ihren Gewohnheiten, das, was sie getan und gesehen haben, in Büchern aufzuzeichnen, statt es in ihren Dörfern zu erzählen, wo man einen feigen Prahler Lügen strafen würde. Daher frage ich dich, Chingachgook: Was ereignete sich, als unsere Väter zusammentrafen?«

Einen Augenblick saß der Indianer schweigend. Dann begann er feierlich:

»Hör, Falkenauge, und dein Ohr soll keine Lüge erfahren. Ich künde dir, was meine Väter erzählt und was die Mohikaner getan haben.« Er hielt einen Augenblick inne und fuhr dann mit einem vorsichtigen Blick auf seinen Begleiter halb fragend, halb feststellend fort. »Fließt dieser Strom zu unseren Füßen nicht nach dem Sommer hin, bis seine Fluten salzig werden?«

»Ich bin dort gewesen und habe mich selbst davon überzeugt«, antwortete der Weiße. »Warum aber Wasser, das so süß im Schatten ist, in der Sonne bitter wird, weiß ich nicht. Ich konnte mir diesen Wechsel nie erklären.«

»Wir kamen von dem Ort, wo die Sonne nachts verborgen ist, über große Ebenen, wo die Büffel leben, bis wir endlich den großen Strom erreichten. Dort kämpften wir mit den Alligewis, bis die Erde sich von ihrem Blut rötete. Vom Rande des großen Stromes bis zu den Ufern des Salzsees begegnete uns keiner mehr. Dann kamen uns die Maquas nach. Wir sagten, das Land solle unser sein von der Mündung dieses breiten Stromes an bis zu einem zwanzig Tagereisen nach dem Sommer hinströmenden Fluß. Das Land, das wir als Krieger erobert hatten, behaupteten wir als Männer. Wir trieben die Maquas in die Wälder; sie schmeckten kein Salz als ihre Tränen, sie angehen keinen Fisch mehr aus dem großen See; wir warfen ihnen nur die Gräten vor.«

»Das habe ich alles schon gehört und glaube es auch«, sagte der Weiße, »aber das war lange, bevor die Engländer in das Land kamen.«

»Eine Fichte wuchs damals, wo jetzt dieser Kastanienbaum steht. Die ersten Bleichgesichter, die sich uns zeigten, sprachen kein Englisch. Sie kamen in einem großen Kahn. Damals«, fuhr er mit tiefer, bewegter Stimme fort, »damals waren wir nur ein Volk, und wir waren glücklich. Der Salzsee gab uns seine Fische, der Wald sein Wild, die Luft ihre Vögel. Wir nahmen Weiber, die uns Kinder gebaren. Wir verehrten den Großen Geist und hielten uns die Maquas vom Leibe.«

»Weißt du irgend etwas über deine eigene Familie in jener Zeit?« fragte der Weiße. »Deine Väter müssen tapfere Krieger und weise Männer bei den Versammlungsfeuern gewesen sein.«

»Mein Stamm ist der Ahnherr von ganzen Völkern«, sagte der Eingeborene. »Das Blut der Helden fließt in meinen Adern. Die Holländer landeten und gaben meinen Landsleuten das Feuerwasser. Sie tranken, bis Himmel und Erde sich zu begegnen schienen, und glaubten in ihrer Torheit, sie hätten den großen Geist gefunden. Damals verloren sie ihr Land. Sie wurden allmählich vom Ufer zurückgetrieben, und ich, der ich ein Häuptling bin, habe die Sonne nie anders als durch die Bäume scheinen sehen, und noch nie habe ich die Gräber meiner Väter besucht.«

»Gräber versetzen den Geist in eine feierliche Stimmung«, entgegnete der Kundschafter bewegt, »und bestärken einen oft in seinen guten Vorsätzen. Ich für meinen Teil erwarte freilich, daß meine Gebeine unbegraben bleiben, um in den Wäldern zu bleichen oder von den Wölfen verzehrt zu werden. Doch wo findet man deinen Stamm, der schon vor vielen Sommern zu seinen Verwandten nach dem Delaware kam?«

»Wo man die Blüten dieser Sommer findet! Sie sind dahin, verwelkt eine nach der andern! So sind auch alle meines Stammes, einer nach dem andern, in das Land der Geister hinübergegangen. Ich stehe auf dem Gipfel des Berges und muß hinabsteigen ins Tal; und wenn Unkas einst meinen Schritten folgt, so ist niemand mehr übrig von unserem Blut, denn mein Sohn ist der letzte Mohikaner.«

»Unkas ist hier!« sagte eine andere Stimme in demselben tiefen Kehlton dicht an seiner Seite. »Wer fragt nach Unkas?«

Die Hand des Weißen fuhr bei dieser plötzlichen Unterbrechung unwillkürlich nach der Büchse. Der Indianer aber blieb ruhig sitzen, ohne sein Haupt nach der unerwarteten Stimme zu wenden.

Gleich darauf ging ein junger Krieger mit geräuschlosem Schritt zwischen ihnen durch und setzte sich an das Ufer des reißenden Stroms. Kein Ausruf der Verwanderung entfuhr dem Vater. Mehrere Minuten lang hörte man weder eine Frage noch eine Antwort. Jeder schien den Augenblick abzuwarten, wo er sprechen konnte.

Der Weiße schien sich an ihrem Betragen ein Beispiel zu nehmen; er ließ die Hand von dem Feuergewehr und blieb still und in sich gekehrt. Endlich wandte Chingachgook die Augen seinem Sohn zu und fragte:

»Wagen die Maquas wieder, ihre Spuren in diesen Wäldern sehen zu lassen?«

»Ich bin ihnen auf der Fährte gewesen«, erwiderte der junge Indianer, »und ich weiß, daß ihre Zahl so groß ist wie die Finger meiner beiden Hände; sie verbergen sich jedoch wie feige Memmen.«

»Die Diebe lauern auf Skalpe und Beute!« versetzte der Weiße. »Jener geschäftige Franzose, Montcalm, wird seine Späher noch bis in unser Lager senden, um herauszubringen, welchen Weg wir einschlagen wollen.«

»Es ist genug!« erwiderte der Vater, sein funkelndes Auge nach der untergehenden Sonne richtend. »Sie sollen vertrieben werden wie das Wild aus den Gebüschen. Falkenauge, wir wollen unser Nachtmahl essen und morgen den Maquas zeigen, daß wir Männer sind.«

»Ich bin bereit zu dem einen wie zu dem anderen«, entgegnete der Kundschafter. — »Dort bewegt sich eines von den stärksten Hirschgeweihen, die ich in dieser Jahreszeit gesehen habe, den Hügel herunter! Nun, Unkas«, fuhr er halb flüsternd und mit einer Art von innerem Lachen fort, »ich will meine Tasche, dreimal mit Pulver gefüllt, verwetten, daß ich den Hirsch zwischen die Augen treffe, und zwar näher dem rechten als dem linken Auge.«

»Das ist unmöglich!« rief der junge Indianer, indem er mit jugendlichem Ungestüm aufsprang. »Man sieht ja nichts als die Spitzen seines Geweihs!«

»Er ist ein Knabe!« wandte sich der Weiße kopfschüttelnd an den Vater. »Glaubt er, ein Jäger könne, wenn er einen Teil eines Tieres sieht, nicht sagen, wo der übrige zu finden ist?«

Er legte sein Gewehr an und wollte eben den Beweis für seine Fertigkeit geben, als der rote Krieger mit der Hand nach seiner Waffe fuhr und sagte: »Falkenauge, willst du die Maquas herbeirufen?«

»Diese Indianer kennen die Wälder!« erwiderte der Kundschafter, indem er sein Gewehr sinken ließ und sich wegwandte wie jemand, der seinen Irrtum einsieht. »Ich muß den Hirsch deinem Pfeil überlassen, Unkas, sonst könnten wir ein Tier töten, bloß um die Spitzbuben, die Irokesen, damit zu füttern.«

In dem Augenblick, als der Vater diese Aufforderung durch eine ausdrucksvolle Handbewegung bestätigte, warf sich Unkas auf die Erde und schlich vorsichtig an das Tier heran. Als er nur noch einige Schritte von dessen Schlupfwinkel entfernt war, legte er mit äußerster Sorgfalt einen Pfeil auf den Bogen.

Gleich darauf hörte man das Schwirren der Sehne. Ein weißer Streifen fuhr in die Gebüsche, und der verwundete Hirsch stürzte aus seinem Versteck heraus, gerade auf seinen Angreifer zu. Unkas aber sprang, den Hörnern des wütenden Tieres ausweichend, zur Seite und stach ihm das Messer durch die Kehle.

»Das war mit indianischer Gewandtheit vollbracht!« lobte Falkenauge.

»Hugh!« rief sein Gefährte.

Plötzlich beugte er sich nieder wie ein Jagdhund, der die Fährte des Wildes wittert.

»Bei Gott, da ist ja ein ganzes Rudel!« rief der jagdfreudige Kundschafter. »Wenn die Tiere in die Reichweite meiner Kugel kommen, will ich eins von ihnen schießen, und wenn alle sechs Stämme hier in der Nähe lauerten. Worauf lauerst du, Chingachgook? Meinen Ohren sind die Wälder stumm.«

»Hier ist nur ein Wild, und das ist tot«, erwiderte der Indianer, indem er sich niederbeugte, bis sein Ohr beinahe den Erdboden berührte. »Ich höre aber Fußtritte!«

»Vielleicht haben die Wölfe das Wild in das Gebüsch getrieben und verfolgen nun seine Spur.«

»Nicht doch, die Pferde der Weißen nahen!« erwiderte der andere, indem er sich mit Würde erhob. »Falkenauge, es sind deine Brüder; sprich du mit ihnen.«

»Das will ich,« versetzte der Jäger. »Ja, es sind Pferdetritte, ich hielt es erst für den Wasserfall. — Doch da kommen sie schon. Gott behüte sie vor den Irokesen!«

3

Ein Wildpfad wand sich durch ein kleines Tal und traf mit dem Strom gerade an dem Punkt zusammen, wo sich der Weiße und seine roten Freunde gelagert hatten. Auf ihm näherten sich die Reisenden.

»Wer da?« fragte der Kundschafter und warf seine Büchse nachlässig über den linken Arm. Er legte den Vorderfinger der rechten Hand an den Hahn, obgleich er dabei jeden Anschein einer Drohung zu vermeiden suchte.

»Freunde der gesetzlichen Ordnung und des Königs«, erwiderte der Anführer des kleinen Zuges. »Menschen, die seit Tagesanbruch in diesen Wäldern ohne Nahrung umherzogen und erschöpft sind.«

»So habt ihr euch verirrt«, unterbrach ihn der Jäger, »und habt erlebt, wie hilflos man ist, wenn man nicht weiß, soll man sich nach links oder rechts wenden.«

»Ihr habt recht. Säuglinge sind nicht abhängiger von ihren Wärterinnen als wir von unserem Führer. Wißt Ihr, wie weit es ist bis zu dem königlichen Fort ›William Henry‹?«

»Ihr seid so weit von der Fährte entfernt«, rief der Kundschafter beinah lachend, »wie ein Jagdhund, wenn der Horican zwischen ihm und dem Wild liegt! Nach ›William Henry‹! Wenn ihr Freunde des Königs seid und mit der Armee zu tun habt, so wäre es wohl am besten, ihr gingt längs des Stromes hinab nach Fort ›Edward‹ und legtet Webb die Sache vor. Denn dieser zögert dort noch immer, anstatt in die engen Pässe einzudringen und diese frechen Franzosen über den Champlain in ihre Höhlen zurückzutreiben.«

Ehe der Fremde auf diesen unerwarteten Vorschlag etwas erwidern konnte, sprengte ein anderer Reiter seitwärts durch das Gebüsch und lenkte sein Roß auf den Fußsteig.

»Wie weit haben wir denn bis Fort ›Edward‹?« fragte er. »Wir verließen dieses Fort heute früh, und unser Ziel ist der Quell des Sees.«

»Da müßt ihr eure Augen verloren haben, eh ihr euren Pfad verlort, denn der Weg über den Bergrücken ist wenigstens zwei Ruten breit im Wald ausgehauen, und es ist eine so prächtige Straße wie irgendeine in London.«

»Wir wollen nicht über den Weg streiten«, emiderte Heyward. »Es ist genug, wenn ich Euch sage, daß wir uns einem indianischen Führer überließen, der uns einen näheren, wiewohl versteckteren Pfad führen wollte, und daß wir durch seine angeblichen Ortskenntnisse getäuscht worden sind. Mit einem Wort, wir wissen nicht, wo wir uns befinden.«

»Ein Indianer sollte sich in den Wäldern verirrt haben!« sagte der Kundschafter und schüttelte bedenklich den Kopf. »Die brennende Sonne auf den Gipfeln der Bäume, die vollen Ströme, das Moos an jedem Uferrand müssen ihm ja sagen, wo der Polarstern nachts stehen wird. Die Wälder sind voll Wildfährten, die nach den Strömen und nach Plätzen hinlaufen, die jedermann kennt. Es ist seltsam, daß ein Indianer sich zwischen dem Horican und dem Hudson verirren sollte. Ist er vielleicht ein Mohawk?«

»Nicht von Geburt, aber er ist in diesem Stamm aufgenommen. Ich glaube, sein Geburtsort liegt weiter nördlich. Er gehört zu den Irokesen.«

»Hugh!« riefen die beiden Begleiter des Kundschafters, die unbeweglich und gleichgültig dagesessen waren, jetzt aber mit großer Lebhaftigkeit aufsprangen.

»Ein Irokese«, wiederholte der Kundschafter und schüttelte wieder bedenklich das Haupt. »Das ist ein diebisches Gesindel! Aus einem Irokesen kann man bestenfalls einen Wegelagerer und Vagabunden machen. Wenn ihr euch der Obhut eines Menschen aus diesem Stamm anvertraut habt, wundere ich mich nur, daß euch nicht mehr geschehen ist.«

»Ihr vergeßt, was ich Euch vorhin gesagt habe, daß unser Führer jetzt ein Mohawk ist und daß er in unseren Truppen dient.«

»Und ich sage Euch, wer als Mingo geboren ist, der stirbt auch als Mingo!« erwiderte der andere mit festem Ton. »Ein Mohawk! Nein, da lobe ich mir einen Delawaren oder einen Mohikaner. Ihnen kann man trauen. Und wenn Ihr einen Krieger sehen wollt, dann schaut Euch einen Delawaren oder Mohikaner im Gefecht an.«

»Genug«, sagte Heyward ungeduldig. »Ich will einem Menschen, den ich kenne und der Euch fremd sein muß, nichts Schlechtes nachsagen. Ihr habt aber meine Frage noch nicht beantwortet, wie weit wir von der Hauptarmee und vom Fort ›Edward‹ entfernt sind.«

»Das wird davon abhängen, wer euer Führer ist.«

»Ich wünsche keinen Streit mit Worten, Freund«, beschwichtigte Heyward. »Wenn Ihr mir die Entfernung bis Fort ›Edward‹ angeben und mich dahin begleiten wollt, so soll Euer Dienst nicht unbelohnt bleiben.«

»Wenn ich dies wirklich tue, wie kann ich wissen, ob ich nicht einen Feind, einen Spion Montcalms, zur Armee geleite? Nicht jeder, der englisch spricht, ist ein ehrlicher Mann.«

»Wenn Ihr unter den Truppen als Kundschafter dient, wie ich annehme, so müßt Ihr auch das Sechzigste Regiment des Königs kennen.«

»Das Sechzigste! Ihr könnt mir wenig von den königlichen Truppen erzählen, was ich nicht schon wüßte, wenn ich auch ein Jagdhemd und nicht den roten Rock trage.«

»Gut! So müßt Ihr auch den Namen des Majors von diesem Regiment kennen.«

»Den Major!« unterbrach ihn der Jäger stolz. »Wenn jemand in dieser Gegend den Major Effingham kennt, so bin das ich!«

»Dies Regiment hat mehrere Majore. Der, den Ihr kennt, ist der Rangälteste. Ich spreche von dem jüngsten, der die Besatzung in ›William Henry‹ befehligt.«

»Ja, ja! Ich habe gehört, daß ein junger, sehr reicher Mann aus einer der südlicheren Provinzen die Stelle erhalten hat. Er ist sehr jung — offenbar zu jung für einen solchen Rang. Doch er soll ein erfahrener Soldat sein.«

»Was er auch immer sein mag, er spricht jetzt mit Euch, und so habt Ihr keinen Feind zu fürchten.«

Der Kundschafter betrachtete Heyward einen Augenblick erstaunt. Dann antwortete er noch immer zweifelnd: »Ich habe gehört, daß heute ein Trupp aus dem Lager nach dem Seeufer aufgebrochen ist.«

»Ihr habt recht gehört. Ich aber zog einen näheren Weg vor, weil ich der Ortskenntnis des Indianers vertraut habe.«

»Und er hat Euch getäuscht und ist dann geflohen?«

»Keins von beiden, denn er befindet sich noch hinter uns.«

»Ich möchte mir diese Kreatur näher ansehen. Ist es ein echter Irokese, so erkenne ich ihn an dem durchtriebenen Blick und an der Gesichtsbemalung«, erwiderte der Kundschafter, während er an Heywards Pferd vorüber auf das Gebüsch zuschritt.

Er traf einige Schritte weiter auf die Frauen, die den Ausgang der Unterhaltung ungeduldig und nicht ohne Besorgnis erwarteten. Hinter diesen hatte sich der Läufer an einen Baum gelehnt und behielt bei der strengen Prüfung des Kundschafters eine feste, unveränderte Miene. Doch war sein Blick so düster und wild, daß er Furcht einflößen konnte.

Der Jäger musterte den Indianer scharf und verließ ihn. Als er wieder an den Frauen vorüberkam, blieb er einen Augenblick stehen, um sie bewundernd zu betrachten. Er beantwortete das Lächeln und Nicken Alicens mit einem vergnügten Blick. Dann schritt er auf Heyward zu.

»Ein Mingo ist und bleibt ein Mingo«, behauptete er, »und da ihn Gott einmal so geschaffen hat, so können ihn weder die Mohawks noch irgendein anderer Stamm verändern. Wären wir allein, könnte ich Euch den Weg nach Fort ›Edward‹ in einer Stunde zeigen, denn so weit liegt er nur von hier. Aber mit Damen in Eurer Gesellschaft ist es unmöglich.«

»Weshalb denn? Sie sind wohl übermüdet, aber es kommt ihnen auf einen Ritt von einigen Meilen nicht an.«

»Es ist unmöglich!« wiederholte der Kundschafter entschlossen. »Ich würde im Dunkel der Nacht nicht eine Meile weit in diesen Wäldern in der Gesellschaft dieses Läufers gehen, und wenn ich dabei das beste Gewehr der Kolonien gewinnen könnte. Sie wimmeln von versteckten Irokesen, und Euer zweideutiger Mohawk weiß sie wohl aufzufinden.«

»Glaubt Ihr wirklich?« fragte Heyward flüsternd und beugte sich im Sattel vor. »Ich gestehe, ich bin auch nicht frei von Argwohn geblieben. Eben weil ich ihn in Verdacht hatte, habe ich ihm nicht länger folgen wollen und ihn, wie Ihr seht, hinter mir gelassen.«

»Ich weiß, daß er ein Betrüger ist, seit ich ihn gesehen habe!« entgegnete der Kundschafter leise. »Der Dieb lehnt am Fuß eines jungen Baums, den Ihr dort über die Gebüsche hervorragen seht. Sein rechtes Bein läuft in gerader Linie mit dem Baumstamm, und«, fügte er hinzu, »ich kann ihn von hier aus mit einem einzigen Schuß lahm machen. Ginge ich zu ihm zurück, würde er Verdacht schöpfen und wie ein erschrecktes Wild zwischen den Bäumen verschwinden.«

»Ich möchte nicht, daß Ihr es tut. Er kann unschuldig sein. Wenn ich indes von seiner Verräterei überzeugt wäre —«

»Mit der Schurkerei eines Irokesen kann man mit Sicherheit rechnen«, sagte der Kundschafter und hob die Büchse.

»Halt!« unterbrach ihn Heyward; »tut es nicht! Wir müssen einen anderen Ausweg finden — wenn ich auch glaube, daß der Schurke mich getäuscht hat.«

Der Jäger überlegte einen Augenblick, winkte dann seinen beiden roten Gefährten und beratschlagte eifrig mit ihnen. Gleich darauf verschwanden die beiden Indianer auf entgegengesetzten Seiten des Pfades mit so vorsichtigen Schritten, daß sie unhörbar waren.

»Ihr geht jetzt zurück«, sagte der Jäger darauf zu Heyward, »und haltet den Burschen im Gespräch fest; diese Mohikaner werden ihn fangen, ohne ihm die Schminke zu verderben.«

»Nein«, entgegnete Heyward stolz, »ich will ihn selbst unschädlich machen.«

»Pah! Was könnt Ihr zu Pferde gegen einen Indianer in dem dichten Buschwerk anrichten?«

»Ich werde absteigen.«

»Glaubt Ihr, er würde darauf warten? Reitet also hin und sprecht offen mit ihm und tut so, als ob Ihr ihn für den treuesten Freund haltet, den Ihr auf Erden habt.«

Heyward sah ein, daß er den Plan annehmen mußte, und verließ den Kundschafter. Im Vorübergehen sprach er seinen Begleiterinnen Mut zu. Gleich darauf kam er an den Platz, wo der trotzige Läufer noch immer an dem Baum lehnte.

»Du siehst, Magua«, sagte er unbefangen, »daß die Nacht einfällt und wir dem Fort ›William Henry‹ nicht näher als heute früh sind. Du hast den Weg verfehlt, und mir ist es nicht besser ergangen. Doch glücklicherweise haben wir einen Jäger getroffen — du kannst ihn mit dem Psalmsänger sprechen hören —, der die Fährten des Wildes und die Pfade der Wälder kennt. Er verspricht, uns an den Ort zu führen, wo wir bis zum Morgen lagern können.«

Der Indianer richtete sein funkelndes Auge auf Heyward und fragte in seinem gebrochenen Englisch:

»Er allein sein?«

»Allein?« antwortete Heyward zögernd, »nein! Allein sicher nicht, Magua, denn du weißt ja, daß wir bei ihm sind.«

»So kann also der Schlaue Fuchs gehen«, erwiderte der Läufer kaltblütig, »die Bleichgesichter wollen nur Weißfarbige sehen.«

»Gehen? Wen nennst du denn den Schlauen Fuchs?«

»Es ist mein Name, der Magua von seinen kanadischen Vätern gegeben wurde«, entgegnete der Läufer mit stolzer Miene. »Nacht und Tag sind dem Schlauen Fuchs gleich, wenn Munro auf ihn wartet.«

»Was würde dann der Schlaue Fuchs dem Befehlshaber von ›William Henry‹ über seine Töchter erzählen? Wird er es wagen, dem hitzigen Schotten zu melden, daß seine Kinder ohne Führer sind?«

»Der Graukopf hat eine lange Stimme und einen langen Arm«, versetzte der Läufer, »aber wird der Schlaue Fuchs ihn in den Wäldern hören oder fühlen?«

»Doch was werden die Mohawks sagen? Sie werden ihm einen Weiberrock anziehen und ihn heißen, bei den Weibern im Wigwam zu bleiben. Für Männergeschäfte kann man ihn nicht mehr gebrauchen.«

»Der Schlaue Fuchs kennt den Pfad zu den großen Seen und kann die Geibeine seiner Väter finden.«

»Genug, Magua!« sagte Heyward. »Sind wir nicht Freunde? Was sollen diese kränkenden Worte zwischen uns beiden? Wenn die Damen sich erfrischt haben, wollen wir unseren Weg fortsetzen.«

»Die Bleichgesichter machen sich zu Hunden ihrer Weiber«, murmelte der Indianer in seiner Muttersprache. »Wenn sie essen wollen, müssen ihre Männer die Streitaxt ablegen.«

»Was sagst du?« fragte Heyward.

»Der Schlaue Fuchs sagt: Es ist gut!«

Der Indianer richtete jetzt seine Augen scharf auf Heywards offenes Antlitz. Als er seinem Blick begegnete, wandte er sie schnell wieder ab. Er setzte sich bedächtig auf die Erde, zog aus einem kleinen Sack den Überrest einer früheren Mahlzeit hervor und begann zu essen, nachdem er zuvor langsam und vorsichtig ringsumher geblickt hatte.

»So ist’s recht!« fuhr Heyward fort. »Morgen früh wird der Schlaue Fuchs neue Kräfte und gestärkte Augen haben, um den Pfad zu finden.« Er schwieg, denn in dem nahe gelegenen Gebüsch ließ sich das Knistern dürrer Äste hören. Schnell gefaßt aber sprach er weiter: »Wir müssen fort, ehe die Sonne aufgeht, oder Montcalm trifft uns auf dem Weg und schneidet uns von der Festung ab.«

Magua ließ die Hand, die er eben zum Munde führen wollte, sinken und drehte den Kopf ein wenig seitwärts. Seine Nasenlöcher öffneten sich weit, und seine Ohren schienen sich aufzurichten.

Heyward, der seine Bewegungen wachsam beobachtete, zog nachlässig den einen Fuß aus dem Steigbügel, während er eine Hand nach der Bärendecke seines Pistolenhalfters ausstreckte. Er konnte aber den Punkt nicht entdecken, auf den sich die Augen des Läufers richteten.

Während er noch zögerte, stand Magua geräuschlos auf. Heyward fühlte, daß er jetzt handeln müsse. Er schwang sich daher aus dem Sattel und stieg ab, behielt aber noch immer eine freundliche Miene.

»Der Schlaue Fuchs ißt ja nicht«, sagte er. »Ich will einmal sehen, vielleicht findet sich unter meinen eigenen Lebensmitteln etwas, was seinem Appetit mehr zusagt.«

Magua hielt seinen Eßsack hin, um dem Anerbieten zuvorzukommen. Er duldete es, daß ihre Hände zusammentrafen, ohne die mindeste Bewegung zu verraten oder seine aufmerksame Stellung zu verändern.

Als aber Heywards Finger über seinen nackten Arm hinglitten, schlug er die Hand des jungen Mannes empor, stieß einen durchdringenden Schrei aus und stürzte sich mit einem einzigen Sprung in das gegenüberliegende Dickicht.

Gleich darauf erschien Chingachgook aus den Gebüschen und eilte quer über den Pfad. Einen Augenblick später erscholl der laute Ruf Unkas’, und der Wald wurde von einem plötzlichen Feuerstrahl erhellt, den der durchdringende Knall eines Schusses begleitete.

4

Heyward blieb einige Augenblicke erstaunt und untätig stehen. Dann aber stürzte er sich in das nahe Gebüsch. Doch kaum hatte er hundert Schritte zurückgelegt, als er die drei Waldbewohner bereits von ihrer fruchtlosen Verfolgung zurückkehren sah.

»Warum habt ihr so schnell den Mut verloren?« fragte Heyward. »Der Schurke muß sich hinter einem Baum verborgen haben.«

»Wollt Ihr dem Wind eine Wolke nachschicken?« erwiderte ärgerlich der Kundschafter. »Ich hörte den Satansgesellen wie eine schwarze Schlange über das dürre Laub hinschlüpfen, und da ich ihn gerade über jener hohen Tanne flüchtig zu Gesicht bekam, spannte ich den Hahn und drückte ab, aber mit halbem Erfolg. Betrachtet einmal diesen Sumachbaum. Seine Blätter sind rot, obwohl er im Juli gelb blüht.«

»Es ist das Blut Maguas. Er ist verwundet und kann vielleicht noch fallen.«

»Nein, nein«, erwiderte der Kundschafter. »Ich verletzte ihm vielleicht nur die Haut, und eine Flintenkugel wirkt auf ein flüchtiges Tier, wenn es von ihr gestreift wird, nicht anders als etwa Eure Sporen auf ein Pferd.«

»Wir sind aber vier starke Leute gegen einen Verwundeten.«

»Seid Ihr Eures Lebens überdrüssig?« unterbrach ihn der Kundschafter. »Jener rote Teufel würde Euch nur unter die geschwungenen Streitäxte seiner Stammesgenossen locken. Es war eine unüberlegte Handlung, das Gewehr in der Nähe eines Hinterhaltes abzufeuern. Aber die Versuchung war zu groß. Kommt, Freunde, wir wollen jetzt die durchtrienen Mingos auf eine falsche Spur locken.«

Heyward, dem seine Verantwortung mit einemmal drückend auf die Seele fiel, fühlte sich gleichsam von aller menschlichen Hilfe abgeschnitten. In dem Zwielicht der Abenddämmerung verwandelte seine aufgeregte Phantasie jedes sich bewegende Gebüsch, jeden umgestürzten Baum in menschliche Gestalten, und mehrere Male glaubte er, die furchtbaren Gesichter lauernder Feinde zu erkennen.

»Was ist nun zu tun?« fragte er hilflos. »Verlaßt mich nicht, um Gottes willen! Bleibt, um uns zu helfen. Jede Belohnung ist euch sicher.«

Die drei Waldbewohner, die sich in der Sprache ihres Stammes unterhielten, beachteten ihn nicht. Schließlich aber redete ihn der Kundschafter fast wie im Selbstgespräch auf englisch an:

»Unkas hat recht! Es wäre keine männliche Handlung, diese harmlosen Geschöpfe ihrem Schicksal zu überlassen. — Wollt Ihr diese zarten Blumen vor dem Biß der schlimmsten Schlangen bewahren, Herr, so habt Ihr keine Zeit zu verlieren und müßt rasch einen Entschluß fassen. Der Mohikaner und ich wollen tun, was in unseren Kräften steht, um diese schönen Blumen zu beschützen. Wir wollen dafür keinen anderen Lohn als den, welchen Gott rechtschaffenen Handlungen immer verleiht. Zuvor aber müßt Ihr mir zwei Dinge versprechen, sowohl in Eurem als in Eurer Freunde Namen, sonst könnten wir, ohne Euch zu helfen, uns selbst schaden.«

»Nennt diese Bedingungen.«

»Die eine ist, daß Ihr Euch so still verhaltet wie diese schweigenden Wälder, was auch immer sich ereignen möge. Die zweite, daß Ihr den Ort, wohin wir Euch führen, vor jedem Menschen geheimhaltet.«

»Ich will mein möglichstes tun, diese Bedingungen zu erfüllen.«

»So folgt mir, denn die Minuten, die wir verlieren, sind kostbar.«

Durch die wachsenden Schatten der Nacht konnte Heyward die ungeduldige Gebärde des Kundschafters bemerken und folgte rasch.

Als er zu den wartenden, besorgten Frauen trat, machte er sie kurz mit den Bedingungen ihres neuen Führers bekannt. Die Frauen erschraken über seine beunruhigende Mitteilung, waren aber angesichts der drohenden Gefahr gleich wieder tapfer. Schweigend stiegen sie von ihren Pferden und schritten eilig zum Ufer des Stromes hinab.

»Was fangen wir nun mit diesen stummen Geschöpfen an?« flüsterte der Kundschafter, auf dem die ganze Verantwortung zu lasten schien. »Es wäre Zeitverlust, den Pferden die Kehlen durchzuschneiden und sie in den Strom zu stürzen. Lassen wir sie aber hier, so wissen die Mingos daß wir in der Nähe sind.«

»Sie könnten ja frei in die Wälder laufen«, meinte Heyward.

»Nein, wir müssen die Satansbrut irreführen. Sie sollen glauben, vor sich flüchtende Reiter auf der Fährte zu haben.«

Die Indianer zögerten keinen Augenblick. Sie ergriffen die ZügeJ und führten die widerstrebenden Pferde in das Flußbett hinab.

Nicht weit vom Ufer änderten sie die Richtung und verschwanden bald stromaufwärts hinter einem vorspringenden Felsen. Unterdessen zog der Kundschafter ein Rindenkanu aus einem Versteck unter dem Ufergebüsch hervor und bedeutete den Frauen schweigend, einzusteigen. Sie folgten ohne Zögern, warfen aber furchtsame und ängstliche Blicke in das wachsende Dunkel, das wie eine schwarze Mauer am Ufer des Stromes lag.

Als sich Cora und Alice gesetzt hatten, ließ der Späher den jungen Heyward die eine Seite des schwachen Bootes fassen, während er sich selbst an die andere stellte. Begleitet von dem niedergeschlagenen Psalmsänger, schoben sie nun langsam das Boot stromaufwärts. Nur das Plätschern des Wassers oder das leise Geräusch, das ihre eigenen behutsamen Schritte verursachten, war zu hören. Diese Stille wirkte beunruhigend.

Heyward überließ die Lenkung des Kahns ganz dem Kundschafter, der sich bemühte, Felsklippen oder tiefere Stellen des Flusses zu vermeiden. Er schien den Weg zu kennen. Dann und wann blieb er stehen und lauschte in der atemlosen Stille, die noch durch das dumpfe anwachsende Rauschen des Wasserfalls unterstrichen wurde, mit gespanntester Aufmerksamkeit auf jedes Geräusch, auf jeden Ton in den schlummernden Wäldern. Wenn er sich überzeugt hatte, daß alles ruhig und allem Anschein nach kein Feind in der Nähe war, fuhr er wieder langsam und vorsichtig weiter.

Schließlich bemerkte Heyward eine Gruppe schwarzer Schatten, die sich an einer dunklen Stelle am Gestade zusammendrängten. Zögernd machte er seinen Begleiter darauf aufmerksam.

»Die Mohikaner haben dort die Tiere verborgen«, erwiderte ruhig der Kundschafter. »Das Wasser läßt keine Spur zurück, und selbst das Auge einer Eule wird in dieser Dunkelheit nichts erkennen.«

Bald fanden sich alle wieder zusammen; der Kundschafter und seine Gefährten berieten aufs neue. Der Fluß war hier von hohen und schroffen Felsen eingeschlossen und schien durch ein tiefes und enges Tal zu führen. Das Boot lag geschützt unter einem überhängenden Felsen. Die Partien unterhalb der Ufer lagen in schattigem Dunkel. Der Ort schien von aller Welt abgeschlossen zu sein. Die Schwestern fühlten sich schon sicherer und warfen einen Blick auf die romantische Schönheit dieser Landschaft, die jedoch gleichzeitig etwas Abschreckendes hatte. Als aber ihre Führer die Weiterfahrt vorbereiteten, kam ihnen die Gefahr, in der sie schwebten, schmerzlich zu Bewußtsein.

Die Pferde waren jetzt durch einige Sträucher verdeckt, die in den Felsspalten wuchsen. Sie sollten die Nacht im Wasser stehend verbringen. Der Kundschafter bat Heyward und seine trostlosen Gefährtinnen sich in den vorderen Teil des Bootes zu setzen. Er selbst stellte sich aufrecht in den hinteren, als ob er in einem festen, soliden Fahrzeug segelte. Dann stemmte er sein Ruder gegen einen Felsen und trieb das zerbrechliche Fahrzeug mit einem mächtigen Stoß in die Mitte des wilden Flusses.

Minutenlang war der Kampf mit der heftigen Strömung hart und zweifelhaft, und mehrmals glaubten die Reisenden, die ängstlich still saßen, durch die wirbelnden Fluten vernichtet zu werden. Stets aber wußte die Meisterhand ihres Steuermannes den Kahn geschickt gegen den Strom zu lenken. Eine äußerste, fast verzweifelte Anstrengung beendete die Überfahrt.

Alice hatte ihre Augen vor Schreck geschlossen. Sie glaubte von dem Strudel am Fuße des Wasserfalls verschlungen zu werden, als gleich darauf der Kahn an der Seite eines flachen Felsens, der kaum über das Wasser ragte, liegenblieb.

»Wo sind wir?« fragte Heyward, als der Kundschafter zu rudern aufgehört hatte.

»Wir sind am Fuße des Glennfalles«, erwiderte der andere mit lauter Stimme, um sich im Getöse des stürzenden Wassers verständlich zu machen. »Wir müssen jetzt schnell landen, damit der Kahn nicht wieder zurückgetrieben wird und wir die anstrengende Fahrt nicht noch einmal zurücklegen müssen. Es ist schwer, gegen den Strom anzukämpfen. Steigt jetzt alle auf den Felsen, ich will die Mohikaner mit dem Wildbret holen.« .

Die Reisenden stiegen aus, und der Kahn verließ schwankend die Felsenplatte. Einen Augenblick sah man die schlanke Gestalt des Kundschafters über die Fluten dahingleiten, bis sie in dem undurchdringlichen Dunkel über dem Fluß verschwand. Ängstliche Minuten des Wartens vergingen, aber der Kundschafter kam mit den beiden Indianern unerwartet schnell zurück.

»Nun sind wir sicher und verproviantiert!« rief Heyward fröhlich, »und Montcalm und seine Verbündeten können uns kaum etwas anhaben. War übrigens etwas von den Irokesen, oder wie Ihr sie nennt, am Ufer zu sehen?«

»Ein Indianer ist ein Wesen, das man fühlt, bevor man es zu Gesicht befommtlll entgegnete der Kundschafter. Er stieg den Felsen hinauf und warf das Wildbret auf die Erde. ›Ich für meinen Teil halte mich an bessere Zeichen als die sichtbaren, wenn ich den Mingos auflauere.‹

›Wollt Ihr damit sagen, daß sie unseren Schlupfwinkel aufgespürt haben?‹

›Ich glaube nicht, obgleich sich die Pferde vorhin, als ich an ihnen vorüberkam, so zusammendrückten, als witterten sie Wölfe. Und diese halten sich wieder gern in der Nähe von Indianen auf, weil sie dort den Abfall von erlegtem Wild spüren.‹

›Ihr vergeßt den Bock, der sie vielleicht gelockt haben kann.‹

›Das mag sein‹, erwiderte der Kundschafter, ›und wir wollen deshalb so viel Fleisch abschneiden, als wir brauchen, und das übrige den Strom hinuntertreiben lassen. Sonst heult bald ein ganzes Rudel hier um die Klippen und mißgönnt uns jeden Bissen, den wir zum Mund führen.‹

Der Kundschafter verließ jetzt die Reisenden, und die beiden Mohikaner, die seine Absicht zu erraten schienen, folgten ihm schweigend. Alle drei verschwanden hinter einer dunklen Felswand, die sich dicht am Ufer erhob.

5

Heyward und die Frauen blieben besorgt zurück. Wenn sie auch keinen Verdacht hegten, so konnte doch der ärmliche Anzug des Kundschafters wie auch sein rauhes Wesen und das schweigende Gebaren seiner Begleiter einiges Mißtrauen erwecken, zumal sie durch den Verrat des Indianers eben erst in Not gekommen waren. Nur der sonderbare Psalmsänger schien gleichgültig gegen alles, was um ihn her vorging. Er saß auf einem Felsvorsprung und gab keine anderen Lebenszeichen von sich als schwere Seufzer, die seine Stimmung ausdrückten.

Plötzlich hörten die Wartenden verworrene und dumpfe Stimmen wie von Menschen, die unter der Erde einander zuriefen, und gleich darauf traf ein blendender Lichtstrahl ihre Augen und ließ sie das Geheimnis dieser Stelle erkennen.

Am äußersten Ende einer engen und sehr tiefen Felsenhöhle saß der Kundschafter, einen lodernden Fichtenbrand in der Hand. Der helle Schein der Flamme fiel auf sein gebräuntes Gesicht. Die Gestalt dieses Mannes schien jetzt von romantischer Wildheit. Ein wenig vor ihm stand Unkas. Die Reisenden betrachteten aufmerksam die aufrechte Haltung und schlanke Gestalt des jungen Mohikaners, dessen Bewegungen etwas Natürliches, Anmutiges und Ungezwungenes hatten.

Er trug ein besetztes grünes Jagdhemd, das dem des Kundschafters ähnelte. Seine edlen und stolzen Züge wurden durch den entschlossenen und zugleich erhabenen Ausdruck seines Auges noch verklärt. Die gewölbte Stirn trat deutlich hervor, sein schönes und edles Haupt war bis auf die Skalplocke kahl geschoren. Zum erstenmal seit ihrer Begegnung betrachteten jetzt die Reisenden die scharfen Züge ihrer beiden indianischen Begleiter näher, und ihr Argwohn verschwand. Die freimütige Alice bewunderte den hellen Blick und die stolze Haltung des jungen Mohikaners, der ihr wie eine zum Leben erweckte griechische Statue erschien, und auch Heyward drückte seine Anerkennung offen aus.

›Ich könnte ganz ruhig schlafen‹, flüsterte ihm Alice zu, ›wenn dieser tapfere und edle Jüngling mich bewachte. Wirklich, Duncan, die grausamen Mordtaten und entsetzlichen Marterszenen, von denen wir gelesen und gehört haben, sind sicher nicht geschehen, wenn einer wie dieser dabei war!‹

›Ich bin Ihrer Meinung, Alice, und glaube auch, daß diese Stirn und diese Augen nicht trügen können. Doch hüten wir uns, ihn zu idealisieren. Er ist schließlich ein Indianer. Wollen wir indessen hoffen, daß sich dieser Mohikaner, wie es sein Blick verspricht, als ein wackerer und beständiger Freund zeigen wird.‹

›Nun spricht Major Heyward einmal, wie er sprechen sollte‹, murmelte Cora. ›Wer denkt noch an die Hautfarbe, wenn man dieses edle Naturkind betrachtet?‹

Ein kurzes, fast verlegenes Schweigen folgte der treffenden Bemerkung, das aber schließlich durch die Stimme des Kundschafters, der sie aufforderte, in die Höhle zu treten, unterbrochen wurde.

›Das Feuer beginnt zu flammen‹, sagte dieser, als sie seiner Einladung gefolgt waren, ›es könnte den Mingos zu unserem Verderben leuchten. Unkas, laß den Vorhang nieder!‹

Der Angeredete rollte die dunkle Decke vor dem Höhleneingang herab, und als Falkenauge jetzt schwieg, hörte man das Bremsen des Wasserfalls wie das Rollen eines fernen Donners.

›Sind wir völlig sicher in der Höhle?‹ fragte Heyward. ›Haben wir hier keinen Überfall zu befürchten? Ein einziger bewaffneter Mann am Eingang hat uns alle in seiner Gewalt.‹

Da trat eine Gestalt wie ein Geist aus der Dunkelheit hinter dem Kundschafter hervor, ergriff einen Feuerbrand und hielt ihn in die Tiefe der Höhle. Alice stieß einen leisen Schrei aus, und auch Cora sprang erschrocken auf. Zu ihrer Beruhigung aber erkannten sie sogleich ihren Begleiter Chingachgook, der einen anderen Vorhang hinwegzog und ihnen dadurch zeigte, daß die Höhle zwei Ausgänge habe. Dann schritt er mit dem Feuerbrand in der Hand durch eine enge Felsspalte, die mit der Höhle einen rechten Winkel bildete und nach oben zu offen war. Dort befand sich noch eine zweite ähnliche Höhle.

›Wir alten Füchse‹, sagte Falkenauge lachend, ›werden nicht so leicht in einem Bau mit einem Loch gefangen. Ihr seht, wie günstig dieser Platz liegt. Der Felsen besteht aus schwarzem, weichem Kalkstein. Er bietet hier, wo Laubholz und Fichten so selten sind, kein ganz unbequemes Lager. Die Felsen sind voll Spalten und hier und da weicher als an anderen Stellen, so daß das Wasser lange, tiefe Löcher hineinarbeiten konnte. Unsere Höhle liegt auf einer Insel zwischen den Wassern des Hudsons. Auf zwei Seiten neben uns liegen die Fälle, und hinter und vor uns ist der Fluß. Wäre es Tag, so lohnte es sich schon der Mühe, den Gipfel des Felsens zu ersteigen. Man sieht von dort das Treiben des Wassers sehr genau. Die Bewegung ist völlig regellos; bald bremst es in die Höhe, bald fällt es hinab, springt über die Steine oder schießt zwischen ihnen hindurch; an einer Stelle ist es schneeweiß, an der anderen grasgrün; dann wieder stürzt es sich in tiefe Höhlen, daß die Erde dröhnt und zittert, oder es rieselt wie ein Bach dahin. Der ganze Fluß scheint hier verändert. Anfangs fließt er so ruhig seine Bahn, daß man denken sollte, er werde einen gewöhnlichen Wasserfall bilden. Plötzlich jedoch verändert er seine Richtung und prallt gegen das Ufer. An einzelnen Stellen scheint er rückwärts zu fließen, anscheinend unwillig, daß er sich mit dem Salzwasser vermischen soll. Doch hat das Wasser eine Zeitlang wie ein eigensinniger Mensch seinen Willen gehabt, so sammelt es wieder dieselbe Hand, die es erschuf, und ein wenig später fließt es still der See zu, wie es ihm bestimmt ist. Gott sorgt schon dafür, daß alles seinen zugewiesenen Weg nimmt.‹

Die Reisenden nahmen jetzt beruhigt die Abendmahlzeit ein, die der Kundschafter während seiner Schilderung nicht zu bereiten vergessen hatte. Unkas wartete den Damen auf und verrichtete jeden kleinen Dienst, der in seinen Kräften stand, mit einer Mischung von Würde und Ängstlichkeit, die Heyward sehr belustigte. Denn er wußte, daß der Häuptling gegen die indianischen Sitten verstieß, die einem Krieger verbieten, sich zu einem häuslichen Geschäft, besonders zugunsten der Weiber, herabzulassen.

Ein stiller Beobachter würde gefunden haben, daß die Dienste des jungen Mohikaners nicht ganz unparteiisch waren. Denn während er Cora die mit süßem Wasser gefüllte Kürbisflasche und das Wildbret auf dem aus der Wurzel des Pfefferbaumes künstlich verfertigten Teller mit großer Freundlichkeit anbot, ruhte sein dunkles Auge auf ihrem schönen sprechenden Antlitz, und seine stolz funkelnden Blicke bekamen einen sanften Ausdruck. Ein- oder zweimal sah er sich veranlaßt zu sprechen. In diesen Fällen gebrauchte er das Englische, zwar gebrochen und mangelhaft, aber verständlich genug, und durch seine tiefe Stimme so mild und wohlklingend, daß beide Damen jedesmal mit Bewunderung und Erstaunen auf ihn blickten.

Während der Mahlzeit setzte Chingachgook sich dem Feuer ein wenig näher, wo die häufigen unruhigen Blicke seiner Gäste besser imstande waren, den natürlichen Ausdruck seines Gesichtes von dessen künstlichen Schreckenszügen zu trennen. Vater und Sohn schienen einander sehr ähnlich. Die Wildheit in dem Gesicht des Älteren schien jetzt zu schlummern. Es zeigte jene untätige Ruhe, die dem indianischen Krieger eigen ist, wenn seine Fähigkeiten nicht von irgendeiner Aufgabe in Anspruch genommen werden. Aus den Bewegungen aber, die zuweilen über sein dunkles Antlitz fuhren, ließ sich leicht schließen, daß es nur eines geringen Anlasses bedurfte, um der gräßlichen Malerei, die seine Feinde schrecken sollte, ihre volle Wirkung zu geben.

Dagegen war das lebhaft umherblickende Auge des Kundschafters nur selten ruhig. Er aß und trank mit Behagen. Seine Wachsamkeit aber schien deshalb nicht nachzulassen. Mehrere Male, wenn er eben die Kürbisflasche oder ein Stück Fleisch zum Mund bringen wollte, blieb er mit seitwärts gewandtem Kopf unbeweglich sitzen, als höre er irgendeinen entfernten verdächtigen Ton.

›Kommt, Freund‹, sagte Falkenauge zu dem Psalmsänger, als die Mahlzeit beendet war, und zog unter einem Haufen Laub ein Fäßchen hervor, ›kostet einmal dieses Fichtennadelbier! Es wird Eure trüben Gedanken verscheuchen. Ich trinke auf gute Freundschaft zwischen uns. — Wie heißt Ihr denn?‹

›Gamut — David Gamut‹, erwiderte der Singmeister und wischte sich mechanisch den Mund, um seinen Kummer mit einem reichlichen Schluck von dem köstlich duftenden und vorzüglich mundenden Getränk hinunterzuspülen.

›Ein sehr guter Name‹, stellte der Kundschafter fest, ›und ich darf wohl sagen, gewiß ererbt von wackeren Vorfahren. Ich bin ein Liebhaber von Namen, obwohl die christlichen Gebräuche in dieser Hinsicht den Sitten der Wilden weit nachstehen. Bei einem Indianer ist das eine Gewissenssache, er ist das, was sein Name bedeutet. Welchen Beruf übt Ihr aus?‹

›Ich bin ein unwürdiger Lehrer in der hohen Kunst, die Psalmen abzusingen.‹

›Wie?‹

›Ich gebe den Kindern der Miliz von Connecticut Unterricht im Singen.‹

›Ihr könntet eine bessere Aufgabe haben. Die jungen Dachse durchstreifen ohnedies nur zu oft lachend und singend die Wälder, in denen sie nicht stärker Atem holen sollten als ein Fuchs in seinem Bau. Könnt Ihr den Degen führen oder mit der Büchse umgehen?‹

›Gelobt sei Gott, daß ich nie veranlaßt ward, mich solcher Mordwaffen zu bedienen!‹

›So versteht Ihr Euch vielleicht auf Zirkel und Kompaß und könnt die Flüsse und Berge der Wildnis aufs Papier zeichnen, so daß jene, die nach Euch kommen, alle Stellen durch die Namen wiederfinden, die Ihr ihnen gegeben habt?‹

›Das ist nicht mein Amt‹, erwiderte der Psalmsänger abweisend.

›Aber ihr habt doch ein paar Beine, die in kurzer Zeit eine tüchtige Strecke zurücklegen können. Ihr reist vielleicht mit Nachrichten für den General?‹

›Das ist nicht der Fall! Nur meinem eigenen hohen Beruf folge ich, der darin besteht, Unterricht in der heiligen Musik zu erteilen.‹

›Ein sonderbarer Beruf!‹ murmelte Falkenauge, innerlich lachend. ›Wie ein Spottvogel das Leben hinzubringen und alle hohen und tiefen Töne, die aus einer menschlichen Kehle kommen können, andere nachsingen zu lassen. Doch, Freund, ich denke so: Es ist nun einmal Euer Talent, und das muß man so gut gelten lassen, als wenn Ihr Euch auf Schießen oder sonst was Besseres verstündet. Doch jetzt laßt einmal hören, was Ihr in dieser Hinsicht leisten könnt; das ist die freundlichste Art, gute Nacht zu sagen. Denn es ist Zeit, daß die Damen sich zur Ruhe begeben, damit sie Kräfte sammeln für die lange und beschwerliche Reise, die wir morgen mit Tagesanbruch, ehe sich noch die Maquas regen, antreten wollen.‹

›Mit vielem Vergnügen‹, sagte David und zog sein Gesangbuch hervor. Dann begann er eine getragene Hymne zu singen, und die beiden Mädchen begleiteten ihn mit ihren schönen Stimmen. Das Rauschen des Wassers zog sich wie eine dumpfe Begleitung durch die Melodie hindurch, und die Höhle war erfüllt von dem bebenden Klang der biegsamen Stimmen.

Die Indianer blickten starr vor sich hin und lauschten mit einer Aufmerksamkeit, als wären sie in Stein verwandelt worden. Selbst die Gesichtszüge des Kundschafters, der, das Kinn auf die Hand gestützt, mit einem Ausdruck kalter Gleichgültigkeit dasaß, schienen allmählich heiterer zu werden. Sein finsterer Blick verschwand nach und nach, und als nun ein Vers dem anderen folgte, fühlte er seine eiserne Natur bezwungen und sich in sein Knabenalter zurückversetzt, in welchem er oft ähnliche Gesänge in den Niederlassungen der Kolonisten gehört hatte.

Die Sänger hielten eben einen jener zart dahinsterbenden Akkorde aus, die das Ohr so sehr entzücken, da erfüllte plötzlich ein Schrei von außen her die Luft, der nicht nur bis in die tiefsten Winkel der Höhle, sondern auch in das innerste Herz aller Hörer klang. Gleich darauf trat eine tiefe Stille ein, als wäre selbst das wildtobende und brausende Wasser durch diesen furchtbaren Schrei gehemmt worden.

›Was war das?‹ flüsterte Alice, nachdem sie eine Minute in angstvoller Spannung geschwiegen hatte.

›Was war das?‹ fragte Heyward laut.

Weder Falkenauge noch die Indianer gaben Antwort. Sie horchten, als erwarteten sie, daß der Ton sich wiederholen werde. Endlich sprachen sie eifrig in der Delawarensprache miteinander, worauf Unkas die Höhle äußerst vorsichtig verließ. Als er fort war, sagte der Kundschafter langsam auf englisch:

›Das war ein unbekannter Schrei. Keiner von uns hat ihn bisher wahrgenommen, obwohl wir diese Wälder schon länger als dreißig Jahre durchstreifen. Ich glaubte, es gebe keinen Schrei, sei er von einem Indianer oder einem Tier, den meine Ohren nicht schon gehört hätten; aber dieser Ton hat mir bewiesen, daß ich töricht und eingebildet war.‹

›War es nicht vielleicht ein Kriegsgeschrei?‹ fragte Cora, indem sie sich mit einer Gelassenheit in ihren Schleier hüllte, die ihrer beunruhigten Schwester unbegreiflich schien.

›Nein, nein, dies war schlimmer und schrecklicher! Es war eine Art von übermenschlichem Ton. Nun, Unkas!‹ sagte er in der Delawarensprache zu dem jungen Häuptling, der wieder in die Höhle getreten war, was siehst du? Kann man den Schein unseres Feuers durch die Vorlänge erblicken?«

Die Antwort war kurz und bestimmt.

»Draußen ist nichts von unserer Höhle zu bemerken«, berichtete der Späher kopfschüttelnd. »Unser Schlupfwinkel ist in Dunkelheit begraben. Geht also in die andere Höhle und versucht zu schlafen, denn ihr habt es nötig, da wir lange vor Sonnenaufgang schon wieder auf den Füßen sein und den größten Teil des Wegs nach Fort ›Edward‹ zurücklegen müssen, während die feindlichen Indianer noch ihre Morgenruhe halten.«

Cora ging sogleich mit gutem Beispiel voran. Ehe sich aber die Frauen aus der Höhle entfernten, flüsterte sie Duncan zu, er möge ihnen folgen. Unkas hob den Vorhang auf und ließ sie hindurchgehen, und als sich die Schwestern umkehrten, um ihm für diese Aufmerksamkeit zu danken, sahen sie den Kundschafter tief in Gedanken vor dem Feuer sitzen.

Heyward nahm einen brennenden Ast mit, der ein düsteres Licht in die engen Räume der zweiten Höhle warf. Er befestigte ihn und trat dann zu den Frauen.

»Verlassen Sie uns nicht, Duncan«, sagte Alice. »Wir können hier nicht schlafen, solange noch der furchtbare Ton in unseren Ohren klingt.«

»Wir wollen die Sicherheit der Höhle erforschen«, erwiderte er, »und dann alles Weitere besprechen.« Er ging zu dem hinteren Ausgang der Höhle, der ebenfalls durch einen schweren Vorhang gut verdeckt war.

Als er die dicke Decke weghob, wehte ihm frische und erquickende Luft vom Wasserfall her entgegen. Ein Arm des Flusses strömte gerade zu seinen Füßen durch eine tiefe, enge Schlucht, die die Strömung in den weichen Felsen gegraben hatte und die, wie er glaubte, von dieser Seite den Ort vor jeder Gefahr schützte, da das Wasser nur wenige Meter über ihnen mit größtem Ungestüm von Absatz zu Absatz herabstürzte und alles mit sich fortreißen mußte.

»Von dieser Seite her sind wir sicher«, sagte Heyward zu den Frauen, als er den Vorhang wieder herabließ, »und da Sie wissen, daß gute und treue Männer an der anderen Seite Wache stehen, so sollten Sie wirklich versuchen zu schlafen.«

Cora, die sich neben Alice auf einem Lager von Sassafraszweigen niedergelassen hatte, antwortete ihm:

»Es gibt noch andere Sorgen, die uns den Schlaf verscheuchen. Fragen Sie sich selbst, Heyward, ob Töchter wohl die Angst und Besorgnis eines Vaters vergessen können, der nicht weiß, wo seine Kinder in der Wildnis umherirren?«

»Er ist Soldat und weiß genau, was uns in diesen Wäldern zustoßen kann.«

»Er ist Vater und kann sein Gefühl nicht verleugnen.«

»Wie besorgt er war!« schluchzte Alice. »Ach! Wir waren selbstsüchtig, in dieser gefährlichen Zeit auf unserem Besuch zu bestehen!«

»Es war vielleicht voreilig, doch wollten wir ihm nur zeigen, daß seine Kinder treu zu ihm stehen, wenn auch andere ihn in seiner Lage verlassen mögen.«

»Als er Ihre Ankunft in ›Edward‹ erfuhr«, berichtete Heyward, »Waren seine Gefühle zwischen Furcht und Liebe sehr geteilt. Dann sagte er aber zu mir: ›Das sieht der mutigen Cora ähnlich. Ich will ihre Erwartungen nicht täuschen. Wollte Gott, daß derjenige, der die Ehre unseres königlichen Herrn hier verteidigen soll, nur halb soviel Entschlossenheit wie sie besäße!‹«

»Hat er denn nicht auch von mir gesprochen, Heyward?« fragte Alice.

»Natürlich«, antwortete der junge Mann. »Er gab Ihnen tausend zärtliche Namen. Einmal sagte er wirklich —«

Duncan schwieg plötzlich, denn während er Alice ansah, die sich mit der ganzen Innigkeit kindlicher Liebe zu ihm gewandt hatte, erklang wieder der laute und furchtbare Ton und ließ ihn verstummen.

Eine lange, atemlose Stille trat ein. Angstvoll sah einer den anderen an und fürchtete, daß der entsetzliche Schrei sich wiederholen werde.

Endlich wurde der Vorhang langsam emporgehoben, und am Eingang stand der Kundschafter mit einer Miene, die deutlich verriet, daß er bei all seiner Erfahrung mit diesem Erlebnis nicht fertigwerden konnte.

6

»Es hieße eine Warnung vernachlässigen«, sagte Falkenauge, »wenn wir uns hier noch länger verborgen hielten, während diese Schreie durch den Wald geilen. Die zarten Damen mögen hierbleiben, doch ich und die Mohikaner werden auf dem Felsen Wache stehen. Hoffentlich wird uns dort ein Major vom Sechzigsten Regiment Gesellschaft leisten.«

»Ist die Gefahr so groß?« fragte Cora.

»Nur wer diese seltsamen, anscheinend warnenden Schreie hervorbringt, kennt die Gefahr. Selbst der Psalmsänger ist so aufgeregt durch diesen gräßlichen Ruf, daß auch er zu kämpfen bereit ist. Käme es nur zu einem Kampf, der ließe sich leicht abmachen! Indessen habe ich gehört, daß andere Gefahr droht, wenn so Furchtbares zwischen Himmel und Erde ertönt.«

»Wenn diese Töne übernatürliche Ursache haben, dürfen wir uns ihretwegen nicht so sehr beunruhigen«, sprach das unerschrockene Mädchen. »Seid Ihr aber auch sicher, daß unsere Feinde nicht eine neue List auc,gedacht haben, damit der Sieg ihnen um so leichter zufalle?«

»Lady«, erwiderte der Kundschafter feierlich, »ich habe seit dreißig Jahren alle Laute in diesen Wäldern gehört. Es gibt kein Winseln des Panthers, kein Pfeifen der Spottdrossel, nicht irgendeinen Kniff der Mingos, der mich noch täuschen könnte. Ich habe die Wälder wehklagen gehört, habe oft der Musik des Windes gelauscht, wenn er durch die Zweige der Bäume streicht. Ich habe den Donner und den brausenden Sturm gehört. Immer aber vernahm ich darinnen nur den hohen Willen Gottes, der mit seinen Werken spielt. Den eben vernommenen Schrei jedoch kann ich nicht erklären.«

»Es ist seltsam!« rief Heyward und nahm seine Pistolen. »Mag dieser Schrei nun ein Zeichen des Friedens oder des Krieges sein, auf jeden Fall muß man ihn ergründen. Zeigt mir den Weg, ich folge Euch.«

Alle, auch die Frauen, traten jetzt aus dem Versteck. Ein starker Abendwind strich über die Oberfläche des Stromes hin und schien die herabstürzenden Gewässer in ihre Höhlen zurückzutreiben, aus denen ein heftiges und ununterbrochenes Donnern herausscholl. Der Mond war aufgegangen, und sein Licht schimmerte schon hier und dort über dem Wasserfall. Der Felsen aber, auf dem sie standen, lag noch in tiefem Schatten. Trotz der lärmenden Wasser verbarg sich die Landschaft in der Ruhe der Nacht und Einsamkeit. Aller Augen schweiften vergeblich nach dem jenseitigen Ufer. Doch das trügerische Licht täuschte die ängstlich forschenden Blicke.

Da ertönte plötzlich wieder der Schrei. Er schien aus dem Flußbett zu kommen. Nachdem er die engen Felsenklüfte verlassen hatte, hörte man ihn im Wald verhallen.

»Vermag irgend jemand unter uns diesen Ton zu erklären?« fragte Falkenauge. »Ich bin überzeugt, daß dieser Klang nicht der Erde angehört.«

»Ich kenne diesen Laut sehr gut«, sagte jetzt Duncan, »denn ich habe ihn oftmals auf dem Schlachtfeld gehört. Es ist das furchtbare Angstgeschrei, das ein Pferd im Todeskampf ausstößt. Mein Roß ist entweder schon in den Klauen der Raubtiere des Waldes, oder es sieht die Gefahr nahen. Der Ton konnte mich drinnen in der Höhle täuschen, jetzt im Freien aber bin ich überzeugt, daß ich mich nicht irre.«

Die beiden Indianer riefen ihr ausdrucksvolles »Hugh!«, da die Wahrscheinlichkeit dieser Erklärung ihnen einleuchtete. Der Kundschafter aber sagte:

»Ich kann Euren Worten nicht widersprechen, da ich mich wenig auf Pferde verstehe. Die Wölfe streichen vermutlich über ihren Köpfen am Ufer umher, und die armen Tiere rufen, so gut sie können, nach menschlicher Hilfe. — Unkas«, fuhr er in der Delawarensprache fort, »fahr in dem Kanu hinüber und schleudere einen Brand unter die Wölfe, sonst haben wir morgen früh keine Pferde mehr.«

Der junge Eingeborene war bereits zum Fluß hinabgestiegen, als sich langes Geheul am Ufer des Stromes hören ließ, das sich schnell in die Tiefe des Waldes entfernte. Es war, als hätte ein plötzlicher Schreck die Raubtiere von ihrer Beute vertrieben. Unkas kehrte mit großer Hast zurück, und die drei sprachen leise und ernst miteinander.

»Wir sind wie Jäger, denen die Kennzeichen am Himmel verlorengingen«, sagte Falkenauge zu den Reisenden. »Setzt euch in den Schatten dort am Ufer. Wir wollen ruhig erwarten, was Gott uns zunächst schickt. Sprecht nur flüsternd miteinander; überhaupt wäre es besser, wenn jeder von uns seinen eigenen Gedanken nachhinge.«

Der Kundschafter hatte ernst und ausdrucksvoll gesprochen, doch ohne ein Zeichen von Furcht. Die beiden Indianer suchten sich Plätze, von denen sie beide Ufer überblicken konnten, ohne selbst gesehen zu werden. Heyward holte ein Bündel Sassafraszweige aus der Höhle und legte es in die Felsspalte, die beide Höhlen voneinander trennte. Dann bat er die Schwestern, sich zu setzen. Die Felsen schützen sie auf diese Weise vor jedem Geschoß. Er selbst nahm seinen Posten so in der Nähe ein, daß er noch leise mit ihnen sprechen konnte. Auch David hatte sich nach dem Beispiel der Waldbewohner so gut in der Felsenspalte versteckt, daß seine unförmigen Glieder nicht mehr auffallen konnten.

So verflossen mehrere Stunden. Der Mond erreichte den Zenit und verbreitete sein mildes Licht über die lieblichen Gestalten der beiden Schwestern, die Arm in Arm ruhig eingeschlummert waren. Duncan hatte für sein eigenes Haupt ein Lager auf dem Felsen gewählt. David schnarchte in so aufdringlichen Tönen, daß seine musikalischen Ohren arg beleidigt gewesen wären, hätten sie solche Laute bei jemand anderem vernommen.

Nur Falkenauge und die Mohikaner schliefen nicht. Sie lagen unbeweglich, und ihre Augen schweiften unablässig über den dunklen Saum der Bäume, die die benachbarten Ufer des schmalen Flusses begrenzten. Auch wer sie aufs schärfste beobachtet hätte, würde sie kaum atmen gehört haben. Offenbar gründete sich diese außerordentliche Vorsicht auf eine Erfahrung, die keine List ihrer Feinde mehr täuschen konnte.

Der Mond war untergegangen, und ein blasser Streif über den Wipfeln der Bäume verkündete den Anbruch des Tages. Jetzt bewegte sich Falkenauge zum erstenmal und kroch den Felsen entlang zu Duncan, den er aus seinem tiefen Schlaf weckte.

»Es ist Zeit zum Aufbruch«, flüsterte er. »Weckt die Damen und macht Euch bereit, ins Boot zu steigen.«

»Habt Ihr eine ruhige Nacht gehabt?« fragte Heyward. »Mich hat der Schlaf übermannt.«

»Alles ist noch ruhig. Seid still und schnell!«

Duncan beugte sich, tief berührt von der unschuldigen Schönheit, über die schlafenden Mädchen. Dann flüsterte er ihnen zu: »Cora! Alice! Erwacht! Es ist Zeit, aufzubrecheni«

Ein lauter Angstschrei der jüngeren Schwester war die unerwartete Antwort. Denn kaum hatte Heyward seine leise Aufforderung ausgesprochen, als sich ein entsetzliches Gebrüll erhob. Eine Minute lang schien die Luft voll höllischer Dämonen. Das Geschrei kam nicht aus einer einzigen bestimmten Richtung, sondern aus allen Gegenden des Waldes, anscheinend auch aus den Höhlen des Wasserfalls.

David erhob seine lange Gestalt und rief, indem er bei diesem höllischen Lärm mit beiden Händen die Ohren zuhielt:

»Woher kommt dieser Mißton? Hat sich die Hölle aufgetan, um solch einen Lärm hervorzubringen?«

Helle Blitze vom entgegengesetzten Flußufer her und schnell aufeinanderfolgendes Knallen von etwa einem Dutzend Büchsen schmetterten den unglücklichen Singmeister, der sich so unvorsichtig bloßgestellt hatte, ohne Besinnung auf den Felsen.

Die Mohikaner erwiderten trotzig das furchterregende Brüllen ihrer Feinde, die ein wahres Triumphgeheul erhoben, als sie Gamut fallen sahen. Die Blitze aus den Büchsen folgten einander ununterbrochen. Beide Parteien waren aber zu erfahren, um sich dem feindlichen Feuer auszusetzen.

Duncan lauschte mit ängstlicher Erwartung, ob sich nicht Ruderschläge hören ließen, denn die einzige Rettungsmöglichkeit sah er in einer schleunigen Flucht. Der Fluß strömte schimmernd vorüber. Heyward glaubte schon, der Kundschafter habe sie in ihrer Not verlassen, als aus dem Felsen unter ihm ein Blitz hervorbrach. Ein gellender Schrei sagte ihm, daß Falkenauges unfehlbare Waffe ein Ziel gefunden habe.

Nach diesem Verlust zogen sich die Angreifenden schnell zurück, und allmählich wurde der Platz wieder so still wie vor der wilden Schießerei

Duncan eilte zu David Gamut und trug ihn in die enge Felskluft, die bisher den Schwestern Schutz geboten hatte. Einige Augenblicke später hatten sich alle an diesem Ort, dem einzigen, der einigermaßen sicher zu sein schien‘, versammelt.

»Der arme Teufel hat diesmal seinen Schädel noch gerettet!« sagte Falkenauge. »Es war unklug von ihm, den raubgierigen Wilden sechs Fuß Fleisch und Blut zu zeigen.«

»Ist er nicht tot?« fragte Cora mit gedämpfter Stimme. »Können wir dem Unglücklichen irgendwie helfen?«

»Nein, nein! Er lebt. Er hat nur einen leichten Streifschuß abbekommen, und wenn er etwas geschlafen hat, wird er wieder zu sich kommen und sich in Zukunft klüger benehmen«, antwortete Falkenauge. »Trag ihn hinein, Unkas, und leg ihn auf die Sassafraszweige. Je länger er er schläft, desto besser für ihn. Und besser wohl auch für uns.«

»Glaubt Ihr, sie werden den Angriff wiederholen?« fragte Heyward.

»Glaubt Ihr, daß ein hungriger Wolf sich mit einem Bissen begnügen wird? Sie Haben einen Mann verloren, und es ist bei ihnen Sitte, sich nach einem Verlust zurückzuziehen. Bald aber werden sie wieder erscheinen und schon neue Mittel finden, uns zu täuschen. — Unsere größte Hoffnung«, fuhr er besorgt fort, »kann nur darin bestehen, daß wir den Felsen womöglich so lange halten, bis Munro uns eine Abteilung Truppen sendet. Wollte Gott, sie kämen bald und unter einem Mann, der mit den Sitten und Gebräuchen der Indianer genau bekannt ist.«

»Sie hören, worauf wir allein noch hoffen können, Cora«, sagte Duncan, »und Sie wissen auch, daß sich von der Erfahrung Ihres Vaters alles erwarten läßt. Gehen Sie daher mit Alice in die schützende Höhle und nehmen Sie sich unseres unglücklichen Gefährten an.«

Die Schwestern folgten ihm in die äußere Höhle, wo David lag.

»Duncan«, rief Cora zitternd, als er bereits zum Ausgang der Höhle zurückging. Er blieb sogleich stehen und wandte sich nach dem Mädchen um. Sie war äußerst blaß und blickte ihn mit innigem Vertrauen an. »Erinnern Sie sich, Duncan«, sagte sie, »daß unsere Rettung nur von ihrer Klugheit und Vorsicht abhängt! Sie sollen es wissen«, fügte sie hinzu, »wie teuer Sie allen sind, die den Namen Munro tragen.«

»Könnte irgend etwas in mir die Liebe zum Leben vermehren«, sagte Heyward und sah unwillkürlich die schweigende Alice an, »so wäre es diese Versicherung. Es wird wieder zum Kampf kommen, aber unsere Arbeit wird sehr leicht sein, da wir uns diese Bluthunde nur einige Stunden lang vom Leib zu halten brauchen.«

Ohne eine Antwort abzuwarten, verließ er die beiden Schwestern und begab sich vorsichtig zu seinen Kampfgefährten.

»Ich sage dir, Unkas«, versicherte der Kundschafter gerade, als Heyward sich ihnen näherte, »du nimmst immer zuviel Pulver. Wenig Pulver, wenig Blei, und den Arm gehörig ausgestreckt! Aber kommt, Freunde, wir wollen uns in unsere Schlupfwinkel begeben!«

Die Indianer begaben sich schweigend auf ihre Posten in den Felsklüften, von wo aus sie alle Wege zum Fuß der Wasserfälle übersehen konnten. Mitten auf der kleinen Insel hatte eine kleine Anzahl kleiner, verkrüppelter Eichen Wurzeln geschlagen. Hier versteckten sich Falkenauge und Duncan hinter den Gesträuchen und Felsbrocken. Über ihnen stieg ein kahler, runder Felsen in die Höhe, an dessen Seiten das brausende Wasser in die Abgründe stürzte. Der Tag war angebrochen, und man konnte jetzt zwischen den Bäumen hindurchblicken und unter dem dunklen Laubgewölbe der Gebüsche einzelne Dinge erkennen.

Sie lagen lange Zeit beobachtend in Deckung, und Heyward glaubte schon, die Feinde hätten sich zurückgezogen. Da stieß ihn der Kundschafter plötzlich an:

»Seht einmal hinauf zum Wasser, dort, wo es über die Felsen stürzt. Die waghalsigen Teufel scheinen, weiß Gott, zum Fall herunterzuschwimmen. Still! Verhaltet Euch ganz ruhig, Herr, oder die Haare werden Euch vom Schädel weggeputzt werden, ehe Ihr noch einen einzigen Finger krümmen könnt!«

Heyward hob vorsichtig den Kopf. Der Fluß hatte den Rand des verwitterten Felsens so stark abgespült, daß der erste Absatz nicht so steil und senkrecht war wie bei anderen Wasserfällen. Die feindlichen Indianer hatten sich tatsächlich in den Strom hinausgewagt und schwammen bis zu dieser Stelle herunter, von wo aus sie die Insel mit viel Geschicklichkeit möglicherweise erreichen konnten. Heyward, der erregt und aufmerksam hinübersah, bemerkte vier Indianerköpfe hinter einigen Treibholzstämmen, die an den kahlen Felsen hängengeblieben waren und die wahrscheinlich die Indianer auf den Gedanken gebracht hatten daß ihr kühnes Unternehmen ausführbar sei.

Bald darauf sahen die beiden noch einen fünften Kopf über dem äußersten Rande des Wasserfalls. Er schwamm weit entfernt von der Insel. Der Wilde kämpfte mächtig, um in Sicherheit zu kommen. Er streckte schon einen Arm nach den ihm entgegengereichten Händen seiner Gefährten aus, als ihn der wirbelnde Strom wieder fortriß und in den Abgrund schleuderte. Ein einziger wilder Schrei übertönte das Rauschen des Wasserfalls. Er hörte sich gräßlich an. Gleich darauf war alles wieder still.

»Wir haben eine Ladung Pulver erspart«, sagte Falkenauge düster. »Unsere Munition nimmt schon ab wie der Atem eines gehetzten Wildes. Schüttet frisches Pulver auf Eure Pistolen! Der Wassernebel kann leicht das Zündkraut feucht machen. Haltet Euch bereit zum Handgemenge, ich feuere beim ersten Anlauf!«

Nach diesen Worten steckte er den Finger in den Mund. Sein langes, gellendes Pfeifen wurde von den unteren Felsen, wo die Mohikaner Wache standen, beantwortet. Duncan bemerkte, daß auf den Pfiff hinauf einige Köpfe über das Treibholz blickten.

Dann hörte er plötzlich ein leises Geräusch hinter sich, und als er den Kopf wandte, sah er Unkas, der sich kriechend näherte. Falkenauge redete mit dem jungen Häuptling, und dieser stellte sich nun mit außerordentlicher Vorsicht und unerschütterlicher Kaltblütigkeit auf seinen Posten. Für Heyward war dieser Augenblick voll von fieberhafter Spannung und ängstlicher Erwartung, der Kundschafter dagegen sprach ruhig und leise belehrend zu seinem jüngeren Gefährten.

Unkas unterbrach ihn aber bald durch ein leises »Hugh!«

»Ich sehe sie, Knabe, ich sehe sie!« fuhr Falkenauge fort; »sie sammeln sich zu einem Angriff, sonst würden sie wohl ihre schwarzen Rücken noch hinter dem Treibholz verstecken. Doch mögen sie nur kommen! Der Führer soll seinem Tod nicht entgehen, und wenn es Montcalm selbst wäre!«

In diesem Augenblick erhob sich in den Wäldern wieder Kriegsgeschrei. Vier Maquas sprangen aus ihrem Schlupfwinkel hinter dem Treibholz hervor und kamen mit wildem Geschrei und in hohen Sätzen über die schwarzen Felsstücke. Sie waren nicht mehr weit enfernt, als Falkenauges Büchse sich langsam aus dem Gebüsch hob und ihre tödliche Ladung abfeuerte. Der vorderste Indianer stürzte kopfüber in die Felsenklüfte der Insel.

»Jetzt, Unkas!« rief der Kundschafter und zog sein langes Messer, während seine Augen vor Kampflust glühten. »Nimm den heulenden Satan dort hinten aufs Korn. Die beiden andern sind uns dann sicher!«

Unkas befolgte diesen Befehl, und es blieben nur noch zwei Feinde.

Heyward hatte Falkenauge eine seiner Pistolen gegeben, und gemeinschaftlich stürzten sie nun den kleinen Abhang hinunter, ihren Feinden entgegen. Sie schossen die Pistolen gleichzeitig ab, aber beide verfehlten ihr Ziel. Der Kundschafter schleuderte die kleine Waffe verächtlich weg und murmelte:

»Kommt, ihr blutigen Höllenhunde! Ihr trefft hier einen Mann von reiner Rasse!«

Ein Wilder von riesiger Gestalt fiel den Jäger wütend an. Im gleichen Augenblick befand sich auch Duncan mit dem andern im Handgemenge. Mit der größten Gewandtheit waren Falkenauge und sein Gegner bemüht, die gegenseitig emporgehobene Hand mit dem tödlichen Messer abzufangen. Der Arm des Wilden wich allmählich der Kraft des Kundschafters, der plötzlich seine bewaffnete Hand der Umklammerung seines Feindes entriß und ihm den scharfen Stahl durch die nackte Brust ins Herz stieß.

Unterdessen war auch Heyward in einen gefahrvollen Kampf verwickelt. Sein schwacher Degen war gleich beim ersten Angriff zerbrochen. Glücklicherweise gelang es ihm bald, seinen Gegner zu entwaffnen. Nun begann ein furchtbares Ringen, in dem sich jeder bemühte, den andern von der schwindelnden Höhe in den nahen Abgrund zu stürzen. Mit jeder neuen Anstrengung kamen sie dem Rand näher. Beide Gegner boten ihre letzte Kraft auf, und schon taumelten sie dicht am Rande des Abgrundes. Heyward spürte jetzt den Griff des Wilden an seiner Kehle und fühlte, wie seine Glieder der unwiderstehlichen Gewalt allmählich wichen.

In dieser äußersten Gefahr fuhr plötzlich eine dunkle Hand und ein glänzendes Messer zwischen ihn und den Gegner. Der Indianer ließ los, als das Blut in vollen Strömen um die durchschnittenen Sehnen seines Handgelenks floß. Der rettende Arm von Unkas riß Duncan zurück, während der feindliche Indianer in den vernichtenden Abgrund stürzte.

»Ins Versteck! Ins Versteck!« schrie Falkenauge, der soeben seinen Gegner abgefertigt hatte. »Verbergt euch, wenn ihr leben wollt!«

Der junge Mohikaner stieß ein lautes Triumphgeheul aus. Dann eilten alle drei hinauf und versteckten sich hinter den Felsen.

7

Der Warnruf des Kundschafters war nicht unberechtigt. Denn kaum war der Kampf entschieden, als sich auf dem jenseitigen Ufer ein furchtbares und wildes Geheul erhob und zahllose Büchsen ihre bleiernen Todesboten über das Wasser sandten. Die Felsen, die Bäume und Sträucher zeigten rings um die Verteidiger herum bald Hunderte von Einschlägen feindlicher Kugeln. Die Belagerten aber blieben in ihrem Schlupfwinkel so gut gedeckt und gingen so vorsichtig zu Werke, daß David glücklicherweise der einzige Verwundete ihrer Schlacht war.

»Mögen sie ihr Pulver verbrennen!« sagte der bedächtige Kundschafter. »Das gibt eine reichliche Kugelernte, wenn’s vorüber ist. Ich denke, die Satansgesellen werden ihren Spaß bald satt bekommen. — Aber, Unkas, du verschwendest ja nur Pulver, wenn du die Büchse zu stark lädst, und ein Gewehr, das stößt, gibt keinen sicheren Schuß.«

Ein ruhiges Lächeln ging über die stolzen Züge des Mohikaners.

»Unkas verdient meiner Ansicht nach keinen Tadel«, erwiderte Duncan. »Er rettete kaltblütig mein Leben. Er ist mein Freund!«

Unkas erhob sich ein wenig und reichte Heyward die Hand, der Sie kräftig drückte. Die beiden jungen Männer blickten einander herzlich an. Falkenauge, der diesen Ausbruch jugendlichen Gefühls nicht unfreundlich betrachtete, sagte sehr ruhig:

»Nur zu oft verdanken sich in der Wildnis Freunde gegenseitig das Leben. Ich kann wohl sagen, daß ich Unkas selbst schon mehrere Male diesen Dienst geleistet habe, und ich weiß auch, daß er schon fünfmal zwischen mir und dem Tod gestanden ist. Dreimal im Kampf mit den Mingos, einmal, als wir über den Horican gingen und …«

»Die Kugel war gut gezielt!« rief Duncan, unwillkürlich zur Seite springend, denn eine Kugel prallte neben ihm vom Felsen ab. Falkenauge hob das formlose Metall auf und schüttelte bedenklich den Kopf, als er es untersucht hatte.

»Fallendes Blei drückt sich nie platt«, sagte er.

Jetzt hob Unkas seine Büchse vorsichtig empor und wies den Augen seiner Gefährten einen Punkt, der das Geheimnis sofort enthüllte. Eine hohe Eiche stand ihnen gegenüber am rechten Ufer des Stroms. Sie beugte ihre Äste so weit herüber, daß die oberen gerade über dem Arm des Flusses hingen, der dicht an ihren Wurzeln vorbeiströmte. Im Laub dieser Eiche hatte sich ein Indianer verborgen, den der Stamm des Baumes gut verbarg.

»Diese Teufel erklettern am Ende noch den Himmel, um uns zu vernichten«, sagte Falkenauge. »Das muß anders werden! Unkas, ruf deinen Vater. Wir brauchen alle unsere Gewehre, um den listigen Schurken herunterzuholen.«

Falkenauge hatte seine Büchse noch nicht wieder geladen, als Chingachgook schon bei ihnen war. Falkenauge und die Mohikaner beratschlagten angestrengt, und jeder nahm dann ruhig seinen Posten ein, um den verabredeten Plan auszuführen.

Der Wilde hatte von dem Augenblick an, in dem man ihn entdeckte, schnell, aber unwirksam geschossen. Seine Schüsse fielen mitten unter die Verteidiger, die sich so gut wie möglich zu decken suchten. Heywards Uniform zeigte mehrere Löcher. Er blutete sogar aus einer leichten Armwunde.

Durch die lange und geduldige Wachsamkeit seiner Feinde kühner geworden, bewegte sich der Irokese nun endlich ein wenig vor, um sicherer zu zielen. In diesem Augenblick entdeckten die scharfen Augen der Mohikaner durch das dünne Laub hindurch die dunklen Umrisse seiner Beine. Gleichzeitig knallten ihre Büchsen; da sank der Irokese zusammen, so daß ein Teil seines Körpers sichtbar wurde. Augenblicklich benützte Falkenauge diesen Vorteil und jagte sein tödliches Geschoß in den Baumwipfel.

Die Blätter rauschten stärker als vorher, die gefährliche Büchse fiel herab, und der Wilde verlor seinen Halt. Er glitt ab, klammerte sich jedoch mit letzter Anstrengung an einen Ast und schwebte in der Luft.

Freund und Feind richteten ihre Blicke auf den Unglücklichen. Obwohl diesem kein Klagelaut entfuhr, malte sich Todesangst in seinen Zügen. Nun ließ die eine Hand los. Verzweifelt bemühte sich der Irokese, den Ast wieder zu fassen, doch die Hand griff ins Leere … Da erbarmte sich Falkenauge. Ein Schuß fuhr aus seiner Büchse, und wie ein Bleiklumpen stürzte der Körper des Verwundeten in das schäumende Wasser, das sich über ihm in rastlosem Ungestüm schloß.

»Es war die letzte Kugel«, sagte der Kundschafter, unzufrieden mit sich selbst, weil ihn das Mitleid zu einer unklugen Handlung verleitet hatte. »Die letzte Kugel aus meiner Tasche. War es nicht gleichgültig, ob er tot oder lebendig auf den Felsen herabstürzte? Unkas, Junge, geh zu dem Boot und bring das große Horn mit. Das ist alles Pulver, was wir noch haben, und wir werden es brauchen bis zum letzten Körnchen.«

Der junge Mohikaner erhob sich sofort. Aber kaum war er weg, als sein durchdringender Schrei neues Unheil verkündete. Alle, auch die beiden Schwestern und der verwundete David, verließen bei dem ungewöhnlichen Schrei ihren sicheren Schlupfwinkel, und ein einziger Blick machte sie mit dem Unglück bekannt, das selbst die kalte Ruhe ihres jungen indianischen Beschützers aus dem Gleichgewicht gebracht hatte.

Nicht weit vom Felsen sahen sie ihr kleines Boot dem schnellen Strom des Flusses zutreiben. Falkenauge hob instinktiv die Büchse und drückte ab. Aber der ungeladene Lauf blieb stumm.

»Es ist zu spät!« rief er und ließ die unbrauchbare Waffe sinken. »Der Bursche hat schon die Strömung erreicht.«

Der verwegene Irokese hob jetzt den Kopf über den Rand des Kanus empor, winkte mit der Hand und stieß einen Schrei aus, der das wohlbekannte Zeichen eines glücklichen Erfolges war. Sein Ruf wurde durch ein gellendes Gelächter aus dem Wald noch verstärkt.

»Ihr habt gut lachen, ihr Teufelskinder!« sagte der Kundschafter, indem er sich auf einem Vorsprung des Felsens niederließ und sein Gewehr nachlässig vor seine Füße legte. »Die drei besten und schärfsten Büchsen, die es in diesen Wäldern gibt, sind nun nicht mehr wert als Hanfstengel oder das abgeworfene Geweih eines Rehbockes.«

»Was sollen wir aber jetzt tun?« fragte Duncan. »Was soll aus uns werden?«

Falkenauge gab keine Antwort. Er fuhr jedoch mit seinem Finger auf eine bezeichnende Weise um seinen Kopf.

»Unsere Lage ist gewiß noch nicht so verzweifelt!« rief der junge Mann. »Noch sind die Irokesen nicht hier; wir können die Höhlen verteidigen — können uns ihrer Landung widersetzen.«

»Aber wie?« fragte der Kundschafter kalt. »Mit Unkas’ Pfeilen oder mit Weibertränen? Nein, nein! Ihr seid jung und reich und habt Freunde, und in Eurem Alter wird einem das Sterben schwer, das weiß ich, aber« — er blickte die Mohikaner an — »vergessen wir nicht, daß wir Männer reiner Rasse sind! Wir wollen diesen Eingeborenen des Waldes zeigen, daß das Blut der Weißen ebenso ruhig fließen kann wie das der Indianer.«

Chingachgook, der in feierlicher Stellung auf einem Felsenvorsprung saß, legte jetzt sein Messer und seine Streitaxt beiseite. Er nahm die Adlerfeder vom Haupt und glättete seinen Haarbusch. Sein Antlitz wurde ruhig und nachdenklich. In seinem dunklen, glänzenden Auge verlor sich allmählich das wilde, kampflustige Feuer. Er sah aus wie jemand, der dem drohenden Schicksal gefaßt entgegensieht.

»Vielleicht«, sagte nun Duncan, »ist unsere Lage doch nicht ganz hoffnungslos. Vielleicht ist schon in diesem Augenblick die Hilfe nah. Auch sehe ich keine Feinde.«

»Es kann vielleicht eine Minute, vielleicht eine Stunde dauern«, versetzte Falkenauge, »ehe die listigen Schlangen sich anschleichen; es entspricht ganz ihrer Art, daß sie sich selbst jetzt noch verborgen halten. Aber sie werden kommen.« Dann wandte er sich an Chingachgook: »Mein Bruder, wir haben zum letztenmal miteinander gefochten, und die Mingos werden nun über den Tod des Weisen unter den Mohikanern und des Bleichgesichts, vor dessen Augen Nacht und Tag gleich waren, triumphieren.«

»Weshalb denn sterben?« fragte Cora, die jetzt aus der Felsenhöhle hervortrat. »Der Weg steht ja nach allen Richtungen hin offen! Flüchtet euch in die Wälder und ruft Gottes Beistand an! Geht, wackere Männer, wir verdanken euch schon zuviel und wollen euch nicht länger mit in unser Unglück reißen.«

»Da kennt Ihr die Schlauheit der Irokesen schlecht«, entgegnete Falkenauge, »sonst würdet Ihr nicht glauben, daß sie uns den Weg zum Wald offengelassen haben.« Gleich darauf fügte er hinzu: »Die schnelle Strömung würde uns freilich bald dorthin bringen, wo uns weder ihre Büchsen noch der Ton ihrer Stimmen erreichen.«

»So versucht es mit dem Strom! Weshalb hierbleiben und die Zahl der Opfer nutzlos vermehren?«

»Weshalb?« versetzte der Kundschafter stolz. »Weil es einem Mann ziemt, in Frieden mit sich selbst zu sterben und nicht mit einem bösen Gewissen zu leben. Was könnten wir Munro antworten, wenn er uns fragte, wo und wie wir seine Kinder verlassen haben?«

»Geht hin und sagt ihm, daß Ihr sie mit der Botschaft verlassen hättet, ihnen zu Hilfe zu eilen«, erwiderte Cora. »Sagt ihm, daß die Irokesen sie nach ihren Gebieten verschleppt haben, daß Wachsamkeit und Eile sie vielleicht noch retten können. Sollte aber seine Hilfe zu spät kommen, so bringt ihm«, fuhr sie mit versagender Stimme fort, »die Liebe, den Segen und das letzte Gebet seiner Töchter und sagt ihm, daß er nicht trauern soll über ihr frühes Ende.«

Die rauhen Züge des Kundschafters wurden mild.

»Es liegt Vernunft in Ihren Worten«, brach es aus ihm hervor. »Chingachgook! Unkas! Habt ihr gehört, was das schwarzäugige Mädchen sagte?« Er sprach jetzt mit seinen Gefährten. Der Mohikaner hörte ihm mit feierlichem Ernst zu. Nach kurzem Zögern gab er mit einer Handbewegung seine Zustimmung. Er steckte sein Messer und seine Streitaxt in den Gürtel und schritt schweigend bis zu einem Felsen, der von dem feindlichen Ufer des Flusses aus am wenigsten gesehen werden konnte. Hier blieb er einen Augenblick stehen und zeigte bedeutungsvoll auf die Wälder unterhalb, als wolle er seinen beabsichtigten Weg andeuten, warf sich ins Wasser und war binnen kurzem den Blicken seiner Gefährten entschwunden.

Nun wandte sich der Kundschafter an Cora. »Weisheit wird auch der Jugend verliehen«, sagte er langsam. »Euer Vorschlag war weise. Führt man euch in die Wälder, so knickt im Vorübergehen die Zweige an den Büschen und macht eure Spuren so groß und deutlich, wie ihr könnt, Ihr habt jetzt Freunde, die euch bis ans Ende der Welt folgen.«

Er schüttelte Cora treuherzig die Hand. Dann hob er seine Büchse auf, betrachtete sie wehmütig und versteckte sie in einer Felsenkluft. Schließlich stieg er dort hinab, wo Chingachgook soeben verschwunden war. Er verweilte noch einen Augenblick am Felsen, schaute sich mit besonderer Vorsicht um und sagte noch einmal in schmerzlichem Ton:

»Hätte das Pulver gereicht, so wäre diese Schande nie über uns gekommen!«

Dann stürzte er sich in den Fluß. Das Wasser schloß sich über ihm.

Die Zurückgebliebenen sahen nun Unkas an, der sich ernst an den rauhen Felsen gelehnt hatte. Nach einer Weile deutete Cora zum Fluß hinab und sagte:

»Man hat deine Freunde nicht bemerkt, und sie sind jetzt höchstwahrscheinlich schon geborgen. Willst du ihnen nicht folgen?«

»Unkas bleibt«, antwortete der junge Mohikaner sehr ruhig.

»Du könntest aber die Möglichkeit unserer Rettung vereiteln! Geh«, fuhr Cora fort, und sie war sich innerlich bewußt, welchen Einfluß sie auf ihn hatte, »geh zu meinem Vater und sei der vertrauteste meiner Boten. Sag ihm, er soll dir Lösegeld für seine Töchter übergeben. Geh! Es ist mein Wunsch, ich bitte dich!«

Der gefaßte, ruhige Blick des jungen Häuptlings bekam einen düsteren, traurigen Ausdruck. Doch zögerte er nicht länger. Mit leisem Schritt eilte er über den Felsen und sprang in den rauschenden Strom.

»Man hat mir auch Ihre Fertigkeit im Schwimmen gerühmt, Duncan!« wandte sich jetzt Cora an den jungen Offizier. »Folgen Sie dem Beispiel, das Ihnen diese einfachen und treuen Menschen gegeben haben.«

»Ist das die Treue, die Sie erwarten?« entgegnete der junge Mann.

»Es ist jetzt keine Zeit für Spitzfindigkeiten«, sagte sie. »Uns können Sie hier nicht helfen! Ihr kostbares Leben kann aber noch für andere Freunde gerettet werden.«

Er erwiderte nichts, aber er blickte unsagbar ernst auf die reizende Gestalt Alicens, die sich in kindlichem Vertrauen in seinen Arm schmiegte.

»Bedenken Sie vor allem«, fuhr Cora fort, und man merkte ihrer Stimme die heftige Bewegung an, »das Schlimmste, was uns begegnen kann, ist nur der Tod, und der erreicht uns alle einmal.«

»Es gibt Übel, schlimmer als der Tod«, sagte Duncan fast unwillig über ihre Vorstellungen. »Vielleicht kann ein Mann, der bereit ist, sein Leben für Sie zu opfern, ein solches Übel verhüten.«

Cora hüllte darauf ihr Antlitz in den Schal und zog Alice mit sich fort in den tiefsten Winkel der Höhle.

8

Der plötzliche Wechsel zwischen den letzten Ereignissen und der jetzt herrschenden Ruhe wirkte auf Heyward wie ein Traum. Es fiel ihm schwer, sich von der Wirklichkeit des Erlebten zu überzeugen. Noch immer ungewiß über das Schicksal der kühnen Schwimmer, achtete er auf jeden Laut. Aber er hörte weder ein Signal noch vernahm er irgend etwas Ungewöhnliches. Die waldigen Ufer des Stroms schienen verlassen. Vorüber war der Lärm, der noch vor kurzem in den Laubgewölben des Waldes widerhallte, und nur das Rauschen der Gewässer belebte das Schweigen der Natur. Ein Habicht, der auf der Spitze einer Fichte dem Kampf zugeschaut hatte, schoß jetzt von seinem hohen Sitz herab und schwebte in weiten Kreisen über dem Fluß. Duncan fühlte die tiefe Einsamkeit und begann wieder Hoffnung zu schöpfen.

»Von den Irokesen ist nichts mehr zu sehen«, sagte er zu David, der sich von der Wirkung des betäubenden Schlages noch immer nicht völlig erholt hatte. »Wir wollen uns in der Höhle verbergen und das Weitere getrost erwarten.«

»Im Getöse des Wasserfalls ist Melodie, und das Rauschen der Gewässer schmeichelt meinen Ohren«, sprach David, anscheinend etwas verwirrt. »Ist die Luft aber nicht mit Geheul und Geschrei erfüllt, als ob die abgeschiedenen Geister der Verdammten —«

»Nicht mehr!« unterbrach ihn Heyward ungeduldig. »Das ist vorüber. Alles atmet jetzt Ruhe und Frieden. Kommt also herein.«

David lächelte traurig. Dann stützte er sich auf den Arm seines Begleiters und trat durch den engen Eingang der Höhle. Duncan nahm einen Haufen Sassafraszweige und breitete sie so geschickt vor der Öffnung aus, daß man nicht eine Spur mehr von ihr sah. Von innen verhüllte er den Eingang mit den Decken, so daß die Tiefe der Höhle ganz verdunkelt wurde. Nur der vordere Teil erhielt von der engen Schlucht aus, durch die ein Arm des Flusses rauschte, ein trübes und mattes Licht.

Dann wandte sich Heyward an die Mädchen im Hintergrund. Er deutete auf die still weinende Alice und sagte zu Cora:

»Werden wir sie nicht trösten können?«

»Ich bin ja ruhig, Duncan!« erwiderte das Mädchen, dem die Tränen über die Wangen liefen und das sich trotzdem sehr zusammennam. »Offenbar sind wir hier ziemlich sicher, verborgen und vor Mißhand lung geschützt. Wir wollen alles von den Menschen hoffen, die schon so viel für uns gewagt haben.«

»Das war die Antwort einer Tochter Munros!« sagte Heyward. Mit diesen Worten setzte er sich in die Mitte der Höhle und nahm seine einzige Pistole fest in die Hand.

»Sollten die Irokesen kommen«, murmelte er, »wird es ihnen nicht leicht werden, in unseren Schlupfwinkel einzudringen.«

Tiefe und atemlose Stille herrschte jetzt in der Höhle, und da die Ruhe um die Eingeborenen anhielt, fühlten sie sich allmählich sicherer.

David aber schien von allen am unbekümmertsten. Ein Lichtstrahl fiel durch die Öffnung auf sein bleiches Antlitz und auf das kleine Buch, in dem er blätterte, als suche er ein Lied, das für ihre Lage passend wäre. Endlich schien er etwas gefunden zu haben und präludierte einige Passagen zu der Melodie des Liedes.

»Kann das nicht gefährlich werden?« fragte Cora.

»Seine Stimme ist zu schwach, um das Getöse des Wasserfalls zu übertönen«, antwortete Duncan. »Lassen Sie ihn nur seiner Lieblingsneigung folgen.«

Die Stimme des Sängers erhob sich leise murmelnd und wurde stärker. Die Melodie, die durch den leisen Vortrag nichts von ihrer Schönheit verlor, übte allmählich einen besänftigenden Einfluß auf die Gemüter der Zuhörer aus. Alice trocknete unwillkürlich ihre Tränen und sah den Sänger unverwandt an. Auch Cora lächelte David zu, und selbst Heyward schaute mit festem, ernstem Blick auf den Sänger. Die Gewölbe der Höhle widerhallten von schönen und vollen Tönen. Plötzlich aber erscholl draußen ein Geschrei, das den Gesang sofort erstickte.

»Wir sind verloren!« schrie Alice und warf sich in Coras Arme.

»Noch nicht!« rief Heyward erregt, aber unerschrocken. »Das Geschrei kam von der Mitte der Insel her. Die Wilden haben wahrscheinlich ihre toten Gefährten gefunden. Wir sind noch nicht entdeckt.«

Und nochmals ertönte das Geheul. Jetzt näherten sich mehrere Stimmen von dem höchsten Punkt der Insel, bis sie endlich von den kahlen Felsen über den Höhlen herzukommen schienen. Abermaliges Triumphgeschrei erfüllte jetzt die Luft. Der wilde Lärm verbreitete sich schnell über den ganzen Felsen und erklang jetzt auch unmittelbar vor dem verborgenen Eingang der Höhle.

Heyward hielt dies für ein Zeichen, daß sie entdeckt seien, und gab jede Hoffnung auf. Er hörte jetzt, daß sich alle in der Nähe des Verstecks versammelten, wo Falkenauge so ungern seine Büchse zurückgelassen hatte.

Mehrere Stimmen verkündeten schreiend: »Die Lange Büchse!«, und das Echo der Wälder gab den Namen des gefürchteten Jägers wieder.

»Die Lange Büchse! Die Lange Büchse!« erklang es jetzt von Mund zu Mund. Der Name Falkenauges erscholl von allen Seiten. Aufgeregt suchten die Irokesen, wie Heyward aus ein paar Worten schloß, den Körper ihres Feindes in irgendeiner Felsenkluft der Insel.

»Jetzt ist der gefährlichste Augenblick da!« flüsterte er den Schwestern zu. »Wenn sie uns jetzt nicht finden, sind wir sicher. Auf jeden Fall wissen wir aber, daß unsere Freunde entkommen sind und daß in etwa zwei Stunden Hilfe von Webb zu erwarten ist.«

Einige Minuten lang herrschte eine quälende Stille. Mehr als einmal konnte Heyward, wenn sich die Wilden den Sassafraszweigen näherten, an dem Brechen der Zweige und dem Rascheln der Blätter ihre Fußtritte deutlich unterscheiden.

Da gab der aufgetürmte Reisighaufen etwas nach, der Zipfel einer Decke fiel herunter, und ein schwacher Lichtstrahl drang in das Innere der Höhle. Cora schloß Alice voll Todesangst in ihre Arme, und Duncan sprang blitzschnell auf.

Im gleichen Augenblick erscholl ein Geschrei wie vom Mittelpunkt des Felsens her. Die Feinde waren in die benachbarte Höhle eingedrungen. Eine Minute später verrieten die vielen lauten Stimmen, daß sich die ganze Kette an diesem verborgenen Ort versammelt habe.

Da die inneren Eingänge der beiden Höhlen dicht nebeneinander lagen, trat Duncan, der jetzt jedes Entkommen für unmöglich hielt, vor David und die Schwestern, um sich dem ersten furchtbaren Ansturm entgegenzustellen. Verzweifelt schritt er bis dicht an die Scheidewand, die ihn nur einige Fuß weit von seinen grausamen Verfolgern trennte. Er legte sein Gesicht an die Öffnung und betrachtete mit scheinbarer Gleichgültigkeit die Vorgänge.

Dicht vor ihm war die Schulter eines rotbraunen, starken Indianers. Die dumpf gebietende Stimme erteilte offensichtlich Befehle. Über ihn hinweg konnte Duncan in die benachbarte Höhle blicken, in der die Wilden die ärmlichen Habseligkeiten des Kundschafters durchwühlten und plünderten. Das Blut aus Davids Wunde hatte einige Sassafrasblätter rot gefärbt. Über dieses glückliche Siegeszeichen erhoben sie ein Geheul wie das von Jagdhunden, die eine verlorene Fährte wiedergefunden haben. Schließlich warfen sie die Sträucher auf einen kleinen Haufen, den Duncan vor dem Eingang der zweiten Höhle aufgetürmt hatte, und verschlossen dadurch selbst die Öffnung. Jetzt begann Duncan wieder freier zu atmen.

Mit leichtem Herzen trat er in die Mitte der Höhle zurück, von wo er den nach dem Fluß zu gelegenen Ausgang übersehen konnte. Nach einer Weile verließen die Indianer die Felsenhöhle. Man hörte, wie sie sich auf die Höhe der Insel zurückzogen. Ein zweites wehklagendes Geschrei verriet, daß sie sich noch einmal um die Leichen ihrer toten Gefährten gesammelt hatten.

Jetzt erst wagte Duncan, sich nach seinen Begleiterinnen umzusehen.

»Sie sind fort, Cora!« flüsterte er; »Alice, wir sind gerettet! Dem Himmel sei Dank!«

Die jüngere Schwester kniete in tiefer Dankbarkeit auf den nackten Felsen nieder und betete. Ihre Augen glänzten, und eine zarte Röte färbte ihre Wangen.

Da ertönte plötzlich aus nächster Nähe ein wilder Schrei, der den Unglücklichen das Blut fast erstatten ließ. Heyward fuhr herum und sah am oberen Rande des Felsens die wilden Gesichtszüge von Magua.

Der junge Offizier behielt auch in diesem Augenblick der furchtbarsten Überraschung seine Besonnenheit. Noch hatte der Wilde sie nicht entdeckt, da er vom Licht geblendet das Dunkel der Höhle nicht durchdringen konnte. Doch gerade, als Heyward mit seinen Begleitern hinter eine vorspringende Felswand treten wollte, um sich womöglich noch im letzten Augenblick zu verbergen, leuchteten die Augen des treulosen Führers plötzlich schadenfroh auf. Er hatte die Weißen erblickt.

Der triumphierende Ausdruck im Gesicht des Wilden ließ Heyward alles um sich her vergessen. Er hob die Pistole und schoß gegen den Ausgang. Bei dem Knall bebte die Höhle wie ein tobender Vulkan. Als sich jedoch der Pulverdampf verzogen hatte, war der Ausgang leer. Heyward stürzte nach vorn. Er sah aber nur mehr einen Schimmer der dunklen Gestalt, die sich um eine niedrige Klippenwand hinschlich und bald ganz verschwand.

Nach dem Pistolenschuß herrschte beklemmende Stille. Dann aber erhob der Schlaue Fuchs seine Stimme und stieß ein langgezogenes Geheul aus, das von allen Indianern gleichzeitig beantwortet wurde. Der tobende Lärm zog sich zur Insel herunter, und gleich darauf drangen die Irokesen von allen Seiten in die Höhle. Sie schleppten Heyward und seine Gefährten ans Tageslicht, und die triumphierenden Rothäute umringten johlend und jauchzend die Weißen.

9

Entgegen ihren sonstigen Sitten hatten sich die Eingeborenen im Übermut ihres Sieges weder an den zitternden Schwestern noch an Heyward vergriffen. Zwar hatten verschiedene Wilde die reichen Verzierungen an Duncans Uniform betastet, jedesmal aber wurden sie durch die gebieterische Stimme ihres Anführers zurückgerufen. Heyward schloß daraus, daß man sie für irgendeinen besonders wichtigen Zweck aufsparen wollte.

Die erfahrenen Krieger setzten ihre Nachforschungen in beiden Höhlen fort; da sie jedoch niemanden entdecken konnten, traten sie vor die Gefangenen und riefen mehrmals fragend: »Die Lange Büchse?«

Duncan tat, als verstände er den Sinn ihrer Fragen nicht. Schließlich sah er sich nach Magua um, damit er ihm als Dolmetscher diene. Der Wilde stand in geringer Entfernung von den Gefangenen, und seine ruhige und zufriedene Miene bewies deutlich, daß er den Zweck seiner Verräterei erreicht hatte. Heyward bekämpfte seinen Abscheu und redete ihn an:

»Der Schlaue Fuchs ist ein zu guter Krieger«, begann er, »als daß er fürchtete, einem Unbewaffneten zu sagen, was seine Sieger wünschten.«

»Sie fragen nach dem Jäger, der Pfad durch die Wälder kennen«, erwiderte Magua in seinem gebrochenen Englisch und legte die Hand mit einem grausamen Lächeln auf einen Bund Blätter, mit denen eine Wunde an seiner Schulter verbunden war. »Die Lange Büchse! Seine Büchse ist gut und sein Auge nie geschlossen. Gegen Maguas Leben aber kann er doch nichts ausrichten.«

»Er ist fort«, antwortete Duncan kurz, um seinen Zorn zu verbergen.

Der Schlaue Fuchs lächelte mit kalter Verachtung und antwortete:

»Wenn der weiße Mann stirbt, so glaubt er in Frieden zu ruhen; die roten Männer wissen aber selbst die Geister ihrer Feinde noch zu peinigen. Wo ist sein Leichnam? Die Irokesen wollen seinen Schädel sehen!«

»Er ist nicht tot, sondern entflohen.«

Magua schüttelte ungläubig den Kopf. »Ist er ein Vogel, der seine Schwingen breiten, oder ein Fisch, der unter Wasser schwimmen kann?«

»Er schwamm den Fluß hinab, als das Pulver verschossen war und die Augen der Irokesen durch eine Wolke geblendet wurden«, sagte der Major, der sich mühsam beherrschte.

»Und weshalb blieb dann der weiße Anführer hier?« fragte der Indianer noch immer ungläubig. »Ist er ein Stein, der im Wasser zu Boden sinkt, oder brennt ihm die Haut auf seinem Kopf?«

»Daß ich kein Stein bin, könnte Euer toter Kamerad, der in den Wasserfall stürzte, bezeugen, wenn er noch am Leben wäre«, sagte der junge Mann ergrimmt. »Der Weiße ist der Meinung, daß nur eine feige Memme Frauen verläßt.«

»Können die Delawaren auch so gut schwimmen wie in den Gebüschen umherkriechen? Wo ist die Große Schlange?«

Die Nennung dieses Namens zeigte Duncan, daß die Feinde seine Begleiter gut kannten. »Er ist auch den Strom hinuntergeschwommen«, antwortete er zögernd.

»Ist der Schnelle Hirsch nicht hier?«

»Meint Ihr den jungen Delawaren? Der ist ebenfalls den Strom hinuntergeschwommen.«

Die Irokesen hatten das Ende dieser Unterhaltung ruhig abgewartet. Jetzt richteten sich alle Augen fragend auf Magua. Der Dolmetscher deutete auf den Strom und machte sie teils durch Gebärden, teils durch einzelne Worte mit den Tatsachen bekannt. Als sie völlig verstanden hatten, erhoben sie ein furchtbares Geschrei.

Einige rannten wütend zum Ufer und warfen die Arme wie Rasende in die Luft, andere spuckten in das Wasser. Wieder andere aber blickten die Gefangenen lauernd und drohend an. Heyward machte einen verzweifelten Versuch, Alice beizuspringen, als er sah, daß ein Wilder ihr langes Haar mit seiner dunklen Hand erfaßte und, Furchtbares andeutend, mit dem Messer um ihren Kopf herumfuhr. Doch seine Hände waren schon gebunden worden, und bei der ersten Bewegung preßte der Griff des starken Indianers, der den Trupp führte, seine Schultern wie mit einer Zange zusammen.

Während man Duncan die Schwestern zu trösten versuchte, konnte er sich selbst über ihr Schicksal nicht mehr täuschen. Sein Herz klopfte hörbar, wenn er auch äußerlich ruhig schien, als einer der Wilden den hilflosen Schwestern nahe trat. Doch wurden Duncans Besorgnisse etwas gmnildert, da er sah, daß der Anführer die Seinen um sich versammelte.

Die Beratung war kurz und der gefaßte Entschluß offenbar einstimmig. Die wenigen, die sprachen, deuteten häufig in die Gegend von Webbs Lager, weil sie wohl von dieser Seite irgendeine Gefahr befürchteten. Sie trugen den Kahn, mit dem sie schließlich die Felsinsel erreicht hatten, von der oberen Spitze des Felsens herunter und ließen ihn unweit des äußeren Eingangs der Höhle ins Wasser. Hierauf gab der Anführer den Gefangenen einen Wink, hinunterzugehen und in das kleine Fahrzeug zu steigen.

Da Widerstand unmöglich war, ging Heyward voran, und alle vier stiegen schließlich in das Boot. Die Irokesen kannten zwar die engen Durchfahrten zwischen den Strudeln und Strömungen nicht genau, aber sie verstanden es vorzüglich, einen Kahn zu lenken. Als der Steuermann seinen Platz eingenommen hatte, stürzte sich der Trupp ins Wasser.

Das Fahrzeug glitt den Strom hinunter, und in wenigen Minuten befanden sich die Gefangenen an dem südlichen Flußufer, beinahe der Stelle gegenüber, wo sie gestern ins Boot gestiegen waren.

Hier fand wieder eine kurze Beratung statt, während einige der Indianer die Pferde der Gefangenen aus dem Wald führten. Der Trupp teilte sich jetzt: der Häuptling bestieg Heywards Pferd, nahm mit dem größten Teil der Rotte den Weg quer über den Fluß und verschwand im Wald. Die Gefangenen blieben unter der Aufsicht von sechs Wilden zurück, deren Führer Magua war.

Duncan war nun sehr besorgt. Da die Wilden ihn bisher schonend behandelten, hatte er zuerst gehofft, Montcalm als Gefangener ausgeliefert zu werden. Aber diese Hoffnung wurde durch das weitere Verhalten der Indianer gänzlich vernichtet. Sie schlugen den Weg zu den Quellen des Horican ein, und er und seine Gefährten hatten nichts anderes als eine hoffnungslose Gefangenschaft zu erwarten.

Er beschloß deshalb, mit Magua zu sprechen, und wandte sich an ihn, der sich jetzt das Ansehen und die wichtige Miene eines Mannes gab, dem die Aufsicht über Gefangene anvertraut worden war.

»Ich möchte ein paar Worte mit Magua sprechen, die aber ein so großer Häuptling nur allein hören darf.«

Der Indianer wandte seinen Blick verächtlich ab und erwiderte:

»So sprecht! Die Bäume haben keine Ohren.«

»Aber die roten Irokesen sind nicht taub, und ein Rat, der nur für die großen Männer eines Stammes geeignet ist, würde die jungen Krieger trunken machen.«

Der Wilde sprach gleichgültig mit seinen Kameraden, die jetzt die Pferde für die Schwestern sattelten. Dann ging er zur Seite und winkte Heyward, ihm zu folgen.

»Der Schlaue Fuchs hat sich des Namens würdig erwiesen, der ihm von seinen kanadischen Vätern gegeben wurde«, begann Heyward. »Ich erkenne seine Weisheit; ich fühle, was er alles für uns getan hat, und werde mich gewiß erinnern, wenn die Stunde kommt, ihn dafür zu belohnen.«

»Was hat der Schlaue Fuchs getan?« fragte der Indianer.

»Was? — Sah er nicht, daß die Wälder mit umherstreifenden feindlichen Indianern angefüllt waren? Schlug er nicht deshalb einen falschen Weg ein, um die Augen der Irokesen zu täuschen? Gab er nicht vor, zu seinem Stamm zurückzukehren, der ihn schlecht behandelt und wie einen Hund aus der Hütte vertrieben hatte? Und als wir einsahen, wo er hinauswollte, unterstützten wir ihn nicht durch unsere Verstellung, damit die Irokesen sich einbilden sollten, der weiße Mann glaube, sein Freund wäre sein Feind? Blieb er nicht mit den Gefangenen auf der Südseite des Flusses, während die anderen töricht genug nach Norden zogen! Denkt Magua jetzt nicht, wie ein Fuchs auf seiner Fährte umzukehren und dem reichen schottischen Graukopf seine Töchter zurückzubringen? Ja, Magua, ich sehe alles und habe schon daran gedacht, wie so viel Weisheit und Redlichkeit belohnt werden sollen.«

»Was will der junge Häuptling, der vom Aufgang der Sonne herkommt, geben?« unterbrach ihn der Irokese.

»Er will das Feuerwasser vor Maguas Hütte schneller fließen lassen, als der brausende Hudson dort fließt, bis des Indianers Herz leichter sein wird als die Feder eines Kolibris und sein Atem süßer als der Duft des Geißblattes.«

Magua hatte Heyward mit tiefem Schweigen zugehört. Bei der Erwähnung des Unrechts, das den Irokesen aus seinem Heimatstamm vertrieben hatte, verriet des Indianers Blick eine so ungezähmte Wut, daß der Weiße deutlich sah, daß er das Richtige getroffen habe. Der Irokese sann einige Augenblicke nach und sagte endlich, während er seine Hand auf den leichten Verband an seiner Schulter legte:

»Machen Freunde solche Zeichen?«

»Würde die Lange Büchse einen Feind mit einem so leichten Merkmal entkommen lassen?«

»Schleichen sich die Delawaren an diejenigen, die sie lieben, wie Schlangen heran?«

»Würde die Große Schlange wohl gehört worden sein, wenn er ein wirklicher Feind wäre?«

»Schießt der weiße Anführer seinen Freunden immer Pulver ins Gesicht?«

»Verfehlte er je sein Ziel, wenn es seine Absicht war, zu töten?« antwartete Duncan, verächtlich lächelnd.

Eine lange Pause trat ein. Duncan sah, daß der Indianer überlegte.

»Der Schlaue Fuchs ist ein weiser Häuptling«, sagte der Indianer schließlich. »Man wird schon sehen, was er tut. Geh und verschließ deinen Mund. Es ist Zeit zu antworten, wenn Magua spricht.«

Als alle zum Aufbruch bereit waren, gab Magua das Zeichen und ging selbst dem Zug als Führer voran. Gleich hinter ihm folgte David, der nun, da die Schmerzen seiner Wunde nachgelassen hatten, die Gefährlichkeit seiner Lage erkannte. Hinter ihm ritten die Schwestern, denen Heyward zur Seite ging, während die Indianer auf beiden Seiten umherschwärmten und die Gefangenen dicht beisammenhielten.

So nahm der Zug seinen Weg durch die Wälder. Heyward sprach hin und wieder einige tröstende Worte zu den Schwestern. Der Weg wandte sich nach Süden, in eine Richtung, die der Straße nach dem Fort »William Henry« fast entgegengesetzt war. Eine Meile nach der andern wurde in den endlosen Waldungen zurückgelegt. Heyward beobachtete die Sonne, als ihre Mittagsstrahlen durch die Äste der Bäume kamen, und hoffte auf den Augenblick, wo der durchtriebene Magua einen Weg einschlagen würde, der seinen Vorschlägen günstiger wäre. Zuweilen bildete er sich ein, daß der Indianer vielleicht zweifelte, Montcalms Belagerungstruppen umgehen zu können, und daher den Weg nach einer bekannten Niederlassung an den Grenzen einschlage, wo ein ausgezeichneter Offizier der Krone Besitzungen hatte.

Cora allein erinnerte sich der Ratschläge, die ihnen der Kundschafter beim Scheiden gegeben hatte, und wo sich Gelegenheit bot, streckte sie den Arm aus, um irgendwelche Zweige einzuknicken. Die Wachsamkeit der Indianer machte das jedoch sehr schwierig und auch gefährlich. Einmal ließ sie sogar ihren Handschuh fallen. Doch das bemerkte einer ihrer Begleiter und gab ihn ihr zurück. Er legte dabei seine Hand mit einem so bedeutsamen Blick an die Streitaxt, daß alle weiteren Versuche, heimliche Spuren auf dem Weg zurückzulassen, unterbleiben mußten Da sich noch dazu bei beiden Abteilungen Pferde befanden, war die Hoffnung, daß die richtige Spur von den Rettern entdeckt werden würde, sehr gering.

Magua sah sich während der ganzen Zeit nur wenig um und sprach kein Wort. Sein einziger Wegweiser war die Sonne, falls ihn nicht außerdem besondere Landmarken leiteten, die dem Scharfblick eines Eingeborenen nicht entgehen. Auf diese Weise verfolgte er seinen Weg durch öde Fichtenwälder, durch kleine blühende Täler, über Bäche und Flüsse und über wellenförmige Hügel mit instinktiver Sicherheit und fast in der geraden Richtung des Vogelfluges. Nie war er unsicher, nichts konnte seine Eile hemmen oder Zweifel in ihm erregen. Ermüdung schien ihm völlig unbekannt. Sooft auch die Gefangenen vom welken Laub des Weges aufsahen, seine dunkle Gestalt ging unermüdlich zwischen den Baumstämmen vor ihnen her. Sein Kopf war unbeweglich nach vorn gebogen, und die leichte Feder auf seinem Scheitel flatterte in dem Luftzug seiner raschen Bewegung.

Nachdem sie durch ein tiefes Tal gekommen waren, das von einem sich schlängelnden Bach bewässert wurde, stieg der Indianer plötzlich einen Hügel hinauf, der steil und schwierig zu erklimmen war, so daß die Schwestern vom Pferde steigen mußten. Als sie den Gipfel erreicht hatten, befanden sie sich auf einer mit nur wenigen Bäumen bewachsenen Hochfläche.

10

Der Hügel war hoch und abschüssig, sein Gipfel ziemlich abgeplattet. Seine Höhe und Form machten eine Verteidigung leicht und einen Überfall beinahe unmöglich. Man ließ die Pferde an den Zweigen der Bäume und Büsche weiden, während die Reste der Lebensmittel im Schatten einer Buche ausgebreitet wurden. Trotz der schnellen Flucht hatte einer der Indianer Gelegenheit gefunden, ein Hirschkalb mit dem Pfeil zu schießen. Sein rohes Fleisch wurde jetzt von allen verschlungen. Nur Magua nahm an dem Mahl keinen Anteil und schien in tiefes Nachdenken versunken.

Heyward beobachtete den Indianer und glaubte, der Irokese denke darüber nach, wie er die Wachsamkeit seiner Begleiter am besten täuschen könne, um in den Besitz des Lösegeldes zu kommen. Da verließ der junge Offizier seinen Platz und schlenderte, scheinbar ohne Absicht, dorthin, wo Magua saß. Er wollte dessen Pläne unterstützen.

»Hat nicht Magua die Sonne lange genug im Gesicht gehabt, um aller Gefahr von seiten der Kanadier zu entgehen?« fragte er, als wäre er nicht länger im Zweifel über das zwischen ihnen bestehende Einverständnis. »Und wird es dem Kommandanten von ›William Henry‹ nicht erfreulicher sein, seine Töchter wiederzusehen, ehe eine zweite Nacht vielleicht sein Herz über ihren Verlust abstumpft und ihn weniger freigebig macht in seiner Belohnung?«

»Lieben die Bleichgesichter ihre Kinder am Morgen weniger als am Abend?« fragte der Indianer kalt.

»Keineswegs«, erwiderte Heyward, besorgt, seinen Fehler wiedergutzumachen. »Der Weiße hört zwar zuweilen auf, an die zu denken, die er lieben sollte und die er zu lieben versprochen hat, aber die Zärtlichkeit eines Vaters für sein Kind stirbt nie.«

»Ist das Herz des weißköpfigen Führers sanft, und wird er an seine Kinder lange denken? Er ist hart gegen seine Krieger, und seine Augen sind von Stein.«

»Er ist streng gegen die Bösen, aber gegen die Guten ist er gerecht. Nie sah ich einen Mann, dessen Herz sanftmütiger gegen sein Kind war. Ihr habt den Graukopf an der Spitze seiner Krieger gesehen, Magua, aber ich sah seine Augen in Tränen schwimmen, als er mit mir von den Kindern sprach, die jetzt in Eurer Gewalt sind.«

Heyward schwieg, denn er wußte sich den merkwürdigen Ausdruck nicht zu erklären, der plötzlich in die schwarzbraunen Züge des aufmerksam zuhörenden Indianers kam.

»Geh«, sagte der Irokese, dessen beunruhigendes Wesen plötzlich einer todesähnlichen Ruhe wich, »geh zu dem schwarzlockigen Mädchen und sag ihr, Magua wolle mit ihr reden. Der Vater wird nicht vergessen, was die Tochter verspricht.«

Duncan, der glaubte, der Indianer wolle eine noch größere Belohnung erhalten, kehrte langsam und zögernd zu den Schwestern zurück und richtete den Auftrag Cora aus.

»Sie wissen, meine Teure, welche Wünsche ein Indianer hat«, sagte er, sie zu Magua führend. »Sie müssen daher freigebig sein mit Pulver, mit Decken, besonders aber mit geistigen Getränken. Auch wird es gut sein, wenn Sie ihm ein Geschenk von Ihrer Hand versprechen. Bedenken Sie, Cora, daß von Ihrer Geistesgegenwart und Ihrem Scharfsinn alles abhängen kann.«

Der Indianer erhob sich jetzt langsam und blieb fast eine Minute still und bewegungslos. Dann winkte er Heyward mit der Hand, sich zu entfernen, und sagte kalt:

»Wenn der Irokese mit Weibern spricht, verschließen alle seines Stammes ihr Ohr.«

Während Duncan noch zögerte, sagte Cora mit ruhigem Lächeln: »Hören Sie es, Heyward? Ihr Taktgefühl sollte Sie bestimmen, sich zu entfernen. Gehen Sie zu Alice und trösten Sie die Kleine.« Sie wartete, bis er sich entfernt hatte, und wandte sich dann zu dem Eingeborenen »Was hat der Schlaue Fuchs der Tochter Munros zu sagen?«

»Hör«, erwiderte der Indianer und legte seine Hand fest auf ihren Arm. Cora aber wich der Bewegung ruhig aus. »Magua war ein Häuptling und Krieger unter den roten Irokesen der Seen. Er sah die Sonne von zwanzig Sommern und den Schnee von zwanzig Wintern, ehe er ein Bleichgesicht erblickte, und er war glücklich! Da kamen seine Väter von Kanada in die Wälder, lehrten ihn das Feuerwasser trinken, und er wurde ein Bösewicht. Die Irokesen vertrieben ihn von den Gräbern seiner Väter, wie sie den Büffel gejagt haben würden. Er rannte die Ufer der Seen hinab und verfolgte ihren Abfluß bis Kanonenstadt. Dort jagte und fischte er, bis man ihn wieder durch die Wälder hetzte, mitten unter die Waffen seiner Feinde. Der Häuptling, der als Irokese geboren war, wurde schließlich ein Krieger unter den Mohawks.« Der Indianer hielt erregt inne und fuhr dann wieder leidenschaftlich fort: »Ist der Schlaue Fuchs schuld daran, daß sein Kopf nicht aus einem Felsen gemacht ist? Wer gab ihm das Feuerwasser? Wer machte ihn zum Bösewicht? — Die Bleichgesichter, das Volk deiner Farbe!«

»Bin ich verantwortlich dafür, daß es schlechte Menschen gibt?« fragte Cora ruhig den aufgeregten Wilden.

»Hör zu«, sagte der Indianer ernst, »als seine englischen und französischen Väter das Beil aus der Erde gruben, zog der Schlaue Fuchs mit den Vorposten der Mohawks und kämpfte gegen seinen eigenen Stamm. Die Bleichgesichter haben die Rothäute aus ihren Jagdgebieten getrieben, und jetzt führt uns im Kampf ein Weißer an. Der alte Anführer vom Horican, Euer Vater, war der große Hauptmann unserer Krieger. Er sagte zu den Mohawks, sie sollten dieses und jenes tun, und sie gehorchten. Er machte ein Gesetz, daß ein Indianer, der Feuerwasser trinkt, nicht ungestraft bleiben solle. Magua öffnete töricht den Mund, und das heiße Getränk führte ihn in Munros Hütte. Was tat der Graukopf? Seine Tochter möge es sagen.«

»Er vergaß seine Worte nicht und übte Gerechtigkeit, indem er den Schuldigen bestrafte«, erwiderte das Mädchen unerschrocken.

»Gerechtigkeit!« wiederholte der Indianer. »Ist es recht, das Böse zu schaffen und dann dafür zu strafen? Magua war seiner nicht mehr mächtig, das Feuerwasser sprach und handelte für ihn, aber Munro glaubte es nicht. Der Irokesenhäuptling wurde in Gegenwart aller Krieger mit bleichem Gesicht an einen Pfosten gebunden und mit Ruten gepeitscht wie ein Hund.«

Cora schwieg, sie wußte nichts zu erwidern.

»Als man Magua an den Pfahl band und ihm die Wunden beibrachte«, fuhr der Indianer fort und legte stolz den Finger auf die tiefe Narbe seiner Brust, »da lachte der Irokese ihnen ins Gesicht. Sein Geist war damals in den Wolken. Als er aber Munros Hieb fühlte, da war sein Geist unter der Rute. Der Geist eines Irokesen ist nie berauscht, sein Gedächtnis bleibt stets wach.«

»Aber er kann sich besänftigen lassen. Hat mein Vater dir Unrecht getan, so zeig ihm, daß ein Indianer Unrecht vergeben kann, und bring ihm seine Töchter zurück.«

Magua schüttelte den Kopf. »Ein Irokese will Gutes mit Gutem vergelten und Böses mit Bösem. Höre, die lichten Augen können zum Horican zurückkehren und dem alten Häuptling melden, was geschehen ist, wenn das schwarzlockige Mädchen bei dem Großen Geist ihrer Väter schwören will, Versprochenes zu halten.«

»Was soll ich versprechen?« fragte Cora.

»Als Magua sein Volk verließ, wurde sein Weib einem andern Häuptling gegeben. Jetzt hat er sich Freunde unter den Irokesen erworben und will zurückkehren zu den Gräbern seines Stammes an den Ufern des großen Sees. Die Tochter des englischen Anführers soll mit ihm gehen und für immer in seinem Wigwam wohnen.«

Cora schauderte zurück, antwortete aber noch immer gefaßt:

»Welch ein Vergnügen kann Magua daran finden, seine Hütte mit einem Weib zu teilen, das er nicht liebt, mit einem Weib von einem anderen Volk und einer andern Farbe? Es wäre besser, er nähme Munros Gold und kaufte sich das Herz eines Irokesenmädchens durch Geschenke und seinen Edelmut.«

Der Indianer gab ihr fast eine Minute lang keine Antwort, heftete aber seine wilden Blicke in einer so seltsamen Weise auf Coras Antlitz, daß sie vor Furcht erschauerte. Dann sprach er schnell und böse:

»Als die Hiebe auf den Rücken des Irokesenhäuptlings brannten, wußte er schon, wo ein Weib zu finden war, das für diese Schmemen büßen sollte. Die Tochter Munros sollte ihm sein Wasser schöpfen, das Feld umgraben, das Wild kochen. Der Körper des Graukopfs mag unter seinen Kanonen schlummern, aber sein Herz ist dem Messer des Schlauen Fuchses erreichbar.«

»Ungeheuer!« rief Cora empört. »Du sollst sehen, daß es wirklich Munros Herz ist, das du in den Händen hast.«

Der Indianer beantwortete diesen kühnen Trotz mit einem hinterlistigen Lächeln. Cora wandte sich schweigend ab. Heyward eilte ihr besorgt entgegen und fragte sie über den Ausgang des Gesprächs. Sie wich einer bestimmten Antwort aus, und nur ihre Blässe und die unruhigen Blicke, die sie auf den Indianer warf, verrieten den Mißerfolg.

Magua begab sich jetzt zu den anderen Wilden und sprach mit ihnen in dem würdevollen Ton eines indianischen Häuptlings. Seine Zuhörer standen auf, und ihre Stellung verriet ehrfurchtsvolle Aufmerksamkeit. Anfangs schien Magua ruhig und überlegt. Als es ihm jedoch gelungen war, die Aufmerksamkeit seiner Gefährten zu fesseln, sprach er hastiger und begleitete seine Rede mit ausholenden Gebärden. Endlich rief er:

»Sind die Irokesen Hunde? Wer wird dem Weib Menowguas sagen, daß die Fische den Schädel ihres Mannes haben und daß seine Nation keine Rache genommen hat? Was sollen wir den Greisen antworten, wenn sie uns fragen, wie viele Skalpe wir heimbringen, und wir nicht ein Haar von dem Haupt eines Weißen vorzeigen können? Die Weiber werden mit ihren Fingern auf uns weisen. Es ist ein schwarzer Fleck auf dem Namen der Irokesen, und Blut muß ihn abwaschen!«

Seine Stimme verlor sich in dem wütenden Geschrei, das jetzt die Luft erfüllte. Die Wilden sprangen auf und stürzten mit gezückten Messern und erhobenen Streitäxten wie Rasende auf ihre Gefangenen.

Heyward warf sich zwischen die Schwestern und ihre Feinde und packte den Vordersten mit einer so verzweifelten Stärke, daß er innehalten mußte. Dieser unerwartete Widerstand gab Magua Zeit, dazwischenzutreten. Er lenkte die Gefährten von ihrem augenblicklichen Vorhaben ab und forderte sie auf, die Qual ihrer Opfer zu verlängern. Sein Vorschlag wurde mit Freudengeschrei aufgenommen.

Zwei starke Krieger stürzten sich gleichzeitig auf Heyward, während ein anderer sich des weniger gefährlichen Singmeisters bemächtigte. Keiner der Gefangenen ergab sich in sein Schicksal, ohne verzweifelten, wenn auch fruchtlosen Widerstand zu leisten. Selbst David schleuderte seinen Angreifer zu Boden, und Heyward bezwangen die Wilden erst, als sie ihn mit vereinten Kräften angriffen. Er wurde an den Stamm eines Baumes gebunden. Als der junge Offizier wieder zur Besinnung kam, hatte er die traurige Gewißheit, daß seine Begleiter ein ähnliches Schicksal erwarte.

Zu seiner Rechten war Cora wie er an einen Baum gefesselt. Sie sah bleich und verstört aus, doch ihr Auge verfolgte mit festem Blick jede Bewegung ihrer Feinde. Links von ihm hielten nur Weidenruten, mit denen man Alice angebunden hatte, die Ohnmächtige aufrecht.

Die Irokesen bereiteten sich mit der barbarischen Grausamkeit, die seit Jahrhunderten in ihrem Stamm gebräuchlich war, auf die Befriedigung ihrer Rachsucht vor. Einige suchten Äste, um einen Holzstoß zu errichten; andere sammelten die Splitter von Fichten, um sie den Gefangenen brennend ins Fleisch zu stoßen. Maguas Rache aber suchte einen tieferen und boshafteren Genuß. Er näherte sich Cora und machte sie hämisch lächelnd auf das Schicksal aufmerksam, das sie erwartete.

»Was sagt die Tochter Munros?« sprach er auf sie ein. »Ihr Haupt ist zu gut, um sich auf den Boden in Maguas Hütte zu legen? Wird es ihr besser behagen, wenn ihr Kopf den Hügel hinabrollt, ein Spielzeug für die Wölfe?«

»Was sagt das Ungeheuer?« fragte Heyward in ohnmächtigem Zorn.

»Nichts«, antwortete Cora fest. »Er ist ein Wilder, ein roher, unwissender Wilder, und weiß nicht, was er tut.«

»Das Gedächtnis eines Indianers ist länger als der Arm der Bleichgesichter«, fuhr der Wilde satanisch fort. »Sein Erbarmen ist kürzer als ihre Gerechtigkeit. Sagt, soll ich den gelben Lockenkopf Eurem Vater heimschicken, oder wollt Ihr Magua zu den großen Seen folgen, um sein Wasser zu holen?«

»Verlaß mich!« sagte Cora feierlich.

Der Häuptling wies aber mit verächtlichem Hohn auf Alice und sagte:

»Ha, seht! Das Kind weint! Sie ist noch so jung und soll schon sterben! Laßt sie zu Munro zurückkehren, damit sie seine grauen Haare kämme und dem Greis das Leben erhalte.«

»Was sagt er, liebe Cora?« fragte jetzt Alice mit zitternder Stimme.

»Er will«, sagte Cora leise, »daß ich ihm in die Wildnis folge, daß ich zu den Wigwams der Irokesen gehe, daß ich dort bleibe und sein Weib werde.« Sie schloß die Augen und wandte den Blick von ihren Freunden. »Wenn ich es tue«, flüsterte sie, »dann will er euch frei lassen!«

»Sprechen Sie nicht mehr von dieser furchtbaren Wahl!« rief Heyward dazwischen. »Der Gedanke daran ist schrecklicher als der Tod!«

»Nein, wir wollen lieber sterben, mitsammen sterben, wie wir gelebt haben«, sagte Alice und ließ den Kopf sinken.

»So stirb!« schrie Magua und schwang seine Streitaxt wütend gegen das wehrlose Mädchen. Die Axt flog an Heyward vorüber, berührte die Locken Alicens und fuhr dicht über ihrem Haupt in den Baum.

Dieser Anblick brachte Duncan fast zur Verzweiflung. Alle seine Kräfte sammelnd, zerriß er die Zweige, die ihn fesselten, und stürme auf einen Wilden, der eben mit lautem Geheul einen neuen Streich auf sein Opfer führen wollte. Beide rangen einen Augenblick und fielen zu Boden, ohne einander loszulassen. Den nackten Körper seines Gegners aber konnte Heyward nicht fassen. Der Irokese entschlüpfte ihm, setzte ein Knie auf seine Brust und drückte ihn mit Riesenkräfren nieder.

Duncan sah das Messer schon in der Luft blitzen, als ein zischender Ton an ihm vorbeipfiff — der scharfe Knall einer Büchse. Er fühlte sich von der Last, die ihn niedergedrückt hatte, befreit und sah, wie der grimmige Ausdruck in der Miene seines Gegners einem Blick leerer Wildheit wich. Der Indianer sank tot auf den Rasen neben ihm nieder.

Die Irokesen standen einen Augenblick wie zu Stein erstarrt, als sie ihren Stammesgenossen so plötzlich sterben sahen. Dann aber blickten sie wild umher, und alle riefen wie aus einem Mund den gefürchteten Namen: »Die Lange Büchse!«

Als Antwort auf ihr klagendes Geheul ertönte lautes Kriegsgeschrei, das aus einem kleinen Dickicht kam, wo die unvorsichtigen Irokesen ihre Gewehre gelassen hatten.

Gleich darauf sah man Falkenauge hervorstürzen und seine Büchse, die er wiedergefunden hatte, in weiten Kreisen durch die Luft schwenken. Die beiden Mohikaner folgten ihm. Erschrocken wichen die Wilden zurück, als sie ihre Feinde so rasch auf sich einstürmen sahen.

Aber ihr vorsichtiger Anführer war nicht so leicht aus der Fassung zu bringen. Mit scharfen Augen sah er um sich und erkannte schnell, wie die Verteidigung erfolgen mußte. Er zog ein langes Messer und stürzte mit lautem Geschrei auf Chingachgook. Das war das Signal zu einem allgemeinen Angriff.

Unkas beantwortete das Kriegsgeschrei und zerschmetterte dem ersten Feind mit einem einzigen wohlgezielten Hieb der Streitaxt den Schädel.

Heyward zog Maguas Waffe aus dem Baum und stürzte sich ungeduldig unter die Kämpfenden. Jeder wählte sich seinen Gegner. Die Hiebe folgten mit der Schnelligkeit eines Wirbelwindes.

Falkenauge streckte seinen Gegner mit einem einzigen Schlag seiner furchtbaren Waffe zu Boden. Heyward hatte den Tomahawk gegen einen Indianer geschleudert, weil er es nicht erwarten konnte, bis sein Feind ihm nahe genug war. Der Wilde schien zu wanken, und der junge Mann stürzte unbewaffnet auf seinen Feind zu. Doch nun mußte er seine ganze Kraft und Gewandtheit aufbieten, um den verzweifelten Messerstichen auszuweichen, die der Irokese nach ihm führte. Schließlich schlang er seine Arme um den Gegner, und es gelang ihm, dessen Hände mit einem kräftigen Griff zur Seite zu pressen. Infolge dieser Anstrengung war er bald erschöpft, doch sauste im Augenblick der äußersten Gefahr der Kolben von Falkenauges Büchse auf das nackte Haupt seines Gegners, der sofort bewegungslos zusammenbrach.

Als Unkas seinen ersten Gegner zu Boden gestreckt hatte, sah er um sich wie ein hungriger Löwe. Der fünfte Irokese, dem bei dem ersten Gefecht kein Gegner gegenüberstand, stürzte auf die wehrlose Cora zu und schleuderte seine Axt nach ihr. Die gefährliche Waffe streifte ihre Schulter und zerschnitt die Fesseln.

Da ergriff der Wilde Cora bei den langen Locken und riß sie mit tierischer Gewalt fort. Hierauf zwang er sie niederzuknien und schwang sein Messer mit höhnischem und wildem Gelächter um ihr Haupt. Doch diesen Triumph mußte er grausam büßen.

Unkas rannte auf ihn zu, klammerte sich an den Feind und stürzte gemeinsam mit ihm zu Boden. Sogleich aber sprangen beide wieder auf und kämpften verzweifelt und ineinander verbissen. Allein der Kampf war bald entschieden. Blitzartig durchbohrte das Messer Unkas’ des Feindes Herz.

Jetzt kämpften nur mehr der Schlaue Fuchs und die Große Schlange. Beide bewiesen, daß sie ihren Namen verdienten. Sie lagen auf dem Boden und taugen, dicht aneinandergepreßt, wütend und zäh auf Tod und Leben. Die raschen und gewandten Bewegungen der mit Staub und Blut bedeckten Kämpfer schienen ihre beiden Körper zu verschmelzen. Die totenmaskenartig bemalte Gestalt des Mohikaners und die dunkel düstere des Irokesen wechselten ihre Stellung so schnell, daß die anderen nicht in den Kampf eingreifen konnten. Schon waren die beiden bis an den Rand des Berggipfels geraten, als endlich der Mohikaner Gelegenheit fand, seinem Feind einen Stoß mit dem Messer zu versetzen. Magua sank zurück und blieb wie leblos liegen. Chingachgook schob sich und stieß ein Triumphgeschrei aus.

In diesem Augenblick aber rollte der schlaue Irokese schnell dem Abhang zu und entschlüpfte mit einem einzigen Sprung in die nahen Büsche. Die Delawaren folgten ihm mit der Schnelligkeit zweier Windhunde. Doch ein gellendes Geschrei des Kundschafters rief sie zurück.

»Das sieht ihm ähnlich!« rief der Jäger. »Er ist ein lügenhafter betrügerischer Schurke. Doch laßt ihn gehen! Er ist allein und hat weder Büchse noch Bogen und muß Meilen wandern, wenn er wieder zu seinen französischen Freunden kommen will.«

Unkas und Heyward eilten nun den Schwestern zu Hilfe. Alice wurde von ihren Fesseln befreit, und beide Mädchen umarmten einander unter vielen Tränen. Heyward schämte sich nicht, über diesen Anblick zärtlichen Entzückens ebenfalls zu weinen, und auch Unkas Augen strahlten vor Mitgefühl. Falkenauge indessen befreite David von den Banden, die der Sänger mit musterhafter Geduld getragen hatte.

»Ein Dankgebet für den Sieg!« rief David aufatmend. Er reichte Falkenauge seine kleine und zarte Hand: »Euch danke ich es, daß meine Haare noch auf meinem Kopf sind.«

»Es ist nicht der Rede wert«, meinte der Kundschafter und untersuchte den Zustand seiner Büchse mit fast väterlicher Liebe. Schließlich machte er sich daran, die Waffen der Irokesen zu überprüfen. Chingachgook fand die eigene Büchse und diejenige seines Sohnes. Selbst Heyward und David konnten sich jetzt mit Waffen versehen, und Munition war gleichfalls reichlich vorhanden.

Nun mußte an den Aufbruch gedacht werden. Gestützt auf Heyward und Unkas, stiegen die Schwestern die Anhöhe hinab. Unten fanden sie ihre Pferde, die an den Büschen weideten. Sie stiegen auf und folgten dem Kundschafter. Falkenauge aber wich bald von dem Nebenpfad, den die Irokesen eingeschlagen hatten, rechts ab, schritt über einen Bach und machte in einem kleinen Tal unter dem Schatten einiger Ulmen halt. Der Kundschafter schien den einsamen Platz genau zu kennen.

Sie lehnten ihre Büchsen an einen Baum und begannen die dürren Blätter wegzuräumen und die bläuliche Tonerde aufzuscharren, aus der bald eine Quelle reinen Wassers hervorsprudelte. Unkas reichte seinem weißen Freund eine Kürbisflasche, die sorgfältig versteckt im Laubwerk eines Baumes gehangen war. Falkenauge füllte sie mit Wasser, setzte sich an einem trockenen Platz ein paar Schritte weiter auf den Boden und untersuchte die Lebensmittel, die die Irokesen übriggelassen hatten.

»Unkas«, rief er schließlich, »nimm meinen Stahl und schlage Feuer. Ein Stück Hirschbraten wird uns neue Kräfte geben.«

Heyward half den Schwestern vom Pferd und ließ sich neben sie auf den Rasen nieder. »Wie kommt es«, fragte er dann den Kundschafter, »daß wir euch so bald wiedergesehen haben?«

»Wir sind am Ufer des Hudson liegengeblieben und haben die Bewegungen der Irokesen aus dem Hinterhalt beobachtet«, antwortete der Jäger mit seinem lautlosen Lachen. »Leider kamen wir später von der Spur ab und hätten sie in der Tat bald gänzlich verloren, wenn nicht Unkas bei uns gewesen wäre. Er behauptete kühn«, fuhr er, auf die Pferde deutend, fort, »diese Tiere setzten gleichzeitig beide Füße auf einer Seite zur Erde. Das widerspricht zwar dem Gang aller vierfüßigen Tiere, den Bären ausgenommen, aber diese beiden Pferde hier gehen wirklich so, wie die Spuren beweisen, die wir zwanzig Meilen weit verfolgt haben.«

»Das ist ein Vorzug dieser Rasse. Die Tiere sind wegen ihrer Ausdauer und ihres leichten Ganges berühmt«, antwortete Heyward.

Die Zubereitung des Essens war bald fertig. Nach der Mahlzeit, die alle erfrischte und kräftigte, trank jeder einen tüchtigen Schluck aus der einsamen Quelle. Es war dieselbe Quelle, um die sich fünfzig Jahre später Reichtum und Schönheit aus ganz Nordamerika versammeln sollten, Gesundheit und Vergnügen zu finden.

Die Schwestern bestiegen wieder ihre Pferde, Duncan und David nahmen die Büchsen und folgten. Der Kundschafter eröffnete den Zug, die Mohikaner beschlossen ihn.

11

Der Weg, den Falkenauge eingeschlagen hatte, lief schräg über die sandige, von Tälern und kleinen Anhöhen unterbrochene Ebene, über welche die Reisenden am Morgen mit ihrem Führer Magua gekommen waren. Die Sonne war hinter den fernen Bergen untergegangen, und die Hitze war nicht mehr so drückend. Der Jäger schien sich fast instinktiv nach geheimen Merkmalen zu richten. Er schritt rasch aus und stand nie still, um mit sich zu Rate zu gehen. Ein Seitenblick auf das Moos der Bäume, ein genaues Beobachten der vielen Bäche, die man durchwaten mußte, zeigten ihm, daß er auf dem rechten Weg war.

Plötzlich trat er in ein dichtes Gehölz von jungen Kastanienbäumen. Er drang ein paar hundert Schritt durch das mit Brombeersträuchern verwachsene Dickicht vor und betrat einen offenen Platz mit einem flachen grünen Erdhügel. In seiner Mitte stand ein verfallenes Blockhaus. Sein Rindendach war längst eingestürzt, aber die mächtigen Fichtenstämme, die man einst verbunden hatte, hafteten noch an ihrer Stelle. Falkenauge und die Indianer schritten auf das verfallene Blockhaus zu, und der Jäger betrachtete die Ruinen von außen und innen mit der Neugier eines Menschen, dessen Erinnerungen mit jedem Augenblick lebhafter erwachen.

»Es gibt nur wenige, die wissen, daß dieses Blockhaus errichtet wurde«, erzählte der Kundschafter seinen Begleitern. »Ich war damals nach ein Jüngling und zog mit den Delawaren in den Kampf, weil ich wußte, daß sie ungerecht verleumdet wurden. In diesem Haus, zu dem ich den Plan entworfen hatte, verteidigten wir uns. Vierzig Tage und vierzig Nächte dürsteten die Schurken, die Mohawks, nach unserem Blut. Wir verteidigten uns, zehn gegen zwanzig, bis unsere Anzahl fast gleich war. Dann machten Wir einen Ausfall auf die Hunde, und nicht einer von ihnen kehrte zurück. Ich begrub die Toten damals mit eigener Hand unter dem kleinen Hügel, auf dem ihr euch niedergelassen habt.«

Heyward und die Schwestern standen von dem grasbewachsenen Hügel auf und konnten sich eines Schauders nicht erwehren. Das dämmrige Licht, die kleine, von einem Saum dunkler Sträucher und schweigender Fichten eingeschlossene Lichtung, die Totenstille des weiten Waldes — alles das wirkte unheimlich. Wortlos ging man endlich daran, den beiden Mädchen in einer Ecke des Blockhauses ein Lager zu bereiten, auf dem sie bald übermüdet einschliefen. Die anderen streckten sich draußen hin. Nur Chingachgook saß aufmerksam an einer Fichte und wachte. Bei Mondaufgang wollte man wieder aufbrechen.

Es vergingen ungefähr zwei Stunden, in denen man nur das ruhige Atmen der Schläfer hörte. Dann begann ein blasses Licht zwischen den Bäumen aufzuschimmern. Der Kundschafter erhob sich, und nach einer Weile war die ganze Gesellschaft zum Aufbruch fertig.

»Die Mohikaner hören einen Feind!« sagte Falkenauge plötzlich leise, als er sich gerade mit den übrigen in Bewegung gesetzt hatte. »Der Wind läßt sie eine Gefahr spüren.«

»Es ist sicher nur ein Waldtier«, sagte Heyward leise, als er angestrengt gelauscht hatte.

»Still!« erwiderte der Kundschafter, »es sind Menschen. Der Irokese, der uns entwischte, ist wahrscheinlich einer umherstreifenden Gruppe von Montcalms Heer begegnet und hat sie auf unsere Fährte gelenkt. Ich möchte zwar nicht gern, daß hier noch mehr Blut vergessen wird, aber was sein muß, muß sein! Führe die Pferde in das Blockhaus, Unkas, und Ihr geht auch hinein.«

Als schließlich alle im Blockhaus waren, wurde das Geräusch nahender Schritte deutlich vernehmbar. Bald hörte man auch Stimmen, die sich in der Sprache der Irokesen etwas zuriefen. Man hatte anscheinend die Spur verloren. Nach dem Ton der Stimmen zu schließen, schienen es wenigstens zwanzig Indianer zu sein, die lärmend ihre verschiedenen Meinungen von sich gaben.

»Die Hunde wissen, wie schwach wir sind«, flüsterte Falkenauge, der neben Heyward in tiefem Schatten stand und durch eine Öffnung zwischen den Baumstämmen hindurchsah, »sonst würden sie nicht müßig dastehen und schwatzen.«

Jetzt verkündete das Rauschen der Blätter und das Knistern der dürren Zweige, daß sich die Wilden getrennt hatten, um die verlorene Spur wiederzufinden. Zum Glück für die Verfolgten war das Mondlicht noch nicht hell genug und das Nachspüren fruchtlos, denn der Pfad, auf dem die Flüchtlinge in das Dickicht eingedrungen waren, war kurz und jede Spur im Dunkel der Waldung unsichtbar. Es dauerte aber nicht lange, so hörte man die Wilden näher kommen. Allmählich erreichten sie den dichten Kreis junger Kastanienbäume, der den kleinen Platz einschloß.

»Sie kommen!« murmelte Heyward und suchte seine Büchse zwischen zwei Baumstämmen durchzustecken.

»Verbergt alles im Schatten«, flüsterte der Kundschafter. »Ein Schlag auf den Feuerstein und der geringste Schwefelgeruch würden uns die hungrigen Wölfe auf den Leib schicken.«

Duncan warf einen ängstlichen Blick hinter sich und sah die beiden Schwestern zitternd und aneinandergeschmiegt im entferntesten Winkel der Hütte. Die Mohikaner standen wie zwei aufgerichtete Pfeiler im Schatten, entschlossen, sich ihrer Büchsen zu bedienen, sobald es not täte. Der Offizier bezwang seine Ungeduld und sah wieder durch die Öffnung auf den Platz hinaus.

Nach kurzer Zeit öffnete sich das Dickicht, und ein großer, bewaffneter Irokese trat heraus. Als er das alte Blockhaus betrachtete, fiel das Mondlicht auf sein schwärzliches Gesicht, und Überraschung und Neugier zeigten sich in seinen Zügen. Er rief mit leiser Stimme einen seiner Gefährten zu sich. Beide verharrten minutenlang unbeweglich und betrachteten aufmerksam das verfallene Gebäude. Dann tuschelten sie leise miteiander und näherten sich wieder langsam und bedächtig, blieben aber alle Augenblicke wieder stehen. Der eine stieß mit dem Fuß auf den Erdhügel und bückte sich.

Jetzt machte der Kundschafter sein Messer in der Scheide locker und spannte den Hahn seiner Büchse.

Die Wilden waren so nahe, daß die geringste Bewegung der Pferde die Flüchtlinge verraten hätte. Als der eine den Erdhügel näher untersucht hatte, schien eine Änderung in sein Benehmen zu kommen. Beide sprachen miteinander, und der Ton ihrer Stimme war tief und feierlich. Dann zogen sie sich vorsichtig zurück und blickten sich nach dem verfallenen Blockhaus mehrmals ängstlich um, als befürchteten sie die Geister der Toten zu sehen. Endlich wandten sie sich ab und verschwanden im Dickicht.

Falkenauge ließ seine Büchse sinken und atmete lang und tief.

»Sie haben Ehrfurcht vor den Toten«, flüsterte er, »und das rettete diesmal ihr Leben und vielleicht auch das unsere.«

Nun hörte man die beiden Irokesen jenseits der Lichtung, und es war bald zu erkennen, daß der ganze Haufen sich um sie versammelt hatte. Nach einer anscheinend ernsten und feierlichen Unterredung wurden die Geräusche immer schwächer und verloren sich endlich in der Tiefe des Waldes.

Falkenauge wartete, bis ihm ein Zeichen Chingachgooks versicherte, daß die Wilden weit genug entfernt seien. Dann winkte er Heyward, die Pferde zu bringen und den beiden Schwestern beim Aufsteigen behilflich zu sein.

Die Mädchen blickten noch einmal schaudernd auf das verfallene Gebäude, bevor sie den mondhellen Platz verließen, um sich wieder dem Dunkel der Wälder anzuvertrauen.

12

Der Kundschafter nahm seinen alten Platz an der Spitze des Zuges wieder ein, obgleich seine Schritte jetzt bedächtiger und langsamer als am vorigen Abend waren, da er diesen Teil der Waldung nicht genau kannte. Mehr als einmal machte er halt, um sich bei den Mohikanern Rat zu holen. In diesen kurzen Pausen lauschten Heyward und die Schwestern furchtsam. um irgendeinen Laut zu entdecken, der die Nähe der Feinde verkündete. Doch die ganze Gegend schien im Schlaf begraben, und nicht der geringste Ton ließ sich hören, außer dem leisen und entfernten Murmeln eines Bachs.

Als man die Ufer des kleinen Flusses erreicht hatte, blieb Falkenauge stehen, zog die Halbstiefel von seinen Füßen und forderte Heyward und David auf, seinem Beispiel zu folgen. Er trat dann ins Wasser, und fast eine Stunde lang wateten sie mitsamt den Pferden im Flußbett, um keine Spur zu hinterlassen. Der Mond hatte sich bereits hinter einer Masse dunkler Wolken verborgen, die sich am westlichen Horizont auftürmten, als sie das niedrige Flußbett verließen, um am andern Ufer wieder den Wald zu betreten.

Hier schien der Kundschafter völlig mit der Gegend bekannt zu sein, denn er setzte seinen Weg rasch und sicher fort. Der Pfad wurde bald unebener; die Reisenden sahen sich zu beiden Seiten von Bergen eingeschlossen und merkten, daß sie eine tiefe Schlucht passierten. Plötzlich hielt Falkenauge an und wartete, bis alle bei ihm anlangten. Dann sprach er leise und vorsichtig:

»Es ist möglich, daß sich das französische Heer jenseits dieser Berge gelagert hat.«

»Wir sind also nicht mehr weit vom Fort ›William Henry‹?« fragte Heyward.

»Es ist noch ein langer und beschwerlicher Weg«, war die Antwort; »aber auf welcher Seite wir das Fort zu erreichen suchen, das ist jetzt die wichtigste Entscheidung. — Still!« flüsterte er plötzlich aufgeregt. »Seht Ihr nicht etwas am Seeufer umherwandeln?«

Er deutete durch die Bäume auf ein kleines seeähnliches Gewässer und packte Heywards Schulter.

»Bei Gott! Das ist eine menschliche Gestalt!« murmelte Duncan und hob sein Gewehr.

»Qui Vive? Wer da?« rief jetzt eine Stimme, und die Worte wurden vom Gerassel der Waffen begleitet.

»France!« rief Heyward zurück und trat aus dem Schatten der Bäume.

»Woher kommt Ihr, und wohin wollt Ihr so früh?« fragte der Grenadier in französischer Sprache.

»Ich komme vorn Rekognoszieren und will mich schlafen legen.«

»Sie sind also königlicher Offizier?«

»Allerdings, Kamerad! Hältst du mich für einen Krieger aus den Provinzen? Ich bin Hauptmann bei den Jägern.« — Heyward wußte recht gut, daß der andere zu einem Linienregiment gehörte. — »Ich habe die Töchter des Kommandanten der Festung bei mir. Hast du nichts davon gehört? Ich habe sie in der Nahe des andern Forts gefangengenommen und führe sie zum General.«

»Meine Damen, das tut mir sehr leid!« rief der Franzose, »aber das geht einmal im Krieg nicht anders!« Er grüßte sehr höflich, und Heyward sagte:

»Gute Nacht, Kamerad!«

Die anderen setzten indessen ihren Weg langsam fort.

Nachdem sie eine Weile schweigend gegangen waren, sprach der Kundschafter leise:

»Jetzt bleibt uns nur wenig Zeit übrig, und es gibt auch nur eine einzige Lösung: Wir müssen uns so schnell wie möglich aus der Linie der Vorposten entfernen und uns nach Westen zu ins Gebirge wenden.«

Mit diesen Worten schritt Falkenauge voran, und die andern folgten ihm schweigend und geräuschlos. Der Kundschafter wich allmählich vom Pfade ab, den er eingeschlagen hatte, und wandte sich den Bergen zu. Er führte seine Begleiter schnell vorwärts, und sie kamen bald in dichte Schatten, die die hohen und steilen Gipfel warfen.

Der Weg wurde jetzt beschwerlich, denn das Tal war mit ungeheuren Felsblöcken übersät und von tiefen Schluchten durchschnitten. Sie kamen daher nur langsam voran. Endlich erstiegen sie einen schmalen Pfad, der sich zwischen Bäumen und Felsen hinaufschlängelte. Als sie schließlich aus einem Gehölz von verkrüppelten Bäumen heraustraten, befanden sie sich auf dem Gipfel eines Berges. Sie sahen jetzt die Morgenröte durch die Fichten schimmern.

Der Kundschafter ließ die beiden Schwestern von den Pferden steigen und gab den müden Tieren völlige Freiheit, da sie nicht mehr gebraucht wurden. Den Reisenden war es sogleich bewußt, daß Falkenauge für ihr Vorhaben die denkbar günstigste Stellung gewählt hatte. Der Berg erhob sich etwa tausend Fuß hoch über dem Tal. Unmittelbar unter ihnen bildete das südliche Ufer des Horican einen großen Halbkreis, während sich der See, dessen klarer Spiegel von dieser schwindelerregenden Höhe aus einem schmalen gezackten Band glich, nach Norden zu breitete. Gegen Süden hin lag die waldige und leicht hügelige Ebene, die sie auf ihrer Flucht durchmessen hatten.

Am Ufer des Sees, nach Westen zu, lagen die Erdwälle und niedrigen Gebäude von Fort »William Henry«. Rings um die Festung hatte man in einer gewissen Entfernung die Bäume abgeholzt. Vor dem Fort standen einige Schildwachen, die die Bewegungen des Feindes aufmerksam beobachteten. Südöstlich von der Befestigungsanlage, fast in unmittelbarer Berührung mit ihr, sah man auf einer Felsenhöhe ein verschanztes Lager, das eine günstigere Lage hatte als das Fort selbst. In diesem Lager befanden sich die Hilfstruppen, die vor kurzem erst ihre Stellung am Hudson verlassen hatten. Auf einer Landzunge aber, am westlichen Ufer des Sees, standen die weißen Zelte eines anderen Lagers, das ungefähr zehntausend Mann in sich barg.

Während die Reisenden mit verschiedenen Gefühlen auf die Landschaft blickten, die sich wie eine Karte zu ihren Füßen ausbreitete, scholl der Donner einer Artilleriesalve aus dem Tal herauf und tönte von Echo zu Echo durch die östlichen Berge.

»Das Fort ist vollkommen eingeschlossen«, sagte Duncan endlich. »Gibt es denn aber gar kein Mittel, hinaufzukommen?«

»Wir würden schwerlich mit dem Haar auf dem Kopf durchkommen«, entgegnete der Kundschafter kaltblütig. »Hätte ich nur eines von den tausend Booten, die dort am Strand liegen, vielleicht ließe sich’s dann wagen. — Aber das Feuern wird nicht lange dauern, denn ein Nebel steigt auf, der den Tag bald in Nacht verwandeln wird. Wenn Sie Mut haben und mir jetzt folgen wollen, so können wir einen Versuch machen, uns durchzuschlagen.«

»Es fehlt uns nicht an Mut«, bemerkte Cora entschlossen.

»Dann wollen wir aufbrechen«, sagte Falkenauge. »Der Nebel, der immer dichter wird, schützt uns auf der Ebene. Denkt daran, wenn mir etwas zustoßen sollte, daß ihr stets den Wind auf der linken Wange behalten müßt.«

Er winkte mit der Hand, und alle stiegen den steilen Abhang mit schnellen, aber vorsichtigen Schritten hinab. In wenigen Minuten hatten sie den Fuß des Berges erreicht. Der Weg, den Falkenauge eingeschlagen hatte, brachte sie in die Richtung zu einem an der Westseite des Forts gelegenen Ausfalltor. Es war nur eine halbe Meile von dem Platz entfernt, an dem der Kundschafter jetzt haltmachte. Sie waren dem Nebel zuvorgekommen, der sich jetzt über den See zu verbreiten begann, und mußten warten, bis er das Lager des Feindes eingehüllt hatte.

Als dann die Nebelschwaden die Ebene vor ihnen ganz überzogen hatten und jede Aussicht nahmen, brachen sie auf. Sie hatten einen kleinen Bogen nach links gemacht und wollten eben wieder rechts einbiegen, da sie sich nach Heywards Berechnung auf halbem Weg zum Ausfalltor befanden, als sie etwa zwanzig Schritt vor sich den Ruf »Wer da?« in französischer Sprache vernahmen.

»Vorwärts! schnell!« flüsterte der Kundschafter und wandte sich wieder nach links. Plötzlich wurde der Nebel durch das Knallen von etwa fünfzig Musketen erschüttert. Glücklicherweise hatte man ins Blaue geschossen und die Richtung der Flüchtlinge verfehlt.

»Wir wollen auch Feuer geben!« rief jetzt Falkenauge, »sie werden es für einen Ausfall der Besatzung halten und erst Verstärkung erwarten. Inzwischen sind wir in Sicherheit.«

Der Plan war zweifellos gut, doch er mißglückte. Sobald nämlich die Franzosen die erste Gewehrsalve hörten, schien es, als ob die ganze Ebene lebendig würde.

»Wir werden uns die ganze Armee auf den Hals ziehen«, rief Duncan.

Alle eilten daher, so schnell sie nur konnten, vorwärts. Geschrei, Flüche, Stimmen, die einander zuriefen, dazwischen Flintenschüsse, mischten sich zu einem wilden Chaos von Geräuschen, das die Flüchtlinge verfolgte.

Plötzlich erhellte ein Blitz die Gegend, mehrere Kanonenschüsse fielen, und das Echo der Berge wiederholte den Donner des Geschützes.

»Das ist aus dem Fort!« rief Falkenauge stehenbleibehd, »und wir laufen Wie die Narren dem Wald zu!«

Kaum hatten sie ihren Irrtum eingesehen, als sie sich beeilten, ihn wiedergutzumachen. Duncan überließ Unkas die Sorge, Cora zu führen. Offenbar wurden sie jetzt von so vielen verfolgt, und jeden Augenblick drohte Gefangenschaft oder Tod. Plötzlich hörte man Befehle, die von einer Bastion des Forts kommen mußten.

»Wartet, bis ihr die Feinde seht, und dann schießt tief und fegt das Glacis rein«, rief eine herrische Stimme.

»Vater! Vater!« schrie jetzt Alice. »Hier sind deine Töchter!«

»Halt!« rief die erste Stimme, sichtlich erschrocken. »Auf mit der Ausfallpforte! Macht einen Ausfall, Leute! Aber gebt keinen Schuß! Ihr könntet meine Kinder verletzen. Treibt die Franzosen mit dem Bajonett zurück!«

Duncan hörte das Ächzen der rostigen Angeln und eilte mit seinen Begleitern rasch in die Richtung des Geräusches. Er sah eine lange Reihe Soldaten in roter Uniform zum Glacis marschieren und erkannte das Bataillon, das er selbst kommandierte. Er stellte sich sofort an die Spitze und zwang die Verfolger zurückzuweichen.

Cora und Alice standen verwirrt und zitternd, als sie sich von Heyward so plötzlich verlassen sahen. Ehe sie Zeit hatten, darüber zu sprechen, trat ein weißhaariger Offizier von Riesengröße auf sie zu. Denn Ausdruck von militärischer Strenge, der in seinen Zügen lag, hatte das Alter gemildert. Er eilte ihnen entgegen und drückte sie, während Tränen über seine Wangen rollten, zärtlich an seine Bust.

13

Die nächsten Tage verflossen unter den Entbehrungen, der Verwirrung und den Gefahren der Belagerung, die der Feind, dem Munro keinen ernsthaften Widerstand entgegenstellen konnte, aufs lebhafteste betrieb. Es schien, als sei Webb mit seiner Armee am Ufer des Hudson eingeschlafen und habe seine bedrängten Landsleute gänzlich vergessen.

Montcalm hatte mittlerweile die benachbarten Wälder von den verbündeten Indianern besetzen lassen. Man hörte ihr Geschrei und Geheul bis ins britische Lager. Doch schien es, als ob der französische General sich damit begnüge, durch die Wildnis marschiert zu sein, um den Feind zu erreichen. Bei all seiner Umsicht und Gewandtheit hatte er es versäumt, die benachbarten Berge zu besetzen, und konnte deshalb die Belagerten nicht entscheidend treffen. Seine Batterien waren jedoch mit Geschick auf der Ebene errichtet, und sie wurden gut bedient. Gegen ihren Angriff blieben den Belagerten nur die unvollkommenen Verteidigungsmittel, die eine mitten in der Einöde gelegene Festung damals aufweisen konnte.

Es war am fünften Tag der Belagerung und am vierten von Major Heywards Ankunft im Fort, als dieser den Schutz einer augenblicklichen Waffenruhe benutzte, um sich auf die Brustwehr einer Wasserbastion zu begeben, wo er die frische Seeluft atmen und die Fortschritte der Belagerer beobachten konnte.

Der Abend war äußerst still, und das Lüftchen, das vom klaren See her wehte, sanft und erfrischend. Zwei kleine weiße Fahnen flatterten im Wind, die eine auf einem hervorspringenden Winkel des Forts, die andere auf der vorgeschobenen Batterie der Belagerer — Sinnbilder der Ruhe, nicht nur für die Feindseligkeiten, sondern selbst für die Erbitterung der Kämpfenden. Hunderte junger Franzosen zogen munter und sorglos ihre Netze an den kieselreichen Strand und achteten nicht der gefährlichen Nähe der düsteren, aber schweigsamen Geschütze des Forts. Hier und da stimmte auch eine Kompanie einen Sang an oder begann einen Tanz, der die düsteren Indianer aus ihren Hinterhalten im Wald lockte. Kurz, alles hatte mehr den Anschein eines Freudentages als einer den Gefahren und Anstrengungen eines blutigen, erbitterten Krieges abgerungenen Ruhestunde.

Heyward hatte diese Szene eine Weile nachdenklich betrachtet, als seine Augen durch herannahende Schritte auf das Glacis gelenkt wurden. Er trat in den Winkel einer Bastian und sah, wie Falkenauge unter der Bewachung eines französischen Offiziers auf das Fort zukam. Die Züge des Kundschafters waren eingefallen und bekümmert, als fühle er sich tief entehrt, daß er den Feinden in die Hände geraten sei. Sobald Heyward den hohen Wuchs und die immer noch trotzigen, wenngleich niedergeschlagenen Züge seines Freundes, des Weidmannes, erkannte, fuhr er erstaunt zurück und eilte von der Bastion in das Innere der Festung hinab, um Näheres zu erfahren.

Stimmen, die ihm vertraut waren, zogen jedoch seine Aufmerksamkeit auf sich und ließen ihn einen Augenblick seinen Vorsatz vergessen. In einem inneren Winkel des Erdwalls traf er auf die beiden Schwestern, die längs der Brustwehr umherwandelten, um wie er die frische Abendluft zu genießen. Er hatte sie seit dem peinlichen Augenblick, wo er sie nur verließ, um für ihre Sicherheit zu sorgen, nicht wiedergesehen. Von Angst gebeugt und durch die Anstrengungen erschöpft, hatte er sie verlassen und fand sie jetzt frisch und blühend wieder, obgleich die furchtbaren Erlebnisse der letzten Tage einige Spuren von Unruhe zurückgelassen zu haben schienen.

»Ha, der lässige, pflichtvergessene Ritter, der seine Damen mitten in den Schranken verläßt!« rief Alice in scherzendem Vorwurf, den das lachende Auge und die freundlich entgegengestreckte Hand Lügen straften. »Tagelang warten wir darauf, daß Sie zu unseren Füßen um Verzeihung bitten würden!«

»Alice spricht, wie Sie wissen, nur von unserem Dank«, setzte die ernstere, besonnenere Cora hinzu. »Aber wir haben uns wirklich gewundert, daß Sie sich so lange fernhielten.«

»Ihr Vater hätte Ihnen sagen können, daß ich um Ihre Sicherheit stets bekümmert war, obgleich mich nur die Pflicht anderswo fesselte«, erwiderte der junge Mann. »Um den Besitz jener Dorfhütten dort drüben ist nämlich dieser Tage lebhaft gestritten worden, und dies ist selbstverständlich, denn wer sie nimmt, ist auch bald im Besitz des Forts und all dessen, was sich darin befindet. Hätte ich aber geglaubt, daß Soldatenpflicht so ausgelegt werden könnte, dann …«

»Heyward! — Duncan!« rief Alice, sich zu ihm beugend, um sein halb abgewandtes Antlitz zu sehen. »Könnte ich glauben, daß diese geschwätzige Zunge Ihnen wehe tut, so wollte ich sie zu ewigen Stillschweigen verdammen. Wenn Cora will, kann Sie Ihnen sagen, wie hoch wir Ihre Dienste schätzen und wie innig unsere Dankbarkeit ist.«

»Ich bin beglückt, daß Sie in der Pflichterfüllung des Soldaten eine Entschuldigung für die Vernachlässigung durch den Ritter sehen«, entgegnete Heyward, während ein Lächeln die Wolke des Mißmuts von seiner Stirn trieb. »Verzeihen Sie aber, wenn ich mich auch jetzt Ihrer Gegenwart nicht mehr länger erfreuen darf. Die Pflicht ruft mich zu Ihrem Vater. Die Pflicht des Freundes und der Dankbarkeit. Ich sah, daß der Kundschafter soeben als Gefangener in das Fort geführt wurde.«

Ohne die Antwort einer der Schwestern abzuwarten, eilte der junge Mann die Rasenstufen der Bastion hinab und über den Paradeplatz und stand nach kurzer Zeit vor ihrem Vater.

Munro ging, als Duncan eintrat, mit unruhiger Miene und Riesenschritten in dem engen Zimmer auf und nieder.

»Sie sind mir zuvorgekommen, Major Heyward«, sagte er, »ich wollte soeben nach Ihnen schicken.«

»Mit Bedauern sah ich den Boten, den ich so warm empfohlen hatte, unter dem Gewahrsam der Franzosen zurückkehren! Ich hoffe, General, Sie haben keinen Grund, Zweifel in seine Treue zu setzen.«

»Die Treue der ›Langen Büchse‹ ist mir bekannt«, versetzte Munro, »und über allen Zweifel erhaben, aber sein Glück scheint ihn endlich verlassen zu haben. Montcalm hat ihn erwischt und ihn mir mit der verdammten Artigkeit seines Volkes und unter der demütigenden Erklärung zurückgeschickt: da er wisse, wie große Stücke ich auf den Burschen halte, so wolle er ihn mir nicht vorenthalten. Eine echt französische Art, Major Heyward, einem Mann zu sagen, daß er im Unglück ist!«

»Aber General Webb und seine Hilfe?«

»Sahen Sie nach Süden, als Sie herkamen, und konnten Sie schon etwas von ihnen erblicken?« fragte der alte Soldat bitter lachend. »Gehen Sie! Sie sind ein ungeduldiger, Knabe, Major, und wollen den Herren keine Zeit zum Marschieren lassen!«

»Sie kommen also! Hat es Falkenauge gesagt?«

»Er sprach mir nur von einem Brief, den Montcalm in Händen hat, und wäre sein Inhalt beunruhigend, so würde der höfliche Franzose uns seinen Inhalt gewiß mitgeteilt haben!«

»So hat er also nur den Boten geschickt, den Brief aber behalten?«

»Ja und das alles aus sogenannter Menschenfreundlichkeit.«

»Aber was sagt denn der Kundschafter? Gab es keine Bewegungen im Lager, keine Zeichen, daß man uns zu Hilfe eile?«

»Hm, es gab Morgen- und Abendparaden, und wenn einer von den Lümmeln aus den Provinzen — Sie wissen es ja, Duncan, sind selbst ein halber Schottländer —, wenn einer sein Pulver auf seinen Kochtopf fallen ließ und es traf die Kohlen, so gab’s Feuer!« Plötzlich aber ging er von seiner bitteren Ironie in einen ernsteren, bedächtigeren Ton über und fuhr fort: »Und doch müßte und muß in dem Brief etwas stehen, das gut wäre zu wissen.«

»Wir sollten unseren Entschluß schnell fassen«, sagte Duncan. »Ich kann Ihnen nicht verhehlen, General, daß sich das Fort nicht mehr lange halten läßt. Die Hälfte unserer Geschütze ist zersprungen.«

»Und wie sollte es anders sein?! Die einen wurden aus dem See aufgefischt, andere rosteten seit der Entdeckung des Landes in den Wäldern, und wieder andere sind gar keine Kanonen, nur Spielzeug für Korsaren. Glauben Sie, Major, man könnte dreitausend Meilen Von Großbritannien mitten in der Wildnis Woolwicher Ware bekommen?«

»Die Mauern stürzen uns über dem Kopf zusammen, und der Mundvorrat beginnt knapp zu werden«, fuhr Heyward fort. »Auch zeigt die Mannschaft Spuren von Unzufriedenheit und Unruhe.«

»Major Heyward«, sprach Munro mit der vollen Würde des Alters und eines höheren Ranges, »ich hätte umsonst Seiner Majestät ein halbes Jahrhundert gedient und meine Haare im Feld ergrauen sehen, wenn ich das, was Sie sagen, und die Dringlichkeit der Umstände nicht selbst begreifen würde; und doch sind wir der Ehre der königlichen Waffen und unserer eigenen verpflichtet, alles zu opfern. Solange noch Hoffnung auf Unterstützung vorhanden ist, werde ich diese Festung verteidigen, und sollte ich dazu die Kiesel vom Seeufer auflesen. Alles kommt darauf an, den Brief zu Gesicht zu bekommen, damit wir die Absichten des Mannes kennenlernen, den uns der Earl von London als seinen Stellvertreter hinterlassen hat.«

»Und kann ich hierbei von Nutzen sein?«

»Ja, das können Sie. Der Marquis von Montcalm hat mich neben seinen übrigen Artigkeiten auch zu einer persönlichen Unterredung zwischen den Festungswerken und dem Lager eingeladen, um mir, wie er sagte, weitere Aufschlüsse zu geben. Nun denke ich, würde es nicht sehr weise sein, wenn ich ihm allzu bereitwillig entgegenkäme; daher könnte ich Sie als meinen Stellvertreter schicken!«

Duncan erklärte sich mit Freuden bereit, den Auftrag zu übernehmen. Er begab sich also unmittelbar nach der Unterredung mit einer weißen Fahne unter Trommelwirbel ins Zelt des französischen Kriegers.

Doch er wurde bald — höflich, aber bestimmt — ohne seine Sendung erfüllt zu haben, von Montcalm hinauskomplimentiert. Der Franzose wiederholte jedoch die Einladung an den Kommandanten des Forts, mit ihm auf einem offenen Platz zwischen beiden Heerlagern zu einer Besprechung zusammenzutreffen.

So mußte sich also General Munro selber zu einer Unterredung herbeilassen.

»Major Heyward«, ordnete er daher an, »lassen Sie eine Fanfare blasen und schicken Sie einen Trompeter, um dem Marquis zu melden, wer komme. Wir beide folgen mit einer kleinen Bedeckung. Denn Ehre gebührt dem, der über die Ehre eines Königs zu wachen hat; und hören Sie, Duncan«, fügte er halb flüsternd hinzu, »es wird gut sein, eine Verstärkung bei der Hand zu haben, falls allem nur eine Verräterei zugrunde läge.«

In wenigen Minuten waren Truppen angetreten und eine Ordonnanz mit einer weißen Fahne abgeschickt, die Ankunft des Kommandanten von Fort »William Henry« zu melden. Hierauf führte Heyward die Bedeckung zum Ausfalltor, wo Munro schon auf ihn wartete.

Einige hundert Schritte außerhalb der Festungswerke kam der kleine Trapp Soldaten, der den französischen General begleitete, aus einem Hohlweg hervor, der etwa in der Mitte zwischen den Batterien der Belagerer und dem Fort verlief. Sobald Munro des weißen Federbusches, der von Montcalms Hut wehte, ansichtig wurde, blitzten seine Augen, und das ganze Feuer der Jugend schien wieder in dem hohen, muskulösen Körper des Greises zu erwachen. Schritt und Haltung wurden betont soldatisch.

Jede Partei ließ nun eine Ordonnanz mit einer weißen Fahne vortreten. Sobald diese flüchtige Begrüßung vorüber war, kam Montcalm mit leichtem, anstandsvollem Schritt auf Munro zu und entblößte sein Haupt vor dem Veteranen, so daß sein weißer Federbusch beinahe den Boden berührte. War das Äußere Munros männlicher und ehrfurchtsgebietender, so fehlte ihm dagegen die leichte, einschmeichelnde Artigkeit des Franzosen. Beide schwiegen eine Weile, während der sie einander mit neugierigen Augen betrachteten. Dann unterbrach Montcalm, wie es sein höherer Rang und die Art der Unterhaltung mit sich brachten, das Stillschweigen.

»Ich habe Monsieur um diese Zusammenkunft gebeten, weil ich glaube, er werde sich überzeugen lassen, bereits alles getan zu haben, was die Ehre seines Fürsten erfordert. Jetzt möge er aber auf die Stimme der Menschlichkeit hören. Ich werde ihm stets das Zeugnis des tapfersten Widerstandes geben, der so lange fortgesetzt wurde, wie noch Hoffnung vorhanden war.«

Munro antwortete mit Würde, aber hinreichender Höflichkeit:

»Sosehr ich ein solches Zeugnis zu würdigen weiß, wird es mir dennoch erst richtig wert sein, wenn ich es besser verdient habe.«

Der französische General lächelte: »W’as man erprobtem Mut so gerne gewährt, dürfte nutzloser Hartnäckigkeit verweigert werden. Monsieur beliebe, mein Lager anzusehen, meine Truppen zu hören und sich von der Unmöglichkeit eines längeren Widerstandes zu überzeugen!«

»Ich weiß, daß der König von Frankreich sehr gut ausgerüstete Truppen hat«, erwiderte der unerschütterliche Schotte. »Aber mein königlicher Gebieter hat ebenso viele und ebenso treue Truppen.«

»Die aber zum Glück für uns nicht bei der Hand sind. Überdies machen diese Berge hier es uns bequem, Ihre Werke zu rekognoszieren, meine Herren; ich kenne ihren schwachen Zustand so gut wie Sie.«

»Fragen Sie den französischen General, ob seine Gläser bis an den Hudson reichen!« sprach Munro mit Stolz, »und ob er weiß, wann und wo Webbs Heer erwartet werden darf.«

»General Webb mag sein eigener Dolmetsch sein«, antwortete der schlaue Montcalm, indem er Munro bei diesen Worten einen offenen Brief hinhielt. »Sie werden daraus ersehen, mein Herr, daß seine Bewegungen meinem Heer nicht eben viel in den Weg legen werden.«

Der Veteran ergriff das dargebotene Papier mit einer Heftigkeit, die verriet, wie wichtig ihm sein Inhalt war. Während sein Auge das Schreiben überlief, ging seine Miene plötzlich vom Ausdruck militärischen Stolzes in den des tiefsten Kummers über. Seine Lippen begannen zu heben, das Papier entfiel seiner Hand, und das Haupt sank ihm auf die Brust wie einem Mann, dessen Hoffnungen ein einziger Schlag vernichtet hat.

Duncan hob den Brief auf und warf einen Blick auf dessen grausamen Inhalt. Ihr gemeinsamer Chef ermunterte sie nicht nur nicht zum Widerstand, sondern riet ihnen sogar, sich unverzüglich zu ergeben, indem er mit dürren Worten erklärte, es sei ihm durchaus unmöglich, ihnen auch nur einen einzigen Mann zu Hilfe zu senden.

»Hier findet keine Täuschung statt!« rief Duncan, indem er den Brief sorgfältig untersuchte. »Er trägt Webbs Siegel, und es muß der aufgefangene Brief sein.«

»Der Mann hat mich verraten!« rief endlich Munro bitter aus. »Er hat das Haus eines Mannes entehrt, dem Schande bisher unbekannt war, und Schmach über mein graues Haar gebracht!«

»Sagen Sie das nicht!« rief Duncan. »Noch sind wir Herren des Forts und unserer Ehre. Wir wollen unser Leben um einen Preis verkaufen, der selbst unseren Feinden zu teuer erscheinen soll!«

»Sohn, ich danke dir!« rief der alte Mann, der wie aus einer Betäubung erwachte. »Du hast Munro zu seiner Pflicht zurückgerufen. Wir wollen heim und unsere Gräber hinter jenen Bollwerken graben!«

»Messieurs«, sprach Montcalm mit edelmütiger Teilnahme, einen Schritt vortretend, »Sie kennen Louis de Saint-Veran wenig, wenn Sie ihn für fähig halten, diesen Brief zur Demütigung tapferer Soldaten und zur Befleckung seines eigenen Rufes benützen zu wollen. Hören Sie meine Bedingungen, ehe Sie mich verlassen.«

»Monsieur de Montcalm, wir sind bereit, Sie anzuhören«, erwiderte der Veteran düster.

»Das Fort zu behaupten ist jetzt unmöglich«, sprach sein hochsinniger Gegner. »Das Interesse meines Gebieters fordert, daß es zerstört werde. Was aber Sie selbst und Ihre wackeren Kameraden betrifft, so soll Ihnen kein Vorrecht, das dem Soldaten teuer ist, verweigert werden.«

»Unsere Fahnen?« fragte Heyward.

»Nehmen Sie nach England, um sie Ihrem König zu zeigen.«

»Unsere Waffen?«

»Sie sollen Ihnen bleiben; niemand kann sie besser führen.«

»Unser Auszug, die Übergabe des Platzes?«

»Alles soll auf die ehrenvollste Weise für Sie vor sich gehen.«

Duncan wandte sich jetzt zu seinem Kommandanten, um ihm diese Punkte mitzuteilen. Der Greis hörte ihn mit Erstaunen an und war von einem so ungewöhnlichen und unerwarteten Edelmut tief ergriffen.

»Gehen Sie, Duncan«, sprach er, »gehen Sie mit diesem Marquis, der ein wahrer Edelmann ist, in sein Zelt und bringen Sie alles in Ordnung. In meinem Alter habe ich etwas erlebt, das ich nie für möglich gehalten hätte: ein Franzose hat zuviel Ehrgefühl, um seinen Vorteil auszunützen.«

Mit diesen Worten ließ der Veteran sein Haupt wieder auf die Brust sinken und kehrte langsamen Schrittes nach dem Fort zurück.

14

Als am 9, August 1757 der erste Trommelschlag im Lager der Franzosen ertönte, wurde im Fort sofort geantwortet. Die Hörner und Oboen der Sieger bliesen fröhliche Fanfaren, bis der letzte Mann auf seinem Posten war, und die Gewehre glänzten in den ersten Strahlen der Sonne, als die französische Armee in Reih und Glied zum Empfang ihres Generals bereitstand. Die bereits bekannte Kapitulation wurde nun in aller Form verkündet, und das Korps, das die Tore der eroberten Festung besetzen sollte, marschierte vor dem General vorüber.

sobald das Signal zur Räumung der Festung gegeben war, versammelten sich die englischen Soldaten, die ungeladenen Gewehre auf den Schultern vor der Ausfallpforte. Weiber und Kinder liefen aufgeregt hin und her und suchten ihre Männer oder Väter, auf deren Schutz sie rechnen konnten. Munro erschien recht niedergeschlagen in der Mitte seiner schweigenden Truppen. Die unerwartete Übergabe des Forts war der härteste Schlag, der ihn treffen konnte.

Duncan hatte die Sorge für seine Töchter übernommen und eilte jetzt in die Wohnung des Kommandanten, um die beiden Schwestern abzuholen. Er fand sie an der Türe des niedrigen Gebäudes zur Abreise bereit und von einem Haufen jammernder Weiber umringt. Cora war bleich und unruhig. Alicens Augen verrieten, daß sie sehr geweint hatte. Beide empfingen den jungen Mann mit sichtbarer Freude.

»Ich kann Sie nicht ohne Schutz lassen«, rief ihnen Heyward zu. »Ihr Vater und ich müssen wenigstens eine Strecke weit an der Spitze der Truppen marschieren, ich aber werde einen Beschützer für Sie finden.«

»Hören Sie nur«, antwortete Cora lächelnd, »der Zufall hat uns einen Freund in der Not gesandt.«

Duncan vernahm die langsamen, ernsten Töne eines frommen Gesanges und wußte, wen sie meinte. Er fand David in einem Blockhaus nebenan und legte ihm die Sicherheit der beiden Mädchen ans Herz.

David war sofort bereit und ging mit Heyward zu den Schwestern. Cora empfing ihren Beschützer höflich, aber Alice konnte ein Lächeln nicht verbergen, als sie Heyward für seine Bemühungen dankte. Duncan versicherte, daß keine ernste Gefahr vorhanden sei und verabschiedete sich in der Absicht, später wieder zu ihnen zu stoßen.

Das Zeichen zum Abmarsch war schon gegeben worden, und die Spitze der englischen Kolonne setzte sich bereits in Bewegung. Auch die Schwestern schritten nun, umringt von einem Haufen Weiber und Kinder, auf das Tor zu. Sie erschraken, als sie die ersten weißen Uniformen der französischen Grenadiere sahen, die bereits die Tore der Festung besetzt hatten. Indessen wurden sie von den französischen Offizieren, die ihren Rang kannten, mit Achtung gegrüßt. Da fast alle Wagen und Pferde für die Verwundeten und Kranken gebraucht wurden, wollten auch Cora und ihre Schwester den Weg zu Fuß machen.

Als sie aus den Verschanzungen ins Freie traten, sahen sie in einiger Entfernung alle französischen Truppen unter den Waffen. Aufmerksam und schweigend ließen die Soldaten die Besiegten vorbeimarschieren und erwiesen ihnen die üblichen Ehrenbezeigungen. Die englische Soldaten, etwa dreitausend Mann, marschierten in zwei Kolonnen; sie wollten später auf dem Weg, der durch den Wald gehauen war, zusammentreffen. Längs des Waldes hatten sich Gruppen von Indianern gelagert, die ihre Feinde in einiger Entfernung vorüberziehen ließen. Nur die Furcht vor dem Heer hielt sie ab, über ihre Beute, die ihnen nach ihrer Ansicht zustand, herzufallen. Einige hatten sich aber unter die Besiegten gemischt und betrachteten ihre Feinde aufmerksam.

Die Vorhut, die Heyward anführte, war bereits zwischen den Bäumen verschwunden, als Cora einen Streit hörte, der sich unter mehreren Nachzüglern erhob. Ein Indianer hatte einem Soldaten der Provinzialtruppen, der den strengen Befehl überschritten hatte, daß keiner aus dem Armeekorps zurückbleiben solle, das Gepäck entrissen. Der Weiße ließ sich das nicht gefallen, und mehrere Soldaten mischten sich in den Streit. Plötzlich sah man Hunderte von Indianern auftauchen. Cora erkannte zu ihrem Entsetzen die Gestalt Maguas unter den Wilden. Weiber und Kinder blieben stehen und drängten sich wie angstvolle Schafe zusammen. Schließlich aber wurde der Streit doch beigelegt, und der Zug setzte sich wieder langsam in Bewegung.

Der größere Teil der Indianer hatte sich wieder zurückgezogen. Sie schienen ihre Feinde nicht länger belästigen zu wollen. Als aber die Weiber an ihnen vorüberzogen, lockte die glänzende Farbe eines Schals die Habgier eines Irokesen. Er trat ohne weiteres auf die Frau zu, um ihn ihr zu entreißen. Die Frau hatte ein kleines Kind in den Schal gewickelt und drückte es erschrocken an sich. Da ließ der Irokese den Schal los und entriß das schreiende Kind den Armen der Mutter. Diese stürzte verzweifelt auf ihn zu. Doch der Indianer lächelte nur wild und streckte ihr eine Hand entgegen, als wäre er zu einem Tausch bereit, mit der andern aber schwang er das Kind, das er an den Beinen hielt, um seinen Kopf — er wollte dadurch den Preis des Lösegeldes erhöhen. Die unglückliche Mutter riß mit zitternden Händen alle Kleidungsstücke von ihrem Körper, die sie entbehren konnte. Jedoch der Wilde wies die wertlosen Kleidungsstücke verächtlich ab, und da er sah, daß der Schal bereits die Beute eines anderen Indianers geworden war, zerschmetterte er den Kopf des Kindes wütend an einem Felsen und warf es der Frau zu Füßen. Dann schwang er seinen Tomahawk und spaltete der Ungluücklichen den Kopf.

In diesem Augenbhck hielt Magua seine Hände vor den Mund und steiß das furchtbare Kriegsgeschrei aus. Die verstreuten Indianer stutzten bei dem Ruf und erhoben gleich darauf im Wald und auf der Ebene ein wildes Geheul, das allen Entsetzen und Furcht einflößte. Mehr als zWeitausend Wilde drangen aus dem Wald und stürzten sich auf die Nachhut der englischen Armee. Jeder Widerstand entflammte die Wut der Mörder noch mehr, und das Blut floß in Strömen.

Die Truppen stellten sich zwar schnell in Schlachtordnung auf und versuchten dadurch, den Rothäuten Angst einzuflößen. Aber dies mißlang; mehrere Soldaten ließen sich sogar ihre ungeladenen Gewehre aus den Händen reißen.

Die Schwestern standen starr vor Entsetzen. Ihre Begleiterinnen hatten ten sich unter lautem Geschrei um sie geschart und verstellten ihnen jeden Ausweg zur Flucht. Ihr Schicksal, unter den Streitäxten der Wilden zu fallen, schien unvermeidlich. Überall hörte man Geschrei, Stöhnen und Flüche. Einen Augenblick lang glaubte Alice die Gestalt ihres Vaters zu erkennen, der schnell ins französische Lager eilte. Tatsächlich wollte Munro die versprochene Eskorte verlangen, wenn auch etliche Tomahawks und Speere sein Leben bedrohten. Da aber die Wilden seinen Rang doch achteten, kam er unverletzt ins Lager.

Alice hatte ihn mehrmals von weitem gerufen. Es war jedoch vergeblich gewesen. Außer sich vor Angst stürzte sie schließlich bewußtlos zu Boden. Cora bemühte sich um die besinnungslose Schwester. David, der sie eingedenk seines Versprechens nicht verlassen hatte, warf einen Blick auf die tobenden Teufel, die in geringer Entfernung immer neue Opfer schlachteten. Plötzlich faßte er einen ebenso frommen wie männlichen Entschluß. Er erhob seine Stimme und begann in voller Stärke ein christliches Liedzu singen, das man durch das Geschrei und Ächzen der Sterbenden, ja selbst durch das Geheul der Wilden hindurchhörte.

Einige Indianer kamen auf die Schwestern zu, um sie zu töten und ihnen ihre Skalpe abzunehmen. Als sie aber die seltsame Gestalt Davids erblickten, blieben sie stehen, um seinem Gesang zuzuhören. Ihr Erstaunen verwandelte sich bald in Bewunderung für den weißen Krieger, der mutig sein Todeslied sang, und sie verließen ihn, um sich andere Opfer zu suchen. David, dem dieser Erfolg Mut machte, tat jetzt sein möglichstes und sang ohne Pause weiter.

Unversehens aber stand Magua vor ihnen. Er griff mit seiner blutbefleckten Hand nach Coras Kleid und rief:

»Komm, die Hütte des Irokesen wartet.« Dann lachte er wild und hielt ihr seine blutige Hand entgegen: »Sieh, sie ist rot, aber das Blut floß aus den Adern der Weißen.«

»Teufel!« rief jetzt das bleiche Mädchen, »du bist schuld an diesem Blutbad.«

»Magua ist ein großer Häuptling!« sagte der Wilde stolz. »Will das Mädchen mit den schwarzen Haaren mir folgen?«

Cora wandte sich wortlos ab, und Magua schien sich einen Augenblick zu besinnen. Dann aber nahm er die ohnmächtige Alice in seine Arme und eilte mit ihr dem Wald zu.

Verzweifelt lief Cora ihm nach, und David folgte ihr. Beide eilten über das Feld, mitten durch Fliehende, Verwundete und Tote dem wilden Irokesen nach. Mehr als einmal wäre wohl Cora unter den Streichen der wilden Feinde gefallen, hätten die erstaunten Eingeborenen das außerordentliche Wesen, das ihr auf dem Fuße folgte, nicht mit dem schützenden Geist der Verrücktheit begabt geglaubt.

Magua drang endlich durch eine kleine Schlucht in den Wald, wo er die beiden Pferde fand, welche die Reisenden einige Tage zuvor ihrem Schicksal überlassen hatten. Ein Indianer, dessen Züge ebenso wild und boshaft waren wie die in Maguas Gesicht, bewachte sie. Der Häuptling warf Alice quer über eines der Pferde und gab Cora ein Zeichen, das andere zu besteigen.

Diese fühlte sich trotz allem doch einigermaßen erleichtert, als sie das gräßliche Morden nicht mehr vor Augen hatte. Sie bestieg das Pferd und streckte ihrer Schwester die Arme entgegen. Daraufhin legte Magua das ohnmächtige Mädchen auf Coras Pferd, ergriff den Zügel und lief in den Wald hinein.

Als David sah, daß man ihn allein gelassen hatte, warf er eines seiner langen Beine über das andere Pferd und folgte den beiden Schwestern. Sie ritten eine Anhöhe hinauf, und Cora erkannte, als sie auf der ebenen Fläche des Berges ankamen, bald den Platz wieder, auf den sie vor wenigen Tagen der Kundschafter geführt hatte.

Hier erlaubte Magua den Schwestern, einen Augenblick abzusteigen. Die schaudernde Cora warf einen Blick auf die Ebene zurück und sah, wie die Besiegten den tobenden Indianern allerorts zu entfliehen suchten, während die Heereskolonnen des Allerchristlichsten Königs von Frankreich ungerührt unter den Waffen stehenblieben — eine Tatsache, deren Veranlassung auch später nie ganz geklärt worden ist.

15

Der dritte Tag nach der Übergabe des Forts neigte sich seinem Ende entgegen. Die Festung lag in rauchenden Ruinen begraben. Halb verbrannte Balken, Geschütztrümmer, eingefallenes Gemäuer lagen überall durcheinander. Der Herbst war überraschend schnell ins Land gekommen. Nebelwolken wurden von der Wut des Sturmes in einem langen; schwarzen Streif nach Süden getrieben. Der Horican war aufgewühlt. Kalte Nordwinde peitschten seine Wellen und ließen ihn einem tobenden Meer ähnlich scheinen. Die Landschaft schien für immer öde und verwüstet.

Etwa eine Stunde vor Sonnenuntergang näherten sich zum erstenmal nach dem Gemetzel von »William Henry« wieder Menschen der verlassenen Ebene. Es waren fünf Männer: die beiden Mohikaner, ihr Freund, der Kundschafter, der alte Munro und Heyward. Der Vater suchte mit Hilfe der Freunde seine Kinder.

Unkas, der voranging, hatte ungefähr die Mitte der Ebene erreicht, als er plötzlich einen lauten Schrei ausstieß. Der junge Krieger deutete entsetzt auf eine Gruppe von Weibern, die die Wilden niedergemetzelt hatten. Munro und Heyward betrachteten die Toten eingehend, aber die Gesuchten waren nicht darunter. In quälender Ungewißheit schritten die fünf Männer weiter.

»Hugh!« rief da der junge Mohikaner zum zweitenmal und zeigte auf den gegenüberliegenden Waldsaum.

»Was gibt es?« fragte der Kundschafter leise.

Unkas eilte, ohne eine Antwort zu geben, fort. Einen Augenblick später sah man ihn ein Stück von Coras grünem Schleier aus einem Gebüsch hervorziehen und es triumphierend über seinem Kopf schwingen.

»Mein Kind!« stöhnte Munro auf.

»Hier sind keine Toten«, sagte Heyward nach einer Weile. »Das Gemetzel scheint sich nicht nach dieser Seite gewendet zu haben.«

»Das ist klar«, erwiderte der Kundschafter kaltblütig, »aber entweder Cora selbst oder diejenigen, die sie entführt haben, müssen durch dieses Gebüsch gekommen sein. Wir wollen daher Spuren suchen und werden sie auch sicher finden; denn ich möchte fast behaupten, daß ein Indianerauge die Spuren sieht, die ein Vogel auf seinem Flug durch die Luft zurückläßt.«

Der junge Mohikaner war schon am Saum des Waldes und erhob wieder ein Preudengeschrei. Er hatte ein anderes Stück des Schleiers gefunden, das an einer niedrigen Buche gehangen war.

»Sachte! Sachte!« rief der Kundschafter dem ungeduldigen Heyward zu. »Wir wissen nun, was wir zu tun haben, aber wir können auch den Weg verlieren, den wir einmal eingeschlagen haben. Ein unvorsichtiger Schritt kann uns stundenlang zu schaffen machen. Wir sind auf der Fährte, das wenigstens läßt sich nicht leugnen. Wir stehen hier an einem Ende der Spur, und wir finden das andere, wenn es auch hundert Meilen entfernt wäre! Jetzt können sie uns nicht mehr entwischen.«

»Hugh!« rief mit einemmal Chingachgook, der sich damit beschäftigt hatte, eine Öffnung im Gebüsch zu untersuchen. Er richtete sich jetzt auf und deutete mit der Hand zur Erde. Der junge Mohikaner bückte sich und untersuchte eine Spur. Als er aufstand, schien er befriedigt.

»Nun«, fragte der Kundschafter, »was meinst du? Hast du etwas daraus entnehmen können?«

»Es ist Magua.«

»Schon wieder dieser umherstreifende Teufel! Den werden wir nicht los, bis mein Wildtöter ein Wort imVertrauen mit ihm gesprochen hat.«

Der Kundschafter bückte sich nun ebenfalls, um die Spur genau zu betrachten. »Du hast recht, Unkas«, sagte er, »es ist die Spur, die wir so oft schon gesehen haben. Der Bursche säuft, wenn sich ihm Gelegenheit dazu bietet. Und Säufer unter den Indianern treten immer fester auf.«

Auch Chingachgook kniete jetzt nieder. Nach kurzer Untersuchung sprach er mit ruhiger und ernster Miene das Wort »Magua« aus.

»Das ist eine ausgemachte Sache«, sagte Falkenauge. »Das junge Mädchen mit den schwarzen Haaren und Magua sind hier vorbeigekommen.«

»Und Alice?« fragte Heyward besorgt.

»Von ihr haben wir noch keine Spuren«, erwiderte der Kundschafter, die Bäume, das Gebüsch und den Boden aufmerksam untersuchend. »Aber was ist das hier? Unkas, hol einmal her, was dort an diesem Dornenstrauch hängt!«

Der junge Indianer gehorchte sogleich. Als er den Fund dem Kundschafter brachte, hielt ihn dieser empor und lachte dabei lautlos, aber von ganzem Herzen.

»Es ist die Pfeife unseres Sängers!« rief er. »Er ist also auch hier gewesen, und da hätten wir ja nun eine Spur, der ein Blinder folgen könnte. Unkas, such die Abdrucke eines Schuhs, der die Länge von zwei gewöhnlichen hat.«

»So hat er doch treu auf seinem Posten ausgehalten«, sagte Heyward, »und Cora und Alice haben einen Freund bei sich.«

»Ja«, entgegnete Falkenauge, indem er seine Büchse sinken ließ und sich mit sichtbarer Verachtung darauf stützte. »Am Singen wird er’s nicht fehlen lassen! Aber kann er einen Rehbock schießen? Kann er den Weg am Moos der Buchen erkennen?«

Duncan schnitt dem Kundschafter das Wort ab und sagte: »Da wir nun die Spuren gefunden haben, wollen wir uns auf den Weg machen. Unter solchen Umständen dünkt den Gefangenen jede Minute eine Ewigkeit.«

»Nicht immer erreicht der Hund, der am schnellsten läuft, den fliehenden Hirsch«, entgegnete Falkenauge, ohne von den entdeckten Spuren wegzublicken. »Wir wissen, daß der umherschleichende Irokese hier vorbeigegangen ist, ebenso das Mädchen mit dem schwarzen Haar und der Sänger. — Aber was ist aus der Schwester mit dem blonden Haar und den blauen Augen geworden? Wir wollen die Spur verfolgen, und finden wir keine andere mehr, so gehen wir zurück und schlagen einen anderen Weg ein. Vorwärts, Unkas! Untersuch die dürren Blätter! Ich will die Gebüsche vornehmen. Los, Freunde! Die Sonne versinkt schon hinter den Bergen.«

»Gibt es denn nichts für mich zu tun?« fragte Heyward.

»Sie«, sagte Falkenauge, »Sie gehen hinter uns her, und wenn Sie Spuren entdecken, so hüten Sie sich, etwas daran zu verderben.«

Kaum aber waren sie eine kleine Strecke gegangen, als die beiden Indianer stehenblieben und einige Zeichen auf dem Boden aufmerksam betrachteten. Vater und Sohn sprachen laut und lebhaft miteinander. Der Kundschafter lief zu ihnen und rief:

»Was gibt’s? Weiß Gott, auf dieser Stelle hat man gerastet! Hier sind Pferde gewesen, die den einen Vorder- und Hinterfuß zugleich aufheben. Nun ist alles klar. — Ja, sie sind zu Pferd gewesen. An der Tanne hier ist der Boden von den angebundenen Pferden zerstampft, und dort ist der große Pfad, der sich nordwärts nach Kanada hinzieht.«

»Aber wir haben noch keine Spur von der jüngeren Miß Munro«, sagte Duncan.

»Nein«, erwiderte der Kundschafter, »es müßte uns denn das glänzende Ding dazu verhelfen, das Unkas dort soeben von der Erde aufhebt. Gib her, Junge, damit wir es untersuchen können.«

Heyward erkannte sogleich einen Schmuck, den Alice gern trug. Er nahm das teure Kleinod an sich und verbarg es an seinem Herzen.

»Wir wollen uns nicht länger aufhalten«, sagte er. »Laßt uns sogleich der Spur folgen.«

»Wir sind nicht hier, um auf Eichhörnchenjagd zu gehen«, erwiderte der Kundschafter. »Tage und Nächte müssen Wir unterwegs bleiben, Gebiete durchkreuzen, die selten ein menschlicher Fuß betritt und wo alle Bücherweisheit nichts hilft. Ein Indianer beginnt ein solches Unternehmen nie, ohne vor seinem Versammlungsfeuer geraucht zu haben. Wir wollen daher vorerst zurückgehen und unser Feuer bei den Ruinen des alten Forts anzünden. Morgen sind wir mit Tagesanbruch frisch und munter und imstande, unsere Verfolgung wie Männer auszuführen.«

Heyward sah an dem Benehmen des Kundschafters, daß jeder Einwand vergeblich sein würde. Munro war wieder in den Zustand der Gefühllosigkeit zurückgesunken, aus dem er sich seit seinem letzten Unglück selten aufrütteln ließ. Duncan, aus der Not eine Tugend machend, ergriff den Arm des Soldaten und folgte dem Kundschafter und den Indianern, die bereits den Pfad zum Fort eingeschlagen hatten.

Die Abendschatten hatten die schauerliche Öde der Ruinen von »William Henry« noch vermehrt. Der Kundschafter und seine Gefährten trafen sogleich die nötigen Vorkehrungen, um zu übernachten. Einige Balken wurden gegen eine vom Rauch geschwärzte Mauer gelehnt. Unkas bedeckte sie mit Zweigen und deutete auf die einfache Hütte. Heyward überredete Munro, einzutreten, um sich einige Ruhe zu gönnen. Er selbst begab sich sogleich wieder hinaus, denn er war zu aufgeregt, um jetzt zu schlafen. Während Falkenauge und die Indianer ihr Feuer anzündeten und ihre Abendmahlzeit verzehrten, die aus gedörrtem Bärenfleisch bestand, stieg er auf die Trümmer einer der Bastionen, die einen Ausblick auf die Wasserfläche des Horican gewährten.

Der Wind hatte sich gelegt, und die Wogen bewegten sich am Sandufer zu seinen Füßen regelmäßiger und weniger ungestüm. Die Wolken zerteilten sich. Hier und da kämpfte ein funkelnder Stern mit dem Nebel. Auf den benachbarten Bergen ruhte bereits undurchdringliche Finsternis, und die Ebene glich einem großen, verlassenen Totenhaus.

Nach einer Weile war ihm, als kämen von dorther unerklärliche Töne zu ihm herüber, leise und unbestimmt, so daß er völlig ungewiß blieb, ob er sich nicht täusche. Er schämte sich seiner Unrulre, die ihn bei diesen seltsamen Lauten ergriff. Um sich abzulenken, blickte er wieder auf den See und die funkelnden Sterne, die sich in den Wellen spiegelten.

Doch immer wieder vernahm er die leisen Töne, und es war ihm, als ob sie ihn vor einer verborgenen Gefahr warnen wollten; ein kaum wahrnehmbams Geräusch schien nahende Schritte anzukünden. Da rief Duncan leise den Kundschafter. Falkenauge nahm seine Büchse unter den Arm und näherte sich dem Major mit sorgloser, ruhiger Miene.

»Hört!« sagte Duncan, »hört Ihr die halblauten Töne auf der Ebene? Es scheint uns jemand zu belauschen.«

»Wer sollte auf dem Leichenfeld sein?« antwortete der Kundschafter kaltblütig.

»Möglicherweise ist ein Irokese zurückgeblieben, um die Toten zu plündern. Wir löschen besser das Feuer aus. Horcht doch! Hört Ihr das Geräusch nicht, das ich meine?«

»Ein Indianer schleicht selten unter den Toten umher. Er fürchtet, die Geister zu stören.«

Sie schwiegen eine Weile, bis Duncan plötzlich wieder flüsterte:

»Hört Ihr’s? Da ist es wieder.«

»Ja, ja, die Wölfe sind immer auf den Beinen«, entgegnete der Kundschafter. Er wollte schon zurückgehen, als er plötzlich regungslos stehenblieb. »Still — was war das?«

»Ich denke, es sind Wölfe«, sagte Heyward.

Falkenauge schüttelte den Kopf und gab Duncan einen Wink, aus dem Schein des Feuers zu treten. Dann lauschte er mit gespannter Aufmerksamkeit, ob der leise Ton sich nicht wiederholen würde. Aber es rührte sich nichts.

»Wir müssen Unkas rufen«, flüsterte er schließlich. »Er ist ein Indianer und hört leicht, was wir nicht hören können.«

Der junge Mohikaner, der am Feuer saß und leise mit seinem Vater sprach, fuhr zusammen, als er den Ruf einer Eule hörte, und sprang sofort auf. Er sah sich vorsichtig nach allen Seiten um und näherte sich dann dem Kundschafter. Falkenauge flüsterte ihm einige Worte zu, worauf sich Unkas mit dem Gesicht auf den Rasen warf. Er blieb eine Zeitlang ruhig und bewegungslos liegen. Einige Augenblicke später aber war der ausgestreckte Körper des Mohikaners verschwunden.

»Wo ist er?« fragte Duncan den Kundschafter.

»Pst! Sprechen Sie leiser, denn wir wissen nicht, wer uns belauscht. Unkas ist fortgekrochen, und wenn sich irgendein Mingo blicken läßt, so wird er sehen, daß er jemanden vor sich hat, der es mit ihm aufnehmen kann.«

»Aber um Gottes willen«, flüsterte Heyward erregt, »was wird alle Chingachgook? Man kann seine Gestalt bei dem hellen Feuer dort deutlich sehen. Er wird das erste Opfer eines Pfeils aus dem Dunkel!«

»Leise, leise«, erwiderte der Kundschafter, der eine ungewöhnliche Unruhe verriet. »Eine einzige verdächtige Bewegung von unserer Seite, kann einen Angriff auslösen, ehe wir Widerstand leisten können. Der Häuptling weiß bereits durch das Signal, das ich Unkas gegeben habe, daß etwas Ungewöhnliches vergeht. Ich will ihn durch ein zweites Zeichen darauf aufmerksam machen, daß Mingos in unsrer Nähe sind.«

Falkenauge legte nun seine Finger an den Mund und ließ einen leisen zischenden Ton hören, bei dem Duncan zusammenfuhr, weil er eine Schlange zu hören glaubte. Chingachgook hatte den Kopf in die Hand gestützt und schien in Gedanken versunken. Als er den warnenden Ton vernahm, richtete er sich auf und blickte lebhaft nach allen Seiten. Diese plötzliche Bewegung war die einzige, die seine Überraschung verriet. Er griff nicht nach seiner Büchse. Ebenso ließ er den Tomahawk, den er vom Gürtel losgemacht hatte, wieder sinken. Dann stützte er den Kopf in die andere Hand und wartete das Kommende mit großer Ruhe ab. Heyward bemerkte jedoch, daß der Mohikaner den Kopf seitwärts neigte, um auf jedes Geräusch besser achten zu können.

»Sehen Sie den Häuptling!« flüsterte Falkenauge. »Er weiß, daß die geringste Bewegung Gefahr bringen könnte und uns ohne Gnade dieser Satansbrut —«

Der Knall einer Büchse zerriß die Stille der Nacht. Feuerfunken flogen durch die Luft. Chingachgook war im gleichen Augenblick, wie Heyward mit einem Blick feststellen konnte, verschwunden. Der Kundschafter spannte seine Büchse und wartete ungeduldig, ob sich ein Feind zeigen würde. Aber es geschah nichts weiter. Einige Male glaubten die beiden ein entferntes Rauschen in den Gebüschen zu hören, doch Falkenauge deutete erklärend auf ein Rudel fliehender Wölfe, die der Schuß verscheucht hatte. Einige Minuten vergingen so in Ungewißheit. Plötzlich hörte man etwas im Wasser plätschern, und gleich darauf krachte ein zweiter Flintenschuß.

»Das ist Unkas!« sagte der Kundschafter. »Der Junge hat eine gute Büchse. Ich kenne ihren Knall.«

»Was soll das heißen?« fragte Duncan aufgeregt.

»Der erste Schuß beweist, daß man nichts Gutes gegen uns im Schilde führte. Glücklicherweise jedoch ist dem Häuptling nichts geschehen«, sprach Falkenauge ernst weiter, als er Chingachgook in der Nähe des Feuers wieder zum Vorschein kommen sah.

»Nun, wie steht es?« fragte er, indem er auf diesen zuging. »Greifen uns die Mingos an, oder ist es nur so ein Gesindel, das sich auf Schlachtfeldern aufhält, um irgendeinem Toten die Kopfhaut abzuziehen?«

Chingachgook ging ruhig an seinen Platz zurück und gab keine Antwort, bis er ein Stück Glut untersucht hatte, das die Kugel vorhin aus dem Feuer geschleudert hatte. Dann hob er einen Finger und sagte in englischer Sprache bloß das Wort: »Einer!«

»Das dachte ich mir«, erwiderte Falkenauge. »Und da er sich im See versteckt hat, ehe Unkas seine Büchse abfeuern konnte, ist der Schurke sicherlich entkommen.«

Chingaohgook nahm seine frühere Stellung wieder ein. Seine Kaltblütigkeit war nicht gestört. Gleich darauf kam auch Unkas zurück und setzte sich mit derselben Ruhe und Gleichgültigkeit ans Feuer. Es schien, als hätten die Waldbewohner geheime Zeichen, durch die sie sich wortlos miteinander verständigten.

»Was ist aus dem Kerl geworden, Unkas?« fragte der Kundschafter nach längerem Schweigen. »Wir hörten den Knall deiner Büchse; hoffentlich hast du sie nicht vergeblich abgefeuert?«

Der junge Mohikaner hob eine Falte seines Jagdrocks und zeigte ruhig den Skalp, der als Siegeszeichen an seinem Gürtel befestigt war. Chingachgook legte seine Hand an die Kopfhaut und betrachtete sie kurz. Dann ließ er sie fahren und rief verächtlich: »Hugh! Oneida!«

»Ein Oneida!« wiederholte Falkenauge ernst. »Bei Gott, wenn die Oneidas uns auflauern, während wir die Irokesen verfolgen, so sind wir auf allen Seiten von Teufeln umringt.«

Die beiden Indianer schwiegen und saßen unbeweglich am Feuer. Duncan begab sich wieder auf den Wall. Er fühlte sich an einem Ort, wo leicht ein ähnlicher Angriff stattfinden konnte, beunruhigt. Die drei Waldläufer aber, die zurückblieben, glaubten sich in völliger Sicherheit und wollten nun gemeinschaftlich beraten, was weiter zu tun sei.

Chingachgook zündete zunächst eine kunstvoll verzierte Pfeife an, deren Kopf aus einem weichen Stein geschnitzt war. Nachdem er schweigend einige Züge geraucht hatte, gab er sie dem Kundschafter.

Dieser reichte sie nach etlichen Zügen an Unkas. So machte die Pfeife, während das tiefste Schweigen herrschte, dreimal die Runde. Schließlich verkündete Chingachgook als der Älteste und Angesehenste unter ihnen mit Ruhe und Würde den Gegenstand der Beratung. Der Kundschafter antwortete, und Chingachgook machte einige Einwendungen, die der andere zu widerlegen suchte. Nur Unkas bewahrte ein ehrerbietiges Schweigen, bis ihn Falkenauge um seine Meinung fragte. Heyward schloß aus den Gebärden der Sprechenden, daß Vater und Sohn einer Meinung waren, während der Weiße eine andere vertrat. Der Wortwechsel wurde allmählich lebhafter, da keiner seine Ansicht aufgeben wollte. Unkas Meinung wurde mit der gleichen Aufmerksamkeit angehört wie die Worte seines Vaters. Niemand kam aus Ungeduld den Worten des andern zuvor. Jeder nahm sich einige Minuten Zeit, um über das Gesagte und über die Antwort schweigend nachzudenken. Die Sprache der Mohikaner begleiteten so natürliche und ausdrucksvolle Gebärden, daß Heyward das Gespräch verfolgen konnte. Allem Anschein nach wiederholten die Indianer die Schilderung der verschiedenen Zeichen, nach denen man sich bei einer Reise durch die Wälder richten mußte, und es ging deutlich aus ihren Gebärden hervor, daß sie die Verfolgung zu Lande fortsetzen wollten. Der Kundschafter dagegen wies einige Male nach der Gegend des Horican und schien die Reise zu Wasser machen zu wollen. Als die Angelegenheit Gefahr lief, gegen ihn entschieden zu werden, stand Falkenauge plötzlich auf und bediente sich aller Künste der indianischen Beredsamkeit. Seinen Arm emporhebend, bezeichnete er den Lauf der Sonne von Osten nach Westen und wiederholte die Zeichen für jenen Tag, der zur Reise nötig war. Dann beschrieb er auf der Erde durch lange, krumme Linien die Hindernisse, die Berge und Flüsse ihnen in den Weg stellten. Das Alter und die Schwäche Munros suchte er ebenfalls durch Gebärden aufs täuschendste anschaulich zu machen. Auch Duncans Ausdauer schien er in Zweifel zu ziehen, denn Heyward hörte ihn das Wort »Offene Hand« aussprechen — ein Name, den er wegen seiner Freigebigkeit von allen Stämmen der befreundeten Indianer erhalten hatte. Falkenauge ahmte darauf die Bewegung eines Kahns nach und ging, um den Kontrast hervorzuheben, mit dem langsamen und schwankenden Schritt eines Ermüdeten umher. Zum Schluß deutete er auf die Kopfhaut des Oneida und wollte dadurch offenbar andeuten, wie nötig es sei, rasch aufzubrechen.

Die Mohikaner hörten ihm ernst zu. In ihren Gesichtern zeigte sich deutlich der Eindruck, den die Rede auf sie machte. Schließlich bekehrten sie sich zu Falkenauges Meinung. Als der Entschluß einmal gefaßt war, streckte sich Falkenauge vor dem allmählich erlöschenden Feuer auf den Boden aus und schlief sofort ein. Die beiden Mohikaner sprachen noch eine Zeitlang leise miteinander. Dann hüllte Chingachgook den Kopf in die Decke, die er auf den Schultern trug, und streckte sich ebenfalls auf der Erde aus. Unkas schürte die Glut zu einem Häuflein zusammen, um die Füße seines Vaters zu erwärmen, und dann suchte er sich auch ein Lager. Heyward, dem das Sicherheitsgefühl dieser Waldbewohner Vertrauen einflößte, folgte ihrem Beispiel. Als es Mitternacht war, waren alle, die in den Ruinen von »William Henry« Schutz gesucht hatten, in Schlaf gesunken.

16

Der Himmel war noch mit Sternen besät, da weckte schon Falkenauge die Schläfer. Munro und Heyward waren bereits auf den Beinen, und der Kundschafter grüßte sie mit einer ausdrucksvollen Gebärde, die ihnen zu schweigen gebot.

»Sprechen Sie nicht eine Silbe«, flüsterte er, »denn selten treffen die Weißen in den Wäldern den rechten Ton. Das haben wir am Beispiel des Sängers deutlich gesehen. Kommen Sie«, fuhr er fort, indem er sich einer zerstörten Bastion näherte, »wir wollen hier in den Graben hinuntersteigen. Nehmen Sie sich in acht, daß Sie nicht an die Steine und Trümmer stoßen.«

Die beiden folgten ihm. Als sie einige Schritte in dem Graben, der das Fort von drei Seiten umgab, gegangen waren, fanden sie ihn völlig mit Trümmern übersät, die den Weg sehr hemmten. Schließlich erreichten sie unter mühsamen Anstrengungen das Ufer des Horican.

»Das ist eine Fährte, die man bloß mit der Nase verfolgen kann«, sagte Falkenauge, der den schwierigen Pfad zufrieden zurückblickte. »Gras ist ein verräterischer Teppich. Auf Holz und Stein jedoch bleibt keine Spur zurück. Hätten Sie Ihre schweren Stiefel angehabt, so hätten wir allerdings nicht mehr ganz ohne Sorge sein können; mit Mokassins aber kann man sich den Felsen ganz gut anvertrauen. — Rudere näher heran, Unkas!« rief er dann. »Im Sand bleibt leicht eine Spur zurück. Langsam, Junge! Der Kahn darf nicht ans Ufer stoßen.«

Der junge Indianer war sehr vorsichtig, und der Kundschafter holte aus den Trümmern ein Brett, legte es vom Ufer aus auf den Kahn und winkte den beiden Offizieren einzusteigen. Dann folgte er selbst, nachdem er sich vergewissert hatte, daß sie keine Spur zurückließen. Zuletzt warf er das Brett zu den Trümmern zurück, die am Ufer umherlagen Schweigend ruderten sie auf den See hinaus, und die Umrisge des zerzerstörten Forts verschwanden allmählich in der Dämmerung.

Der Tag war soeben angebrochen, als sie in der Gegend, wo der Horican enger wird, rasch, jedoch mit der nötigen Vorsicht, zwischen einigen kleinen Inseln hindurchfuhren. Auf diesem Weg hatte sich Montcalm mit seiner Truppe zurückgezogen; es war also nicht ausgeschlossen, daß ein Trupp Indianer auf einer der Inseln zurückgeblieben war. Chingachgook ließ daher den Kundschafter allein weiterrudern und musterte aufmerksam Insel um Insel, Busch um Busch, ja auch die Felsen, die sich am Ufer erhoben. Heyward, dem die Naturschönheiten dieser Gegend sehr gefielen, glaubte schon, daß jede Furcht hier ziemlich unbegründet sei, als die Ruderer auf ein von Chingachgook gegebenes Zeichen plötzlich innehielten.

»Hugh!« rief Unkas fast im gleichen Augenblick.

»Was gibt’s?« fragte der Kundschafter. »Der See ist klar und ruhig, Ich kann eine Strecke von mehreren Meilen übersehen, ohne daß sich ein schwarzer Punkt im Wasser zeigt.«

Der Indianer hob bedächtig sein Ruder empor und deutete auf eine Insel hin.

»Ich sehe nichts als Land und Wasser«, sagte Heyward.

»Pst!« unterbrach ihn der Kundschafter. »Sehen Sie den leichten Nebelstreif, Major, der über der Insel émfsteigt?«

»Das ist Dunst, der aus dem Wasser steigt.«

»Aber sehen Sie nicht, daß dieser Dunst nach unten zu schwärzer ist und daß er aus dem Dickicht am Ende der Insel herkommt? Es ist der Rauch eines Feuers, und zwar eines Feuers, das nahe am Erlöschen ist. Jetzt tut Eile not.«

Die Rudernden boten nun ihre ganze Kraft auf, um das Kanu in pfeilschnelle Bewegung zu versetzen. Nach wenigen Minuten hatten sie eine Stelle erreicht, von der aus man das bisher verborgene nördliche Ufer der Insel sah.

»Ich habe mich nicht geirrt!« flüsterte der Kundschafter. »Da sind sie. Jetzt sieht man den Rauch ganz deutlich, und dort sind auch zwei Kähne. Die Schurken haben uns noch nicht gesehen, sonst hätten wir ihr verdammtes Kriegsgeheul schon gehört. Vorwärts Freunde! Wir sind schon weit von ihnen weg, und eine Kugel kann uns nicht mehr erreichen.«

Da zerriß der Knall einer Büchse die Stille, und ein schrilles Geschrei vom Ufer her unterbrach seine Worte und verkündete deutlich, daß sie entdeckt seien. Mehrere Wilde stürzten zu den Kanus, die gleich darauf die Wellen durchschnitten. Falkenauge und die beiden Mohikaner blieben jedoch völlig ruhig und setzten nur die Ruder eifrig in Bewegung. Das kleine Boot schien nun einem Vogel gleich dahinzufliegen.

»Halte diese Entfernung, Chingachgook«, sagte Falkenauge und blickte ruhig über die Schulter des Mohikaners. »Die Irokesen haben kein Gewehr, das so weit reicht, und auf meinen Wildtöter kann ich mich verlassen.«

»Hugh«, rief Unkas plötzlich und wies auf das östliche Felsenufer, wo soeben ein anderes Boot abstieß und gerade auf sie zukam. Nun war ihre Lage höchst gefährlich. Falkenauge legte seine Büchse weg und griff nach dem Ruder. Chingachgook steuerte jetzt das Kanu mehr dem westlichen Ufer zu, um sich von den neuen Feinden so weit wie möglich entfernt zu halten. Bald ruderten die beiden Boote in paralleler Richtung, etwa zweihundert Ruten weit voneinander entfernt. Die Bewegung der leichten Fahrzeuge war so schnell, daß die kräuselnden Wellen lebhaft vor ihnen tanzten. Die Zahl der Verfolger war bei weitem größer als die der Verfolgten, und Duncan bemerkte, daß der Kundschafter sich unruhig umsah, um eine Möglichkeit zu finden, ihre Flucht zu beschleunigen.

»Steuer noch ein wenig weiter von der Sonne weg, Chingachgook!« rief er, »denn ich sehe, daß einer der Schurken das Ruder beiseite legt, um nach seiner Büchse zu greifen. Wir wollen die Insel da zwischen sie und uns bringen.«

Eine lange, bewaldete Insel lag vor ihnen. Sie ruderten an ihrer linken Seite entlang und konnten so die Irokesen einige Zeit nicht sehen. Als die beiden Kähne endlich an der Nordspitze der Insel anlangten, hatten die Flüchtlinge einen bedeutenden Vorsprung.

»Du weißt, was ein Kanu aus Birkenholz wert ist, Unkas, sonst hättest du nicht unter den Booten bei ›William Henry‹ gerade dieses gewählt«, sagte der Kundschafter lächelnd. »Die Schurken rudern jetzt mit aller Kraft, und wir müssen unsere Schädel, statt mit Pulver und Blei, mit den Rudern verteidigen.«

Eine Salve der Irokesen unterbrach den Kundschafter. Eine Kugel traf das Ruder Chingachgooks, entriß es seinen Händen und schleuderte einige Fuß weit in die Wellen. Die Irokesen stießen ein Freudengeschrei aus. Unkas beschrieb mit seinem Ruder einen Halbkreis im Wasser, wodurch der Kahn sich dem Ruder seines Vaters näherte. Der zog es aus dem See und schwang es im Triumph über seinen Kopf. Dabei stieß er das Kriegsgeschrei der Mohikaner aus. Der laute Ruf: »Die Große Schlange!« klang wie ein Echo aus den Kähnen der Irokesen zurück. Der Kundschafter legte nun das linke Ruder hin und schwang seinen Wildtöter triumphierend über dem Kopf. Die Indianer beantworteten diesen Hohn durch ein lautes Geheul und eine zweite Gewehrsalve. Die Kugeln fielen mit Ausnahme einer, die in den Boden des Bootes einschlug, ins Wasser. Falkenauge wandte sich unerschrocken an Heyward und sagte:

»Die Schurken hören zwar gern ihre Büchsen knallen, sie können aber von einem Kanu aus, das auf den Wellen tanzt, nicht richtig zielen. Um Laden und Schießen zu können, haben die dummen Kerle einen ihrer Mannschaft von den Rudern weggenommen.«

Duncan indes war nicht so ganz ruhig wie seine Gefährten, vielleicht weil er die Geschwindigkeit der beiden Kähne nicht so gut berechnen konnte. Er sah jedoch, daß sie den Feinden einen kleinen Vorsprung abgewonnen hatten. Als die Irokesen ihre Gewehre wieder abfeuerten, traf eine Kugel das Ruder des Kundschafters.

»Das nenne ich einen Schuß!« sagte Falkenauge und betrachtete die leichte Vertiefung, die die Kugel in dem Ruder zurückgelassen hatte. »Nicht durch die Haut eines Kindes wäre diese Kugel gegangen. Major, wollen Sie einstweilen das Ruder übernehmen? Ich möchte meinen Wildtöter auch einmal zu Wort kommen lassen!«

Während Heyward das Ruder übernahm, griff der Kundschafter nach seiner Büchse. Kaum war das Gewehr abgefeuert, als ein Indianer im feindlichen Boot zurücksank. Zwar raffte er sich sogleich wieder auf, doch waren seine Bewegungen wild und verstört. Die Verfolger hörten nun auf zu rudern, und alle drei Kanus blieben stehen. Chingachgook und Unkas benutzten die Pause, um Atem zu schöpfen. Duncan aber ruderte unablässig fort.

»Sachte! Sachte! Major!« rief der Kundschafter. »Wir sind schon zu weit entfernt, als daß eine Kugel die Schurken erreichen könnte.«

Er warf einen Blick auf die feindlichen Boote, legte seine Büchse hin und löste den vom Rudern ermüdeten Duncan ab. In wenigen Minuten war die Entfernung von den Irokesen so groß, daß Duncan aufatmete.

Das Ufer, dem sie sich nun näherten, wurde von hohen und steilen Bergen begrenzt. Statt jedoch ans westliche Ufer zu fahren, an dem sie an Land steigen mußten, steuerte der schlaue Mohikaner den Bergen zu, hinter denen Montcalm seine Armee in die sichere Festung Ticonderoga geführt hatte. Es gab zwar keinen ersichtlichen Grund zu dieser Vorsichtsmaßregel, denn die Irokesen hatten die Verfolgung allem Anschein nach aufgegeben. Trotzdem aber steuerte der Mohikaner mehrere Stunden lang in dieser Richtung fort, bis das Fahrzeug endlich in einer kleinen Bucht am nördlichen Seeufer anlangte. Hier stiegen die Reisenden ans Land, und das Kanu wurde aus dem Wasser gezogen.

Falkenauge und Heyward begaben sich auf eine nahe Anhöhe und sahen mehrere Minuten lang schweigend auf die klare Wasserfläche des Sees. Endlich machte Falkenauge Heyward auf einen schwarzen Punkt aufmerksam, der sich in der Entfernung von mehreren Meilen in der Nähe eines Vorgebirges zeigte.

»Sehen Sie das dort?« fragte er. »Wofür würden Sie Ihrer Erfahrung nach diesen Punkt halten?«

»In dieser Entfernung würde ich ihn seiner Größe nach für einen Wasservogel halten, wenn es überhaupt ein lebendes Wesen ist.«

»Es ist ein Kanu, in dem sich wilde und verschlagene Mingos befinden. Die Schurken dort tun so, als dächten sie an nichts als an ihr Nachtmahl. Sowie die Dunkelheit aber eintritt, werden sie auf unserer Fährte sein wie Spürhunde. Wir müssen sie irreführen, oder die Verfolgung Maguas mißlingt.«

»Also dann los! Laßt uns keinen Augenblick verlieren!« erwiderte Heyward.

»Der Rauch, den Sie dort längs dem Felsen hinter dem Kanu emporsteigen sehen, gefällt mir nicht«, unterbrach ihn Falkenauge. »Ich wette, daß ihn noch andere sehen, und wissen, was er zu bedeuten hat.«

Mit diesen Worten stieg Falkenauge, in tiefes Nachdenken versunken, von der Anhöhe herab und begab sich ans Ufer, wo er seinen Freunden in delawarischer Sprache seine Beobachtungen mitteilte.

Daraufhin trugen sie nun gemeinsam das Kanu auf den Schultern fort und hüteten sich, als sie den Wald betraten, Spuren ihres Weges zurückzulassen. Sie erreichten bald einen kleinen Bach, den sie durchschritten, und befanden sich jetzt in der Nähe eines kahlen Felsens. Hier konnten die Spuren ihrer Schritte von ihren etwaigen Verfolgern nicht bemerkt werden, und sie kehrten von da wieder zum Bach zurück, wobei sie sich der Vorsicht bedienten, rückwärts zu gehen.

Der Bach, der sich hier zu einem kleinen Fluß erweiterte, konnte das Kanu tragen. Sie fuhren bis zur Mündung hinab und erreichten wieder den See. Ein vorspringender Felsen schützte sie hier vor den Blicken der Irokesen, und das Seeufer war eine Strecke weit mit dichten und tief herabhängenden Gebüschen bedeckt.

So fuhren sie schweigend am Strand entlang, bis der Kundschafter es für ratsam hielt, abermals zu landen. Als die Dämmerung einbrach, stiegen sie wieder in ihren Kahn und ruderten so schnell wie möglich dem westlichen Ufer zu. Chingachgooks geübtes Auge entdeckte bald einen kleinen Hafen, in den er das Kanu vorsichtig steuerte. Jetzt würde das leichte Fahrzeug wieder ans Ufer gezogen, eine Strecke weit in den Wald getragen und schließlich sorgfältig unter einem Haufen Strauchwerk verborgen. Die Männer nahmen ihre Waffen und ihr Gepäck und machten sich auf den Weg.

Sie waren an der Grenze eines fast menschenleeren Gebietes angelangt; Falkenauge und die Mohikaner hatten aber die Berge und Täler dieser Wildnis mehr als einmal durchwandert und drangen jetzt ohne Bedenken in den Wald ein. Mehrere Stunden lang setzten sie ihren beschwerlichen Weg fort, indem sie bald einem Stern, bald dem Lauf eines Bachs folgten. Endlich machte der Kundschafter halt. Nach einer kurzen Beratung zündete man ein Feuer an und traf Vorkehrungen, die Nacht an dem Ort zuzubringen, an dem man sich gerade befand. Die Zuversicht ihrer Begleiter flößte nun auch Munro und Heyward Vertrauen ein.

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Der Nebel hatte sich zerstreut, heller Sonnenschein lag auf dem Wald, als die fünf am anderen Tag ihre Reise fortsetzten. Nachdem Falkenauge, der stets anführte, einige Meilen zurückgelegt hatte, begann er langsamer und aufmerksamer zu gehen. Öfters blieb er stehen, um die Bäume genau zu untersuchen, auch ging er über keinen Bach, ohne Schnelligkeit, Tiefe und Farbe des Wassers festzustellen. Zuweilen fragte er Chingachgook nach seiner Meinung und besprach sich sehr ernst und lange mit ihm. Schließlich wandte er sich auch an den Major und erklärte ihm die Verlegenheit, in der er sich befand.

»Als ich bemerkte«, sagte er, »daß die Spuren der Irokesen nach Norden führen, konnte ich mit gutem Grund annehmen, sie würden den Weg in die Täler einschlagen und zwischen den Gewässern des Hudson und des Horican haltmachen, bis sie zu den Quellen der Ströme von Kanada und weiter in das Herz des von den Franzosen besetzten Landes gelangten. Hier sind wir nun nicht mehr weit vom Scavoon, und wir haben noch nicht eine einzige Spur gefunden.«

»Hoffentlich haben wir keinen Fehler gemacht!« rief Duncan. »Wäre es nicht doch besser, lieber umzukehren und die Gegend sorgfältig zu untersuchen? Und weiß auch Unkas keinen Rat?«

Wie als Antwort auf Duncans Frage hörte man in diesem Augenblick ein lautes »Hugh!« Der junge Mohikaner stand mit triumphierender Miene auf einer Anhöhe.

Falkenauge kletterte sofort zu Unkas hinauf und rief dann zu den ungeduldig Wartenden hinunter:

»Wirklich, das sind ihre Spuren! Der Junge hat für sein Alter ein scharfes Auge und einen guten Verstand.«

»Seht!« sagte Unkas, auf die Spuren deutend, »das Mädchen mit dem dunklen Haar ist auf der Seite der Kälte zu gegangen.«

»Nie fand ein Spürhund eine schönere Fährte!« rief der Kundschafter und setzte sogleich seinen Weg in Richtung der bemerkten Spuren fort. »Wir haben großes Glück gehabt und brauchen jetzt nur unserer Nase nachgehen. Da sind auch die Spuren der beiden Pferde, die den wunderlichen Gang haben. Dieser Irokese reist wie ein General unter den weißen. Er ist toll und mit Blindheit geschlagen. Sieh doch einmal zu, Chingachgook«, fuhr er lachend fort, »ob du keine Spur von Wagenrädern findest; wir sehen den Narren am Ende noch in einer Kutsche einherfahren, während ihm die besten Augen im Lande dicht auf den Fersen sind.«

Des Kundschafters Mut und Fröhlichkeit über den Erfolg gaben Heyward und Munro neue Hoffnung. Unterbrach ein Felsen, ein Bach, ein ungewöhnlich harter Boden die Spur, so gelang es dem geübten Auge des Kundschafters leicht, sie wieder zu entdecken, und nur selten waren sie gezwungen, stehenzubleiben. Der schlaue Irokese hatte übrigens die Kunstgriffe nicht unterlassen, deren sich die Indianer bedienen, wenn sie sich vor einem Feind zurückziehen. Häufig stießen die Reisenden auf falsche, absichtlich gemachte Spuren. Aber Maguas Verfolger ließen sich dadurch nur selten täuschen.

Am Nachmittag gingen sie über den Scavoon und zogen nun der untergehenden Sonne entgegen. Sie durchquerten eine Schlucht, durch die ein kleiner Bach floß, und gelangten schließlich an eine Stelle, wo Magua mit seinen Gefangenen offenbar haltgemacht hatte. Erloschene Feuerbrände lagen um eine Quelle, und am Gras und den Gebüschen zeigten sich unverkennbare Merkmale, daß die Pferde hier geweidet hatten. So stark aber auch all diese Spuren an diesem Platz ausgeprägt waren, außerhalb eines gewissen Umkreises hörten sie plötzlich auf und ließen die Reisenden abermals in Ungewißheit. Zwar war es leicht, die Spuren der Pferde zu verfolgen, aber sie schienen ohne Führer umhergelaufen zu sein. Endlich bemerkte Unkas eine Spur, die ganz frisch zu sein schien. Bevor er ihr nachging, machte er die andern mit dieser Entdeckung bekannt, und während sie noch über den sonderbaren Umstand sprachen, erschien der junge Indianer mit den beiden Pferden, deren Sättel zerrissen waren, als wären sie tagelang allein umhergestreift.

»Was bedeutet das?« fragte Duncan erblassend.

»Das bedeutet«, erwiderte Falkenauge, »daß unsere Reise sich ihrem Ziel nähert und daß wir uns in friedlichem Land befinden. Wären wir dem Schurken früher auf den Leib gerückt, so wäre es leicht möglich gewesen, daß er die Skalpe der Mädchen mitgenommen hätte. Da ihm aber kein Feind folgte und er so gute Pferde hatte, stehe ich dafür, daß er ihnen kein Haar gekrümmt hat. Ich habe gehört, daß die mit den Franzosen befreundeten Indianer in diese Wälder herüberkommen, um zu jagen — wir können wohl nicht weit von ihrem Lager entfernt sein!«

Falkenauge und die Mohikaner machten sich nun sorgfältig daran, die Menschenspuren zu finden. Ein Kreis von einigen hundert Fuß wurde um den Platz gezogen, und jeder machte sich an die Untersuchung eines Abschnittes, niemand aber hatte Erfolg.

»Bei dieser List muß der Teufel im Spiel gewesen sein!« rief Falkenauge, als er die bestürzten Blicke seiner Gefährten bemerkte. »Chingachgook, wir müssen den Boden von der kleinen Quelle an noch einmal Zoll für Zoll untersuchen.«

Unkas, der zuerst fertig war, kam auf den Gedanken, einen kleinen Damm von Steinen und Erde über den Bach zu ziehen, der aus der Quelle sprang. Er hemmte so den Ablauf des Wassers, das sich einen andern Weg suchen mußte. Sobald das schmale Bett unter dem Damm trocken war, bückte er sich neugierig, um es zu untersuchen. Ein Schrei verkündete, daß er etwas entdeckt hatte. Die übrigen versammelten sich um ihn, und er zeigte ihnen auf dem feinen und feuchten Sand die Spuren eines Halbstiefels.

»Der Junge macht seinem Volk Ehre!« rief Falkenauge. »Da haben wir die Spur des Psalmsängers. Jetzt ist mir die ganze Sache klar. Der Sänger ist ein Mann, dessen Begabungen nur in der Kehle und in den Füßen liegen. Man hat ihn vorausgehen lassen, und die, die ihm folgten, haben ihre Füße in seine Fußstapfen gesetzt.«

»Aber«, sagte Duncan, »ich sehe keine Spuren von …«

»Von den beiden jungen Mädchen?« unterbrach ihn der Kundschafter. »Der Schurke wird schon Mittel gefunden haben, sie so weit zu tragen, bis er alle Vorsicht überflüssig glaubte.«

Man folgte nun dem Lauf des Baches, in dessen Bett sich immer die leichen Spuren zeigten. Das Wasser drängte bald wieder nach, und man mußte am Ufer weitergehen. Über eine halbe Meile hatten sie so zurückgelegt, als sie an eine Stelle kamen, wo der Bach am Fuß eines großen, kahlen Felsens einen Winkel bildete. Hier machten sie halt, um näher zu untersuchen, ob der Irokese über die Anhöhe hinweggegangen war. Wirklich gelang es Unkas‘ auf einem Büschel Moos die Fußstapfen eines Indianers zu entdecken. Die Fußspitze war gegen ein nahes Gebüsch gerichtet, und Unkas, der sogleich darauf zueilte, fand dort alle Spuren frisch und deutlich wieder. Falkenauge warf einen Blick nach der untergehenden Sonne und trieb nun seine Begleiter derart an, daß Heyward und Munro kaum Schritt halten konnten.

»Ich wittere die Irokesen«, sagte Falkenauge nach einiger Zeit. »Dort schimmert der Himmel durch die Bäume, und wir kommen wahrscheinlich schon dem Lager nahe. Chingachgook, steig auf die Anhöhe rechts, und du, Unkas, kannst dich auf der linken halten, die am Bach hinläuft, während ich die Spur verfolge. Wer etwas bemerkt, benachrichtigt die andern, indem er dreimal wie eine Krähe krächzt. Ich habe mehrere dieser Vögel über der abgestorbenen Eiche dort flattern sehen, und das ist auch ein Zeichen, daß wir uns in der Nähe eines indianischen Lagers befinden.«

Die Mohikaner entfernten sich, und Falkenauge setzte seinen Weg mit den beiden Offizieren fort. Nach einiger Zeit bat er den jungen Engländer, sich zum Waldsaum zurückzuziehen und ihn dort zu erwarten. Duncan wandte sich zur bezeichneten Stelle und befand sich bald auf einer Anhöhe, von der aus er eine sehr gute Aussicht hatte. Eine Strecke weit waren alle Bäume gefällt, und die Helle des milden Sommerabends lag auf der Lichtung, einen schönen Kontrast mit der dunkleren Färbung der Wälder bildend. In geringer Entfernung von der Stelle, wo Duncan stand, hatte sich der Bach zu einem kleinen See erweitert, der den größten Teil der Niederung zwischen den Bergen einnahm und aus diesem weiten Becken in einem so regelmäßigen und sanften Wasserfall abfloß, daß man eher das Werk von Menschenhänden als ein Gebilde der Natur zu erblicken glaubte. Hunderte von Wohnungen aus Erde und Zweigen standen am Rande des Sees und zeugten davon, daß dieses Gebiet von Bibern bewohnt wurde. Die eigentümlichen, zum Schutz gegen Unwetter wundersam gerundeten Dächer bewiesen mehr Umsicht und Sorgfalt, als Eingeborene ihren Hütten sonst zu widmen pflegten.

Während Heyward noch in die Betrachtung dieses kunstvoll ausgebauten kleinen Dorfes versunken war, fuhr er plötzlich zusammen. Er vernahm in unmittelbarer Nähe ein Geräusch in den Büschen und erblickte gleich darauf einen fremden Indianer. Unbeweglich blieb Heyward hinter seinem Gesträuch stehen und beobachtete aufmerksam die Bewegungen des Fremden.

Das Gesicht des Indianers war sehr bemalt, daß man den Ausdruck seiner Züge schwer erkennen konnte. Sein Haupt war kahlgeschoren. Nur auf dem Scheitel stand ein Haarbüschel, an dem drei oder vier verblichene Falkenfedern befestigt waren. Ein abgetragener Mantel bedeckte seinen Körper, und ein Paar Halbstiefel aus gutem Bärenfell vervollständigten seine armselige Kleidung. Duncan betrachtete seinen Nachbarn noch neugierig, als plötzlich der Kundschafter vorsichtig an seine Seite schlich.

»Ihr seht«, flüsterte der Major, »wir haben die Niederlassung oder das Lager erreicht. Dort steht schon ein Wilder.«

Falkenauge stutzte und hob geräuschlos die Büchse. Er reckte seinen Hals, um den verdächtigen Fremdling näher zu betrachten, ließ aber bald darauf sein Gewehr wieder sinken und sagte:

»Das ist kein Irokese, er gehört auch zu keinem der kanadischen Stämme. An seinen Kleidern aber können Sie sehen, daß der Schurke einen Weißen geplündert hat.«

»Er scheint keine Waffen bei sich zu tragen«, entgegnete Heyward.

»Der Kerl hat lange Beine, ihm ist nicht zu trauen. Behalten Sie ihn im Auge; ich will mich an ihn heranschleichen und mich seiner bemächtigen.«

Gleich darauf verschwand Falkenauge im Gebüsch. Duncan wartete einige Augenblicke mit ängstlicher Ungeduld. Endlich sah er, daß Falkenauge wie eine Schlange hinter den Indianer kroch, den er zu seinem Gefangenen machen wollte. Als er nur noch wenige Schritte von ihm entfernt war, stand er still und langsam auf.

In diesem Augenblick hörte man ein Geräusch vom See her, und Duncan, der sein Auge rasch dorthin wandte, sah Hunderte von Bibern in das Wasser tauchen. Als er sich wieder umblickte, beobachtete er gerade, wie der Kundschafter seinem Schlachtopfer, statt es bei der Kehle zu packen, einen leichten Schlag auf die Schulter gab. Dann hörte; er ihn rufen:

»Heda, guter Freund, wollt Ihr die Biber singen lehren?«

17

Heywards Überraschung läßt sich begreifen. Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, sprang der junge Mann aus seinem Versteck und eilte auf die beiden zu.

Falkenauge konnte sein Lachen nicht so leicht unterdrücken. Er drehte den geschmeidigen Gamut auf der Ferse herum und versicherte mehr als einmal, die Wahl seines Kostüms mache den Irokesen alle Ehre. Dann ergriff er die Hand des Gefährten, drückte sie mit einer Kraft, die dem ehrlichen David Tränen aus den Augen preßte, und wünschte ihm Glück zu seiner neuen Stellung.

»So seid Ihr also wirklich im Begriff, unter den Bibern eine Singschule zu errichten, nicht wahr?« fragte er. »Nun, ich habe Leute gekannt, die lesen und schreiben konnten und nicht halb soviel verstanden wie Biber. Was aber das Singen betrifft, so läßt sich nichts mit ihnen machen. Die armen Tiere sind stumm geboren. Wie denkt Ihr über einen Gesang wie diesen?«

David hielt sich die Hände vor die beleidigten Ohren, als das Krächzen einer Krähe ertönte, und selbst Heyward sah unwillkürlich empor, als wollte er den Vogel suchen.

»Seht«, fuhr Falkenauge lachend fort, indem er auf seine drei Begleiter deutete, die, dem Signal folgend, bereits herbeikamen, »das heiße ich Musik, die Saft und Kraft hat! Doch wir sehen, daß Ihr gesund seid, nun sagt uns, was aus den Mädchen geworden ist.«

»Sie sind von den Heiden gefangen worden«, entgegnete David.

»Wo ist Magua?« fragte jetzt der Kundschafter hastig.

»Er ist mit seinen jungen Kriegern auf der Jagd. Morgen wollen sie dann in die Wälder aufbrechen und das Lager an die Grenze Kanadas verlegen. Die ältere der beiden Schwestern ist zu einem benachbarten Stamm gebracht worden, dessen Hütten jenseits des großen schwarzen Felsens liegen, den Ihr dort seht. Die jüngere ist bei den Weibern der Irokesen, zwei Meilen von hier.«

»Wie kommt es aber, daß man Euch so allein und unbewacht umherlaufen läßt?« fragte Heyward.

»Gering ist mein Verdienst«, antwortete David. »Aber die Macht des Gesanges beweist sich auch bei den Wilden. Ich kann deshalb kommen und gehen, wie es mir beliebt.«

Der Kundschafter lachte, deutete unmißverständlich auf seine Stirn und warf dem Major einen vielsagenden Blick zu.

»Die Indianer tun nie jemandem etwas zuleide, dem es hier fehlt« sagte er leise. Dann fuhr er lauter fort: »Warum seid Ihr nicht auf, :. Eurer eigenen Spur zurückgegangen, um uns in Fort ›Edward‹ zu suchen?«

»Hätte mein Herz sich auch gefreut, die Wohnungen der Christen wiederzusehen«, antwortete David bedächtig, »so wäre doch mein Fuß den zarten Geschöpfen, die mir zur Obhut übergeben wurden, eher bis in die Provinz der Jesuiten gefolgt, als daß ich einen Schritt rückwärts getan hätte, während die Mädchen in Gefangenschaft schmachten.«

Selbst der Kundschafter mußte die Treue des Psalmensängers anerkennen, und belohnte sie, indem er ihm seine Stimmpfeife zurückgab, die David erfreut entgegennahm. Als dieser nun von seinen und der Schwestern Erlebnissen während der letzten Tage berichtete, hörten alle mit Interesse zu. Die Aufmerksamkeit der beiden Mohikaner aber steigerte sich in atemlose Spannung, als David von dem Nachbarstamm erzählte, zu dem man Cora gebracht hatte. Er kannte die Geschichte und die Gebräuche der Indianer zu wenig, um über den Namen oder Charakter dieses Stammes Auskunft geben zu können. Er wußte nur, daß diese Indianer an dem Feldzug, der gegen »William Henry« geführt worden war, nicht teilgenommen hatten, daß sie wie die Irokesen Bundesgenossen Montcalms waren und in freundschaftlichem Verkehr mit dem kriegerischen und wilden Volk standen, in dessen Nachbarschaft sie auf ihrer Wanderung durch Zufall geraten waren.

»Habt Ihr ihre Messer genau betrachtet?« fragte Falkenauge. »Waren sie englischer oder französischer Herkunft?«

Darauf wußte der Sänger keine Antwort zu geben. Er wußte sich nur zu erinnern, daß ihm bei ihrer Bemalung die Form einer Schildkröte aufgefallen sei.

»Hugh!« riefen die beiden aufmerksamen Mohikaner in einem Atemzug, während der Kundschafter mit der Miene eines Menschen, der eine unangenehme Entdeckung gemacht hatte, den Kopf schüttelte. Hierauf redete Chingachgook in der Sprache der Delawaren. Dabei hob er einmal den rechten Arm empor, und als er ihn dann langsam wieder senkte, schob er die Falten seines Mantels auseinander und ließ den einen Finger auf der Brust ruhen.

Duncans Augen folgten der Bewegung, und er gewahrte zu seinem Erstaunen, daß das eben erwähnte Tier in blauer Farbe schön, aber schwach auf die schwärzliche Brust des Häuptlings gemalt war. Alles, was er von der gewaltsamen Trennung der zahlreichen Stämme der Delawaren gehört hatte, fiel ihm jetzt ein, und er hörte mit Interesse die Erklärungen Falkenauges.

»Wir haben da etwas entdeckt«, sagte dieser, »was uns nutzen oder schaden kann. Chingachgook stammt aus dem ältesten Blut der Delawaren, und er ist das Oberhaupt ihrer Schildkröten. Daß einige aus diesem Stamme sich unter dem Volk befinden, von dem der Sänger spricht, daran läßt sich nach dem, was er gesagt hat, nicht zweifeln. Es ist auf jeden Fall ein gefährlicher Pfad, auf dem wir uns befinden, denn ein abtrünniger Freund ist oft schlimmer als der ärgste Feind.«

Nach dieser Erklärung schwiegen alle ernst und nachdenklich.

»Es ist am besten«, meinte endlich Falkenauge, »wir lassen den Sänger gehen, damit er sich wieder zu den Indianern begibt und die beiden Frauen benachrichtigt, daß wir uns in der Nähe befinden. Auf ein Zeichen kann er dann wieder hierherkommen, damit wir uns weiter mit ihm beraten. Ihr könnt doch wohl, guter Freund«, wandte er sich an David, »das Geschrei einer Krähe von dem Ruf eines Kuckucks unterscheiden?«

»Der Kuckuck ist ein lieblicher Vogel«, erwiderte David. »Sein Ruf hat etwas Sanftes und Schwermütiges; er ist nicht unangenehm, wenn er auch nur zwei Töne hat.«

»Nun, wenn Euch dieser Ton gefällt«, sagte der Kundschafter, »so soll er das Signal sein. Merkt Euch also: Hört Ihr den Kuckuck dreimal rufen, so kommt wieder in den Wald.«

»Halt!« unterbrach ihn Heyward. »Ich begleite David.«

»Sie?« rief Falkenauge erstaunt. »Sind Sie lebensüberdrüssig?«

»Oh, ich spiele gerne die Rolle eines Narren, eines Wahnsinnigen, wenn es mir nur gelingt, die Mädchen aus der Gefangenschaft zu befreien.«

Falkenauge betrachtete den jungen Mann einen Augenblick in stummer Verwunderung.

Duncan aber fuhr fort: »Ihr kennt alle Mittel, mich unkenntlich zu machen. Verändert mein Äußeres, bemalt mich, macht einen Narren aus mir oder was Ihr sonst wollt.«

Der Mut des jungen Offiziers hatte etwas Achtunggebietendes, dem man nicht widerstehen konnte. Falkenauge, der die Schlauheit und List der Indianer zu gut kannte, um die Gefahren eines solchen Unternehmens zu übersehen, wußte nicht recht, wie er diesen plötzlichen Entschluß bekämpfen sollte. Vielleicht lag auch etwas in diesem Plan, das seiner eigenen kühnen Natur entsprach.

»Nun«, sagte er schließlich mit gutmütigem Lächeln, »Chingachcook hat in seiner Tasche alle Farben, und er versteht sich aufs Malen. Setzen Sie sich auf den Baumstamm dort, und er wird bald einen natürlichen Narren aus Ihnen gemacht haben.«

Duncan setzte sich, und der Mohikaner, der diesem Gespräch mit großer Aufmerksamkeit zugehört hatte, machte sich sogleich an die Arbeit. Lange geübt in einer Kunst, die fast alle Indianer verstehen, gab er Heywards Gesichtszügen mit großer Gewandtheit und Schnelligkeit jenen seltsamen Schatten, den die Eingeborenen als Zeichen einer friedlichen und fröhlichen Gemütsart ansehen. Jede Linie, die auf kriegerische Absichten hätte deuten können, wurde sorgsam vermieden, und der Krieger verwandelte sich zuletzt durch mehrere phantastische Züge gänzlich in einen Possenreißer. Leute dieser Gattung waren unter den Indianern keine ungewöhnliche Erscheinung, und da Duncan durch seine nun schon sehr abgenutzte Kleidung unkenntlich war, so war es möglich, daß man ihn bei seiner vollkommenen Kenntnis der französischen Sprache für einen Gaukler von Ticonderoga halten konnte,

Als Chingachgook seine Malerei vollendet hatte, empfing Heyward von dem Kundschafter mehrere freundschaftliche Ratschläge, wie er sich unter den Irokesen zu verhalten habe. Signale wurden verabredet und der Ort, wo sie im Falle eines glücklichen Ausgangs wieder zusammentreffen wollten.

Der Abschied Munros von seinem jungen Freund war schmerzlich. Doch fügte sich der Oberst ohne Einwände in diesen Plan. Falkenauge führte Heyward beiseite und teilte ihm seine Absicht mit, Munro unter Chingachgooks Schutz in irgendeinem sicheren Versteck zurückzulassen, während er und Unkas nähere Erkundigungen über jenen Stamm einziehen wollten, den sie für Delawaren hielten.

»Und nun segne Sie Gott! Sie haben einen Mut gezeigt, der mit gefällt«, verabschiedete sich Falkenauge von Heyward.

Der Weg, den Heyward und David einschlugen, lief über die Lichtung hin und dicht an den Ufern des Biberteiches vorüber. Dann erstiegen sie eine kleine Anhöhe und erreichten schließlich nach etwa einer halben Stunde eine zweite Lichtung. Duncan blieb einen Augenblick stehen, ehe er den Schutz des Waldes verließ, denn am anderen Ende der Lichtung, nahe an einer Stelle, wo sich ein Bach über einige Felsen herabstürzte, sah man fünfzig bis sechzig Hütten, die höchst einfach aus Baumstämmen, Zweigen, Reisig und Erde errichtet waren.

18

Wie gewöhnlich in friedlichen Zeiten standen vor dem Lager keine Wachen als Duncan und David näher kamen, stieß eine Bande von Kindern ein gellendes Geschrei aus, dann waren sie plötzlich wie vom Erdboden verschwunden. Als Duncan aber schärfer hinsah, begegnete sein Blick überall im Gras schwarzen, lebhaften Augen, die scharf beobachteten. Der Lärm hatte in der nächsten Hütte ein Dutzend Krieger vor die Tore gelockt. Dort standen sie in einer furchterregenden Gruppe und erwarteten schweigend und gelassen die Ankunft der beiden seltsamen Fremden.

David, der diese Szene schon gewohnt war, ging voran und betrat eine Hütte. Es war das Hauptgebäude des Dorfes. Hier fanden die Beratungen und öffentlichen Zusammenkünfte während des vorübergehenden Aufenthalts an den Grenzen der englischen Provinz statt. Duncan wurde es schwer, gleichmütig auszusehen. Er schritt zwischen den kräftigen, großen Gestalten der Indianer hindurch, die sich an der Tür zusammengedtängt hatten. Der Gedanke, daß sein Leben von der Geistesgegenwart abhänge, und das Beispiel seines arglosen Führers gaben ihm jedoch die Kraft, ruhig zu erscheinen.

So kam er bis in die Mitte der Hütte, ohne sich irgendwie zu verraten. Nach Davids Beispiel ging er auf ein Bündel Zweige zu, das sich in einem Winkel der Hütte befand, und setzte sich dort schweigend nieder. Gleich darauf begaben sich die Indianer wieder in die Hütte und versammelten sich um Heyward. Doch warteten sie ruhig auf den Augenblick, wo die Würde des Fremden ihnen zu sprechen erlaubte. Die meisten von ihnen lehnten sich scheinbar gleichgültig an die Baumstämme, die das leichte Haus stützten, während die ältesten Häuptlinge sich etwas entfernt von den übrigen niedersetzten. Eine Fackel brannte in der Hütte und warf einen unruhigen Schein auf die Züge der Indianer. Duncan versuchte in den Mienen der Wilden zu lesen, aber ihre Selbstbeherrschung ließ ihn zu keinem Ergebnis kommen. Die Anführer, die ihm gegenüberstanden, sahen ihn kaum an. Weniger zurückhaltend waren die Indianer, die im Schatten standen. Duncan bemerkte, daß sie ihn neugierig betrachteten. Keine Bewegung oder Gebärde, nicht die leiseste Veränderung seines Gesichtes entging ihrer Aufmerksamkeit.

Endlich trat ein Mann, dessen Haar fast völlig grau war, auf ihn zu und redete ihn in einer Sprache an, die dem Major unverständlich war; er schüttelte deshalb den Kopf und suchte dem Wilden deutlich zu machen, daß er ihn nicht verstehe.

»Spricht keiner von meinen Brüdern Französisch oder Englisch?« fragte Duncan, die Umstehenden der Reihe nach anblickend. Obgleich sich mehr als einer nach ihm umwandte, als wolle er den Sinn seiner Worte fassen, erhielt er keine Antwort. »Es sollte mir leid tun, wenn ich glauben müßte«, fuhr er in französischer Sprache fort, »unter diesen tapferen und weisen Kriegern befinde sich keiner, der die Sprache versteht, deren sich der große Monarch bedient, wenn er mit seinen Kindern spricht. Schwer würde es sein Herz bedrücken, wenn er denken müßte, seine roten Krieger zollten ihm so wenig Achtung.«

Eine lange Pause folgte. Jedes Gesicht war ernst. Keine Bewegung verriet den Eindruck, den diese Bemerkung gemacht hatte. Endlich richtete der Krieger, der ihn vorher angeredet hatte, in kanadisch-französischem Dialekt die trockene Frage an Heyward:

»Wenn der Große Vater zu seinem Volk spricht, bedient er sich der Sprache der Irokesen?«

»Er macht unter seinen Kindern keinen Unterschied und redet mit allen in derselben Sprache, ob die Farbe der Haut rot, schwarz oder weiß ist«, erwiderte Duncan, »doch er schätzt seine tapferen Irokesen besonders.«

»Aber wird er sprechen«, fuhr der schlaue Häuptling fort, »wenn man ihm die Skalpe zeigen wird, die sich vor fünf Nächten noch auf den Schädeln der Engländer befanden?«

»Die Engländer waren seine Feinde«, sagte Duncan, »und ohne Zweifel wird er sprechen: ›Das ist gut, meine Irokesen sind tapfer!‹«

»Unser Vater von Kanada denkt nicht so. Anstatt vorwärts zu schauen und seine Indianer zu belohnen, wendet er sich rückwärts. Er sieht die toten Engländer, aber keine Irokesen. Was bedeutet das?«

»Ein großer Häuptling wie er hat der Gedanken mehr als Worte. Er wendet die Augen rückwärts, um zu sehen, ob kein Feind folgt.«

»Das Kanu eines toten Kriegers kann nicht mehr auf dem Horican schwimmen«, entgegnete der Wilde düster. »Sein Ohr ist offen für die Delawaren, die nicht unsere Freunde sind, denn sie füllen es mit Lügen.«

»Das ist nicht so. Seht, der Große Vater hat mir, da ich mich auf Heilkunde verstehe, befohlen, zu seinen Kindern, den roten Irokesen der großen Seen, zu gehen und sie zu fragen, ob irgendeiner unter ihnen krank sei.«

Ein langes Schweigen folgte dieser Erklärung. Aller Augen hefteten sich gleichzeitig auf Duncan, als wollten sie erkunden, ob Wahrheit oder List hinter seinen Worten verborgen sei. Endlich nahm der Iroliese wieder das Wort.

»Bemalen die schlauen Männer Kanadas ihre Haut?« fragte er kalt.

»Wir haben gehört, sie rühmen sich, daß ihr Gesicht bleich sei.«

»Wenn ein indianischer Häuptling zu seinen Vätern, den Weißen, kommt«, erwiderte Duncan entschlossen, »so legt er seine Büffelhaut ab, um das Hemd anzunehmen, das ihm geboten wird. Meine indianischen Brüder haben mir aus der gleichen Erwägung Farben gegeben, und ich trage sie ihnen zu Ehren.«

Ein leises Beifallsgemurmel verkündete, daß diese Erklärung günstig aufgenommen wurde. Der alte Häuptling gab seine Zufriedenheit durch eine Gebärde zu erkennen, und die übrigen streckten eine Hand empor und drückten dem Redner mit lautem Ausruf ihre Zustimmung aus. Nach längerem Schweigen stand ein anderer Krieger auf. Seine Gebärde deutete an, daß er sprechen wolle. Kaum aber hatte er die Lippen geöffnet, als sich vom Wald her ein dumpfer, fürchterlicher Ton hören ließ. Gleich darauf ertönte ein gellendes, durchdringendes Geschrei, das dem kläglichen Geheul eines Wolfes glich.

Diese plötzliche Unterbrechung veranlaßte Duncan aufzuspringen. Im gleichen Augenblick stürzten alle Krieger zur Hütte hinaus, und die Luft erfüllte ein Jauchzen, das die schrecklichen Schreie übertönte. Heyward, der wissen wollte, was draußen vorgehe, trat aus der Hütte und befand sich mitten unter den tobenden Indianern. Männer, Weiber und Kinder waren zusammengelaufen. Einige stießen triumphierende Schreie aus, während andere in die Hände klatschten. Der Himmel gab noch hinreichend Licht, um auf einem der Waldwege einen langen Zug Krieger erkennen zu lassen, der sich langsam den Wigwams näherte. Einer der Vordersten trug eine kurze Stange, an der mehrere Skalpe aufgehängt waren. Die furchtbaren Töne bedeuteten Todesschreie, und die Wiederholung des Schreies zeigte dem Stamm die Zahl der getöteten Feinde an. Heyward wußte nun, daß die Unterbrechung durch die Heimkehr eines Kriegertrupps veranlaßt worden war. Er wurde wieder ruhiger und hoffte, daß die allgemeine Aufmerksamkeit von ihm abgelenkt sei. Als die Krieger noch einige hundert Schritt von den Hütten entfernt waren, machten sie halt. Ihr klägliches und schreckliches Geheul, das bald das Wehklagen der Sterbenden, bald den Triumph der Sieger darstellte, hatte gänzlich aufgehört. Einer von ihnen rief jetzt laut die Toten an, und das ganze Lager verwandelte sich plötzlich in einen Schauplatz größter Aufregung. Die Krieger schwangen ihre Messer und stellten sich in zwei Reihen auf, die von dem Platz, wo die Sieger haltgemacht hatten, bis zu der Versammlungsstätte eine Gasse bildeten. Die Weiber ergriffen Keulen oder Äxte oder irgendeine Waffe, die ihnen in die Hände fiel, und beeilten sich, an der Belustigung teilzunehmen, die jetzt stattfinden sollte. Selbst Knaben, die kaum den Tomahawk schwingen konnten, rissen ihn ihren Vätern aus dem Gürtel und schlichen sich dem Beispiel ihrer Eltern folgend, in die Reihen. Reisig war in hohen Haufen gesammelt worden, und ein altes Weib beschäftigte sich damit, die Bündel anzuzünden. Als die Flamme emporioderte, verschlang sie das geringe Tageslicht, und die Szene erhielt eine grausige Beleuchtung.

Im Hintergrund bemerkte Heyward jetzt zwei Indianer, die von den übrigen soeben angekommenen Kriegern abgesondert standen. Das Licht war nicht so hell, daß er ihre Züge hätte deutlich sehen können, aber er erkannte wohl, daß sie von sehr verschiedenen Gefühlen bewegt waren. Der eine wirkte aufrecht, stolz, entschlossen, kampfbereit. Der andere senkte das Haupt, als wäre er vor Schrecken gelähmt oder von Scham niedergedrückt. Duncan fühlte für den Tapferen Bewunderung und Teilnahme. Es hätte Unkas sein können, dachte er, und dabei betrachtete er die Umrisse des muskulösen und kräftigen Körpers.

Da ertönte das Signalgeschrei. Der eine der beiden Unglücklichen blieb regungslos stehen, der andere aber sprang bei dem Schrei mit der Geschwindigkeit und der Gewandtheit eines Hirsches davon. Statt jedoch in der von den Kriegern gebildeten Gasse zu bleiben, setzte er unerwartet über die Köpfe mehrerer Kinder hinweg und versuchte zu entkommen.

Die Reihen der Krieger lösten sich sofort auf, und jeder rannte dem Flüchtling nach. Die Gestalten der Indianer glichen Gespenstern, die rasch vorüberglitten. Der Flüchtling hatte kaum Zeit, um Atem zu holen. Ein einziges Mal nur glaubte er, eine Stelle erreicht zu haben, wo er in den Wald entschlüpfen konnte. Jedoch der Versuch mißlang, und er wurde in die Mitte der Lichtung zurückgetrieben. Schnell übersprang er nun einen brennenden Reisighaufen und erreichte glücklich das andere Ende der Lichtung. Doch auch dort stieß er auf Irokesen.

Die Hetzjagd ging weiter. Durch das kreischende Geschrei der Weiber wurden alle Schrecken dieser Verfolgung um ein Vielfaches vermehrt.

Dann und wann erblickte Heyward im Dunkel die Gestalt des Fliehenden, den die Verfolger anscheinend nicht einholen konnten. Plötzlich aber wandte sich die ganze Meute dem Platz zu, wo der Major stand, und jetzt sah dieser wieder den Gefangenen. Der Unglückliche schien selbst zu fühlen, daß er die unmenschliche Verfolgung nicht lange mehr ertragen konnte. Er stürzte durch eine Gruppe von Kriegern und machte einen verzweifelten Versuch, den Wald zu gewinnen.

Als ob erahnte, daß er von Heyward nichts zu befürchten habe, eilte er dicht an ihm vorüber. Mit aufgehobenem Tomahawk folgte ihm ein schlanker Irokese. Doch gerade als dieser zum Todesstreich ausholen wollte, stellte ihm Duncan wie absichtslos ein Bein, so daß er dicht hinter dem Flüchtling zu Boden stürzte. Der Verfolgte verschwand blitzschnell. Nun verlor ihn Heyward aus den Augen. Wie erstaunt aber war er, ihn bald darauf ruhig an einem mit verschiedenen Farben bemalten Pfosten zu sehen.

Besorgt verließ Duncan seinen bisherigen Platz und mischte sich unter die Wilden. Man schien sein entscheidendes Eingreifen in die Verfolgung nicht bemerkt zu haben. Heyward sah jetzt, daß der Flüchtling einen Arm um den Pfosten geschlungen hatte. Sichtbar erschöpft, vermochte er kaum zu atmen. Seine Person aber war jetzt geschützt, bis man nach gemeinschaftlicher Beratung sein Los entschieden hatte. Das war ein uraltes Gesetz unter den Indianern.

Es gab aber in der Sprache der Irokesen keinen verächtlichen Ausdruck, kein Schimpfwort, das die Weiber dem Unglücklichen nicht zuriefen. Auf diese Schmähungen gab jedoch der Gefangene keine Antwort, sondern zeigte eine Haltung, in der sich Würde und Verachtung mischten. Plötzlich bahnte sich die Alte, die das Feuer angezündet hatte, einen Weg durch die Menge und trat vor den Gefangenen. Ihre Runzeln und welken Züge sowie der Schmutz, der sie bedeckte, gaben ihr das Aussehen einer Hexe.

»Hör mich an, Delaware!« rief sie in seiner Sprache. »Dein Stamm ist ein Geschlecht von Weibern, und die Hacke schickt sich besser für eure Hände als die Büchse. Die Töchter der Irokesen werden dir einen Weiberrock machen, und wollen uns nach einem Mann für dich umsehen!«

Dieser Einfall wurde von einem Hohngelächter begleitet. Der Fremde schien aber erhaben über diese Schmähungen und blieb unbeweglich. Ein junger Indianer kam schließlich der Hexe zu Hilfe und drohte dem Gefangenen mit dem Tomahawk. Der Flüchtling warf ihm nur einen Blick der tiefsten Verachtung zu. In diesem Augenblick flammte das Feuer auf, und Heyward erkannte zu seinem Schrecken den jungen Mohikaner.

Jetzt bahnte sich ein Krieger den Weg durch die johlende Menge. Er drängte Weiber und Kinder beiseite, nahm Unkas beim Arm und führte ihn in die große Hütte. Alle Häuptlinge und die besten Krieger des Stammes folgten ihm, und Heyward gelang es, sich ebenfalls hineinzuschleichen. Einige Zeit verging, bis sich die Irokesen nach dem Rang und dem Einfluß, den sie im Rat genossen, geordnet hatten. Die bejahrten Häuptlinge saßen in der Mitte, die jungen Krieger hinter ihnen im Kreis. Unmittelbar unter einer Öffnung, die als Rauchabzug diente, stand Unkas, der seine frühere Fassung und stolze Ruhe behauptete.

Anders verhielt es sich mit dem zweiten, einem ebenfalls jungen Indianer, den Heyward neben Unkas bemerkt hatte und der gleichfalls dazu verurteilt gewesen war, zwischen den Reihen der Irokesen hindurchzulaufen. Statt sein Heil in der Flucht zu suchen, war er während der allgemeinen Verwirrung ruhig stehengeblieben. Obgleich niemand daran gedacht hatte, ihn zu bewachen, trat er jetzt von selber in die Versammlungshütte ein, als ob ihn ein unwiderstehliches Verhängnis zöge. Nach der Bemalung zu schließen, schien er merkwürdigerweise ein Irokese zu sein. Statt sich indes unter seine Landsleute zu mischen, kauerte er sich abseits in einen Winkel und senkte das Haupt auf die Brust. Als jeder den ihm zukommenden Platz eingenommen hatte und die allgemeine Stille eingetreten war, begann der Häuptling mit den grauen Haaren in der Sprache der Delawaren:

»Delaware, du gehörst zwar zu der Nation von Weibern, hast dich aber als ein Mann gezeigt. Ich würde dir gerne etwas zu essen anbieten; aber wer mit einem Irokesen ißt, wird sein Freund. Ruhe in Frieden aus bis Sonnenaufgang. Dann sollst du dein Urteil vernehmen.«

»Sieben Nächte und ebenso viele Tage habe ich gefastet, als ich den Spuren der Irokesen nachging«, entgegnete Unkas ruhig. »Die Kinder der Delawaren wissen auf dem Pfad der Gerechtigkeit zu wandeln, ohne stillzustehen, um zu essen.«

»Zwei meiner Krieger verfolgen noch deinen Gefährten«, erwiderte der alte Häuptling. »Wenn sie zurückgekehrt sind, wirst du aus dem Munde dieser weisen Männer vernehmen, ob du leben sollst oder sterben.«

»Hat der Irokese keine Ohren?« fragte Unkas halb verächtlich. »Zweimal schon, seit er euer Gefangener ist, hat der Delaware den Knall einer wohlbekannten Flinte gehört. Eure beiden Krieger werden nie wiederkehren.«

Ein kurzes und tiefes Schweigen folgte auf diese mutige Erklärung. Duncan wußte, daß Unkas auf den »Wildtöter«, das Gewehr des Kundschafters, anspielte.

»Wenn die Delawaren so erfahren und geschickt sind, warum ist einer ihrer tapfersten Krieger hier?« fragte der Häuptling unbewegt.

»Er folgte den Schritten eines Feigen, der die Flucht ergriff«, entgegnete Unkas, »und fiel in eine Schlinge. Auch den Biber, so schlau er ist, kann man fangen.«

Unkas deutete auf den Irokesen, der sich feige in einen Winkel gedrückt hatte. Die Worte des jungen Mohikaners machten auf die Zuhörer tiefen Eindruck. Jeder sah zu dem Irokesen hin, und ein dumpfes Gemurmel verbreitete sich. Diese drohenden Töne drangen bis vor die Hütte, wo ein Haufen Weiber und Kinder dicht aneinandergedrängt stand. In kurzen Sätzen teilten einander die ältesten Häuptlinge jetzt ihre Meinung mit. Kein Wort wurde gesprochen, das nicht ausdrucksvolle Gebärden begleitete. Hierauf trat feierliche Stille ein. Sie war die Pause vor dem Urteilsspruch. Der Schuldige, der einen Augenblick seine Schande vergaß, hob unruhig den Kopf, um einen Blick auf die ernste Versammlung der Häuptlinge zu werfen.

Da trat die Alte, die Unkas mit Schmähungen überhäuft hatte, in den Kreis. Sie trug eine brennende Fackel in der Hand und begann einen Tanz aufzuführen, wobei sie undeutliche Worte vor sich hin murmelte. Als sie sich Unkas näherte, hielt sie ihm die Fackel entgegen, so daß ein roter Schein auf sein Gesicht fiel. Der Mohikaner behielt sein ruhiges und stolzes Benehmen. Sein Auge, das die Alte keines Blickes würdigte, war fest und unverändert in die Ferne gerichtet. Nun wandte sich die Fackelträgerin ihrem Stammesgenossen zu. Der junge Irokese war von zarter Gestalt; die wenigen Kleidungsstücke konnten die Geschmeidigkeit seines Körpers nicht verbergen. Doch er zitterte am ganzen Körper vor Furcht. Als die Alte dies bemerkte, stimmte sie ein klagendes Geheul an.

Gleich darauf streckte der Häuptling, Aufmerksamkeit gebietend, die Hand aus und schob das Weib zurück. »Schwankendes Rohr«, sprach er langsam und feierlich in seiner Muttersprache, »obgleich der Große Geist dir eine Gestalt gegeben hat, die lieblich anzuschauen ist, wäre es besser, du wärest nie geboren worden. Deine Zunge läßt sich im Dorfe laut vernehmen, aber sie schweigt im Kampf. Der Feind kennt die Gestalt deines Rückens, aber nie hat er die Farbe deiner Augen gesehen. Dreimal haben die Feinde dir zugerufen, dich ihnen zu nähern, und ebensooft bist du ihnen die Antwort schuldig geblieben. Dein Name wird in deinem Stamme niemals mehr erwähnt werden — er ist bereits vergessen.«

Als der Häuptling diese Worte sprach, richtete der Schuldige aus Achtung vor dem Alter und dem Rang des Greises sein Gesicht auf. Scham! Furcht, Entsetzen und zugleich Todesmut lagen in seinen Zügen. Er stand auf und sah, seine Brust entblößt, jetzt ohne Zittern auf das blitzende Todesmesser, das sein strenger Richter in der Hand hielt.

Während es sich langsam in sein Herz senkte, lächelte er, als freue er sich, den Tod nicht so furchtbar zu finden, wie er erwartet hatte. Dann fiel er bewegungslos neben Unkas nieder, der noch immer seine ruhige, stolze Haltung behauptete.

Die Alte stieß ein lautes, klagendes Geheul aus und warf die Fackel auf die Erde. Sie erlosch, und in der Hütte verbreitete sich tiefe Finster nis. Alle Irokesen stürzten hinaus, Duncan blieb verstört zurück. Er war jetzt mit Unkas allein.

19

Mit kräftigem Druck legte sich Unkas’ Hand auf Heywards Arm, und die leise Stimme des Delawaren flüsterte Duncan zu:

»Die Irokesen sind Hunde. Der Anblick des Blutes eines Feindes kann doch einen Krieger niemals zittern machen. Der Graukopf und Chingachgook sind in Sicherheit, und Falkenauges Büchse schläft nicht. Geh hinaus! Unkas und die ›Offene Hand‹ müssen einander jetzt fremd ererscheinen.« Heyward hätte gerne mehr erfahren, allein sein Freund drängte ihn mit sanfter Gewalt zur Tür und erinnerte ihn an die Gefahren, denen sie sich beide aussetzten. Widerstrebend fügte sich Heyward, verließ die Hütte und mischte sich unter die Indianer.

Die erlöschenden Feuer warfen nur noch ein düsteres, zweifelhaftes Licht auf die Gestalten, die schweigend hin und her gingen oder in einzelnen Gruppen beisammenstanden. Einige Krieger trugen jetzt den Leichnam des jungen Irokesen in den Wald. Duncan aber ging ungehindert in verschiedene Hütten, denn er hoffte eine Spur von Alice zu entdecken. Allein seine Nachforschungen blieben ohne Erfolg, und er kehrte zu der Hütte zurück, wo die Beratung stattgefunden hatte. Dort hoffte er David zu treffen, um von ihm nähere Auskunft zu erhalten.

Als er an der Tür ankam, sah er, daß die Krieger sich wieder versammelt hatten. Sie tauchten friedlich und besprachen die Ereignisse bei ihrem letzten Zug nach »William Henry«. Ohne Unruhe zu zeigen, trat Duncan in die Hütte und setzte sich mit einem Ernst nieder, der zu dem Benehmen der Irokesen gut paßte. Ein verstohlener Blick zeigte ihm, daß Unkas noch an seinem alten Platz war. David konnte er nirgends entdecken. Der junge Mohikaner war nicht gefesselt, aber ein junger Indianer, der nicht weit von ihm saß, hatte einen wachsamen Blick, und ein bewaffneter Krieger lehnte sich in der Nähe der Tür an die Wand.

Kaum saß Heyward einige Minuten auf dem Platz, den er vorsichtigerweise etwas im Schatten gewählt hatte, da sprach ihn einer der älteren Krieger in französischer Sprache an:

»Mein Vater von Kanada vergißt seine Kinder nicht, und ich danke ihm dafür. Die Frau eines meiner jungen Krieger ist von einem bösen Geist besessen. Kann der kluge Fremde sie von ihm befreien?«

Heyward kannte die Gaukeleien, der sich die Indianer bedienen, wenn sie glauben, daß irgend jemand von einem bösen Geist besessen ist. Er entgegnete in einem geheimnisvollen Ton:

»Es gibt verschiedene Geister; einige weichen vor der Macht der Weisheit, während andere ihr widerstehen.«

»Mein Bruder ist ein großer Arzt«, sagte der andere, »Will er einen Versuch machen?«

Eine Gebärde deutete an, daß Heyward einwillige. Der Irokese war mit dieser Versicherung zufrieden und wartete nun, seine Pfeife wieder zur Hand nehmend, auf einen passenden Augenblick, um sich zu entfernen. Endlich legte er die Pfeife weg und zog seinen Umhang über der Brust zusammen, als sei er bereit, sich zur Hütte der Kranken zu begeben.

In diesem Augenblick aber trat ein Krieger von kräftigem Körperbau und hohem Wuchs in den Raum. Schweigend schritt er durch die Gruppe der Irokesen und ließ sich auf demselben Bündel nieder, auf dem Duncan saß. Dieser warf einen ungeduldigen Blick auf seinen Nachbarn und fuhr zusammen, als er Magua erkannte. Die plötzliche Rückkehr des Häuptlings verzögerte das Auseinandergehen der Indianer. Wieder wurden mehrere Pfeifen angezündet. Auch Magua zog eine hervor, stopfte sie und begann mit großer Ruhe und Gleichgültigkeit zu rauchen.

Ungefähr zehn Minuten, die dem Major eine Ewigkeit dünkten, waren auf diese Weise schweigend vergangen, und eine dicke Rauchwolke umgab sämtliche Krieger. Da wandte sich einer an Magua:

»Willkommen, mein Freund! Hast du die Elche getroffen?«

»Meine Krieger beugen sich unter der Last«, erwiderte der Häuptling.

»Das ›Schwankende Rohr‹ soll ihnen entgegengehen und helfen.«

Eine tiefe Stille folgte, als dieser Name ausgesprochen wurde.

Dann unterrichtete der angesehenste Häuptling Magua über das Vorgefallene.

»Die Delawaren«, so schloß er seinen Bericht, »sind umhergeschlichen wie Bären, die Bienenstöcke voll Honig suchen. Wer aber hat je einen Irokeen im Schlaf überfallen?«

»Die Delawaren von den Seen!« rief jetzt Magua drohend.

»Nein, die, die Weiberröcke tragen und am Ufer des Delaware wohnen. Einer von ihnen ist hierhergekommen.«

»Nein«, entgegnete der Häuptling, auf Unkas deutend, der unbeweglich dastand. »Seine Beine waren gut, obgleich sein Arm mehr für den Spaten als für die Streitaxt geschaffen ist.«

Statt irgendeine unmännliche Neugier zu verraten, tauchte Magua nachdenklich weiter, und erst nach einigen Minuten klopfte er die Asche aus seiner Pfeife, zog den Gürtel, in dem seine Streitaxt steckte, fester zusammen und warf einen Blick auf den Gefangenen, der hinter ihm stand. Einige Minuten lang betrachteten die beiden Todfeinde einander, ohne mit der Wimper zu zucken. Unkas Gestalt schien größer zu werden, seine Nasenlöcher weiteten sich wie die Nüstern eines wilden Tieres. In Maguas Züge kam allmählich ein Ausdruck wilder Freude. Dann rief er laut:

»Der Schnelle Hirsch!«

Alle Krieger sprangen auf, als sie diesen gefürchteten, wohlbekannten Namen hörten, und brachen in ein lautes Geheul aus. Unkas genoß seinen Triumph; aber nur ein ruhiges, stolzes Lächeln deutete sein Gefühl an. Magua verstand den Ausdruck der Verachtung, der darin lag, und rief drohend in englischer Sprache:

»Mohikaner, du stirbst!«

»Die Heilquellen werden die erschlagenen Irokesen nie wieder ins Leben zurückrufen«, erwiderte Unkas in der melodischen Sprache der Delawaren verächtlich; »die rauschenden Flüsse umspülen ihre Gebeine! Ihre Männer sind Weiber, ihre Weiber Eulen! Geh und ruf die Hunde der Irokesen hierher, auf daß sie einen Krieger zu sehen bekommen. Ein ekliger Geruch beleidigt meine Nase; ich wittere das Blut eines Feiglings!«

Die letzte Anspielung machte einen tiefen Eindrück, denn mehrere Irokesen verstanden die Sprache des Gefangenen. Magua ließ jetzt seinen leichten Umhang aus Tierfellen von der Schulter fallen, streckte den Arm aus und sprach gefährlich und listig, um seine Stammesgenossen zur Rache aufzupeitschen. Eifrig berichtete er vom letzten Treffen mit Unkas und seinem Vater, das für so viele Irokesen tödlich ausgegangen war. Mit kluger Berechnung ließ er seine Stimme sinken, als er die Verdienste der Erschlagenen erwähnte. Keine Eigenschaft, die das Mitgefühl eines Indianers erregen konnte, ließ er unerwähnt.

»Sind die Gebeine meiner jungen Krieger«, schloß er seine Rede, »auf dem Begräbnisplatz der Irokesen? Sie sind es nicht. Ihre Geister sind nach der untergehenden Sonne gegangen und fahren schon über die großen Gewässer hinüber zu den glücklichen Jagdrevieren. Aber sie schieden ohne Lebensmittel, ohne Büchse oder Messer, ohne Mokassins, nackt und arm, wie sie geboren wurden. Brüder, laßt uns die Toten nicht vergessen; eine Rothaut vergißt nie! Wir wollen den Rücken dieses Mohikaners beladen, bis er stirbt, und dann zu unseren Brüdern senden. Wenn sie den Geist des Mohikaners keuchend unter seiner Bürde hinter sich herkommen sehen, werden sie erfahren, daß wir sie nicht vergessen haben. Was ist ein Engländer! Wir haben viele erschlagen, aber die Erde ist noch blaß. Nur das Blut eines Indianers kann die Schande tilgen, die auf unserem Namen haftet! Laßt daher diesen Delawaren sterben!«

Die Krieger waren von der Rede stark beeindruckt, und es war allen klar, daß Unkas sterben mußte.

»Die Sonne soll seine Schande beleuchten, die Weiber sollen sein Fleisch zucken sehen«, rief jetzt Magua. »Geht! Führt ihn hin, wo Stille herrscht. Wir wollen sehen, ob ein Delaware heute nacht schlafen und morgen früh sterben kann!«

Jene jungen Krieger, die den Gefangenen bewachen mußten, banden sogleich seine Arme mit Baststricken und führten ihn schweigend zur Hütte hinaus. Unkas ging mit festem Schritt. Als er an der Tür war, blieb er einen Augenblick stehen, wandte sich um und blickte stolz und forschend auf seine Feinde. Magua aber war zufrieden mit dem Erfolg. Er schüttelte seinen Umhang und verließ den Raum. Duncan atmete auf, als dieser gefährliche Feind verschwunden war.

Die Aufregung, die durch die Rede Maguas entstanden war, hatte sich wieder gelegt. Die Krieger nahmen wieder ihre Sitze ein, und bald füllten schwere Rauchwolken die Hütte. Fast eine halbe Stunde lang wurde keine Silbe gesprochen.

Der Häuptling, der Duncans Hilfe erbeten hatte, löschte schließlich seine Pfeife aus und wollte aufbrechen. Ein Wink mit dem Finger gab dem angeblichen Arzt zu verstehen, daß er ihm folgen solle. Duncan war froh, die dichten Rauchwolken hinter sich zu lassen und die reine Luft des kühlen Sommerabends einzuatmen.

Statt aber den Weg zwischen den Hütten einzuschlagen, wandte sich der Indianer seitwärts dem Abhang des Berges zu, dessen Gipfel das Lager der Irokesen beherrschte. Die beiden Wanderer mußten ihren Weg schließlich auf einem schmalen, gekrümmten Pfad fortsetzen. In einiger Entfernung erhob sich ein kahler Felsen, und als sie eben im Begriff waren, einen offenen Rasenplatz zu betreten, flammte das Lagerfeuer auf, und die Flammen erhellten sogar die aufragende Felswand.

Im Widerschein dieses Lichtes erblickte Heyward plötzlich ein dunkles Wesen von wunderlichem Aussehen. Der Indianer stand still und wartete, bis sein Begleiter sich ihm näherte. Beherzt ging der Major weiter und erkannte schließlich einen Bären, der laut und tief brummte, aber kein Zeichen einer feindseligen Haltung verriet. Der Irokese schien von seinen friedlichen Absichten überzeugt, denn er setzte ruhig seinen Weg fort. Duncan wußte, daß die Indianer diese Tiere häufig zähmen, und überwand seinen Schrecken. Dennoch blickte er öfters zurück, um sich gegen Einen immerhin möglichen Angriff zu sichern. Das Tier folgte ihnen nach. Eben wollte er den Indianer darauf aufmerksam machen, als dieser eine Tür aus Baumrinde öffnete, die in eine Höhle führte.

Der Häuptling trat ein. Duncan folgte ihm. Als er aber die leichte Tür wieder hinter sich schließen wollte, riß sie ihm der Bär, dessen zottige Gestalt den Eingang verdunkelte, aus der Hand. Jetzt befanden sie sich in einem engen, dunklen Gang. Ohne dem Tier gerade in die Klauen zu laufen, war es unmöglich, umzukehren. Der Bär brummte mehrere Male dicht hinter den Fersen des Majors und legte sogar ein- oder zweimal seine unförmigen Tatzen auf Heywards Schulter, als wollte er dessen weiteres Vordringen in die Höhle verhindern. Heywards Nerven waren aufs äußerste gespannt.

Endlich nahm er den Schimmer eines schwachen Lichtes wahr. Bald darauf erreichten sie eine große Felsenhöhle, die in mehrere Räume geteilt war. Bei Tag wurde die Höhle durch Öffnungen von oben erhellt. Nachts verbreiteten Fackeln genug Helligkeit. Hierher hatten die Irokesen ihre Kostbarkeiten geschafft, die Gemeingut des Stammes waren. Hierher hatte man auch die kranke Frau gebracht, die’man für das Opfer einer übernatürlichen Macht hielt. Der Raum, den Duncan und sein Führer zuerst betreten, war der Kranken eingeräumt worden, und der Indianer näherte sich nun ihrem Lager, an dem sich eine Gruppe von Weibern versammelt hatte. Zu seinem Erstaunen fand Heyward hier auch seinen vermißten Freund David.

Ein einziger Blick überzeugte ihn, daß die Kranke sich in einem hoffnungslosen Zustand befand. Sie lag, von einer Lähmung befallen, in einem völlig bewußtlosen Zustand, ohne irgendeine Empfindung von dem zu haben, was um sie her vorging.

David blies jetzt einen Ton auf seiner wiedererlangten Stimmpfeife und begann eine Hymne zur Heilung der Kranken. Er durfte das Lied ruhig zu Ende singen, denn die Indianer ehrten seine Geistesschwäche. Duncan, der in der Höhle ein tiefes, aber merkwürdigerweise falsch klingendes Echo vernahm, suchte erstaunt nach dessen Ursache. Da entdeckte er den Bären, der auf seinen Hintertatzen saß und den Körper hin und her wiegte. Mit leisem Brummen wiederholte das Tier diese Töne, die mit der Melodie des Sängers eine leichte Ähnlichkeit hatten.

Der Eindruck, den dies sonderbare Echo auf David machte, läßt sich kaum beschreiben. Seine Augen öffneten sich, als traue er ihnen nicht, und sein Mund schloß sich augenblicklich vor Verwunderung. Dann ergriff er schleunigst die Flucht. Während er die Höhle schnell und ungehindert verließ, rief er Heyward leise zu:

»Sie erwartet Sie! Sie ist hier!«

Der Häuptling, der nach dieser merkwürdigen Szene an das Lager der Kranken trat, gab den dort versammelten Weibern, die sich neugierig hinzudrängten, einen Wink, sich zu entfernen. Wenn auch ungern, leisteten sie ihm doch Gehorsam. Dann sagte der Indianer, indem er auf die Besinnungslose deutete: »Jetzt zeige mein Bruder seine Macht!«

Duncan sammelte rasch seine Gedanken, um sich die Zauberformeln und wunderlichen Gebräuche in Erinnerung zu rufen, unter denen die indianischen Beschwörer ihre Unwissenheit zu verbergen pflegten. Als er jedoch mit seinen Beschwörungen anfangen wollte, unterbrach ihn ein grimmiges Brummen des Bären. Er wiederholte seine Sprüche zum zweiten und dritten Male, aber ebensooft fand dieselbe Störung statt.

»Die Medizinmänner sind argwöhnisch«, sagte der Irokese. »Ich gehe, Bruder. Das Weib hier ist die Frau eines meiner tapfersten jungen Krieger. Behandle sie gut. Still!« fügte er zum Bären gewendet hinzu. »Ich gehe schon!«

Der Häuptling hielt Wort, und Duncan befand sich nun in dieser unfreundlichen Höhle allein mit der hilflosen Kranken und dem wilden Tier. Mit schräg geneigtem Kopf horchte der Bär auf die Schritte des Indianers, die sich immer mehr entfernten. Dann kam das Tier auf Duncan zu und setzte sich aufrecht vor ihn nieder. Angstvoll und leider vergeblich sah sich der junge Mann nach irgendeiner Waffe um. Der Bär indes schien nun seine Gesinnung gänzlich geändert zu haben. Statt sein unzufriedenes Brummen fortzusetzen, schüttelte er seinen zottigen Körper so heftig, als würde er von einem seltsamen inneren Krampf erfaßt. Die unförmigen schweren Tatzen tappten plump an der Schnauze umher, und während Heyward diese Bewegungen noch mißtrauisch beobachtete, fiel der furchtbare Bärenkopf auf die Seite — und statt seiner erschien das ehrliche Gesicht des Kundschafters, der in seiner geräuschlosen Art von ganzem Herzen lachte.

»Pst!« Der vorsichtige Jäger kam einem Überraschungsausbruch Duncans zuvor. »Die Schurken sind ganz in der Nähe. Vernehmen sie aber irgendeinen Laut, der nicht zu Ihren Zaubereien gehört, haben Sie unweigerlich die ganze Meute auf dem Hals!«

»Wie habt Ihr es gewagt«, fragte Heyward, noch atemlos vor Schreck, »Euch auf ein so gefährliches Unternehmen einzulassen?«

»Ach! Der Zufall tut oft mehr als alle Überlegung«, erwiderte der Kundschafter. »Als Sie fort waren, verbarg ich den Kommandanten und Chingachgook in einer alten Biberhütte, wo sie vor den Irokesen sicherer sind als in der Garnison ›Edward‹, denn die Indianer hier hegen noch immer große Verehrung für die Biber. Dann sind wir, Unkas und ich, aufgebrochen, um das andere Lager auszukundschaften. Haben Sie den Jungen gesehen?«

»Er ist gefangen und verurteilt worden, bei Sonnenaufgang zu sterben.«

»Ich habe es geahnt«, sagte der Kundschafter. »Seine Gefangennahme ist der eigentliche Grund, warum Sie mich hier sehen. Der Bursche darf nicht in den Händen der Irokesen bleiben. Wie sich die Teufel freuen würden, wenn sie uns beide an einen Pfahl binden könnten! Unkas und ich«, fuhr Falkenauge fort, »stießen auf eine zurückkehrende Partie der Irokesen. Der Junge war aber für einen Kundschafter viel zu hitzig. Kurz, schließlich lief einer der Irokesen wie eine Memme davon und lockte ihn fliehend in einen Hinterhalt.«

»Der Feigling ist von seinen Leuten hingerichtet worden«, sagte Heyward, und Falkenauge nickte. Dann berichtete er weiter:

»Nach der Gefangennahme des Mohikaners hatte ich mich noch zweier anderer Irokesen zu erwehren. Sowie ich die Satansbrut los war, kam ich ziemlich nah an die Hütten heran, ohne daß mir etwas zugestoßen wäre. Plötzlich traf ich im Wald auf eine Stelle, wo sich einer der berühmtesten Medizinmänner der Irokesen allem Anschein nach für seine Rolle fertigmachte. Ein Schlag auf den Kopf betäubte den Betrüger für einige Zeit. Ich hängte ihn, vorsichtig geknebelt, zwischen ein Paar jungen Bäumen auf, nahm seine Ausrüstung und beschloß, selbst die Rolle des Bären zu spielen.«

»Und Ihr habt sie gut gespielt!« rief Heyward anerkennend.

»Du lieber Gott, Major«, erwiderte der Jäger, »wenn man so lange wie ich in der Wildnis lebt, müßte man ja ein erbärmlicher Schüler sein, wenn man nicht die Bewegungen eines Bären nachahmen könnte. Aber wir haben noch viel zu tun«, unterbrach er sich. »Wo ist denn das junge Mädchen?«

»Das weiß der Himmel! Jede Hütte im Dorf habe ich durchsucht, ohne die kleinste Spur zu entdecken.«

»Sie hörten aber doch, was der Sänger zu Ihnen sagte, als er fortlief Sie ist bestimmt hier in der Höhle!«

Falkenauge blickte forschend umher. »Hier sind Wände genug, um die ganze Ortschaft getrennt unterbringen zu können«, sagte er. »Ein Bär muß klettern können. Ich will einmal hinüber und spionieren«

Mit diesen Worten kletterte er unter beständigem Nachahmen der linkischen Bewegungen eines Bären eine Scheidewand hinauf. Sobald er oben war, winkte er Heyward zu schweigen und kletterte so schnell wie möglich wieder herab.

»Sie ist hier!« flüsterte er, »und Sie werden sie finden, wenn Sie durch diese Tür gehen. Aber Sie werden das Mädchen mit Ihrem Aussehen erschrecken. Sehen Sie«, fügte er hinzu und wies auf eine Felsenspalte, aus der Wasser hervortröpfelte, das sich in einem kleinen Becken sammelte. »Hier können Sie sich von der Malerei befreien. Wenn Sie zurückkommen, werde ich Sie wieder aufs schönste anmalen.«

Duncan befolgte den Rat und trat dann in den nächsten Verschlag der Höhle. Mitten unter den verstreut umherliegenden Sachen fand er Alice, die vor Freude und Schrecken zitterte. Sie wußte bereits durch David von Duncans Anwesenheit unter den Irokesen.

»Duncan!« rief sie, fast erschrecken über den Ton ihrer eigenen Stimme.

»Alice!« antwortete er, sorglos über Koffer, Kistchen, Waffen und Hausgeräte mit eiligen Sätzen hinwegspringend, bis er beglückt an ihrer Seite stand.

»Ich wußte, daß Sie mich nie verlassen würden«, sprach sie, voll Freude zu ihm aufblickend, während eine flüchtige Röte über ihr bekümmertes Antlitz lief. »Aber Sie sind allein … Ich sehe niemanden, der Ihnen helfen könnte.«

Duncan fühlte, daß sie zitterte und nicht länger imstande war, sich aufrecht zu halten. Daher bat er sie, sich zu setzen, und erzählte ihr in aller Kürze, wie er hierhergekommen war. Er sprach von ihrem Vater, von dessen Hoffnung, sie bald wiederzusehen, und endlich kniete er vor ihr nieder und fragte sie leise, denn er war seines Gefühles nicht mehr mächtig:

»Alice, wollen Sie meine Frau werden?«

»Heyward«, sagte das junge Mädchen leise, das ihm bis dahin stumm und mit feuchten Augen zugehört hatte, »gönnen Sie mir erst das Wiedersehen mit meinem Vater, lassen Sie mich seine Einwilligung hören. Bis dahin, bitte, haben Sie noch Geduld.«

Der Major erhob sich und wollte gerade antworten, als ihm jemand leicht auf die Schulter klopfte. Er wandte sich rasch um und blickte in das boshafte Gesicht Maguas. Das hohle Lachen des Wilden klang Heyward in diesem Augenblick wie das höllische Hohngelächter eines Teufels. Da er gänzlich unbewaffnet war und nicht wußte, ob nicht mehrere Irokesen in der Nähe waren, blieb er wortlos und in drohender Haltung stehen.

Nachdem Magua die beiden einige Minuten lang angestarrt hatte, trat er zurück und legte einen Baumstamm vor eine zweite Tür, die von außen in diese Höhlenkammer führen mußte. Heyward hielt sich für unwiderruflich verloren. Er zog Alice schützend an die Brust und war bereit, mit ihr sein Schicksal zu erdulden. Doch Magua schien nur darauf bedacht, seine Gefangenen sicher einzuschließen.

»Die Bleichgesichter überlisten den schlauen Biber; aber die Rothäute verstehen die Engländer zu fangen«, sagte er auf englisch.

»Möge mich der Tod treffen, Irokese«, rief Heyward empört, »ich verachte dich und deine Rache!«

»Wird der weiße Mann auch am Pfahl so sprechen?« höhnte Magua. »Der Schlaue Fuchs ist ein großer Häuptling, er wird seine jungen Krieger herbeirufen, damit sie sehen, wie standhaft ein Bleichgesicht die Martern erdulden kann.«

Damit wandte er sich ab und ging zur Tür, durch die Duncan gekommen war. In diesem Augenblick ließ sich ein leises, drohendes Brummen hören, und in der Türöffnung zeigte sich der Bär. Er setzte sich nieder und schwankte brummend von einer Seite zur andern. Magua betrachtete das Tier aufmerksam. Da er sich jedoch über den Aberglauben seines Stammes erhaben fühlte und die Verkleidung des vermeintlichen Medizinmannes zu durchschauen glaubte, wollte er mit Verachtung an ihm vorbeigehen. Doch ein kräftigeres und drohenderes Brummen zwang ihn stehenzubleiben. Magua schien aber jetzt entschlossen, sich nicht länger aufhalten zu lassen, und schritt mutig vorwärts. Langsam zog sich der Bär vor ihm zurück, bis er sich vor dem engen Durchgang auf seine Hinterbeine stellte.

»Narr!« rief der Häuptling in irokesischer Sprache, »geh, treib mit alten Weibern deine Späße und laß verständige Männer in Ruhe.«

Er wollte an dem vermeintlichen Medizinmann vorübergehen, aber plötzlich streckte die Bestie die Vorderbeine aus und umschlang ihn mit aller Kraft. Duncan hatte die Bewegungen des Kundschafters verfolgt, jetzt ergriff er einen ledernen Riemen, mit dem irgendein Bündel verschnürt gewesen war, stürzte auf Magua zu, den Falkenauge umklammert hielt, und umschlang Arme und Beine des Irokesen zwanzigfach mit dem Riemen. Als der Indianer gebunden war, ließ Falkenauge ihn los, und Duncan legte den gefährlichen Feind auf den Rücken.

Nicht der leiseste Laut war dem Irokesen während dieses unerwarteten Angriffs entschlüpft. Er hatte alle seine Kräfte zum Widerstand aufgeboten, bis er sich endlich überzeugte, daß er es mit einem Gegner zu tun habe, der ihm an Muskelkraft weit überlegen war. Erst als der Kundschafter die zottigen Kinnbacken zur Seite schob und sich dem Irokesen zeigte, stieß dieser einen Überraschungsschrei aus.

»Aha! Hast du deine Sprache wiederbekommen?« fragte Falkenauge, und da keine Zeit zu verlieren war, machte er sich sogleich daran, die Rothaut zu knebeln. »Wie ist dieser Schurke hereingekommen?« fragte er dann. »Es ist doch niemand hier durchgekommen, seit Ihr mich verlassen habt!«

Duncan zeigte ihm die Tür, durch die der Indianer eingetreten war. Sie war aber jetzt fest verrammelt. Der Rückzug durch sie bot zu viele Hindernisse.

»Bringt das Mädchen«, fuhr Falkenauge fort, »wir müssen durch den anderen Ausgang in den Wald fliehen. Da, wickeln Sie sie in diese indianischen Decken ein, doch so, daß man nichts von ihrer Gestalt sehen kann. — Nun rasch, nehmen Sie sie auf den Arm und folgen Sie mir. Das übrige ist meine Sache.«

Duncan nahm die leichte Gestalt auf seine Arme und folgte dem Kundschafter durch das Gemach der Kranken. Von der kleinen Tür aus Baumrinde hörten Sie mehrere Stimmen. Mit zornigem Brummen trat der Kundschafter ins Freie und spielte im Gehen die Rolle des Bären. Duncan folgte ihm nach und sah sich bald von etwa zwanzig besorgten Freunden und Verwandten der kranken Frau umringt. Sie wichen ein wenig zurück und ließen den Vater und den Mann des Weibes näher treten.

»Hat mein Bruder den bösen Geist ausgetrieben?« fragte der Alte.

»Was trägt er in seinen Armen?«

»Dein Kind!« erwiderte Duncan feierlich. »Die Krankheit hat die Arme verlassen und ist in der Felsenhöhle eingeschlossen. Ich will das Weib eine Strecke weit tragen, um sie gegen alle ferneren Anfälle ihres Übels zu stärken. Sie wird wieder in der Hütte des jungen Mannes sein, wenn die Sonne kommt.«

Der Vater übersetzte die Worte in die Irokesensprache, und ein leises Gemurmel verkündete die Zufriedenheit der Indianer. Der Häuptling gab Duncan einen Wink, sich zu entfernen, und sagte dann:

»Ich bin ein Mann! Ich will mich in die Höhle begeben und mit dem bösen Geist kämpfen.«

»Ist mein Bruder nicht bei Sinnen?« rief der Major. »Ist er grausam gegen sich selbst? Er wird die Krankheit dort treffen, und sie wird in ihn fahren, oder wenn er sie heraustreibt, seine Tochter im Wald verfolgen. — Nein, wartet hier draußen, und zeigt sich der Geist, so schlagt ihn mit Keulen nieder. Er ist sehr schlau und wird in den Berg fliehen, wenn er sieht, daß hier so viele bereitstehen, um mit ihm zu kämpfen.«

Der Vater und der Mann des Weibes gaben ihren Entschluß sofort auf. Die falschen Beschwörer entfernten sich daraufhin schnell, indem sie einen abgelegenen Pfad in den Wald einschlugen. Als Falkenauge sich in gehöriger Entfernung von dem Lager der Irokesen befand, machte er halt, um sich mit Heyward zu beraten.

»Dieser Pfad«, sagte er, »wird Sie zum Bach führen. Gehen Sie seinem nördlichen Ufer nach, bis Sie zu einem Wasserfall kommen. Dort steigen Sie den Berg rechts hinauf, und Sie werden die Feuer eines andern Stammes erblicken. Diese Indianer müssen Sie um Schutz bitten. Sind es wirklich Delawaren, so wird Ihre Bitte nicht vergeblich sein. Mit dem jungen Mädchen noch weiter zu fliehen ist unmöglich. Die Irokesen würden unserer Spur nachgehen und würden unsere Kopfhäute nehmen, ehe wir noch ein Dutzend Meilen zurückgelegt hätten.«

»Und Ihr?« fragte Heyward erstaunt. »Wir trennen uns doch noch nicht hier?«

»Die Irokesen haben den Stolz der Delawaren, den Letzten vom hohen Blut der Mohikaner, in ihrer Gewalt«, entgegnete der Kundschafter. »Ich will mein möglichstes versuchen, meinen Freund zu retten.«

Mit diesen Worten wandte sich Falkenauge um und ging den Pfad wieder zurück. Alice und Heyward sahen ihrem Freund nach, bis sie ihn aus den Augen verloren. Dann machten sie sich auf den Weg nach dem Lager der Delawaren.

20

Falkenauge kannte die Gefahren, denen er entgegenging. Auf seinem Rückweg zum Lager bot er all seinen angeborenen und durch manche Erfahrungen geprüften Scharfsinn auf, um eine Möglichkeit zu finden, die List und Wachsamkeit seiner Feinde zu täuschen. Nur der Tatsache, daß er ein Weißer war, dankten Magua und der Medizinmann ihr Leben. Denn wen sonst als den gefährlichen Magua hätte der Kundschafter töten müssen, hätte er eine solche Kampfesweise nicht verabscheut? Statt dessen verließ er sich auf die Zweige und Riemen, mit denen er seine Gefangenen gebunden hatte, und setzte den Weg in gerader Richtung zu den Hütten der Irokesen fort.

Als er sich ihnen näherte, schritt er langsamer und vorsichtiger aus. Etwas abseits von den übrigen stand eine verfallene Hütte. Sie schien indessen nicht unbewohnt zu sein, denn ein schwaches Licht schimmerte durch die Zweige ihrer Wand. Falkenauge nahm nun wieder den Gang des Bären an und näherte sich leise dieser Hütte. Er kroch zu einer kleinen Öffnung, durch die er in ihr Inneres sehen konnte. Es war die Wohnung Davids. Der treue Singmeister hatte sich mit all seinen Sorgen und Ängsten hierher zurückgezogen.

Bevor aber Falkenauge die Hütte betrat, schlich er erst um sie herum, da er sich überzeugen wollte, daß sie ganz allein stehe; dann ging er hinein und gab sich David zu erkennen. Für den braven Psalmensänger war dies eine ungeheure Überraschung. Nachdem er sich einigermaßen von ihr erholt hatte, erkundigte er sich nach den Freunden.

»Sagt mir zuerst«, stieß er hervor, »wie es dem Mädchen geht und dem tapferen Mann.«

»Sie sind glücklicherweise vor den Tomahawks der Schurken gerettet. Könnt Ihr mir aber sagen, wo sich Unkas befindet?«

»Der junge Indianer ist gefangen, und sein Tod ist beschlossen.«

»Könnt Ihr mich zu ihm führen?« fragte der Kundschafter.

»Das ist nicht schwierig, aber ich fürchte …«

»Zeigt mir den Weg!« unterbrach ihn Falkenauge entschlossen und schritt sogleich dem Sänger voran.

Die Hütte, in der Unkas bewacht wurde, stand in der Mitte des Dorfes. Falkenauge rechnete gar nicht damit, ungesehen hineinschleichen zu können. Er verließ sich auf seine Verkleidung und schlug den geraden Weg zur Hütte ein. Die späte Stunde begünstigte das Vorhaben. Die Knaben lagen schon in tiefem Schlaf. Die Irokesen und ihre Weiber hatten sich ebenfalls bereits in ihre Wigwams begeben. Nur vier oder fünf Krieger wachten am Eingang vor Unkas Gefängnis und beobachteten den Gefangenen.

Als sie David und seinen Begleiter in der wohlbekannten Verkleidung ihres Medizinmannes erblickten, gaben sie den Eingang frei. Ein solcher Besuch verhieß ihnen ein ungewöhnliches Possenspiel. Da der Kundschafter die Sprache der Irokesen nicht kannte, mußte David reden, der sich mit verblüffender Überzeugungskraft an die empfangenen Vorschriften hielt.

»Die Delawaren sind Weiber!« rief er und wandte sich an den Wilden, der einige Kenntnis der englischen Sprache hatte. »Die Engländer, meine törichten Landsleute, haben ihnen gesagt, sie sollten die Streitaxt ergreifen und gegen ihre Väter in Kanada ziehen, und sie haben ihr Geschlecht vergessen. Wünscht mein Bruder zu hören, wie der Schnelle Hirsch um den Weiberrock bittet? Will er ihn am Pfahl der Irokesen weinen sehen?«

»Hugh!« rief der Wilde und. zeigte schon die Freude, die ihm ein solches Zeichen der Schwäche an dem verhaßten und doch gefürchteten Feind bereiten würde.

»Laßt uns eintreten, und der weise Mann wird den Hund anblasen. Sag es meinen Brüdern.«

Der Irokese übersetzte die Worte, und er und die übrigen Indianer entfernten sich nun ein wenig vom Eingang.

»Der weise Mann fürchtet«, sagte David, »sein Hauch werde seine Brüder berühren und ihnen gleichfalls den Mut nehmen. Sie müssen weiter zurücktreten.«

Die Irokesen, die ein solches Mißgeschick für den schwersten Schlag hielten, der sie treffen könne, zogen sich sofort zurück und stellten sich so, daß sie zwar nichts hören konnten, doch den Eingang der Hütte im Auge behielten. Jetzt verließ der Kundschafter seinen Platz und begab sich langsam in die Hütte. Dunkelheit und Stille herrschten im Raum, in dem sich nur der Gefangene aufhielt. Seine Hände waren schmerzhaft zusammengeschnürt.

Der junge Mohikaner würdigte das Tier kaum eines Blickes. Als aber der Kundschafter unter seinem Bärengebrumm leise wie eine Schlange zischte, richtete sich der Indianer langsam auf und sah fest auf den Bären. Als sich das Zischen wiederholte, stieß er ein leises »Hugh« aus,!

»Zerschneide seine Bande!« sagte der Kundschafter leise zu David.

Der Sänger gehorchte, und Unkas fühlte seine Glieder von dem Zwang befreit. Er schien das Wagnis, das sein Freund unternommen hatte, ohne Erklärung zu begreifen.

»Nimm dieses Fell«, flüsterte ihm der Kundschafter zu, »ich zweifle nicht, daß du die Rolle eines Bären so gut spielen kannst wie ich.«

Unkas hüllte sich schweigend in die Bärenhaut, und der Kundschafter wandte sich leise an David:

»Hier, nehmt meinen Jagdrock und meine Mütze und gebt mir dafür Euer Gewand — schnell! Aber auch das Buch und die Brille und Euer Instrument müßt Ihr mir anvertrauen. Treffen wir uns in besseren Zeiten wieder, so erhaltet Ihr alles zurück.«

David trennte sich von den Dingen mit einer Bereitwilligkeit, die seiner Freigebigkeit große Ehre machte. Falkenauge legte die geborgten Kleider an und konnte wohl, als er seine Augen durch die Brille verdeckt hatte, in der Dunkelheit leicht für den Sänger gehalten werden.

»Die größte Gefahr«, sagte der Kundschafter jetzt wieder leise zu dem Sänger, »wird Euch in dem Augenblick drohen, wo die Wilden merken, daß sie betrogen sind. Ich hoffe, Eure ›Geistesschwäche‹ wird Euch schützen. Setzt Euch in den Schatten und spielt Unkas’ Rolle so lange, bis die Irokesen den Betrug entdecken. Wenn Ihr aber wollt, könnt Ihr auch mit uns fliehen.«

»Ich will hierbleiben«, entgegnete David standhaft. »Der junge Mohikaner hat tapfer für mich gekämpft, daher will ich auch alles für ihn tun.«

Der Kundschafter schüttelte David herzlich die Hand und verließ dann mit dem Bären die Hütte. Sobald sie von den Irokesen erblickt wurden, richtete der Kundschafter seine lange Gestalt in die Höhe. Dann streckte er seinen Arm aus, um den Takt zu schlagen, und stimmte eine Art von Psalmengesang an. Zum Glück hatte er es mit Ohren zu tun, die an die Harmonie der Töne wenig gewöhnt waren, sonst würde er nicht viel Erfolg gehabt haben. Sie mußten dicht an den Wilden vorübergehen. Je näher sie ihnen kamen, desto stärker wurde Falkenauges Stimme. Als sie sich ihnen auf wenige Schritte genähert hatten, streckte der Irokese, der Englisch sprach, den Arm aus und hielt den vermeintlichen Singmeister an.

»Ist der Hund von einem Delawaren jetzt furchtsam?« fragte er, indem er dem anderen neugierig ins Gesicht blickte. »Werden die Irokesen ihn stöhnen hören?«

Der Bär brummte in diesem Augenblick grimmig und so natürlich, daß der Indianer einige Schritte zurücktrat. Falkenauge fürchtete, seine Sprache würde ihn verraten, und fuhr noch lauter in seinem Gegang fort. Die Indianer zogen sich jetzt erehrbietig vor dem anscheinend Wahnsinnigen zurück und ließen die beiden ungleichen Gefährten ungehindert vorüberziehen.

Unkas und der Kundschafter setzten ihren Weg mit langsamen, feierlichen Schritten fort. Sie sahen bald, daß die Neugier der Wächter über ihre Furcht gesiegt hatte und daß sie sich der Hütte näherten, um sich von dem Erfolg des Zauberers zu überzeugen.

Eine unvorsichtige Bewegung Davids konnte sie jetzt leicht verraten. Falkenauge hielt es jedoch für ratsam, seinen lauten Gesang fortzusetzen. Einige Neugierige wurden durch den Gesang aus ihren Hütten gelockt. Einmal begegnete ihnen ein Krieger. Er ließ die beiden aber bei näherer Betrachtung ruhig ziehen, und die Dunkelheit der Nacht begünstigte ihr Unternehmen. Sie befanden sich schon in einiger Entfernung vom Lager, als sie aus dem Inneren der Hütte, in der Unkas gefesselt war, ein lautes und anhaltendes Geschrei hörten. Unkas warf jetzt sein Bärenfell ab, Falkenauge gab ihm einen leichten Schlag auf die Schulter, und beide eilten rasch vorwärts. Bald waren sie im dichten Wald verschwunden.

Als die Irokesen den Betrug entdeckten, stürzten sie alle in die Hütte und bemächtigten sich sofort des Sängers.

In wildesten Gebärden drückten sie ihre Wut und ihren Rachedurst aus. David aber erhob seine Stimme und sang den ersten Vers eines Sterbeliedes. Er erinnerte so die Indianer an seine Geistesschwäche. Sie liefen auch sofort hinaus und brachten das ganze Dorf in Aufruhr. Die Flucht des Gefangenen war bald allgemein bekannt, und der ganze Stamm versammelte sich in der Beratungshütte. Ungeduldig erwartete man hier die Beschlüsse, die die Häuptlinge fassen würden.

Bei diesem außerordentlichen Fall vermißten sie bald Magua. Man rief seinen Namen und wunderte sich sehr, als er sich nicht zeigte. Boten wurden in seine Hütte gesandt, und gleichzeitig schickte man einige junge Leute in die Wälder, damit sie die Gegend absuchten.

Lautes Geschrei verkündete etwas später die Rückkehr einiger Krieger. In ihrer Mitte erblickte man den unglücklichen Medizinmann, den der Kundschafter gefesselt hatte. Dieser Mann stand nicht bei allen Irokesen in gleichem Ansehen. Einige hielten ihn für einen Betrüger, andere glaubten an seine Macht, alle aber hörten ihm jetzt aufmerksam zu. Als er seine Geschichte beendet hatte, trat der Vater des kranken Weibes vor und berichtete seinerseits, was er von der Sache wußte. Dies gab den Wilden den Fingerzeig.

Zehn der klügsten und entschlossensten Irokesen stürzten sogleich zur Höhle. Dort herrschte völlige Stille. Das Weib lag noch in seiner früheren Stellung auf dem Lager. Besorgt beugte sich mit ungläubigem Blick ihr Vater über die Kranke. Er mußte jedoch feststellen, daß sie tot war. Auf den Leichnam deutend, wandte er sich seinen Begleitern zu und sagte:

»Das Weib meines jungen Kriegers hat uns verlassen. Der Große Geist zürnt seinen Kindern.«

Die Trauerkunde wurde mit feierlichem Schweigen vernommen. Plötzlich kam ein Gegenstand von dunklem Aussehen aus der Nebenkammer hereingerollt. Erschrocken wichen die Indianer zurück. Aller Augen hefteten sich auf das Unheimliche, das sich, als es dem Lichte nahe genug gekommen war, in schreckenerregender Art aufrichtete. Jetzt erkannte man die verzerrten Gesichtszüge Maguas. Ein allgemeiner Ausruf des Erstaunens folgte. Gleich darauf aber beeilte man sich, den Häuptling von seinem Knebel zu befreien und die Riemen, mit denen seine Glieder gefesselt waren, zu zerschneiden.

Magua stand auf und schüttelte sich. Krampfhaft faßte er nach seinem Messer, während sein Blick wild im Kreis umherirrte, als suche er jemanden. Endlich unterbrach der älteste Häuptling die Stille:

»Mein Freund hat einen Feind gefunden! Ist er in der Nähe, damit die Irokesen Rache an ihm nehmen können?«

»Laßt den Delawaren sterben!« rief Magua laut.

»Der Mohikaner ist flink auf den Füßen und springt weit«, sagte der Häuptling nach längerem Schweigen, »aber meine jungen Männer sind ihm auf der Spur.«

»Ist er fort?« fragte Magua.

»Ein böser Geist ist unter uns gewesen, und der Delaware hat unsere Augen geblendet.«

»Ein böser Geist?« wiederholte der andere mit bitterem Spott. »Ja, der Geist, der schon so vielen Irokesen das Leben geraubt hat; der Geist, der meine jungen Männer an dem herabstürzenden Flusse tötete; der ihre Skalpe an der Heilquelle nahm und der jetzt die Arme Maguas gebunden hat.«

»Von wem spricht mein Freund?«

»Von dem Hund, der unter einer weißen Haut den Mut und die Schlauheit eines Irokesen hat — von der Langen Büchse.«

Der gefürchtete Name machte auf die Zuhörer einen tiefen Eindruck. Alle waren zu blutiger Rache entschlossen.

»Laßt uns zu meinem Volk gehen«, sagte Magua.

Seine Gefährten stimmten schweigend zu, und der ganze Trupp verließ die Höhle und begab sich zur Beratungshütte. Sobald die Krieger ihre Sitze eingenommen hatten, richteten sich alle Augen auf Magua. Er stand auf und. berichtete sein Abenteuer ohne Entstellung oder Übertreibung, völlig der Wahrheit gemäß. letzt lag der ganze Betrug, den Duncan und der Kundschafter ausgesonnen hatten, offen zutage. Alle Krieger waren erstaunt über die unbegreifliche Kühnheit ihrer Feinde und sannen auf Mittel und Wege, um sich zu rächen.

Für alle Fälle wurde sofort ein Trupp Krieger ausgesandt, damit er die Spur der Flüchtlinge verfolge. Unterdessen ließen die Häuptlinge ihre Meinung und ihren Rat hören. Die älteren Krieger brachten verschiedene Pläne vor, die von Magua schweigend und ehrfurchtsvoll angehört wurden. Er hatte nun seine ganze Selbstbeherrschung wiedererlangt. Erst wollte er die Meinung der übrigen kennenlernen, ehe er mit seinen eigenen Ansichten hervortrat. Sie erhielten ein noch größeres Gewicht, als einige der ausgesandten Boten zurückkehrten und meldeten, daß sie die Spuren der Flüchtlinge entdeckt hätten und daß diese in dem benachbarten Lager der Delawaren Schutz gesucht hätten.

Nun eröffnete Magua den Häuptlingen seine Pläne. Er tat das mit all seiner schlauen Beredsamkeit, so daß seine Vorschläge einstimmig und widerspruchslos angenommen wurden. Der ganze Stamm erklärte sich bereit, die Leitung des Kriegsplanes dem Häuptling Magua zu übertragen. Magua hatte nun das große Ziel erreicht, nach dem er so lange gestrebt hatte. Achtung und Ansehen in seinem eigenen Volksstamm waren wiedergewonnen. Jetzt war er in der Tat dessen Häuptling, und solange er seine Volkstümlichkeit erhalten konnte, ein Häuptling, dessen Macht keine Grenzen kannte.

Zunächst schickte Magua Läufer aus, die das Lager der Delawaren beobachten sollten. Den Weibern und Kindern wurde befohlen, sich zurückzuziehen. Man ermahnte sie, sich still und ruhig zu verhalten. Nachdem alle Anordnungen getroffen waren, ging Magua im Berg umher und bestärkte seine Freunde in dem Vertrauen, das sie ihm geschenkt hatten.

Hierauf begab er sich in seine eigene Behausung. Das Weib, das er zurücklassen mußte, als er von seinem Volk vertrieben wurde, war gestorben; Kinder hatte er nicht. Daher bewohnte er seine Hütte allein. Doch während seine Stammesgenossen schliefen, fand er keine Ruhe. Einsam saß er in einem Winkel seiner Wohnstätte und sann über kühne Zukunftspläne nach. Dann und wann, wenn ein Zugwind durch die Lücken der einfachen Behausung wehte und das halb erloschene Feuer wieder anfachte, wurde die Gestalt des einsamen Häuptlings von einem ungewissen flackernden Licht erhellt. In diesen Augenblicken glich er dem Fürsten der Finsternis, dem Teufel, der das Verderben der Menschen in der Hand hält.

Lange vor Anbruch des Morgens trat ein Krieger nach dem andern in Maguas Hütte. Schließlich hatten sich zwanzig Irokesen um ihn versammelt. Alle waren bewaffnet, zeigten aber keine Kriegsbemalumg. Einige setzten sich in einem Winkel nieder, andere blieben in tiefem Schweigen stehen. Sie folgten seinen Ratschlägen und verließen das Lager still und ohne jedes Geräusch. Magua schlug nicht den Pfad ein, der geradewegs zum Lager der Delawaren führte. Er zog es vor, den Windungen des Baches zu folgen, und kam daher nach geraumer Weile am Biberteich vorüber.

Als sie die Lichtung des Waldes betraten, war es eben Tag geworden. Einer der Häuptlinge hatte die Gestalt des Bibers zu seinem »Totem« erwählt. Er wandte sich jetzt der Sitte gemäß mit einer förmlichen und lauten Rede an die unsichtbaren Tiere und bat um die Hilfe ihrer Klugheit. Andächtig und aufmerksam hörten die Irokesen dieser feierlichen Bitte zu. Ein- oder zweimal ließen sich einige Biberköpfe auf der Oberfläche des Wassers erblicken, worüber der Irokese große Freude zeigte. Nachdem er seine Ansprache beendet hatte, streckte ein großer Biber den Kopf aus einer halbverfallenen Hütte, die man für unbewohnt gehalten hatte. Dies schien ein besonders günstiges Vorzeichen zu sein, und der Zug setzte sich schweigend in Bewegung.

In diesem Augenblick aber, als die Irokesen im Wald verschwanden, kroch das Tier zur Gänze aus der Hütte und nahm sein Fell vom Kopf: Chingachgooks ernstes und lauschendes Gesicht kam zum Vorschein.

21

Der Stamm der Delawaren, der sein Lager in der Nähe des Dorfes der Irokesen hatte, zählte ungefähr ebenso viele Krieger wie der Nachbarstamm. Gleich anderen Stämmen hatten sie sich zwar dem Zuge Montcalms angeschlossen und mehrere Einfälle in die Jagdreviere der Mohawks gewagt, an der Belagerung des Forts »William Henry« aber hatten sie nicht teilgenommen und nur einen Abgesandten an General Montcalm mit der Botschaft gesandt, ihre Tomahawks seien stumpf und sie brauchten Zeit, um sie wieder zu schärfen. Der Kommandant von Kanada hielt es für ratsamer, sich einen untätigen Freund zu erhalten, als ihn durch strenge Maßnahmen zum Feind zu machen.

An dem Morgen, an dem Magua seinen schweigenden Trupp in den Wald führte, beleuchteten die Strahlen der aufgehenden Sonne ein recht geschäftiges Volk. Weiber liefen von Hütte zu Hütte, bereiteten den Morgenimbiß oder waren eifrig bemüht, ihre Bekleidung zu vervollständigen. Die Krieger standen in Gruppen beisammen, und ihre sorgfältig erwogenen Worte und gelegentlichen aufmerksamen Blicke nach einer großen, stillen Hütte mitten im Dorf ließen darauf schließen, daß etwas Ungewöhnliches ihre Gedanken beschäftigte.

Plötzlich erschien am äußersten Ende des Felsplateaus, auf dem das Dorf erbaut war, ein Mann. Er war unbewaffnet, und die Bemalung seines Gesichtes schien darauf berechnet, die Wildheit seiner Züge zu mäßigen. Als er sich den Delawaren so weit genähert hatte, daß er von allen gesehen werden konnte, blieb er stehen und machte ein Friedens- und Freundschaftszeichen, indem er den Arm zum Himmel emporstreckte und dann seine Hand auf die Brust legte. Ein leises Gemurmel des Willkommens beantwortete diesen Gruß und forderte ihn auf, näher zu treten. Nun verließ die dunkle Gestalt den Rand der Felsenterrasse und näherte sich langsam und mit feierlichem Schritt den Hütten. Man hörte das Geklirr der leichten silbernen Zierate, die der Mann um Hals und Arme trug, und das Klingeln der kleinen Glöckchen, die seine Mokassins schmückten. Die Männer, an denen er vorüberging, grüßte er mit höflichen Gebärden, den Weibern aber schenkte er nicht die geringste Aufmerksamkeit. Nachdem er die Gruppe erreicht hatte, in der sich die angesehensten Häuptlinge befanden, blieb der Fremde stehen. Die Delawaren erkannten nun in der leichten, hohen Gestalt den Häuptling Magua. Sie empfingen ihn freundlich.

»Der weise Irokese ist willkommen!« sagte ein Delaware in der Sprache der Irokesen. »Er ist erschienen, um Su-ca-tusch mit seinen Brüdern von den Seen zu essen!«

»Er ist erschienen«, erwiderte Magua, sich mit Würde verneigend.

Der Häuptling streckte seinen Arm aus und lud seinen Gast ein, sich in die Hütte zu begeben und das Morgenmahl mit ihm zu teilen. Die Einladung wurde angenommen, und beide Krieger verließen in Begleitung von vier Männern die übrigen Delawaren, die wohl vor Neugierde brannten, aber dennoch mit keinem Wort ihre Ungeduld verrieten.

Die Unterhaltung während des kurzen Mahles war einsilbig und beschränkte sich auf die Ergebnisse der Jagd. Nach dem Mahl räumten die Weiber die hölzernen Schüsseln und Kürbisflaschen ab, und die Häuptlinge sammelten ihre Gedanken, um sich in der bevorstehenden Unterredung an Schlauheit und Witz zu übertreffen.

»Hat sich das Antlitz meines Großen Vaters von Kanada wieder zu seinen Kindern, den Irokesen, gewandt?« fragte der Sprecher der Delawaren.

»Wann war es je anders?« entgegnete Magua; »er nennt mein Volk nur sein vielgeliebtes!«

Der Delaware gab durch eine Verbeugung zu erkennen, daß er einer Behauptung beipflichte, die, wie er wußte, nicht den Tatsachen entsprach.

»Die Tomahawks eurer Krieger«, fuhr er fort, »sind sehr rot gewesen.«

»So ist es, aber jetzt sind sie glänzend und stumpf, denn die Engländer sind tot, und die Delawaren sind unsere Nachbarn.«

Der andere erwiderte dieses Kompliment, das auf friedliche Gesinnung schließen ließ, nur durch eine Handbewegung und schwieg.

Darauf fragte Magua, als würde er erst jetzt daran erinnert:

»Ist meine weiße Gefangene vielleicht meinen Brüdern lästig?«

»Sie ist uns willkommen.«

»Der Weg zwischen den Irokesen und den Delawaren ist nur kurz und ist frei. Belästigt sie meinen Bruder, so möge er sie zu meinen Weibern senden.«

»Sie ist uns willkommen«, wiederholte der Häuptling mit besonderem Nachdruck.

Magua schwieg einige Augenblicke. Die Verweigerung seines Wunsches schien ihn nicht zu berühren.

»Lassen meine jungen Männer den Delawaren Raum genug, damit sie in den Bergen jagen können?« fuhr er fort.

»Die Delawaren sind Herren über ihre eigenen Berge«, entgegnete der andere stolz.

»So ist es. Die Gerechtigkeit leitet die Rothäute. Warum sollten sie die Tomahawks schleifen und die Messer schärfen, um gegeneinander zu kämpfen? Gibt es nicht Bleichgesichter, die beider Feinde sind?«

»Gut!« riefen zwei oder drei seiner Zuhörer gleichzeitig.

Der schlaue Magua fuhr fort: »Sind diese Wälder nicht von fremden Füßen betreten worden? Haben meine Brüder nicht die Spuren von weißen Männern entdeckt?«

»Laßt meinen Vater von Kanada kommen«, erwiderte der andere ausweichend, »seine Kinder sind bereit zu seinem Empfang.«

»Wenn der Große Häuptling kommt, so geschieht es, um mit den Indianern in ihren Hütten zu rauchen. Die Irokesen sagen ebenfalls, er ist willkommen. Die Engländer aber haben lange Arme und Beine, die nie müde werden. Meine jungen Männer haben geträumt, sie erblickten die Spur der Engländer dicht am Lager der Delawaren.«

»Sie werden uns nicht schlafend finden.«

»Das ist gut! Der Krieger, dessen Auge offen ist, kann seinen Feind sehen«, sagte Magua, der dem Gespräch eine andere Wendung zu geben suchte, da es ihm nicht gelang, die Vorsicht seines Gegners zu überlisten. »Ich habe meinem Bruder Geschenke mitgebracht. Sein Stamm wollte nicht gemeinsam mit uns auf den Kriegspfad ziehen, weil er es nicht für ratsam hielt; aber seine Freunde haben nicht vergessen, wo er wohnt.«

Der schlaue Häuptling stand auf und breitete die mitgebrachten Geschenke vor den geblendeten Augen seiner Gastgeber aus. Sie bestanden größtenteils in Schmuck von gringem Wert, der den bei »William Henry« erschlagenen Weibern gehört hatte. In der Art, wie der Irokese diesen glänzenden Tand verteilte, bewies er seine Gewandtheit. Die besten Stücke überreichte er den beiden Häuptlingen, von denen der eine ihn eingeladen hatte. Aber alle, ohne Ausnahme, bekamen Geschenke, und allen schmeichelte er. Dieser politische Kunstgriff Maguas war so gut berechnet, daß der Erfolg nicht ausblieb.

»Mein Bruder ist ein weiser Häuptling. Er ist willkommen!« versicherte der eine der beiden Häuptlinge.

»Die Irokesen sind Freunde der Delawaren«, entgegnete Magua. »Warum sollten sie es nicht sein? Dieselbe Sonne färbt ihre Haut, und die gerechten Männer beider Stämme werden nach ihrem Tod in denselben Wäldern und Bergen jagen. Die Rothäute sollten Freunde sein und mit offenen Augen auf die Weißen blicken. Hat mein Bruder nicht Spuren von Spionen in den Wäldern gesehen?«

Der Delaware ließ sich jetzt herab eine bestimmtere Antwort zu geben.

»Es sind fremde Mokassins um mein Lager geschlichen. Man hat ihre Spur bis in meine Hütte hinein verfolgt.«

»Hat mein Bruder die Hunde wieder fortgejagt?« fragte Magua ohne Rücksicht auf die frühere zweideutige Antwort des Häuptlings.

»Das würde nicht angehen. Der Fremde ist stets willkommen bei den Kindern der Delawaren.«

»Der Fremde, nicht aber der Kundschafter!«

»Verwenden denn die Engländer ihre Weiber als Kundschafter? Sagte nicht der Irokesenhäuptling, er habe in der Schlacht Weiber gefangen. genommen?«

»Er hat keine Lüge gesagt. Die Engländer haben ihre Kundschafter ausgeschickt. Sie waren in meinem Wigwam, aber dort hieß sie keiner willkommen. Daher flüchteten sie sich zu den Delawaren. ›Denn‹, sagten sie, ›die Delawaren sind unsere Freunde. Sie haben sich von ihrem Vater in Kanada abgewandt!‹«

Diese geschickte Wendung machte den tiefsten Eindruck. Die Delawaren wußten recht gut, daß der neuerliche Abfall ihres Stammes ihnen von seiten der Franzosen viele Vorwürfe zugezogen hatte. Man nahm daher Maguas beunruhigende Äußerung mit großer Besorgnis auf.

»Mein Vater von Kanada möge mir ins Antlitz blicken«, sprach der Gastgeber, »er wird keine Veränderung darin wahrnehmen. Meine jungen Männer sind freilich nicht auf den Kriegspfad mitgezogen. Sie hatten Träume, die ihnen sagten, daß sie es nicht tun sollten. Aber trotzdem lieben und verehren sie den großen weißen Häuptling.«

»Wird er das glauben, wenn er vernimmt, daß sein ärgster Feind in dem Lager seiner Kinder gespeist wird? Wenn man ihm sagt, ein blutiger Engländer rauche mit euch an eurem Feuer? Wenn er erfährt, daß das Bleichgesicht, das so viele seiner Freunde getötet hat, bei den Delawaren ein und aus geht? — Nein! — Mein Großer Vater von Kanada ist kein Tor!«

»Wer ist der Engländer, den die Delawaren fürchten?« erwiderte der andere. »Wer hat meine jungen Männer getötet? Wer ist der Todfeind meines Großen Vaters?«

»Die Lange Büchse!«

Bei diesem bekannten Namen fuhren die Delawaren erschrocken auf. Jetzt erst schienen sie, wie ihre Bestürzung verriet, zu erfahren, was für ein Mann sich in ihrer Gewalt befand.

»Was meint mein Bruder damit?« fragte der andere.

»Ein Irokese lügt nie«, entgegnete Magua. »Die Delawaren mögen ihre Gefangenen zählen; sie werden einen darunter finden, dessen Haut weder rot noch bleich ist.«

Ein langes Schweigen folgte auf diese Worte. Der Häuptling zog seine Gefährten zur Seite, um sich mit ihnen zu besprechen. Boten wurden abgeschickt, um noch einige der angesehensten Männer des Stammes herbeizurufen. Bald kamen die Krieger an, und jedem Eintretenden wurde gleich die wichtige Neuigkeit verkündet. Aufruhr und Bewegung verbreiteten sich im ganzen Lager. Die Weiber verließen ihre Arbeit, die Knaben ihre Spiele, und alle Tätigkeit ruhte. Nach der ersten Aufregung versammelten sich die Älteren zu einer Beratung. Magua war ruhig sitzen geblieben, und es schien, als ließe ihn alles gleichgültig.

Die Beratung der Delawaren dauerte nur kurze Zeit. Nachher verkündete ein allgemeiner Aufruhr, daß gleich eine feierliche Versammlung des ganzen Stammes stattfinden werde. Da sie äußerst selten und nur in besonders wichtigen Fällen zusammengerufen wurde, sah der Irokese, daß jetzt der Augenblick kommen würde, in dem seine Pläne gelingen oder scheitern mußten. Er verließ nun die Hütte und begab sich schweigend zum Versammlungsplatz.

Dort fanden sich die Krieger bereits der Reihe nach ein. Es mochte etwa eine halbe Stunde vergangen sein, bis alle, die zum Stamm gegehörten, Weiber und Kinder nicht ausgenommen, sich zusammengefunden hatten. Alle, selbst die alten Krieger, schwiegen. Die Stille, die den Beratungen der Indianer stets vorangeht, dauerte hier aber länger als gewöhnlich. Nur dann und wann blickte ein Auge vom Boden auf und richtete sich auf eine abgelegene Hütte, die sich von den übrigen Wohnungen dadurch unterschied, daß sie sorgfältiger gebaut war.

Endlich vernahm man ein dumpfes Murmeln in der Menge, und alle erhoben sich von ihren Plätzen. Die Tür der abgelegenen Hütte öffnete sich. Drei Männer traten heraus und näherten sich langsam dem Beratungsplatz. Alle waren hochbetagt und älter als irgendeiner der Anwesenden. Der in der Mitte gehende Greis aber, den die beiden andern im Gehen unterstützten, trug die Last von mehr als hundert Jahren. Verschwunden war an ihm der leichte elastische Schritt des Indianers; mühsam schleppte er seine Füße Zoll für Zoll über den Boden. Sein dunkles, von Furchen arg bedecktes Gesicht bildete einen auffallenden Kontrast zu dem langen weißen Haar, das in Locken über seine Schultern fiel. Höchst bemerkenswert war seine Kleidung, die aus kostbarem Leder bestand und mit gemalten Symbolen verziert war. Ein silbernes Diadem schmückte die ehrwürdige Stirn. Sein Tomahawk war silberbeschlagen, und der Griff seines Messers glänzte von gediegenem Gold.

In der ersten Aufregung und Freude über das Erscheinen des Verehrten Häuptlings hörte man deutlich aus aller Munde den Namen »Tamenund«. Schon öfters hatte Magua die Weisheit und Gerechtigkeit dieses Delawaren rühmen gehört. Man glaubte von ihm, daß er mit dem Großen Geist in geheimer Verbindung stünde. Die Augen des Greises waren geschlossen, als seien sie müde, noch länger das Treiben der menschlichen Leidenschaften mit anzusehen. Die Farbe seiner Haut war verschieden von der der anderen Indianer, sie schien glänzender und dunkler zu sein und zeigte die Linien reicher Tätowierungen.

Auf seine Gefährten gestützt, ging er langsam dem Platz zu, auf dem sich das Volk versammelt hatte. Mit der würdevollen Haltung eines Fürsten nahm er seinen Sitz ein. Nach einer ehrfurchtsvollen Pause näherten sich die angesehensten Häuptlinge dem Uralten. Sie ergriffen seine Hand und legten sie auf ihren Kopf, als wollten sie ihn um seinen Segen bitten. Die jüngeren Männer begnügten sich mit der Berührung seines Kleides oder versuchten wenigstens, so nahe wie möglich an ihn heranzutreten. Aber diese Freiheit nahmen sich nur die edelsten unter den jüngeren Kriegern, die übrigen begnügten sich mit dem Glück, das Antlitz des verehrten Greises zu betrachten.

Nachdem man dem Patriarchen diese Huldigung dargebracht hatte, nahmen die Häuptlinge wieder ihre Plätze ein. Ein paar jüngere Krieger, denen einer der Begleiter des Greises etwas zuflüsterte, verließen die Versammlung und erschienen alsbald mit den Gefangenen.

22

Die Gefangenen befanden sich jetzt mitten in dem Kreis der Delawaren. Cora hielt ihren Arm zärtlich um ihre Schwester Alice geschlungen. Trotz des drohenden Anblicks der Indianer empfand sie keine Furcht. Dicht an ihrer Seite stand Heyward und hinter diesem Falkenauge. Unkas jedoch befand sich nicht unter ihnen. Als vollkommene Stille eingetreten war, erhob sich nach einer langen und feierlichen Pause einer der bejahrten Häuptlinge, die neben dem würdigen Greis saßen. Er fragte in sehr verständigem Englisch:

»Welcher von meinen Gefangenen ist die Lange Büchse?«

Weder Duncan noch der Kundschafter antworteten. Der Major ließ seine Blicke über die schweigende Versammlung schweifen und fuhr einen Schritt zurück, als seine Augen Maguas boshaftem Gesicht begegneten. Sofort war ihm klar, daß nur dieser Irokese ihre Vorladung vor diese feierliche Versammlung bewirkt haben konnte. Er beschloß daher, alles aufzubieten, um seinen Freund zu beschützen.

»Gebt uns Waffen!« rief er stolz, »und laßt uns in die Wälder gehen. Dort sollen dann unsere Taten für uns sprechen.«

»Das ist der Krieger, dessen Name bis zu unseren Ohren gedrungen ist!« sagte der Häuptling, indem er Duncan aufmerksam betrachtete. »Was führte den weißen Mann in unser Lager?«

»Die Not. Ich kam, um Nahrung, Obdach und Freunde zu suchen.«

»Das kann nicht wahr sein. Die Wälder sind voll Wild. Das Haupt eines Kriegers hat kein anderes Obdach nötig als einen wolkenlosen; Himmel, und die Delawaren sind nicht die Freunde, sondern die Feinde der Engländer. Geh, dein Mund hat gesprochen, während dein Herz nichts sagte.«

Duncan schwieg, weil er nicht recht wußte, was er antworten sollte. Aber der Kundschafter trat jetzt mutig vor und sagte laut:

»Wenn ich nicht antwortete, als Ihr nach der Langen Büchse fragtet, so geschah das nicht aus Furcht, denn ein Krieger kennt keine Furcht. Ich gestehe aber den Mingos nicht zu, mir einen Namen beizulegen, der noch dazu eine Lüge ist, weil ›Wildtöter‹ ein echtes gezogenes Gewehr, aber keine Büchse ist. Ich bin der Mann, der von seinen Verwandten den Namen Nathaniel erhielt, und von den Delawaren, die am gleichnamigen Fluß wohnten, den Beinamen Falkenauge.«

Die Augen aller richteten sich jetzt auf die kräftige Gestalt des Mannes, der einen so ruhmreichen Namen trug. Es war nichts Ungewöhnliches, daß sich zwei Männer um die Ehre stritten, einen solchen Namen zu führen, denn Betrüger waren nicht ganz unbekannt unter den Indianern, wenn auch selten. Es lag den Delawaren jedoch daran, die Wahrheit zu erfahren, denn sie wollten streng und gerecht zu Gericht sitzen.

»Mein Bruder hat gesagt, eine Schlange sei in mein Lager gekrochen?« wandte sich der Häuptling nun an Magua. »Wer ist es?«

Der Irokese wies schweigend auf den Kundschafter.

»Will ein weiser Delaware dem Bellen eines Wolfes trauen?« rief Heyward entschlossen. »Ein Hund lügt niemals. Hat aber je ein Wolf die Wahrheit geredet?«

Maguas Augen funkelten, doch er schwieg. Nach einer kurzen Beratung wandte sich der vorsichtige Delaware wieder an ihn.

»Mein Bruder ist ein Lügner genannt worden«, sagte er, »und seine Freunde sind darob entrüstet. Sie wollen zeigen, daß er die Wahrheit gesprochen. Gebt meinen Gefangenen Gewehre, und sie werden beweisen, welcher von ihnen der rechte Mann ist.«

Magua gab durch seine Gebärde seinen Beifall zu erkennen. Er war sehr zufrieden damit, daß seine Glaubwürdigkeit durch einen so solchen Schützen wie den Kundschafter erwiesen werden sollte.

Die zwei Gefangenen erhielten also Gewehre. Sie sollten über die Köpfe der umherstehenden Menge hinweg nach einem irdenen Gefäß schießen, das zufällig etwa fünfzig Schritt entfernt auf einem abgehauenen Baumstamm lag. Heyward lächelte bei dem Gedanken eines Wettschießens mit dem Kundschafter. Er nahm jedoch seine Büchse, ziehe mit der größten Sorgfalt und gab Feuer. Die Kugel schlug nur einige Zoll weit von dem Gefäß in den Stamm, und ein allgemeines Freudengeschrei verkündete, daß dieser Probeschuß von sehr großer Geschicklichkeit zeuge. Selbst Falkenauge nickte anerkennend mit dem Kopf. Er blieb aber länger als eine Minute auf seine Büchse gestützt stehen, wie jemand, der in tiefes Nachdenken versunken ist. Plötzlich klopfte ihm ein junger Indianer auf die Schulter und sagte in schlechtem Englisch:

»Kann es das Bleichgesicht besser machen?«

»Ja, Rothaut!« rief der Kundschafter, hob seine Büchse mit der rechten Hand in die Höhe und richtete sie auf Magua. »Ja, Rothaut, jetzt könnte ich dich niederschießen, ohne daß mich irgendeine Macht daran hindern sollte. Dies aber verbietet meine Überzeugung, und ich würde über schuldlose Wesen neues Unglück bringen.«

Falkenauges Antlitz glühte, und seine vor Zorn blitzenden Augen erfüllten seine Zuhörer mit geheimer Angst. Die Delawaren wagten kaum zu atmen. Magua aber blieb mitten unter der Menge ruhig und bewegungslos stehen.

»Besser machen«, wiederholte jetzt der Delaware, der dicht neben dem Kundschafter stand.

»Was besser machen, Narr? Was?« rief Falkenauge, seine Büchse entrüstet über dem Kopf schwingend.

»Ist der weiße Mann wirklich der gesuchte Krieger«, sagte der bejahrte Häuptling, »so möge er das Ziel besser treffen.«

Der Kundschafter brach in ein lautes Gelächter aus. Er ließ, lässig fast and beinahe absichtslos, sein Gewehr in die ausgestreckte linke Hand fallen; dabei bewirkte die Erschütterung, daß es von selbst losging. Und siehe da! Der Schuß traf das Gefäß und zerschmetterte es. Falkenauge aber warf verächtlich die Büchse auf die Erde.

Dieser außerordentliche Auftritt erweckte die ungeteilte Bewunderung aller Delawaren. Bald aber verbreitete sich ein leises Gemurmel unter der Menge, das deutlich bewies, daß die Zuschauer sehr verschiedener Meinung waren. Der größte Teil hielt diesen Schuß für das Spiel des Zufalls, und Heyward unterließ es nicht, ihn in dieser Meinung zu bestärken.

»Es war nichts als ein Zufall«, rief er. »Niemand kann schießen, ohne zu zielen.«

»Zufall!« wiederholte der gereizte Jäger, der es sich nun einmal vorgenommen hatte, hartnäckig und um jeden Preis zu beweisen, daß er der Gesuchte sei.

»Ist der lügnerische Irokese auch der Meinung, daß es ein Zufall war? Gebt ihm ein Gewehr und stellt uns einander ohne Deckung gegenüber. Dann möge die Vorsehung und unser eigenes Auge die Sache zwischen uns entscheiden. Ihnen, Major, mache ich diesen Vorschlag nicht, denn wir sind Freunde.«

»Der Irokese ist ein Lügner, das ist völlig klar«, antwortete Heyward. »Ihr hört ja selbst, daß er behauptet, Ihr wäret die Lange Büchse!«

»So wollen wir denn hier vor dem versammelten Stamm der Delawaren zeigen, wer von uns beiden besser schießen kann!« rief der Kundschafter. »Sie sehen doch die Kürbisflasche an dem Baum dort, Major? Sind Sie also ein so guter Schütze, wie wir ihn hier in den Grenzlanden brauchen, dann spalten Sie die Kürbisflasche!«

Duncan faßte die Flasche ins Auge und machte sich zu einem neuen Probeschuß fertig. Das Ziel hing weit über hundert Schritt entfernt an dem dürren Ast einer kleinen Fichte. Heyward hätte nicht sorgfältiger zielen können, wenn sein Leben von diesem Schuß abgehangen wäre. Endlich drückte er ab, und drei oder vier Indianer, die sogleich zum Ziel hinrannten, verkündeten, die Kugel habe den Baum getroffen.

Ein allgemeines Freudengeheul erscholl, und die Krieger sahen jetzt forschend auf Duncans Rivalen.

»Das ist gut genug für die königlichen Amerikaner!« sagte Falkenauge und schüttete Pulver auf die Zündpfanne. Als er damit fertig war, setzte er einen Fuß zurück und hob langsam das Gewehr. Diese Bewegung geschah mit fester und sicherer Hand, ohne im geringsten von der eingeschlagenen Linie abzuweichen. Als die Büchse waagrecht lag, ließ er sie, ohne zu zittern oder zu schwanken, einen Augenblick fest und unbeweglich ruhen. Dann fuhr plötzlich der helle Feuerstrahl aus dem Gewehr. Doch die jungen Indianer riefen alsbald, daß sie nirgends Spuren von der Kugel finden könnten.

»Pah!« sagte der alte Häuptling verächtlich zu dem Kundschafter. »Du bist der Wolf in der Haut eines Hundes. Ich will mit der Langen Büchse der Engländer sprechen.«

»Narren!« rief Falkenauge. »Wenn ihr die Kugel finden wollt, so müßt ihr ins Ziel hineinsehen und nicht um dasselbe herumsuchen!«

Die jungen Indianer verstanden sogleich, was er meinte, denn er hatte es in der Delawarensprache gerufen. Sie rissen deshalb die Flasche vom Baum und hoben sie unter allgemeinem Freudengeschrei hoch empor. In ihrem Boden erblickte man deutlich das Loch, das die Kugel, die in die Mitte des oberen Teils hineingefahren war, zurückgelassen hatte Nun sah Falkenauge seine Ansprüche auf seinen gefährlichen Namen allgemein anerkannt.

»Warum hast du meine Ohren verstopfen wollen?« fragte der alte Häuptling, zu Duncan gewandt. »Glaubst du, die Delawaren sind Narren, die nicht imstande sind, den jungen Panther von einer Katze zu unterscheiden?«

»Sie werden gleichwohl finden, daß der Irokese ein betrügerischer Lockvogel ist«, erwiderte Duncan, der sich der bildlichen Sprache der Eingeborenen zu bedienen versuchte.

»Es ist gut. Wir werden bald erfahren, wer die Ohren der Menschen schließen will, Bruder!« fuhr der Häuptling mit einem Blick auf Magua fort. »Die Delawaren hören.«

Bei dieser Aufforderung erhob sich der Irokese. Mit feierlichem Ernst trat er mitten in den Kreis und stellte sich dem Gefangenen gegenüber. Ehe er den Mund Öffnete, glitten seine Augen langsam über die Gesichter hin, die ihn umgaben. Mit Scheu betrachtete er dann den Kundschafter, während er Duncan einen Blick unversöhnlichen Hasses zuwarf. Die zitternde Alice schien er kaum zu beachten, dagegen sah er die aufrechte Cora lange eindringlich an. Dann begann er zu reden:

»Der Geist, der die Menschen schuf, gab ihnen verschiedene Farben. Einige sind schwärzer als der träge Bär. Diese sollten Sklaven sein. Er bestimmte sie wie den Biber zur Arbeit. Wenn der Südwind weht, könnt ihr sie an den Ufern des großen Salzwassers lauter als den brüllenden Büffel ächzen und stöhnen hören. An jenem Gestade sieht man die großen Fahrzeuge kommen und gehen und ganze Herden von ihnen bringen. Anderen gab der Große Geist ein bleiches Gesicht. Diese bestimmte er zu Handelsleuten und gab ihnen Hunde zu Weibern und Wölfe zu Sklaven. Er schenkte ihnen die Natur einer Taube und Kinder, zahlreicher als die Blätter der Bäume, außerdem eine Gefräßigkeit, die ganze Erde zu verschlingen. Er gab ihnen eine Sprache gleich dem falschen Geheul der wilden Katzen, das Herz eines Kaninchens, die Klugheit des Schweins und Arme, die länger als die Beine des Elches sind. Mit seiner Zunge verstopft das Bleichgesicht die Ohren der Indianer; sein Herz lehrt ihn, Krieger zu bezahlen, damit sie für ihn kämpfen. Seine Klugheit gibt ihm Mittel in die Hand, alle Güter der Erde an sich zu reißen, und sein Arm umschlingt das ganze Land von dem Gestade des Salzwassers bis zu den Inseln der großen Seen. Seine Gefräßigkeit macht ihn krank. Gott gab ihm genug, und dennoch fehlt ihm alles. So sind die Bleichgsichter.

Andere aber schuf der Große Geist mit einer Haut, glänzender und röter als die Sonne«, fuhr Magua mit einer ausdrucksvollen Gebärde fort, »und diese schuf er zu seinem Wohlgefallen. Ihnen gab er dieses Land, wie er es geschaffen hatte, bedeckt mit Bäumen und voll Wild. Der Wind bahnte ihnen Lichtungen im Wald, wo sie wohnen konnten, die Sonne und der Regen brachten ihr Korn zur Reife, und der Schnee erinnerte sie daran, dankbar zu sein. Wozu bedurften sie breiter Wege? Ihr Auge drang durch die dichtesten Wälder hindurch. Sie lagen im Schatten, wenn die Biber arbeiteten, und sahen ihnen zu. Die Winde kühlten sie im Sommer, und Felle erwärmten sie im Winter. Kämpften sie untereinander, so wollten sie nur zeigen, daß sie Männer seien. Sie waren tapfer, sie waren gerecht, sie waren glücklich.«

Hier machte der Redner eine Pause und blickte umher. Er sah die glühenden Augen der Krieger, in denen das Begehren stand, das ihrer Rasse angetanene Unrecht wiedergutzumachen.

»Wenn der Große Geist seinen roten Kindern verschiedene Sprachen gab«, fuhr Magua mit leiser, schwermütiger Stimme fort, »so geschah es, damit alle Tiere sie verstehen könnten. Einigen wies er mitten im Schnee bei ihren Vettern, den Bären, ihre Wohnungen an; anderen der untergehenden Sonne zu auf dem Weg, der zu den glücklichen Jagdgefilden führt. Wieder andere versetzte er in die Länder, die um die großen Seen herum liegen; aber seinen größten und geliebtesten Kindern räumte er den Strand des Salzsees ein. Ist meinen Brüdern wohl der Name dieses begünstigten Volkes bekannt?«

»Es waren die Delawaren!« riefen mehrere Stimmen in einem Atem.

»Es waren die Delawaren!« erwiderte Magua, indem er sein Haupt gleichsam aus Ehrfurcht vor ihrer ehemaligen Größe neigte. »Es waren die Stämme der Delawaren! Die Sonne stieg aus einem Wasser empor, das salzig war, und ging unter in einem Wasser, das süß war, und verbarg sich nimmer ihren Augen. Aber warum sollte ich, ein Irokese aus den Wäldern, einem weisen Volk seine eigenen Sagen erzählen? Warum sollte ich sie erinnern an die Schmach, die sie erdulden mußten, an ihre alte Größe, an ihre Taten, an ihren Ruhm, an ihr Glück — an ihre Verluste, ihre Niederlagen, ihr Elend? Gibt es keinen unter ihnen, der das alles selbst mit angesehen, und der weiß, daß es wahr ist? Ich bin am Ende. — Mein Mund ist stumm, aber meine Ohren sind offen.«

Als der Redner plötzlich schwieg, sahen alle auf den ehrwürdigen Tamenund. Seit er seinen Sitz eingenommen hatte, war über seine Lippen noch kein Laut gekommen, ja er hatte kaum ein Lebenszeichen verraten. Von Altersschwäche gebeugt, war er während des ganzen Auftritts, in dem der Kundschafter seine Geschicklichkeit bewies, bewegungslos sitzengeblieben. Erst als Magua seine Stimme steigerte, um dem Inhalt seiner Rede mehr Gewicht zu geben, schien er wieder zu Bewußtsein zu kommen. Er hob das Haupt, als wolle er besser hören. Als aber der schlaue Irokese den Namen seiner Nation aussprach, schlug der Greis die Augenlider empor und warf einen kalten und gefühllosen Blick auf die Menge. Der Ausdruck seiner Züge hatte in diesem Augenblick etwas Gespensterartiges. Er versuchte aufzustehen, was ihm mit Hilfe seiner Begleiter gelang, und nahm, wenn auch seine Glieder vor Altersschwäche zitterten, eine würdige Haltung an.

»Wer spricht von den Kindern der Delawaren?« sagte er in leisen und dumpfen Kehllauten, die in der atemlosen Stille der Versammlung fast schauerlich klangen. »Wer spricht von Dingen, die nicht mehr sind? Wird nicht aus dem Ei ein Wurm, aus dem Wurm eine Fliege — und kommt die Fliege nicht um? Warum den Delawaren von einem Glück erzählen, das dahin ist? Laßt uns vielmehr Manitu für das danken, was uns blieb.«

»Es ist ein Irokese«, sagte Magua, »ein Freund Tamenunds.«

»Ein Freund!« wiederholte der Weise, dessen Stirn sich verdüsterte. »Sind die Mingos die Beherrscher der Erde? Was führt einen Irokesen hierher?«

»Gerechtigkeit! Seine Gefangenen sind bei seinen Brüdern, und er kommt, sie zurückzufordern.«

»Gerechtigkeit ist das Gesetz des großen Manitu«, sagte der Greis. »Meine Kinder, gebt dem Fremden Speise. Dann, Irokese, nimm, was dir gehört, und verlaß uns.«

Der Alte nahm seinen Sitz wieder ein und schloß die Augen. Kein Delaware hätte es gewagt, sich gegen diesen Ausspruch aufzulehnen. Vier oder fünf der jüngeren Krieger schlichen sich jetzt hinter Heyward und den Kundschafter und banden deren Arme so geschickt und schnell, daß keiner der beiden sich bewegen konnte.

Magua warf einen triumphierenden Blick auf die Versammlung. Er sah, daß die männlichen Gefangenen nicht mehr fähig waren, Widerstand zu leisten. Daher richtete er sein Auge auf Cora. Sie erwiderte seinen Blick aber so ruhig und fest, daß er zu zögern schien. Dann ging er auf Alice zu, hob sie auf seine Arme und winkte Heyward, ihm zu folgen. In diesem Augenblick aber warf sich Cora unerwartet zu Füßen des Alten nieder und rief mit weithin schallender Stimme:

»Gerechter und ehrwürdiger Delaware! Deine Weisheit und Macht flehen wir an und bitten dich um deinen Schutz. Höre nicht auf den Irokesen, der dein Ohr mit Lügen vergiftet, um seinen Blutdurst zu stillen. Du hast so lange auf der Erde gelebt und das Böse dieser Welt kennengelernt, du weißt, wie man die Leiden der Unglücklichen mildern kann.«

Die Augen des alten Mannes öffneten sich langsam. Als der rührende Ton der Flehenden zu ihm drang, fiel sein Blick auf Cora und blieb auf ihr ruhen. Seine Züge gewannen allmählich wieder Leben, und von keiner fremden Hand unterstützt, stand er auf und sagte mit fester Stimme:

»Wer bist du?«

»Eine Engländerin. Aber zugleich ein Geschöpf, das dich nie beleidigt hat, noch deinem Volk je etwas zuleide tun kann und das jetzt deine Hilfe anruft.«

»Sagt mir doch, meine Kinder«, fuhr der Alte mit schwacher Stimme fort, »wo haben sich die Delawaren gelagert?«

»Zwischen den Bergen der Irokesen, jenseits der klaren Quellen des Horican.«

»So mancher heiße Sommer ist gekommen und wieder gegangen«, fuhr der Weise fort, »seit ich das Wasser meines eigenen Flusses getrunken habe. Die Bleichgesichter waren durstig und nahmen den Fluß für sich. Folgen sie uns nun bis hierher?«

»Wir folgen niemandem, wir begehren nichts!« entgegnete Cora lebhaft. »Wider Willen sind wir als Gefangene hier zu euch gebracht worden, und unsere Bitte besteht nur darin, daß es uns vergönnt sei, in Frieden zu den Unsrigen zurückzukehren. Bist du nicht Tamenund — der Vater, der Richter des Volkes?«

»Ich bin Tamenund, der viele Tage des Lebens gesehen hat.«

»Sieben Jahre sind es nun her, daß einer von deinem Volk sich an den Grenzen dieser Provinzen in der Gewalt eines weißen Häuptlings befand. Er sagte, er stamme aus dem Blut des guten und gerechten Tamenund. Geh, sagte der weiße Häuptling, ich schenke dir um deines Stammes Willen die Freiheit. Entsinnst du dich wohl, wie dieser englische Krieger hieß?«

»Ich erinnere mich«, erwiderte der Patriarch, der zwischen seinen verschiedenen Lebensjahren keinen Unterschied mehr machte. »Ich stand einst als fröhlicher Knabe auf dem Sande des Seeufers und erblickte ein großes Kanu mit Flügeln, weißer als die des Schwans und breiter als die von mehreren Adlern zusammen. Das Kanu kam von Sonnenaufgang her …«

»Nein, nein«, unterbrach ihn Cora, »ich spreche nicht von einer so lange vergangenen Zeit, ich rede von einem Geschenk, das einer meiner Angehörigen einem deiner Brüder noch vor kurzem gemacht hat.«

»War es damals, als die Engländer und die Holländer um die Jagdreviere der Delawaren kämpften? Damals war Tamenund ein Häuptling und legte zum erstenmal den Bogen ab, um sich der blinkenden Waffe der Bleichgesichter …«

»Auch damals war es nicht!« unterbrach ihn Cora. »Um viele Jahre später! Ich rede von Dingen, die sich erst gestern zugetragen haben.«

»Noch gestern«, erwiderte der Greis mit einem rührenden Pathos seiner hohlen Stimme, »noch gestern waren die Delawaren Herren der Welt. Die Fische des Salzsees, die Vögel, die Tiere und die Mingos in den Wäldern erkannten sie als Fürsten an.« Er machte eine Pause und fuhr dann fort: »Ich weiß, daß die Bleichgesichter ein stolzes und gieriges Geschlecht sind. Nicht nur die Herren der Erde wollen sie sein, selbst der Geringste unter ihnen dünkt sich besser als die Weisen der roten Männer. Von Sonnenaufgang her kamen sie in das Land, und leicht könnten sie genötigt sein, es bei Sonnenuntergang wieder zu verlassen. Oft sah ich, wie die Heuschrecken die Bäume von ihren Blättern entblößten, aber die Zeit der Blüten kehrte stets wieder!«

»So ist es«, versetzte Cora mit einem tiefen Seufzer. »Aber warum es so ist, das dürfen wir nicht erforschen. Es ist aber noch einer von deinem eigenen Volk da, der noch nicht vor dich geführt worden ist. Höre ihn, ehe du den Irokesen im Triumph fortziehen läßt.«

Tamenund sah fragend auf. Einer seiner Begleiter sagte:

»Es ist eine Schlange — eine Rothaut im Solde der Engländer. Wir bewahren ihn für den Marterpfahl auf.«

»Er möge kommen!« sprach der Weise.

Hierauf sank Tamenund wieder auf seinen Sitz zurück, und es herrschte eine so tiefe Stille, daß man deutlich das Rauschen der Blätter hören konnte, die der leichte Morgenwind bewegte.

23

Mehrere Minuten lang dauerte diese Stille. Endlich teilte sich die Menge, und als sie sich wieder schloß, stand Unkas vor dem Greis. Jeder Blick richtete sich mit stummer Bewunderung auf die hohe Gestalt des Jünglings. Aber weder die Menge, die ihn umgab, noch die Aufmerksamkeit, die ihm galt, schienen den jungen Mohikaner auch nur im geringsten einzuschüchtern. Gleichmütig ertrug er den unverkennbaren Ausdruck feindlicher Gesinnung und das neugierige Gaffen der staunenden Kinder. Endlich fiel sein Auge auf Tamenund. Er näherte sich langsam und geräuschlos dem hohen Sitz. Der Greis, den er mit scharfem Blick betrachtete, schien ihn nicht zu bemerken. Schließlich machte einer der Häuptlinge den Alten auf die Ankunft des Gefangenen aufmerksam.

»In welcher Sprache redet der Gefangene zu Manitu?« fragte Tamenund, ohne die Augen zu öffnen.

»In der Sprache seiner Väter«, entgegnete Unkas, »in der Sprache der Delawaren.«

Ein leises, drohendes Gemurmel schien sich unter der Menge zu verbreiten. Der Greis bedeckte die Augen mit der Hand, als ob er den nicht sehen wollte, der seinem Geschlecht zur Schande gereichte, und wiederholte in leisen, tiefen Kehllauten:

»Ein Delaware! Ich habe es erleben müssen, daß die Stämme der Delawaren von ihren Beratungsfeuern vertrieben und zwischen den Bergen der Irokesen zerstreut wurden wie ein Rudel verscheuchter Hirsche! Ich habe gesehen, wie die Äxte eines fremden Volkes die Wälder niederschlugen, die von den Stürmen des Himmels verschont geblieben waren! Die wilden Tiere, die auf den Bergen umherlaufen, die Vögel, die über die Berge hinwegfliegen, habe ich in den Hütten der Menschen gefangen gesehen. Nie aber sah ich einen Delawaren, der sich so erniedrigte, einer giftigen Schlange gleich in das Lager seines Stammes zu kriechen!«

»Die betrügerischen Singvögel haben ihre Schnäbel geöffnet«, entgegnete Unkas in dem sanftesten Ton seiner melodischen Stimme, »und Tamenund hat ihren Gesang gehört.«

Der Weise fuhr zusammen und beugte sein Haupt seitwärts, als wolle er den verhallenden Tönen einer entfernten Melodie lauschen. »Träumt Tamenund?« rief er. »Welche Stimme dringt zu seinem Ohr? Haben die Winter uns wieder verlassen? Wird der Sommer zurückkehren zu den Kindern der Delawaren?«

Diesen unzusammenhängenden Worten des Delawaren folgte eine feierliche und ehrerbietige Stille. Sein Volk war der Meinung, er sei in einer jener geheimnisvollen Unterhaltungen begriffen, die er mit höheren Wesen zu haben schien. Alle warteten daher ehrfurchtsvoll und schweigend. Nach langer Pause wagte es ein alter Häuptling, den Greis an den Gefangenen zu erinnern.

»Der falsche Delaware zittert, die Worte zu hören, die Tamenund aussprechen wird. Er ist ein Hund, der heult, wenn die Engländer ihm eine Spur zeigen.«

»Und ihr«, entgegnete Unkas, »ihr seid Hunde, die winseln, wenn euch die Franzosen den Abfall von ihrem Wild vorwerfen.«

Zwanzig Messer blitzten bei dieser Antwort in der Luft, und ebenso viele Krieger sprangen auf den Mohikaner zu. Ihr Zorn aber wurde durch den Wink eines Häuptlings unterdrückt.

»Delaware«, sagte jetzt der Weise, »du bist deines Namens kaum würdig. Seit vielen Wintern hat mein Volk den Anblick einer strahlenden Sonne entbehrt; und der Krieger, der seinen Stamm verläßt, wenn ihn Wolken umhüllen, ist ein doppelter Verräter. Das Gesetz Manitus ist gerecht. Ja, so ist es! Und solange die Ströme fließen und die Blüten der Bäume hervorbrechen und wieder verwelken, so lange muß es gelten. Er ist euer, meine Kinder, verfahrt auf gerechte Weise mit ihm.«

Jeder schien den Atem anzuhalten, während Tamenund das Urteil sprach. Dann aber erscholl ein einstimmiges Rachegeschrei. Mitten unter diesem schrecklichen, lang anhaltenden Geheul verkündete ein Häuptling, der Gefangene sei verurteilt, den Feuertod zu erdulden.

Der Kreis löste sich auf, und Jubel mischte sich in den Lärm. Heyward riß in wahnsinniger Verzweiflung an seinen Fesseln, und auch Falkenauge begann jetzt um seinen Freund zu zittern. Der junge Mohikaner aber hatte seine Fassung und Heiterkeit bewahrt. Unerschrocken blickte er auf die Vorbereitungen zu seinem Tod, und als man nahte, erwartete er sein Schicksal in seiner festen und aufrechten Haltung. Einer unter ihnen faßte das Jagdkleid des jungen Kriegers und riß es ihm mit einem einzigen Griff vom Leibe. Dann stürzte er mit einem Freudengeschrei auf sein Opfer los.

Plötzlich aber hielt der Indianer inne, als hätte sich ein übernatürliches Wesen zwischen ihn und Unkas gestellt. Die Augäpfel traten ihm aus den Höhlen, sein Mund öffnete sich, und seine Gestalt war vor Erstaunen wie erstarrt. Langsam hob er seine Hand und deutete mit dem Finger auf die Brust des Gefangenen. Die Menge drängte sich verwundert näher. In aller Augen war die gleiche Überraschung zu lesen. Sie erblickten auf Unkas Brust das Bild einer kleinen Schildkröte, die mit einer glänzendblauen Farbe tätowiert war. Der junge Mohikaner stand mit ruhigem Lächeln vor der bestürzten Menge. Dann aber wies er sie mit stolz emporgehobenem Arm zurück. In der Haltung eines Königs rief er mit lauter Stimme, die das Gemurmel übertönte:

»Männer der Delawaren! Mein Geschlecht trägt die Erde. Euer schwacher Stamm ruht auf meiner Schale. Welches Feuer, das ein Delaware anzünden kann, wäre wohl imstande, das Kind meiner Väter zu verbrennen?« Stolz wies Unkas auf das einfache Wappen, das seine Brust schmückte: »Das Blut, das einer solchen Quelle entsprang, würde eure Flamme verlöschen. Das Geschlecht, dem ich entsproß, ist der Stamm von Völkern!«

»Wer bist du?« fragte Tamenund, mehr erschüttert durch die Töne als ergriffen durch die Worte des Gefangenen.

»Unkas, der Sohn Chingachgooks!« entgegnete der Gefangene bescheiden und neigte sein Haupt ehrfurchtsvoll vor der Würde und dem hohen Alter Tamenunds; »ein Sohn des großen Unamis.«

»Tamenunds Stunde ist nahe!« rief der Weise. »Der Tag hat sich endlich der Nacht genähert. Ich danke dir, Manitu, daß einer hier ist, der meine Stelle am Beratungsfeuer ausfüllen kann. Unkas, der Sohn von Chingachgook, ist gefunden! Die Augen des sterbenden Adlers mögen noch einmal nach der aufgehenden Sonne blicken!«

Mit leichtem, aber stolzem Schritt trat der Jüngling auf die Erhöhung, wo ihn die aufgeregte und erstaunte Menge sehen konnte. Während Tamenund ihn mit ausgestrecktem Arm von sich hielt, schien er nicht müde zu werden, den kleinsten Zug seines edlen Gesichts zu betrachten. Man sah deutlich, daß dieser Anblick ihm die glücklichen Tage seiner eigenen Jugendzeit wieder in Erinnerung brachte.

»Ist Tamenund noch ein Knabe?« rief der Greis endlich. »Habe ich nur geträumt, daß so viele Winter über meinem Haupt dahingegangen sind; daß mein Volk gleich dem Flugsand nach allen Winden hin zerstreut wurde; daß die Engländer, zahlreicher als die Blätter der Bäume, das Land überschwemmt haben? Tamenunds Pfeil erreicht nicht mehr das junge Reh; sein Arm ist vertrocknet wie der Zweig der absterbenden Eiche. Eine Schnecke würde ihn an Schnelligkeit übertreffen; und doch steht Unkas vor ihm wie damals, als sie gegen die Bleichgesichter zu Felde zogen. Unkas, der Panther seines Stammes, der älteste Sohn der Delawaren, der weiseste Fürst der Mohikaner! Sagt mir, ihr Delawaren, hat Tamenund hundert Winter hindurch geschlafen?«

Das tiefe Schweigen, das auf diese Worte folgte, bewies die ehrfurchtsvolie Scheu der versammelten Delawaren. Niemand wagte zu antworten. Unkas aber sah mit der Verehrung eines geliebten Sohnes auf den Greis. Dann erwiderte er stolz:

»Vier Häuptlinge seines Geschlechts haben gelebt und sind gestorben, seit Tamenunds Freund sein Volk in die Schlacht führte. Das Blut der Schildkröte hat in den Adern vieler Häuptlinge gerollt. Sie kehrten aber schon in die Erde zurück, von der sie stammten, außer Chingachgook und seinem Sohn.«

»Das ist wahr!« erwiderte der Weise, sich plötzlich erinnernd.

»Unsere weisen Männer haben oft gesagt, es lebten noch zwei Krieger von diesem Geschlecht in den Bergen der Engländer. Warum sind ihre Sitze an dem Beratungsfeuer der Delawaren so lange leergeblieben?«

Bei diesen Worten hob Unkas den Kopf. Dann sprach er mit lauter Stimme, so daß er von der ganzen Versammlung gehört werden konnte:

»Einst schliefen wir dort, wo wir die Wellen des Salzsees in ihrer Wut toben hören konnten. Damals waren wir Fürsten und Herren des Landes. Als sich aber am Ufer jedes Baches ein Bleichgesicht zeigte, da folgten wir dem Hirsch nach dem Fluß unserer Nation. Die Delawaren waren weggezogen; nur noch eine kleine Zahl von Kriegern blieb zurück, um aus dem Strom, den sie 1iebten, trinken zu können. Da sprachen meine Väter: ›Hier wollen wir jagen! Die Gewässer des Flusses ergießen sich in den Salzsee. Gehen wir der untergehenden Sonne zu, so finden wir Ströme, die in die großen Seen von süßem Wasser fließen. Dort würde ein Mohikaner bald sterben, gleich dem Fisch der See, wenn er in das klare Wasser kommt. Wenn Manitu bereit ist und spricht: Kommt!, so folgen wir dem Fluß zum Meer und nehmen wieder, was unser ist.‹ Das, Delawaren, ist der Glaube der Kinder der Schildkröte! Unser Auge heftet sich stets auf die aufgehende, nicht auf die untergehende Sonne. Wir wissen, woher sie kommt, aber nicht, wohin Sie geht. Ich habe genug gesagt!«

Die Delawaren lauschten seinen Worten mit Ehrfurcht. Unkas selbst beobachtete mit scharfem Auge den Eindruck seiner kurzen Erklärung Während seine Blicke über die schweigende Menge hinglitten, fiel sein Auge auf den gefesselten Kundschafter.

Unkas bahnte sich einen Weg durch das Gedränge, eilte zu seinem Freund und zerschnitt die Fesseln mit einem Messer. Dann winkte er der Menge, ihm Platz zu machen. Die Indianer gehorchten schweigend. Unkas ergriff des Kundschafters Hand und führte ihn zu Tamenund.

»Vater«, sagte er, »wende dein Auge auf dies Bleichgesicht. Er ist ein gerechter Mann und ein Freund der Delawaren.«

»Welchen Namen erwarb er sich durch seine Taten?«

»Wir nennen ihn Falkenauge«, erwiderte Unkas, »denn sein Auge täuschte ihn noch nie. Die Mingos freilich nennen ihn die Lange Büchse, weil mehrere Irokesen durch ihn den Tod fanden.«

»Die Lange Büchse!« rief Tamenund mit finsterem Blick. »Mein Sohn hat nicht klug getan, ihn seinen Freund zu nennen.«

»Ich nenne den so, der sich mir als solcher gezeigt hat«, entgegnete der junge Häuptling mit großer Ruhe und Entschlossenheit. »Wenn Unkas den Delawaren willkommen ist, so befindet sich auch Falkenauge unter Freunden.«

»Das Bleichgesicht hat meine Krieger getötet; sein Name ist berühmt geworden durch die Schläge, die er gegen die Delawaren führte.«

»Wenn ein Mingo das einem Delawaren heimlich zugeflüstert hat, so beweist dies nur, daß er ein betrügerischer Singvogel ist«, sagte der Kundschafter. »Daß ich Mingos getötet habe, das kann ich nicht leugnen. Niemals aber habe ich einem Delawaren wissentlich etwas zuleide getan. Allen, die zu diesem Stamm gehören, bin ich freundlich zugetan.«

Diese Äußerung wurde von den Kriegern mit Beifall aufgenommen.

»Wo ist der Irokese?« fragte Tamenund. »Hat er seine Ohren verschlossen?«

Magua trat nun kühn vor den Greis hin und sagte:

»Der gerechte Tamenund wird nicht behalten wollen, was ein Irokese ihm gliehen hat.«

»Sag mir, Sohn meines Bruders«, sprach der Weise zu dem jungen Mohikaner, indem er seinen Blick von Maguas finsterem Antlitz abwandte: »hat der Fremdling auf dich das Recht eines Siegers?«

»Er hat keins. Der Panther kann wohl in die Schlingen fallen, welche ihm von Weibern gelegt worden sind; allein, er ist stark und weiß sich wieder aus ihnen zu befreien.«

»Auf die Lange Büchse?«

»Der verlacht die Mingos! Geh, Irokese, und frag deine Weiber, ob sie die Farbe eines Bären kennen?«

»Hat er ein Recht auf das Weib, das der Mingo in mein Lager gebracht hat?« wiederholte Tamenund in ernstem Ton.

»Sie können frei und ungehindert reisen.«

»Und auf das Weib, das der Irokese bei meinen Kriegern ließ?«

Unkas schwieg.

»Hat er ein Recht auf das Weib, das der Mingo in mein Lager gebracht hat?« wiederholte Tamenund in ernstem Ton.

»Sie ist mein!« rief Magua, indem er eine Hand triumphierend ausstreckte. »Mohikaner, du weißt, daß sie mein ist.«

»Mein Sohn schweigt?« fragte Tamenund und bemühte sich, in dem schmerzlich von ihm abgewandten Angesicht des Mohikaners zu lesen.

»Es ist so«, antwortete Unkas leise, »sie ist seine Gefangene.«

Eine kurze Pause trat ein. Man sah deutlich, daß die Menge die Ansprüche des Mingo nur widerwillig anerkannte. Endlich sagte Tamenund, von dem die Entscheidung abhing, mit fester Stimme:

»Geh, Irokese!«

»Wie er gekommen ist?« fragte der verschmitzte Magua, »oder mit gefüllten Händen, die er der Treue der Delawaren verdankt? Maguas Hütte steht leer. Mach ihn stark, damit er sein Eigentum wiedererlange.«

Der Greis sann einen Augenblick nach. Dann wandte er das Haupt zu einem seiner ehrwürdigen Begleiter und fragte:

»Sind meine Ohren offen?«

»Es ist die Wahrheit.«

»Ist dieser Mingo Häuptling?«

»Der Erste seiner Nation.«

»Mädchen, was willst du? Ein großer Krieger nimmt dich zum Weib. Dein Geschlecht wird nie erlöschen.«

»Tausendmal besser, es erlischt«, rief Cora erschaudernd, »als daß ich eine solche Erniedrigung erdulde.«

»Irokese, ihr Geist ist in den Zelten ihrer Väter. Ein Mädchen, das mit Widerwillen in eine Hütte einzieht, bringt Unglück mit.«

»Sie spricht mit der Zunge ihres Volkes«, entgegnete Magua. »Sie stammt aus einem Geschlecht von Kaufleuten und will mit einem freundlichen Blick Handel treiben. Will Tamenund nicht entscheiden?«

»Was willst du?«

»Magua will nichts von hier mitnehmen als das, was er hierhergebracht hat.«

»So zieh fort mit deinem Eigentum. Der große Manitu will nicht, daß ein Delaware ungerecht sei.«

Magua ging auf die Gefangene zu und faßte sie mit starker Hemd am Arm. Die Delawaren wichen schweigend zurück, und Cora schien sich in ihr Schicksal zu ergeben.

»Halt! Halt!« rief Duncan vorspringend. »Sei barmherzig, Irokese! Du sollst durch ihr Lösegeld reicher werden, als je einer deines Stammes war.«

»Magua braucht den Tand der Bleichgesichter nicht.«

»Gold, Silber, Pulver, Blei — alles, was ein Krieger braucht, soll im Überfluß’ in deiner Hütte sein, wie es sich für den größten Häuptling ziemt.«

»Der Schlaue Fuchs ist sehr stark«, rief Magua, indem er Coras Arm, den seine Hand fest umklammerte, heftig schüttelte. »Er hat nun seine Genugtuung.«

»Allmächtiger!« rief Heyward verzweifelt, »kannst du dies geschehen lassen? Gerechter Tamenund, sei barmherzig!«

»Die Worte des Delawaren sind gesprochen«, entgegnete der Weise, indem er seine Augen schloß und, von geistiger und körperlicher Anstrengung erschöpft, auf seinen Sitz zurücksank. »Männer sprechen nicht zweimal.«

»Daß ein Häuptling seine Zeit nicht damit verliert, das, was er einmal gesagt hat, später zu widerrufen, das ist weise und vernünftig«, sagte Falkenauge. »Die Klugheit verlangt aber auch von jedem Krieger, daß er alles reichlich in Erwägung ziehe, ehe er dem Kopf seines Gefangenen einen Hieb versetzt. — Irokese, überleg einmal, was dir lieber wäre: dies Mädchen hier in dein Lager zu führen oder einen Mann wie mich, der gewiß von deinem ganzen Stamm freudig empfangen würde, wenn man ihn unbewaffnet erblickte.«

»Will die Lange Büchse sein Leben für das Weib hergeben?« fragte Magua.

»So ist es gerade nicht gemeint«, sagte Falkenauge. »Ich will mich dazu verstehen, wenigstens sechs Wochen in die Winterquartiere zu gehen, unter der Bedingung, daß du dem Mädchen die Freiheit gibst!«

Ein kaltes, verächtliches Kopfschütteln war Maguas Antwort.

»Gut denn«, fügte der Kundschafter hinzu. »Ich will den ›Wildtöter‹ geben! Das Gewehr hat in den ganzen Grenzprovinzen nicht seinesgleichen.«

Magua würdigte ihn keiner Antwort.

»Vielleicht«, fuhr der Kundschafter fort, »könnten wir doch noch handelseinig werden, wenn ich mich bereit erkläre, eure jungen Krieger zu unterrichten, wie sie diese Büchse gebrauchen müssen.«

Der Schlaue Fuchs befahl den Delawaren nun heftig, auf der Stelle Platz zu machen. Sein drohender Blick verriet, daß er zu dem unfehlbaren Richterspruch ihres Häuptlings noch einmal Zuflucht nehmen werde.

»Irokese, ich nehme dein Angebot an! Gib das Mädchen frei, ich bin dein Gefangener!« wandte sich Falkenauge nun mit einem letzten verzweifelten Entschluß an den Wilden.

Ein unterdrücktes Beifallsgemurmel ließ sich bei diesem Anerbieten hören. Magua blieb stehen und schien einen Augenblick zu schwanken. Doch sein Entschluß stand sofort wieder unerschütterlich fest.

»Der Schlaue Fuchs ist ein großer Häuptling«, sagte er ruhig. »Er ändert seine Entschlüsse nie. Komm«, fügte er hinzu und legte seine Hemd vertraulich auf die Schulter der Gefangenen. »Ein Irokesenkrieger ist kein Schwätzer; wir wollen gehen.«

Das Mädchen trat zurück; ihr Auge blitzte, und ihre Wangen überzog eine glühende Röte.

»Ich bin deine Gefangene«, sagte sie, »und wenn es Zeit sein wird, will ich dir folgen, und ginge ich in den Tod.«

Sie wandte sich nun völlig gefaßt an den Kundschafter und dankte ihm. Dann beugte sie sich zu ihrer Schwester und drückte einen zärtlichen Kuß auf ihre Lippen. Endlich schritt sie, bleich zwar, doch mit vollendeter Würde zu dem Irokesen: »Ich bin bereit, dir zu folgen.«

»Ja, Magua, geh!« rief Duncan heftig, »geh, diesen Delawaren verbieten ihre Gesetze, dich zurückzuhalten — ich aber werde dir folgen und — — —«

»Halt!« rief Falkenauge, indem er Duncans Arm ergriff und ihn mit Gewalt zurückhielt. »Major, Sie kennen diesen Teufel nicht. Er würde Sie in einen Hinterhalt locken, und Ihr Tod —«

»Irokese«, unterbrach ihn Unkas, der den strengen Gebräuchen seines Volkes gemäß bis jetzt geschwiegen hatte, »Irokese, die Gerechtigkeit der Delawaren kommt von Manitu. Sieh hin zur Sonne. Sie steht zwischen den oberen Zweigen jener Schierlingstanne. Dein Weg ist kurz und offen. Ist sie bis unter die Bäume herabgestiegen, werden Krieger deine Spur verfolgen.«

»Ich höre eine Krähe krächzen!« rief Magua höhnisch. »Platz da!« fuhr er fort, indem er die Menge hinwegdrängte. »Wo sind die Weiberröcke der Delawaren! Laßt sie ihre Pfeile und Gewehre schicken; Sie sollen dafür Wildbret zu essen bekommen und gemahlenes Korn. Hunde, Kaninchen, Diebe — ich speie euch an!«

Mit drohendem Schweigen nahm die Versammlung diese Hohnrede auf. Triumphierend aber eilte Magua mit seiner Gefangenen in den Wald. Noch war er geschützt durch die unverbrüchlichen Gesetze der indianischen Gastfreundschaft.

24

Solange der Irokese und seine Beute noch zu sehen waren, blieb die Menge unbeweglich auf dem Platz. Sie waren aber kaum außer Sichtweite, da rannte alles in heftigem Aufruhr durcheinander. Unbeweglich stand nur Unkas weiterhin auf seinem erhöhten Platz und blickte Cora nach, bis sich die Farben ihrer Kleider im Laub des Waldes verloren. Dann stieg er herab, schritt schweigend durch das Gedränge und verschwand in der Hütte, die er vor kurzem verlassen hatte. Einige Krieger folgten ihm. In dieser bedeutsamen Stunde glich das Lager einem Schwarm aufgestörter Bienen, die nur einer Führung bedurften, um den Flug in die Ferne zu unternehmen.

Da trat aus Unkas’ Hütte ein junger Krieger und näherte sich bedächtig einer aus den Felsenspalten hervorgewachsenen Zwergtanne. Er löste die Rinde von ihrem Stamm und kehrte wortlos wieder in die Hütte zurück. Ein anderer hieb die Äste des Baumes ab. Endlich kam ein dritter und bemalte den kahlen und nackten Stamm mit dunkelroten Streifen. Diese Vorkehrungen, die auf ein kriegerisches Vorhaben schließen ließen, wurden von den übrigen Männern mit düsterem Schweigen aufgenommen.

Nun erschien der Mohikaner selbst. Er hatte alle Kleider bis auf Gürtel und Lendensohurz abgelegt. Drohend schwarze Farbe bedeckte die eine Seite seines Gesichts. Bedächtig und würdevoll näherte er sich dem Baumstamm. Er umkreiste ihn mit angemessenen Schritten und stimmte einen wilden, regellosen Kriegsgesang an.

Die Töne hatten mitunter etwas Schwermütiges und leise Klagendes. Dann wieder zeigten sie eine solche Tiefe und Stärke, daß die Zuhörer schauderten. Der Gesang bestand aus wenigen, oft wiederholten Worten:

»Manitu! Manitu! Manitu!

Du bist groß — du bist gut — du bist weise —

Manitu! Manitu!

Du bist gerecht!

An dem Himmel, im Gewölk, ach! da seh’ ich

Viele Flecken — viele dunkle — viele rote —

An dem Himmel, ach! da seh’ ich

Viele Wolken.

In den Wäldern, in der Luft, ach! da hör’ ich

Das Geschrei, das lange Heulen und Toben —

In den Wäldern, ach! da hör’ ich

Das laute Kriegsgeschrei!

Manitu! Manitu! Manitu!

Ich bin schwach — du bist stark — ich bin langsam —

Manitu! Manitu!

Verleih mrt Hilfe!«

Dreimal wiederholte der junge Mohikaner diesen Gesang, und ebensooft tanzte er rund um den Baumstamm. Als er den Stamm zum erstenmal umkreist hatte, folgte ein sehr geachteter Häuptling der Delawaren; seinem Beispiel und stimmte seinerseits einen Gesang an, der in seiner Melodie dem früheren ähnelte. Ein Krieger nach dem andern schloß sich nun dem Tanz an, bis zuletzt alle, die Ansehen genossen, daran teilnahmen. Das Schauspiel wurde immer kriegerischer, denn die Tanzenden schlugen stets mehr und mehr grauenerregende Töne an und blickten zunehmend drohender und wilder.

Plötzlich schlug Unkas seine Streitaxt tief in den Baum und erhob ein alles durchdringendes Geschrei, das nun aber sein Eigener, sein persönlicher Schlachtruf war. Damit kündigte er an, daß er die oberste Leitung in dem beabsichtigten Kriegszug übernehme.

Der Schlachtruf Unkas war zugleich ein Signal, und Hunderte von Jünglingen stürzten auf den Baumstamm los, der ihren Feind vorstellen sollte und hieben einen Span nach dem andern herunter, bis nur mehr die Wurzeln übrigblieben. Unkas trat nun aus dem Kreis heraus und blickte zur Sonne. Sie erreichte gerade den Punkt, an dem die Frist, die Magua bewilligt war, zu Ende ging. Unkas’ lauter Ruf verkündete es der versammelten Menge.

In wenigen Augenblicken verwandelte sich das Lager. Die Krieger, die bereits bewaffnet und bemalt waren, verhielten sich ernst und ruhig. Die Weiber dagegen eilten aus den Hütten und brachten Kinder, alte und schwache Personen im nahen Wald in Sicherheit. Dorthin begab sich auch Tamenund nach einem kurzen und rührenden Gespräch mit Unkas.

Falkenauge sandte jetzt einen indianischen Knaben ab, um den »Wildtöter« und Unkas’ Büchse von dem Platz am Saume des Waldes holen zu lassen, wo diese Waffen von ihm und dem Mohikaner, bevor sie sich dem Lager der Delawaren genähert hatten, vorsichtshalber versteckt worden waren. Daß der Kundschafter seine geliebte Büchse von einem andern holen ließ, war ein Beweis seiner Klugheit. Er wußte, daß feindliche Späher die Bewegung im Delawarenlager auszukundschaften suchten. Es wäre daher für ihn ein lebensgefährliches Unternehmen gewesen, den Wald zu betreten. Für ein Kind aber konnte erst dann Gefahr vorhanden sein, wenn es die verborgenen Waffen wirklich gefunden hatte.

Der Knabe eilte, stolz auf das ihm geschenkte Vertrauen, sorglos am Rand der Lichtung hin. Er betrat den Wald jedoch nicht eher, als bis er sich nahe der Stelle befand, wo die Gewehre verborgen waren. Dort verschwand er im Laub der Gebüsche und glitt nun wie eine Schlange vorwärts. Bald hatte er die Büchsen gefunden, und gleich darauf kam er freudestrahlend zur Lichtung zurück.

Jetzt flog er, in jeder Hand ein Gewehr, schnell wie ein Pfeil über den schmalen, offenen Raum. Schon hatte er den Abhang erreicht, und gerade, als er mit unglaublicher Behendigkeit den Felsen ersteigen wollte, da bewies ein Schuß vom Wald her, wie richtig der Kundschafter geurteilt hatte. Doch der Knabe beantwortete diese hinterlistige Tat nur mit einem Ausruf der Verachtung. Da pfiff von einer anderen Seite des Waldes eine zweite Kugel an ihm vorbei. Glücklicherweise aber hatte er bereits das Felsplateau erreicht. Triumphierend schwang er nun die Gewehre über seinem Kopf und brachte sie mit dem Stolz eines Siegers dem berühmten Jäger.

Indessen versammelte Unkas alle Häuptlinge und teilte jedem eine bestimmte Anzahl von Kriegern zu. Er stellte ihnen Falkenauge als einen bewährten Führer vor. Als er sah, daß Falkenauge das Vertrauen der Delawaren gewonnen hatte, übertrug er ihm den Befehl über zwanzig Krieger. Er wollte Duncan die gleiche Anzahl Männer umerstellen, dieser aber wies das Anerbieten zurück und wünschte an Falkenauges Seite zu kämpfen.

Nachdem nun alle notwendigen Anordnungen getroffen waren, gab Unkas das Zeichen zum Abmarsch. Mehr als zweihundert Krieger setzten sich schweigend in Bewegung und drangen in den Wald vor. Nirgends zeigte sich ein lebendiges Wesen. Nach geraumer Zeit stießen sie auf ihre eigenen Kundschafter. Die Häuptlinge ließen jetzt die Krieger halten und versammelten sich. Sie waren mitten in Beratungen begriffen, als plötzlich ein einzelner feindlicher Krieger gesichtet wurde.

Schon hatte Falkenauge seine Büchse im Anschlag. Da erkannte er aber David und holte ihn schnell in die eigenen Linien. Der Psalmist zeigte sich über den Anblick der wild aussehenden Krieger sehr erstaunt und fing zu zittern an. Doch bald faßte er sich.

»Die Heiden sind in großer Zahl ausgezogen«, sagte er, »und ich fürchte, sie haben schlimme Absichten. Sie liegen zwischen hier und ihrem Dorf im Wald versteckt. Ihre Anzahl ist so groß, daß ich euch raten würde, sogleich wieder umzukehren.«

Unkas warf einen stolzen Blick auf seine Leute und fragte dann nach Magua.

»Er ist bei ihnen«, war Davids Antwort. »Er hat das junge Mädchen mitgebracht und in der Höhle versteckt.«

Unkas blickte den Kundschafter jetzt fragend an.

»Gib mir zwanzig Mann«, sagte dieser nach einigem Überlegen. »Ich will rechts am Fluß entlanggehen, und wenn ich an den Biberhöhlen vorbeikomme, Chingachgook und den Obersten mitnehmen. Dann sollst du bald ein Kriegsgeschrei hören von einer Stärke, daß man es bei diesem Wind wohl eine Meile weit vernehmen wird. Dies ist das Zeichen, und nun, Unkas, greifst du vorne an und treibst die Kerle zurück. Wenn sie uns vor die Gewehre kommen, dann verlaß dich auf mich. Wir nehmen das Dorf ein und befreien das Mädchen.«

Nach kurzer Beratung war der Plan durchbesprochen. Die einzelnen Gruppen empfingen ihre Befehle, die Häuptlinge gingen auseinander, und jeder begab sich auf seinen Posten.

25

Während Unkas seine Streitkräfte in Angriffsstellung brachte, herrschte im Wald vollkommene Stille. Nur dann und wann hörte man einen Vogel in den Birken flattern oder ein Eichhörnchen eine Nuß auf knacken. Doch auch das kleinste Geräusch fesselte sofort die Aufmerksamkeit der Indianer. Sie erkannten aber seinen Ursprung gewöhnlich recht bald, und so mußten sie weiterhin in Untätigkeit verharren. Nur das Singen des Windes umspielte ständig ihre Ohren.

Als Falkenauge seinen kleinen Trupp um sich versammelt sah, nahm er seinen »Wildtöter« und gab seinen Begleitern schweigend einen Wink, ihm zu folgen. Er führte sie bis zu dem Bett eines kleinen Baches Hier machte er halt und wartete, bis alle dicht an ihn herangekommen waren. Dann fragte er:

»Weiß einer von meinen jungen Männern, wohin dieses Wasser uns führen wird?«

Ein Delaware hielt die Hand empor und deutete, zwei Finger spreizend, auf deren Vereinigung.

»Ehe die Sonne ihren Lauf vollendet hat«, sagte er, »wird das kleine Wasser in dem großen sein. Dann aber werden die beiden mitsammen groß genug sein für die Biber.«

»Das dachte ich mir«, erwiderte der Kundschafter. »Kommt, wir wollen im Schutz des Ufers unseren Weg fortsetzen, bis sich eine Spur der Irokesen zeigt.«

Die Krieger gaben ihre Zustimmung, deuteten aber auf David, der dem Zug gefolgt war. Der Kundschafter machte ihn nachdrücklich auf den Ernst des Unternehmens aufmerksam. Der Psalmsänger ließ sich aber nicht abschrecken. Er erinnerte an David, seinen Namensvetter, der nur mit seinem Mut und der Schleuder bewaffnet gegen die Philister gezogen war.

»Denkt daran«, warnte ihn der Kundschafter, »daß es hier zu kämpfen gilt und nicht zu musizieren. Bevor das Kriegsgeschrei ausgestoßen wird, darf hier kein anderer Laut gehört werden als der Knall einer Büchse.«

David rückte einsichtsvoll mit dem Kopf. Da musterte Falkenauge seine Gefährten mit einem letzten Blick und gab dann das Zeichen zum Weitermarsch. Eine Meile lang setzten sie ihren Weg im Bett des Baches fort. Obgleich seine steilen, buschreichen Ufer sie gut verbargen, ging doch auf jeder Seite ein Krieger voraus, der die Sicherheit des Weges prüfen mußte. Unbehelligt erreichten sie schließlich die Stelle, wo sich das kleine Wasser in das größere ergoß.

»Hier ist es mit unserer Deckung zu Ende«, sagte Falkenauge. »Die Biber haben schon seit Jahrhunderten diesen Teil des Flusses in Besitz genommen und die Bäume gefällt.«

Der Kundschafter betrachtete jetzt die Waldlichtung mit großer Aufmerksamkeit. Er wußte, daß das Lager der Irokesen nur noch eine halbe Meile weiter oben am Bach lag. Er war daher sehr beunruhigt, daß er von seinen Feinden noch nicht die geringste Spur entdecken konnte. Ein- oder zweimal wollte er seinen Gefährten schon das Zeichen zum Angriff geben und das Dorf durch einen Überfall überraschen. Er erinnerte sich jedoch daran, daß ein solches Unternehmen erfahrungsgemäß sehr gefährlich werden konnte. Gespannt lauschte er deshalb, ob sich nicht von jener Seite her, wo er Unkas zurückgelassen hatte, irgendein feindlicher Laut vernehmen ließ. Doch er hörte nichts als nur das Pfeifen des Windes, der in der Tiefe des Waldes stoßweise aufheulte und einen Gewittersturm verkündete. Da beschloß er schließlich, aus der Deckung herauszutreten und die Lichtung zu überqueren.

Auf Falkenauges leise Aufforderung hin stiegen also die Krieger, die noch in der Schlucht versteckt lagen, wie dunkle Gespenster leise ans Ufer und versammelten sich. Er bezeichnete ihnen die Richtung, in der sie ihren Weg verfolgen sollten, und ging selbst voran. Einer trat in die Fußstapfen der anderen, so daß die Spur nur die eines einzelnen Mannes zu sein schien. Erst kurze Zeit jedoch hatten sie das schützende Ufer verlassen, als hinter ihnen eine Salve von ungefähr einem Dutzend Büchsen krachte. Da sprang wie ein verwundeter Hirsch ein Delaware in die Luft und stürzte der Länge nach zu Boden — tot.

»Sucht euch zu decken und gebt Feuer!« rief der Kundschafter. »Ich habe es geahnt und gefürchtet.«

Der Trupp zerstreute sich bei diesen Worten, und ehe sich Heyward noch von seiner Überraschung erholt hatte, sah er, daß er mit David ganz allein geblieben war. Glücklicherweise hatten sich die Irokesen schon zurückgezogen; es war daher für den Augenblick keine Gefahr. Doch diese Ruhe dauerte nicht lange. Falkenauge folgte den Feinden von Baum zu Baum und feuerte seine Büchse ab.

Die Irokesen hatten ihren ersten Angriff mit nur wenigen Kriegern begonnen. Auf ihrem Rückzug aber erhielten sie vom Haupttrupp Verstärkung, und ihr Feuer wurde schließlich beinahe so stark wie das der vorrückenden Delawaren. Heyward warf sich mutig unter die Kämpfenden und feuerte einen Schuß nach dem anderen ab. Die Hitze des Gefechtes nahm zu, doch beide Parteien behaupteten ihren Platz. Noch war die Zahl der Verwundeten unerheblich, da die Krieger hinter den Bäumen gute Deckung fanden.

Aber Falkenauges Lage wurde immer ungünstiger. Der vorsichtige Kundschafter sah die Gefahr, doch er wußte nicht, wie er ihr abhelfen könne. Er bemerkte, daß der Feind in jedem Augenblick neue Verstärkung erhielt und sich bereits über den einen Flügel seines kleinen Trupps ausdehnte, so daß es den Delawaren sehr schwer wurde, sich gegen seine Schüsse zu decken. In diesem bedenklichen Augenblick  verkündete lautes Kriegsgeschrei, daß Unkas in den Kampf eingriff.

Dieser unerwartete Angriff verfehlte nicht seine Wirkung und befreite die Delawaren aus ihrer gefährlichen Lage. Jetzt befahl Falkenauge, sich auf den Feind zu stürzen. Die Irokesen mußten sich zurückziehen, und der Kampf wandte sich bald von der Lichtung des Waldes einem Dickicht zu, das den Angegriffenen Schutz gewährte. Hier erneuerte sich das Gefecht mit großer Hartnäckigkeit. Keine Partei wich, und es war höchst zweifelhaft, für wen sich das Waffenglück entscheiden werde. Die Delawaren hatten zwar keine nennenswerten Verluste, aber viele Krieger waren verwundet.

In dieser bedenklichen Lage gelang es Falkenauge, seinen Leuten einen Befehl zuzurufen. Auf ein gegebenes Zeichen machte jeder Krieger schnell eine Bewegung um den Baum herum, hinter dem er stand. Beim Anblick so vieler dunkler Gestalten, die auf einmal zum Vorschein kamen, beeilten sich die Irokesen, eine Salve abzugeben, die aber, zu schnell abgefeuert, ihre Wirkung verfehlte.

Nun stürzten die Delawaren in langen Sätzen auf das Dickicht zu, Panthern gleich, die ihren Raub verfolgten. Falkenauge befand sich an ihrer Spitze und flößte seinen Gefährten durch sein Beispiel Mut ein. Einige ältere Irokesen hatten sich allerdings durch diese Kriegslist, durch die man sie zum Abfeuern ihrer Gewehre zwingen wollte, nicht täuschen lassen. Sie gaben jetzt tödliches Feuer, und Falkenauge sah drei der Delawaren zu Boden stürzen. Der ungestüme Angriff konnte durch diesen Verlust jedoch nicht aufgehalten werden. Die Delawaren drangen in das Dickicht und vertrieben in ihrem wütenden Anlauf alles, was sich ihnen widersetzte.

Das Handgemenge dauerte nur einen Augenblick. Die Irokesen flüchteten bis zum anderen Ende des Dickichts. Dort wandten sie sich wieder um und schienen entschlossen, sich zu verteidigen. In diesem kritischen Augenblick, da der Sieg wieder zweifelhaft zu werden drohte, ließ sich hinter den Irokesen der Knall einer Büchse hören, und von einigen auf der Lichtung gelegenen Biberhütten her erklang gleich darauf ein wildes Kriegsgeheul, das Grausen erregte. Falkenauge aber war freudig erregt.

»Chingaohgook!« rief der Kundschafter. »Das ist Chingachgook! Nun sind sie eingeschlossen.«

Dieser plötzliche Angriff verfehlte nicht seine Wirkung auf die Irokesen. Sie konnten sich von keiner Seite mehr decken und brachen in ein mutloses Klagegeschrei aus. Ohne an Widerstand zu denken, eilten sie über die Lichtung und suchten ihr Heil in der Flucht, wobei noch etliche von ihnen den Kugeln und Axthieben der Delawaren erlagen.

Falkenauge übertrug nun dem Mohikanerhäuptling das Kommando über seine kleine Kriegerschar. Mit feierlicher Würde übernahm Chingachgook den Oberbefehl. Er führte seine Krieger, den Schritten des Kundschafters folgend, durch das Dickicht zurück. Fanden sie den Leichnam eines Delawaren, so verscharrten sie ihn unter dem Laub, während sie die gefallenen Irokesen skalpierten.

Endlich hatten sie eine Stelle erreicht, wo es Chingachgook für gut befand, haltzumachen. Sie standen jetzt an einem Abhang, an dessen Fuß sich ein enges, düsteres und waldiges Tal mehrere Meilen weit hinzog. In dieser dichten Waldung befand sich Unkas mit der Hauptmacht der Irokesen im Kampf.

»Das Gefecht zieht sich zu uns herauf«, sagte Heyward. »Wir stehen zu sehr im Bereich ihrer Angriffslinie, um etwas ausrichten zu können.«

»Sie werden sich zur Schlucht wenden, wo sie im dichteren Wald gedeckt sind«, entgegnete Falkenauge. »Dort können wir sie dann in der Flanke fassen. — Chingachgook, es ist bald Zeit, daß du das Kriegsgeschrei erhebst und deine jungen Krieger in den Kampf fährst.«

Der Häuptling zögerte noch einen Augenblick, um den Gang des Kampfes weiter zu beobachten, der jetzt näher zu kommen schien — ein Zeichen,daß die Delawaren siegten. Chingachgook verließ jedoch seinen Stand nicht eher, bevor nicht einzelne Kugeln, Hagelkörnern gleich, auf das dürre Laub vor ihm prasselten. Falkenauge und seine Gefährten zogen sich nun hinter ein Gebüsch zurück, das sie vollkommen verbarg, und erwarteten hier die weiteren Ereignisse. Bald darauf aber hallte der Knall der Büchsen nicht mehr im Walde wider. Es schien, als würden nun die Gewehre im Freien abgeschossen. Dann und wann zeigte sich ein Krieger, der bis zum Saum des Waldes zurückgetrieben wurde. Allmählich sammelten sich die Irokesen in einer langen Reihe am Waldrand, um hier den letzten Widerstand zu leisten. Duncan begann ungeduldig zu werden, aber der Häuptling sah dem Kampf mit solcher Ruhe zu, als wäre er nur Zuschauer.

Einen Augenblick später erscholl sein Kriegsgeschrei. Chingachgook und sein Trupp gaben Feuer, und mehr als zehn Irokesen stürzten zu Boden. Ein einzelner Kriegsruf vom Wald her beantwortete das jetzt einsetzende Triumphgeheul; ein Geheul füllte die Luft, als ob tausend Kehlen ihre ganze Kraft anstrengten. Bestürzt wichen die Irokesen vom Kernpunkt ihrer Schlachtlinie zurück, und durch die entstandene Lücke brach Unkas mit mehr als hundert Kriegern aus dem Wald hervor. Jetzt war der Kampf geteilt. Die beiden Flügel der durchbrochenen Irokesenlinie entschlüpften in den Wald, um dort Schutz zu suchen; die siegreichen Krieger der Delawaren folgten ihnen auf dem Fuß. Einige Minuten später entfernte sich der Kampflärm nach verschiedenen Richtungen und wurde allmählich schwächer und undeutlicher.

Eine Gruppe von Irokesen aber hatte es verschmäht, im dichten Wald Schutz zu suchen. Wie auf engem Raum eingeschlossene Wölfe zogen sie sich langam und schweigend entlang jener Anhöhe zurück, die Chingachgook mit seiner Schar soeben verlassen hatte. In diesem Trupp befand sich Magua.

Unkas indessen, völlig vertieft in seinen Kampfeseifer, war ganz allein zurückgeblieben. Sogleich aber, als er Maguas Gestalt erblickte, erhob er sein Schlachtgeschrei, das sechs oder sieben Krieger um ihn versammelte, und stürzte dem Feind entgegen, ohne sich durch dessen überlegene Zahl zurückschrecken zu lassen. Als der Schlaue Fuchs ihn entdeckte, blieb er stehen, um ihn zu erwarten. Er hoffte, daß sich der junge Häuptling in seinem Eifer eine Blöße geben werde. Doch da ließ sich neues Geschrei hören, und Falkenauge stürzte mit seinen Kampfgefährten zur Hilfe herbei. Nun zog sich der Irokese so rasch wie nur möglich zurück.

Unkas aber verfolgte ihn wütend und in eiliger Hast. Vergebens rief ihm Falkenauge zu, sich nicht tollkühn bloßzustellen. Doch der junge Mohikaner bot dem heftigsten Feuer seiner Feinde Trotz und schlug sie bald alle in die Flucht. Glücklicherweise dauerte die Jagd nicht lange, und die Weißen waren, was die Entfernung und das Kampfgelände betraf, außerdem im Vorteil, sonst würde der Delaware das Opfer seiner Tollkühnheit geworden sein. Verfolger und Verfolgte erreichten fast zu gleicher Zeit das Dorf Wyandot.

Hier machten die Irokesen wieder halt und kämpften in der Nähe ihrer Beratungshütten mit wilder verbissener Verzweiflung. Beginn und Ausgang des Kampfes folgten einander so schnell wie das Toben eines rasenden Wirbelsturmes. Bald war der Boden mit den Leichnamen der Irokesen bedeckt.

Magua aber entfloh seinen Feinden. Mit einem wilden Wutgeheul eilte er, nur von zwei Freunden begleitet, vom Kampfplatz, nachdem er alle übrigen Irokesen hatte fallen sehen. Unkas stürzte ihm nach, Falkenauge, Duncan und David folgten. Doch alles, was der Kundschafter tun konnte, war, seinem jungen Freund ein Schutz zu sein.

Einmal schien es, als wolle Magua umkehren und den letzten Versuch machen, seine Niederlage zu rächen. Er sprang in ein dichtes Gebüsch, in das ihm seine Sieger sofort folgten. Dann verschwand er plötzlich im Eingang einer Höhle.

Der Kundschafter, der nur aus Rücksicht für Unkas nicht Feuer gegeben hatte, brach jetzt in ein Freudengeschrei aus, da er den Feind in eine Falle laufen sah. Er stürzte sich mit seinen Begleitern in den langen und engen Gang der Höhle und bemerkte noch von fern die Gestalt der fliehenden Irokesen. Als sie durch die Felsengänge der Höhle eilten, hörten sie das Geschrei und Wehklagen von Hunderten von Weibern und Kindern, die man hier der Sicherheit wegen eingeschlossen hatte.

Immer mühsamer wurde der Weg in der dunklen Höhle, und nur selten sahen sie die Gestalten der fliehenden Krieger vor sich. Einmal glaubten sie, die Spur schon verloren zu haben, als sie am Ende eines schmalen Ganges, der auf den Berg hinaufzuführen schien, ein weißes, flatterndes Gewand erblickten.

»Dort ist Cora!« rief Duncan.

»Cora! Cora!« wiederholte Unkas und eilte weiter.

Der Weg wurde jetzt steinig und an einigen Stellen beinahe ganz ungangbar. Da warf Unkas seine Büchse weg, und Heyward folgte seinem Beispiel. Bald aber sahen sie ein, wie unbesonnen sie gehandelt hatten. Und schon brachte ein überraschender Flintenschuß dem jungen Mohikaner eine leichte Wunde bei.

»Wir müssen dicht an sie heran!« sagte Falkenauge, indem er mit einem gewaltigen Sprung an seinen Freunden vorübersetzte. »Die Schurken schießen uns in dieser Nähe sonst alle nieder. Seht, sie halten das Mädchen so, daß sie durch sie gedeckt sind.«

Ohne auf seine Worte zu achten, folgten die Gefährten dem Kundschafter. Mit unglaublicher Anstrengung näherten sie sich den Flüchtlingen so weit, daß sie sehen konnten, wie Cora von zwei Kriegern fortgeschleppt wurde, während Magua ihnen hastig voranschritt. Einen Augenblick lang sah man die vier Gestalten deutlich am Ausgang der Höhle. Doch gleich darauf verschwanden sie völlig.

Fast wahnsinnig vor Wut über die fehlgeschlagene Hoffnung verdoppelten nun Unkas und Heyward ihre Anstrengungen. Sie erreichten in kurzer Zeit ebenfalls den Ausgang der Höhle. Dort schlängelte sich der Pfad den Gipfel des Berges hinauf. Der Kundschafter ließ seine Freunde vorbeieilen, weil ihn seine Büchse am Laufen hinderte. Unkas und Heyward setzten über Felsen und Abgründe. Ihre Anstrengung wurde belohnt, als sie sahen, daß sie sich den Irokesen, die durch Cora in ihrer Flucht aufgehalten wurden, näherten.

»Steht, Hunde!« schrie Unkas und schwang ergrimmt seinen blinken den Tomahawk gegen Magua.

Da rief plötzlich Cora angesichts eines klaffenden Abgrundes ihrem Entführer zu: »Töte mich, wenn du willst, Irokese! Ich gehe keinen Schritt mehr weiter.«

Beide Begleiter des Mädchens schwangen ihre Streitäxte, aber Magua hielt sie zurück. Er entriß ihnen die Waffen und schleuderte sie über den Felsen hinab. Dann zog er sein Messer und wandte sich der Gefangenen zu.

»Weib«, brüllte er, »wähle! Maguas Hütte oder den Tod durch sein Messer.«

Cora jedoch sah ihn nicht an. Sie fiel auf die Knie und streckte die Arme zum Himmel. Da hob der Irokese seinen Arm und zückte wild und entschlossen sein Messer.

In diesem Augenblick aber erscholl ein durchdringendes Geschrei. Unkas sprang verzweifelt von großer Höhe herab und stürzte auf die Felsenklippe. Magua trat einen Schritt zurück, und einer seiner Begleiter benützte dies, um dem betenden Mädchen sein Messer in die Brust zu stoßen.

Wutentbrannt warf sich nun Magua wie ein Wolf auf seinen Stammesgenossen, der schleunigst die Flucht ergreifen wollte. Dann stieß er dem wehrlos auf dem Boden liegenden Delawaren im rasenden Zorn sein Messer in den Rücken. Unkas aber erhob sich noch einmal — er glich jetzt einem todwunden Panther, der über seinen Feind herfällt — und streckte mit letzter Anstrengung den Mörder Coras nieder. Danach verließen ihn die Kräfte. Magua packte den halbtoten Mohikaner und stieß ihm in feiger Weise sein Messer dreimal in die Brust, bis sein Opfer leblos zu seinen Füßen niedersank. Hierauf schleuderte er das blutige Mordinstrument fort, und durch die Luft dröhnte ein gräßliches Freudengeschrei.

Falkenauge, dessen hohe Gestalt sich in diesem Augenblick über die gefahrvollen Felsenklippen bewegte, ließ einen Schrei des Entsetzens hören. Als er den blutigen Schauplatz erreichte, fand er nur mehr die Leichen der Ermordeten. Erbittert sah er zu den Felsenklippen und den Klüften der Bergwand hinüber, die sich in erhabener Größe vor ihm auftürmte. Auf ihrem Gipfel, dicht am Rande der schwindelnden Höhe, zeigte sich eine Gestalt, die in drohender Stellung die Arme hob. Jetzt trat Magua aus einer Felsenkluft hervor, sprang über einen weiten Spalt im Gestein und kletterte schnell und gewandt einen Felsen empor.

Nur noch einen Sprung hatte er zu tun, um den andern Rand des Abgrunds zu erreichen, wo ihm keine Gefahr mehr gedroht hätte. Ehe er aber sprang, blieb er stehen und hob die Faust gegen den Kundschafter.

»Alle Bleichgesichter sind Hunde!« rief er mit lauter Stimme. »Die Delawaren sind Weiber! Magua läßt sie den Krähen als Beute zurück.«

Höhnisch lachend nahm er jetzt einen rasenden Anlauf, doch er sprang zu kurz und wäre in die Tiefe gestürzt, hätte er nicht schnell einen Strauch am Rande des Felsens mit den Händen erfaßt und sich daran festgeklammert. Falkenauge hatte sich in zusammengekrümmter Stellung auf dem Boden niedergehockt, doch seine Glieder zitterten so heftig, daß die Mündung seiner Büchse hin und her schwankte. Langsam ließ Magua indessen seinen Körper hinabgleiten und spürte einen Felsvorsprung, wo seine Füße etwas Halt fanden. Nun nahm er alle Kräfte zusammen, und es gelang ihm, den Rand der Bergwand zu erklimmen.

Da hob der Kundschafter nochmals das Gewehr, und jetzt lag es unbeweglich in seiner Hand. Er feuerte. Die Arme des Irokesen erschlafften, und sein Körper sank zurück. Wohl suchte er sich mit den Knien noch an die Felsen zu klammern, doch im nächsten Augenblick stürzte er mit dem Kopf voran in die furchtbare Tiefe.

26

Der Aufgang der Sonne zeigte den völligen Sieg des Stammes der Delawaren. Vernichtet waren die Mingos. Aber kein Siegesruf, kein Triumphgesang erklang in den schweigenden Wäldern. Stolz und Freude waren der Trauer gewichen. Verlassen lag das Schlachtfeld. Und niemand verblieb in den Hütten. Alle Überlebenden waren nach einem nahe gelegenen Ort gezogen. Dort bildeten sie einen weiten, in düsterem Schweigen befangenen Kreis.

In seiner Mitte standen sechs Delawarenmädchen, deren langes, schwarzes Haar in offenen Locken herabhing; sie streuten duftende Kräuter und Waldblumen auf eine Bahre, die aus wohlriechenden Zweigen geflochten war. Unter indianischen Decken lag hier die tote Cora. Der trostlose Munro saß mit gebeugtem Haupt und mit vor Schmerz geschlossenen Augen zu ihren Füßen. Neben ihm stand David mit entblößtem Haupt, und nicht weit von ihm hatte sich Heyward an einen Baum gelehnt und konnte seinen Schmerz kaum beherrschen.

Der Gruppe gegenüber saß Unkas, als wäre er noch am Leben, mit dem prachtvollsten Schmuck geziert, den sein Stamm hatte auftreiben können. Sein Haupt schmückten zahlreiche Federn, und der übrige Körper war mit Gürtel, Halsgeschmeide, Armbändern und Medaillen bedeckt. Zu diesem Prunk aber, der seinen hohen Rang andeutete, bildeten seine erloschenen Augen und seine starren, ausdruckslosen Züge einen furchtbaren Gegensatz. Vor dem Toten saß Chingachgook, unbewaffnet und ohne jede Bemalung, die glänzendblaue Schildkröte ausgenommen, die unvrertilgbar in seine nackte Brust gezeichnet war. Düster und unbeweglich ruhten seine Augen auf dem Antlitz seines Sohnes. Nicht weit von ihm stand der Kundschafter, in schweigender Trauer auf sein Gewehr gestützt, während Tamenund auf einem erhöhten Platz saß, von wo er auf sein Volk herabblicken konnte, das in Schmerz und Wehmut versunken war.

Innerhalb des Kreises der Trauernden befand sich ferner ein Offizier in der Uniform einer fremden Nation. Sein Schlachtroß, das außerhalb der Runde stand, war von einer Anzahl berittener Diener umgeben. Der Anzug des Fremden zeigte, daß er in der nächsten Umgebung des Statthalters von Kanada eine angesehene Stellung innehaben mußte. Wie es schien, war seine Absicht, Frieden zu stiften, durch das wilde Ungestüm seiner Verbündeten vereitelt worden. Deshalb mußte er sich nun begnügen, ein schweigsamer Zeuge der traurigen Folgen eines Streites zu sein, dem vorzubeugen er zu spät gekommen war.

Die Sonne hatte bereits den vierten Teil ihrer Bahn durchlaufen, und noch immer herrschte unter der versammelten Menge völliges Schweigen. Endlich streckte Tamenund den Arm aus.

»Männer der Delawaren!« sagte er mit hohler, prophetischer Stimme. »Manitus Antlitz hat sich hinter einer Wolke verborgen; seine Augen gaben sich von euch abgewandt, seine Ohren sind verschlossen, sein Mund gibt euch keine Antwort. Ihr seht ihn nicht, doch sein Gericht trifft euch. Öffnet eure Herzen und bewahrt euren Geist vor der Lüge. Männer der Delawaren! Manitus Antlitz hat sich hinter einer Wolke verborgen!«

Auf diese Anrede folgte tiefes Schweigen. Jeder stand starr und unbeweglich und sah, von Demut und Ehrfurcht erfüllt, zu Boden. Allmählich erhob Sich ein Gemurmel, das sich in eine Art Trauergesang zu Ehren der Toten verwandelte. Es waren weibliche Stimmen. Die Töne klangen sanft und klagend; doch waren die Worte durch keinen Zusammenhang verbunden. Wenn die eine Stimme aufhörte, fuhr die andere fort. Zuweilen äußerte sich der Schmerz in wilden Ausbrüchen. Dann rissen die Mädchen, die um Coras Bahre standen, die Blumen herunter und zerpflückten sie zum Zeichen tiefer Betrübnis. Sobald aber diese heftigen Klagetöne verklungen waren, wurden der Entschlafenen wieder Blumen auf die Bahre gestreut. Hernach schwoll der Gesang wieder stärker und stärker an, und die Mädchen priesen nun die Gemütsart des Mohikaners. Sie schilderten ihn als männlich, edel und großmütig, wie es einem Krieger gezieme und wie es ein Mädchen liebe. Sie gaben zu erkennen, daß sie die geheime Neigung seines Herzens erraten hatten. Die Delawarenmädchen hätten keine Gnade vor seinen Augen gefunden. Ein weißes Mädchen von reinem, edlem Blut habe seine Neigung gewonnen. Nun aber, so schloß der Gesang in feierlicher Weise, habe sie der Herr der Erde an einen Ort versetzt, wo sie vereint auf ewig glücklich sein können.

Die Delawaren hörten aufmerksam zu, als wären sie durch einen Zauber gefesselt. Ihre tiefe, aufrichtige Anteilnahme verriet sich in den wechselnden Gefühlen, die ihre ausdrucksvollen Gesichter belebten. Chingachgook allein saß unbeweglich da. Sein Blick lag starr auf dem geliebten Antlitz seines Sohnes. Als der Gesang der Mädchen verstummte, trat ein Krieger, der sich im Kampf besonders hervorgetan hatte, langsam aus der Menge und näherte sich dem toten Häuptling.

»Warum hast du uns verlassen, Stolz der Delawaren?« sagte er, indem er sich an Unkas wandte, als könnte dessen Ohr seine Stimme noch hören. »Dein Leben glich der Sonne; dein Ruhm war glänzender als ihr Mittagsstrahl. Du bist dahingegangen, junger Krieger, aber Hunderte von Irokesen räumen dir die Dornenbüsche von dem Pfad weg, der ins Land der Geister führt. Wer, der dich in der Schlacht gesehen hat, hätte wohl geglaubt, daß du sterben könntest? Wer hat je vor dir so gekämpft wie du? Wie Schwingen des Adlers waren deine Füße, dein Arm schwerer als die fallenden Äste der Fichte, und deine Stimme glich der Stimme Manitus, wenn er aus den Wolken zu uns redet. Meine Stimme ist schwach«, fügte er schwermütig hinzu, »und mein Herz sehr bedrückt. Stolz der Delawaren, warum hast du uns verlassen?«

Ihm folgten andere in gehöriger Reihenfolge, bis der größte Teil der angesehensten Häuptlinge des Stammes das Andenken des gefallenen Häuptlings geehrt hatte. Da hörte man plötzlich einen leisen, dumpfen Ton, der von der gedämpften Begleitung einer fernen Musik herzurühren schien. Er war nur undeutlich zu vernehmen, und nur ungenau konnte bestimmt werden, woher er eigentlich kam. Doch dann verstärkte er sich allmählich, und schließlich verrieten Chingachgooks zitternde Lippen, daß nun er seinen Totengesang anstimmte. Zwar wandte sich ihm kein Auge zu, aber alle hoben die Köpfe, um den Tönen aufmerksamer zu lauschen. Diese blieben kaum vernehmbar, bis sie endlich, wie von einem Lufthauch verweht, gänzlich verstummten. Chingachgooks Lippen schlossen sich wieder, und er blieb bewegungslos sitzen, wie erstarrt in seinem Schmerz.

Einer der älteren Häuptlinge winkte nun den Weibern; sie hoben die Bahre Coras auf ihre Schultern und bewegten sich langsamen Schrittes vom Platz. Munro fuhr zusammen und wurde unruhig. Dann stand er auf und folgte dem Leichenzug in der Haltung eines Soldaten. Seine Freunde begleiteten ihn, und auch der junge Franzose schloß sich ihnen an. Der Ort, den man für Coras Grab gewählt hatte, war ein kleiner, mit Fichten bewachsener Hügel. Als der Zug dort angelangt war, setzten die Mädchen die Bahre nieder und warteten schweigend.

Endlich sagte Falkenauge, der allein ihre Gebräuche kannte, in delawarischer Sprache:

»Meine Töchter haben alles gut veranstaltet; die weißen Männer danken ihnen.«

Befriedigt legten nun die Mädchen Coras Leiche in einen offenen Sarg, der aus Birkenrinde verfertigt worden war, und senkten ihn in das Grab. Sie bedeckten die frisch aufgeworfene Erde mit Blättern und Zweigen und blieben dann schweigend stehen.

Der Kundschafter nahm wieder das Wort und sprach: »Meine Töchter haben genug getan. Der Geist eines Bleichgesichts bedarf weder der Kleidung noch der Nahrung; denn er ist mit allem versehen, was er im Himmel der Weißen braucht.«

Bescheiden und lautlos traten die Mädchen zur Seite. David stimmte nun eine Trauerhymne an. Als der letzte Ton des Gesanges verklungen war, riß sich der Kommandant aus seiner schmerzlichen Versunkenheit; und wandte sich an den Kundschafter.;

»Sagt diesen guten Mädchen, ein schwacher Greis, dessen Herz gebrochen ist, dankt ihnen für ihre Güte und Liebe. Belohnen wird sie dafür das hohe Wesen, das wir alle anbeten.«

Das Haupt des Greises war wieder auf die Brust gesunken, und er war nahe daran, sich seiner früheren Schwermut hinzugeben, da wagte es der junge Franzose, seinen Ellbogen leicht zu berühren. Sobald er die Aufmerksamkeit des trauernden alten Mannes gewonnen hatte, wies er auf einen Trupp junger Indianer, die mit einer leichten, aber dicht verschlossenen Sänfte nahten, und deutete dann mit einer mahnenden Gebärde aufwärts zur Sonne.

»Ich verstehe Sie, mein Herr!« versetzte Munro im Ton gezwungener Festigkeit; »ich verstehe Sie. Es ist der Wille des Himmels, und ich unterwerfe mich. — Kommen Sie, meine Herren!« fuhr er fort, mit einer Miene stolzer Fassung um sich blickend, obgleich der Gram, der in seinen bleichen Zügen lebte, zu gewaltig war, um sich verbergen zu lassen. — »Wir haben hier nichts mehr zu tun; laßt uns gehen!«

Heyward folgte dieser Aufforderung. Während seine Begleiter die Pferde bestiegen, drückte er dem Kundschafter die Hand und erinnerte ihn an das Versprechen, daß sie einander in den Forts der englischen Armee wiedertreffen wollten. Dann schwang er sich in den Sattel, spornte sein Pferd und ritt neben der Sänfte her, in der Alice saß. Bald war der kleine Zug in dem Dunkel der dichten Wälder verschwunden.

Das Band zwischen den Delawaren und den Fremden aber konnte nicht so leicht zerreißen. Noch viele Jahre später hörte man in den Hütten der Delawaren während langer Winternächte die Erzählung von dem weißen Mädchen und dem jungen Mohikaner. Aber auch jene, die nur eine untergeordnete Rolle bei den Ereignissen gespielt hatten, lebten noch lange in der Erinnerung der Delawaren fort. Durch den Kundschafter, der mehrere Jahre hindurch eine Verbindung zwischen der zivilisierten Welt und den Delawaren unterhielt, erfuhren diese, daß der Graukopf kurze Zeit später zu seinen Vätern gegangen war und daß die »Offene Hand« seine zweite Tochter weit hinweg zu den Wohnungen der Bleichgesichter geführt hatte, wo ihre Tränen sich in das Lächeln verwandelten, das so gut zu ihrem fröhlichen Charakter paßte.

Als Falkenauge von den abreisenden Weißen Abschied genommen hatte, kam er noch eben zur rechten Zeit, um einen Abschiedsblick auf die Züge von Unkas zu werfen, den die Delawaren bereits in seine letzten Pelzgewänder hüllten. Sie hielten in ihrer Tätigkeit einen Augenblick inne, um Falkenauge Gelegenheit zu geben, seinen Freund ein letztes Mal zu grüßen. Dann aber wurde Unkas’ Leib eingehüllt, um nie mehr aufgedeckt zu werden.

Nun begann der feierliche Leichenzug, und der ganze Stamm versammelte sich um das einstweilige Grab seines jungen Häuptlings; denn seine Gebeine sollten später unter denen seines eigenen Volkes bestattet werden. Man begrub den Leichnam in einer halb sitzenden, halb liegenden Stellung. Das Gesicht des Toten war der aufgehenden Sonne zugekehrt. Seine Waffen, seine Jagdgeräte lagen ihm zur Seite.

In dem Sarg war eine Öffnung, damit der Geist wieder zu seiner irdischen Hülle zurückkehren könne.

Aller Augen richteten sich jetzt auf Chingachgook. Man erwartete, einige Worte des Trostes und der Belehrung aus dem Mund des berühmten Häuptlings zu hören. Der finstere, ganz in sich versunkene Krieger richtete sich schließlich auf und blickte mit ernstem Antlitz umher. Seine krampfhaft zusammengepreßten Lippen öffneten sich, und zum ersten Male während der ganzen Peierlichkeit sprach er:

»Warum trauern, meine Brüder? Warum weinen, meine Töchter? Weil ein Jüngling zu den glückseligen Jagdgefilden dahingegangen ist? Weil ein Häuptling seine Laufbahn mit Ehren vollendet hat? Er war gut. Er war gehorsam. Er war tapfer. Wer kann das leugnen? Manitu bedurfte eines solchen Kriegers, darum rief er ihn zu sich. Ich selber, ich bin nur eine verdorrte Fichte auf einer Lichtung des Waldes, die von dem Feuer der Bleichgesichter gerodet wurde. Mein Stamm hat die Ufer des Salzsees und die Berge der Delawaren verlassen. Wer aber kann sagen, die Schlange seines Stammes habe seine Klugheit vergessen? Ich bin allein —«

»Nein!« rief Falkenauge und trat jetzt auf seinen Freund zu. »Chingachgook, du bist nicht allein. Mag unsere Farbe auch verschieden sein, Gott stellte uns beide auf einen Pfad. Ich habe keine Verwandten und auch wohl, wie du, kein Volk. Unkas war dein Sohn und eine Rothaut, doch wenn ich je den Jungen vergesse, der so oft im Krieg an meiner Seite kämpfte, an meiner Seite schlief im Frieden — wenn ich ihn je vergesse, so möge mich auch der vergessen, der uns alle schuf. Der Junge hat uns für kurze Zeit verlassen, aber, Chingachgook, du bist nicht allein!«

Da ergriff Chingachgook die Hand, die ihm Falkenauge über die frische Erde hinüberstreckte. In dieser Stellung neigten die beiden Männer ihre Häupter zueinander, und heiße Tränen rollten auf das frische  Grab.

Dieser heftige Gefühlsausbruch der zwei weit berühmten Krieger wurde mit ehrfurchtsvollem Schweigen aufgenommen. Doch dann erhob Tamenund seine Stimme:

»Es ist genug!« sprach er. »Geht, Kinder der Delawaren! Der Zorn Manitus hat sich noch nicht gelegt. Warum sollte Tamenund verweilen? Die Bleichgesichter sind Herren der Erde, und die Zeit der Rothäute ist noch nicht wiedergekommen. Mein Tag ist zu lang gewesen. Am Morgen sah ich die Söhne unseres Stammes glücklich und mächtig, und jetzt, ehe die Nacht hereingebrochen ist, jetzt muß ich immer noch leben, und ich muß es deshalb, um den besten, den weisesten und tapfersten Krieger unseres Geschlechts begraben zu sehen: den letzten Mohikaner.«

Teil III

Der Pfadfinder

1

Vier Menschen erkletterten an einem Sommertag auf einer kleinen Lichtung der amerikanischen Urwälder, einem sogenannten »Windbruch«, mehrere umgestürzte Bäume, um eine Aussicht auf die weitere Umgebung zu gewinnen. Einer der durch einen Wirbelwind umgeworfenen Stämme war ganz ausgerissen, und sein nach oben gekehrtes Wurzelgeflecht bildete einen sicheren und bequemen Aussichtsplatz, zumal die Lichtung auf dem Gipfel eines sanften Abhanges gelegen war. Zwei von der Gesellschaft, ein Mann und eine Frau, gehörten dem bekannten indianischen Stamm der Tuscarora an. Ihre Begleiter waren ein weißer Mann von ungefähr fünfzig Jahren und ein junges Mädchen.

»Oheim«, sagte das Mädchen, und ihre Augen leuchteten vor Entzücken, »wie sehr erinnert dieser Anblick an das Meer, das Ihr so liebt.«

»Seltsam, wie ein Mädchen sich das Meer vorstellt«, erwiderte der Mann, der anscheinend ein Seemann war. »Nur einem Kind kann es einfallen, diese kümmerliche Handvoll Blätter mit dem gewaltigen Ozean zu vergleichen.«

»Sieh dorthin, Oheim! Es müssen Meilen über Meilen sein, und doch sehen wir nichts als Blätter. Was könnte man mehr sehen, wenn man auf den Ozean blickte?«

»Mehr?« erwiderte der Oheim fragend und bewegte ungeduldig den Ellbogen, denn er hatte die Arme gekreuzt und die Hände vorn in eine Weste von rotem Tuch gesteckt, »mehr, Magnet? Sag lieber, was weniger? Wo sind denn die Wellen, das blaue Wasser, die Walfische, die rollenden Wogen, der brandende Gischt, die Wasserhosen und die endlose Bewegung in dieser Handbreit Wald, Kind?«

»Und wo sind auf dem Meer diese Baumwipfel, dieses feierliche Schweigen, die duftenden Blätter und das schöne Grün, Oheim?«

»Still, Magnet, wenn du etwas von der Sache verständest, würdest du wissen, daß grünes Wasser des Seemanns Teufel ist.«

»Aber grüne Bäume sind etwas anderes. — Horch! Hörst du das Säuseln des Windes in den Blättern?«

»Du solltest einen Nordwester pfeifen hören, Mädchen, wenn du den Wind topwärts so gern hast. Nun, wo sind denn die Böen, die fliegenden Stürme, die Passatwinde und alle anderen in dieser Nußschale Wald?«

»Seht!« rief das Mädchen nach einer Weile. »Dort steigt Rauch über die Wipfel der Bäume. Sollte dort eine Hütte sein?«

»Ja — ja! Ich muß es Meister Pfeilspitze zeigen. Wo Rauch ist, da findet sich wahrscheinlich auch ein Herd.«

Der Oheim zog eine Hand aus der Weste, berührte leicht die Schulter des Indianers und deutete auf die dünne Rauchlinie, die, ungefähr eine Viertelstunde entfernt, sachte über die Blätter emporstieg. Der Tuscarom war ein edel aussehender Krieger. Wenn er auch mit den Kolonisten dauernd in Verbindung war, so hatte er doch wenig von der wilden Größe und einfachen Würde eines Häuptlings verloren. Das Verhältnis zwischen ihm und dem alten Seemann war freundlich, aber doch zurückhaltend. Charles Cap wagte auch in seinen lustigen Augenblicken keine Vertraulichkeit, obgleich sie schon über eine Woche miteinander reisten. Der Tuscarora stand jetzt schweigend und beobachtete den Rauch.

»Es müssen Oneidas oder Tuscaroras in unserer Nähe sein, Pfeilspitze«, meinte Cap. »Wird es nicht gut sein, sich zu ihnen zu gesellen und in ihrem Wigwam eine Schlafstätte für die Nacht zu suchen?«

»Kein Wigwam dort«, antwortete Pfeilspitze, »zuviel Wald.«

»Aber Indianer müssen dort sein, vielleicht alte Bekannte von Euch, Meister Pfeilspitze!«

»Nicht Tuscarora — nicht Oneidas — nicht Mohawk: Bleichgesichtfeuer.«

»Den Teufel auch, das geht über die Philosophie eines Seemannes. Wir alten Seeleute können wohl den Tabak eines Soldaten von dem eines Seemannes unterscheiden, aber ich glaube nicht, daß der älteste Admiral in der Flotte Seiner Majestät sagen kann, wie sich eines Königs Rauch von dem eines Köhlers unterscheidet.«

»Nasses Holz«, antwortete der Krieger ruhig, »viel naß, viel Rauch, viel Wasser — schwarzer Rauch. Bleichgesichter zuviel studiert, und brennt alles; viel studiert — wenig wissen.«

»Gut, das ist vernünftig; ich gebe es zu«, meinte Cap, der sich aus der Gelehrsamkeit nichts machte. »Sagt mir, Pfeilspitze, wie weit mögen wir nach Eurer Berechnung von der Handbreit Teich sein, den Ihr den Großen See nennt und dem wir nun schon so viele Tage entgegenwandern?«

Der Tuscarora blickte den Seemann mit ruhiger Überlegung an.

»Ontario wie der Himmel; eine Sonne, und der große Reisende wird es erfahren«, sagte er.

»Gut — ich bin ein großer Reisender gewesen; ich kann es nicht leugnen, aber unter all meinen Reisen war diese die längste, die unergiebigste und die weiteste zu Land. Wenn dieser Frischwasserteich so nahe ist, Pfeilspitze, so sollte man glauben, ein Paar gute Augen müßten ihn ausfindig machen.«

»Dort«, sagte Pfeilspitze, indem er den Arm ausstreckte, »Ontario!«

Zum erstenmal seit ihrer Bekanntschaft blickte Cap mit Verachtung auf den Tuscarora. Ihm schien, der Indianer deutete auf einen leeren Punkt am Himmel, ein wenig über den Wäldern.

»Ja — ja — so etwas habe ich erwartet, als ich die Küste verließ, um einen Süßwasserteich aufzusuchen«, rief er, indem er die Schultern in die Höhe zog wie jemand, der mit sich im reinen ist. »Der Ontario kann dort liegen, oder er mag ebensogut in meiner Tasche liegen. Gut — aber, Pfeilspitze, wenn Bleichgesichter in unserer Nachbarschaft sind, würde es mir nicht unangenehm sein, mit ihnen zu reden.«

Der Tuscarora neigte ruhig sein Haupt, und die Gesellschaft verließ schweigend ihren Standpunkt auf den Wurzeln des umgefallenen Baumes. Pfeilspitze wollte auf das Feuer zugehen, um sich zu vergewissern, wer dort sei. Der alte Cap schüttelte jedoch den Kopf.

»Häuptling«, sagte er, »das geht an in einer Bai, deren Einfahrt man kennt. In einer unbekannten Gegend wie dieser aber halte ich es nicht für ratsam, daß sich jemand zu weit vom Schiff entfernt. Wir wollen daher, wenn es Euch beliebt, mitsammen aufbrechen.«

Der Indianer willigte ohne weiteres ein. Er deutete an, daß die beiden Frauen zu dem Kanu, das sie im nahen Fluß gelassen hatten, zurückkehren und dort auf sie warten sollten. Magnet zeigte sich aber unwillig. Obgleich tapfer, war sie doch nur ein Weib, und der Gedanke, ohne Begleitung in der Wildnis zu bleiben, warihr nicht angenehm.

»Nach so langem Sitzen im Kanu wird mir ein Gang guttun«, sagte sie. »Vielleicht ist auch unter den Fremden ein weibliches Wesen.«

»So komm, Kind; es ist nur eine Kabellänge lang, und eine Stunde vor Sonnenuntergang sind wir wieder zurück.«

Mabel Dunham, so hieß das Mädchen, schickte sich an, die beiden Männer zu begleiten, während Junitau, die Indianerin, geduldig zum Kanu zurückging. Sie war Gehorsam und Einsamkeit gewohnt.

Die drei suchten nun einen Weg durch das Labyrinth der übereinandergestürzten Stämme und erreichten schließlich den Waldsaum. Einige Blicke genügten dem Indianer, um sich zu orientieren. Der alte Cap aber nahm bedächtig einen Taschenkompaß hervor und untersuchte die Richtung, ehe er in den Schatten der Bäume trat.

»So eine Stunde nach der Nase, Magnet, mag für einen Indianer ganz gut sein, aber ein tüchtiger Seemann kennt die Kraft der Nadel«, sagte er zu Mabel. »Amerika würde nie entdeckt worden sein — ich gebe dir mein Wort, Mädchen —, wenn Kolumbus nur Nasenlöcher gehabt hätte.«

Mit einem Schritt, so leicht und elastisch wie der Gang des Indianers, folgte Mabel ihren beiden Gefährten. Als sie der Stelle näher kamen, wo das Feuer sein mußte, hielten sie sich vorsichtig hinter den Bäumen, da der Hochwald hier kaum Unterholz hatte.

»Sieh, Salzwasser«, sagte der Indianer leise, »Bleichgesichtfeuer.«

»Bei Gott, der Bursche hat recht«, murmelte Cap, »da sind sie, beim Himmel, und verzehren ihr Mahl so ruhig, als wären sie in der Kajüte eines Dreideckers.«

»Pfeilspitze hat nur halb recht«, flüsterte Mabel, »denn es sind zwei Indianer und ein Weißer.«

»Bleichgesichter«, sagte der Tuscarora, indem er zwei Finger emporhielt, »roter Mann«, indem er einen erhob.

»Gut«, versetzte Cap, »es ist schwer zu sagen, ob das eine oder das andere wahr ist. Der eine ist ganz weiß und ein hübscher, stattlicher Bursche. Der andere ist eine Rothaut. Aber der dritte ist weder Brigg noch Schoner.«

»Bleichgesichter!« Pfeilspitze hob abermals zwei Finger empor.

»Er muß recht haben, Oheim, denn sein Auge trügt nicht. Aber wir müssen wissen, obwir Freunde oder Feinde vor uns haben. Vielleicht sind es Franzosen.«

»Ein Anruf wird uns schnelle Aufklärung verschaffen«, erwiderte Cap. »Stell dich hinter diesen Baum, Magnet, für den Fall, daß es den Schurken einfallen sollte, eine volle Ladung abzufeuern, ehe sie sich in eine Unterredung einlassen. Ich werde bald hören, unter welcher Flagge sie segeln.«

Der Oheim hatte beide Hände an seinen Mund gebracht, um sie als Sprachrohr zu gebrauchen. Eine rasche Bewegung des Indianers vereitelte diese Absicht. »Roter Mann Mohikaner«, sagte er. »Bleichgesichter Engländer.«

»Gute Nachrichten!« meinte Mabel. »Wir wollen zu ihnen hingehen, lieber Oheim, und uns als Freunde vorstellen.«

»Gut«, sagte Pfeilspitze, »roter Mann gut und Verstand; Bleichgesicht eilig und Feuer. Squaw soll gehen.«

»Wie?« fragte Cap erstaunt. »Wir sollen die kleine Mabel nach vorne schlicken wie einen Ausguck, während zwei Burschen wie Ihr und ich anlegen! um zu sehen, welche Art Land sie ausmacht? Wenn ich das zugebe, so will ich —«

»Es ist das klügste, lieber Oheim«, fiel ihm das Mädchen ins Wort, »und ich fürchte mich nicht. Kein Christ wird Feuer geben, wenn er ein Mädchen allein daherkommen sieht. Laß mich vorangehen, und alles wird in Ordnung sein.«

»Gut«, sagte Pfeilspitze, dem der Mut des Mädchens gefiel.

»Es ist ganz unseemännisch«, versetzte Cap, »doch da wir eben in den Wäldern sind, mag es hingehen. Wenn du glaubst, Mabel —«

Das Mädchen ging mutig auf die Gruppe zu, die schweigend um das Feuer saß. Rings im Wald herrschte tiefe Stille. Als Mabel noch vierzig bis fünfzig Schritt vom Feuer entfernt war, berührte ihr Fuß ein dürres Holzstück. Rasch wie ein Gedanke sprangen da der Mohikaner und einer seiner Gefährten auf. Beide sahen nach ihren Büchsen, die an einem Baumstamm lehnten. Dann aber blieben sie bewegungslos stehen, denn beide sahen das Mädchen. Nun flüsterte der Indianer seinem Gefährten einige Worte zu, ließ sich jedoch gleich wieder nieder und setzte sein Mahl fort, als wäre nichts geschehen. Der Weiße aber schritt Mabel entgegen. Er war in mittleren Jahren, und in seinem Antlitz spiegelte sich offene Ehrlichkeit. Mabel sah sogleich, daß sie nichts zu fürchten habe. Dennoch blieb sie wartend stehen.

»Fürchtet nichts, junges Mädchen«, sagte der Mann, der ein Jäger zu sein schien. »Ihr seid auf Christen gestoßen. Ich bin in diesen Gebieten wohlbekannt. Von den Franzosen und den Rothäuten auf der anderen Seite der großen Seen werde ich ›Die Lange Büchse‹ genannt, ›Falkenauge‹ heißen mich die Mohikaner und ›Pfadfinder‹ die Truppen und Fallensteller auf dieser Seite des Wassers.«

»Pfadfinder!« rief das Mädchen erfreut. »Ihr seid also der Freund, den uns mein Vater entgegenzuschicken versprach?«

»Wenn Ihr die Tochter des Sergeanten Dunham seid, so hat der große Prophet der Delawaren nie ein wahreres Wort gesprochen.«

»Ich bin Mabel, und dort hinter den Bäumen sind mein Oheim Cap und ein Tuscarora, Pfeilspitze genannt. Wir erwarteten, Euch erst in der Nähe des Sees zu finden.«

»Ich wollte, ein zuverlässigerer Indianer wäre Euer Führer, denn ich bin kein Freund der Tuscaroras, die sich von den Gräbern ihrer Väter zu weit entfernt haben. Ist Junitau bei ihm?«

»Sie begleitet ihn, und sie ist ein mildes, demütiges Wesen.«

»Ja, ja, unter den Tuscaroras wären noch schlimmere Führer zu finden gewesen.«

»So ist es gut, daß wir Euch getroffen haben.«

»Es ist jedenfalls kein Unglück; denn ich habe dem Sergeant versprochen, sein Kind wohlbehalten in das Standquartier zu bringen, sollte es auch mein Leben kosten. Wir hofften Euch zu treffen, ehe ihr die Wasserfälle erreicht, wo wir unser Kanu gelassen haben.«

»Da kommt mein Oheim und der Tuscarora«, sagte Mabel, als sich Cap und Pfeilspitze näherten. Wenige Worte genügten, um die drei miteinander bekannt zu machen, und man ging zum Feuer zurück.

Der Mohikaner fuhr fort zu essen, aber der andere weiße Mann stand auf und nahm vor Mabel Dunham höflich seine Kappe ab. Er war jung und von einer festen, gesunden Männlichkeit.

»Hier«, sagte Pfadfinder, indem er Mabel treuherzig anlächelte, »sind die Freunde, die Euer Vater Euch entgegengesandt hat. Dieser ist ein großer Delaware; man nennt ihn die ›Große Schlange‹, er ist klug und kühn. Und da ist mein junger Freund Jasper Western, der sein Leben auf dem Ontario zugebracht hat.«

Die Begrüßung war kurz und freundlich.

»Ich freue mich, Euch kennenzulernen, Freund«, sagte Cap, indem er dem Süßwassermatrosen herzlich die Hand drückte, »obgleich Euch noch viel zu lernen bleibt, wenn ich bedenke, in welche Schule man Euch geschickt hat. Dies ist meine Nichte Mabel. Ich pflege sie Magnet zu nennen.«

»Das ist verständlich«, erwiderte der junge Mann und sah das errötende Mädchen an, »denn ich bin überzeugt, daß der Seemann, dessen Steuer Euer Magnet führt, das Land niemals schlecht ausmachen wird.«

»Ihr gebraucht einige Seeausdrücke, wie ich höre, und zwar richtig und verständlich. Merkwürdig, da Ihr doch sicher mehr grünes als blaues Wasser gesehen habt«, meinte der erfahrene Seemann mit der Miene eines Gönners.

»Ja, wir verlieren das Land selten länger als vierundzwanzig Stunden aus den Augen«, erwiderte der junge Mann bescheiden.

»Leider, Knabe, leider! Dieses kleinste Stückchen Land sollte für einen Seemann mehr als genug sein.«

»Was Ihr sagt, Herr, kann richtig sein, wenn es sich um den Atlantischen Ozean handelt; aber hier auf dem Ontario halten wir das Land hoch.«

»Und warum? Weil ihr immer landumschlossen seid«, antwortete Cap herzlich lachend. — »Aber dort ist Pfadfinder mit einer dampfenden Platte und lädt uns zum Essen ein. Ich muß zugeben, Wildbret findet man nicht auf der See.«

Nun setzten sich alle um das Feuer, Jasper Western sorgte in zuvorkommender Weise für Mabel, die sich die freundliche Aufmerksamkeit des jungen Matrosen gerne gefallen ließ. Er rückte einen Holzklotz herbei, richtete ihn ihr als Sitz und holte ihr ein gutes Stück Wildbret. Pfadfinder und der alte Cap waren in ein Gespräch verwickelt.

»Eure Lebensweise muß ihre Reize haben, Herr Pfadfinder,« meinte Cap, als der Appetit gestillt war; »sie hat etwas von dem Abenteuerlichen und Gefahrvollen, das uns Seeleuten so gut gefällt, und wenn es bei uns ganz Wasser ist, so ist es bei Euch ganz Land.«

»Nein, wir kommen auf unseren Reisen und Märschen auch mit Wasser in Berührung«, erwiderte der Jäger. »Wir Grenzleute handhaben Ruder und Speer fast ebensooft wie Büchse und Jagdmesser.«

»Gut — aber handhabt Ihr auch die Brasse und die Buglinie, das Lot und die Pinne, die Reffeising und das Stengenwindreep? Das Ruder ist eine gute Sache in einem Kanu; aber was nützt es in einem Schiff?«

»Ich achte jeden Beruf und weiß, daß die Dinge, von denen Ihr sprecht, ihren Nutzen haben. Ich bin noch nicht sehr alt, aber ich habe in den Wäldern gelebt und kenne die Menschen einigermaßen. Von der Gelehrsamkeit der Städter habe ich jedoch nie viel gehalten, und tatsächlich fand ich unter ihnen noch keinen, der ein Auge für die Büchse oder eine Fährte gehabt hätte.«

»Ganz meine Meinung, Meister Pfadfinder. Ein menschliches Wesen wird durch das öde Straßenlaufen niemals zu einem richtigen Mann. Schickt mir die Jugend hinaus auf den breiten, herrlichen Ozean und laßt sie fremde Völker sehen. Nehmt zum Beispiel meinen Schwager, den Sergeant: er ist in seiner Art ein guter Kerl; aber was ist er überhaupt? Nichts als ein Soldat. Als er Bridget, meine Schwester, heiraten wollte, sagte ich ihr, was er war und was sie von einem solchen Gatten zu erwarten habe. Doch Ihr wißt ja, wie Mädchen sind, die einmal an jemandem einen Narren gefressen haben! Der Sergeant ist anvanciert und soll im Fort ein wichtiger Mann sein, aber sein armes Weib hat das nicht mehr erlebt; denn sie ist nun seit fünfzehn Jahren tot.«

»Der Soldatenberuf ist ehrenvoll, vorausgesetzt, daß man auf der Seite des Rechts kämpft«, erwiderte Pfadfinder; »ich habe nie besser geschlafen, als wenn ich gegen die Mingos focht.«

»Ich hoffe, es gibt keine französischen Wilden auf dieser Seite des Sees, denn Ihr habt gesagt, der Ontario sei ein großes Stück Wasser?«

»Nun — er ist breit in unseren Augen«, sagte Pfadfinder lächelnd, »aber auf dieser Seite des Ontario sind ungefähr ebenso viele Irokesen wie auf der anderen. Gerade aus diesem Grund, Freund Cap, hat der Sergeant uns Euch entgegengesandt und beauftragt, Euch den Pfad Zu zeigen.«

»Wie, die Schurken wagen es, sozusagen unter den Kanonen eines Forts Seiner Majestät zu kreuzen?«

»Sie treiben sich überall herum. Die Große Schlange ist auf der einen Seite des Flusses heraufgekommen und ich auf der anderen, um die leichtfüßigen Schurken auszuspähen. Jasper Western aber brachte das Kanu. Wir nennen ihn übrigens meistens ›Süßwasser‹. Der Sergeant sagte ihm mit Tränen in den Augen, wie sehr sich sein Herz nach seinem Kind sehne und wie sanft und gehorsam das Mädchen sei, bis es mir vorkam, Süßwasser würde sich lieber allein in ein Mingolager stürzen, als zu Hause bleiben.«

»Wir danken ihm, obgleich sich der Knabe, wie es mir scheint, keiner großen Gefahr ausgesetzt hat.«

»Sachte, sachte, Freund Cap! Unter allen gefahrvollen Reisen ist die einen waldbestandenen Fluß entlang die gefährlichste, und diese Gefahr hat Jasper überwunden.«

»Wie konnte der Sergeant mich aber veranlassen, hundertundfünfzig Meilen auf eine so ungewöhnliche Art zu reisen? Gebt mir offenes Meer und laßt mich dem Feind ins Gesicht sehen! Aber sich wie eine Schildkröte im Schlaf erschießen zu lassen, das ist nicht nach meinem Sinn. Wäre es nicht wegen der kleinen Magnet, ich würde mich noch in diesem Augenblick wieder einschiffen und den Ontario für sich selber sorgen lassen, mag er Süßwasser haben, soviel er will. Wie weit sind wir übrigens noch vom Fort entfernt?«

»Wenig mehr als fünfzehn Meilen.«

»Und wir werden unseren Weg durch die verteufelten Wälder suchen müssen?«

»Nein — nein — Ihr werdet in einem Kanu fahren. Die Truppen haben den Oswego vom Treibholz gesäubert. Wir werden mit der Strömung hinfahren, und zwar reißend schnell.«

»Und wer, zum Teufel, wird diese Mingos daran hindern, uns totzuschießen, wenn wir um einen Bergvorsprung herumfahren? — Kommt, kommt! Pfadfinder, wir haben die Sonne heute nur noch wenige Stunden und würden daher besser tun aufzubrechen, solange es noch günstig ist. Magnet! Herzkind — bist du noch nicht bereit, unter Segel zu gehen?«

Magnet fuhr auf, errötete und machte sich zur Abreise fertig. Keine Silbe hatte sie von dem Gespräch ihres Onkels gehört, denn Jasper hatte ihr von ihrem Vater erzählt, den sie seit ihren Kinderjahren nicht mehr gesehen hatte; außerdem schilderte er ungemein anschaulich die Lebensweise hier auf dem Grenzposten.

Pfadfinder wies nun alle an, in die Spuren zu treten, die Mabels kleiner Fuß auf den Blättern zurückließ, und so bewegte sich die Gesellschaft vorsichtig vorwärts.

»Wenn wir auf dem Fluß sind«, sagte er, »wird es keinem Mingo möglich sein, den Weg anzugeben, den unser Kanu genommen hat flußauf oder flußab. Das Wasser ist der einzige Teil der Natur, der eine Spur völlig vertilgt.«

»Außerdem«, bemerkte Jasper, der mit Pfadfinder ein wenig hinter der Gesellschaft blieb, »können sie nichts von der Tochter des Sergeants wissen, denn man hat ihre Reise streng geheimgehalten.«

»Hört einmal«, sagte der Kundschafter plötzlich leise und lachte in seiner geräuschlosen Art, »wollen wir nicht den Charakter dieses Seebären auf die Probe stellen und ihn über die Wasserfälle schießen lassen?«

»Und was soll mittlerweile die schöne Nichte anfangen?«

»Nun — nun — ihr darf kein Leid geschehen; sie muß jedenfalls um die Fälle zu Fuß gehen, aber Ihr und ich wollen diesen atlantischen Meermann auf die Probe stellen. Dann werden wir alle miteinander bekannter sein.«

Der junge Jasper lächelte, denn er war einem Scherz niemals abgeneigt. Die Überheblichkeit Caps hatte ihn ein wenig verdrossen.

»Tun wir es aber lieber doch nicht«, wandte er ein. »Das Mädchen könnte vielleicht erschrecken.«

»Pah, die erschrickt nicht! Sie ist nicht furchtsam. Überlaßt die Sache nur mir.«

»Nein, Euch nicht, Pfadfinder; Ihr würdet beide ertrinken lassen. Wenn das Kanu über die Fälle geht, muß ich darin sein.«

»Gut — mag’s so sein! Wollen wir darauf die Pfeife rauchen?«

Jasper lachte und nickte. Inzwischen hatte die Gesellschaft den Windbruch erreicht.

2

Fast alle Wasser, die sich auf der südlichen Seite des Ontario in den See ergießen, sind schmal, langsam und tief. Mehrere Flüsse, so auch der Oswego, auf dem unsere Gesellschaft reisen wollte, haben jedoch Stromschnellen. Der Oswego wird aus dem Zusammenfluß des Oneida und des Onondaga gebildet und fließt etwa zehn Meilen weit durch hügeliges Gelände, bis er den Rand natürlicher Terrassen erreicht. Über diese stürzt er sich in eine etwa fünfzehn Fuß tiefer gelegene Ebene, durch die er seinen Lauf mit der dem tiefen Wasser eigenen stillen, heimlichen Art fortsetzt, bis er schließlich im Ontariosee endet.

Das Kanu, in dem Cap und seine Begleiter vom Fort Stanwix, dem letzten militärischen Posten am Mohawk, gereist waren, lag in der Nähe des Windbruchs am Flußufer. Junitau hatte geduldig gewartet. Alle stiegen ein. Nur Pfadfinder blieb vorläufig noch auf dem Lande.

»Richtet das Boot stromaufwärts, Jasper!« rief der Jäger dem jungen Seemann zu, der den Platz am Steuer eingenommen hatte. »Sollten die Mingos uns verfolgen, so werden sie nicht vergessen, im Schlamm nach Spuren zu suchen, und werden glauben, wir seien stromaufwärts gefahren.«

Jasper befolgte die Weisung. Pfadfinder gab nun dem Kanu einen kräftigen Stoß und sprang mit solcher Leichtigkeit hinein, daß er das Gleichgewicht des Bootes nicht im geringsten störte. Sobald das Fahrzeug die Mitte des Flusses erreicht hatte, wurde es gewendet, und nun glitt es geräuschlos den Strom hinunter. Cap hatte seinen Sitz in der Mitte des Kanus, die Große Schlange kniete nahe bei ihm. Pfeilspitze und sein Weib saßen vor den beiden. Mabel lehnte sich hinter ihrem Onkel auf ihr Gepäck, während Pfadfinder und Süßwasser aufrecht hintereinander standen. Beide führten ihre Ruder in langen, geräuschlosen Schlägen. Gesprochen wurde nur ganz leise. Der Oswego war an dieser Stelle tief und dunkel und nicht sehr breit. Seine düster aussehenden Wasser wanden sich zwischen überhängenden Bäumen hindurch, die an einzelnen Stellen fast das Licht des Himmels verdeckten.

»Ich sehne mich nach Frieden«, durchbrach Pfadfinder die Stille, »ich möchte wieder durch den Wald streifen können, ohne anderen Feinden als wilden Tieren zu begegnen. Gar manchen Tag haben ich und Große Schlange glücklich und zufrieden an den Ufern der Ströme zugebracht … Oder hält mich die Tochter des Sergeants für einen Jäger, der gern auf menschliche Wesen Jagd macht?«

»Ich glaube nicht, daß mein Vater Euch dann gesandt hätte«, antwartete das junge Mädchen lächelnd.

»Sicher nicht! Der Sergeant ist ein gefühlvoller Mann, und manchen Marsch und manches Gefecht haben wir miteinander bestanden.«

»Ihr seid also der junge Freund, von dem mein Vater so oft in seinen Briefen sprach.«

»Sein junger Freund — ja. Der Sergeant ist um dreißig Jahre älter und auch entsprechend besser als ich.«

In diesem Augenblick klang ein dumpfes, schweres Rauschen den Fluß herauf.

»Das hört sich angenehm an«, meinte Cap, »ist das die Brandung Eures Sees?«

»Nein, nein«, antwortete Pfadfinder, »es ist weiter nichts als ein Wasserfall eine halbe Meile weiter unten.«

»Wie? In diesem Strom ein Wasserfall?« fragte Mabel nicht ohne Furcht.

»Zum Teufel! Meister Pfadfinder oder Ihr, Mister Süßwasser«, entfuhr es dem wortreichen Seemann; »wäre es da nicht besser, wir näherten uns mehr dem Ufer?«

»Vertraut auf uns, Freund Cap!« antwortete Pfadfinder; »wir sind zwar nur Süßwasserleute, und ich selbst kann mich nicht rühmen, einer der besseren zu sein, aber wir verstehen uns auf Riffe, Stromschnellen und Wasserfälle.«

»Fahren wir denn über die hinab?« rief Cap erschrocken aus. »Ihr denkt doch nicht, in dieser Eierschale einen Wasserfall hinabzufahren!«

»Aber sicher, der Weg geht über den Fall. Es ist leichter, über ihn hinwegzufahren, als das Kanu auszuladen und alles, was es enthält, eine Meile weit auf den Schultern herumzutragen.«

Mabel wandte ihr bleiches Gesicht dem jungen Mann zu, der hinten im Kanu stand. Gerade in diesem Augenblick vernahm man das Brausen des Falles besonders deutlich — es klang in der Tat fürchterlich.

»Wir dachten«, bemerkte Jasper ruhig, »daß wir den weiblichen Teil unserer Fahrgäste und die beiden Indianer ans Land setzen. Wir drei Männer, die wir alle mit dem Wasser vertraut sind, bringen das Kanu gewiß wohlbehalten hinüber.«

»Und wir rechnen sehr mit Euch, Freund Seemann«, sagte Pfadfinder, indem er Jasper über die Schulter zuwinkte, »wir brauchen jemanden, der das Boot vor dem Schlingern bewahrt, sonst könnten leicht alle unsere Siebensachen in den Fluß gewaschen werden …«

Cap war in arger Verlegenheit. Der Gedanke, den Wasserfall hinabzufahren, erschien ihm unsinnig, denn er kannte die völlige Ohnmacht des Menschen, wenn er der Wut des nassen Elements ausgesetzt ist. Doch sein Stolz empörte sich bei dem Gedanken, daß er das Boot verlassen solle, während andere ruhig vorschlugen weiterzufahren.

»Was aber soll aus Mabel werden?« fragte er zunächst einmal vorsichtig. »Wir können sie hier nicht an Land gehen lassen, wenn feindliche Indianer in der Nähe sind.«

»Kein Mingo wird hier bei den Fällen sein«, antwortete Pfadfinder zuversichtlich. »Es ist eines Indianers Natur, sich dort finden zu lassen, wo er am wenigsten erwartet wird. Steuert zum Ufer, Süßwasser! Wir wollen Mabel bei dem Felsen dort absetzen, wo sie das Ufer trocken erreichen kann.«

In wenigen Minuten hatten alle, mit Ausnahme des Pfadfinders und der zwei Matrosen, das Kanu verlassen.

Mabel ging allein und zitternd zu dem bezeichneten Felsen, während ihre Augen auf der gewandten und kräftigen Gestalt des jungen Jasper ruhten, der aufrecht in dem leichten Boot stand und dieses wieder der Mitte des Flusses zulenkte.

Als sie jedoch eine Stelle erreicht hatte, wo sich ihr die Aussicht auf den Fall bot, stieß sie einen Schrei aus; vor ihr lag eine zischende, brodelnde und brüllende Stromschnelle, die unübersehbar schien. Die beiden Indianer setzten sich ruhig auf einen Felsblock und blickten kaum zum Fluß; Junitau aber näherte sich Mabel und betrachtete interessiert die Bewegungen des Kanus.

Sobald das Boot in der Strömung war, sank Pfadfinder auf die Knie und fuhr fort zu rudern, jedoch langsam und auf eine Art, die seinen Gefährten nicht behinderte. Süßwasser stand noch immer aufrecht und suchte sorgfältig nach der für die Abfahrt günstigsten Stelle.

»Mehr West, Knabe, mehr West«, murmelte Pfadfinder, »dorthin, wo Ihr das Wasser schäumen seht. Bringt den Wipfel jener dürren Eiche in eine Linie mit dem Stengel des verwelkten Schierlings!«

Jasper gab keine Antwort; denn das Kanu war jetzt in der Mitte der Strömung, und ihre verstärkte Gewalt begann das leichte Fahrzeug bereits mitzuteißen. In diesem Augenblick würde Cap mit Vergnügen jedem Anspruch auf Ruhm, der aus dieser Tat entspringen konnte, entsagt haben, wäre er an Land gewesen. Er hörte das Bremsen des Wassers, das zwar noch wie hinter einer Wand donnerte, aber immer deutlicher und deutlicher, lauter und lauter wurde.

»Hinunter mit dem Steuer, hinunter mit dem Steuer!« rief er, unfähig, seine Besorgnis länger zu unterdrücken.

»Ja, ja, hinunter geht’s, das ist sicher«, antwortete Pfadfinder, indem er sich einen Augenblick lang fröhlich lachend umblickte.

Das übrige war wie der Weg des unsichtbaren Windes. Jasper gab dem Kanu mit seinem Ruder die verlangte Richtung. Es fuhr in den Kanal, und einige Augenblicke lang kam es Cap vor, als ob er in einem Kessel herumgerührt würde. Er fühlte den Bug des Kanus dann und wann aufstoßen, sah das tobende und schäumende Wasser wie toll an sich vorbeijagen, wurde gewahr, daß das leichte Boot wie eine Eierschale umhergeworfen wurde, und entdeckte endlich zu seiner großen Freude erstaunt, daß es auf dem stillen Wasser unterhalb des Falles dahinglitt. Pfadfinder lachte, erhob sich und schöpfte mit einer Zinnkanne und einem Holzlöffel das Wasser, das während der Hinunterfahrt in das Boot gekommen war, bedächtig aus.

Cap stieß nun ein ungeheures »Hem, Hem« aus und blickte hinter sich, um die Gefahr, der er soeben preisgegeben war, zu ermessen. Er konnte sich sein glückliches Entkommen bald erklären. Der größte Teil des Flusses stürzte zwanzig oder mehr Fuß senkrecht herab; in seiner Mitte aber hatte die Gewalt des Stromes den Felsen so weit ausgewaschen, daß das Wasser durch einen engen Paß in einem Winkel von vierzig bis fünfundvierzig Grad schießen konnte. Diesen Abhang war das Kanu inmitten von Holzstücken, von Strudeln, Schaum und wütenden Stößen des Wassers hinabgefahren. Sein leichter Bau begünstigte die Abfahrt; denn auf den Wellen getragen und von einem sicheren Auge und kräftigen Arm geleitet, war es wie eine Feder über den Gischt geworfen worden. Wenige Felsen nur waren zu vermeiden, die gehörige Richtung streng zu beobachten, und die Strömung tat das übrige.

Cap war jetzt von Ehrfurcht ergriffen; denn die große Angst, die er wie die meisten Matrosen vor Felsen hatte, gesellte sich zu der Bewunderung dieser Tat. Aber weder seine Verblüffung noch seine Furcht wollte er zeigen.

»Ja, Mister Süßwasser«, sagte er überlegen, »am Ende ist die Kenntnis der Durchfahrt an einer solchen Stelle die Hauptsache dabei. Ich habe Bootsmänner gekannt, die hier mit Leichtigkeit heruntergefahren wären, wenn sie die Durchfahrt gewußt hätten.«

»Es ist nicht genug, die Durchfahrt zu kennen, Freund Seefahrer«, erwiderte Pfadfinder, »man muß auch die Kraft und Geschicklichkeit haben, das Kanu streng im Kurs zu führen und es außerdem vom Felsen fernzuhalten. Es gibt keinen Bootsmann in dieser ganzen Gegend, der mit Sicherheit den Oswego hinabfahren kann, Jasper ausgenommen. Ich selber kann’s nicht ohne Hilfe der Vorsehung.«

Unterdessen hatten die anderen den Platz erreicht, wo Jasper sein Kanu im Gebüsch versteckt hatte; alle schifften sich nun wieder ein. Cap, Jaspef und Mabel fuhren in dem einen Boot, Pfadfinder, Pfeilspitze und sein Weib im anderen. Der Mohikaner aber war bereits am Ufer hinuntergegangen, wo er vorsichtig nach Feinden spähte.

Mabels Wangen gewannen ihre Farbe erst wieder, als das Kanu in der Strömung war, in der es schnell dahinglitt. Sie hatte der Fahrt über die Fälle mit dem Gemisch von Schrecken und Bewunderung zugesehen. Noch jetzt sah sie das Bild des jungen Mannes vor sich, der aufrecht im Boot stand und ihm mit ungemeiner Kraft und Geschicklichkeit jene Richtung gab, in der allein es an den Felsen vorbeikam.

Beide Fahrzeuge glitten dicht nebeneinander dahin. Da wandte sich nach einer Weile Pfadfinder an Mabel:

»Aber Ihr habt uns noch nicht gesagt, was Ihr von dem Sprung denkt, den wir heute machten?«

»Er war gefährlich und kühn«, erwiderte sie; »während ich ihm zuschaute, wünschte ich, er wäre nie versucht worden.«

»Wir taten es, weil es das Beste war. Hätten wir das Kanu herumgeschleppt, so wäre Zeit verloren worden, und nichts ist kostbarer wie Zeit, wenn Mingos in der Nähe sind. — Süßwasser«, unterbrach er sich, »was ist das am Fluß, dort bei der Krümmung, unter dem Gebüsch?«

»Es ist die Große Schlange, Pfadfinder.«

»Es ist die Schlange. Er winkt und will, daß wir uns dem Ufer nähern. Nun gut, sind die Mingos da, dann sind wir auf der Hut. Aber nur Mut, meine Freunde! Wir sind Männer und wissen einem Hinterhalt wohl zu begegnen.«

Pfadfinder hatte kaum die Gestalt seines roten Freundes erkannt, als er die Spitze seines Kanus nach dem Ufer richtete und Jasper aufforderte, ihm zu folgen. Gleich darauf trieben beide Boote im Bereich der überhängenden Büsche das Ufer hinab. Alle schwiegen. Beim Indianer hielten sie an.

»Mingos sind in den Wäldern«, sagte der Mohikaner ruhig und hielt den Kopf einer Pfeife empor. »Das hier lag auf einer frischen Spur, die zur Garnison führt.«

»Wir bekommen Arbeit, Häuptling. Wo war die Spur?«

Der Mohikaner wies auf eine kaum hundert Meter entfernte Stelle. Die Sache begann nun gefährlich auszusehen. Pfadfinder sprang daher schnell an Land, beratschlagte einige Minuten mit Chingachgook und stieg mit ihm das Ufer hinauf, um die Spur zu untersuchen. Nach einer Viertelstunde kehrte er allein zurück. Sein roter Freund war im Wald verschwunden.

»Was gibt’s, Meister Pfadfinder?« fragte Cap leise. »Haben einige dieser bemalten Pickelheringe von Mingos sich zwischen uns und den Hafen gelegt?«

»Eine verdächtige Mingospur fand sich hundert Ellen weit von hier, und so frisch wie Wildbret ohne Salz. Wenn einer dieser verdammten Teufel da war, dann war sicherlich ein Dutzend in der Nähe; und was schlimmer ist, sie sind hinab zur Garnison gegangen. Keine Seele kann um sie herumkommen, ohne von ihren scharfen Augen entdeckt zu werden; und dann folgen gutgezielte Kugeln.«

»Kann dieses Fort nicht eine volle Lage geben und alles im Bereich seiner Klüsen wegfegen?«

»Nein, die Forts hier herum sind nicht wie die Forts in den Ansiedlungen. Zwei oder drei leichte Kanonen sind alles, was sie dort an der Mündung des Flusses haben; da wäre das Abfeuern einer vollen Lage auf ein Dutzend Mingos, die in einem Wald liegen, unnötige Verschwendung von Pulver. Wir haben nur einen Weg, aber einen guten. Beide Kanus sind durch das hohe Ufer und das Gebüsch vor allen Augen so ziemlich verborgen. Hier können wir vorderhand bleiben. Jasper, seht Ihr den Kastanienbaum mit dem breiten Wipfel dort, wo die letzte sichtbare Flußkrümmung ist?«

»Den bei der umgestürzten Fichte?«

»Ja. Nehmt den Feuerstein und die Zunderbüchse, schleicht das Ufer entlang und zündet dort ein Feuer an. Vielleicht lockt der Rauch die Mingos wieder stromaufwärts. Unterdessen wollen wir mit aller Vorsicht stromabwärts fahren und ein anderes Versteck suchen.«

»Ich gehe, Pfadfinder«, sagte Jasper und sprang ans Ufer. »In zehn Minuten soll das Feuer angezündet sein.«

»Und nehmt recht viel feuchtes Holz dieses Mal!«

Man stieß die Kanus jetzt ein wenig vom Ufer ab und ließ sie den Strom hinabtreiben, bis sie den Ort erreichten, wo der Kastanienbaum, an dessen Fuß Jasper das Feuer anzünden sollte, beinahe ganz verschwand. Hier hielten sie an.

»Da ist der Rauch!« rief Pfadfinder, als ein Luftzug eine kleine Rauchsäule über das Flußbett trieb. »Ein guter Stein, eines kleines Stückchen Stahl und ein gehöriger Haufen trockener Blätter machen ein schnelles Feuer.«

»zuviel Rauch — zuviel Licht«, sagte Pfeilspitze abfällig.

»Das wäre so wahr wie das Evangelium, Tuscarora, wenn die Mingos nicht wüßten, daß sie in der Nähe von Soldaten sind. Soldaten denken gewöhnlich mehr an ihr Essen als an Gefahr.«

Mit diesen Worten ließ Pfadfinder sein Kanu von dem Gebüsch, das es bedeckt hatte, wegtreiben. Das andere folgte. In wenigen Minuten verbarg jetzt die Biegung des Flusses den Rauch und den Baum. Glücklicherweise zeigte sich wenige Schritte entfernt ein kleiner Einschnitt im Ufer, und die Kanus glitten hinein. Eine günstigere Stelle hätten sie nicht finden können. Das Gebüsch war hier dicht, hing über das Wasser und bildete ein geschlossenes Laubgewölbe. Die kleine Bucht hatte einen schmalen Strand, der sich gut zur Landung eignete.

»Das ist ein vorzügliches Versteck«, sagte Pfadfinder, »aber es dürfte doch ratsam sein, es noch sicherer zu machen.«

Pfadfinder und Pfeilspitze drangen in das Gebüsch ein, wo sie größere Zweige von den Sträuchern schnitten. Diese trieben sie an der Außenseite der Kanus in den Schlamm.

In zehn Minuten war das Versteck so geschickt angelegt, daß nur ein ungewöhnlich mißtrauisches Auge sich für einen Augenblick nach diesem Fleck gerichtet haben würde.

»Das ist das beste Versteck, das ich je gehabt habe«, sagte der Pfadfinder mit seinem leisen Lachen. »Still, dort kommt Süßwasser und watet wie ein vernünftiger Bursche, um seine Spur im Wasser zu lassen! Wir werden gleich sehen, ob unser Versteck etwas taugt.«

Jasper war in der Tat von seinem Auftrag zurückgekehrt, und da er die Kanus vermißte, beobachtete er das Ufer mit großer Sorgfalt. Er kam der künstlichen Pflanzung so nahe, daß er sie mit der Hand hätte berühren können. Doch schon wollte er vorbeigehen, als der Pfadfinder ihn mit leiser Stimme anrief.

»Das ist ein gutes Vorzeichen«, sagte der Kundschafter lachend, »obgleich Bleichgesichtsaugen und Rothautaugen so verschieden sind wie Fernrohre. Ich wollte mit der Tochter des Sergeants ein Horn voll Pulver gegen einen Wampumgürtel wetten, daß das gesamte Regiment ihres Vaters bei dieser Verschanzung vorbeimarschieren würde, ohne den Betrug je zu merken! Aber wenn Mingos in das Flußbett stiegen, würde ich bangen.«

»Glaubt Ihr nicht, Meister Pfadfinder«, ließ sich nach einer Weile der alte Seebär vernehmen, »daß es das klügste wäre, die Anker zu lichten und mit vollen Segeln den Fluß hinabzufahren, sobald wir wissen, daß die verdammten Kerle uns im Rücken sind?«

Pfadfinder schüttelte den Kopf und bedeutete Cap nur, er müsse leise und vorsichtig sprechen. Die Reisenden bildeten jetzt kleine Gruppen, Pfeilspitze und sein Weib hockten seitlich von den anderen unter dem Gebüsch. Pfadfinder und Cap saßen in dem einen, Jasper und Mabel in dem anderen Kanu.

»Wenn man rauchen könnte, Meister Pfadfinder«, flüsterte der geschwätzige Seefahrer, »dann wäre dieser Ankergrund gar nicht so übel.«

»Der Tabaksgeruch würde uns verraten. Lernt von einer Rothaut, die gern eine Woche ohne Essen bleibt, nur um einen einzigen Skalp zu erjagen. — Hört Ihr nichts, Jasper?«

»Die Schlange kommt.«

»Dann laßt uns, sehen, ob seine Augen besser sind als die Euren.«

Chingachgook kam auf demselben Weg wie Jasper, doch er bewegte sich ganz nahe am Ufer, blickte fortwährend den Fluß zurück und hielt sich sorgfältig in den Büschen verborgen.

»Die Schlange sieht die Mingos«, flüsterte Pfadfinder. »So wahr ich ein Christ bin, sie haben angebissen und sich in den Hinterhalt gelegt.«

Der Mohikaner blieb volle zehn Minuten unbeweglich auf einem Felsen stehen. Dann sah man deutlich, daß ihm etwas Interessantes aufgefallen war, denn er zog sich eiligst zurück und kam schnell und suchend stromabwärts.

»Ruft ihn herein«, flüsterte Jasper ungeduldig, »sonst wird es zu spät. Er eilt wirklich an uns vorbei!«

»Es hat keine Gefahr, Junge, verlaßt Euch darauf!« erwiderte Pfadfinder. »Sonst würde die Schlange anfangen zu kriechen. Der Herr helfe und erleuchte uns! Ich glaube, sogar Chingachgook übersieht uns.«

Dieser Triumph kam zu früh. Denn der Indianer, der wirklich mehrere Fuß weitergegangen war, blieb plötzlich stehen, warf einen durchdringenden Blick auf die verpflanzten Sträucher und kam schnell zurück. Er bog seinen Körper vor, schob die Zweige sorgfältig auseinander und kroch in das Versteck.

»Die verdammten Mingos«, sagte Pfadfinder.

»Irokesen«, antwortete der Indianer kurz.

»Alles eins, alles eins: Irokesen, Teufel, Mingos, Mengwes oder Furien — alle sind so ziemlich von einem Schlag.«

Der Mohikaner gab nun einen kurzen Bericht. Er war der Spur seiner Feinde eine Strecke lang in der Richtung zum Fort gefolgt. Als diese jedoch den Rauch von Jaspers Feuer erblickten, waren sie augenblicklich umgekehrt. An der Stelle, wo sich die Fußstapfen Pfadfinders und Chingachgooks mit der Hauptspur vereinigten, gingen die Irokesen dem Fluß zu, den sie erreichten, als Jasper hinter der Krümmung weiter unten verschwunden war. Da der Rauch nun deutlich zu sehen war, stürzten die Indianer — es waren fünfzehn Mann — wieder in das Gebüsch und dem Feuer zu. Diesen Augenblick benutzte Chingachgook, um in das Wasser hinabzusteigen. Er durfte annehmen, daß man ihn nicht gesehen hatte. Dennoch schritt er erst weiter, bis er die Feinde am Feuer sah; sie blieben aber nur kurz dort. Chingachgook hatte sie in zwei Abteilungen zum Fluß eilen sehen.

Dieser Bericht war nun freilich nicht geeignet, die Zuversicht der Versteckten zu heben.

»Laßt uns die Kanus hinausrudern«, flüsterte Jasper, »die Strömung ist stark, und wenn wir die Ruder kräftig gebrauchen, werden wir bald außer der Reichweite ihrer Kugeln sein.«

»Und diese arme Blume, soll sie im Wald verwelken?« wandte sein Freund in jener farbigen Sprechweise ein, die er unbewußt durch seinen langen Umgang mit den Delawaren angenommen hatte.

»Da müssen erst noch wir sterben«, antwortete der Jüngling; »Mabel und die Frau der Pfeilspitze mögen sich in den Kanus niederlegen, während wir Männer unsere Pflicht erfüllen.«

»Ihr seid rührig mit dem Ruder, Süßwasser. Die Kanus sind zwar schnell, aber eine Büchsenkugel ist schneller.«

»Als Männer müssen wir der Gefahr trotzen.«

»Aber man darf die Klugheit nicht übersehen.«

Mabel, die aufrecht in ihrem Kanu stand, legte jetzt den Finger bedeutungsvoll an die Lippen und deutete durch die Büsche auf den Fluß. Pfadfinder spähte durch den Spalt und flüsterte Jasper zu:

»Die verfluchten Mingos! Nehmt eure Waffen, Freunde, aber bleibt ruhig!«!

Jasper schritt nun schnell und geräuschlos auf das Kanu zu. Er spannte seine Büchse und stellte sich nahe zu Mabel. Auch Pfeilspitze und Chingachgook standen mit gespannten Waffen. Cap zog seine Pistolen aus dem Gürtel und wartete gefaßt auf den Augenblick zum Feuern. Pfadfinder aber beobachtete die Feinde ruhig durch die Büsche hindurch, entschlossen, erst in der äußersten Not Feuer zu geben.

Es war ein atemberaubender Augenblick! Mehrere der Indianer wateten suchend den Fluß stromabwärts. Die Kriegslist mit dem Feuer war also umsonst gewesen.

»Wir müssen uns bereithalten«, flüsterte Pfadfinder; »von den skalpierenden Teufeln sind im Augenblick nur drei da, und wir sind unser fünf, Süßwasser. Ihr übernehmt den einen Kerl da; Chingachgook, dir überlasse ich den Häuptling, und Pfeilspitze muß sein Auge auf den jungen Mann dort richten. Ich werde mich in Reserve halten, um im Notfall bereit zu sein, denn in jedem kritischen Augenblick kann ein vierter erscheinen. Aber feuert unter keinen Umständen, bevor ich das Zeichen gebe. Jasper, wenn Mingos hinter uns auf dem Ufer auftauchen sollten, verlasse ich mich darauf, daß Ihr das Kanu mit Mabel in den Fluß hinausbringt und es dann mit Gottes Hilfe zur Garnison rudert.«

Mittlerweile bewegten sich die Irokesen im Wasser langsam nahe dem Ufer flußabwärts und kamen dem Versteck immer näher. Ein Knarren von Zweigen gab den Verborgenen zudem die furchtbare Gewißheit, daß eine andere Abteilung sich am Ufer entlang bewege, und zwar in gleicher Linie mit denen im Fluß. Der Zufall wollte es, daß die beiden Gruppen gerade in der Höhe des Verstecks der Flüchtlinge haltmachten. Ein kurzer Wortwechsel erfolgte über deren Köpfe hinweg. Nichts schützte die Verborgenen ais Äste und Blätter, und diese konnte ein Windstoß leicht auseinandertreiben.

»Die Spur ist vom Wasser weggewaschen worden«, sagte einer der Verfolger. Dabei war er dem Versteck so nahe, daß er mit dem Lachsspeer, der in Jaspers Kanu lag, hätte getroffen werden können.

»Die Bleichgesichter haben das Ufer in ihren Kanus verlassen«, antwortete der Sprecher auf dem Ufer.

»Das kann nicht sein. Die Büchsen unserer Krieger unten sind sicher.«

Pfadfinder sah Jasper bedeutungsvoll an.

»Laß meine jungen Männer umherblicken, als ob ihre Augen Adleraugen wären«, rief nun der älteste Krieger vom Fluß her. »Wir sind einen ganzen Monat auf dem Kriegspfad und haben nur einen Skalp gewonnen. Ein Mädchen ist unter ihnen, und einige unserer Krieger brauchen Weiber.«

Jasper runzelte die Stirn; sein Gesicht überzog sich mit lebhafter Röte. Mabel konnte die Worte glücklicherweise nicht verstehen. Die Wilden schienen weiterzugehen. Man hörte ihre langsamen und behutsamen Bewegungen, mit denen die Büsche im vorsichtigen Weitergehen zur Seite geschoben wurden. Die Gruppe im Wasser blieb noch zurück und untersuchte das Ufer sorgfältig. Ihre Blicke bohrten sich gleich scharfen Pfeilen in das Gebüsch. Einige Sekunden später gingen sie jedoch den Fluß weiter hinab und wateten an dem künstlichen Strauchwerk vorbei. Pfadfinder lachte leise, triumphierend. Da warf der letzte Krieger einen Blick zurück und stand plötzlich still. Seine unbewegliche Haltung gab den Verborgenen die schreckliche Gewißheit, daß irgend etwas seinen Verdacht erweckt haben müsse.

Doch zum Glück war der Krieger ein junger, unerfahrener Mann. Er fürchtete noch das Gespött und die Verachtung, die einem falschen Alarm folgen würden. Deshalb ging er allein zurück, während die anderen den Fluß hinabwateten. Vorsichtig näherte er sich dem Gebüsch, auf das sich sein Blick, wie durch Zauber gebannt, immer noch heftete. Einige der Blätter an den Büschen waren etwas verwelkt, und das scharfe Auge des Indianers hatte das bemerkt.

Die Abteilungen waren schon etwa sechzig Schritt flußabwärts gegangen, ehe der junge Wilde den Büschen der Versteckten so nahe war, daß er sie mit der Hand berühren konnte. Hinter diesen hatten alle ihre Augen auf das erregte Gesicht des jungen Irokesen gerichtet, der voll widerstreitender Gefühle schien. Schließlich schob er die Zweige zur Seite und machte einen Schritt nach vorn, so daß er die Gesuchten vor sich sah. Doch nur ein leiser Ausruf konnte ihm entfahren, und schon sauste Chingachgooks Tomahawk auf seinen kahlen Schädel nieder. Der Wilde warf die Hände hoch, taumelte zurück, stürzte ins Wasser und trieb mit der Strömung hinweg. Vergeblich versuchte ihn der Delaware zu fassen. Das blutgefärbte Wasser führte die Beute mit sich.

»Wir dürfen jetzt keinen Augenblick verlieren«, rief Jasper und riß das Gebüsch zur Seite. »Kommt zu mir, Meister Cap, und Ihr, Mabel, legt Euch auf den Boden des Bootes und rührt Euch nicht!«

Jasper faßte das erste Boot am Bug und zog es mit Caps Unterstützung schnell aus dem Versteck. Sie wateten nahe am Ufer hin, so daß sie von den Wilden unten nicht gesehen werden konnten, und strebten der weiter oben gelegenen Flußwindung zu, die sie ganz vor den Feinden verbergen würde.

Indessen sprang der Delaware ans Land und eilte in den Wald, da er den Feind beobachten wollte. Pfeilspitze half dem Jäger, das zweite Boot wegzubringen. All dies war das Werk eines Augenblicks. Als jedoch Pfadfinder die Strömung erreicht hatte, die um die Biegung schoß, fühlte er, daß das Boot schwerer zu ziehen war. Er wandte sich um und mußte erkennen, daß der Tuscarora und seine Frau ihn verlassen hatten.

Doch die Situation erlaubte kein Zögern. Da bewies das klagende Geschrei, welches nun die Indianer im unteren Flußbett erhoben, daß der tote Irokese bis zu ihnen getrieben worden war. Jasper hatte inzwischen die Biegung des Flusses umfahren und setzte über den Strom. Der junge Seemann stand hinten im Kanu, während Cap an der Spitze saß. Beide trieben ihr Fahrzeug mit kräftigen Schlägen vorwärts. Pfadfinder sprang nun gleichfalls in sein Kanu und ruderte es in die Strömung hinaus.

»Haltet Euch brav gegen den Strom, Jasper«, schrie er zum anderen Boot hinüber, »steuert zu den gegenüberliegenden Büschen!«

Jasper schwang sein Ruder, zum Zeichen, daß er verstanden habe, während schnell hintereinander abgefeuerte Schüsse über das Wasser gellten. Einige Ruderschläge noch, und das Boot schoß in das bezeichnete Gebüsch. Jasper brachte Mabel rasch ans Land, und alle drei Flüchtlinge waren für den Augenblick in Sicherheit.

Dagegen aber befand sich Pfadfinder jetzt in einer äußerst gefährlichen Lage. Jene Mingos nämlich, die auf dem Land geblieben waren, liefen uferabwärts und vereinigten sich mit denen, die im Wasser standen. Pfadfinders Kanu schwamm ungefähr in der Mitte des hier ziemlich breiten Flusses und lag in Schußweite der Indianer. Der kühne Jäger war sich nun völlig klar darüber, daß er einzig und allein nur dann einigermaßen sicher war, wenn es ihm gelänge, mit seinem Boot ständig in Bewegung zu bleiben. Daher änderte er immerfort und unermüdlich den Kurs seines Kanus. Glücklicherweise konnten die Irokesen ihre Gewehre im Wasser nicht wieder laden, und außerdem machte das Ufergebüsch es ihnen schwer, auf den Flüchtenden zu zielen.

Pfadfinder wurde aber trotz der größten Anstrengung in die Nähe einer Stromschnelle getrieben. Zudem verkündete in diesem kritischen Augenblick ein gräßliches Kriegsgeschrei, daß die Irokesen Zuzug erhielten. Die verzweifelten Bemühungen des in die Enge Getriebenen richteten sich daher darauf, das westliche Ufer doch noch zu erreichen. Dies aber überstieg seine Kräfte. Da kam dem erfahrenen Mann ein Einfall. Er steuerte in den seichtesten Teil des Stromes, griff rasch nach Büchse und Bündel, sprang ins Wasser und begann von Felsen zu Felsen zu waten, wobei er die Richtung nach dem westlichen Ufer nahm.

Das Kanu wurde über die wirbelnden Wellen hinabgerissen und nur einige Schritte von den Irokesen entfernt an das Ufer geschleudert, ohne Schaden zu nehmen.

Die Wilden stießen ein Triumphgeheul aus, und die Kugeln pfiffen inmitten der tosenden Wasser um den Kopf des Jägers. Trotzdem setzte er seinen Weg unverletzt fort. Erschöpft machte er bei einem kleinen Felsen halt, legte sein Pulverhorn auf den Stein und stellte sich hinter diesen, um sich vor den Kugeln zu schützen. Das westliche Ufer war zwar nur etwa fünfzehn Schritt entfernt, der schnelle, dunkle Strom aber, der hier vorbeischoß, zeigte ihm, daß er schwimmen mußte, um hinüberzukommen. Nun trat eine kurze Feuerpause ein. Die Indianer hatten sich um das Kanu versammelt und wollten über den Fluß setzen.

Da hörte Pfadfinder plötzlich vom westlichen Ufer her leise seinen Namen rufen.

»Was wollt Ihr, Jasper?« antwortete er.

»Nicht ein einziger Mingo soll übersetzen, ohne dafür zu büßen. Wäre es nicht besser, Ihr ließet die Büchse auf dem Felsen und kämet zu uns herüber?«

»Ein echter Jäger verläßt nie sein Gewehr, solange er noch Pulver im Horn und eine Kugel in der Tasche hat.«

»Mabel ist in Sicherheit. Wir haben sie in einem hohlen Baum versteckt. Alles hängt nun davon ab, den Fluß zwischen uns und dem Feind zu halten. Wenn Ihr unser Kanu hättet, könntet Ihr dann mit einer trockenen Büchse ans Ufer gelangen?«

»Es wäre nicht klug, wenn Ihr Euch auf dem Wasser einer Gefahr aussetztet.«

»Es geht aber ohne mich. Meister Cap ist hinauf zu dem Kanu gegangen und wird einen Ast in den Fluß werfen, um die Strömung zu beobachten. Seht, da kommt der Ast. Wenn er in Eurer Nähe ist, müßt Ihr den Arm heben. Dann wird das Kanu folgen. Sollte es Euch verfehlen, kann ich es bestimmt an der Stromschnelle auffangen. Aufgepaßt, Meister Pfadfinder!«

Während Jasper noch sprach, trieb der schwimmende Ast auf den Angerufenen zu, der ihn ergriff und in die Höhe hielt. Cap stieß auf das Signal hin das Kanu mit einer Vorsicht und Sachkunde in den Fluß, die dem Seemann Ehre machten. Es schwamm in derselben Richtung wie der Ast und war gleich darauf im Besitz Pfadfinders.

»Nun sollen die Mingos feuern. Dies ist gewiß die letzte Gelegenheit, die sie haben, nach einem Mann ohne Deckung zu schießen«, rief Pfadfinder triumphierend.

»Jetzt stoßt das Kanu quer über die Strömung zum Ufer und werft Euch hinein«, sagte Jasper eilig.

»Glaubt Ihr, das Kanu auffangen zu können?«

»Bestimmt, Ihr müßt dem Boot nur einen kräftigen Stoß geben.«

Pfadfinder stieß mit aller Kraft ab, und das leichte Fahrzeug schoß pfeilschnell über das Wasser. Jasper fing es auf, und dann schüttelten die Freunde einander so herzlich die Hände, als ob sie sich nach langer Trennung wiedersähen.

»Nun, Jasper, werden wir sehen, ob einer der Mingos es wagen wird, vor Wildtöters Augen über den Oswego zu setzen. Da steigen drei von den Schurken wirklich in das Kanu! Sie glauben wohl, wir sind geflohen, sonst würden sie sich nicht so weit vorwagen.«

Zwei der über den Fluß setzenden Irokesen hielten ihre Büchsen im Anschlag und knieten nieder, um für alle Fälle bereit zu sein, während der dritte hinten im Boot stand und das Ruder führte. Dieser hatte sichtlich Erfahrung auf dem Wasser, denn sein langer Ruderschlag trieb das leichte Boot schnell über die glatte Oberfläche des Flusses oberhalb der Stromschnellen.

»Soll ich feuern?« fragte Jasper leise.

»Noch nicht, Knabe. Es sind nur drei, und wenn Meister Cap die Knallbüchsen, die er im Gürtel trägt, zu gebrauchen versteht, können wir sie sogar landen lassen und uns des Bootes wieder bemächtigen.«

In diesem Augenblick hörte man eine Büchse knallen. Gleich darauf sprang der Indianer hinten im Kanu hoch in die Luft und stürzte mit dem Ruder in der Hand ins Wasser. Eine feine Rauchwolke stand über den Gebüschen des östlichen Ufers.

»Das ist das Zischen der Schlange«, sagte Pfadfinder triumphierend. »Nie schlug ein kühneres Herz in der Brust eines Delawaren!«

Das Kanu trieb jetzt führerlos mit der Strömung dahin und geriet in die Stromschnelle. Verwirrt und hilflos blickten die beiden anderen Indianer um sich, doch schon im nächsten Augenblick wirbelte das Boot in den Strudeln. Die Wilden streckten sich auf dem Boden aus, um das Gleichgewicht zu halten. Aber das leichte Fahrzeug stieß an einen Felsen, schlug um und warf die beiden Krieger in den Fluß. Sie verloren ihre Waffen und mußten zum Ufer zurückschwimmen. Das Kanu jedoch blieb an einem Felsen hängen, wo es zunächst unerreichbar war.

Nach einer Weile deutete Pfadfinder auf das andere Ufer. Dort bemerkte Jasper einen Irokesen, der vorsichtig an den Gebüschen entlangschlich. Er pirschte sich allem Anschein nach an das Versteck heran, in dem Chingachgook sich verborgen hielt. Jetzt schien er eine günstige Stelle erreicht zu haben und spannte die Büchse.

»Die Schlange muß dort irgendwo im Versteck liegen«, bemerkte Pfadfinder, der sein Auge nicht von dem Krieger wandte, »und doch muß er auf der Hut sein, weil er einen Mingoteufel so nahe an sich herankommen läßt.«

Plötzlich unterbrach sich der Sprechende. Er hob seine Büchse und feuerte sie in dem Augenblick, wo er die Schußlinie erreicht hatte, ab. Der Irokese auf dem jenseitigen Ufer hatte ebenfalls gerade seine Büchse an die Wange gelegt. Sie entlud sich, aber in die Luft, während der Schütze in das Gebüsch stürzte — augenscheinlich verwundet, wenn nicht gar tot. »Glaubte der törichte Kerl, daß ich dabeistehen würde, wenn mein bester Freund hinterrücks erschossen werden soll?« murmelte Pfadfinder.

Jasper deutete plötzlich auf den Strom, und Pfadfinder fuhr auf. Irgend etwas schwamm oberhalb der Stromschnellen über den Fluß, mühsam gegen die Strömung ankämpfend. Bald erkannten sie, daß es ein Indianer war.

»Er stößt etwas im Schwimmen vor sich her, und sein Kopf gleicht einem schwimmenden Strauch«, sagte Jasper.

Als der Mann sich näherte, brach der Jäger in ein stilles Lachen aus.

»Die Große Schlange, so wahr ich lebe!« rief er erleichtert. »Er hat Zweige auf dem Kopf befestigt, um sich zu verbergen, das Pulverhorn daraufgelegt und die Büchse an das Stück Holz gebunden, das er vor sich her stößt.«

Nach kurzer Zeit erreichte der Schwimmer das Ufer, in unmittelbarer Nähe seiner Freunde.

3

Die vier Männer hielten nun an einer verborgenen Stelle Rat. Die Sonne war bereits untergegangen, und das blasse Tageslicht verlor sich in der Dunkelheit der Nacht.

»In einer Stunde«, begann Pfadfinder, »wird der Wald so dunkel wie die Mitternacht sein. Wenn wir die Garnison je wieder erreichen wollen, so muß es jetzt geschehen. Was sagt Ihr, Meister Cap?«

»Meiner Ansicht nach haben wir nichts anderes zu tun, als in das Kanu zu steigen, sobald es so finster ist, daß uns die Wachen des Feindes nicht sehen können.«

»Das ist schnell gesagt, aber nicht so schnell getan«, erwiderte der Jäger. »Auf dem Fluß sind wir größerer Gefahr ausgesetzt als im Wald. Zudem müßten wir noch über den Oswegofall hinab, und ich bin durchaus aus nicht sicher, ob Jasper ein Boot auch in der Dunkelheit wohlbehalten durch die Stromschnellen bringen kann.«

»Ich bin ganz Meister Caps Meinung«, warf Jasper ein. »Mabel ist zu zart, um in einer Nacht wie der heutigen durch Sümpfe und über Baumwurzeln zu wandern; und was mich betrifft, mein Auge sieht immer schärfer, wenn ich auf dem Wasser bin.«

»Ich weiß wahrhaftig nicht, Jasper, zu welchem Weg ich raten soll.«

»Wenn die Schlange und ich das andere Kanu schwimmend holen können«, antwortete der junge Mann, »dann ist, wie mir scheint, das Wasser der sicherste Weg.«

»Ja, wenn! Und doch! Sobald es ein bißchen dunkler ist, könnte es glücken. — Wollt ihr wirklich versuchen, das Kanu herzuschaffen?«

Jasper nickte nur, und für Chingachgook war es eine Selbstverständlichkeit, mitzutun. Die Schatten des Abends fielen bereits dichter, so daß es unmöglich war, irgend etwas auf dem gegenüberliegenden Ufer zu erkennen. Die Zeit drängte. Jasper und der Delaware stiegen unbekleidet, nur mit Messer und Tomahawk bewaffnet, in den Fluß.

Pfadfinder indes holte Mabel aus dem Versteck und hat sie und Cap, das Ufer entlang bis zu den Stromschnellen hinunterzugehen. Er selbst sprang in das Kanu und fuhr ebendorthin. Als Mabel und ihr Oheim herangekommen waren, holte er sie ins Boot. Hierauf nahm er hinten im Fahrzeug Platz und hielt sich an einem Strauch fest, damit die rasche Strömung sie nicht den Fluß hinabreiße. So warteten sie in äußerster Spannung auf ihre Freunde.

Jasper und Chingachgook, die über den tiefen Teil des Flusses geschwommen waren, fanden Seite an Seite Grund. Sie faßten einander an den Händen und wateten langsam und mit äußerster Vorsicht in der Richtung, in der sie das Kanu vermuteten. Es war keine leichte Sache, nachts im tobenden Wasser zu waten und dabei genaue Orientierung zu behalten. Als sie sich in der Strommitte glaubten, waren beide Ufer nur mehr in schwachen Umrissen zu erkennen. Mehrmals mußten sie ihre Richtung ändern, da sie unerwarteterweise immer wieder ins tiefe Wasser kamen. Beinahe eine Viertelstunde lang wateten sie erfolglos im Wasser umher, und gerade als Chingachgook zum Ufer zurückkehren wollte, um die Richtung von neuem zu suchen, erblickte er unmittelbar vor sich die Gestalt eines Mannes.

»Mingo!« flüsterte er in Jaspers Ohr. »Jetzt will die Schlange ihrem Bruder zeigen, wie man schlau ist.« Mit diesen Worten folgte der Delaware dem Indianer, der in der Dunkelheit verschwunden war.

Plötzlich tauchte dieser wieder vor dem Häuptling auf. Er rief ihn in der Sprache seines Volkes an:

»Das Kanu ist gefunden, aber niemand war da, mir zu helfen. Komm, wir wollen es vom Felsen heben!«

»Gut«, antwortete Chingachgook, der den Dialekt verstand, »geh voran, wir werden folgen.«

Der andere konnte inmitten des Tobens der Stromschnellen zwischen Stimmen und Akzenten nicht unterscheiden. Er zeigte den Weg, und die beiden folgten ihm. Bald hatten alle drei das Kanu erreicht. Der Irokese faßte ein Ende, Chingachgook die Mitte, Jasper das andere Ende.

»Hebt!« rief der Irokese, und mit geringer Anstrengung hoben sie das Boot vom Felsen und ließen es auf das Wasser nieder. Dort hielten sie es fest, damit die heftige Strömung es ihnen nicht entreißen konnte. Dann gab der Irokese die Richtung nach dem östlichen Ufer an. Da aber der Wilde sie so selbstverständlich angesprochen hatte, wußten der Delaware und Jasper mit Sicherheit, daß noch mehr Irokesen im Wasser sein mußten. Sie waren daher auf alles gefaßt.

Langsam watete der Irokese auf das gegenüberliegende Ufer zu, wobei er das Kanu festhielt und seine Feinde mit sich zog. Einmal hatte Chingachgook schon den Tomahawk gegen den Schädel des Irokesen gehoben; er fürchtete jedoch, der Todesschrei des Wilden möchte Aufsehen erregen. Im nächsten Augenblick bedauerte er seine Unentschlossenheit, denn sie befanden sich plötzlich in der Mitte von nicht weniger als vier Mingos, die auch das Kanu suchten.

Die Wilden eilten nun jubelnd ihrem Ufer zu. Sie wollten Ruder holen und drei oder vier Krieger mit Büchsen und Pulverhörnern mitbringen. Auf diese Art erreichten Freund und Feind vereint den Rand des östlichen Kanals, wo der Fluß wieder tiefer wurde. Hier hielten die Mingos einen Augenblick an, um zu beraten, wie das Kanu hinübergeschafft werden sollte. Dieser Aufenthalt verzögerte die Gefahr der Entdeckung für die beiden Freunde. Sie befanden sich jetzt inmitten ihrer Todfeinde und konnten sich kaum bewegen, ohne einen von diesen zu berühren.

»Laßt alle meine jungen Männer bis auf die zwei an den Enden des Bootes hinüberschwimmen und ihre Waffen holen«, rief einer der Irokesen. »Die zwei sollen das Boot hinüberschaffen!«

Die Indianer gehorchten und ließen Jasper und den Irokesen, der das Kanu gefunden hatte, allein, während Chingachgook so tief in den Fluß tauchte, daß alle an ihm vorbeikamen, ohne ihn zu bemerken. Als er wieder auftauchte, folgte er schwimmend dem Boot, das Jasper und der Indianer in das tiefe Wasser geschoben hatten. Sobald sich aber der Delaware und Jasper in der Strömung befanden, zogen sie das Boot vorsichtig und allmählich stromab. Anfänglich glaubte der Irokese, er kämpfe gegen die Gewalt der Strömung. Als aber das Boot gleich darauf in dem Wasser unterhalb der Stromschnellen schwamm, merkte er, daß etwas Ungewöhnliches vor sich gehe. Er blickte sich um und sah, daß seine Gefährten sich bemühten, dem Boot eine andere Richtung zu geben. In diesem Augenblick wußte er, daß er allein unter Feinden sei. Schnell wie der Blitz fuhr er durchs Wasser und faßte Chingachgook an der Kehle. Beide umschlangen sich in tödlichem Kampf.

Jasper trieb das Boot nun mit der Strömung davon. Sein erster Gedanke war, dem Delawaren zu Hilfe zu schwimmen, aber er dachte an die Wichtigkeit des Kanus und eilte so schnell wie möglich an das westliche Ufer. Er erreichte es bald und fand nach kurzem Suchen das andere Boot. Ein paar Worte genügten, um die Wartenden zu verständigen. Alle lauschten nun, ob der Delaware als Sieger zurückkäme.

Nichts aber war zu hören als das anhaltende Gebrüll des Flusses. »Nimm das Ruder, Jasper«, sagte der Pfadfinder endlich ruhig, »und folge mit deinem Kanu. — Es ist nicht ratsam, länger zu bleiben.«

»Aber die Schlange?«

»Die Große Schlange ist unter dem Schutz ihrer Gottheit. Wir können ihr nicht nützen, sondern setzen uns nur großer Gefahr aus.«

»Und wir, wir können dem Häuptling nicht helfen und müssen diese Stelle so schnell wie möglich verlassen, ohne zu wissen, ob er tot ist oder lebt?«

»Jasper hat recht«, sagte Mabel, deren Stimme heiser und beklommen klang, »ich habe keine Furcht, Oheim, und ich will hierbleiben, bis wir wissen, was aus unserem Freund geworden ist.«

»Das ist recht und billig, Pfadfinder«, meinte Cap. »Ein wahrer Seemann verläßt seinen Kameraden nicht.«

»Ach was«, erwiderte der ungeduldige Führer, indem er das Kanu in die Strömung drückte. »Ihr wißt nichts und fürchtet nichts. Wenn ihr euer Leben liebt, so denkt daran, die Garnison zu erreichen, und laßt den Delawaren in den Händen der Vorsehung.«

Beide Kanus schossen jetzt in die brausende Strömung. Die Nacht war nicht mehr so schwarz, da die Wolken sich teilten, aber die überhängenden Wälder machten die Ufer so dunkel, daß jede Entdeckung unmöglich war.

Dennoch schien das Dunkel voll Gefahren, und alle lauschten auf verdächtige Geräusche aus den geheimnisvollen Wäldern.

»Mabel«, flüsterte Jasper, als die beiden Kanus so nahe dahinglitten, daß seine Hand sie zusammenhielt, »fürchtet Euch nicht, wir werden Euch schützen!«

»Ich bin die Tochter eines Soldaten«, antwortete das Mädchen leise, aber selbstbewußt.

Die Kanus trieben nur langsam in die tiefen Schatten des westlichen Ufers, und die Ruder wurden bloß gebraucht, um den Fahrzeugen die gewünschte Richtung zu geben. Die Kraft der Strömung wechselte häufig, zuweilen war das Wasser fast still; an anderen Stellen schoß es ungestüm dahin. Über die Stromschnellen stürmte es mit einer Hast, die für das Auge etwas Beängstigendes hatte. Die größte Ruhe herrschte in den Wäldern, und nur der Wind strich leise durch die Bäume.

Das Wasser flüsterte und schäumte an die Ufer, dann und wann hörte man das Krachen eines Astes. Einmal glaubte Pfadfinder das Heulen eines fernen Wolfes zu hören. Plötzlich aber fuhr er auf, denn er vernahm jenen charakteristischen Laut, den das Abfallen eines dürren Zweiges verursacht und der, wenn ihn sein Ohr nicht täuschte, vom westlichen Ufer herüberkam.

»Ich höre den Fußtritt eines Mannes am Ufer«, flüsterte Pfadfinder Jasper zu. »Wäre es möglich, daß die verwünschten Irokesen mit ihren Waffen und ohne Boot über den Fluß kamen?«

»Es kann der Delaware sein. Er folgt uns sicher das Ufer herab und weiß wohl, wo er sich nach uns umzusehen hat. Ich will näher zum Ufer fahren und sehen, was es ist.«

»Gut, aber gebraucht das Ruder leicht, und wagt Euch in keinem Fall aufs Ungewisse hin ans Land.«

»Ist das aber klug gehandelt?« fragte Mabel sichtlich erschrocken.

Ehe sie jedoch daran zu glauben wagte, daß sich der junge Mann einer so großen Gefahr wirklich allein aussetzte, war das Kanu schon in der Dunkelheit verschwunden. Alle lauschten auf den geringsten Laut vom Ufer her. Doch nur das Anprallen der Wellen an die felsigen Ufer und das Rauschen der Bäume im Nachtwind unterbrach die Stille des Waldes. Nach einiger Zeit hörte man das Krachen dürrer Äste und gedämpfte Stimmen.

»Ich kann mich zwar täuschen«, sagte Pfadfinder, »denn man denkt sich oft, was man wünscht; aber mir schien, es war die Stimme des Delawaren.«

»Dort sehe ich etwas auf dem Wasser«, flüsterte Mabel, die angestrengt in das Dunkel spähte.

»Es ist das Kanu«, erwiderte Pfadfinder, der eine große Sorge loszuwerden schien. »Alles muß gut gehen, sonst hätten wir gewiß von dem Burschen gehört.«

Einige Minuten später glitten beide Kanus wieder nebeneinander dahin. Neben Jasper saß der Delaware.

»Chingachgook«, sagte Pfadfinder leise in der Sprache der Delawaren, »Häuptling der Mohikaner! Mein Herz ist sehr erfreut.«

»Hugh! — die Mingos sind Weiber! Sie verstehen es nicht, der Großen Schlange der Delawaren einen Schlag zu versetzen. Ihre Herzen haben kein Blut, und ihre Gedanken kehren auf dem Pfad zurück, den sie über die Gewässer des Großen Sees gegangen sind.«

»Seid Ihr bei ihnen gewesen, Häuptling? Und was ist aus dem Krieger geworden, der im Fluß war?«

»Er ist zum Fisch geworden und liegt mit den Aalen auf dem Grund. Ich habe die Feinde gezählt und ihre Büchsen berührt!«

»Ich wußte, daß er auf ein Wagnis ausgehen würde«, wandte sich Pfadfinder an seine Freunde. »Er war mitten unter ihnen und bringt uns manches Wissenswerte.«

Der Delaware erzählte leise und ernst, was er entdeckt hatte.

Sobald er in dem furchtbaren Kampf im Wasser gesiegt hatte, schwamm er an das östliche Ufer, stieg dort vorsichtig an Land und stahl sich unter die Irokesen. Einmal wurde er angerufen. Da er sich aber für Pfeilspitze ausgab, kümmerte man sich nicht mehr um ihn. Die Worte, die er auffing, überzeugten ihn, daß die Schar in den Wäldern war, um Mabel und ihren Oheim in ihre Gewalt zu bekommen.

»Wir werden die Strolche wahrscheinlich am Wasserfall wiederfinden«, bemerkte der Pfadfinder schließlich. »Die Entfernung bis zur Garnison ist dann allerdings so gering, daß ich schon daran gedacht habe, mit Mabel an Land zu gehen und sie auf einem Seitenpfad hinter die Palisaden zu bringen, während die Kanus über die Stromschnellen fahren.«

»Das geht nicht, Pfadfinder«, fiel Jasper eifrig ein. »Mabel ist nicht kräftig genug, um in einer so dunklen Nacht durch die Wälder zu wandern. Laßt sie mein Boot besteigen, und ich bringe sie bestimmt wohlbehalten über die Fälle.«

»Niemand zweifelt an Eurem Eifer, alles für die schöne Tochter des Sergeants zu tun. Aber nur die Vorsehung bringt sie in einer so schwarzen Nacht wohlbehalten über die Oswegoriffe.«

»Ist die Nacht am Ufer nicht ebenso schwarz wie auf dem Oswego?«

»Wir wollen die Entscheidung Mabel selbst überlassen.«

»Ich setze in euch beide das größte Vertrauen«, antwortete das Mädchen, »aber ich gestehe, daß ich das Kanu nicht gerne verlasse, solange in den Wäldern Feinde auf uns lauern.«

»Mabel sollte dann aber das Kanu wechseln«, meinte Jasper. »Selbst Pfadfinder wird zugeben, daß auf dem Wasser mein Auge am sichersten ist.«

»Das tue ich mit Freuden. Bringt Euer Kanu dicht heran, damit das Mädchen hinübersteigen kann.«

Mabel stieg in Jaspers Kanu und nahm auf dem Gepäck Platz, während der Delaware zu Pfadfinder hinüberwechselte. Dann trennten sich die Kanus und glitten mit größerer Schnelligkeit in der Strömung dahin. Es war so unwahrscheinlich, daß jemand um diese Zeit über die Fälle fahren sollte, daß Pfadfinder fest davon überzeugt war, die Mingos hätten sich an beiden Seiten des Flusses versammelt, um sie beim Landen zu überfallen.

Das Gebrüll der Stromschnellen kam allmählich näher und näher. Mabel zitterte vor Angst, aber ihr Vertrauen in Jasper war so groß, daß sie die Selbstbeherrschung bewahrte.

»Ist dies die Stelle?« fragte sie leise.

»Sie ist dicht vor uns. Haltet Euch nur ganz fest, Mabel, und fürchtet nichts!«

Im nächsten Augenblick hatte die rasche Strömung das Boot in den Strudel gerissen, und drei bis vier Minuten sah und hörte Mabel rund um sich her nichts als das Prasseln des glänzenden Schaumes und das Gebrüll des Wassers. Zwanzigmal schien es, als würde das Kanu in den wirbelnden Wellen kentern. Aber immer glitt es, von dem kräftigen Arm Jaspers getrieben, über die gefährlichen Tiefen. Nur einmal schien er das leichte Boot nicht mehr beherrschen zu können. Einen Augenblick lang trieb es hilflos dahin, doch eine verzweifelte Anstrengung brachte es schließlich wieder ins Gleichgewicht. Bald darauf schwamm das Kanu unterhalb des Strudels ruhig weiter.

»Es ist gelungen, Mabel«, rief Jasper freudig.

»Gott sei Dank, Jasper! — Aber dort schwimmt etwas auf dem Wasser. Ist es vielleicht das andere Kanu?«

Einige Ruderschläge brachten Jasper an die Seite des dunklen Gegenstandes. Es war das andere Kanu, jedoch leer und umgestürzt. Der junge Mann hatte sich kaum von dieser Tatsache überzeugt, als er sich beeilte, den Schwimmenden beizustehen. Er entdeckte gleich zu seiner großen Freude Meister Cap, der mit der Strömung trieb. Der alte Seemann wollte lieber ertrinken, als zwischen Indianern an Land zu steigen. Er wurde nicht ohne Schwierigkeiten in das Kanu geholt. Das weitere Suchen aber stellte Jasper ein, denn er war überzeugt, daß Pfadfinder und Chingachgook die gefährliche Situation allein meistern würden.

Nun war der Weg nicht mehr lang. Bald vernahm Mabel ein dumpfes Brüllen, das einem fernen Donner glich. Es war die Brandung des nahen Sees. Da glitt auch schon das Kanu in eine Bucht und stieß an das sandige Ufer. Das übrige ging so rasch vor sich, daß das Mädchen kaum wußte, was geschah. Sie kam an Schildwachen vorüber, ein Tor ging auf, und Mabel fand sich beglückt in den Armen des Vaters.

4

Die Ruhe, die der Anstrengung folgt, ist gewöhnlich tief und süß, wenn sie mit dem Gefühl der Sicherheit verbunden ist. So erhob sich auch Mabel am anderen Morgen erst, als die Besatzung schon lange beim Morgenexerzieren war. Sie verließ ihre Blockhütte und trat entzückt, überrascht und dankbar in die frische Luft hinaus.

Das Fort an der Mündung des Oswego war eine der entlegensten Grenzstationen der britischen Besitzungen. Es bestand noch nicht lange und hatte als Besatzung ein Bataillon eines schottischen Regiments. Man nahm aber auch viele Kolonisten auf, und so war Mabels Vater zu der untergeordneten, aber verantwortungsvollen Stelle des Ersten Sergeants gekommen. Das Fort selbst war geeignet, einem Angriff der Indianer zu widerstehen, einer regelrechten Belagerung jedoch vermochte es nicht lange standzuhalten. Man fand hier Bastionen von Erde und Holzblöcken, einen trockenen Graben, Palisaden, einen ausgedehnten Exerzierplatz und eine Kaserne, die ziemlich fest und kugelsicher aus Holz errichtet war. Einige leichte Feldkanonen standen auf dem freien Platz des Forts, von dem man sie an jeden Punkt bringen konnte, wo sie gebraucht wurden. Zwei schwere Geschütze sahen drohend von der Höhe der vorgeschobenen Bastionen herab.

Als Mabel die abgelegene Hütte verließ, wo man ihrem Vater erlaubt hatte, sie unterzubringen, fand sie sich am Fuße einer Bastion. Sie eilte den grasigen Abhang hinauf und sah nun das ganze Panorama dieser einsamen Gegend vor sich. Südlich breitete sich der Wald aus, durch den sie gekommen war. Er war von der Umzäunung des Forts durch ein Glacis getrennt, das eine Fläche von ungefähr hundert Morgen umfaßte. Damit schien jede Spur von Zivilisation aufzuhören. Darüber hinaus gab es nur dichten, unendlichen Wald. Nördlich, östlich und westlich dehnte sich die ungeheuer breite Wasserfläche des Ontario. Der größte Teil seines Ufers war felsig, und in die Höhlungen dort brach zuweilen das rollende Wasser mit einem Laut, der dem Abfeuern einer fernen Kanone glich. Einsam und verlassen lag der See da, und Mabel Dunham gab sich ungehemmt den frommen Gefühlen hin, die diese riesigen Weiten von Wasser und Wald in ihr erweckten.

Plötzlich berührte sie jemand leicht an der Schulter. Als sie sich wandte, erblickte sie Pfadfinder, der sich ruhig auf seine lange Büchse stützte und in seiner stillen Weise lachte.

»Hier habt Ihr unsere Gebiete, Jaspers und meines«, sagte er, indem er auf Land und Wasser deutete. »Der See gehört ihm, und mir gehören die Wälder. Nun, Mabel, Ihr paßt für beide, denn ich sehe, daß die Furcht vor den abscheulichen Mingos Eurem hübschen Aussehen nicht geschadet hat.«

»Der Pfadfinder sagt einem einfachen Mädchen Artigkeiten!«

»Nicht einfach, Mabel — nein, nicht im entferntesten.«

»Dann muß ich mich in acht nehmen und darf auf schmeichelhafte Worte nicht viel geben. Aber, Pfadfinder, ich freue mich unendlich, Euch wiederzusehen. Jasper hegte allerdings keine große Besorgnis um Euch, ich aber fürchtete, es könnte Euch und Eurem Freund auf den furchtbaren Stromschnellen doch ein Unfall zugestoßen sein.«

»Er hatte recht. Wir wateten an das Ufer, da die Strudel an den meisten Stellen seicht genug sind, und stiegen mit unseren Flinten an Land. Als aber die Mingoteufel die Laternen erblickten, die der Sergeant Euch entgegenschickte, wußten wir, daß sie Reißaus nehmen würden. Wir blieben daher nur eine Zeitlang auf den Steinen sitzen, und alle Gefahr war vorüber.«

»Oh, Ihr wißt gar nicht, wie ich mich freue, Euch wiederzusehen!«

»Der Herr segne Euer empfindsames kleines Herz, Mabel! Auch ich war recht froh, als ich die Laternen auf das Wasser zukommen sah, weil ich daraus entnehmen konnte, daß Ihr in Sicherheit seid!«

»Ich danke Euch, Pfadfinder, ich danke Euch für alles, was Ihr für mich getan habt. Und verlaßt Euch darauf, daß mein Vater es erfährt.«

»Der Sergeant kennt die Wälder und weiß auch, was echte Rothäute sind. Es ist darum nicht nötig, ihm etwas zu sagen. Nun, Ihr habt jetzt Euren Vater gesehen. — Wie fandet Ihr ihn?«

»Es ist mein teurer, geliebter Vater, und er hat mich empfangen, wie ein Soldat und ein Vater sein Kind empfangen muß. — Kennt Ihr ihn schon lange, Pfadfinder?«

»Ich war gerade zwölf Jahre alt, als der Sergeant mich zum erstenmal als Späher verwendete. Das ist nun wohl mehr als zwanzig Jahre her. Es war eine harte Zeit damals, und Ihr hättet wahrscheinlich keinen Vater mehr, wüßte ich nicht mit der Büchse umzugehen.«

»Ihr habt also meinem Vater das Leben gerettet, Pfadfinder!« rief Mabel und nahm unbewußt eine seiner harten, sehnigen Hände in ihre beiden. »Gott segne Euch für Eure guten Taten!«

Pfadfinder schüttelte den Kopf und murmelte etwas Unverständliches. Dann wies er ablenkend auf das Flußufer, das zu ihren Füßen lag. Der Oswego mündete zwischen ziemlich hohen Ufern in den See. Auf dem westlichen lag das Fort, und unmittelbar am Wasser standen einige Blockhäuser. Eine kleine Bucht, die tief in das Land einschnitt und so einen natürlichen Hafen für das Fort bildete, konnte man ebenfalls auf der Westseite sehen. Mehrere größere und kleinere Boote und Kanus waren ans Ufer geholt, und im Hafen selbst lag das kleine Fahrzeug, das Jasper geführt hatte. Es hatte die Takelage eines Kutters, mochte wohl vierzig Tonnen Schiffslast tragen und war so gebaut, daß es fast wie ein kleines Kriegsschiff aussah. Tauwerk und Segelstangen, Spieren genannt, waren so sorgfältig und zweckmäßig aufgesetzt, daß es sich wie ein seetüchtiges Boot ausnahm. Dunkel und kriegerisch war sein Anstrich, und der lange Wimpel zeigte, daß es Eigentum des Königs sei. Sein Name war »Wolke«.

»Das ist Jaspers Schiff!« rief Mabel. — »Gibt es viele dieser Art auf dem See?«

»Die Franzosen haben drei. Das eine ist ein wirkliches Schiff, wie man sie auf dem Meer hat, das zweite ist eine Brigg, ein zweimastiges Segelschiff, und das dritte ein Kutter, wie die ›Wolke‹ hier. Sie nennen ihn ›Eichhörnchen‹. Es scheint aber einen angeborenen Haß gegen unser Boot zu haben; Jasper segelt selten, ohne von ihm verfolgt zu werden.«

»Nimmt Jasper vor einem Franzosen Reißaus?«

»Was würde hier Tapferkeit nützen? Jasper ist tüchtig, wie alle wissen, die hier an der Grenze leben; aber er hat kein großes Geschütz an Bord, nur eine kleine Haubitze. Und seine ganze Bemannung besteht außer ihm aus zwei Mann und einem Schiffsjungen.«

»Da kommt mein Oheim, dem das Schwimmen anscheinend nicht geschadet hat«, rief Mabel plötzlich. »Er will wohl diesen Binnensee begutachten.«

Meister Cap erschien würdevoll und räusperte sich laut. Dann rückte er den beiden zu und überblickte bedächtig die Wasserfläche.

»Nun, Oheim«, kam Mabel ihm zuvor, »nirgends ist Land zu sehen. Mir kommt der See genau wie das Meer vor.«

»Dieses Stück Teich«, Cap fuhr mit seiner Pfeife in der Luft herum, »soll wie das Meer aussehen? Nun, Magnet, dies ist barer Unsinn im Munde eines Mädchens, in dessen Familie echte Seeleute leben. Ich bitte dich — was ist hier zu sehen, das nur annähernd dem Meer gliche?«

»Da ist nur Wasser, so weit das Auge reicht«, rief Mabel lachend.

Der alte Cap sah sie mit einem Blick an, in dem die ganze Verachtung für diesen See lag, und wandte sich dann an Pfadfinder.

»Ich bin wirklich im Zweifel, ob diese Wasserpfütze hier auch ein See ist. Mir scheint sie eine Art Fluß zu sein. — Aber was für ein Ding liegt da unten vor Anker?«

»Es ist Jaspers Kutter, Oheim«, sagte Mabel schnell. »Ein sehr schönes Schiff, nicht wahr? Es heißt ›Wolke‹.«

»Nun, gut genug für einen See! Aber es ist nicht viel damit los. Der Bursche hat ein stehendes Bugspriet, und wer hat je einen Kutter mit einem stehenden Bugspriet gesehen?«

»Oheim, könnte das nicht auf einem See gute Gründe haben?«

»Sicher, ich darf nicht vergessen, daß der Ontario nicht der Ozean ist, obgleich er ihm so erstaunlich ähnlich sieht.«

»Also doch, Oheim!« jubelte Mabel.

»In deinen Augen, meine ich natürlich«, verbesserte sich Meister Cap.

»Und Jasper befehligt dieses Boot? Ich muß einen Abstecher, einen Wasserrutsch mit dem Burschen machen, Magnet, ehe ich dich verlasse.«

»Da braucht Ihr nicht lange zu warten«, sagte Pfadfinder, »denn der Sergeant wird sich bald mit einer Truppenabteilung einschiffen, um einen Posten auf den ›Tausend Inseln‹ abzulösen, und er hat die Absicht, Mabel mitzunehmen.«

In diesem Augenblick trat Sergeant Dunham auf die drei zu. Er war hoch und stark gebaut. Sein Gesicht hatte einen ernsten, etwas trotzigen Ausdruck, und sein Wesen schien durch und durch militärisch.

»Guten Morgen, Bruder Cap«, sagte er, »mein Morgendienst hat mich völlig in Anspruch genommen; aber jetzt haben wir ein oder zwei Stunden Zeit für uns, um miteinander bekannt zu werden.«

Mabel warf einen schüchternen Blick auf das strenge Gesicht ihres Vaters. So steif und abgemessen auch sein Wesen war, ihr Herz sehnte sich doch, sich ihm in die Arme zu werfen und sich an seiner Brust auszuweinen. Aber er war in seinem Äußeren so viel kälter, so viel zurückhaltender, als sie ihn sich vorgestellt hatte, daß sie es nicht wagte.

»Wie ich höre, erhaltet Ihr wahrscheinlich bald Befehl, Eure Anker zu lichten, Sergeant, und nach jenem Teil der Erde zu segeln, wo es tausend Inseln geben soll?« fragte jetzt Cap.

»Pfadfinder, ist das ein Versehen von Eurer Seite?«

»Nein — nein, Sergeant, ich habe nichts versehen; ich hielt es aber nicht für nötig, Eure Pläne so streng vor Euren Leuten zu verbergen.«

»Alle militärischen Bewegungen müssen mit Verschwiegenheit behandelt werden«, erwiderte der Sergeant streng, dabei aber klopfte er dem Kundschafter freundlich auf die Schultern. »Doch diesmal tut es nichts. Die Sache wird ohnehin bald bekannt werden. Wir werden demnächst einen Posten am See ablösen. Ich werde die Reise mitmachen und habe die Absicht, Mabel mitzunehmen. Ich hoffe, Bruder, Ihr verschmäht für einen Monat oder länger den Tisch eines Soldaten nicht?«

»Das wird von der Art des Weges abhängen. Ich bin kein Freund von Wäldern und Sümpfen.«

»Wir werden mit der ›Wolke‹ segeln.«

»Wenn Ihr jemanden habt, der dieses Stückchen Kutter handhaben kann, so will ich mich entschließen, die Reise mitzumachen, obgleich mir die ganze Sache hier auf dem Teich wie weggeworfene Zeit vorkommt.«

»Jasper wird die ›Wolke‹ führen, Bruder Cap. Ihr könnt in die Ansiedlungen nicht eher zurückkehren, bevor nicht Truppen dorthin geschickt werden. Und dies geschieht wahrscheinlich erst dann, bis ich zurückkomme. Nun ist es aber Zeit zum Frühstück, Bruder Cap, und ich will Euch zeigen, wie wir armen Soldaten hier an der entlegenen Grenze leben.«

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Nach dem Frühstück, das aus einem köstlichen Salm sowie mehreren kalten Fleischgerichten bestand, bat Mabel ihren Oheim, mit ihr ein wenig durch das Fort zu gehen. Sergeant Dunham und Pfadfinder blieben allein.

»Nun, mein Freund«, sagte der alte Soldat, »wie gefällt Euch das Mädchen?«

»Ihr könnt stolz sein, Sergeant.«

»Die gute Meinung ist gegenseitig. Sie erzählte mir gestern nacht von Eurer Kühnheit, Eurem Mut, besonders aber Eurer Güte, denn diese gilt bei Frauen mehr als alles andere. Ihr werdet bald des Mädchens Herz und Hand haben.«

»Nein, nein, Sergeant, ich habe nichts von dem vergessen, was Ihr mir gesagt habt. Und ich will versuchen, Mabel so angenehm zu erscheinen, wie sie mir geworden ist. — Aber, Sergeant, ich fürchte sehr, es wird nicht gehen.«

»Warum seid Ihr so mutlos, da ich doch glaubte, daß wir beide schon im reinen sind?«

»Wir sind übereingekommen, daß ich, wenn sich Mabel so bewährt, wie Ihr sie mir geschildert habt, und sie einen rauhen Jäger und Wegweiser gernhaben kann — daß ich dann von meinen Wanderzügen etwas ablassen und den Versuch machen solle, meine Zeit für Weib und Kind zu verwenden. Aber seit ich das Mädchen gesehen habe, sind mir, ich muß es gestehen, manche Bedenken aufgestiegen.«

»Was soll das?« fiel der Sergeant polternd ein. »Habe ich Euch etwa nicht recht verstanden, als Ihr sagten sie gefalle Euch?«

»Ach, Sergeant, nicht Mabel ist’s, der ich mißtraue. Ich aber bin nur ein armer, unwissender Waldmann, und vielleicht doch in Wirklichkeit nicht so gut, wie Ihr von mir denken möget.«

»Sollte ich etwa nicht der Mann sein, eines Mannes Charakter zu beurteilen? Zunächst einmal habt Ihr Erfahrung, und da diese allen Mädchen abgeht, wird kein kluges Frauenzimmer diese Eigenschaft übersehen. Dann aber seid Ihr kräftiger und sehniger als selbst Jasper oder einer von diesen Burschen da; und es wird noch in dreißig Jahren mehr an Euch sein als an ihnen allen zusammengenommen.«

»Das mag sein, das mag alles sein; aber ich bin, wie ich fürchte, zu rauh, zu wild, um für die Phantasie eines so jungen und feinen Mädchens zu passen, für die das Leben in unsern Wäldern ungewohnt ist.«

»Das sind wieder neue Zweifel von Euch, Freund, und ich wundere mich, daß Ihr sie vorher nicht hattet.«

»Weil ich vielleicht nie meine eigene Wertlosigkeit so erkannte, ehe ich Mabel sah. Ich bin wohl mit einigen Schönen gewandert und habe sie durch die Wälder geführt; ich erblickte jedoch nie etwas anderes in ihnen als ihre Wehrlosigkeit, die zu beschützen und zu verteidigen ich mich verpflichtet hatte. Mabel jedoch steht mir so nahe, daß es mich fast erdrückt, uns so ungleich finden zu müssen. Ich möchte jünger sein, um einem so hübschen Mädchen zu gefallen.«

»Ich sehe schon, die Hälfte der Werbung wird wohl mir zur Last fallen. Für einen Mann, der bei einem Gefecht stets in Dampf und Rauch ist, seid Ihr der schwachherzigste Bewerber, den ich je gesehen habe, Faßt Mut, mein Freund, und verlaßt Euch auf einen Vater, der die Weiberart kennt. Mabel liebt Euch bereits halb, und so eine Bekanntschaft von vierzehn Tagen auf den Inseln wird die andere Hälfte ganz machen.«

Mit diesen Worten erhob er sich, klopfte dem Jäger auf die Schulter und verließ ihn, um seinem Dienst nachzugehen.

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Die Woche bis zur Abfahrt der »Wolke« nach den »Tausend Inseln« verging in dem gewöhnlichen Geleise des Garnisonslebens. Mabel gewöhnte sich bald an ihre neue Lage. Sie fühlte freudig, daß man sie achtete, und schrieb dies auf die Rechnung ihres Vaters, obgleich es eher ihrem bescheidenen Benehmen zuzuschreiben war. Die neutrale Stellung des Sergeants Dunham, der nicht Offizier und doch mehr als gemeiner Soldat war, hielt sie zwar von dem Offiziersleben fern; doch gab es auch unter denen, die Anspruch auf einen Platz am Tisch des Kommandanten hatten, wenige, die sie nicht umwarben.

Einer dieser zahlreichen Verehrer allerdings war Mabel ausgesprochen unsympathisch. Es war dies Quartiermeister Muir, ein Mann in mittleren Jahren und überdies bereits dreifacher Witwer.

An dem Tag, an dem die »Wolke« das Fort verlassen sollte und mit ihr die zur Ablösung auf den »Tausend Inseln« auserwählten Soldaten, wurde zu deren Ehren ein Wettschießen veranstaltet. Das Wetter war so schön, wie es sich die jungen Leute der Garnison nur wünschen konnten. Die ganze Besatzung von Oswego versammelte sich, um an dem »friedlichen Waffengang« teilzunehmen.

Der zum Preisschießen erwählte Platz war eine Art Glacis, etwas westlich vom Fort am Seeufer gelegen. Er diente sonst zum Exerzieren. Obwohl die regulären Waffen des Regiments Flinten waren, fanden sich doch bei dieser Gelegenheit ungefähr fünfzig Büchsen zusammen. Jeder Offizier hatte eine solche, da fast alle die Jagd liebten. Andere wieder gehörten den Kundschaftern und befreundeten Indianern, die stets in größerer oder kleinerer Anzahl um das Fort lungerten. Unter den Büchsenbesitzern gab es wiederum fünf oder sechs berühmte Schützen. Geschossen wurde aus einer Entfernung von hundert Ellen, wobei die Waffe ohne Stütze gebraucht werden mußte. Die weiße, mit Kreisen versehene Schießscheibe hatte in der Mitte ein sogenanntes Ochsenauge.

Das Spiel begann mit gegenseitigen Herausforderungen. Als es schon begonnen hatte, erschien Major Duncan, der Kommandant von Oswego, in Begleitung der meisten Herren und Damen des Forts auf dem Platz. Unter den Frauen der Unteroffiziere befand sich auch die schöne Mabel Dunham.

Man hatte zum Empfang der weiblichen Gäste Vorbereitungen getroffen. In unmittelbarer Nähe des Seeufers war ein niedriges Bohlengerüst aufgeschlagen, nicht weit davon hingen die Preise an einem Pfosten. Diese bestanden aus einem seidenen Damenschal, einem silberbeschlagenen Pulverhorn und einer Ledertasche. Die erste Reihe der Tribüne nahmen die Offiziersdamen ein, während die anderen Sitze für Mabel und die Unteroffiziersfrauen bestimmt waren. Hinter diesen standen und saßen die Frauen und Töchter der einfachen Soldaten.

Acht bis zehn Schützen der Garnison, die den Ruf der Meisterschaft genossen, bezogen jetzt ihre Plätze und begannen der Reihe nach zu schießen. Offiziere und Gemeine mußten ohne Unterschied teilnehmen, und die zufälligen Besucher des Forts waren keineswegs von der Bewerbung um die Preise ausgeschlossen. Nach den Vorschriften des Tages durfte niemand am zweiten Schießen teilnehmen, der beim ersten danebengeschossen hatte.

Als jetzt der Adjutant des Platzes, der die Stelle eines Festordners versah, die glücklichen Schützen bei ihren Namen aufrief, damit sie sich zum nächsten Schießen fertigmachten, erschienen Major Lundie, der Quartiermeister Muir und Jasper auf dem Standplatz. Pfadfinder dagegen ging noch behaglich und ohne seine geliebte Büchse umher. Er wollte allem Anschein nach an dem Schießen nicht teilnehmen. Alle machten jetzt Major Duncan Platz, der die Büchse sorglos hob und feuerte. Die Kugel verfehlte das Ziel um mehrere Zoll.

»Major Duncan ist von den weiteren Versuchen ausgeschlossen«, rief der Adjutant; man wußte freilich, daß der Fehlschuß beabsichtigt war.

»Jetzt kommt die Reihe an Euch, Meister Süßwasser«, rief Muir. Jaspers schönes Gesicht glühte. Er trat vor, warf einen raschen Blick auf Mabel, ließ, wie es schien, den Lauf der Büchse ziemlich sorglos in die linke Hand fallen, ziehe einen Augenblick und schoß. Die Kugel fuhr gerade durch die Mitte des Ochsenauges — es war bei weitem der beste Schuß dieses Morgens.

»Gut gemacht, Meister Jasper«, lobte Mair, »in der Tat ein guter Schuß, aber Eure Handhabung der Waffe ist nicht abgeklärt genug, nicht wissenschaftlich.«

Nun kam Leutnant Muir selber an die Reihe. Seine Haltung war nicht ohne einstudierte Eleganz; langsam hob er die Büchse, senkte sie feierlich, hob sie von neuem, und endlich feuerte er.

»Die Scheibe verfehlt!« rief der Mann, der sie zu bedienen hatte.

»Das kann nicht sein!« schrie Muir. Sein Gesicht glühte vor Ärger.

»Ich berufe mich eines gerechten Urteils wegen auf die verehrte Damenwelt.«

»Die Damen schlossen ihre Augen, als Ihr Feuer gabt«, rief lachend ein junger Offizier; »sie hatten Angst vor Euren Vorbereitungen.«

»Eine Verleumdung der Damen, an die ich nie glauben — —«

»Es ist schon so, Muir, es war eine Niete, Ihr müßt das Pech ertragen«, unterbrach Major Lundie, prustend vor Lachen, den aufgeregten Quartiermeister.

»Nein, nein, Major«, bemerkte endlich Pfadfinder, »der Quartiermeister ist ein guter Schütze für einen Mann, der so langsam und auf eine so kurze Entfernung schießt. Er hat Jaspers Kugel gedeckt, wie man sehen wird, wenn man die Scheibe untersucht.«

Die Achtung vor des Pfadfinders Geschicklichkeit und der Schärfe und Sicherheit seines Auges war so groß, daß mehrere sofort an die Scheibe eilten. Tatsächlich fand man, daß die Kugel des Quartiermeisters durch die Öffnung geflogen war, die Jaspers Kugel gemacht hatte. Man fand auch in dem Baumstumpf, an dem die Scheibe hing, eine Kugel auf der anderen sitzen. Inzwischen war Pfadfinder an den Stand getreten.

»Ich protestiere, Major Duncan, ich protestiere«, rief da plötzlich Muir, »ich protestiere aus allen Kräften, daß Pfadfinder zu diesem Schießen zugelassen wird. Wenn er ›Wildtöter‹ hat, eine Büchse, gegen die keine vom Regiment aufkommen kann, ist der Kampf unfair.«

»Wildtöter ruht, Quartiermeister«, versetzte Pfadfinder gelassen, »und es fällt niemandem ein, seine Ruhe zu stören. Auch dachte ich nicht daran, heute einen Schuß zu tun, aber Sergeant Dunham meinte, ich würde seiner schönen Tochter nicht die gebührende Ehre antun, wenn ich zurückbliebe. Ich habe daher die Büchse Jaspers genommen, wie Ihr seht, und sie ist nicht besser als Eure eigene.«

Leutnant Muir mußte sich zufriedengeben, und jedes Auge war auf Pfadfinder gerichtet. Doch ein Gedanke war kaum schneller als sein Schuß.

»Wenn man es glauben könnte«, rief Major Duncan, »so würde ich sagen, Pfadfinder habe gleich mir die Scheibe verfehlt.«

»Nein, nein, Major«, sagte der Kundschafter zuversichtlich. »Ich habe die Büchse nicht geladen und weiß daher nicht, was darinnen war; ist es aber Blei gewesen, so werdet Ihr die Kugel auf die von Jasper und Muir getrieben finden.«

Ein Ruf von der Scheibe her bestätigte seine Worte.

»Wir kommen jetzt zum Nagelschuß und werden sehen, wer das Eisen tiefer in das Holz treibt«, rief der Quartiermeister entschlossen. »Mabel Dunham soll zwischen uns entscheiden.«

»Ihr sollt Euren Willen haben«, versetzte Pfadfinder. »Laßt die Tochter des Sergeants Schiedsrichterstelle vertreten und uns den Preis ihr widmen.«

Die Schützen wurden vorgerufen, und nach wenigen Minuten begann die zweite Geschicklichkeitsprobe. Ein gewöhnlicher Nagel mit weißgefärbtem Kopf wurde leicht in die Scheibe getrieben. Der Schütze mußte ihn treffen oder er schied aus. Im ganzen kamen nur sechs Bewerber in Betracht. Als vierter trat der Quartiermeister vor und zeigte sich in seinen affektierten Posen. Der Schuß gelang ihm auch insofern, als er einen kleinen Teil des Nagelkopfes traf und seine Kugel neben der Spitze einschlug.

»Sie haben Ihre Haut gerettet, Quartiermeister«, rief Pfadfinder lachend. »Jasper wird Ihnen zeigen, wie man einen Nagel treffen muß.«

Während der Jäger noch sprach, hatte Jaspers Kugel den Kopf des Nagels bereits einen Zoll tief in die Scheibe getrieben.

»Geht beiseite!« rief Pfadfinder, der schnell in die Fußstapfen seines Freundes trat. »Laßt es bewenden bei dem alten Nagel. Ich kann ihn sehen, auch wenn die Farbe weggeschlagen ist.«

Schon krachte die Flinte, und der Nagel war von einem Stück plattgedrückten Bleis bedeckt.

»Jetzt muß eine neue Kunstprobe an die Reihe kommen«, rief Lundie den Schützen zu, »und zwar die mit der Kartoffel!«

Bei der folgenden Schießprobe wurde eine Kartoffel in die Luft geschnellt, und der Schütze mußte sie treffen, bevor sie den Boden erreichte. Als erster schoß der Quartiermeister, aber die Kartoffel kam unberührt wieder herunter.

»Rechtsum kehrt, Quartiermeister!« rief Lundie lachend. »Die Ehre des ersten Preises wird heute zwischen Jasper und Pfadfinder ausgetragen!«

»Das ist für mich ein entsetzlicher Augenblick, Pfadfinder«, bemerkte Jasper, und die Gewalt seiner Gefühle trieb alle Farbe aus seinem Gesicht, als er sich zum Stand hinbewegte.

Der Jäger blickte ernst auf den jungen Mann; dann bat er den Major, einen Augenblick Geduld zu haben, und führte seinen Freund etwas beiseite, so daß die anderen sie nicht hören konnten.

»Ihr scheint Euch diese Sache zu Herzen zu nehmen, Jasper?« bemerkte er, indem er dem Jüngling mit festem Blick ins Auge sah.

»Ich muß zugeben, Pfadfinder, daß sich meine Gefühle noch niemals vorher so an den Erfolg geknüpft haben.«

»Ihr wollt mich also unbedingt ausstechen, einen alten, geprüften Freund? — und das auf meinem eigenen Gebiet? Schießen ist meine Begabung, Junge, und keine gewöhnliche Hand kann sich mit der meinen messen.«

»Ich weiß es, ich weiß es, Pfadfinder, aber doch —«

»Aber was, Jasper? Sprecht frei, Ihr sprecht mit einem Freund.«

Der junge Mann biß sich in die Lippen, fuhr mit der Hand über das Auge und errötete. Dann aber drückte er des andern Hand und sagte ruhig und mit einer Männlichkeit, die alle anderen Gefühle überwältigte:

»Ich wollte einen Arm drum geben, Pfadfinder, wenn ich diesen Kopfputz Mabel Dunham anbieten könnte.«

Da ließ der Jäger seine Blicke zur Erde sinken; als er nachher langsam zum Stand zurückging, schien er das eben Gehörte sehr zu erwägen.

Die Kartoffel wurde zum zweitenmal emporgeworfen. Jasper feuerte, und die Kugel traf die Mitte des fliegenden Zieles. Der junge Mann erglühte vor Freude über den Erfolg. Pfadfinder betrachtete ihn aufmerksam und bemerkte, daß er strahlend zu Mabel hinübersah. Dann erst trat er zum eigenen Schuß an.

Nun wurde die Kartoffel zum letztenmal geworfen. Pfadfinders Büchse knallte; man sah, wie die Kartoffel einen Augenblick oben zu schweben schien, und hörte dann den Ruf:

»Die Schale, nur die Schale!«

»Der erste Preis gehört Jasper Western«, sagte Pfadfinder ruhig, schüttelte den Kopf und trat zurück.

Freudig nahm der junge Seemann den seidenen Damenschal in Empfang und trat auf Mabel zu.

»Mabel«, sagte er bescheiden, »dieser Preis ist Euer.«

»Ich nehme ihn an, Jasper«, entgegnete das Mädchen mit leuchtenden Augen und purpurnen Wangen. »Er soll eine Erinnerung an die Gefahren sein, die ich mit Eurer Hilfe überstanden habe.«

5

Wenige Stunden nach diesem »friedlichen Waffengang« begaben sich alle, die zum Abtransport nach den »Tausend Inseln« bestimmt waren, an Bord der »Wolke«. Die Truppe bestand aus zehn Gemeinen und zwei Unteroffizieren; es wurde aber bald bekannt, daß auch Leutnant Muir als Freiwilliger an der Expedition teilnehmen werde. Zu diesen kamen noch der Pfadfinder und Cap nebst Jasper und seinen Matrosen sowie Sergeant Dunham als Führer der Expedition und zwei Frauen: Mabel und die Frau eines Soldaten.

Sergeant Dunham setzte sein Kommando in einem großen Boot zur »Wolke« über und kam dann zurück, um die letzten Befehle entgegenzunehmen und für Schwager und Tochter zu sorgen. Nachdem er Cap und Mabel das Boot gezeigt hatte, das sie an Bord des Kutters bringen sollte, meldete er sich zum letztenmal bei Lundie.

Es war beinahe dunkel, als Mabel zum Kutter hinüberfuhr. Kein Windhauch regte sich, und spiegelglatt war der See. Jasper hielt sich bereit, die Passagiere zu empfangen. Vier Räume hatte das kleine Schiff. Der vornehmste von ihnen war die sogenannte Hinterkajüte — ein kleines Gemach mit vier Liegestätten, das durch kleine Luken Luft und Licht erhielt. Dieser Raum war stets für Frauen bestimmt, und da Mabel und ihre Begleiterin die einzigen weiblichen Wesen waren, hatten sie Platz genug. Die große Kajüte war geräumig. Dort gab es die Schlafstätten für den Quartiermeister, den Sergeant, Cap und Jasper; der Pfadfinder wanderte von einem Teil des Schiffes in den anderen.

Die Unteroffiziere und Mannschaften hatten ihren Platz unter der großen Luke, während die Matrosen in einem Aufbau auf dem Vordeck schliefen.

Sobald Mabel von ihrer behaglichen und hübschen Kajüte Besitz genommen hatte, ging sie an Deck. Die Sterne des Himmels tanzten wie Lichter auf dem dunklen Spiegel des Wassers. Das Mädchen setzte sich auf die Bordwand und erfreute sich am abendlichen Frieden. Da gesellte sich Pfadfinder zu ihr. Mabel glaubte zu erkennen, daß er ernster als gewöhnlich war.

»Wird die ›Wolke‹ bei uns bleiben, wenn wir die Inseln erreicht haben?« fragte nach einer Weile tiefen Schweigens das Mädchen.

»Wie es kommt; Jasper läßt den Kutter nicht gerne untätig liegen. Unter seiner Führung wird aber alles glatt gehen, denn er findet auf dem Ontario eine Spur so gut wie ein Delaware auf dem Land.«

»Und unser Delaware, die Große Schlange — warum ist er heute nacht nicht bei uns, Pfadfinder?«

»Der Häuptling ist an seinem Platz, während ich nicht auf meinem bin. Er ist ausgezogen, um die Seeufer auszukundschaften; unten bei den Inseln wird er wieder zu uns stoßen.«

»Werden wir den Feind zu Gesicht bekommen?« fragte Mabel und fühlte dabei, obwohl sie lächelnd sprach, zum erstenmal eine leichte Furcht vor den Gefahren dieser Fahrt. »Und werden wir wohl in einen Kampf verwickelt werden?«

»Wenn es dazu käme, würden wir Euch schützen.«

»Ich fühle mich hier draußen in den Wäldern mutiger, Pfadfinder, als ich es je in der Weichlichkeit der Städte war.«

»Das erwartete ich von Euch«, entgegnete Pfadfinder, »Euer Vater sagte mir mehr als einmal: ›Ihr werdet Mabel wie ihre Mutter finden. Sie wird ihren Gatten ermutigen und aufrichten, wenn er bei Gefahren der Sorge erliegen will.‹«

»Und warum sollte mein Vater Euch das gesagt haben, Pfadfinder?« fragte das Mädchen mit merklichem Ernst.

Der Angeredete kannte keine Täuschung außer seinen Feinden im Feld gegenüber; sie stand nicht im Einklang mit seinem Wesen, und daher war es keineswegs befremdend, daß er bei dieser einfachen Frage nicht in die geringste Verlegenheit kam.

»Ihr müßt wissen, Mabel«, erwiderte er nach einer kleinen Weile, »daß der Sergeant und ich alte Freunde sind und wir in manchem harten Gefecht Seite an Seite gestanden sind. Nachts sitzen wir dann an unseren Feuern und plaudern von Gegenständen, die wir lieben, wie ihr jungen Mädchen euch über eure Träumereien unterhaltet und miteinander über eure Einfälle lacht. Nun, da war’s natürlich, daß der Sergeant, der eine Tochter wie Euch hat, von Euch recht oft sprach, häufiger als von irgend etwas anderem. Da ich nun aber weder Tochter noch Schwester noch Mutter noch sonstige Verwandte und Bekannte mit Ausnahme der Delawaren habe, so stimmte ich natürlich mit ein, und ich gewann Euch lieb, Mabel, ehe ich Euch noch gesehen hatte — ja, das tat ich, Mabel, und dies einfach deshalb, weil von Euch so oft die Rede war.«

»Und nun, da Ihr mich gesehen habt«, entgegnete lächelnd das Mädchen, wobei ihre unverändert natürliche Haltung bewies, wie wenig es an etwas anderes als an elterliche oder brüderliche Zuneigung dachte, »nun fangt Ihr also an, die Torheit einzusehen, Freundschaft mit Leuten zu schließen, die man nur vom Hörensagen kennt.«

»Es ist nicht Freundschaft — nicht Freundschaft, Mabel, was ich für Euch fühle. Ich bin der Freund der Delawaren und bin’s von meinen Knabenjahren an gewesen; aber meine Gefühle für jene sind nicht die gleichen wie meine Empfindungen Euch gegenüber. Bisweilen fürchte ich freilich, es sei nicht gut für einen Mann, der einem wahrhaft männlichen Beruf folgt — sei er nun ein Wegweiser, ein Kundschafter oder ein Soldat —, Freundschaft mit Frauen zu schließen, da ich glaube, sie schwächten den Unternehmungsgeist.«

»Ihr meint doch sicherlich nicht, Pfadfinder, daß eine Freundschaft mit einem Mädchen, wie ich es bin, Euch weniger kühn machen würde, weniger geneigt, gegen die Franzosen zu kämpfen?«

»Nein, nicht so! Drohte Euch Gefahr, würde ich geradezu fürchten, zu tollkühn zu werden. Früher aber dachte ich gerne an meine Züge als Kundschafter, an meine Gefechte und andere Abenteuer. Jetzt denke ich mehr an traute Hütten, an Abende, die man im Gespräch hinbringen kann, an Gefühle, die nichts mit Hader und Blutvergießen zu tun haben, an junge Frauen, an ihr Lachen und ihre heiteren, sanften Stimmen. Bisweilen sage ich dem Sergeant sogar, daß er und seine Tochter noch einen der besten und erfahrensten Kundschafter dieser Wälder hier verderben würden.«

»Nicht doch, Pfadfinder! Ihr kennt uns nicht, wenn Ihr glaubt, daß einer von uns wünschte, Euch nur im mindesten verändert zu sehen. Bleibt, was Ihr seid, bleibt derselbe ehrliche, gewissenhafte und furchtlose Wegweiser.«

Es war zu dunkel, als daß Mabel die Bewegungen im Gesicht ihres Zuhörers hätte bemerken können. Sie hatte ihre Worte mit ehrlicher Begeisterung gesprochen, wodurch aber gerade mit aller Deutlichkeit offenbar wurde, wie wenig ihre Gedanken in Verwirrung gebracht waren. Der Pfadfinder entfernte sich daraufhin bald von ihr und blickte lange Zeit in tiefem Schweigen zu den Sternen empor.

Zu ebenderselben Stunde fand auf der Bastion eine wichtige Ausprache zwischen Lundie und dem Sergeant Dunham statt.

»Sind die Tornister der Leute untersucht worden?« fragte Major Duncan, nachdem er den Bericht des Sergeants gehört hatte.

»Alles in Ordnung, Euer Gnaden.«

»Ihr habt unsere besten Leute, Sergeant Dunham. Wir versuchen es jetzt, wie Ihr wißt, mit einer dritten Expedition. Die früheren führten nie zum Ziel. Aber dieser Versuch muß der letzte sein. Von Euch und Pfadfinder allein hängt der Erfolg ab.«

»Ihr dürft auf uns beide zählen, Major Duncan.«

»Noch etwas sehr Ernstes, Sergeant. — Ihr setzt in Jasper Western keine Zweifel?«

»Zweifel, Major Duncan? Wie meint Ihr das? Der Junge ist ein erprobter Seemann und leistet, was man nur von ihm verlangen kann.«

»Schon, schon. Ich erhielt jedoch gestern eine anonyme Mitteilung, die mich auffordert, vor Jasper auf der Hut zu sein. Er soll, wie man mir meldet, vom Feind bestochen sein. Genaueres werde ich dieser Tage erfahren.«

»Briefe ohne Unterschrift, Herr, sind kaum der Beachtung wert.«

»Im Frieden, Dunham, nur im Frieden. Aber im Krieg ist die Sache anders. Man hat mir zum Beispiel angegeben, die Irokesen hätten Eure Tochter und ihre Begleitung auf der Reise nur darum entwischen lassen, damit mein Vertrauen in ihn um so größer werde. Wie dem auch sei, Sergeant, ich erwarte von Euch, daß Ihr Jasper die Führung der ›Wolke‹ sofort entzieht, wenn er sich auch nur im geringsten verdächtig macht. Ihr wißt, des Königs Ehre und der Erfolg dieser Expedition sind zu kostbar, als daß wir sie durch irgendwelche ungerechtfertigte Vertrauensseligkeiten gefährden dürften.«

»Ich habe Euren Befehl verstanden, Major, und werde ihn befolgen; ich gestehe aber, daß ich der Verdächtigung keinen Glauben schenken kann.«

Der Sergeant nahm die dargebotene Hand seines Vorgesetzten und verließ ihn. Er begab sich zum Hafen und setzte zum Kutter über. Nachdem er sich vergewissert hatte, daß seine Tochter und ihre Begleiterin auf der Schanze seien, führte er den Pfadfinder in die Hinterkajüte, schloß die Tür und überzeugte sich, daß man sie nicht belauschen konnte. »Major Duncan hat eine Nachricht erhalten«, begann er, »die ihn glauben läßt, Jasper sei ein Verräter und stehe im Seid des Feindes.«

»Wie?!«

»Ich sage, der Major argwöhnt, Jasper sei ein französischer Spion — oder was schlimmer ist, er sei erkauft, uns zu verraten.«

Pfadfinder schüttelte den Kopf. »Ich kenne Jasper Western von Kindheit an und setze ebensoviel Vertrauen in seine Ehrlichkeit wie in meine eigene. Ich werde nichts Böses von Jasper glauben, bis sich meine Augen überzeugt haben. Schickt nach Eurem Schwager, Sergeant. Wir wollen seine Ansicht hören; denn mit Mißtrauen gegen seinen Freund im Herzen schlafen zu müssen, das ist gerade so, als schliefe man mit Blei darin.«

Der Sergeant wußte zwar nicht, was sein Schwager bei dieser Angelegenheit sollte, willigte aber ein und ließ Cap rufen.

Pfadfinder berichtete dem Seemann kurz. Meister Cap fühlte sich durch das Vertrauen geehrt und setzte allen seinen Ehrgeiz darein, den fürchterlichen Verdacht durch den Hinweis auf eigene Beobachtungen zu bestätigen und sogar noch zu verstärken. Der Sergeant war schließlich voll Zweifel und beschloß, Major Duncans Befehl genauestens zu befolgen. Nur Pfadfinder allein glaubte an Jaspers Unschuld.

Als die drei Männer ihre Kajüte verließen, glitt die »Wolke« schon mit einer Geschwindigkeit von fünf Meilen in der Stunde auf den See hinaus. Die Soldaten hatten ihr Lager aufgesucht, und nur Jasper, der Quartiermeister und Mabel sowie die drei Männer, die soeben beratschlagt hatten, befanden sich derzeit an Deck.

»Ihr habt doch nicht Lust, Jasper, Bursche, Euch unseren Nachbarn, den Franzosen, zu sehr zu nähern?« bemerkte Muir.

»Ich suche das Ufer des Windes wegen, Mister Muir. Der Landwind ist in Ufernähe stets am frischesten.«

»Führt das Schiff ein Luvsteuer, Jasper?« warf Cap ein.

»Die ›Wolke‹ bewegt sich leicht nach dem Steuer, Meister Cap, sie geht aber so gut wie ein anderes Schiff gern in den Wind. Ich hoffe, dieser Landwind wird sich bis zu den ersten Inseln hin halten, und dann wird die Gefahr, von einem der kleinen Boote von Frontenac gesehen und verfolgt zu werden, nicht mehr so groß sein.«

»Glaubt Ihr, Jasper, die Franzosen hätten Spione hier auf der Höhe des Sees?« fragte Pfadfinder.

»Wir wissen, daß das der Fall ist. Einer war in der Nacht zum letzten Montag vor Oswego. Ein Kanu näherte sich der östlichen Spitze und setzte einen Indianer und einen Offizier an Land. Wäret Ihr in jener Nacht wie gewöhnlich im Freien gewesen, so hätten wir Gefangene machen können.«

»Ich muß es zugeben, Jasper«, erwiderte Pfadfinder betreten, »vielleicht hätten wir sie dann bekommen.«

»Ihr habt den Abend bei uns verbracht, Pfadfinder«, bemerkte Mabel.

»Wer immer im Wald unter Feinden lebt, ist entschuldigt, wenn er einmal einem alten Freund und seiner Tochter etwas Gesellschaft leistet.«

»Gut — gut«, fiel Cap ein, »wie wißt Ihr aber, Jasper, daß zu jener Zeit Spione in unserer Nähe waren?« Als Cap diese Worte sprach, trat er dem Sergeant leicht auf den Fuß und stieß Pfadfinder mit dem Ellenbogen an.

»Man weiß es, weil die Schlange am anderen Tag ihre Spuren fand. Es waren die eines Soldatenstiefels und eines Mokassins. Überdies sah einer unserer Jäger das Kanu am andern Morgen auf Frontenac zurudern.«

»Und warum warft Ihr Euch nicht auf das Wasser und machtet Jagd auf den Schurken«, fragte Cap. »Am Dienstagmorgen hatten wir einen steifen Wind, bei dem der Kutter neun Knoten hätte laufen können.«

»Das kann wohl auf dem Meer möglich sein, Meister Cap«, sagte Pfadfinder, »aber hier läßt sich das nicht tun. Das Wasser läßt keine Spur zurück, und einen Mingo und einen Franzosen mag der Teufel verfolgen, wenn sie einmal im Ausreißen sind.«

»Wozu braucht man eine Spur, wenn das Boot vorn Deck aus gesehen werden kann?«

»Die Jagd auf ein Rindenkanu ist meistens erfolglos«, entgegnete Jasper.

Cap nahm nun seinen Schwager beiseite und führte ihn in die Kajüte, wo er keinen Lauscher fürchtete.

»Hört, Bruder Dunham«, sagte er, »das ist eine Sache, die reiflich überdacht sein will. Ich betrachte Jaspers verdächtige Bemerkungen über die Spione als ein Indiz, als einen schweren Schuldbeweis. Dieser Jasper Süßwasser mag sich in acht nehmen. Der Kutter läuft jetzt sechs Knoten, und da die Entfernungen auf diesem Stückchen Teich so ungemein gering sind, so können wir, ehe der Tag kommt, in einem französischen Hafen, und ehe es Nacht wird, in einem französischen Gefängnis sein.«

»Das kann ganz richtig sein! was würdet Ihr mir raten, Bruder?«

»Meiner Ansicht nach müßt Ihr diesen Meister Süßwasser auf der Stelle verhaften lassen. Übertragt mir den Befehl über den Kutter. Ihr habt oberste Befehlsgewalt, da das Fahrzeug dem Heer untersteht.«

Sergeant Dunham dachte länger als zwei Stunden über den Vorschlag nach. Er war geneigt, von Jasper gut zu denken. Die List und die Ränke der Franzosen aber waren so gefürchtet, die Mahnung seines Kommandanten so dringlich gewesen, daß er allmählich ernstlich besorgt wurde. In dieser Verlegenheit zog er schließlich den Quartiermeister zu Rat, dessen Ansicht er zu achten hatte, wenn er auch in diesem Augenblick nicht unter seinem Befehl stand. Leutnant Muir war aber viel zu klug, um gegen den Onkel und den Vater des Mädchens, das er zu gewinnen hoffte, eine Ansicht zu vertreten. Deshalb riet auch er dazu, den Befehl über den Kutter in die Hände Caps zu legen. Diese Ansicht machte der Ungewißheit des Sergeants ein Ende. Er sagte Jasper, ohne sich auf weitere Erläuterungen einzulassen, er halte es für seine Pflicht, ihm für den Augenblick den Befehl über den Kutter zu nehmen und ihn seinem Schwager zu übertragen. Der unwillkürlichen Überraschung, die der junge Mann zeigte, begegnete er mit der ruhigen Bemerkung, der Militärdienst fordere oft das Verschweigen besonderer Gründe, und der jetzige Schritt sei eine unerläßliche Pflicht. Jasper war so sehr an militärischen Gehorsam gewöhnt, daß er sich ruhig in sein Schicksal ergab. Daher befahl er den Matrosen, nunmehr Caps Weisungen zu gehorchen, bis die Lage der Dinge sich ändere. Als man ihm aber sagte, daß auch sein Lotse abtreten müsse, machte er ein sehr ernstes und besorgtes Gesicht.

Sobald die beiden in ihren Kajüten waren, erhielt die Wache an der Luke geheimen Befehl, auf beide ein sorgfältiges Auge zu haben und keinem zu erlauben, ohne Wissen des Befehlshabers des Kutters auf das Deck zu kommen. Diese Vorsicht war jedoch unnötig, denn Jasper und sein Lotse warfen sich schweigend auf ihr Lager und verließen es diese Nacht nicht wieder.

»Und nun, Sergeant«, sagte Cap, sobald er den Befehl über den Kutter in seinen Händen hatte, »werdet Ihr die Güte haben, mir nähere Angaben über die Kurse und Entfernungen zu machen.«

»Ich weiß von alldem nichts, Bruder Cap«, versetzte Dunham, den die Frage nicht wenig verlegen machte. — »Unsere Aufgabe ist, so schnell wie möglich die Posten auf den ›Tausend Inseln‹ zu erreichen, um uns dort weitere Instruktionen zu verschaffen.«

»Aber Ihr werdet doch eine Karte beibringen können, damit ich meinen Weg kennenlerne?«

»Ich glaube nicht, daß Jasper etwas Derartiges hat.«

»Glaubt Ihr, Sergeant Dunham, ich kann aus tausend Inseln eine herausfinden, wenn ich ihren Namen, ihre Lage nicht weiß?«

»Vielleicht kann einer der Matrosen uns den Weg angeben.«

»Ruhig, Sergeant, ruhig! Über dieses Fahrzeug habe ich jetzt zu befehlen, und zwar ohne mit dem Schiffskoch und dem Kajütenjungen Kriegsrat zu halten. Ich glaube, Ihr kennt den Dienst hinreichend und wißt, daß es immer noch besser ist, wenn der Befehlshaber einen falschen Weg geht, als wenn er gar keinen geht. Sinke ich, so sinke ich – doch ich will verdammt sein, wenn ich nicht mit Würde hinabgehe.«

»Aber, Bruder Cap, ich habe keine Lust, irgendwo anders hinabzugehen als zu dem Posten auf den ›Tausend Inseln‹.«

»Gut — gut, Sergeant, ehe ich einen Matrosen vom Fockmast oder irgend jemand anderen als einen Offizier um Rat frage, will ich bei allen tausend Inseln die Runde machen und eine nach der anderen untersuchen, bis wir im rechten Hafen sind.«

»Ich weiß, daß wir jetzt in der rechten Richtung steuern«, sagt der Sergeant, »aber in einigen Stunden kommen wir an einer Landspitze vorbei; dann müssen wir unseren Weg mit größerer Vorsicht suchen.«

»Laßt mich den Mann am Steuer vorsichtig ausholen, Bruder!«

Cap und der Sergeant gingen nach hinten und stellten sich zu dem Mann am Rad. Cap zeigte eine Sicherheit und Ruhe, als wenn er keines Menschen Hilfe bedürfe.

»Eine ganz gesunde Luft das, Bursche«, bemerkte er, gleichsam nur so hingeworfen, wie eben ein höherer Offizier an Bord eines Schiffes sich zuweilen herabläßt, mit einem Untergebenen zu sprechen. »Ihr habt gewöhnlich diesen Wind landab?«

»Ja — in dieser Jahreszeit, Herr«, antwortete der Mann und griff aus Achtung vor dem neuen Befehlshaber an seinen Hut.

»Ebenso, denke ich, auch bei den ›Tausend Inseln‹?«

»Wenn wir weiter Östlich kommen, Herr, wird der Wind wahrscheinlich umspringen, denn dort kann von einem eigentlichen Landwind nicht die Rede sein.«

»Ja — ja — das Süßwasser! Es hat immer eine Laune, die der Natur widerspricht. Bei den Westindischen Inseln ist man ebenso sicher, einen Landwind zu haben, wie man sicher ist, einen Seewind zu haben. Bursche, dir ist doch alles um die besagten ›Tausend Inseln‹ bekannt?«

»Gott sei mit mir, Meister Cap! Niemand weiß alles davon. Sie setzen den ältesten Matrosen, der diesen See befährt, in Verlegenheit; wir können nicht einmal sagen, daß wir ihre Namen kennen.«

»Ich glaube, Jakob — Ihr heißt doch so?«

»Nein, Herr, ich heiße Robert.«

»Ah, Robert, nun, es ist einerlei, jack oder Bob. Haben wir einen guten Ankergrund unten am Posten, zu dem wir segeln?«

»Du meine Güte, Herr! Ich weiß nicht mehr davon als ein Mohikaner oder ein Soldat vom 55. Regiment.«

»Warft Ihr nie Anker dort?«

»Nie, Herr! Meister Süßwasser legt immer am Ufer an.«

Cap lachte verdrießlich. »Kein Kirchturm? Kein Leuchtturm? Kein Fort, he? Es ist doch eine Garnison dort, wie Ihr es zu nennen pflegt?«

»Fragt Sergeant Dunham, Herr, wenn Ihr dies wissen wollt; die ganze Garnison ist an Bord des Kutters.«

»Aber welchen Eingang zu den Inseln haltet Ihr für den besten — den, durch welchen Ihr zuletzt einlieft — oder — oder den anderen?«

»Ich weiß es nicht, Herr — ich kenne beide nicht.«

»Ihr wart doch nicht am Ruder eingeschlafen, Bursche?«

»Nicht am Ruder, Herr — aber unten in der Vorderkajüte, wo meine Hängematte ist. Süßwasser schickte uns, die Soldaten und alle, den Lotsen ausgenommen, hinab. So verfuhr er immer, wenn wir ein- und ausliefen. Außer Jasper und dem Lotsen kann Euch niemand etwas von der Sache sagen.«

»Das ist ein Indiz für Euch, Sergeant«, sagte Cap und führte seinen Schwager ein wenig beiseite. »Es ist niemand an Bord, von dem etwas zu erfahren wäre, sie alle sind die Unwissenheit selbst. Wie soll ich in Teufels Namen den Weg zu dem Posten finden?«

»Gewiß, Bruder Cap; es ist leichter, diese Frage zu stellen, als sie zu beantworten.«

»Wenn ich Euch recht verstanden habe, Sergeant, so liegt dieser Posten oder dieses Blockhaus äußerst versteckt.«

»Das ist der Fall; denn der Feind soll davon nichts ahnen.«

»Und von mir erwartet Ihr, daß ich diesen Ort ohne Karte, Kurs, Distanz, Länge, Breite und Senklot finden soll?«

»Nun, Bruder — vielleicht könnt Ihr doch etwas erfahren, wenn Ihr den jungen Mann am Ruder noch einmal fragt.«

Cap und der Sergeant gingen wieder an das Steuer zurück, und der Seemann begann seine Fragen von neuem.

»Kennt Ihr vielleicht die Länge und Breite der bewußten Insel, mein Junge?« fragte er.

»Was, Herr?«

»Nun, die Länge und Breite. Ich frage nur, um zu sehen, wie man junge Leute auf diesem Stück Süßwasser erzieht.«

»Herr, ich weiß nicht, was Ihr meint.«

»Ihr wißt nicht, was ich meine? — Wißt Ihr nicht, was Breite ist?«

»Nein, Herr«, erwiderte der junge Mann zögernd, »ich glaube, es ist — Französisch von den oberen Seen.«

»Pfi — i — ih!« pfiff Cap. »Breite! Französisch von den oberen Seen! — Hört, junger Mensch, wißt Ihr, was Länge heißt?«

»Ich glaube, Herr! — Nämlich fünf Fuß sechs Zoll, die vorgeschriebene Höhe für Soldaten in des Königs Dienst.«

»Du lieber Himmel! Aber Ihr habt doch einige Kenntnis von Graden — von Minuten und Sekunden, hoffe ich?«

»Ja — Herr; Grad ist der Rang über mir, und Minuten und Sekunden sind für die langen und kurzen Loglinien. Wir wissen das so gut wie die Salzwasser-Seeleute.«

»Bruder, hier ist Hopfen und Malz verloren! — Ich werde noch zwei Stunden auf diesem Kurs bleiben, dann holen wir an und lassen das Lot fallen, worauf wir uns von den Umständen werden leiten lassen.«

Der Sergeant hatte nichts einzuwenden, und da mit fortschreitender Nacht der Wind wie gewöhnlich schwächer wurde und sich der Fahrt keine unmittelbaren Hindernisse entgegenstellten, machte er sich aus einem Schiffssegel ein Lager und fiel bald in den gesunden Schlaf des Soldaten. Cap wanderte unausgesetzt auf dem Deck umher, denn er gehörte zu den Leuten, deren eiserne Muskeln jeder Ermüdung trotzten.

Es war heller Tag, als Sergeant Dunham erwachte. Er fuhr mit einem lauten »Donnerwetter!« auf, denn er sah, daß sich das Wetter vollständig geändert hatte. Die Aussicht war durch jagende Nebel verdeckt, und der See tobte und schäumte. Der Kutter lag beigedreht.

Caps Bericht zufolge hatte sich der Wind gegen Mitternacht gelegt und in ein totes Wetter verwandelt, als er gerade beilegen und das Lot auswerfen wollte, weil vor ihm einige Inseln auftauchten. Gegen ein Uhr erhob sich aber ein Nordostwind und führte einen Nebelregen mit sich, worauf Cap nordwärts und westwärts abdrehte. Um halb zwei nahm er den oberen Klüver ein und reffte das große Segel. Um zwei Uhr mußte er hinten reifen, und um halb drei hatte er beigedreht.

»Ich muß bekennen, Sergeant«, erklärte der alte Seemann, »das Boot hält sich gut. Aber es bläst ein Zweiundvierzigpfünder.« Dabei spie er den sprühenden Schaum, der ihm eben ins Gesicht spritzte, schwungvoll aus dem Mund.

»Wenn dieses verdammte Wasser nur im geringsten nach Salz schmeckte, könnte man sich ganz behaglich fühlen.«

»Wie lange seid Ihr in dieser Richtung gesteuert, Bruder Cap?« fragte der Sergeant, »und wie bewegen wir uns vorwärts?«

»Nun — zwei oder drei Stunden, das Schiff flog in der ersten Zeit schnell dahin. Jetzt haben wir einen hübschen offenen Raum vor uns; denn, die Wahrheit zu sagen, ich hatte an der Nähe der besagten Inseln gar keinen Gefallen. Dort drüben liegen die Inseln in Nebel, und dort mögen sie auch bleiben.«

»Ehe ich mein Kommando an den kanadischen Ufern scheitern lasse, halte ich es für meine Pflicht, Jasper heraufzurufen.«

»Um in den Hafen von Frontenac einzulaufen. — Nein, Sergeant, die ›Wolke‹ ist in guten Händen und wird jetzt etwas von wahrer Seefahrerkunst lernen. Wir haben schönes, offenes Wasser vor uns, und nur ein Wahnsinniger würde in dieser Bö daran denken, an eine Küste anzulaufen. Überlaßt nur alles mir, Sergeant, ich setze meinen Ruf als Seemann zum Pfand, daß alles gut gehen wird.«

Nur allzugerne gab Sergeant Dunham nach. Er hatte das größte Vertrauen in die seemännische Geschicklichkeit seines Schwagers.

Bald jedoch brach ein ungewöhnlich heftiger Herbststurm herein. Die »Wolke« wurde wie eine Nußschale auf den tobenden Wellen umhergeworfen. Nirgends war Land zu sehen. Stunden dauerte das Unwetter an. Der Wind wurde heftiger und heftiger. Die Wellen hoben und stürzten sich haushoch über das kleine Fahrzeug, daß es zu versinken drohte.

Cap blieb zunächst frohgemut und der ihm gestellten Aufgabe gewachsen. Als aber während der Nacht und am folgenden Tag keine Änderung der Lage eintrat, verließ auch ihn die Zuversicht.

»Es dürfte gut sein, Bruder, nach Jasper zu schicken und seinen Rat zu hören«, meinte schließlich Sergeant Dunham. »Hier sind keine Franzosen zu fürchten, und der Bursche wird uns jedenfalls vor dem Ertrinken retten.«

»Ja, ja; laßt den Burschen nur kommen; einige gutgestellte Fragen werden ihm die Wahrheit abpressen; ich stehe Euch dafür.«

Nachdem Jasper aus seiner Kajüte heraufgeholt worden war, eröffnete Cap, indem er die Arme kreuzte und würdevoll seinen Körper wiegte, die Unterredung auf folgende Art:

»Ich habe nach Euch geschickt, Meister Jasper, um etwas über den leeseitigen Hafen zu erfahren. Wir glauben, daß Ihr uns nicht zu ertränken wünscht.«

»Ich würde lieber sterben, als zulassen, daß Mabel Dunham ein Leid geschieht«, antwortete Jasper ernst.

»Ich wußte es«, rief Pfadfinder und schlug ihm freundlich auf die Schulter; »der Bursche ist so treu wie der beste Kompaß.«

»Um offen mit Euch zu sein, Meister Western«, fragte Cap, »was würdet Ihr jetzt mit dem Kutter anfangen?«

»Ich glaube, Herr, ehe zwei Stunden vorüber sind, muß der Kutter vor Anker gehen.«

»Vor Anker? — Doch nicht hier auf dem offenen See?«

»Nein, Herr — aber in der Nähe des Landes, das dort hinten sichtbar wird.«

»Ihr wollt mir doch nicht sagen, Meister Süßwasser, daß Ihr bei einem solchen Wetter an einem Ufer ankern wollt. Wißt Ihr nicht, daß eine Annäherung an die Brandung das Schiff vernichten könnte und wohl würde?«

»Ich kenne die Gefahr, doch muß der Versuch gewagt werden, wenn uns noch irgend etwas retten soll.«

»Ihr könnt wieder hinabgehen, Meister Süßwasser. Euer Rat ist nicht ausführbar.«

Jasper verbeugte sich ruhig und ging; sein Gesicht aber verriet große Besorgnis. In der äußeren Kajüte traf er Mabel. Er setzte sich neben sie, ohne sie anzusehen, und starrte finster vor sich hin.

»Ihr nehmt Euch diese Sache sehr zu Herzen«, sagte Mabel nach einer Weile; »niemand, der Euch kennt, kann Euch für schuldig halten. Pfadfinder sagt, er setze sein Leben für Euch zum Pfand.«

»Ihr haltet mich also nicht für einen Verräter?«

»Ich denke von Euch, wie ich von dem Mann denken muß, der mir das Leben gerettet hat«, sagte das Mädchen schlicht und einfach.

»Vielleicht, Mabel, macht mich meine Besorgnis um Sie furchtsamer als gewöhnlich. Aber, um mich frei auszusprechen, ich kenne nur einen Weg, zu verhindern, daß der Kutter im Laufe der nächsten zwei oder drei Stunden scheitert, und Ihr Onkel weigert sich, ihn einzuschlagen.«

»Man darf nicht zugeben, daß der Eigensinn meines Onkels ein Unglück herbeiführt«, sagte sie ernst. »Geht auf das Deck, Jasper, und bittet meinen Vater, in die Kajüte zu kommen.«

Während der junge Mann diesen Wunsch erfüllte, lauschte Mabel auf das Heulen des Sturmes. Die wenigen Minuten, die der Sergeant brauchte, um herabzukommen, schienen ihr eine Stunde zu sein. Sie konnte kaum atmen, als sie ihn und Jasper die Leiter niedersteigen sah. Schnell klärte sie ihren Vater über Jaspers Ansicht auf und bat ihn, ihren Oheim zu veranlassen, den Befehl über den Kutter wieder abzugeben.

»Jasper ist treu, Vater«, schloß sie ernst. »Ich verbürge mich mit meinem eigenen Leben für seine Treue.«

»Meister Cap sagt, Euer Vorschlag, Jasper, habe an sich selbst etwas Verdächtiges und klingt eher verräterisch als vernünftig.«

»Laßt uns nach dem Lotsen schicken und dessen Meinung hören. Es ist bekannt, daß ich den Mann seit gestern abend nicht eine Sekunde gesehen habe.«

»Gut, der Versuch soll gleich gemacht werden. Folgt mir auf das Deck!«

Jasper gehorchte, und Mabels Spannung war so groß, daß sie sich bis an die Treppe wagte, um den Ausgang dieser Angelegenheit zu beobachten.

Nach kurzer Zeit erschien der Lotse. Sein bestürzter Blick, als er das Deck betrat, war nicht mißzuverstehen.

»Ich sehe kein anderes Mittel, den Kutter zu retten, als vor Anker zu gehen«, sagte er einfach und ohne Zögern.

»Wie? Hier auf dem See?« fragte Cap.

»Nein! Weiter gegen das Ufer zu — gerade an der äußeren Brandungslinie.«

»Ich sage Euch, Bruder Dunham«, entgegnete Cap, »kein Seemann, der es ehrlich meint, läßt eine solche Absicht laut werden. Dicht an der Brandung zu ankern, wäre reiner Wahnsinn.«

»Das Schiff gehört Seiner Majestät, Bruder, und ich bin für das Leben meiner Leute verantwortlich. Diese Männer sind mit dem Ontario besser bekannt als wir, und ich glaube, ihre übereinstimmende Aussage verdient Gehör.«

»Wir treiben so schnell auf die Brandung zu«, sagte Jasper, »daß es nicht nötig ist, noch viel zu sprechen. Aber ich warme Meister Cap! Niemand wird imstande sein, auch nur einen Augenblick auf diesem niedrigen Deck zu bleiben, wenn wir in die Brandung kommen. Ich zweifle nicht, daß das Schiff sich füllt und sinkt, ehe wir noch in die zweite Linie der Brandungskette kommen.«

»Und was kann das Ankerwerfen nützen?« fragte Cap wütend.

»Es würde wenigstens nichts schaden«, versetzte Jasper ruhig. »Ich hoffe, Meister Cap, Ihr erlaubt mir und dem Lotsen, die Vorbereitungen zum Auswerfen der Anker zu treffen?«

»Überholt Eure Taue, wenn Ihr wollt, und macht die Anker klar! Wir sind jetzt in einer Lage, in der schon alles gleichgültig ist.«

Die nächsten Sekunden mußten über das Schicksal des Schiffes entscheiden. Zwischen dem Kutter und dem Ufer bot sich ein furchterregender Anblick. Die Brandung erstreckte sich fast einen halben Kilometer weit. Das Wasser innerhalb dieser Linie war weiß von Schaum. Dahinter stieg undeutlich das Land, mit einem grünen Mantel unermeßlichen Waldes bedeckt, empor.

Jasper rief einige Soldaten zu Hilfe und machte sich sofort an die Arbeit. Die zwei Anker und das Tauwerk waren bald zum Auswerfen bereit. Nun eilte Jasper nach hinten und nahm das Steuer mit eisernem Griff in die Hand. Der Lotse barg den letzten Fetzen Segel. In diesem Augenblick ließ Jasper das Ruder nach, das Vorstagsegel wurde ein wenig gelöst, der leichte Kutter fiel ab und lag bald zwischen zwei Wellen. Nun wurden die Anker losgemacht und jedem soviel Tau wie möglich gegeben. Alles dies geschah sicher und gewandt. In weniger als zehn Minuten lag die »Wolke« mit der Spitze seewärts an zwei vorwärts gestreckten Kabeln wie zwischen zwei Eisenbalken vor Anker.

»Werft ein Lot über Bord und meßt die Trift!« brüllte Cap. Alle an Deck harrten in atemloser Spannung auf das Ergebnis. Nach etwa zwei Minuten stellte man fest, daß der Kutter um seine eigene Länge gegen die Uferhöhen getrieben war. Jasper sah ernst aus, denn er wußte, daß nichts das Schiff aufhalten konnte, wenn es einmal in dem Strudel der Brandung war.

»Verräter!« rief Cap und drohte dem jungen Mann mit der Faust.

»Die Anker fassen noch nicht!« antwortete Jasper furchtlos.

»Und worauf verlaßt Ihr Euch sonst noch?« fragte Cap bitter.

»Ich vertraue auf die Unterströmung, die das Schiff wieder in den See drängt. Ich hielt auf die Stelle zu, weil ich wußte, daß sie hier stärker ist als irgendwo anders. Wir konnten uns so dem Land stärker nähern, ohne in die Brandung zu geraten.«

Alle warteten mit äußerster Spannung. Endlich gab der Mann am Blei den erfreulichen Bericht, daß die Anker nicht mehr weitertrieben und das Fahrzeug festliege. Der Kutter war gerettet.

6

Nach einigen Stunden, während welcher der Kutter im heftigen Rollen der Wellen sicher vor Anker gelegen war, beruhigte sich das Wetter zusehends. Der Gedanke, sich noch an diesem Nachmittag auf den Weg nach den »Tausend Inseln« zu machen, wurde jedoch wegen des leichten Gegenwindes aufgegeben. Jasper, der nun das Kommando wieder übernommen hatte, beschäftigte sich mit den Ankern, die man nacheinander lichtete.

Mabel warf indessen sehnsuchtsvolle Blicke zum Ufer hinüber und äußerte schließlich den Wunsch, man möge landen. Pfadfinder versicherte ihr, daß nichts leichter sei als das, da sie ein Rindenkanu an Bord hätten, mit dem sich die Durchfahrt durch die Brandung am leichtesten bewerkstelligen lasse Tatsächlich ruderte er bald darauf den Sergeant Dunham und seine Tochter zur Küste hinüber.

Als alle drei an Land gestiegen waren, ergriff der Sergeant sein Gewehr und erklärte, sich eine Stunde auf Jagd zu begeben.

»Pfadfinder wird bei dir bleiben, Mädel, und dir vielleicht einiges von der Geschichte dieses Weltteils oder von seinen Erfahrungen unter den Mingos erzählen.«

Pfadfinder lachte, versprach, für das Mädchen zu sorgen, und schlug eine Richtung ein, in der sie nach wenigen Minuten die kleine kahle Spitze eines Vorgebirges erreichten, wo sich dem Auge eine herrliche Aussicht darbot. Der See erglänzte nun unter den Strahlen der Nachmittagssonne. Wälder säumten seine Ränder in einem ungeheuren, halbmondförmigen Kranz.

»Ich beginne dieses großartige Schweigen der Wälder zu lieben«, sagte Mabel schließlich nach einem langen, nachdenklichen Blick auf die weite Landschaft. »Ich glaube, daß ich schnell ein Grenzmädchen werden könnte. Die Städte erscheinen mir schal im Vergleich zu dieser Weite, dieser Einsamkeit und dieser Schönheit.«

»Die Wälder schweigen nie für den, der ihre Stimmen versteht, Mabel. Ich habe sie tagelang allein durchwandert, ohne einen Mangel an Gesellschaft zu fühlen.«

»Ich glaube, Ihr seid glücklicher, Pfadfinder, wenn Ihr allein seid, als zusammen mit Euren Mitmenschen.«

»Das will ich nun nicht gerade sagen. Ich habe eine Zeit gekannt, da ich glaubte, daß mir Gott in meinen Wäldern genug sei, und da ich um nichts flehte als um seinen Schutz und seine Gnade. Jetzt haben aber andere Gefühle die Oberhand gewonnen. Ich möchte gerne noch glücklicher sein. Ja, ich glaube, ich könnte noch glücklicher sein.«

»Glücklicher? — und wie das, Pfadfinder? In dieser reinen Luft, in diesen kühlen, schattigen Wäldern, durch die Ihr wandert, auf diesem lieblichen See, auf dem Ihr segelt! Überdies habt Ihr ein reines Gewissen und Überfluß an allen leiblichen Bedürfnissen — müssen da die Menschen nicht vollkommen glücklich sein?«

»Jedes Geschöpf hat seine Eigenheiten, Mabel, und auch die Menschen haben die ihren«, antwortete er mit einem verstohlenen Blick auf seine schöne Gefährtin. »Seht Ihr die Wildtaube dort, die sich gerade auf das Ufer hinunterläßt?«

»Gewiß, denn es ist ja das einzige lebendige Geschöpf, das sich außer uns in dieser weiten Einsamkeit befindet.«

»Nicht doch, Mabel, nicht doch, die Vorsehung schafft kein Leben, das zur Einsamkeit bestimmt ist. Dort fliegt gerade ihr Männchen auf. Es hat auf einer anderen Seite des Ufers gesucht, aber es wird nicht lange von seiner Gefährtin getrennt bleiben.«

»Ich verstehe Euch, Pfadfinder«, Mabel lächelte leise. »Aber ein Jäger kann doch auch in dieser wilden Gegend eine Gefährtin finden.«

»Ja, wenn ein Mädchen wie Ihr meinen Weg kreuzte, das sich entschließen könnte, einen Jäger zu heiraten, und das meine Unwissenheit und Rauheit nicht verspottete, dann würden mir alle Mühen der Vergangenheit nur wie das Spielen des jungen Hirsches erscheinen, und eine künftigen Tage würden im Glanz einer immerleuchtenden Sonne erstrahlen.«

»Ein Mädchen wie ich? — Ein Mädchen von meinen Jahren und meiner Unbesonnenheit möchte kaum eine passende Gefährtin für den kühnsten Kundschafter und den sichersten Schützen an den Grenzen abgeben. Es ist gewiß nicht Euer Ernst, Pfadfinder, ein so simples, eitles und unerfahrenes Geschöpf, wie ich es bin, zum Weib zu nehmen.«

»Und warum nicht, Mabel? Was Ihr unter simpel versteht, weiß ich nicht. Wenn es aber schön bedeutet, dann, ja, dann fürchte ich, daß es kein Fehler in meinen Augen ist. Eitel seid Ihr nicht, wie man aus der Art bemerken kann, mit der Ihr meinen müßigen Erzählungen zuhört. Und was die Erfahrung betrifft, so kommt diese mit den Jahren. Außerdem fürchte ich, Mabel, daß die Männer über solche Sachen wenig nachdenken, wenn sie ein Weib nehmen wollen; wenigstens mir ergeht es so.«

»Pfadfinder, Eure Worte, Eure Blicke — sicherlich ist alles dies nur Tändelei, nur Scherz von Euch?«

»Mir ist es immer angenehm, in Eurer Nähe zu sein, Mabel, und ich würde in dieser Nacht weit besser schlafen, als ich’s die ganze vergangene Woche über getan habe, wenn ich denken könnte, daß Ihr an solchen Unterhaltungen ebensoviel Vergnügen fändet wie ich.«

Als Mabel in das faltige, ehrliche Gesicht des Waldgängers blickte, gewannen ihre Züge den Ausdruck der Sorge und des Kummers.

»Pfadfinder, Eure Worte machen mich unruhig. Sprecht deutlicher oder laßt uns den Gegenstand für immer abbrechen. Ich glaube nicht — ich kann nicht glauben, daß — daß Ihr mir zu verstehen geben wollt —«, das Mädchen stotterte und fühlte, daß ihm das Blut in die Wangen schoß. Mabel nahm jedoch ihren ganzen Mut zusammen und sprach nach kurzem Zögern: »Ich meine, Pfadfinder, Ihr wollt mir doch nicht zu verstehen geben, daß Ihr mich zu Eurem Weib haben möchtet?«

»Freilich, Mabel, das ist’s eben, und Ihr habt die Sache in ein weit helleres Licht gerückt, als ich Waldmensch je fähig gewesen wäre. Der Sergeant und ich haben den Handel unter der Bedingung abgemacht, daß Ihr damit einverstanden seid. Er meint, daß dies der Fall sein werde, wenngleich ich zweifle, ob ich die Eigenschaften besitze, einem Mädchen zu gefallen, das den besten Mann in ganz Amerika verdient.«

Unbehagen, Staunen, Schmerz wechselten in rascher Folge in Mabels Gesichtsausdruck.

»Mein Vater!« rief sie, »mein lieber Vater hatte den Gedanken, daß ich Euer Weib werden sollte, Pfadfinder?«

»Ja, den hatte er, Mabel, den hatte er in der Tat. Er glaubte sogar, diese Sache dürfte Euch angenehm sein. Er hat mich so lange ermutigt, bis ich glaubte, es sei wahr.«

»Ihr habt also von dieser Angelegenheit mehr um meines Vaters willen mit mir gesprochen und kümmert Euch wenig darum, ob diese sonderbare Hoffnung in Erfüllung gehen wird?«

Der Kundschafter blickte ernst in Mabels schönes Antlitz, das unter der Glut ihrer Gefühle errötete. »Ich habe mich oft glücklich gefühlt, Mabel, wenn ich in der Fülle der Gesundheit und Kraft auf einer ertragreichen Jagd durch die Wälder streifte und die reine Luft der Berge atmete. Ich weiß aber jetzt, daß dies alles nichts bedeutet im Vergleich zu dem Bewußtsein, Ihr dächtet besser von mir als von den meisten anderen.«

»Besser von Euch? — Wirklich, Pfadfinder, ich denke besser von Euch als von den meisten, vielleicht sogar besser als von allen anderen, denn Eure Wahrheitsliebe, Eure Einfachheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit finden kaum ihresgleichen auf Erden.«

»Ach, Mabel, wie süß und ermutigend klingen diese Worte aus Eurem Mund, und der Sergeant hat im Grunde doch nicht so ganz unrecht gehabt, wie ich fürchtete.«

»Nein, Pfadfinder; ich beschwöre Euch bei allem, was heilig ist, laßt in einer Sache von so großer Wichtigkeit kein Mißverständnis zwischen uns aufkommen. Wenn ich Euch auch schätze und achte — nein, sogar verehre, fast so sehr, wie ich meinen teuren Vater verehre, so ist es doch nicht möglich, daß ich je Euer Weib werde — denn ich —«

Der jähe Wechsel in den Zügen ihres Gefährten war so auffallend, daß Mabel in dem Augenblick, als sie die Wirkung ihrer Äußerungen in seinem Gesicht las, bestürzt schwieg. Eine lange Pause folgte. Der Schatten getäuschter Hoffnung, der sich über die rauhen Züge des Jägers gelagert hatte, wurde dunkler, so daß Mabel fast Furcht empfand.

»Nein, Pfadfinder«, fuhr Mabel, sobald sie wieder über ihre Stimme gebieten konnte, hastig fort, »ich habe vielleicht mehr gesagt, als ich sagen wollte; doch ich wollte Euch nur zu verstehen geben, daß Ihr und ich wahrscheinlich nie so voneinander denken können, wie Mann und Weib voneinander denken sollen. Aber gebt mir Eure Hand, Eure kühne, treue und männliche Hand! Denn es wird mir nicht wohl, bis ich weiß, daß wir wieder Freunde sind und dies nur ein Mißverständnis war.«

Die verhaltenen Gefühle waren nun nicht mehr zurückzudrängen, und Tränen rollten über die Wangen des Kundschafters.

»Pfadfinder! Pfadfinder!« rief Mabel zutiefst erschrocken. »Sprecht mit mir, lächelt wieder, sagt mir nur ein einziges freundliches Wörtchen zum Beweis, daß Ihr mir vergeben habt.«

»Das ist’s ja eben, Mabel! Die Worte und Gedanken, die Ihr mit so weicher Stimme aussprecht, wie ich sie in den Wäldern noch nie gehört habe, haben all dies Unheil angerichtet. Doch ich will mir Mühe geben, meine Empfindungen zu zügeln, und will wieder hinausgehen in meine Wälder, neuen Gefahren und Abenteuern entgegen. Ach, Mabel! Ich bin wahrlich auf einer falschen Fährte gewesen, seit ich das erstemal mit Euch zusammentraf.«

»Aber Ihr werdet nun wieder die richtige finden. Bald schon werdet Ihr dies alles anders ansehen und mich vergessen — nein, nicht vergessen, Pfadfinder; aber Ihr werdet an mich wie an eine Freundin denken, die Euch das Leben verdankt.«

Plötzlich hörten sie Schritte, und wenige Augenblicke später trat der Sergeant aus dem dichten Unterholz. Er hatte wenig Erfolg auf der Jagd gehabt.

Nun begaben sich alle drei zur Küste zurück, und Pfadfinder brachte seine Begleitung mit derselben Geschicklichkeit über die Brandung, wie er sie hergeführt hatte. Die Ausflügler erreichten die »Wolke«, ohne auch nur im mindesten vom Gischt benetzt worden zu sein.

Der Wind hatte sich gewendet, und daher wurde beschlossen, in möglichster Eile der Station zuzusegeln. Mit Sonnenuntergang war der Kutter vor der ersten Insel, die am Ausfluß des Sees lag, und ehe es dunkel wurde, lief er durch enge Wasserstraßen auf die gesuchte Station zu.

Um neun Uhr bestand Cap jedoch darauf, vor Anker zu gehen. Das Labyrinth der Inseln wurde so verwickelt, daß er fürchtete, man könne unversehens unter die Kanonen eines französischen Forts kommen.

Jasper willigte gern ein, da ihm unter anderem befohlen worden war, die Station so anzulaufen, daß die Mannschaft ihre genaue Lage nicht kennenlerne. Diese Vorsichtsmaßregel sollte einem möglichen Verrat vorbeugen. Die »Wolke« wurde in eine kleine, abgelegene Bucht gebracht, wo es selbst am hellen Tag schwer gewesen wäre, sie zu finden, und wo sie in der Nacht vollkommen geborgen war. Eine einzige Wache auf dem Deck ausgenommen, suchten alle die Ruhe.

Am nächsten Morgen setzte Jasper die Fahrt fort, während noch alle schliefen. Endlich kamen die Soldaten und Cap an Deck und sahen, wie das Schiff Insel um Insel hinter sich ließ.

»Niedergeholt!« rief Jasper in diesem Augenblick. »Das Steuer hart Backbord — so — sachte!«

Alles ging so rasch vor sich, daß die Zuschauer kaum Zeit hatten, die verschiedenen Wendungen der »Wolke« zu erfassen. Die Station war erreicht, und die Leute des 55. Regiments wurden mit der Freude, die eine Ablösung gewöhnlich mit sich bringt, von ihren Kameraden begrüßt. Mabel sprang ans Ufer, und ihr Vater ließ die Mannschaft schnell folgen.

Keine dieser Inseln in dem Labyrinth hatte Hochufer. Alle waren mehr oder weniger bewaldet. Die für die Soldaten bestimmte war klein. Sie mochte kaum zwanzig Morgen Land umfassen, und beinahe die Hälfte der Oberfläche war mit Gras, die Ufer dagegen ganz mit Gebüsch bedeckt. Unter einigen Baumgruppen hatte man sechs bis acht niedrige Holzhütten gebaut, die den Offizieren und Soldaten als Unterkunft dienten. Auf dem östlichen Teil der Insel befand sich eine kleine, bewaldete Landzunge, deren Unterholz so dicht verwachsen war, daß es fast unmöglich schien, hindurchzudringen.

Auf dem schmalen Teil, der diese mit der Insel verband, war ein kleines Blockhaus gebaut worden, bei dessen Anlage man die Möglichkeit eines feindlichen Überfalls im Auge gehabt hatte. Die Holzstämme waren schußfest, viereckig gehauen und so sorgfältig ineinandergepaßt, daß kein Punkt ungeschützt blieb. Die Pensteröffnungen waren Schießscharten, die Türe massiv und klein und das Dach aus behauenen Balken und gehörig mit Rinde gedeckt. Im unteren Raum wurden die Vorräte und Lebensmittel aufbewahrt. Der erste Stock diente als Wohnung, und ein niedriger Raum oben war in zwei oder drei Kammern geteilt, wo zehn bis zwölf Mann ihr Lager finden konnten. Das ganze Gebäude war kaum vierzig Fuß hoch und wurde von den Wipfeln der Bäume verborgen. Nur vom Innern der Insel aus konnte man es sehen. Da man vor allem auf Verteidigung bedacht war, hatte man das Blockhaus so nahe an eine Öffnung in dem Kalksteinfelsen erbaut, daß man Eimer ins Wasser lassen konnte.

Die Stunde nach der Ankunft der »Wolke« war voller Bewegung. Kaum waren der Sergeant und der Offizier, den er ablöste, mit den Förmlichkeiten der Übergabe des Kommandos fertig, da eilten auch schon die Abgelösten an Bord der »Wolke« und befahlen Jasper, der gern einen Tag auf der Insel verbracht hätte, sofort unter Segel zu gehen. Ehe man sich aber trennte, machten Muir, Cap und der Sergeant den Fähnrich, der abgelöst worden war, mit dem Verdacht gegen Jasper bekannt. Der Offizier versprach, vorsichtig zu sein, und bald befand sich der Kutter auf dem Rückweg.

Doch mit der Ankunft der Ablösung auf den »Tausend Inseln« war das Ziel der Expedition durchaus noch nicht erreicht. Die soeben Angekommenen konnten sich keinesfalls sofort der Ruhe erfreuen. Mabel hatte in einer der Hütten Wohnung bezogen und sich sogleich an die Erfüllung ihrer hausfraulichen Pflichten gemacht; doch schon am Abend teilte ihr der Sergeant mit, daß der größte Teil der Besatzung diese Insel noch in derselben Nacht wegen wichtiger und teilweise geheimer Aufträge für einige Tage verlassen werde.

»Wie, Vater? Mich und Jennie wollt Ihr auf dieser Insel allein lassen?!« fragte Mabel ganz bestürzt.

»Nein, Kind, Leutnant Mair, Bruder Cap, Korporal McNab und drei Gemeine werden während unserer Abwesenheit die Insel hier bewachen. Jennie wird bei dir in dieser Hütte bleiben, und Bruder Cap wird meinen Platz einnehmen.«

»Und Herr Muir?« fragte Mabel, fast ohne zu wissen, was sie sagte.

»Nun — er kann dir den Hof machen, wenn es dir gefällt, Mädchen. Aber ich weiß sehr gut, daß meine Tochter nie die Gattin des Quartiermeisters wird.«

»Warum wollt Ihr mich aber hierlassen, lieber Vater? Ich bin so weit gereist, warum sollte ich nicht auch noch weiter reisen?«

»Wir verlassen die Insel schon morgen früh vor Tagesanbruch, um nicht von Späheraugen gesehen zu werden. Die zwei größten Boote nehmen wir mit, das andere und das Rindenkanu bleiben hier. Unsere Absicht ist, die von den Franzosen benutzte Wasserstraße einzuschlagen und uns zwei, drei Tage lang versteckt zu halten, um die französischen Vorratsboote, die jetzt auf dem Weg nach Frontenac sind, abzufangen.«

Mabel warf sich in die Arme ihres Vaters — es war das erstemal in ihrem Leben — und schluchzte an seiner Brust wie ein Kind. Das Herz des alten Soldaten wurde schwer, und er sagte aus dieser Stimmung heraus:

»Es ist schon recht traurig, in den Kampf zu gehen, wenn einem das Bewußtsein, eine Tochter schutzlos zurücklassen zu müssen, so schwer auf dem Herzen lastet.«

»Ich wollte die ganze Welt darum geben, Euch von dieser Last zu befreien, lieber Vater.«

»Du könntest es tun«, versetzte der Sergeant mit einem zärtlichen Blick auf sein Kind, »obgleich ich dir dadurch keine Last aufbürden möchte.«

Seine Stimme klang tief und bebte etwas; Mabel hatte nie vorher solch einen innigen Ausdruck der Liebe an ihrem Vater bemerkt.

»Sprecht doch deutlicher!« rief sie, da sie sich danach sehnte, das Gemüt ihres Vaters zu beruhigen.

»Nein, Mabel, es möchte nicht recht sein; deine Wünsche könnten mit meinen in Widerspruch kommen.«

»Ich habe keine Wünsche — weiß nicht, was Ihr meint. Oder wollt Ihr etwa von meiner künftigen Heirat reden?«

»Wenn ich dich mit dem Pfadfinder verbunden sehen könnte, wenn ich wüßte, daß du sein Weib werden wolltest, würde ich glücklich sein. Aber ich will dir keine Verpflichtungen aufbürden, mein Kind, und dich nicht zu etwas drängen, was du bereuen könntest. — Küß mich, Mabel, und geh schlafen!«

Hätte Sergeant Dunham von Mabel das Versprechen, nach dem er wirklich so sehr verlangte, gefordert, würde er wahrscheinlich auf Widerstand gestoßen sein; da er aber nichts dergleichen erzwang, gewann er in dem warmherzigen Wesen Mabels einen mächtigen Verbündeten.

»Vater«, sagte sie gefaßt, »Gott segnet eine gehorsame Tochter.«

»Ja, das tut er, Mabel.«

»Ich will den Mann heiraten, den Ihr mir bestimmt.«

»Nein, nein, Mabel; du mußt selbst wählen.«

»Ich habe keine Wahl. Vater, ich will den nehmen, den Ihr mir bestimmt.«

»Du kennst meinen Wunsch, liebes Kind.«

»Gut also —; wenn Pfadfinder es will und er mich wieder fragt, will ich die Seine werden.«

»Segen über dich, Mabel! Gott möge dich belohnen, wie eine fromme Tochter belohnt zu werden verdient.«

Da küßte Mabei ihren Vater und schluchzte dabei heftig. Noch völlig verwirrt suchte sie ihr Lager auf.

7

Am nächsten Morgen strahlte die Sonne hell und klar. Es war einer jener stillen Herbsttage, die in diesen Gegenden so häufig sind. Die Insel schien nun ganz verlassen. Am vergangenen Abend hatte die lärmende Ankunft dem Ort einen Schein von Leben gegeben, der jetzt verschwunden war. Als Mabel ins Freie trat, sah sie die Gruppe der Zurückgebliebenen bereits um ein prasselndes Feuer sitzen.

Da alle eifrig mit ihrem Frühstück beschäftigt waren, ging sie unbemerkt einem Ende der Insel zu, wo sie durch Bäume und Buschwerk jedem Blick entzogen war. Während sie in die Betrachtung der herrlichen Natur versunken war, kam es ihr plötzlich vor, als hätte sie eine menschliche Gestalt in den Büschen gesehen, die das etwa hundert Schritt entfernte Ufer der gegenüberliegenden Insel umsäumten. Mabel wußte wohl, daß sie nichts gegen eine Büchsenkugel schützen werde, wenn ein Irokese sie sähe. Daher zog sie sich eilig zurück und suchte sich, so gut wie möglich, im Gebüsch zu verstecken, während ihr Blick an das gegeniiberliegende Ufer gefesselt blieb.

Lange wartete sie vergebens, und als sie eben ihr Versteck verlassen wollte, sah sie, daß auf der anderen Insel ein Erlenzweig über die Büsche geschoben und, wie sie glaubte, als Zeichen der Freundschaft hin und her geschwenkt wurde. Es war ein atemberaubender Augenblick, und Mabel fühlte, daß sie jetzt besonnen handeln müsse. Sie brach nach kurzem Zögern einen Zweig ab und schwenkte ihn ebenfalls über den Büschen, wobei sie die Bewegung des Zweiges drüben nachahmte.

Nach zwei oder drei Minuten wiederholten sich die gegenseitigen Zeichen, und dann bemerkte Mabel, daß das Gebüsch auf dem gegenüberliegenden Ufer vorsichtig zurückgeschoben wurde und ein menschliches Gesicht in der Öffnung erschien. Ein Blick genügte, um zu wissen, daß es das Gesicht einer Rothaut war, und gleich darauf erkannte sie Junitau, das Weib der Pfeilspitze. Mabel war, während sie in Gesellschaft dieser jungen Indianerin reiste, durch die Anmut ihres Wesens wie durch die Einfachheit und Sanftheit ihres Charakters für sie eingenommen worden. Sie war von ihr mit der festen Überzeugung geschieden, in ihr eine Freundin gewonnen zu haben.

Deshalb zögerte sie nicht lange und zeigte sich; da trat sogleich auch Junitau furchtlos aus dem Versteck hervor. Die beiden jungen Geschöpfe — denn die Tuscarora war, obgleich verheiratet, noch jünger als ihre weiße Freundin — tauschten nun offene Zeichen der Freundschaft aus. Mabel winkte ihrer Freundin herüberzukommen, obgleich sie nicht wußte, wie die Indianerin das machen sollte. Junitau aber verschwand einen Augenblick und erschien bald in einem leichten Rindenkanu.

Mabel führte die Indianerin durch die Baumgruppen in ihre Hütte. Diese lag glücklicherweise so, daß man sie vom Feuer aus nicht sehen konnte. Beide traten unbemerkt ein. Mabel erklärte ihrer Freundin schnell, daß sie sie für kurze Zeit verlassen müsse, führte sie in ihre Kammer, ging dann zum Feuer und nahm unter den übrigen Platz.

»Wer zu spät kommt, hat den Schaden«, rief Cap ihr zu.

Doch das Mädchen beteiligte sich an der allgemeinen Unterhaltung nicht und erhob sich bei der ersten Gelegenheit, um wieder in ihre Hütte zu gehen. Hier schloß sie sorgfältig die Tür, sah nach, ob der Vorhang vor dem einzigen kleinen Fenster vorgezogen war, und führte dann Junitau in den vorderen Raum.

»Was bringt dich hierher, Juni?« fragte sie lächelnd, »und wie hast du die Insel gefunden?«

»Sprecht leise«, sagte Junitau und drückte zärtlich die kleine Hand der Weißen, »mehr leise — zu schnell.«

Mabel wiederholte ihre Fragen und bemühte sich, so deutlich zu sprechen, daß sie verstanden wurde.

»Juni, Freund«, erwiderte die Indianerin.

»Ich glaube dir, Juni, von ganzer Seele glaube ich dir.«

»Freund kommen, zu sehen Freund.« Juni lächelte Mabel an.

»Du mußt einen andern Grund haben. Bist du allein, Juni?«

»Juni bei dir, niemand sonst. Juni allein kommen, Kanu rudern.«

»Du wirst mich nicht den Franzosen oder den Irokesen oder Pfeilspitze ausliefern?«

Juni schüttelte ernst den Kopf.

»Du wirst meinen Skalp nicht verkaufen?«

Hier schlang Juni ihren Arm innig um die schlanke Hüfte der Weißen und drückte sie so mit Zärtlichkeit und Liebe an das Herz, daß Mabel die Tränen in die Augen traten. Es war nicht möglich, dem offenen Wesen zu mißtrauen. Mabel erwiderte die Umarmung und fragte weiter:

»Wenn Juni ihrer Freundin etwas zu sagen hat, mein Ohr ist offen.«

»Juni fürchten, Pfeilspitze sie töten.«

»Aber Pfeilspitze wird es nie erfahren. Mabel wird es ihm nicht sagen.«

»Er Tomahawk in Junis Kopf schleudern.« Die Indianerin machte eine Pause. »Blockhaus gut, zu schlafen — Blockhaus gut, zu bleiben.«

»Willst du sagen, ich könnte mir das Leben retten, wenn ich das Blockhaus nicht verließe? Aber Pfeilspitze wird mir kein Leid zufügen, ich weiß das. Er kann mir nicht böse sein da ich ihn nie beleidigt habe.«

»Pfeilspitze nicht Leid tun dem schönen Bleichgesicht«, antwortete Juni und wandte das Gesicht ab. »Pfeilspitze lieben Bleichgesicht.«

Mabel errötete. »Pfeilspitze kann keinen Grund haben, mich zu hassen oder zu lieben«, sagte sie; »ist er hier in der Nähe?«

»Mann immer nahe Weib, hier.« Juni legte die Hand an ihr Herz.

»Aber sag mir, Juni, soll ich heute früh, jetzt, in das Blockhaus?«

»Blockhaus sehr gut. Im Blockhaus nicht bekommen Skalp.«

»Ich fürchte, ich verstehe. Willst du meinen Vater sehen?«

»Nicht hier, weggegangen.«

»Du kannst das nicht wissen, Juni, du siehst, die Insel ist voll von Soldaten.«

»Nicht voll — weggegangen.« Juni hob vier Finger empor. »So viel Rotröcke.«

»Du mußt wissen, Juni, wie viel oder wie wenig du mir sagen darfst«, sagte Mabel erschrocken; denn sie sah, daß ihre Lage den Feinden bekannt war. »Ich hoffe, du liebst mich und wirst mir alles sagen. Auch mein Oheim ist auf der Insel, und du bist seine Freundin. Wir beide werden uns deiner Hilfe erinnern, wenn wir wieder in Oswego sind.«

»Kann sein, nie kommen zurück — wer wissen?«

»Nur Gott weiß, was geschehen wird. Unser aller Leben ist in seiner Hand. Doch glaube ich, du bist von ihm ausersehen, uns zu retten.«

»Blockhaus sehr gut«, wiederholte die Indianerin und legte einen starken Nachdruck auf diese Worte.

»Gut — ich verstehe dich, Juni, und will diese Nacht in dem Blockhaus schlafen.«

»Gut für Weib. Im Blockhaus nicht bekommen Skalp. Balken dick.«

»Du sprichst zuversichtlich, Juni, als wärest du schon darin gewesen und hättest die Wände gemessen.«

Juni lachte und nickte, sagte aber nichts.

»Kennt jemand außer dir die Lage der Insel? Sind Irokesen hier gewesen?«

Juni blickte ängstlich umher, als fürchte sie einen Lauscher. »Tuscarora überall — Oswego, hier, Mohawk — überall. Juni töten, wenn sie sehen.«

»Wir glaubten, niemand wüßte von dieser Insel.«

»Irokesen viele Augen. Auch ein Engländer Französisch sprechen.«

Mabel erschrak. Der Argwohn gegen Jasper, den sie bisher verteidigt hatte, überfiel sie lähmend. Sie nahm sich zusammen, erhob sich und ging einen Augenblick an das Fenster, um ihren Kopf dagegen zu lehnen. Sie wünschte in der Tiefe ihres Herzens, er möge schuldlos sein.

»Ich verstehe, Juni«, sagte sie endlich. »Irgend jemand hat deinen Leuten verraten, wo und wie diese Insel Zu finden ist.«

Juni lachte, denn in ihren Augen war List eher ein Verdienst als ein Verbrechen.

»Bleichgesicht jetzt alles wissen«, sagte sie. »Blockhaus gut für Mädchen — nichts an den Männern und Kriegern gelegen.«

»Mir ist aber viel an ihnen gelegen, Juni. Ich muß ihnen sagen, was vorgefallen ist.«

»Dann Juni getötet werden«, versetzte die junge Indianerin ruhig.

»Nein, man wird nicht erfahren, daß du hier gewesen bist.«

»Pfeilspitze alles wissen — alles sehen — und Juni töten. Juni kommen, Freundin zu sagen, nicht Männern zu sagen. Jeder Krieger bewachen seinen Skalp. Juni Weib und sagen Weib, nicht sagen Mann.«

Diese Erklärung betrübte Mabel, denn es war klar, daß Juni die Unterhaltung nicht fortsetzen werde. Die Indianerin sah offenbar die Lage für recht ernst an, denn sie schickte sich an, wegzugehen.

»Juni«, beteuerte nun Mabel eifrig und schlang ihre Arme um die Rothäutige, »wir sind Freundinnen. Von mir hast du nichts zu fürchten, denn niemand soll von deinem Besuch erfahren.«

Dann ging sie Junitau voraus, um diese, falls der Weg zum Ufer nicht frei sein sollte, rechtzeitig warnen zu können.

Als Junitaus Kanu das andere Ufer erreicht hatte, wartete Mabel eine Weile, in der Hoffnung, ihre indianische Freundin werde ihr noch ein Zeichen des Abschieds zuwinken. Diese aber verschwand, ohne sich noch einmal umzublicken, in den Gebüschen.

Wieder waren nun die Inseln ringsum ohne Ausnahme so still und ruhig, als ob nie jemand ihren Frieden gestört hätte. Nirgends war etwas zu sehen, was die Nähe einer Gefahr ahnen ließ. Als Mabel aber vom Ufer zurückkehrte, fand sie ein kleines Stück roten Fahnentuches. Es wehte an dem unteren Ast eines Baumes. Sie bemerkte auf den ersten Blick, daß dieses Stückchen Tuch von einer nahen Insel aus zu sehen sein müsse. Es konnte nur ein Signal für die Feinde sein, die wahrscheinlich in einem nahen Versteck lagen.

Mabel nahm das Flaggentuch ab und ging schnell weiter. Juni konnte sie getäuscht haben, aber Mabel glaubte es nicht.

»Wohin so schnell, schöne Mabel«, rief der Quartiermeister, der plötzlich vor ihr auftauchte. »Was habt Ihr denn da in der Hand?«

»Nichts — ein Stückchen Tuch — eine Flagge anscheinend, aber es ist unwichtig und — —«

»Unwichtig?« sagte Muir, nahm ihr das Flaggentuch aus der Hand und breitete es mit beiden Händen ernst und aufmerksam aus. »Ihr habt das doch nicht beim Frühstück gefunden, Miß Mabel?«

Mabel sagte ihm, wo sie das Stückchen Tuch gefunden hatte.

»Wir sind hier nicht in einem Teil der Welt, wo Fahnen und Flitter so dem Wind preisgegeben werden dürften, Mabel Dunham«, antwortete der Quartiermeister kopfschüttelnd.

»Ich dachte das selbst, Herr Muir, und nahm die Flagge weg. Sollte man meinem Oheim diesen verdächtigen Umstand nicht mitteilen?«

»Ich halte das nicht für notwendig, Mabel; denn es ist, wie Ihr selbst richtig bemerkt habt, ein Indiz, und die Indizien nehmen den würdigen Seemann oft arg mit. Aber dieses Flaggentuch sieht der Flagge der ›Wolke‹ auf ein Haar ähnlich, und mir fällt ein, daß von der Schiffsflagge ein Stück abgeschnitten war.«

Mabels Herz klopfte, aber sie besaß Selbstbeherrschung genug, zu schweigen.

»Ich habe diesen Vorfall so ernst genommen«, bemerkte sie nur, »daß ich mit der Frau des Soldaten das Blockhaus sofort beziehen werde.«

»Ich glaube nicht, daß das sehr vorteilhaft für Euch wäre, Mabel. Das Blockhaus wird der erste Platz sein, den man angreift. Ich bin stets der Ansicht gewesen, Lundie habe zuviel gewagt, als er einen so abgelegenen Posten in Besitz nahm.«

»Es ist jetzt zu spät, dies zu bedauern, Herr Muir, und wir haben nur an unsere eigene Sicherheit zu denken.«

»Und an des Königs Ehre«, rief der Quartiermeister mit Nachdruck. Mabel eilte ohne Antwort fort und war bald seinem Blick entschwunden. Der Quartiermeister blieb nachdenklich stehen und sah auf das Stück Flaggentuch, das er unentschlossen in der Hand hielt. Dann ging er und band die kleine Flagge wieder an einen Zweig des Baumes, von dem Mabel sie herabgenommen hatte. Sie war jetzt noch besser als vorher von der Wasserseite her zu sehen.

Mabel ließ inzwischen die Soldatenfrau alles Erforderliche in das Blockhaus bringen und ermahnte sie, sich den Tag hindurch immer in dessen Nähe zu halten. Sie gab keine Gründe an, sondern sagte nur, sie habe auf ihrer Wanderung über die Insel mehrere Zeichen entdeckt, die sie besorgt gemacht hätten. Daher täten sie beide gut daran, bei dem geringsten Vorfall in das Haus zu flüchten. Dann beschloß sie, ihren Onkel sowie den Korporal und seine Leute vorsichtig zu warnen.

»Mein Vater hat Euch eine große Verantwortung übertragen, Korporal«, begann Mabel, sobald sie McNab ein wenig abseits von den anderen sprechen konnte, »denn wenn die Insel in die Hände des Feindes fallen sollte, würden nicht nur wir gefangen werden, sondern aller Wahrscheinlichkeit nach auch die Truppe meines Vaters.«

»Ja, so ist’s, Miß Dunham; aber er kennt Korporal McNab.«

»Ich weiß sehr gut, daß mein Vater auf Eure Klugheit rechnet. Er erwartet sicher, daß Ihr das Blockhaus im Auge behaltet.«

»Wenn er die Ehre des 55. Regiments hinter Balken zu verteidigen wünscht, hätte er bleiben und selbst hier befehlen sollen. Diese amerikanische Art zu kämpfen, wird den Ruhm und den Mut der Armee Seiner Majestät vernichten. Wir Schotten kommen aus einer kahlen Gegend, wir brauchen keine Verstecke und haben auch keinen Gefallen daran und …«

In diesem Augenblick krachte ein Schuß; der Korporal machte einen Luftsprung, fiel vornüber und rollte auf den Rücken. Mabel schrie nicht auf, sie zitterte nicht einmal; denn das Furchtbare kam zu plötzlich. Sie beugte sich sofort zu dem Mann nieder, um ihm zu helfen. Sein Gesicht hatte den wilden Ausdruck des jäh vom Tod Überraschten.

»Ihr — müßt — ins — Blockhaus«, flüsterte der Sterbende.

Jetzt überkam Mabel däs volle Bewußtsein ihrer Lage. Sie warf einen schnellen Blick auf den zu ihren Füßen hingestreckten Mann, der kein Lebenszeichen mehr von sich gab, und floh. Nach wenigen Minuten hatte sie das Blockhaus erreicht und wollte durch die Tür, als ihr diese von der Soldatenfrau, die in ihrem blinden Schrecken nur an ihre eigene Sicherheit dachte, vor dem Gesicht zugeschlagen wurde. Während Mabel rief, Jennie möge sie einlassen, hörte man fünf oder sechs Büchsen knallen, und der neue Schrecken hinderte die kopflose Frau, die Riegel wieder zurückzuschieben. Endlich aber öffnete sie die Tür doch ein wenig, und Mabel drängte sich durch die Öffnung. Ihr ungestüm pochendes Herz beruhigte sich nun recht schnell, Selbstbeherrschung und Besonnenheit kehrten Zurück.

Sie überzeugte sich, daß keiner ihrer Freunde auf das Blockhaus zulief; erst dann schloß sie die Tür. Was sie nun sagte und tat, war völlig bedacht. Sie legte ein einziges Querholz vor die Tür und befahl Jennie zu öffnen, sobald einer der Freunde Einlaß verlangte. Dann stieg sie über die Leiter in den oberen Raum, wo sie durch eine Schießscharte die Insel so weit übersehen konnte, wie das Buschwerk es gestattete. Sorgfältig untersuchte sie die Umgebung.

Zunächst sah sie weder Freund noch Feind. Doch als sie an eine andere Schießscharte trat, die eine Aussicht auf die Stelle bot, wo McNab gefallen war, erstarrte sie. Drei Soldaten waren augenscheinlich leblos neben McNab hingestreckt. Die drei Männer mußten bei dem Schuß zum Sammelplatz geeilt sein und waren dabei von dem unsichtbaren Feind niedergeschossen worden. Cap und Leutnant Muir konnte sie aber nicht entdecken. Mit klopfendem Herzen blickte Mabel durch jede Öffnung und stieg dann in den obersten Stock des Blockhauses, von wo sie fast die ganze Insel übersehen konnte. Nirgends erblickte sie ein lebendes Wesen.

»Um des Himmels willen, Miß Mabel«, rief die Frau von unten, »sagt mir, ob einer der Unsrigen noch am Leben ist!«

Mabel wußte, daß einer der Soldaten Jennies Mann war, und sie fürchtete sich, die Wahrheit zu sagen. »Habt ein sorgsames Auge auf die Tür und öffnet sie nicht ohne meinen ausdrücklichen Befehl«, erwiderte sie darum nur.

»Oh, sagt mir, Miß Mabel, ob Ihr Sandy nicht irgendwo seht.«

»Ich sehe einige der Unsrigen um die Leiche McNabs versammelt«, antwortete Mabel.

»Sandy!« rief jetzt die Frau außer sich. »Sandy! Sandy!«

Mabel hörte die Tür in den Angeln ächzen. Sie blieb aber wie gebannt an der Schießscharte. Bald sah sie, wie Jennie durch das Gebüsch auf den Getöteten zueilte. Sobald die Frau die furchtbare Wahrheit erkannte, schlug sie die Hände zusammen und stürzte schreiend auf die Leiche des Soldaten.

Im gleichen Augenblick erscholl aus den Verstecken der Insel ein furchtbares Kriegsgeschrei. Etwa zwanzig schrecklich bemalte Indianer stürzten hervor. Pfeilspitzes Tomahawk traf die arme Jennie.

Mabel stand wie festgebannt und blickte auf die schauderhafte Szene. Sobald sie aber sah, daß der Platz, wo die Männer gefallen waren, von Wilden wimmelte, die über den glücklichen Erfolg triumphierten, fiel ihr ein, daß Jennie das Blockhaus unverriegelt gelassen hatte. Ihr Herz schlug ungestüm. Rasch eilte sie auf die Leiter zu, um hinabzusteigen und die Riegel vorzulegen.

Doch sie hatte den zweiten Stock noch nicht erreicht, als sie die Tür in ihren Angeln knarren hörte. letzt hielt sie sich für verloren. Von Schrecken erfaßt, sank sie in die Knie, um sich auf den Tod vorzubereiten. Ihr Lebenswille war aber zu mächtig, als daß sie jetzt hätte beten können. Angestrengt lauschte sie auf jeden Ton. Da hörte sie, daß die Vorlegebalken der Tür festgemacht und eingelegt wurden, und zwar nicht nur der eine, sondern alle drei. Von froher Hoffnung erfüllt, sprang sie auf, da sie glaubte, ihr Onkel sei in das Blockhaus gekommen. Schon wollte sie die Leiter hinabeilen, da hielt sie der Gedanke zurück, ein Indianer könnte eingetreten sein, um ungestört zu plündern.

Die tiefe Stille unten war jedenfalls verdächtig; sie deutete auf eine indianische List. In atembeklemmendem Schweigen stand das Mädchen am Fuße der oberen Leiter und blickte auf die Falltür, die in den unteren Raum führte. Jeden Augenblick erwartete sie, das scheußliche Gesicht eines Indianers zu sehen. Die Furcht wurde so mächtig, daß sie sich nach einem Versteck umsah. In dem Raum stand ein Anzahl Flinten. Hinter diese verkroch sich Mabel, doch so, daß sie die Falltüre genau überblicken konnte. Jetzt glaubte sie ein leises Rascheln zu hören — es war, als wenn jemand vorsichtig die untere Leiter erstiege. Dann hörte sie ein Knarren — und dies rührte, wie sie wußte, von einer Sprosse der Leiter her. Doch noch immer war nichts an der Falltür sichtbar. Ihr Ohr aber, durch die Angst unendlich geschärft, vermittelte ihr mit Sicherheit das Wissen, daß jemand nur wenige Zoll vor der Falltür sein müsse. Ihr Herzschlag setzte aus, sie war wie erstarrt. Nach wenigen Sekunden, die ihr wie Ewigkeiten dünkten, sah sie in der Türöffnung schwarzes Indianerhaar sehr langsam auftauchen. Als sich aber der ganze Kopf zeigte, erkannte Mabel das Gesicht Junis.

Erfreut sprang das Mädchen auf und eilte erlöst der Indianerin entgegen. Sie umarmten einander, und Juni lachte beglückt in süßen, zarten Tönen.

»Blockhaus gut«, sagte sie, »bekommen nicht Skalp.«

»Es ist wirklich gut, Juni«, erwiderte Mabel, »sage mir aber nun um Gottes willen, was aus meinem Oheim geworden ist.«

»Nicht hier im Blockhaus?«

»Nein — er ist nicht hier. Ich bin ganz allein. Jennie, die Frau, die bei mir war, eilte hinaus zu ihrem Mann und mußte ihre Unklugheit mit dem Leben büßen.«

»Juni wissen — Juni sehen, sehr schlimm. Pfeilspitze nicht fühlen für irgendein Weib — nicht fühlen für sein eigenes.«

»Juni, dein Leben ist hier sicher.«

»Nicht wissen — Pfeilspitze mich töten, wenn er alles erfahren.«

»Gott schütze dich, Juni! Doch sage mir, lebt mein Onkel noch?«

»Nicht tot, sonst Juni es sehen. Versteckt! Rothäute verstecken — keine Schande für Bleichgesichter.«

»Der Angriff war furchtbar rasch, Juni!«

»Tuscarora«, sagte die Indianerin, entzückt über die Geschicklichkeit ihres Gatten lachend, »Tuscarora großer Krieger!«

»Du bist zu sanft und zu gut für diese Lebensweise, Juni.«

»Yankees zu gierig — alle Jagdgründe wegnehmen. — Sechs Nationen jagen von Morgen bis Nacht — schlecht König, schlecht Volk, Bleichgesichter sehr schlecht«, antwortete Juni erregt.

Mabel wußte, daß viel Wahres in dieser Ansicht liege, aber sie fragte ablenkend:

»Und was soll ich tun, Juni? Man wird bald sehen, daß keine Besatzung hier ist, und dann wird man mich finden.«

»Pfeilspitze wissen«, antwortete Juni und hielt sechs Finger empor, um die Zahl der Männer anzudeuten. »Rote Männer alles wissen. Vier Skalp schon verlieren — zwei noch behalten.«

»Sprich nicht davon, Juni! Deine Leute können nicht wissen, daß ich allein im Blockhaus bin; sie denken vielleicht, mein Oheim und der Quartiermeister sind bei mir. Sie werden Feuer an das Haus legen.«

»Nicht brennen Blockhaus«, sagte Juni ruhig. »Blockhaus naß — viel Regen — Balken frisch — nicht leicht brennen. Rote Männer wissen — schön Ding — es verbrennen, um Yankees zu sagen, daß Irokese hier. Vater zurückkommen — Blockhaus vermissen — nicht finden. Nein — nein! Indianer zu klug — nicht anrühren.«

»Hältst du es für möglich, daß ich hier sicher bin, bis mein Vater zurückkehrt?«

»Nicht wissen — Tochter am besten sagen, wann Vater kommen.«

Mabel wollte eben eine ausweichende Antwort geben, als ein harter Schlag an die Tür sie plötzlich aufschreckte.

»Sie kommen«, rief sie, »vielleicht ist es mein Oheim, Juni, oder der Quartiermeister.«

»Warum nicht sehen? Viele Löcher da, um zu sehen gemacht.«

Mabel ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie eilte an eine der Schießscharten, die in die Balken gehauen waren und über den unteren Stock vorsprangen; vorsichtig hob sie das Holz, das die Öffnung verschloß, und sah nach, wer an der Tür war. Doch erschrocken prallte sie zurück.

»Rote Männer!« sagte Juni und hob einen Finger, um Mabel zur Vorsicht zu ermahnen.

»Vier deiner Leute sind es, Pfeilspitze ist bei ihnen«, rannte Mabel.

Juni ging zur Ecke, wo mehrere Büchsen standen. Sie hatte bereits im in die Hand genommen, zögerte einen Augenblick, dann ging sie zur Öffnung und steckte die Mündung des Gewehres durch.

»Nicht Pfeilspitze treffen«, sagte sie leise, »nicht roten Mann treffen. Nicht Feuer auf sie geben, nur erschrecken.« Sie verursachte dabei ein deutliches Geräusch, um die Aufmerksamkeit auf die Schießscharte zu ziehen, und gleich darauf rief sie lachend: »Alle fortlaufen, ehe ich Feuer geben. Sieh! Sich verstecken — alle Krieger. Glauben Salzwasser und Quartiermeister hier. Nur recht achtgeben!«

»Du verrätst mich nicht, Juni?« sagte Mabel aufatmend.

Juni gab keine Antwort, aber ihr Blick sprach Zufriedenheit und Dankbarkeit aus. Pfeilspitze hatte sie abgesandt, um Mabel vor der Gefahr zu warnen. Aber er wußte nicht, daß sie sich vorher schon auf die Insel gestohlen hatte, um die Freundin zu warnen, und daß sie jetzt mit ihr in dem Blockhaus eingeschlossen war. Im Gegenteil — er glaubte, wie Juni ihm gesagt hatte, Cap und Muir seien bei dem weißen Mädchen im Blockhaus.

»Wenn ich nur wüßte, ob mein Oheim lebt und gerettet ist?« fragte Mabel wieder.

»Juni gehen und sehen.«

»Kannst du das? Werden die Indianer dich nicht bemerken?«

Junitau beruhigte sie und erzählte ihr kurz ihre Geschichte. Pfeilspitze war als Häuptling bei seinem Stamm in Ungnade gefallen und landelte im Augenblick im Einverständnis mit den Irokesen. Er tat so, als sei er ein Freund der Engländer, und brachte den Sommer scheinbar in ihrem Dienst zu, während er in Wahrheit für die Franzosen tätig war. Auf seinen Wanderungen hatte er sein Weib bei sich. Junitaus Anwesenheit war also kein Geheimnis. Diese Mitteilungen ermutigten Mabel in dem Wunsch, ihre Freundin möchte hinausgehen und Nachricht über das Schicksal ihres Onkels einziehen. Sie kamen überein, daß die Indianerin, sobald sich eine günstige Gelegenheit zeige, das Blockhaus verlassen sollte.

Von den verschiedenen Öffnungen aus untersuchten sie zuerst die Umgebung so genau wie möglich. Sie überzeugten sich bald, daß die Indianer, welche die Vorräte der Engländer weggenommen und die Hütten geplündert hatten, ein Gelage vorbereiteten. Einige hatten schon die Leichen weggeschafft. Juni zeigte ihrer Freundin einen Indianer auf einem Baum, von wo er Nachrichten von der Annäherung jedes Bootes geben konnte. Sie war entschlossen, sich jetzt zu ihren Freunden zu begeben, da der Augenblick sehr günstig war, sich unbemerkt aus dem Blockhaus zu schleichen.

Mabel fühlte einiges Mißtrauen, als sie die Leiter hinabstieg. Im nächsten Augenblick aber schämte sie sich dieser Regung. Bei der Entriegelung der Tür wandten beide größte Vorsicht an, und als der letzte Balken sich drehte, stellte Juni sich so nahe wie möglich an die Tür und öffnete sie nicht weiter, als nötig war, um durchzuschlüpfen. Juni lief hinaus, und Mabel schloß mit einer krampfhaften Anstrengung schnell wieder den Eingang. Ihr Herz schlug hörbar, als der erste Riegel vorfiel.

Nachdem das Tor wieder gut verschlossen war, stieg sie die Leiter empor und betrachtete mit gespannter Aufmerksamkeit vom ersten Stockwerk aus alles, was um sie vorging.

Lange Stunden verstrichen, und Mabel wartete vergeblich auf Nachrichten von Juni. Doch nur das wilde Geschrei der Indianer hörte sie, die der Genuß geistiger Getränke alle Vorsicht vergessen ließ. Gegen Mittag glaubte sie, einen Weißen auf der Insel zu sehen, obgleich sie ihn nach seiner Kleidung und seinem wilden Aussehen anfangs für einen Indianer hielt. Ein näherer Blick auf sein Gesicht, das durch das Leben im Freien gebräunt war, ließ aber keinen Zweifel zu: er war ein Weißer. Da hoffte Mabel, nun ein Wesen in ihrer Nähe zu haben, einen Mann, den sie in der äußersten Not um Hilfe ansprechen könne. Sie wußte freilich nicht, wie unbedeutend der Einfluß weißer Männer auf ihre wilden Verbündeten war.

Dem eingeschlossenen Mädchen dauerte der Tag endlos lang. Doch Junis Meinung, daß das Blockhaus bis zur Rückkehr ihres Vaters unbelästigt bleiben würde, schien sich zu bestätigen. Mabels Furcht vor augenblicklicher Gefahr ließ daher etwas nach; aber die nächste Zukunft bot wenig Hoffnung. Ihre Lage war ja, solange es hell blieb, schon beunruhigend genug; als aber die Schatten der Dämmerung sich über die Insel senkten, wurde sie schrecklich.

Die Indianer hatten sich mittlerweile des größten Teils der Branntweinvorräte der Engländer bemächtigt, und ihre Ausgelassenheit kannte keine Grenzen. Alle Bemühungen ihres französischen Anführers, sie zu zügeln, waren erfolglos. Er hatte sich daher in kluger Weise auf eine nahe Insel zurückgezogen, wo er ein Zelt bewohnte.

Auch Pfeilspitze hatte sich entfernt und in eine Hütte begeben, wo er sich auf das Stroh hinstreckte und den Schlaf suchte, den zwei angestrengte Nächte nötig machten.

So war niemand bei den Indianern, der sie gehindert hätte, dem Vorschlag eines Kriegers auf Zerstörung des Blockhauses zu folgen. Im Gegenteil, dieser frevelhafte Gedanke wurde von acht oder zehn stark betrunkenen Kerlen mit einem mächtigen Freudenschrei aufgenommen. Es war ein furchtbarer Anblick für Mäbel. Die Indianer machten sich in ihrer jetzigen Stimmung nichts aus den Gewehren im Blockhaus. Heulend und springend, scheußlichen Teufeln ähnlich, nahten sie sich.

Zuerst versuchten sie, die Tür zu sprengen, und rannten gemeinsam gegen sie an. Doch die Festigkeit der Riegel widerstand diesem Versuch. Da folgte dem vergeblichen Toben plötzlich eine Ruhe, deren Grund Mabel nicht sogleich erkennen konnte, die ihr aber unheimlich war. Endlich sah sie, daß einige Irokesen die Asche des bereits erloschenen Feuers durchwühlten, glühende Kohlen fanden und sich bemühten, sie wieder anzublasen. Wirklich gelang es ihnen, mit Hilfe trockener Blätter die Flamme zu entzünden. Mabel sah jetzt, daß die Indianer Holz an der Türe aufhäuften. Das Gestrüpp fing bald Feuer. Von Zweig zu Zweig leckte die Flamme fort. Bald hatte sie die ganze Masse des Holzes ergriffen und krachte und loderte züngelnd empor.

Die Indianer jubelten vor Freude. Mabel war kaum fähig, sich von der Stelle zu bewegen. Immer höher stiegen die Flammen, und mit einemmal schoß durch die Schießscharte ein greller Feuerstrahl.

Nun glaubte Mabel, ihre letzte Stunde sei gekommen. In einer Ecke aber stand ein Wasserfaß, und mehr von Instinkt als von Überlegung getrieben, ergriff sie einen Eimer und schüttete das Wasser durch die Öffnung. Es gelang ihr, die bereits schwelenden Balken zu löschen. Einige Minuten lang hinderte sie der Rauch hinzusehen; als sie aber schließlich doch hinunterblickte, wollte sie vor Freude fast aufjubeln. Sie sah, daß der brennende Holzstoß zerstreut war und daß man Wasser auf die Balken an der Tür gegossen hatte, die zwar noch rauchten, aber nicht mehr brannten.

»Wer ist unten?« rief Mabel durch die Öffnung. Da vernahm sie Schritte und gleich darauf ein leises Klopfen an der Tür.

»Seid Ihr es, Oheim?« flüsterte sie.

»Salzwasser nicht hier. Schnell öffnen — eintreten müssen.«

Nie war Mabels Schritt leichter. Sie öffnete die Tür rasch und ohne Vorsicht. Juni trat ein.

»Gruß und Dank, Juni!« rief Mabel und umarmte die Freundin.

»Nicht so fest umklammern«, antwortete das Tuscaroraweib. »Bleichgesichter alle weinen oder alle lachen. Lassen Juni Tür festmachen.«

Nach wenigen Minuten waren beide wieder im oberen Stock.

»Nun sag mir, Juni«, begann Mabel, »hast du etwas von meinem Oheim gesehen oder gehört?«

»Nichts wissen. Niemand ihn sehen — niemand ihn hören — niemand etwas wissen. Salzwasser in den Fluß gelaufen, ich denken, denn ich ihn nicht finden. Quartiermeister auch fort.«

»Gelobt sei Gott! Sie fanden gewiß Gelegenheit zur Flucht. Juni, gibt es kein Mittel, um zu verhindern, daß mein Vater in die Hände der Feinde fällt?«

»Nicht wissen — glauben, Krieger warten im Hinterhalt und Yankees verlieren viel Skalp.«

»Gewiß, Juni, du hast zuviel für die Tochter getan, um dem Vater nicht auch noch zu helfen.«

»Nicht kennen Vater — nicht lieben Vater — Juni ihrem eigenen Volk helfen. — Pfeilspitze helfen — Mann Skalp gern haben.«

»Juni, so kannst du nicht sprechen. Nie werde ich glauben, daß du einen der Unsrigen gemordet sehen willst.«

Juni richtete ihre dunklen Augen auf Mabel; einen Augenblick war ihr Antlitz streng und ernst. »Lilie — Yankeemädchen?«

»Gewiß — und als Yankeemädchen möchte ich meine Landsleute vor Mördern retten.«

»Sehr recht — wenn können. Juni nicht Yankee, Juni Tuscarora — haben Tuscarora Mann — Tuscarora Herz — Tuscarora Gefühl — ganz Tuscarora.«

»Aber du rettest mein Leben! Warum hast du das getan?«

»Nicht nur fühlen wie Tuscarora — fühlen wie Frau — fühlen wie Weib. Lieben die schöne Lilie und in meinen Schutz nehmen.«

Mabel weinte und drückte die Freundin an ihr Herz. »Laß mich das Schlimmste wissen, Juni«, sagte sie endlich.

»Nicht wissen — fürchten, Pfeilspitze zu sehen — fürchten zu fragen. Glauben, verstecken, bis Yankee kommen.«

»Werden sie noch etwas gegen das Blockhaus unternehmen?«

»Zuviel Rum! Alle schlafen.«

»Und du glaubst, ich bin wenigstens heute nacht in Sicherheit?«;

»Glauben das — drum bleiben Lilie, wo sie sein — Blockhaus gut — nicht bekommen Skalp.«

»Könnte ich nicht fliehen? Sind nicht mehrere Kanus in der Bucht? Könnte ich nicht eines nehmen und meinem Vater Nachricht bringen?«

»Wissen, wie rudern?« Juni sah ihre Freundin fragend an.

»Vielleicht nicht so gut wie du, aber gut genug, um am Morgen weit, weit von der Insel zu sein.«

»Was dann tun? — Nicht können rudern sechs — zehn Meilen.«

»Ich weiß es nicht — ich könnte es wohl, um Vater und Pfadfinder und alle anderen vor der Gefahr zu warnen.«

»Gut sein Pfadfinder?«

»Alle sind ihm gut, die ihn kennen — du würdest ihm auch gut sein, wenn du sein Herz kenntest.«

»Ihn nicht mögen — gar nicht. Zu gute Büchse — zu gute Augen — zuviel erschießen Junis Volk.«

»Ich muß ihn retten, Juni, wenn ich kann. Ich will, solange die Indianer schlafen, ein Kanu suchen und die Insel verlassen.«

»Nicht können — Juni dich nicht lassen. Rufen Pfeilspitze. Juni Lilie nicht lassen helfen dem Feind.«

»Ich verstehe dich, Juni, du bist gerecht. Ich bleibe hier, aber sage mir: Wirst du mich die Tür des Blockhauses öffnen lassen, wenn mein Oheim in der Nacht kommt?«

»Ja — er Gefangener hier, und Juni Gefangene lieber haben als Skalp. Skalp gut für Ehre — Gefangener gut für Herz. Aber Salzwasser so gut verstecken, er selbst nicht wissen, wo er sein.« Junitau lachte in ihrer fröhlichen, kindlichen Weise.

Es folgte nun eine lange und lebhafte Unterhaltung, in der sich Mabel bemühte, bestimmtere Nachrichten von ihrer Lage zu erhalten. Juni beantwortete alle ihre Fragen einfach, aber mit einer Vorsicht, die bewies, daß sie wohl zu bedenken wußte, was die Sicherheit ihrer Freunde gefährden konnte. Schließlich vermochte sich Mabel ein ungefähres Bild von den Ursachen der jüngsten Ereignisse zu machen: Bei dem Angriff auf die Insel war Pfeilspitze der Anführer gewesen, wenn auch ein Franzose die oberste Leitung übernommen hatte. Die Franzosen hatten die Lage der Insel erst kürzlich durch Verrat kennengelernt. Mabel war über diese Tatsache tief betroffen. Abersie konnte nichts Genaueres erfahren, und das Gespräch wandte sich bald anderen Dingen zu. Gegen Morgen machte jedoch die Natur ihre Rechte geltend. Mabel ließ sich überreden, auf einem Strohlager auszuruhen, wo sie bald in tiefen Schlaf versank. Juni legte sich erschöpft an ihrer Seite zur Ruhe nieder.

Als Mabel erwachte, strömte das Morgenlicht durch die Schießscharten herein, und sie stellte fest, daß es schon spät war. Juni schlief noch fest. Mabels Bewegungen weckten aber die Indianerin bald auf, und beide eilten an die Schießscharten, um festzustellen, was draußen vorging. Sie traten von einer Öffnung zur anderen, ohne Spuren von menschlichen Wesen auf der Insel zu sehen. Da, wo McNab und seine Gefährten gekocht hatten, brannte ein schwaches Feuer, als wenn der Rauch bestimmt wäre, die Abwesenden heranzulocken, und rings um die Hütten war alles wie früher, geordnet und zurechtgestellt.

Mabel aber schrak plötzlich zurück, als sie eine Gruppe von drei Soldaten in der roten Uniform des 55. Regiments bemerkte, die im Grase saßen, als wenn sie in der größten Sicherheit miteinander plauderten. Ihr Blut erstarrte, als sie bei einem zweiten Hinsehen die blutlosen Gesichter und die glasigen Augen der Toten erkannte. Sie saßen dem Blockhaus so nahe, daß Mabel sie zuerst übersehen hatte. Ihre Stellungen waren so, daß man glauben konnte, sie lebten.

Mabel schauderte vor der berechnenden Kälte und der ihr unfaßbaren Grausamkeit der Indianer zurück. Zugleich erkannte sie die Gefahr, die darin lag, wenn ihr Vater und seine Leute sich wirklich täuschen ließen. Eine schreckliche Angst erfaßte sie.

Nachdem Juni die Ufer der Insel sorgfältig untersucht hatte, zeigte sie ihrer Freundin den vierten Soldaten, dessen Füße über dem Wasser hingen, während er rücklings an einen jungen Baum gebunden war und eine Angelrute in der Hand hielt. Mabel erblaßte und wandte sich ab, bis ein leiser Ruf der Freundin sie wieder an eine der Schießscharten lockte. Juni hatte Jennies Leiche entdeckt, die an die Tür einer Hütte gestellt war und sich vorbeugte, als wenn sie nach der Gruppe der Männer schaute. Das Band ihrer Haube flatterte im Wind. In der Hand hielt sie einen Besen.

»Juni, Juni«, rief Mabel jetzt entsetzt, »von einer so schauerlichen Tat habe ich nie gehört und hätte sie nie für möglich gehalten.«

»Tuscarora sehr listig«, sagte Juni ruhig. »Irokesen gut tun — nun machen Leichen helfen. — Hernach sie verbrennen.«

Diese Worte ließen Mabel fühlen, wie fern sie der Indianerin stand. Es dauerte mehrere Minuten, bis sie wieder sprechen konnte. Juni hatte keine Ahnung von diesem Widerwillen und machte sich daran, das einfache Frühstück zu bereiten. Mabel aß kaum, aber Juni ließ es sich schmecken, als wäre nichts vorgefallen. Sie hatten nun wieder Muße, ihren Gedanken nachzuhängen und die Insel zu überschauen. So stark auch bei Mabel der Wunsch war, stets an den Schießscharten zu sein, so ging sie doch selten dahin, ohne sich vor Widerwillen schnell wieder abzuwenden. Sobald aber die Blätter rauschten oder der Wind sich rührte, trieb die Furcht sie wieder an die Öffnungen.

Den ganzen langen Tag war weder ein Indianer noch ein Franzose zu sehen, und über das endlose Warten wurde es Abend.

Die zweite Nacht war bei weitem ruhiger. Mabel schlief zuversichtlicher, denn sie wußte jetzt, daß über ihr Schicksal erst entschieden würde, wenn ihr Vater zurückkehrte.

Für den kommenden Tag wurde der Sergeant erwartet, und als Mabel erwachte, eilte sie sogleich an die Schießscharten, um sich über den Stand des Wetters und die Lage auf der Insel zu vergewissern. Die schreckliche Gruppe saß noch immer auf dem Gras, der Fischer hing noch über dem Wasser, und das verzerrte Gesicht Jennies blickte in schauderhaftem Grinsen aus der Hütte. Der Wind blies frisch aus Süden, doch die Luft war mild.

»Es wird immer unerträglicher, Juni«, sagte Mabel, als sie die Öffnung verließ. »Lieber wollte ich den Feind sehen, als länger auf dieses furchtbare Schauspiel blicken zu müssen.«

»Still — hier sie kommen —, Juni glauben, ein Schrei hergekommen, wie Krieger schreien, wenn nehmen Skalp.«

»Was sagst du? Es ist nicht möglich!«

»Salzwasser!« rief Juni, als sie durch eine Schießscharte schaute.

»Mein lieber Oheim! Gott sei Dank! Er lebt also! Juni, du wirst nicht zugeben, daß man ihm ein Leid zufügt.«

»Juni — arme Squaw. Pfeilspitze ihn hier bringen.«

Mabel war jetzt an der Schießscharte und sah, daß acht oder zehn Indianer ihren Oheim und den Quartiermeister zum Blockhausl brachten. Ihre Gefangennahme hatte dem Feind gezeigt, daß keine Männer im Hause sein konnten. Mabel wagte kaum, Atem zu holen, bis die ganze Schar unmittelbar vor der Tür stand, wo sie zu ihrer Beruhigung gewahrte, daß auch der französische Offizier sich unter ihnen befand. Eine leise Zwiesprache folgte. Der weiße Anführer wie auch Pfeilspitze schienen ihren Gefangenen ernst zuzureden, worauf der Quartiermeister vortrat.

»Schöne Mabel«, rief er laut, »blickt aus einer Schießscharte und erbarmt Euch unserer Lage. Man droht uns mit augenblicklichem Tod, wenn Ihr den Siegern die Tür nicht öffnet.«

Mabel war entschlossen, den Platz so lange wie möglich zu halten. »Sagt mir ein Wort, lieber Oheim«, rief sie durch die Öffnung, »laßt mich hören, was ich tun soll.«

»Gott sei Dank, Mabel, du lebst!« rief Cap. »Ich würde niemandem raten, zu öffnen. Bleib nur, wo du bist.«

Der Quartiermeister wollte widersprechen, aber Mabel rief: »Ich werde im Blockhaus bleiben, bis das Schicksal der Insel entschieden ist!«

»Nicht verlassen Blockhaus«, flüsterte Juni, die an Mabels Seite stand und auf alles achtete, was um sie vorging. »Blockhaus gut — hier nicht bekommen Skalp.«

Ohne Junis Einsprüche hätte Mabel vielleicht nachgegeben, denn Muir wollte ihr von neuem das Unsinnige ihrer Weigerung klarmachen. Sie ließ sich aber auf keine weiteren Verhandlungen ein und rief:

»Herr Muir, Ihr scheint die Stärke des Blockhauses nicht zu kennen. Wollt Ihr sehen, was ich tun kann, um es zu schützen?«

»Das möchte ich sehen!« rief der Quartiermeister ungeduldig.

»Seht auf die Schießscharte im oberen Stock«, rief Mabel.

Nun richteten sich aller Augen nach oben und erblickten die Mündung einer Büchse, die vorsichtig durch eine Öffnung geschoben wurde, denn Juni hatte wieder einmal ihre Zuflucht zur List genommen. Der Erfolg täuschte die Erwartung nicht.

Kaum sahen die Indianer das verhängnisvolle Rohr, als sie auch schon zur Seite sprangen und schnell hinter einem Versteck verschwanden. Der französische Offizier aber faßte den Lauf der Büchse ins Auge, um sich zu überzeugen, daß sie nicht auf ihn gerichtet war. Dann nahm er kaltblütig eine Prise Tabak.

»Seid klug, schöne Mabel«, rief Muir jetzt. »Reizt die Leute nicht zum Kampf!«

»Was haltet Ihr von Pfadfinder, Herr Muir, als Besatzung eines so starken Postens?« rief Mabel entschlossen als Antwort.

Bei diesem gefürchteten Namen zog sich der französische Offizier sofort zurück. Er befahl den Gefangenen, ihm unverzüglich zu folgen, und Mabels List war völlig gelungen.

Wieder vergingen drei bis vier Stunden. Die Insel lag nun in tiefer Ruhe, und der Tag neigte sich seinem Ende zu. Juni bereitete in dem Erdgeschoß das einfache Mahl, und Mabel stieg auf das Dach, das mit einer Falltür versehen war. Von hier bot sich die beste Aussicht, die man auf die Insel finden konnte. Das Mädchen wagte nicht, sich sehen zu lassen. Sie hob vorsichtig und langsam den Kopf über die Falltür, von wo aus sie im Lauf des Abends die verschiedenen Zugänge zu den Inseln immer wieder überblickte.

Die Sonne war schließlich untergegangen, und von den Booten war noch immer nichts zu sehen und zu hören. Mabel stieg in der Hoffnung, ihr Vater würde in der Dämmerung kommen, zum letztenmal auf das Dach. Aufmerksam überschaute sie den ganzen Horizont. Eben war sie im Begriff, den Kopf wieder zurückzuziehen, als etwas ihre Aufmerksamkeit fesselte. Die Inseln lagen so dicht beisammen, daß man sechs bis acht verschiedene Kanäle überblicken konnte, und in einem der verstecktesten lag ein Rindenkanu. Es konnte kein Zweifel darüber bestehen — ein menschliches Wesen saß in dem Kanu.

Ungewiß, ob es Freund oder Feind war, ließ Mabel schnell eine kleine Flagge wehen, die sie für ihren Vater gemacht hatte, und paßte auf, daß man sie von der Insel aus nicht sehen konnte. Sie hatte das Zeichen acht- bis zehnmal wiederholt und begann schon zu verzweifeln, als sie plötzlich bemerkte, daß ein Ruder sich erhob und hin und her bewegt wurde. Schließlich erkannte sie Chingachgook.

Endlich war ein Freund erschienen, der ihr Hilfe bringen konnte. Von diesem Augenblick an lebte sie neu auf. Der Mohikaner hatte sie gesehen — er mußte sie erkannt haben, da er wußte, daß sie die Reise mitgemacht hatte. Sobald es dunkel genug war, tat er sicher die nötigen Schritte, sie zu befreien. Das Haupthindernis war jetzt Juni, denn Mabel kannte deren Treue gegen ihr Volk viel zu gut, als daß sie hätte glauben können, sie würde einen feindlichen Indianer in das Blockhaus eintreten lassen. Sie mußte also die bewährte Freundin täuschen. Die Zeit drängte, denn der Mohikaner konnte jeden Augenblick kommen und sich, wenn sie nicht bereit war, ihm zu öffnen, wieder entfernen. Es mußte für ihn höchst gefährlich sein, lange auf der Insel zu bleiben.

Sie mußte also auf jeden Fall Juni aus dem unteren Raum entfernen.

»Fürchtest du nicht, Juni, daß die Irokesen wieder versuchen werden, das Blockhaus in Brand zu stecken?« fragte sie vorsichtig.

»Nicht denken so etwas. Nicht brennen Blockhaus; Blockhaus gut; nicht bekommen Skalp.«

»Mir ist unbehaglich zumute, Juni, vielleicht gehst du wieder aufs Dach und hältst Ausschau.«

»Lilie wünschen, Juni gehen, aber wissen sehr wohl, Indianer schlafen und warten auf Vater. Krieger essen, trinken, schlafen immer und immer, wenn nicht kämpfen oder auf Kriegspfad wandeln. Dann nie schlafen, essen, trinken. Aber Krieger jetzt schlafen.«

»Trotzdem geh lieber hinauf, Juni, und schau dich um. Ich will hinabgehen und an der Tür lauschen. Auf diese Weise sind wir oben und unten auf der Hut.«

Die beiden trennten sich, und kaum war Mabel in dem untersten Raum, als sie ein leises, vorsichtiges Pochen an der Tür zu hören glaubte. In ihrem ängstlichen Eifer, Chingachgook wissen zu lassen, daß sie in der Nähe sei, fing sie leise zu singen an. So tief war die Stille, daß die Töne auf dem Dach zu hören waren. Juni begann sofort niederzusteigen. Unmittelbar darauf hörte Mabel wieder ein leises Pochen an der Tür und war außer sich. Keinen Augenblick glaubte sie verlieren zu dürfen und begann mit zitternder Hand die Tür zu entriegeln. Auf dem Flur über sich hörte sie schon die leisen Tritte Junis, und erst ein Riegel war gehoben. Als sie den zweiten hob, erschien die Indianerin auf der unteren Leiter.

»Was du tun?« rief Juni, »Blockhaus verlassen? Blockhaus gut.«

Beide hatten ihre Hände an dem letzten Riegel, der entfernt worden wäre, hätte nicht ein kräftiger Druck von außen den Balken eingepreßt. Ein kurzes Ringen folgte, und wahrscheinlich hätte Juni den Sieg davongetragen, wenn nicht ein zweiter kräftiger Stoß von außen in dem Augenblick, da der Riegel sich hob, die Tür geöffnet hätte. Mabel und Juni sahen einen Mann eintreten und flohen die Leiter hinauf.

Der Fremde schloß die Tür, untersuchte sorgfältig das ganze Erdgeschoß und stieg bedächtig die Leiter hinauf. Beide Mädchen harrten nun in atemloser Spannung auf den Mann, dessen leisen Schritt sie hören konnten. Als der Fremde endlich durch die Falltür heraufstieg, erkannten sie überrascht den Pfadfinder.

»Gott sei Dank!« rief Mabel froh. »Ach, Pfadfinder, was ist aus meinem Vater geworden?«

»Der Sergeant ist bis jetzt wohlbehalten und siegreich. Aber sagt mir, Mabel, ist das nicht das Weib des Tuscarora, das sich dort in die Ecke verkriecht?«

»Ich habe ihr mein Leben und meine Sicherheit zu verdanken. Sagt mir aber erst, warum Ihr hier seid, dann will ich Euch alle Ereignisse erzählen.«

Pfadfinder hatte keine Eile, setzte sich umständlich nieder und begann zu erzählen.

»Alles schlug auf unserer Fahrt so aus, wie wir gehofft hatten. Die Schlange war auf dem Posten und brachte uns alle Neuigkeiten. Wir überfielen drei Boote, jagten die Franzosen heraus und versenkten die Schiffe, ohne einen Mann zu verlieren. Es war ein Ausflug nach Lundies Geschmack — der Feind litt viel und wir selbst wenig. Sobald der Sergeant sah, daß ihm der Handstreich gelungen war, schickte er mich und die Schlange in Kanus hinauf, um Euch zu benachrichtigen. Er selbst wird in zwei Booten folgen, die allerdings vor morgen nicht einlangen können. Am Nachmittag trennte ich mich von Chingachgook. Wir verabredeten miteinander, uns der Insel auf verschiedenen Wegen zu nähern, um zu sehen, ob der Pfad rein sei. Seither habe ich den Häuptling nicht mehr gesehen.«

Mabel unterbrach den Pfadfinder und erzählte ihm, wo sie den Mohikaner entdeckt und ihm Zeichen gegeben hatte. Sie meinte, er werde auch ins Blockhaus kommen.

»Nein, Mabel! Ein ordentlicher Kundschafter begibt sich nie hinter Balken und Mauern, solange er im Freien bleiben und nützliche Beschäftigung finden kann. Ich selbst wäre nicht gekommen, Mabel, hätte ich nicht für Eure Sicherheit sorgen wollen. Ich untersuchte die Insel heute nachmittag mit schwerem Herzen. Es war eine bittere Stunde, da ich fürchten mußte, Ihr könntet unter den Erschlagenen sein. Diese Teufeleien mit toten Menschen können nur die Soldaten und Offiziere des Regiments täuschen. Ich kam den Wasserpfad, gerade dem angeblichen Fischer gegenüber, herunter; und obgleich die Teufel den armen Schelm kunstvoll hingepflanzt hatten, war es doch nicht natürlich genug, um ein geübtes Auge zu täuschen. Die Angelrute stand zu hoch, und dann war der Mann zu ruhig. Weder die Schlange noch ich lassen uns durch solche Streiche fangen.«

»Glaubt Ihr, mein Vater und seine Leute können überlistet werden?« fragte Mabel rasch.

»Nicht, wenn ich’s verhindern kann, Mabel.«

»Pfadfinder«, sagte Mabel jetzt feierlich, denn die schrecklichen Szenen, deren Zeuge sie gewesen, malten ihr den Tod in den furchtbarsten Farben; »Pfadfinder, Ihr habt gesagt, daß Ihr mich liebt und mich zu Eurem Weib wünscht?«

»Ich wagte es, über diesen Gegenstand mit Euch zu sprechen, Mabel.«

»Hört mich also, Pfadfinder: Rettet meinen Vater von diesem fürchterlichen Tod, und ich verspreche Euch, Euer Weib werden zu wollen. Hier ist meine Hand; feierlich verpflichte ich mich, Wort zu halten, sobald Ihr kommt, um Eure Ansprüche auf sie geltend zu machen.«

»Gott segne Euch, Mabel! Das ist mehr, als ich verdiene. Das ist ein Glück, das ich nicht erwartete. Eure Worte sind süß, Mabel, aber es bedurfte ihrer nicht. Ich werde alles tun, was in menschlicher Kraft steht.«

»Laßt uns keinen der kostbaren Augenblicke verlieren, die vielleicht von unberechenbarem Wert sind. Können wir nicht in Euern Kahn eilen und meinem Vater entgegenfahren?«

»Still«, unterbrach sie der Jäger plötzlich, »was ist das?«

»Es hört sich an wie Ruderschlag — ein Boot scheint durch den Kanal zu kommen.«

Pfadfinder schloß die Tür, die in den unteren Raum führte, um Juni nicht entschlüpfen zu lassen, und eilte an eine Schießscharte; in atemloser Spannung schaute Mabel über seine Schulter.

Zwei Boote kamen den nahen Kanal herauf und legten etwa fünfzig Schritt vor dem Blockhaus am Ufer an. Nach einer Weile sah man eine Anzahl Leute die Boote verlassen, und dann hörte man englische Rufe die keinen Zweifel mehr ließen, wer die Gelandeten waren. Pfadfinder sprang sofort an die Tür, hob sie auf, glitt die Leiter hinab und begann die untere Tür zu entriegeln. Mabel war ihm rasch gefolgt, doch bevor sie noch die Tür erreichte, vernahm man schon eine Salve von Büchsenschüssen und das Kriegsgeschrei der Indianer.

Pfadfinder schob die Riegel auf, eilte mit Mabel ins Freie. Kein Ton, kein Laut war jetzt zu hören. Als der Jäger einen Augenblick stillstand, glaubte er, ein leises Ächzen aus der Gegend der Boote her zu hören. Mabel wurde von ihren Gefühlen fortgerissen. Sie wollte an Pfadfinder vorbei zu den Booten eilen.

»Nur das nicht, Mabel«, rief der Kundschafter leise und hielt sie zurück. »Sicherer Tod wäre die Folge, und Ihr könnt niemandem nützen. Wir müssen ins Blockhaus zurück.«

»Vater! Mein armer, guter Vater!« rief das Mädchen außer sich.

In diesem Augenblick bemerkte Pfadfinder vier oder fünf Gestalten, die niedergebückt an ihm vorbeischleichen wollten, um ihnen den Rückweg in das Blockhaus abzuschneiden. Im Nu ergriff er Mabel, nahm sie, als wäre sie ein Kind, auf den Arm und sprang mit mächtigen Schritten zum Blockhaus zurück. Die Verfolger schienen ihnen unmittelbar auf den Fersen zu sein. Pfadfinder konnte sich jedoch nicht umsehen, denn es ging um Sekunden.

Im Haus ließ er seine Last sofort niedergleiten und schloß die Tür. Er hatte erst einen Riegel vorgelegt, als ein Stoß die feste Holzmasse traf, der sie aus den Angeln zu sprengen drohte. Im Augenblick lagen die anderen Riegel vor.

Mabel stieg in den ersten Stock empor, während Pfadfinder als Wache unten blieb. Er untersuchte nun das Haus sorgfältig, um sich zu überzeugen, daß sich niemand eingeschlichen hatte. Doch außer ihm und Mabel — denn Juni war mittlerweile entwischt — atmete kein menschliches Wesen im Blockhaus.

»Das Schlimmste, was zu befürchten war, ist eingetroffen«, sagte Mabel in großer Erregung, »mein Vater und alle, die mit ihm waren, sind tot oder gefangen.«

»Das wissen wir jetzt noch nicht; erst morgen früh werden wir alles erfahren. Ich glaube jedoch nicht —«

»Still«, unterbrach ihn Mabel, »ich höre Ächzen.«

»Einbildung, Mabel. Alles ist totenstill.«

»Nein — nein, ich irre mich nicht, jemand ist unten!«

Pfadfinder mußte jetzt zugeben, daß Mabels scharfes Ohr sie nicht getäuscht hatte.

»Wir werden bald wissen«, sagte er, »ob es ein Freund oder ein Feind ist. Jedenfalls werde ich durch eine Schießscharte mit dem Mann sprechen.«

Er brachte seinen Mund der Öffnung so nahe, daß er gehört werden 3 konnte, ohne laut sprechen zu müssen. »Wer ist unten?« rief er mehrmals leise.

»Pfadfinder!« antwortete die Stimme des Sergeanten. »Um Gottes willen, sagt mir, was ist aus meiner Tochter geworden?«

»Vater, ich bin hier!« rief Mabel ohne jede Vorsicht.

Beide hörten jetzt ein leises Ächzen. Sie stiegen sofort in den unteren Raum, und Pfadfinder entriegelte vorsichtig die Tür. Da stürzte Sergeant Dunhams schwerverletzter Körper in die schmale Öffnung. Pfadfinder brauchte nur eine Sekunde, um den Freund hereinzuziehen und die Riegel vorzulegen.

Mabel aber benahm sich jetzt sehr tapfer; sie benetzte die trockenen Lippen des Vaters mit Wasser, bereitete ein Strohlager und machte aus Kleidern ein Kissen für sein Haupt.

8

Seitdem das Licht angezündet war, blickte der Sergeant unentwegt und wie gebannt auf seine Tochter. Man hatte ihn im Erdgeschoß gelassen, da es an den nötigen Mitteln fehlte, ihn nach oben zu bringen.

»Gott sei gelobt, mein Kind! Du wenigstens bist den mörderischen Schüssen entgangen«, sagte der alte Mann nach einer Weile. »Erzählt mir, was geschah, Pfadfinder!«

»Ach, Sergeant, Verräterei ist im Spiel — man hat dem Feind die Insel gezeigt; aber —«

»Major Duncan hatte recht«, sagte Dunham stöhnend.

»Nicht in dem Sinn, wie Ihr es meint, Sergeant — nein, es lebt kein treueres Herz an der Grenze als Jasper Western.«

»Gott segne Euch für dieses Wort, Pfadfinder!« rief Mabel leidenschaftlich, während sie sich tränenüberströmt zu ihrem Vater setzte.

Jetzt erzählte Pfadfinder kurz, was sich auf der Insel zugetragen hatte. Aufmerksam hörte Dunham zu. Nach einer Weile streckte er die Hand aus. Mabel nahm sie in die ihre und küßte sie. Dann kniete sie an seiner Seite nieder und weinte, als wenn ihr das Herz brechen müßte.

»Mabel«, sagte der Sergeant leise, »Gottes Wille muß geschehen. Meine Zeit ist gekommen, und es ist ein Trost für mich, wie ein Krieger zu sterben. Lundie wird mir Gerechtigkeit widerfahren lassen; denn unser guter Freund Pfadfinder weiß, wie sich alles zutrug. — Pfadfinder! Mabel!« fuhr er nach einer Weile fort, während die Schmerzen ihm den kalten Schweiß auf die Stirn trieben, »kommt beide an meine Seite! Ihr versteht einander, hoffe ich. Hier, Pfadfinder, nehmt sie. Ich kann nicht mehr tun, als Euch das Mädel auf diese Weise geben. Ich weiß, Ihr werdet ihr ein liebevoller Gatte sein. Vor dem Eintritt des Winters wird ein Geistlicher im Fort eintreffen. Laßt euch dann trauen. Mein Schwager, wenn er noch am Leben ist, wird sich nach dem Meer zurücksehnen, und dann wird das Kind keinen Beschützer haben. Mabel, reich mir das Wasser; du wirst diese Nacht nie bereuen. Gott segne dich, meine Tochter, und bewahre dich unter seinem heiligen Schutz!«

Diese zärtliche Sorge machte einen tiefen Eindruck auf Mabel, und es war in diesem Augenblick, als ob ihre künftige Verbindung mit Pfadfinder eine Weihe empfangen hätte, die keine kirchliche Zeremonie hätte erhöhen können. Und doch lag eine Bergeslast auf ihrem Herzen, und sie würde den Tod für ein Glück gehalten haben.

Nach einer Weile fühlte sich der Sergeant etwas gekräftigt, und nun erzählte er in gebrochenen Worten, was sich begeben hatte, seit die Große Schlange und der Jäger ihn verlassen hatten. Der Wind war günstiger geworden, und daher beschloß er, statt auf einer Insel zu bleiben, die Reise fortzusetzen und in der Nacht an der Station anzulegen. Man würde ihre Annäherung nicht bemerkt haben und das Unglück wäre verhütet worden, wären sie nicht an der Spitze einer benachbarten Insel auf Sand gelaufen, wo ohne Zweifel der Lärm, den seine Leute machten, ihr Kommen verraten hatte. Abends waren sie dann gelandet, ohne auch nur im entferntesten an Gefahr zu denken, wenn es sie auch überraschte, keine Wache vorzufinden. Die Schüsse fielen aus solcher Nähe, daß sie trotz der Dunkelheit tödlich wirkten. Alle Soldaten ohne Ausnahme waren getroffen worden, und nur zwei der drei erhoben sich später wieder und verschwanden. Dabei war es auffallend, daß der Feind nicht, wie gewöhnlich, herbeistürmte, um die Skalpe zu nehmen. Auch Sergeant Dunham hatte einen Schuß abbekommen. Der Angstruf Mabels aber, deren Stimme er erkannte, als sie aus dem Blockhaus lief, hatte ihm die Kraft gegeben, langsam auf den Knien bis an die Tür des Gebäudes zu kriechen …

Pfadfinder beobachtete durch die Schießscharten die Vorgänge auf der Insel und untersuchte die Büchsen. Mabel aber wich keinen Augenblick von der Seite ihres Vaters. Als sie ihn schlafend glaubte, kniete sie nieder und betete. Die folgende halbe Stunde war ungemein feierlich und still. Man hörte nur den Tritt Pfadfinders im oberen Stock und das schwache Atmen des Verwundeten.

Plötzlich vernahm Mabel ein leises Pochen an der Tür. In der Meinung, es sei Chingachgook, stand sie auf, entfernte zwei Riegel und fragte, den dritten in der Hand haltend, wer draußen sei. Sie erkannte die Stimme ihres Onkels. Ohne zu zögern, entfernte sie den Riegel. Cap trat ein, und Mabel verriegelte die Tür schnell wieder.

Dem rauhen Seemann waren die Tränen nahe, als er sah, in welchem Zustand sich sein Schwager befand. Er erzählte, man habe ihn, Cap, sorglos bewacht, da man glaubte, er und der Quartiermeister schliefen infolge der geistigen Getränke, die man ihnen in Fülle gegeben hatte. Muir hatte er in wirklichem oder geheucheltem Schlaf verlassen er selbst aber war beim ersten Angriffslärm in die Gebüsche geflohen. Dann hatte er Pfadfinders Kanu gefunden und war zum Blockhaus gerudert, um mit seiner Nichte auf dem Wasserweg zu entfliehen. Jetzt war er natürlich bereit, das Blockhaus zu verteidigen.

»Im schlimmsten Fall, Meister Pfadfinder«, sagte er, »müssen wir die Flagge streichen, und das gibt uns Ansprüche auf Gnade. Ich erwartete, Muir würde ebenso handeln, als wir von diesen Burschen gefangen wurden. Als nämlich die Wilden den Angriff auf uns machten und Corporal McNab und seine Leute töteten, als wären sie bloß Kaninchen, flüchteten Leutnant Mair und ich in eine der Höhlen dieser Insel. Dort blieben wir, bis Mangel an Nahrung uns heraustrieb. Ich forderte den Quartiermeister auf, wegen der Übergabe zu unterhandeln, denn wir hätten uns ein oder zwei Stunden in dem Loch verteidigen können, so schlecht es auch war. Aber er lehnte es ab, weil die Schurken, wie er sagte, nicht Wort halten würden.«

»Oheim«, sagte Mabel traurig, »mein armer Vater ist schwer verwundet.«

»Ja, Magnet, ja; ich will mich zu ihm setzen und ihn trösten. Sind die Riegel fest eingelegt, Mädchen? Gut, Magnet — geh in den oberen Stock und such dich zu fassen! Der Vater hat mir vielleicht etwas im Vertrauen mitzuteilen, und da wird es gut sein, uns allein zu lassen.«

Mabel entfernte sich; Pfadfinder war bereits auf das Dach gestiegen, um den Feind zu beobachten. Cap setzte sich an die Seite des Sergeanten und beide sprachen von den letzten Sorgen des Sterbenden, die um Mabel kreisten. Etwas später erschien der Jäger auf der Leiter, hob den Finger, um Schweigen zu gebieten, und winkte dann Cap, seinen Platz Mabel zu überlassen.

»Wir müssen klug sein, und wir müssen kühn sein«, sagte er mit leiser.Stimme, »das Gewürm hat die ernstliche Absicht, das Blockhaus in Brand zu stecken.«

Da unterbrach plötzlich Muirs Stimme das Schweigen. »Meister Pfadfinder, ein Freund fordert Euch auf, ihm Gehör zu geben.«

»Was wollt Ihr, Quartiermeister? Es muß etwas sehr Dringendes sein, was Euch in dieser nächtlichen Stunde unter die Schießscharten des Blockhauses bringt.«

»Der Feind ist zu stark, und ich komme, Euch zu raten, das Blockhaus zu übergeben. Ihr sollt als Kriegsgefangene ehrenvolle Behandlung erfahren.«

»Ich danke Euch für diesen Rat, Quartiermeister, aber ich geben den Platz nicht auf, solange ich noch meine Büchse habe und Nahrung und Wasser vorhanden sind.«

»Gut, ich würde der letzte sein, Pfadfinder, etwas gegen einen so tapferen Entschluß zu sagen, sähe ich die Möglichkeit, ihn auch durchzuführen.«

»Wenn jeder von uns seines Entschlusses sicher ist, Quartiermeister, dann bedarf es keiner weiteren Worte. Wenn das Gewürm in Eurer Nähe geneigt ist, sein teuflisches Werk zu beginnen, so laßt sie sofort Hand anlegen. Sie können Holz anstecken und ich Pulver.«

Pfadfinder hieß jetzt Cap auf das Dach gehen und sich für den ersten Angriff bereithalten. Obgleich der Mann sich beeilte, fand er doch bereits nicht weniger als zehn flammende Pfeile in der Rinde stecken, während die Luft von dem Kriegsgebrüll der Wilden widerhallte. Eine rasche Büchsensalve folgte, und die Kugeln schlugen in das Gebäude. Diese Töne konnten jedoch weder Pfadfinder noch Cap schrecken. Plötzlich aber erzitterte das ganze Gebäude von der Gewalt des Einschlags einer Haubitzenkugel. Mabel schrie laut auf, denn sie glaubte, alles, was über ihrem Haupt war, müsse vernichtet sein.

»Mabel«, rief Pfadfinder, »das ist echtes Mingowerk, mehr Lärm als Schaden. Die Schurken haben die Haubitze, die wir den Franzosen abnahmen, gefunden und gegen das Blockhaus abgefeuert. Glücklicherweise aber haben sie nun ihre einzige Kugel abgeschossen, und so ist es damit zu Ende. Euer Oheim und ich, wir sind unverwundet.«

Mabel winkte ihm Dank zu und widmete sich sogleich wieder voll und ganz der Pflege ihres bedauernswerten Vaters. Während der furchtbaren Minuten, die nun folgten, war sie so sehr von Sorge für den Kranken in Anspruch genommen, daß sie kaum das Geschrei hörte, das rings um sie erscholl.

Caps Ruhe und Besonnenheit waren bewundernswürdig. Man sah ihn Wasser auf das Dach schütten. Er blieb unverletzt, obgleich die Kugeln um ihn pfiffen.

Das Benehmen Pfadfinders war anders. Alles, was er tat, war genau berechnet. Er hielt sich stets außer der Linie der Schießscharten, und die Stelle, die er zu seinem Lugaus wählte, war die gefahrloseste. Als er jedoch am Fuß des Gebäudes Mokassintritte und das Rascheln von dürrem Holz hörte, wußte er, daß die Feinde nun versuchten, Feuer an die Balken zu legen. Er rief Cap vom Dach herunter und hieß ihn an einer unmittelbar über dem erwarteten Feuer befindlichen Schießscharte mit Wasser bereit sein. Schon hörte er die Irokesen dürres Gestrüpp sammeln, es an dem Blockhaus aufhäufen, die Flamme anfachen und wieder in ihr Versteck zurückkehren — aber er griff noch nicht ein. Cap hatte indessen ein mit Wasser gefülltes Faß an die Öffnung gebracht und hielt sich bereit. Pfadfinders geübtes Auge entdeckte jetzt drei oder vier Indianer, die im Hinterhalt lauerten.

»Seid Ihr fertig, Freund Cap?« fragte er. »Die Hitze dringt allmählich durch die Spalten. Seht Euch vor, daß Ihr das Faß richtig ausgießt und daß kein Wasser verlorengeht.«

»Fertig!« erwiderte Cap.

Während Pfadfinder diese Anweisungen gab, beendete er seine eigenen Vorbereitungen; dann nahm er seinen geliebten Wildtöter und schoß. Als er den Lauf zurückzog, brachte er das Auge an die Öffnung. »Ein Gewürm weniger«, murmelte er. »Noch einen der Schurken, und wir werden diese Nacht Ruhe haben.«

Ein zweiter Schuß fiel, und schon wälzte sich die nächste Rothaut in ihrem Blut. Da stob wie von Furien gehetzt die ganze Schar der Wilden, die in den Gebüschen lagen, auseinander.

»Nun das Wasser ausgeschüttet, Meister Cap!« rief Pfadfinder. »Die Schurken werden heute nacht kein Feuer mehr anstecken.«

»Brühe!« rief Cap und stürzte das Faß so sorgfältig um, daß das Feuer gleich vollständig gelöscht war.

Der übrige Teil der Nacht verlief ruhig. Pfadfinder und Cap wachten abwechselnd und schliefen kaum. Mabel blieb an der Seite ihres Vaters. Sie war so traurig, daß sie sich den Tod wünschte.

Als der Morgen kam, bestiegen Pfadfinder und Cap das Dach, um zu sehen, wie die Lage auf der Insel war. Ein frischer Wind blies aus Süden, und der See war grün und bewegt. Während sie so standen und besorgt umherblickten, rief Cap plötzlich:

»Schiff ahoi!«

Pfadfinder folgte schnell dem Auge des Seemanns. Der hohe Standpunkt ließ sie mehrere umliegende Inseln überschauen. Tatsächlich waren durch das Buschwerk einer südwestlich gelegenen Insel die Segel eines Schiffes zu sehen. Das fremde Fahrzeug kam sehr schnell näher.

»Es ist nicht möglich, daß es Jasper ist«, sagte Pfadfinder betrübt. »Der Bursche kennt unsere Lage nicht. Wir haben ein Schiff vor uns, das die Franzosen geschickt haben.«

»Dieses Mal irrt Ihr, Freund Pfadfinder«, antwortete Cap plötzlich erleichtert. »Ich sehe dort die Spitze des großen Kuttersegels.«

»Ich sehe zwar nichts Besonderes«, sagte Pfadfinder. »Wenn aber Jasper wirklich kommt, so fürchtet gar nichts mehr. Gott gebe, daB der gute Junge nicht in einen Hinterhalt gerät.«

Die »Wolke« kam jetzt auf der Luvseite der Insel mit großer Schnelligkeit näher. Aber niemand war auf ihrem Deck sichtbar, dem man ein Zeichen geben konnte. Selbst das Steuer schien verlassen, obgleich der Kurs festlag. Cap bewunderte schweigend das ungewöhnliche Schauspiel. Als die »Wolke« näher kam, gewahrte sein geübtes Auge, daß das Ruder bewegt wurde, obgleich die Hand, die es steuerte, unsichtbar blieb. Da der Kutter aber Schutzbretter von einiger Höhe besaß, erklärte sich das Geheimnis leicht: die Mannschaft lag offenbar hinter diesen, um gegen die Kugeln des Feindes gedeckt zu sein.

»Ich hab’s, ich hab’s!« rief Pfadfinder frohlockend. »Dort auf dem Deck des Kutters liegt das Kanu der Schlange, und der Häuptling ging an Bord der ›Wolke‹ und hat zweifellos Bericht über unsere Lage erstattet. Gott gebe, daß Jasper Western noch an Bord der ›Wolke‹ ist!«

»Ja — ja; der Bursche ist tüchtig; das muß man zugeben.«

Die »Wolke« war schon nahe. Der Wind wehte jetzt recht ungestüm. Kleinere Bäume beugten die Wipfel, als wollten sie die Erde fegen. Die Luft war mit Blättern angefüllt, die in dieser späten Jahreszeit von den Zweigen fielen und gleich aufgescheuchten Vögeln von einer Insel zur anderen flogen. Daß sich jedoch auf dem Kutter kein Zeichen menschlichen Lebens gewahren ließ, war allerdings recht merkwürdig. Er hielt sich in der Mitte des Kanals, und seine Bewegung war so schnell, daß er nach kaum zehn Minuten gerade an dem Blockhaus vorbeisegelte. Cap und Pfadfinder beugten sich vor, um das Deck genauer sehen zu können. Zu ihrer großen Freude erschien Jasper und stieß einen dreimaligen Freudenruf aus. Cap sprang, unbesorgt um jede Gefahr, auf die Brüstung und gab den Gruß jubelnd zurück. Sobald Pfadfinder seinen Freund Jasper sah, rief er ihm mit mächtiger Stimme zu:

»Zu uns gehalten, Bursche, und der Sieg ist unser. Gib ihnen eine Salve in die Büsche, und du wirst sie wie Schnepfen aufjagen.«

Als Pfadfinder diese Worte rief, schoß die »Wolke« an ihnen vorbei und verschwand im nächsten Augenblick hinter einer Baumgruppe, in der das Blockhaus versteckt lag. Nach zwei angstvollen Minuten glänzten aber die Segel wieder durch die Bäume, denn Jasper hatte gewendet. Er schien vorerst Kundschaft einziehen zu wollen. Als jedoch die »Wolke« die Insel umsegelt und die Luvseite des Kanals erreicht hatte, wendete sie wieder. Das Knallen des schlagenden Großsegels, das sich füllte, sosehr es auch eingerefft war, glich einem Kanonenschuß.

»Der kommt herum«, rief Cap begeistert, »und nun werden wir gleich sehen, was der Knabe eigentlich vorhat; er kann doch nicht hier auf und ab fahren wollen wie ein Mädchen auf dem Tanzboden.«

Die »Wolke« hielt jetzt so weit ab, daß die beiden Beobachter auf dem Blockhaus einen Augenblick glaubten, Jasper wolle landen. Doch dieser beabsichtigte das keineswegs. Mit dem Ufer und der Tiefe des Wassers auf allen Seiten der Insel genau bekannt, wußte er wohl, daß die »Wolke« ohne Gefahr an das Ufer geführt werden konnte. Er wagte sich furchtlos so nahe, daß er bei dem Gang durch die kleine Bucht die zwei Boote der Soldaten von den Tauen losriß, sie nachzog und am Kutter befestigte. Da aber alle Kanus an den zwei Booten Dunhams fingen, wurden die Mingos durch den kühnen und gelungenen Streich plötzlich aller Mittel beraubt, die Insel anders als schwimmend zu verassen. Die ganze Schar erhob sich jetzt, füllte die Luft mit ihrem Geschrei und eröffnete ein planioses Feuer, das völlig wirkungslos blieb.

In diesem Augenblick schoß Pfadfinder. Seine Kugel sauste von der Höhe des Blockhauses nieder und traf einen Irokesen. Eine zweite Kugel kam von der »Wolke« und machte einen anderen Feind kampfunfähig. Die Mannschaft des Kutters jubelte, und die Indianer waren mit einem Schlag bis auf den letzten Mann unsichtbar, als hätte sie die Erde plötzlich verschlungen.

»Das war die Stimme der Schlange«, sagte Pfadfinder, sobald die zweite Büchse geknallt hatte. »Ich kenne den Ton seiner Büchse gut.«

Während der ganzen Zeit blieb die »Wolke« in Bewegung. Sie ging mit dem Wind abwärts, bis sie eine halbe Meile leewärts fast auf Sand lief. Jetzt wendete sie und kam, wieder gegen die Strömung haltend, durch den anderen Kanal. Die auf dem Dach des Blockhauses konnten nun bemerken, daß etwas an Deck in Bewegung war. Zu ihrer großen Freude wurde gerade vor der Hauptbucht, wo die Mehrzahl der Feinde versteckt lag, die Haubitze, das einzige Geschütz des Kutters, demaskiert. Da flog auch schon ein Kartätschenregen pfeifend in das Gebüsch. Wachteln hätten sich nicht so schnell erheben können wie die erschreckten Wilden, die dieser unerwartete Eisenhagel aufjagte. Und wieder schoß Pfadfinder; der dritte Indianer fiel. Fast gleichzeitig tötete Chingachgook einen vierten. Die anderen aber verkrochen sich, so gut es ging, hinter Bäumen und Büschen.

Plötzlich erschien Juni mit einer weißen Fahne. Muir und der französische Offizier begleiteten sie.

»Ihr habt gesiegt, Pfadfinder«, rief der Quartiermeister, »und Kapitän Sanglier kommt selbst, den Frieden anzubieten. Ihr werdet einem tapferen Feind einen ehrenvollen Rückzug nicht verweigern. Von seiten des Feindes bin ich ermächtigt, die Räumung der Insel, den Austausch der Gefangenen und die Rückgabe der Skalpe anzutragen.«

»Was sagt Ihr dazu, Jasper?« rief Pfadfinder. »Ihr habt den Vorschlag gehört; sollen wir die Landstreicher ziehen lassen?«

»Kein Blutvergießen mehr, im Namen der Religion«, rief Mabel, die in diesem Augenblick auf dem Dach erschien.

»Gut!« rief Pfadfinder. »Ich neige zu Mabels Ansicht. Es ist Blut genug vergossen worden, um unseren Zweck zu erreichen und dem König zu dienen. Laßt uns wissen, Leutnant Muir, was Eure Freunde, die Franzosen und Indianer, für sich vorzubringen haben.«

»Meine Freunde?« sagte Muir gekränkt. »Ihr werdet des Königs Feinde doch nicht meine Freunde nennen, Pfadfinder, weil das Kriegsglück mich in ihre Hände gegeben hat?«

Ohne etwas darauf zu erwidern, trat Pfadfinder vor die Tür des Blockhauses und gab die Bedingungen bekannt, unter denen die Indianer freien Abzug erhalten sollten. Diese Bedingungen waren für beide Teile nicht unvorteilhaft. Die Indianer mußten wegen der Vorsicht, da sie um das Vierfache zahlreicher waren als ihre Feinde, alle Waffen, selbst Messer und Tomahawks, abliefern. Der französische Offizier, Monsieur Sanglier, war damit zunächst nicht einverstanden, denn es könne, wie er meinte, ein ungünstiges Licht auf sein Kommando werfen. Aber Pfadfinder kannte die Indianer und ließ sich nicht umstimmen. Die zweite Bedingung war fast ebenso wichtig. Sie zwang Kapitän Sanglier, alle seine Gefangenen, die in der Höhle, in die Cap und Muir sich geflüchtet hatten, sorgsam bewacht wurden, herauszugeben. Als man die Leute herbeiführte, ergab es sich, daß vier unverletzt waren. Sie hatten sich bloß niedergeworfen, um ihr Leben zu retten. Die anderen zwei waren nur leicht verwundet. Alle brachten ihre Gewehre mit, und dieser Zuwachs an Streitkräften beruhigte Pfadfinder sehr. Er ließ alle Waffen des Feindes sammeln und ins Blockhaus bringen, wo er eine Wache vor die Tür stellte, um die Beute zu sichern.

Als die Vorbereitungen so weit gediehen waren, daß Jasper sich ohne Gefahr entfernen konnte, ließ er die Anker lichten. Alle Indianer mußten in die Kanus steigen, und die »Wolke« segelte ab. Jasper hängte die Boote ungefähr eine Meile von der Insel entfernt ab und überließ den Indianern für jedes Boot nur ein Ruder. Er wußte nämlich, daß sie die kanadischen Ufer mit dem Wind noch im Laufe des Vormittags erreichen konnten.

Kapitän Sanglier, Pfeilspitze und Junitau blieben zurück. Der Franzose und Leutnant Muir hatten gewisse Papiere zu ordnen und zu unterzeichnen. Der Tuscarora aber zog es vor, nicht in Gesellschaft seiner Freunde, der Irokesen, wegzufahren.

9

Die »Wolke« war noch unterwegs, als Muir Pfadfinder beiseite; führte. Er machte ihn mit seiner Absicht bekannt jetzt den Befehl über den Rest der Truppe zu übernehmen, da der Sergeant dazu nicht fähig war. Pfadfinder, der zwar dem Leutnant nicht recht traute, mußte jedoch wohl oder übel zustimmen. Sofort kehrte der Quartiermeister seine neue Würde heraus. Er gab in herrischem Ton dem Korporal einige Befehle. Der Pfadfinder und der französische Offizier saßen am Feuer und musterten einander.

»Monsieur Pfadfinder«, sagte schließlich mit freundlichem Lächeln der Franzose, »ein Soldat ehrt den Mut und die Tapferkeit. — Sie sprechen Irokesisch?«

»Ja, ich verstehe die Sprache. Aber um aufrichtig zu sein, ich finde, Ihr seid in verdammt schlechter Gesellschaft.«

»Ja, Herr«, erwiderte der Angesprochene, der nur mit Mühe verstand, was der Jäger sagte. »Ihr zu gütig. Aber ein tapferer Mann immer comme ça. Was das heißen?« unterbrach er sich plötzlich. »Was machen dieser junge Mensch?«

Beide blickten über das Feuer hinweg, wo drei Soldaten Jasper, der soeben zurückgekehrt war, überwältigten und banden.

»Was geht hier vor?!« rief Pfadfinder, indem er aufsprang und die Männer entschlossen wegschob.

»Es geschieht auf meinen Befehl, Pfadfinder!« antwortete der Quartiermeister. »Ihr werdet es nicht auf Euch nehmen, Befehle zu beanstanden, die königlichen Soldaten von einem königlichen Offizier gegeben werden.«

»Ich würde des Königs Wort beanstanden, wenn er sagte, Jasper verdiene das. Hat der Bursche nicht eben uns alle gerettet? — Nein, Leutnant, wenn Ihr solchen Gebrauch von Eurer Befehlsgewalt macht, so bin ich der erste, der sie nicht anerkennt.«

»Das klingt ein wenig nach Insubordination«, sagte Muir. »Aber wir können viel von Pfadfinder ertragen. Hat Major Duncan Jasper nicht selbst als verdächtig bezeichnet? Haben wir nicht selbst genug erlebt, um sicher zu sein, daß wir verraten wurden?«

»Jasper Western ist mein Freund. Jasper ist ein treuer Bursche, und keine Hand des 55. Regiments soll ihn berühren, wenn nicht auf Lundies Befehl, zumindest solange ich es verhindern kann. Ihr könnt Euren Soldaten befehlen, aber über Jasper und mich habt Ihr nicht zu verfügen, verstanden, Meister Muir?«

»Bien!« rief Kapitän Sanglier zufrieden.

»Wollt Ihr nicht der Vernunft Gehör schenken, Pfadfinder? Seht dieses Stückchen Flaggentuch! Mabel Dunham hat es gefunden, und zwar an dem Ast eines Baumes auf der Insel, kaum eine Stunde vor dem Angriff. Das Tuch wurde aus der Fahne des Kutters herausgeschnitten. Gibt es einen stärkeren Beweis?«

»Mais — Aber das stark sein!« murmelte Sanglier zwischen den Zähnen.

»Sprecht mir nichts von Flaggen und Fahnen, wenn ich das Herz kenne«, rief Pfadfinder. »Weg mit den Händen, sonst werden wir sehen, wer sich am besten im Kampf hält.«

»Gut — wenn ich offen sprechen muß, Pfadfinder, dann muß ich es eben. Kapitän Sanglier hier und Pfeilspitze, dieser tapfere Tuscarora, haben mir beide gesagt, Jasper sei ein Verräter.«

»Zuviel Lügen!« rief Pfeilspitze plötzlich mit Donnerstimme, indem er mit seinem Handrücken Muirs Brust berührte: »Wo meine Krieger? Wo Yankees Skalps? — Zuviel Lügen!«

Muir fehlte es durchaus nicht an persönlichem Mut. Er nahm das Ungestüme der Gebärde für einen Angriff und trat einen Schritt zurück, um nach seinem Gewehr zu greifen. Sein Gesicht war rot und blau vor Wut. Pfeilspitze aber war schneller. Mit einem wilden Leuchten in den Augen griff der Tuscarora in den Gürtel, zog blitzschnell ein Messer hervor und stieß es in die Brust des Quartiermeisters.

Als Muir so unerwartet niederstürzte, nahm Kapitän Sanglier eine Prise Tabak und sagte mit ruhiger Stimme:

»Voilà, l’affaire finie; mais«, fuhr er fort und zuckte mit den Schultern, »ein Verräter weniger.«

Mit einem lauten Siegesschrei sprang jetzt Pfeilspitze in die Büsche. Die Weißen waren zu bestürzt, um zu schießen. Chingachgook jedoch nahm sofort die Verfolgung auf.

»Le voilà«, sagte der kaltblütige Franzose, »dies ist unser Spion — unser Freund — c’était un grand traître.« Mit diesen Worten beugte er sich über die Leiche, griff in die Tasche des Quartiermeisters und zog eine Börse heraus. Als er den Inhalt auf die Erde schüttete, rollten mehrere Doppellouisdors zu den Soldaten hin, die nicht faul waren, sie aufzuraffen. Der Franzose warf daraufhin die Börse verächtlich weg.

Während die Soldaten die Leiche zur Seite trugen und mit einem Mantel bedeckten, kam Chingachgook zurück und nahm stumm wieder seinen Platz ein, Pfadfinder und Sanglier bemerkten jedoch, daß ein frischer Skalp an seinem Gürtel hing.

Von Pfadfinder befragt, berichtete schließlich Sanglier über Leutnant Muirs Dienste. Bald nachdem das 55. Regiment an die Grenze gekommen war, hatte Muir dem Feind seine Dienste angeboten. Dieser hatte sie angenommen. Pfeilspitze machte den Zwischenträger. Der anonyme Brief an Major Duncan war ursprünglich von Muir verfaßt, nach Frontenac geschickt, dort abgeschrieben und von dem Tuscarora nach Oswego zurückgebracht worden. Jasper Western sollte geopfert werden, um den Verrat des Quartiermeisters zu bemänteln. Eine außerordentliche Belohnung hatte Müir schließlich verleitet, sich dem Sergeant Dunham anzuschließen, um das Zeichen zum Angriff zu geben.

»Ihre Hand!« sagte der kaltblütige Franzose, indem er am Schluß seiner Erzählung dem Pfadfinder seine sehnige Hand hinstreckte. »Ihr sein honnête, ein Ehrenmann, und das sein viel. Wir nehmen den Spion, wie wir la médicine nehmen — weil es gut so — mais je le déteste — ich ihn ver … verachte! Ihre Hand!«

»Ich gebe Euch gerne meine Hand, Kapitän! Hier! Denn Ihr seid ein aufrichtiger Feind«, sagte Pfadfinder. »Doch da kommt Meister Cap und scheint uns zu suchen.«

Cap war soeben aus dem Blockhaus getreten. Als er Pfadfinder und Jasper erblickte, eilte er auf sie zu.

»Mein Schwager liegt im Sterben. Ich wollte euch bitten, ins Blockhaus zu kommen. Ja, das Leben ist eine verteufelte Angelegenheit.«

Indessen war Sergeant Dunham der Welt schon so weit entrückt, daß er die Stimme Mabels, die an seinem Bett kniete und mit der ganzen Innigkeit ihres Herzens betete, kaum mehr vernahm. Jasper und Pfadfinder traten an die andere Seite der Liegestatt und blickten auf das schon halb verfallene Angesicht des Sterbenden. Plötzlich aber schien Dunham den Pfadfinder an seinem Bett zu erkennen. Mit letzter Anstrengung tastete die Hand des Sterbenden zu Mabel hinüber.

»Mabel, mein Kind«, sprach er endlich mit schwacher Stimme — »Mabel, ich verlasse dich jetzt. Wo ist deine Hand?«

»Hier, liebster Vater — hier sind beide — oh, nimm beide!«

»Pfadfinder«, fuhr der Sergeant fort und tastete nach der entgegengesetzten Seite des Bettes, wobei er irrtümlich eine der Hände Jaspers erfaßte — »nimm sie — sei ihr Vater — Gott segne dich — Gott segne euch beide!«

Niemand wollte in diesem feierlichen Augenblick den Sergeant auf seinen Irrtum aufmerksam machen, und so starb er einige Minuten später, Jaspers und Mabels Hände mit den seinen bedeckend.

Das Mädchen wußte nichts von ihres Vaters Irrtum, bis ihr ein Ausruf Caps seinen Tod ankündigte. Als sie das Gesicht hob, traf sie auf einen Blick aus Jaspers Augen und fühlte den warmen Druck seiner Hand. Da zog sie sich zurück, um haltlos zu weinen. Pfadfinder aber nahm Jasper beim Arm und verließ mit ihm das Blockhaus.

In tiefem Schweigen gingen die beiden Freunde am Feuer vorbei bis zum entgegengesetzten Ufer der Insel, wo sie anhielten.

»Der arme Sergeant Dunham hat nun seine Laufbahn beendet, noch dazu durch die Hand eines giftigen Mingowurms. Doch auch wir wissen nie, was uns erwartet, und sein Los kann ebensogut heut oder morgen das Eure oder das meine sein«, sprach Pfadfinder.

»Und Mabel? Was soll aus Mabel werden, Pfadfinder?«

»Ihr habt die letzten Worte des sterbenden Dunham gehört; er hat mir die Obhut über sein Kind gelassen, Jasper, und das ist ein feierliches Vermächtnis, ein sehr feierliches Vermächtnis.«

Jasper nickte stumm.

»Die Menschen sind neidisch und schlimm, besonders in den Garnisonen und ihrer Nachbarschaft. Ich wünsche bisweilen, Jasper, daß Mabel zu Euch hätte eine Neigung gewinnen können — ja, ja, und daß Ihr eine Neigung zu ihr gefaßt hättet; denn es kommt mir oft vor, daß ein Bursche wie Ihr sie im Grunde doch glücklicher machen müßte, als ich es je imstande bin.«

»Reden wir nicht mehr davon, Pfadfinder«, unterbrach ihn Jasper barsch und ungeduldig. »Ihr werdet Mabels Gatte sein, und es ist nicht recht, von einem andern in dieser Eigenschaft zu sprechen. Was mich anbelangt, will ich dem Rat Caps folgen und versuchen, einen Mann aus mir zu machen. Vielleicht kann das auf dem Salzwasser geschehen.«

»Ihr, Jasper Western? — Aber warum die Seen, die Wälder und die Grenzen verlassen? Ich habe auf Euch gerechnet, Jasper, ja, ich zähle auf Euch und dachte, da nun Mabel und ich in unserer eigenen Hütte wohnen werden, daß Ihr Euch eines Tages auch eine Gefährtin wählen und Euch in unserer Nachbarschaft niederlassen würdet!«

»Ihr vergeßt, mein Freund«, entgegnete Jasper, indem er mit erzwungenern Lächeln des Wegweisers Hand ergriff, »daß es an der vierten Person fehlt, die mir teuer sein könnte; und ich zweifle sehr, ob ich je irgend jemanden so lieben kann, wie ich Euch und Mabel liebe.«

»Ich danke Euch, guter Junge, ich danke Euch von ganzem Herzen; aber was Ihr in Beziehung auf Mabel Liebe nennt, das ist bloß Freundschaft und etwas ganz anderes, als ich für sie fühle. Jetzt, statt wie früher tief zu schlafen, träume ich ständig von Mabel Dunham, und erst heute nacht kam es mir vor, ich wäre auf dem Niagara und hielte Mabel in meinen Armen, mit der ich lieber über den Fall hinunterstürzte, als von ihr zu lassen. Die bittersten Augenblicke, die mir je vorkamen, waren die, wenn der Teufel oder vielleicht ein Mingozauberer meinen Träumen die Vorstellung beimischte, daß Mabel mir durch irgendein unerklärliches Unglück verlorengegangen sei.«

»O Pfadfinder, wenn Euch das schon im Traum so bitter dünkt, wie muß es da erst dem sein, der es in Wirklichkeit fühlt und weiß, daß alles wahr, wahr, wahr ist, so wahr, daß kein Funken Hoffnung zurückbleibt, daß nichts zurückbleibt als bitterste Verzweiflung?«

Diese Worte entglitten Jaspers Lippen unwillkürlich, fast unbewußt, aber mit einer Wahrheit und einer Tiefe des Gefühls, daß sich ihre Aufrichtigkeit nicht bezweifeln ließ.

In wirrer Überraschung blickte Pfadfinder den Freund wohl eine Minute lang an; dann tauchte ihm, ungeachtet seiner problemlosen Einfachheit, eine herbe Erkenntnis auf.

»Jasper«, begann er in einem so feierlichen Ton, daß jeder Nerv eines Zuhörers bebte, »das kam sehr unverhofft. Ihr hegt zartere Gefühle für Mabel, als ich dachte, und wenn mich nicht ein Mißgriff meiner Eitelkeit und Einbildung grausam getäuscht hat, so bedaure ich auch, Junge, von ganzer Seele. Ja, ich weiß — glaube ich —, wie der zu beklagen ist, der sein Herz an ein Wesen wie Mabel gesetzt hat, ohne hoffen zu dürfen, daß sie ihn mit den gleichen Augen betrachtet, wie er sie ansicht. Diese Sache muß sich aufklären, bis keine Wolke mehr zwischen uns steht, wie die Delawaren sagen.«

»Was bedarf es da einer Aufklärung, Pfadfinder?« erwiderte Jasper, der sich durch die Heftigkeit seines Ausbruches beschämt fühlte. »Ich liebe Mabel Dunham, und Mabel Dunham liebt mich nicht; sie will aber Euch zum Gatten haben, und das Klügste, was ich tun kann, ist, auf das Salzwasser zu gehen und versuchen, Euch beide zu vergessen.«

»Mich zu vergessen, Jasper! — das wäre eine Strafe, die ich nicht verdiene. Aber woher wißt Ihr, daß Mabel mich lieber hat als Euch? Wie wißt Ihr das, Junge? — Mir scheint das ganz unmöglich!«

»Wird sie nicht Euer Weib werden? Und würde Mabel einen Mann heiraten, den sie nicht liebt?«

»Der Sergeant hat ihr hart zugesetzt — ja, so ist’s. Und einem gehorsamen Kind mag es wohl schwer werden, den Wünschen eines sterbenden Vaters zu widerstehen. Habt Ihr Mabel je gesagt, daß Ihr sie liebt, daß Ihr solche Gefühle für sie hegt?«

»Nie, Pfadfinder! Wie konnte ich Euch ein solches Unrecht zufügen?«

»Ich glaube Euch, mein Junge, und ich glaube auch, daß Ihr imstande wäret, spurlos zu verschwinden und aufs Salzwasser zu gehen. Aber das ist nicht gerade nötig. Mabel soll alles erfahren und entscheiden; ja, das soll sie, und wenn mir das Herz bräche. Ihr habt ihr also nie ein Wort davon gesagt, Jasper?«

»Nichts von Belang, nichts Bestimmtes.«

»Jasper«, erwiderte Pfadfinder einfach, aber mit einer Würde, die für den Augenblick alle weiteren Bemerkungen abschnitt, »wir wollen über das Leichenbegängnis des Sergeanten und über unsere Abreise von der Insel sprechen. Dann werden wir hinlänglich Zeit haben, noch ein Wort über Mabel zu reden. Die Sache bedarf einer reiflichen Erwägung, denn der Vater hat mir die Obhut über sein Kind anvertraut.«

10

Die Beerdigung war vorüber. Sergeant Dunham lag nun, für immer zur Ruhe bestattet, inmitten einer Baumgruppe unter dem Schatten einer hohen Ulme. Der Morgen des dritten Tages war für die Abfahrt der »Wolke« bestimmt. Jasper hatte seine Vorbereitungen getroffen. Die verschiedenen beweglichen Gegenstände waren verladen, und Mabel hatte von Juni zärtlichen Abschied genommen. Alles war bereit, und die ganze Gesellschaft, mit Ausnahme Junitaus, Pfadfinders, Jaspers und Mabels, hatte die Insel verlassen und war bereits auf dem Schiff.

Junitau war ins Gebüsch gegangen, um zu weinen, und die drei anderen näherten sich nun den Kähnen, die sie an Bord der »Wolke« bringen sollten. Pfadfinder ging voraus. Bevor er das Ufer erreichte, forderte er seine Gefährten auf, ihm zu folgen, und führte sie zu einem umgestürzten Baum, der am Rande der Lichtung lag. Hier ließ er sich nieder und hieß Mabel auf der einen und Jasper auf der anderen Seite neben ihm Platz nehmen.

»Setzt Euch hierher, Mabel — und Ihr, Jasper, dahin«, begann er, sobald er seinen Sitz eingenommen hatte. »Mir liegt etwas schwer auf der Seele, und es ist jetzt Zeit, es abzuschütteln. — Mabel«, fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »Ihr wißt, daß der Sergeant vor seinem Scheiden die Bestimmung getroffen hat, daß wir einander heiraten und lieben sollen, solange es Gott gefällt, uns auf Erden zu lassen.«

Mabels Wangen hatten in der frischen Morgenluft wieder etwas von; ihrem früheren rosigen Aussehen gewonnen. Bei dieser unerwarteten Anrede aber erbleichte sie wieder. Sie blickte jedoch Pfadfinder mit freundlichem Ernst an.

»Ihr habt recht, mein Freund«, entgegnete sie; »das war der Wunsch meines armen Vaters, und ich fühle die tiefe Überzeugung, daß ein ganzes Leben kaum imstande ist, Euch für alles, was Ihr an uns getan habt, zu belohnen.«

»Ich bin aber der Überzeugung, Mabel, daß Mann und Weib durch ein kräftigeres Band aneinandergeknüpft sein müssen, als Dankbarkeit es ist.«

Mabels Wangen begannen wieder zu glühen, und obgleich sie sich Mühe gab zu lächeln, war doch in ihrer Antwort ein leichtes Beben der Stimme nicht zu verkennen.

»Wäre es nicht besser, wenn wir diese Unterhaltung aufschöben, Pfadfinder?« sagte sie. »Wir sind jetzt nicht allein, und es heißt, daß es nichts Unangenehmeres für einen Dritten gäbe, als Familienangelegenheiten besprechen zu hören, die für ihn kein Interesse haben.«

»Gerade weil wir nicht allein sind, oder vielmehr, weil Jasper bei uns ist, Mabel, möchte ich diese Sache zur Sprache bringen. Als Ihr mir Eure Hand gabt, Mabel, war ein Umstand vorhanden, von dem Ihr nichts wußtet, und ich halte es für dringend erforderlich, Euch ihn mitzuteilen. Ich habe mich oft mit einem mageren Hirsch für meine Mahlzeit begnügt, wenn ich kein gutes Wildbret haben konnte, aber es ist natürlich, daß man nicht nach dem Schlechtesten greift, wenn das Beste zu finden ist.«

»Ihr sprecht in einer Weise, Pfadfinder, die ich nicht verstehen kann. Wenn diese Unterhaltung wirklich so notwendig ist, so hoffe ich doch, daß Ihr Euch deutlicher ausdrückt.«

»Also gut! Ich habe mir Gedanken darüber gemacht, daß Ihr, Mabel, als Ihr Euch den Wünschen des Sergeanten fügtet, wahrscheinlich über die Art von Jasper Westerns Gefühlen für Euch nicht im klaren waret.«

»Pfadfinder!« Mabels Wangen erbleichten, begannen aber gleich darauf wieder heftig zu ergh’ihen. Ihr ganzer Körper bebte. Jasper hielt sein Gesicht mit den Händen bedeckt.

»Ich habe mit dem Jungen gesprochen, und wenn ich seine Träume, seine Gefühle und seine Wünsche mit den meinen vergleiche, so fürchte ich, wir denken über Euch zu ähnlich, als daß wir beide glücklich sein könnten.«

»Pfadfinder, Ihr vergeßt — Ihr solltet Euch erinnern, daß wir verlobt sind. Solche Anspielungen sind ebenso ungeeignet wie schmerzlich.«

»Alles ist geeignet, Mabel, was zu einem klaren Verhältnis führt, wie mir meine eigene Erfahrung sagt, auch wenn es schmerzlich ist. Nun, Mabel, wenn Ihr gewußt hättet, daß Jasper in solcher Weise an Euch denkt, hättet Ihr vielleicht nie eingewilligt, einen so alten und unansehnlichen Mann, wie ich es bin, zu heiraten?«

»Warum diese grausame Prüfung, Pfadfinder? Jasper denkt an so etwas nicht; er sagt nichts, er fühlt nichts.«

»Mabel!« entfuhr es den Lippen des Jünglings auf eine Weise, die die unbezwingliche Natur seiner Gefühle verriet, obgleich er keine Silbe weiter hinzufügte.

Da bedeckte Mabel ihr Antlitz mit den Händen, und die beiden jungen Leute saßen da wie Schuldige, die bei einem Verbrechen ertappt wurden. In diesem Augenblick war Jasper vielleicht sogar geneigt, seine Leidenschaft in Abrede zu stellen, da er seinem Freund keinen Gram bereiten wollte. Für Mabel jedoch kam die unverhohlene Mitteilung einer Tatsache, die sie im stillen eher gehofft als geglaubt hatte, so unerwartet, daß sich einen Augenblick ihre Sinne verwirrten und sie nicht wußte, ob sie weinen oder sich freuen sollte. Zuerst aber mußte sie sprechen, da Jasper nicht imstande war, etwas hervorzubringen, was unredlich erscheinen oder für seinen Freund schmerzlich sein konnte.

»Pfadfinder«, sagte sie, »Ihr sprecht rauh. Weshalb erwähnt Ihr solche Dinge?«

»Nun, Mabel, wenn ich dies tue, so wißt Ihr wohl, daß ich ein halber Wilder bin.« Als er dies sagte, suchte er in seiner gewöhnlichen lautlosen Weise zu lachen, aber es gelang nicht recht, und der Versuch gestaltete sich zu einem seltsamen Mißton, der ihn fast zu ersticken drohte. »Ja, ich muß wohl wild sein; ich will es nicht leugnen.«

»Teuerster Pfadfinder! Mein bester, fast mein einziger Freund, Ihr könnt und werdet nicht glauben, daß ich etwas Derartiges zu sagen beabsichtigte«, unterbrach ihn Mabel, indem ihr die Eile, womit sie ihre unbeabsichtigte Kränkung wiedergutmachen wollte, fast den Atem benahm. »Wenn Mut, Treue, Adel der Seele und des Charakters, Festigkeit der Grundsätze und hundert andere ausgezeichnete Eigenschaften einem Mann Achtung, Verehrung und Liebe gewinnen können, so steht Ihr keinem anderen menschlichen Wesen nach.«

»Was für zarte und bezaubernde Stimmen die Frauen haben, Jasper«, nahm der Waldgänger nun wieder mit einem offenen und natürlichen Lachen das Wort. »Ja, die Natur scheint sie geschaffen zu haben, uns in die Ohren zu singen, wenn die Melodien der Wälder schweigen. — Aber wir müssen zu einem vollen Verständnis kommen. Ich will versuchen, Mabel, Jasper und mir Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Fürs erste sollt Ihr wissen, daß wir beide Euch mit gleicher Innigkeit lieben. Doch der Junge hat eine Art, seine Gedanken auszudrücken, in der ich es ihm, wie ich fürchte, nie gleichtun kann. Er sagte mir, wie einfach, wie redlich und gütig Ihr wäret und wie wenig Ihr der Eitelkeiten der Welt achtetet. Er hat mir in der Tat das Blut ordentlich warm gemacht, als er von Eurer Schönheit sprach, auf die Ihr gar nicht einmal zu sehen scheint; auch von der Wärme Eures Herzens —«

»Jasper!« unterbrach ihn Mabel und ließ nun ihren Gefühlen, die um so unbezwinglicher zum Ausbruch kamen, je länger sie niedergedrückt worden waren, freien Lauf. Sie warf sich in die offenen Arme des jungen Mannes und weinte wie ein Kind an seiner Brust. — »Jasper! Jasper! Warum habt Ihr mir das verborgen?«

Jaspers Antwort war nicht sehr verständlich, aber die Sprache der Liebe versteht sich leicht. Und als Mabel sich wieder faßte und besann, daß es auch noch andere Leute gebe, maß ihr Onkel bereits das Deck des Schiffes mit ungeduldigen Schritten und wunderte sich, warum Jasper den günstigen Wind zu benützen säumte.

»O Jasper!« rief sie im Ton des plötzlich auftauchenden Schuldbewußtseins. »Der Pfadfinder!«

Da zitterte Jasper, zwar nicht aus unmännlicher Furcht, wohl aber in der schmerzlichen Überzeugung, seinen Freund tief gekränkt zu haben, und sah nach allen Richtungen aus, ihn zu finden; aber Pfadfinder hatte sich mit einem Zartgefühl, das dem Takt eines Edelmanns Ehre gemacht hätte, zurückgezogen. Die beiden Liebenden saßen noch einige Minuten beisammen und harrten seiner Rückkehr. Endlich sahen sie ihren Freund langsam und nachdenklich auf sich zukommen.

»Ich weiß nun, was man unter dem Sprechen ohne Zunge und dem Hören ohne Ohren versteht, Jasper«, sagte er, als er dem Baum nahe genug war, um verstanden zu werden. »Ja, ja, ich weiß es jetzt; und es ist eine sehr angenehme Art von Unterredung, wenn man sie mit Mabel Dunham halten kann. Ach! ich hab’s ja dem Sergeanten gesagt, daß ich nicht für sie passe — daß ich zu alt, zu unwissend und zu wild sei, aber er wollte es anders wissen.«

Jasper und Mabel saßen schweigend da. Sie sprachen nicht, sie bewegten sich nicht einmal.

»Cap wartet auf euch«, fuhr der Pfadfinder fort. »Die ›Wolke‹ ist abfahrbereit. Mabel! Jasper! Unsere Wege trennen sich nun. Bisweilen ist mir’s, als möchte ich gern in Eurer Nachbarschaft leben, um Eurem Glück zusehen zu können. Es ist aber doch besser, glaube ich, wenn ich das 55. Regiment ganz verlasse und zum 60. zurückkehre, das sozusagen mein angeborenes ist. Vielleicht wär’s auch besser gewesen, wenn ich es nie verlassen hätte. Doch, Jasper, es reut mich nicht, Euch kennengelernt zu haben —«

»Und mich, Pfadfinder?« unterbrach ihn Mabel ungestüm; »bereut Ihr es, mich gesehen zu haben? Wenn ich das glauben müßte, könnte ich nie zum Frieden mit mir selbst kommen.«

»Ihr, Mabel?« erwiderte der Wegweiser, indem er ihre Hand ergriff und dem Mädchen mit argloser Einfalt und inniger Liebe ins Antlitz blickte. »Wie könnte mir’s leid tun, daß ein Strahl der Sonne das Dunkel eines freudlosen Tages einen Augenblick erhellte? Ich mache Euch keine Vorwürfe, Mabel. Ihr habt mir alles gesagt, als wir auf der Anhöhe am See darüber sprachen, und ich hätte Euch damals glauben sollen. Es ist ja auch ganz natürlich, daß junge Mädchen ihre Neigungen besser kennen als die Väter. Na — jetzt ist’s im reinen, und mir bleibt nichts mehr übrig, als euch beiden Lebewohl zu sagen.«

Pfadfinder brachte Mabel und Jasper zu ihrem Kanu. Dort nahmen sie in ungemein herzlicher Weise voneinander Abschied. Tief bewegt sah der Jäger den beiden nach und blieb, gestützt auf seine Büchse, stehen, bis das Kanu an der Seite der »Wolke« verschwand. Mabel weinte und wandte ihre Augen nicht von jener Stelle des Ufers, wo sie die Gestalt des Pfadfinders noch zu erkennen vermochte; wie gebannt blickte sie hinüber, bis der Kutter um eine Landspitze bog und die Insel nicht mehr zu sehen war.

1Übersetzt von Karl Bamberger (1960)